Früher war mehr Winter - University of British Columbia

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Früher war mehr Winter - University of British Columbia
WISSENSCHAFT 63
FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 6. MAI 2012, NR. 18
SOZIALE SYSTEME
Das wird
Absicht sein!
VO N J Ü R G E N K AU B E
D
as gängige Verständnis von
Handlungen lautet so: Am
Horizont steht anfangs „zitternd eine Absicht“ (F. Scott Fitzgerald). Nun kann gefragt werden, ob
sie auch die Ursache der Handlung
ist oder ob es Handlungsimpulse
gibt, die erst nachträglich vom Bewusstsein mit Absichten ausgestattet werden. Soziologen haben notiert, dass Motive mitunter dazu dienen, Handlungen zu begründen,
die nicht selbstverständlich sind.
Verhaltenswissenschaftler
aus
Chicago und New York haben die
Frage nach der Struktur absichtsvollen Handelns jetzt einmal umgekehrt: Wie beschreiben Personen
Handeln in Bezug auf die Frage, ob
es von Absichten gelenkt ist? Dazu
führten sie Experimente durch, bei
denen eine Handlung beurteilt werden sollte, die schon stattgefunden
hatte, und eine gleiche, die noch
stattfinden würde. Beide Male ging
es darum, dass jemand aus einem
Satz von Würfeln einen „fairen“
auswählte, der dann zu einem für
den Beobachter entweder günstigen oder ungünstigen Wurf führte.
Im zweiten Experiment sollten
die Teilnehmer ihre Meinungen
über staatliche Steuern mitteilen.
Die eine Hälfte der Teilnehmer
wurde vor, die andere nach dem
Stichtag, an dem Amerikaner ihre
Steuererklärung abgeben müssen,
informiert, dass es bei 21 Millionen
Steuererklärungen zu Falschangaben komme. Gefragt wurde, wie
viele davon absichtlich und irrtümlich erfolgten; außerdem, wie
scharf man so etwas bestrafen solle.
Beide Experimente und noch
ein drittes ergaben: Zukünftigen
Handlungen wurde stets größere
Absichtlichkeit zugeschrieben als
vergangenen. Ihre Beurteilung erfolgt emotionaler. Man zieht in GedankenAkteure, die noch nicht gehandelt haben, mehr zur Rechenschaft als solche, deren Taten schon
wirklich geworden sind.
„Absicht“ und „Motiv“, so schließen die Autoren, sind unter anderem Konzepte, um die Unsicherheit zu absorbieren, die über zukünftigem Handeln liegt. Man redet über Motive also nicht nur, um
zurückliegendes Handeln in eine
Geschichte – „Es war einmal eine
Absicht . . .“ – einzubetten. Sie heranzuziehen, dient auch dazu, die
Zukunft erwartbarer zu machen.
Je weniger Informationen über
eine Handlung existieren, desto
größer also die Neigung, sie zur absichtsvollen zu erklären. Ist erst einmal gehandelt worden, fallen einem dagegen noch andere Ursachen ein.
Zachary C. Burns u.a.: „Predicting Premeditation: Future Behavior Is Seen as More
Intentional Than Past Behavior“. Journal
of Experimental Psychology 141 (2012)
Früher war mehr Winter
Dass die Haselnuss
immer früher blüht,
hat jeder Gärtner schon
bemerkt. Doch der
Einfluss der globalen
Erwärmung auf die
Pflanzenwelt ist noch
viel stärker als gedacht.
Chlorpyrifos
Ein seit langem verwendetes Insektengift steht im Verdacht, das Gehirn von Ungeborenen zu schädigen.
Gibt es weniger gefährliche Mittel?
S
VO N G E O R G R Ü S C H E M E Y E R
Auch wenn man es beim Blick aus
dem Fenster kaum glauben mag:
Es ist schon wieder Sommer. Zumindest, wenn man es nach den Regeln der Phänologie betrachtet, der
Kunde von den Jahreszeiten nach
dem Entwicklungsstand der Natur
also, der zufolge der Frühsommer
mit dem Öffnen der Blüten des
Schwarzen Holunders beginnt.
„Die ersten Meldungen der Holunderblüte liegen uns bereits vor“,
sagt Anja Engels vom Deutschen
Wetterdienst, wo man seit 1951 ein
Netz von ehrenamtlichen Beobachtern unterhält. Sie melden Jahr für
Jahr den Zeitpunkt der Apfelblüte
(Vollfrühling), die Fruchtreife der
Johannisbeere (Hochsommer) oder
den Blattfall der Eberesche (Spätherbst) und eine ganze Reihe weiterer botanischer Ereignisse, welche
die zehn Jahreszeiten des phänologischen Kalenders definieren.
In manchen Fällen reichen die
Beobachtungen noch viel weiter zurück. So registriert man die Haselblüte in Geisenheim im Rheingau
seit 1896 und in Genf seit 1818 das
Erblühen der ersten Rosskastanie.
Im japanischen Kyoto reichen die
Aufzeichnungen über den Eintritt
der Kirschblüte gar bis ins achte
Jahrhundert zurück.
Da die Geschwindigkeit, mit
der in den gemäßigten Breiten der
Erde der phänologische Frühling
Einzug hält, stark von den Temperaturen der vorangegangenen Wochen und Monate abhängt, liefern
solche langen phänologischen Datenreihen Rückblicke in das Auf
und Ab des Klimageschehens.
Auch der vom Menschen zumindest mitverantwortete Anstieg der
globalen Temperaturen in den letzten hundert Jahren lässt sich darin
als deutlicher Trend zu früheren
Blüh- und Austriebterminen ablesen. So haben sich allein in den vergangene dreißig Jahren in Mitteleuropa Austrieb, Blüte und Fruchtreife vieler Pflanzen um rund eine
Woche nach vorne verschoben.
Wird das mit der weiteren Erwärmung des Klimas, die dem
Weltklimarat IPCC zufolge bis
zum Ende des Jahrhunderts vier
Grad Celsius betragen könnte, immer so weitergehen? Eine gewichtige Frage für die computerbasierten
Modelle der Klimafolgenforscher,
in denen Pflanzen als Speicher für
das Treibhausgas Kohlendioxid
und mit ihrer enormen Bedeutung
für den Wasserhaushalt eine zentrale Rolle spielen.
Doch diese Modelle sind nur so
gut wie die zugrunde liegenden
Daten. Und die sind offenbar frag-
Wenn der Winterling durchs Laub bricht, ist der Phänologe sicher: Jetzt kommt das Frühjahr.
würdig, heißt es in einer Studie
von Vegetationskundlern, die vergangene Woche in Nature veröffentlicht wurde. Die Arbeit vergleicht erstmals systematisch zwei
verbreitete Methoden, in die klimatologische Zukunft zu blicken.
Eine davon nutzt die Datenreihen
der Vergangenheit, indem sie die
Effekte besonders warmer Jahre
auf das Eintreten von Blüte und
Blattentfaltung auf die zu erwarteten Temperaturänderungen hochrechnet. Einen anderen Weg gehen Forscher mit Freilandexperimenten, bei denen kleine Versuchsflächen einer künstlichen Erwärmung ausgesetzt werden. Besonders beliebt, weil kostengünstig
sind dafür kleine nach oben offene
Wärmekammern aus durchsichtigem Plastik, welche Sonnenwärme
einfangen und kalten Wind abhalten. Aufwendigere Experimente
wärmen die Pflanzen aktiv mit
Heizstrahlern oder im Erdreich
vergrabenen Wärmekabeln.
„Solche Experimente spielen in
den Modellen der Klimafolgenabschätzung eine immer größere Rolle. Welchen Wert sie haben, hängt
aber stark davon ab, wie gut ihre
Ergebnisse mit denen der Langzeitbeobachtungen übereinstimmen“,
sagt Elizabeth Wolkovich von der
University of British Columbia in
Kanada, die als Erstautorin der Studie zeichnet.
Zusammen mit amerikanischen
und europäischen Kollegen erstellte Wolkovich eine Datenbank, die
sie mit phänologischen Beobachtungen an mehr als 1600 verschiedenen Pflanzenarten aus aller
Welt bestückte. Die Daten stammten aus insgesamt 50 Untersuchungen, 36 davon hatten mit verschiedenen Formen einer experimentellen Erwärmung gearbeitet, der
Rest der Angaben basierte auf klassischen phänologischen Beobachtungsreihen.
Die Diskrepanz zwischen den
Ergebnissen der beiden Ansätze
verblüffte selbst Wolkovich: Das
künstliche Erwärmen bewirkte
Alle Klimamodelle
sind nur so gut wie
die Daten, mit denen
sie gefüttert werden.
sehr viel geringere Verschiebungen
der Blühzeiten als reale Erwärmungen der Atmosphäre. So wurde für
jedes Grad Celsius Temperaturanstieg in den Heizexperimenten das
Aufblühen im Durchschnitt um weniger als einen Tag vorgezogen, in
den Beobachtungsstudien jedoch
um fast fünf Tage. Auch das Öffnen der Blattknospen verschob
sich in den Experimenten nur um
einen Tag, während es in Wirklichkeit pro Grad Celsius um fast eine
Woche vorverlegt wurde. „Diese
Unterschiede waren sehr stabil:
Wir bekamen fast die gleichen Er-
Die Auflösung unseres Osterrätsels Von Jochen Reinecke
Aus den korrekten Lösungsworten ergab sich die Dualzahl
10101101100111, diese wiederum ließ
sich in die Dezimalzahl 11111 – die
korrekte Lösung des Rätsels – umwandeln.
922 Lösungsvorschläge gingen
per E-Mail und Post ein, davon waren 753 richtig. Aus diesen korrekten Einsendungen haben wir folgende Gewinner ausgelost:
– Die Schiffsreise nach Ystad
für zwei Personen geht an Christian Einhaus aus Düsseldorf.
– Der Wellness–Aufenthalt im
„Hotel Eickstädt“ geht an Ulrike
Klammt aus Brühl.
– Der Gutschein für einen Aufenthalt in einem Ferienappartement
in Paris geht an Andrea Kniepp
aus Erwitte.
– Der „Teufel Raumfeld One Streaming–Speaker“ an Brigitte Keller
aus Karlsruhe.
Illustration Tobias Wandres
gebnisse, wenn wir uns nur bestimmte Pflanzengruppen herauspickten oder andere statistische
Methoden benutzten“, sagt Wolkovich. „Modelle, die auf diesen experimentellen Daten beruhen, unterschätzen also im großen Stil, wie
sich die Ökosysteme der Zukunft
verändern werden.“
„Überraschend“ findet auch der
Vegetationsökologe Harald Pauli
von der Universität Wien die Ergebnisse seiner amerikanischen
Kollegin. Das durchaus bekannte
Problem sei, dass die oft gebrauchten, weil billigen „Oben-OffenKammern“ nicht nur das Temperaturregime änderten, sondern auch
so entscheidende Faktoren wie
Wind, Licht und Wasserversorgung. Das mache die Ergebnisse
solcher Wärmeexperimente weitgehend wertlos, findet sein Kollege
Christian Körner von der Universität Basel.
Ganz so weit will Martin Schädler vom Helmholtz-Zentrum für
Umweltforschung in Halle nicht
gehen. Zwar müssten die phänologischen Ergebnisse von Freilandexperimenten nun neu bewertet,
nicht aber gleich ganz über Bord
geworfen werden. Der experimentale Ansatz bleibe wertvoll, um gezielte Manipulationen durchführen
zu können. In einem auf zwanzig
Jahre angelegten Freilandexperiment nahe Halle wollen Forscher
des Helmholtz-Zentrums demnächst den Einfluss eines geänderten Wärme- und Feuchtigkeits-
Foto dpa
haushalts auf die Pflanzengemeinschaften unterschiedlich intensiv
genutzter Flächen untersuchen.
Doch auch das Hochrechnen
historischer Beobachtungsdaten
hat seine Tücken. Denn die Phänologie vieler Pflanzen hängt nicht allein von den Durchschnittstemperaturen ab. Ebenso wichtig ist insbesondere für viele Baumarten die
Tageslänge, die den Pflanzen ein
sehr viel verlässlicheres Signal für
den rechten Zeitpunkt der Blüte
und des Austriebs liefert als die gerade im Frühjahr so oft kapriziösen Temperaturen. Viele Pflanzen
benötigen darüber hinaus einen
winterlichen Kältereiz. Fällt dieser
in warmen Wintern zu schwach
aus, kann sich die Phänologie solcher Arten paradoxer Weise sogar
nach hinten verschieben.
Die Phänologie allein reicht
also nicht aus, um die Reaktion der
Flora auf eine weitere Erwärmung
abzuschätzen. Körners Kollege Harald Pauli etwa untersucht klimabedingte Verschiebungen der Artenzusammensetzung in verschiedenen Höhenstufen der Alpen. „Die
reagiert weniger nervös auf Veränderungen einzelner Faktoren“, sagt
Pauli. Er hat ein Ausweichen vieler
Gebirgsarten in höhere Gefilde beobachtet.
Im Frühjahr 2012 ist davon allerdings noch nicht viel zu spüren.
Wer nicht gerade an den wenigen
besonders warmen Stellen wohnt,
an denen der Holunder blüht, befindet sich auch phänologisch da,
wo er Anfang Mai sein sollte: mitten im Vollfrühling.
chon frühere Studien waren
zum dem Schluss gelangt,
dass ein Kontakt schwangerer Frauen mit dem Insektizid
Chlorpyrifos die Entwicklung des
Embryos beeinträchtigen könnte.
Neugeborene besaßen ein geringeres Gewicht und einen geringeren
Kopfumfang, außerdem abweichende Reflexe und ein höheres Risiko,
später ein Aufmerksamkeitsdefizit
zu entwickeln.
Für die aktuelle Studie, die in
PNAS erschienen ist, hatten die
Autoren um die Umweltmedizinerin Virginia Rauh von der Columbia University in New York vierzig
Kinder, die im Mutterleib während
der Schwangerschaft unterschiedlichen Dosen von Chlorpyrifos ausgesetzt waren, über mehrere Jahre
hinweg untersucht. Ergebnis: Das
Pflanzenschutzmittel
schädigt
selbst in geringer Konzentration
das Gehirn, betroffen sind sowohl
Sprach- wie Denkvermögen als
auch das Gefühlszentrum.
Chlorpyrifos ist seit 1965 auf
dem Markt. Es wird auch in
Deutschland verwendet, hauptsächlich im Obst- und Weinbau. Tatsächlich seien vor allem Schwangere in ländlichen Regionen betroffen, die das Insektizid direkt über
die Luft aufnähmen, schreiben die
Autoren. Doch auch eine Aufnahme über Pestizidrückstände im
Obst sei möglich.
Der Toxikologe Holger Barth
von der Universität Ulm hält die
Daten für plausibel und sieht Anlass zur Besorgnis. Akute Vergiftungen durch Chlorpyrifos führen zu
Muskelkrämpfen, Lähmungen und
im schlimmsten Fall zum Tod.
Sein Kollege Hans Drexler von
der Universität Erlangen hält die
Studie ebenfalls für einleuchtend.
Ein endgültiger Beweis für einen
kausalen Zusammenhang sei das allerdings noch nicht, auch wenn aus
Untersuchungsreihen mit Tieren
ähnliche Ergebnisse vorliegen.
Um solche Risiken zu vermeiden, versucht man seit etlichen Jahren zeit, Insektenplagen mit biologischen Pestiziden zu bekämpfen.
Am Kaiserstuhl geht man in diesen
Tagen vom Hubschrauber aus mit
dem Öl des indischen Neembaumes gegen Maikäfer vor. Dazu ist
allerdings eine Ausnahmegenehmigung nötig, weil der Wirkstoff
auch Pflanzen schädigen kann.
Ähnliche Gründe sprechen gegen
den großräumigen Einsatz anderer
biologischer Insektizide wie Pyrethrum, das gegen Läuse, Ameisen
und Flöhe hilft. Ebenfalls nicht allgemein zugelassen ist das Toxin
von Bacillus thuringiensis, das im
Kampf gegen die akute EichenProzessionsspinner-Plage am wirksamsten wäre.
Andreas Frey
IN DEN STERNEN
Von Nullen und Einsen
Alle Achtung, das ging wirklich
schnell: Bereits um 8:21 Uhr am Erscheinungstag des Osterrätsels
ging die erste richtige Lösung ein,
eingesandt von Oliver Thilmann
aus Heidelberg. Sein Kommentar
zum Rätsel: „Besonders freue ich
mich, dass ich die Frage nach dem
Oric 1b aus dem Gedächtnis beantworten konnte. Those were the
days . . .“ – Dem ist nichts hinzuzufügen.
Hier nun die Lösungen zu den
aufgeführten Computern:
Sinclair Spectrum:
Quantensprung
MacBook Air: Pedion
Atari 1040: Rugby
Commodore PET: Peddle
Oric 1: Explode
Amstrad CPC464: Spanien
Robotron KC87: Polyplay
Commodore C64: Sechs
Sun Sparc: Ellison
Sinclair ZX81: Sinclair
Texas Instruments TI99/4A:
Sechzehn
Apple IIe: Cupertino
IBM704: Flandreau
Zuse Z3: München
A bis Z
– Der Gutschein für das Mövenpick Hotel Berlin am Potsdamer
Platz an Dieter Harth aus Uhldingen–Mühlhofen.
– Der Gutschein für das Landhotel „Ahoi“ am Nord–Ostsee–Kanal
ge an Helga Liefkes aus Düsseldorf.
– Der Aufenthalt im Hotel „Ole
Liese“ auf Gut Panker an Martina
Osterland aus Minden.
– Der Hotelgutschein für „Mein
Inselhotel“ auf Amrum an Jens
Kemper aus Gütersloh.
– Der Aufenthalt im „Paulsen's
Landhotel“ in Bohmstedt an Alexandra Kästner aus Walluf.
– Der Gutschein für das „Landhaus Leuchtfeuer“ auf Pellworm
an Wiebke Herbig aus Hamburg.
– Das „Geneva XS“ Soundsystem
mit Radiowecker, Bluetooth– und
iPod–Anschluss an Ulrike Pooth
aus Korschenbroich.
Allen Gewinnern herzlichen
Glückwunsch!
Wir sehen uns hoffentlich wieder beim Sommerrätsel; es erscheint voraussichtlich am 24. Juni.
I
m All gibt’s kein Oben und Unten. Doch auch Sternkarten
muss man irgendwie herum halten, und so ist es üblich, sie mit
dem nördlichen Himmelspol nach
oben darzustellen. Viele Sternbilder richten sich danach, doch ausgerechnet das des berühmtesten Sagenhelden tut es nicht: Seine nördlichen Sterne ␫ und ␹ Herculis sind
nach traditioneller Lesart die Füße,
und im Süden heißt der Stern ␤
auch Kornephoros („Hornhalter“)
oder Ruticulus („Keulchen“), soll
also die rechte Hand oder die Lieblingswaffe des Heroen andeuten.
Allerdings, dass es sich dabei um
Herkules handele, der den linken
Fuß im Triumph auf den Kopf des
konstellar benachbarten Drachen
stellt, das überliefert erst Eratosthenes um 200 v. Chr. Bereits 250 Jahre
früher soll Aischylos in einer verschollenen Tragödie hier den Herkules gesehen haben, doch nicht als
Drachenbezwinger, sondern als demütig Niederknieenden, der, von
den Ligurern bedrängt, Zeus um
Hilfe anfleht. Ein Mann „auf den
Knien“ (griechisch „en gonasin“)
scheint denn auch die verbreitete
Assoziation des antiken Menschen
mit dieser Sternengruppe gewesen
Herkules
VO N U L F V O N R AU C H H A U P T
zu sein. Bis weit in die Römerzeit
ist sie nur als „Engonasin“ bekannt,
und noch die Araber nannten ␣
Herculis „Kopf des Knieenden“.
Erst später setzte sich die heroische
Interpretation des Eratosthenes
durch, etwa bei Johann Hevelius,
der 1687 nebenan das später wieder
verschwundene Sternbild Zerberus
erfand. Die Entführung des Höllenhundes war schließlich die letzte
und schwierigste der zwölf Taten
ι
τ
M92
ν
ο ξ λ
μ
σ
η
υ
χ
M13
π
ε
δ
α
ζ
β
γ
ω
Ein Held steht Kopf, die Frage ist nur,
ob er dabei kniet oder prügelt.
gewesen, die Herkules der Sage
nach zu erfüllen hatte.
Der große Name nutzte nichts:
Herkules blieb ein vergleichsweise
blasses Sternbild. Daran ändern
auch die Kugelsternhaufen M92
und M13 nichts, von denen letzterer als der schönste des Nordhimmels gilt. M13 war es auch, der 1974
Ziel eines PR-Gags von Frank
Drake wurde, dem Direktor des
Arecibo-Radioteleskops auf Puerto
Rico und Vater der Search of Extraterrestrial Intelligence (SETI).
Drake nutzte seine Antenne, die
größte der Welt, um mit einer Sendeleistung von einem Megawatt
eine Radiobotschaft an Außerirdische in M13 zu schicken. Der britische Hofastronom Sir Martin Ryle
fand das damals gar nicht lustig.
Aus Furcht, potentielle außerirdische Invasoren könnten auf uns aufmerksam werden, versuchte Ryle,
die Aktion zu verhindern. Doch
das Bitmuster, welches mathematisch begabte Aliens zu einem pixeligen Piktogramm zusammensetzen
sollen, ist an die 25 000 Jahre unterwegs bis M13. Bis dahin, so könnte
man Drake verteidigen, besitzen
auch wir Strahlenkanonen. Vor Vater Zeus mag Herkules knien, für
alle anderen hat er seine Keule.