Fortsetzung - Uli Sckerl

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Fortsetzung - Uli Sckerl
Freitag
MANNHEIMER
WELT UND WISSEN
27. MÄRZ 2009
MORGEN
3
Kriminalität: Das „Phantom“ ist nicht Deutschlands meistgesuchte Mörderin, sondern eine Panne / Diskussion über Sicherheit von DNA-Beweisen
ZUM THEMA
„Ich hatte
schon lange
Zweifel“
Von unserem Redaktionsmitglied
Timo Schmidhuber
Entnahme einer Speichelprobe mit einem Wattestäbchen zum DNA-Test.
BILDER: DPA
Eine falsche Spur, die zu immer
neuen falschen Spuren führt
Sie war die Frau ohne
Gesicht und galt als
meistgesuchte Mörderin der Republik:
Nun wächst sich das
„Phantom von Heilbronn“ zur wahrscheinlich größten Ermittlungspanne in der
Geschichte BadenWürttembergs aus.
Von unserem Korrespondenten
Peter Reinhardt
D
ie Spur des „Phantoms“
zog sich durch halb
Europa. An 41 Tatorten –
vom
aufgebrochenen
Gartenhäuschen bis zu dem Parkplatz, wo vor bald zwei Jahren die
Polizistin Michèle Kiesewetter in
Heilbronn erschossen worden war –
fanden die Ermittler immer wieder
das DNA-Material der gleichen Frau.
Doch die vermeintliche Serientäterin, der mehrere Morde zugeschrieben wurden, gibt es wahrscheinlich
gar nicht. Zwei Jahre jagte die Polizei
das „Phantom von Heilbronn“ und
stößt nun auf die Mitarbeiterin einer
Firma, die Wattestäbchen für die
polizeiliche Spurensicherung herstellt oder vertreibt. Beim Zusammenfügen der Einzelteile für die
DNA-Proben oder beim Verpacken
könnte die Frau diese verunreinigt
haben. Sicherheitsexperten sprechen von einem „GAU“, dem größten anzunehmenden Unfall.
„Das hat eine hohe Plausibilität“,
fügt sich Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll gestern als
Erster in das Unvermeidliche. „Das
hätte natürlich nicht passieren dürfen“, gibt der FDP-Politiker zu. Da
warnt Innenminister Heribert Rech
Orte, an denen die auffälligsten DNA-Spuren gefunden wurden
BELGIEN
LUXEMBURG
Gerolstein
(Okt. 2001)
Mainz (Okt. 2001)
Saarhölzbach
Heppenheim (März 2008)
Idar-Oberstein (Mai 2008)
Worms Mannheim (Oktober 2008)
(Mai 1993)
Niederstetten (März 2008)
(Mai 2005)
Saarbrücken
Heilbronn (Dez. 2003 /April
/ April 2007)
(Okt. 2006 //März
März 2008)
Weinsberg (Oktober 2008)
Oberfestenfeld-Gronau
(April 2008)
schwere Straftaten
Einbruch
Diebstahl
ungeklärt
Stand: August 2008
DNA-Tests auf dem Prüfstand
TSCHECHIEN
Freiburg (März 2001)
Linz (Juni 2006)
FRANKREICH
DEUTSCHLAND
ÖSTERREICH
Arbois (April 2004)
SCHWEIZ
(CDU) noch vor „voreiligen Schlussfolgerungen“. Schon seit April 2008
untersuche das Landeskriminalamt
(LKA) „intensiv die Möglichkeit einer Kontamination“. Nun müsse
man das Ergebnis der Ermittlungen
abwarten. Im Innenausschuss des
Landtags hatte Rech bisher jeden
Zweifel an der Arbeit der „Sonderkommission Parkplatz“, die seit zwei
Jahren vergeblich an der Aufklärung
des kaltblütigen Kiesewetter-Mordes arbeitet, weggebügelt.
Seit Monaten gibt es Zweifel
Auch die Soko Parkplatz hat stets alle
Einwände gegen ihre Strategie weggewischt. Sie setzte eisern auf die
DNA-Spur, die in Heilbronn am Tatort des Polizistinnenmords gesichert
wurde. Die Spur des „Phantoms“
tauchte dann bei spektakulären Verbrechen wie der Ermordung der drei
georgischen Autohändler in Heppenheim ebenso auf wie bei harmlosen Einbrüchen in Gartenhäuschen.
Am Ende waren es Ermittler im
Saarland, die dem „Phantom“ ein
Ende bereiteten. In Saarbrücken
wurde die berüchtigte DNA-Spur bei
der Untersuchung von Material ei-
Telfs (Sep. 2006)
Loibichl (Okt. 2005)
nes vermissten Asylbewerbers entdeckt. „Das konnte eigentlich nicht
sein“, erklärt ein Sprecher. Denn
nach allen bis dahin vorliegenden
Erkenntnissen war die DNA des
„Phantoms“ weiblich. Endgültige Sicherheit brachte ein Gegentest mit
einem „garantiert DNA-freien Wattestäbchen“: Plötzlich war die Spur
des „Phantoms“ verschwunden.
Erst gestern, als die Panne bereits
in den Schlagzeilen war, bestätigen
die Staatsanwaltschaft Heilbronn
und das LKA die „Möglichkeit, dass
Wattestäbchen einzelner Lieferchargen verunreinigt sein könnten“.
Die DNA-Treffer an verschiedenen
Tatorten seien „aus kriminalistischer Sicht nicht mehr plausibel“ gewesen. Deshalb wurden in den letzten Monaten mehrere hundert unbenutzte Wattestäbchen untersucht. Die Analysen hätten aber keinen Hinweis auf Verunreinigungen
durch Unbeteiligte gebracht.
Die Heilbronner Polizei bezieht
ihre Wattestäbchen vom Hamburger Großhändler Heinz Herenz Medizinalbedarf. Die Stäbchen würden
in alle Welt verkauft, Beanstandungen habe es nie gegeben, erklärt Ge-
werkschaft der Polizei. Der GrünenAbgeordnete Uli Sckerl spricht von
„einer der peinlichsten Pannen in
der Polizeigeschichte des Landes“.
Der Kurpfälzer verlangt schnelle und
umfassende Aufklärung: „Verunreinigtes Ermittlungsmaterial ist der
Super-GAU der Polizeiarbeit.“
N
50 km
Ansfelden (Feb. 2005)
schäftsführer Dieter Cyll. Er betont:
„Wir führen das Produkt seit über
20 Jahren und verkaufen Millionen
davon.“ Die Firma beliefert verschiedene
Polizeidienststellen
in
Deutschland, Frankreich und Österreich. Überall war auch die Spur des
„Phantoms“ gefunden worden.
Die Internet-Ausgabe des „Stern“
hatte berichtet, bei der DNA-Spur
handle es sich um eine Packerin bei
dem Hersteller der Stäbchen. Vielleicht habe die Mitarbeiterin „bei einem letzten Handgriff“ das Material
zur Spurensicherung mit ihrer eigenen Gen-Spur verunreinigt.
Für Rechtsmediziner Bernd
Brinkmann (Münster), der als Erster
bereits im Dezember 2008 die Existenz der Serienmörderin anzweifelte, wäre ein solcher Ablauf keine
Überraschung. Für entschuldbar
hält er die Sache trotzdem nicht: „Es
ist ungeheuerlich, wenn es so passiert ist.“ Es wäre in der Tat ein fataler
Kreislauf: Je mehr sich die Soko auf
die DNA-Spur konzentrierte, desto
mehr falsche Spuren bekam sie.
Der Schaden ist groß. „Das ist
eine sehr peinliche Geschichte“, sagt
Josef Schneider, Landeschef der Ge-
Gerade die DNA-Analyse war bisher
über jeden Zweifel erhaben. Mit dieser naturwissenschaftlichen Methode wurden in den letzten Jahren
auch lange zurückliegende Kapitalverbrechen aufgeklärt. So kam wohl
die „Phantom“-DNA auch in Verbindung mit einem Mordfall von 1993.
Goll stellt nun das Verfahren auf den
Prüfstand: „Für die Anwendung von
DNA-Tests ist das natürlich nicht
schön.“ Dass Unschuldige auf der
Basis falscher Untersuchungen verurteilt wurden, glaubt der Justizminister aber nicht.
„Die falsche Spur hat immer neue
falsche Spuren produziert“, wirft
Oppositionschef Claus Schmiedel
den Ermittlern vor. Durch die Konzentration auf den naturwissenschaftlichen Ansatz seien der „gesunde Menschenverstand und die
klassischen Ermittlungsmethoden
außer Kraft gesetzt worden“.
Für die Soko Parkplatz, inzwischen von Heilbronn ins LKA verlagert, ist die Panne ein gravierender
Rückschlag. Schon wird spekuliert,
der Polizistinnenmord könnte eine
Mutprobe von osteuropäischen
Nachwuchsmafiosi gewesen sein.
Derweil zeichnen die Kriminaltechniker des LKA den Weg der Wattestäbchen nach. Produziert werden
sie nach ersten Erkenntnissen in Österreich, die dazugehörigen Kunststoffröhrchen in Deutschland. „Es
könnte sein, dass es beim Zusammenfügen der Einzelteile zu einer
Verunreinigung kommt“, sagt Institutsleiter Werner Kugler. Nun soll
eine DNA-Untersuchung die Vermutung klären. Ergebnisse erwartet
Kugler Anfang nächster Woche.
Spurensicherung: Molekularbiologe Richard Zehner stellt Zuverlässigkeit nicht grundsätzlich infrage
„DNA-Test hat nach wie vor hohen Beweiswert“
Gedenktafel für die ermordete Polizistin
in Heilbronn.
FRANKFURT. Die vermutete Ermittlungspanne im Fall des „Phantoms
von Heilbronn“ stellt nach Ansicht
des Molekularbiologen Richard Zehner die Zuverlässigkeit von DNATests nicht grundsätzlich infrage. Allerdings wäre eine noch bessere
Qualitätskontrolle des Spurensicherungsmaterials
wünschenswert.
„Die Zuordnung von Personen aufgrund von DNA-Analysen hat nach
wie vor hohen Beweiswert“, sagte
Zehner, der auch Leiter des Bereichs
Forensische DNA-Analyse der Universität in Frankfurt am Main ist. Die
Chance, dass jemand wegen eines
DNA-Tests zu Unrecht verurteilt
werde, sei äußerst gering.
Ein Verurteilter müsste in einem
solchen Fall schon schlüssig erklären, warum denn ausgerechnet seine DNA als Verunreinigung an die
Tupfer der Polizei geraten sein könnte. Es deute nichts darauf hin, dass es
ähnliche Fälle wie jetzt in Heilbronn
gebe. Allerdings seien bei früheren
Tests immer mal DNA-Spuren der
ermittelnden Beamten entdeckt
worden. Das gelte aber vor allem für
die Zeit, als es noch nicht derart um-
fangreiche Erfahrungen wie heute
gegeben habe.
Grundsätzlich bestehe die Gefahr, dass zum Beispiel Haarschuppen eines Ermittlers auf Wattestäbchen fielen. „Da muss man natürlich
sehr gewissenhaft vorgehen, um solche Kontamination zu vermeiden.
Aber hundertprozentig ausschließen kann man das nie“, sagte Zehner. „Auch wenn der Tupfer völlig
sauber ist, ist es möglich, dass zum
Beispiel jemand vorher auf die zu sichernde Spur geniest hat, von der
gerade Blut abgenommen wird.“
„Das sind aber Dinge, die dem Untersuchenden bekannt sind. Auf solche eventuellen Mischspuren wird
in Gutachten auch hingewiesen.“
Für sinnvoll hält der Experte Qualitätszertifikate für das Testmaterial.
„Die Firma, die solche Wattestäbchen herstellt, muss dafür sorgen,
dass der Produktionsprozess DNAfrei abläuft“, sagte der Biologe. „Das
heißt: Das Ganze muss maschinell
geschehen.“ Jedoch seien die Tupfer
nicht das einzige Problem. Auch bei
den Reagenzien müsse sicher sein,
dass sie nicht verunreinigt sind. dpa
MANNHEIM. Eine eigene Soko zur Suche nach dem „Phantom“ gab es in
Mannheim zwar nicht. Aber nach
dem Fund der fraglichen DNA-Spur
an der Wohnungstür eines Mehrfamilienhauses richtete die Polizei
auch hier eine Ermittlungsgruppe
ein – um die Kollegen in Heilbronn
zu unterstützen. 15 Beamte befragten jetzige und frühere Mieter sowie
deren Bekannte und suchten nach
Verbindungen zu jener „unbekannten weiblichen Person“. Um sicher
zu gehen, dass sie die Gesuchte nicht
vor sich haben, nahmen die Mannheimer zudem mehr als 100 Speichelproben.
Eine Arbeit, die nach allem, was
sich jetzt abzeichnet, möglicherweise umsonst war. Die Stimmung vieler Beamten im Mannheimer Präsidium war deshalb gestern ähnlich
diesig wie der Himmel. „Ich hatte
schon lange Zweifel an der Geschichte von der großen Unbekannten“, sagt einer der Polizisten. Den
eigenen Namen will in dieser Sache
keiner in der Zeitung lesen. „So viele
verschiedene Verbrechen an verschiedenen Orten – das kann doch
nicht sein.“ Aber es habe ja auch immer geheißen, fügt ein zweiter Ermittler hinzu, „dass da jedes Wattestäbchen geprüft ist, bis zur Baumwollpflückerin in Alabama“.
Die einen sind froh, dass die Jagd
„nach diesem unsäglichen Phantom“ jetzt wohl endlich zu Ende ist.
Die anderen denken an die Kollegen
in Heilbronn. „Die stehen ja vor einem riesigen Scherbenhaufen.“ Vor
allem, weil man jetzt, fast zwei Jahre
nach dem Mord an der Kollegin,
nochmal ganz neu mit den Ermittlungen anfangen muss. „Das ist
doch fast aussichtslos.“ Was könnte
das Motiv gewesen sein für den
Mord an Michèle Kiesewetter? „Ein
bewaffneter Täter nimmt ihre Waffe
mit – das soll doch eine Trophäe
sein“, sagt einer der Polizisten. Das
ist eine mögliche Ermittlungsrichtung, über die am Mittwoch auch
„stern.de“ berichtet hatte. Derartige
Trophäen, hieß es da, würden in osteuropäischen Mafia-Organisationen als Beweis für eine erfolgreich
verlaufene Mutprobe gelten.
i MEHR IM INTERNET
Panne bei „Phantom“-Suche?
Weitere Hintergründe und ein Interview mit Innenminister Heribert
Rech finden Sie in unserem Spezial.
w www. morgenweb.de
Genetischer
Fingerabdruck
HAMBURG. Träger der menschlichen
Erbsubstanz ist die Desoxyribonucleinsäure (DNA). Beim genetischen
Fingerabdruck werden bestimmte
Teile der DNA untersucht, die in allen Zellen enthalten ist. Ein Gen besteht aus einer langen Reihe von vier
verschiedenen Bausteinen. Aus ihrer
Reihenfolge ergibt sich bei der Aufbereitung eine Art Strich-Code.
Durch die Untersuchung der DNATeile kann die Identität eines Menschen nahezu sicher festgestellt werden. Der DNA-Beweis ist das erfolgreichste kriminalistische Instrument
bei der Identifizierung von Tätern
und der Zuordnung von Tatspuren.
Für eine DNA-Analyse genügen
schon geringste Spuren – etwa Hautschuppen, Haare, Sperma oder Speichelreste. Das Verfahren ist aufwendig, weil die DNA-Reste erst vervielfältigt werden müssen, ehe sie analysiert werden können. Wie beim herkömmlichen Fingerabdruck wird
der Strich-Code der am Tatort gefundenen Erbsubstanz mit der des
Verdächtigen verglichen.
dpa

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