Lydia Mischkulnig

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Lydia Mischkulnig
Lydia Mischkulnig
Letzte Liebe
Lulu und Kaka rauschen ab. Sie landen erst einmal im Kanal, wollen aber noch
weiter fort. Sie fließen ins Schwarze Meer und von dort durch den Bosporus ins
Mittelmeer, in türkisches, griechisches und ägyptisches Gewässer. Sie schlüpfen
durch den Suezkanal und schwimmen durch die komplette arabische, westindische, ostindische und asiatische und ozeanische und pazifisch ozeanische und atlantische See und wieder zurück bei Gibraltar ins Mittelmeer, von wo sie ins Adriatische hingeraten und bei Triest auf einem Algenteppich endlich liegen bleiben. Ein armer, durch grobe Misogynität krampfhaft auffallen wollender Dichter beschreibt den Algenteppich als Futfetzen, der sich, als der Dichter bei Triest
ins Wasser ging, um sich abzukühlen, über ihm schloß und ihn nicht mehr hochkommen ließ, ihm den Durchbruch verwehrte und tatsächlich erstickte und ihn
im Bauch des Meeres jämmerlich zersetzte. Doch davon wissen Lulu und Kaka
bis heute nichts.
Lieben
Barsch hänselt Grete während Hans Barsch entgrätet.
Grete schwingt die Gerte. Hans widert die Frau des Fischers an. Barsch auch. Er
mag das Weib nicht. Die Frau des Fischers stinkt am Kopf. Die Gerte schwingt
Grete. Grete wird in die Pfanne gehauen. Eine Gerte ist keine Angel . Barsch und
Hans feilschen um Grete. Zum Schluß schwimmt Barsch beleidigt davon. Hätte
Barsch Hans das Fell über die Ohren gezogen, wäre in diesem Fall ein Fell davongeschwommen. Fischers Fritze ist im Grunde das Luder. Er fischte in
Barschs Gewässer, weil Grete ihn fuchste. Hans bekam die Dynamik nicht mit
und stand zum Schluß mit aufgesetzten Hörnern herum. Da rammte er den Schädel in die Staumauer und starb. So befreite er sich von der Schwester. Barsch neidete ihm die Freiheit und schwamm weiter um Grete herum, die verbruzzelt versuchte, sich über den Pfannenrand hinauszubeugen und die schwimmende
Flamme auszupusten.
Märchen
Rotkäppchen bringt Kuchen und Wein ans Bett der altersschwachen Mutter. Rotkäppchen versorgt die Mutter schon sehr lang. Wenn der Jäger kommt, dieser
Mann altert nicht, stellt sich Rotkäppchen in den Garten und ruft den Jäger heran.
Sie küssen sich dann. Kaum, daß sie sich küssen, da brüllt die Mutter schon wieder in ihrem Zimmer. Sie hat Hunger und Durst. Sie hat die Windeln voll. Immer ist ihr fad. Eines Tages ist die Mutter tot. Rotkäppchen holt ordnungsgemäß
den Arzt und ausdrücklich nicht den Jäger. Der Arzt bestätigt den Tod der Mutter und schreibt die Todesdiagnose hin: Die inneren Organe der Frau sind versteinert. Rotkäppchen denkt sofort an den Wolf. Dieser Corpus delicti. Sie läßt
den Brunnen aufgraben und nach dem Wolf suchen. Man findet sein Gerippe. In
der Bauchhöhle liegen die Wackersteine und auf einem Wackerstein entdeckt
Rotkäppchen die eingeritzte Schrift der Großmutter. Traue keinem Märchen.
Denn die, die noch nicht daran gestorben sind, sterben heute.
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