Neue Antikoagulanzien – neue Probleme?

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Neue Antikoagulanzien – neue Probleme?
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Neue Antikoagulanzien – neue Probleme?
JOB HARENBERG, KLINISCHE PHARMAKOLOGIE, RUPRECHT-KARLS-UNIVERSITÄT HEIDELBERG
Mit der Entwicklung neuer
Antikoagulanzien wird auch
die Zahl der verfügbaren
Behandlungsalternativen
zur Blutverdünnung bei den
Patienten zunehmen, für die
bisher nur Vitamin-K-Antagonisten eingesetzt werden
konnten.
Jedoch hat die Entwicklung
einiger neuer Antikoagulanzien unerwartete Rückschläge erlitten.
Mit der Entwicklung neuer Antikoagulanzien
wird auch die Zahl der verfügbaren Behandlungsalternativen zur Blutverdünnung bei den
Patienten zunehmen, für die bisher nur VitaminK-Antagonisten eingesetzt werden konnten.
Dadurch sollte sich auch das Indikationsspektrum für eine Antikoagulation sowohl im stationären wie im ambulanten Bereich erweitern.
Jedoch hat die Entwicklung einiger neuer Antikoagulanzien unerwartete Rückschläge erlitten.
So stellte sich heraus, dass Ximelagatran die
Konzentration der Leberenzyme beeinflusst und
zur Entwicklung einer instabilen Angina und
venöser Thromboembolierezidive nach Absetzen
der Therapie führt. Die weitere Entwicklung der
Substanz wurde daher gestoppt. Bei dem synthetischen Pentasaccharid Idraparinux, das nach
mehrmaliger Verabreichung eine lange Halbwertszeit von ca. 60 Tagen hat, wurden aufgrund von Blutungskomplikationen Studienprogramme zur langfristigen Verabreichung wie
die Antikoagulation bei Vorhofflimmern nicht
weiter verfolgt.
Die derzeit in klinischer Prüfung befindlichen
Antikoagulanzien sind erfolgversprechender:
Dabigatran und Rivaroxaban haben die Zulassung zur postoperativen Thromboembolieprophylaxe nach elektivem Hüft- und Kniegelenksersatz erhalten. Probleme mit diesen Wirkstoffen
könnten sich in den Bereichen Wirksamkeit,
Akkumulation mit der Folge von Blutungen, Antagonisierung sowie unerwartete Nebenwirkungen und Schwierigkeiten bei der Bestimmung
des gerinnungshemmenden Effekts ergeben.
Konventionelle
Antikoagulanzien
Konventionelle Antikoagulanzien haben mit
dem unfraktionierten Heparin (UFH) und den
niedermolekularen Heparinen (NMH) als schnell
wirksame Substanzen sowie Phenprocoumon
und Warfarin als indirekte und langsam wirkende Substanzen in der Prophylaxe thromboembolischer Erkrankungen ihren festen Stellenwert.
Aufgrund des Wirkmechanismus und einer
Anzahl von Nebenwirkungen haben beide Substanzklassen Einschränkungen in ihrer klinischen
Anwendbarkeit.
UFH und NMH wirken indirekt durch Bindung an
Antithrombin und Heparin-Kofaktor II. Die Halbwertszeit ist bei Patienten mit Niereninsuffizienz
in Abhängigkeit vom verwendeten Heparin verlängert. UFH muss aPTT-adjustiert verabreicht
werden (aPTT= aktivierte partielle Thromboplastinzeit). Die Neutralisierung des Heparineffekts
wird mit Protamin durchgeführt. Sie ist jedoch
insbesondere bei NMH bezüglich der Hemmung
von Faktor Xa nicht komplett. Außerdem kann
es zu einem Wiederauftreten (Rebound) des gerinnungshemmenden Heparineffekts trotz zunächst adäquater Antagonisierung mit Protamin
kommen. Die typischen Nebenwirkungen der
Heparine sind ein reversibler Anstieg der Transaminasen-Werte sowohl unter UFH als auch
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unter NMH und die Entwicklung einer heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT) Typ I und
Typ II insbesondere unter UFH. Die Vorteile der
NMH sind die fixe Dosierung und die Möglichkeit zur einmal täglichen subkutanen Applikation, während UFH bei therapeutischen Indikationen aPTT-adjustiert und häufig intravenös
verabreicht werden muss. Dennoch ist eine aPTTadjustierte subkutane therapeutische Gabe von
UFH in bestimmten Situationen möglich.
Orale Antikoagulanzien (Vitamin-K-Antagonisten) hemmen über den Vitamin-K-Zyklus die
Carboxylierung der Gerinnungsfaktoren II, VII,
IX und X. Diese erscheinen somit als decarboxylierte Formen im Blut und können kein Calcium
mehr binden. Auf diese Weise sind die decarboxylierten Vorstufen der Gerinnungsfaktoren
inaktiviert und führen zu einer Verlängerung
der Gerinnungsprozesse, insbesondere der Prothrombinzeit nach Quick. Die Halbwertszeit der
verschiedenen oralen Antikoagulanzien beträgt
24 bis 72 Stunden. Der Metabolismus erfolgt
über das Cytochrom-P450-3A4- oder -2C9System und die Vitamin-K-Epoxydreduktase
(VCOR) im Vitamin-K-Zyklus. Das VCOR-System
ist genetisch determiniert. In Abhängigkeit der
Determinanten des VCOR-Systems und des
CYP450-Systems ist der Metabolismus der
Vitamin-K-Antagonisten bei unterschiedlichen
Patienten variabel.
Die Dosis-Adjustierung bei den Vitamin-K-Antagonisten erfolgt anhand der Prothrombinzeit
nach Quick und der internationalisierten und
normalisierten Ratio (INR). Der INR-Zielbereich
liegt in der Regel bei 2 bis 3. Vielfache Medikamenteninteraktionen und Wechselwirkungen mit
Nahrungsmitteln erschweren die stabile Einstellung der INR. Bei Umstellung der oralen Antikoagulation auf UFH oder NMH ergeben sich Probleme durch die unterschiedliche individuelle
Abklingquote der Vitamin-K-Antagonisten (VKA)
und die Dauer bis zum Erreichen eines therapeutischen INR-Werts nach wiederaufgenommener VKA-Therapie. Nach Beendigung der oralen
Antikoagulation mit VKA ist ein Rebound mit
vermehrten thromboembolischen Ereignissen in
der Literatur beschrieben. Schwere Nebenwirkungen sind vor allem klinisch relevante, größere
und zum Teil tödlich verlaufende Blutungen;
seltene Nebenwirkungen sind Hepatitis und
Cumarin-Nekrosen.
Orale Antikoagulanzien
(Vitamin-K-Antagonisten)
hemmen über den VitaminK-Zyklus die Carboxylierung
der Gerinnungsfaktoren II,
VII, IX und X.
Die Dosis-Adjustierung bei
den Vitamin-K-Antagonisten
erfolgt anhand der Prothrombinzeit nach Quick und
der internationalisierten und
normalisierten Ratio (INR).
Neue Antikoagulanzien sollen die Maßnahmen
zur Blutverdünnung vereinfachen. Anforderungen, die an die neuen Antithrombotika gestellt
werden, sind daher:
- eine fixe Dosierung
-k
eine Dosisadaptation anhand von Laborkontrollen
- k eine oder nur geringe Verstoffwechselung
über das Cytochrom-System und dadurch
weniger Interaktionen mit anderen Medikamenten
- keine Interaktionen mit Nahrungsmitteln
- s eltenere Blutungskomplikationen und kürzer
anhaltende Blutungen aufgrund der kürzeren
Halbwertszeit der neuen Antithrombotika
Die Vielzahl der neuen Antikoagulanzien und
deren Wirkungen auf die Gerinnungskaskade
sind in Abbildung 1 dargestellt.
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Abbildung 1: Inhibierung von Faktor X (Xfree, Xbound)
und Faktor Xa (Xafree, Xabound) durch neue und in
der Forschung befindliche direkte orale und intravenöse
Faktor-Xa-Inhibitoren und indirekte Faktor-Xa-Inhibitoren
sowie durch orale direkte Thrombinhemmer. Die schon
2008 und früher kommerziell erhältlichen Substanzen sind
nicht aufgeführt.
TF
IX
VII
VIII
VIIa
Xfree
Indirekte FXa-Hemmer:
Idraparinux
Idrabiotaparinux
AVE5621
Tenasekomplex:
Phospholipide, Ca
Va, VIII, VIIa, Xbound
Xafree
Prothrombinasekomplex:
Phosholipide, Ca, II, Xabound
Direkte Thrombinhemmer
oral:
Dabigatran
IIafree
Fibrinogen
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Direkte FXa-Hemmer
oral:
Rivaroxaban, YM150
Apixaban, Betrixaban
intravenös:
Otamixaban
Fibrin (IIabound)
Vom Markt genommen: Ximelagatran
Die Wirksamkeit von Ximelagatran zur postoperativen Thromboseprophylaxe war in einer
großen Anzahl von Studien belegt worden.
Aufgrund von unerklärlichen Konzentrationsanstiegen der Leberenzyme Alaninaminotransferase und Aspartataminotransferase mit einigen Koinzidenzen sowie einer Zunahme der Bilirubinspiegel und des Auftretens von koronaren Durchblutungsstörungen nach Beendigung
der postoperativen Thromboembolieprophylaxe
mit Ximelagatran wurde die Substanz nach ihrer
Zulassung wieder vom Markt genommen und
das Entwicklungsprogramm eingestellt.
Bei Patienten mit akuter tiefer Beinvenenthrombose erwies sich Ximelagatran in der Initialtherapie mindestens ebenso wirksam und verträglich wie die konventionelle Therapie mit initialer
Gabe von Enoxaparin in körpergewichtsadjustierter Dosierung. Die anschließende Behandlung
erfolgte jeweils über einen Zeitraum von sechs
Monaten INR-adjustiert mit Warfarin.
Bei Patienten mit sekundärer oder idiopathischer Beinvenenthrombose ohne ein erhöhtes
Thromboembolierisiko durch genetische Faktoren wurde die Wirksamkeit von Ximelagatran zur
prolongierten Thromboembolieprophylaxe versus Plazebo überprüft. Es zeigte sich eine signifikante Reduktion thromboembolischer Ereignisse
im Ximelagatran-Kollektiv im Vergleich zur Plazebogruppe [Übersicht: 5].
In einer monozentrisch durchgeführten Substudie wurde eine Gruppe von Patienten prolongiert mit Ximelagatran behandelt. Die Patienten
hatten zuvor nach akuter tiefer Beinvenenthrombose über sechs Monate Warfarin bzw. Ximelagatran (2 x 36 mg) zur sekundären Thromboseprophylaxe erhalten. Dabei erwiesen sich beide
Prophylaxeregime bezogen auf die Inzidenzen
von Thromboserezidiven als gleich wirksam.
In der anschließenden Substudie wurde eine
Gruppe der Patienten weitere 18 Monate mit
Ximelagatran (2 x 24 mg) behandelt (versus Plazebo). Im Vergleich zum Plazebokollektiv war
nach Beendigung des noch einmal weitere 18
Monate dauernden behandlungsfreien Follow-up
eine erhöhte Inzidenz tiefer Beinvenenthrombosen oder Lungenembolien in der prolongierten
Ximelagatran-Gruppe zu verzeichnen. Patienten, die in dieser 18-monatigen Studienperiode
Plazebo erhalten hatten, erlitten keine zusätzlichen tiefen Beinvenenthrombosen. Somit war
das erreichte Benefit einer initialen sechsmonatigen Ximelagatran-Behandlung nach weiteren
18 Monaten der Ximelagatran-Gabe aufgehoben
(Abb. 2) [3].
Somit war das erreichte
Benefit einer initialen sechsmonatigen XimelagatranBehandlung nach weiteren
18 Monaten der Ximelagatran-Gabe aufgehoben.
Abbildung 2: Inzidenz thromboembolischer Ereignisse (VTEfreie Studienpopulation) unter prolongierter (18 Monate)
Thromboseprophylaxe mit Ximelagatran (2 x 24 mg) versus
Plazebo und weiterer 18-monatiger behandlungsfreier
Follow-up-Periode (mit Genehmigung des Verlags aus [2]).
Studienperiode
1,00
VTE-freie Studienpopulation
Fehlschläge in der Entwicklung
neuerer Antikoagulanzien
therapiefreie Follow-up-Phase
0,75
0,50
Ximelagatran (2 x 24 mg)
(n = 9)
0,25
Plazebo
(n = 14)
0,00
0
6
12
18
24
30
36
Monate
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Ende auch für Idraparinux
Idraparinux ist ein methyliertes Fondaparinux
mit hoher Affinität zu Antithrombin. Seine
Halbwertszeit beträgt nach einmaliger Verabreichung sieben Tage. Im Rahmen der vanGogh-Studien erhielten Patienten mit tiefen
Beinvenenthrombosen und Lungenembolien
daher einmal wöchentlich subkutan Idraparinux
(2,5 mg) über sechs Monate. Die Vergleichsgruppe wurde mit dem konventionellen Regime
zur sekundären Thromboseprävention (initial
Enoxaparin, überlappend mit Warfarin über
sechs Monate; Ziel-INR 2 bis 3) behandelt. Patienten mit idiopathischer tiefer Beinvenenthrombose wurde prolongiert über zusätzliche sechs
Monate Idraparinux (2,5 mg) subkutan verabreicht (versus Plazebo).
Diese Ergebnisse zeigen,
dass die langfristige Applikation von Idraparinux zu einer
Akkumulation der Substanz
und in der Folge zu den
beobachteten Blutungskomplikationen führen kann.
Abbildung 3: Kumulative Inzidenz von Blutungskomplikationen unter Idraparinux im Vergleich zu
Warfarin zur Prophylaxe des ischämischen Schlaganfalls bei Patienten mit Vorhofflimmern (mit
Genehmigung des Verlags, aus [1])
0,30
Idraparinux
Vitamin-K-Antagonist
0,25
kumulative Inzidenz
0,20
0,15
0,10
0,05
0
0
Number at risk:
Idraparinux
Vitamin-K-Antagonist
22
2283
2293
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91
182
273
364
455
546
Tage
1914 1554 1170 805 431 92
2055 1782 1451 1071 689 288
Eine Analyse der Studiendaten ergab eine erhöhte Rate schwerer Blutungskomplikationen in
der prolongierten Idraparinux-Gruppe von etwa
4%. Außerdem traten bei Patienten, die über
sechs Monate Idraparinux und anschließend
sechs Monate Plazebo erhielten, in der Nachbeobachtungsperiode auffällig viele Thromboembolierezidive auf [Übersicht bei 4].
In einer monozentrischen Substudie wurden bei
allen Patienten, die Idraparinux über sechs oder
zwölf Monate erhalten hatten, die Konzentrationen von Idraparinux und die Anti-Xa-Aktivität
im Plasma über mehrere Monate dokumentiert.
Dabei stellte sich heraus, dass nach sechs- bzw.
zwölfmonatiger Behandlung die Halbwertszeit
von Idraparinux von initial sieben auf 60 Tage
ansteigt (S2222-chromogener Assay). Mittels
Heptest ergab sich nach sechsmonatiger Gabe
eine Halbwertszeit von 107 Tagen. Diese Ergebnisse zeigen, dass die langfristige Applikation
von Idraparinux zu einer Akkumulation der Substanz und in der Folge zu den beobachteten
Blutungskomplikationen führen kann. Bestätigt
wurde diese Erkenntnis durch ein pharmakokinetisches Modell, das im Rahmen der Studie
anhand von Blutabnahmen entwickelt wurde [2].
Auch Patienten mit Vorhofflimmern wurden im
Rahmen einer Studie über mehrere Monate mit
Idraparinux behandelt. Die Inzidenz der Blutungskomplikationen war in diesem Kollektiv signifikant höher als in der mit Warfarin behandelten Vergleichsgruppe. Die Studie zum Vergleich
von Idraparinux und Warfarin zur Prävention des
Schlaganfalls bei Patienten mit Vorhofflimmern
wurde daraufhin abgebrochen (Abb. 3) [1].
Neue Entwicklungen
Idraparinux wurde mit Biotin synthetisch gekoppelt und befindet sich derzeit als Idrabiotaparinux in klinischer Überprüfung. Biotin kann
durch Avidin, einem Eiweiß aus dem Hühnerei,
spezifisch gebunden werden. Damit lässt sich
durch intravenöse Gabe von Avidin der antikoagulative Effekt von Idrabiotaparinux umgehend neutralisieren [8]. Allerdings kann Avidin
sowohl bei Erstexposition als auch bei Reexposition zu allergischen Reaktionen führen. Offen
bleibt auch, ob nach initialer Elimination von
antithrombingebundener Substanz Idrabiotaparinux nicht aus dem extrazellulären in den intrazellulären Raum transportiert wird und so ein
erneuter gerinnungshemmender Effekt – ein
Rebound – auftreten kann. Die Akkumulation
und damit extrem lange Halbwertszeit von Idraparinux von 60 Tagen bei Applikation über mehrere Monate könnte auch für die Folgesubstanz
Idrabiotaparinux zutreffen.
Orale direkte Faktor-XaInhibitoren
Mehrere orale direkte Faktor-Xa-Inhibitoren wie
Rivaroxaban, Apixaban, YM150, Betrixaban und
andere befinden sich derzeit in unterschiedlichen Phasen der klinischen Entwicklung. Sie
werden alle in fixer Dosierung ohne Monitoring
bei verschiedenen Indikationen zur Thromboembolieprophylaxe geprüft. Die Substanzen wirken
unabhängig von Antithrombin und inhibieren
freien und Prothrombinase-gebundenen Faktor
Xa. Sie führen zu einer dosisabhängigen Verlängerung der Prothrombinzeit nach Quick sowie
der aPTT. Insbesondere die Prothrombinzeit nach
Quick wird auch bei niedrigen Dosierungen der
oralen direkten Faktor-Xa-Inhibitoren um das
1,5- bis 4-Fache verlängert. Obwohl die klinische
Relevanz der Beeinflussung dieser Gerinnungsparameter durch die oralen Faktor-Xa-Inhibitoren bisher nicht belegt ist, sind die Analyse und
Kenntnis dieser Wirkung von klinischer Bedeutung, wie folgendes Fallbeispiel deutlich macht.
Die Inzidenz der Blutungskomplikationen war in
diesem Kollektiv signifikant
höher als in der mit Warfarin
behandelten Vergleichsgruppe.
Mehrere orale direkte
Faktor-Xa-Inhibitoren wie
Rivaroxaban, Apixaban,
YM150, Betrixaban und
andere befinden sich derzeit
in unterschiedlichen Phasen
der klinischen Entwicklung.
Fallbeispiel
Ein Patient, der im Rahmen einer klinischen Studie mit einem oralen direkten Faktor-Xa-Inhibitor behandelt wird, kommt wegen einer Herzinsuffizienz in die Notfallaufnahme. Dort wird
unter anderem die Prothrombinzeit nach Quick
mit 31% festgestellt. Der behandelnde Arzt
geht davon aus, dass eine orale Antikoagulation mittels Phenprocoumon durchgeführt wird,
und fragt den Patienten nach der Einnahme von
blutverdünnenden Mitteln wie Marcumar® oder
Ähnlichem. Die Einnahme wird vom Patienten
bejaht. Leider teilt der Patient nicht mit, dass
er an einer klinischen Studie teilnimmt und mit
einem Faktor-Xa-Inhibitor behandelt wird. Der
behandelnde Arzt ordnet daher für die Station
die Gabe von Marcumar® nach Quickwert/INRWert an.
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Obwohl unter den neuen
direkten Faktor-Xa-Inhibitoren kein Monitoring
erforderlich ist, müssen die
gerinnungshemmenden
Dieses Beispiel unterstreicht die Bedeutung der
Kenntnisse über die gerinnungshemmenden
Effekte der neuen Antikoagulanzien und hier
im speziellen Fall der oralen direkten Faktor-XaInhibitoren. Aus der Literatur ist bekannt, dass
die Prothrombinzeit nach Quick dosisabhängig
durch die Plasmakonzentration von oralen direkten Faktor-Xa-Inhibitoren beeinflusst wird (Abb.
4) [7].
Fazit
Obwohl unter den neuen direkten Faktor-XaInhibitoren kein Monitoring erforderlich ist,
müssen die gerinnungshemmenden Effekte der
verabreichten Substanzen insbesondere auf die
Prothrombinzeit nach Quick und auf die aPTT
bekannt sein.
Effekte der verabreichten
Substanzen insbesondere
auf die Prothrombinzeit
nach Quick und auf die
aPTT bekannt sein.
Abbildung 4: Prothrombinzeit nach Quick in
Abhängigkeit der Konzentration von Rivaroxaban
bei Patienten mit elektivem Hüftgelenksersatz
(mit Genehmigung des Verlags aus [7]).
Orale direkte
Thrombininhibitoren
40
Prothrombinzeit
Modell
Prothrombinzeit nach Quick %
30
20
10
0
0
24
100
200
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Wichtig ist in diesem Zusammenhang insbesondere, dass die Prothrombinzeit nach Quick bei
Einnahme von oralen direkten Faktor-Xa-Inhibitoren nicht auf die INR umgerechnet werden
kann. Die INR ist nämlich an Plasma standardisiert, das eine verminderte Konzentration der
Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren II, VII,
IX und X aufweist. Die Konzentration dieser
Gerinnungsfaktoren ist aber im Plasma von Patienten, die orale direkte Faktor-Xa-Inhibitoren
einnehmen, normal. Die Prothrombinzeit nach
Quick muss daher in Sekunden, als Ratio (Gerinnungszeit des Patienten dividiert durch den Normalwert) oder in Prozent der Norm angegeben
werden.
300
400
500
600
Rivaroxaban-Plasmakonzentration (μg/l)
Bei den neuen oralen direkten Thrombininhibitoren ist die klinische Entwicklung von Dabigatran am weitesten fortgeschritten. Die Substanz
hemmt direkt Thrombin in seinen vielfältigen
Wirkungen. Dabigatran verlängert dosisabhängig die aktivierte partielle Thromboplastinzeit
(aPTT). Liegen niedrige Dabigatran-Plasmaspiegel vor, wird die aPTT dosisabhängig verlängert;
im Bereich höherer Konzentrationen über 250
bis 300 ng/ml verändert sich die aPTT nur noch
geringfügig (Abb. 5) [6].
Fallbeispiel
Dabigatran führt zu einer
Ein Patient aus einer klinischen Studie mit Dabigatran wird wegen eines geschwollenen linken
Beines in die Klinik eingewiesen. Wegen des
Verdachts auf eine tiefe Beinvenenthrombose
erhält der Patient NMH körpergewichtsadjustiert
subkutan. Die Analyse der Laborwerte ergibt
eine verlängerte aPTT über 120 Sekunden. Der
behandelnde Arzt kann sich diesen Befund aufgrund der NMH-Gabe nicht erklären und denkt
an eine erworbene Hemmkörper-Hämophilie.
Erst eine genauere Medikamentenanamnese
ergibt später, dass der Patient im Rahmen einer
Studie Dabigatran erhält.
aPTT kann daher bei Patienten, die Dabigatran erhalten,
nicht als Screeningmethode
für eine Blutungsneigung
eingesetzt werden.
Abbildung 5: Verlängerung der aPTT in Abhängigkeit
zur Dabigatran-Konzentration im Plasma von Patienten
mit elektivem Hüftgelenksersatz (mit Genehmigung des
Verlags aus [6]).
aPTT vs. Dabigatran-Plasmakonzentration
3,6
3,3
3,0
2,7
2,4
2,1
Einzeldosis
y = 0,93 + 0,06190 · x1/2
r2= 0,8466
1,8
aPTT (Ratio)
Merke: Dabigatran führt zu einer Verlängerung
der aPTT. Die aPTT kann daher bei Patienten, die
Dabigatran erhalten, nicht als Screeningmethode
für eine Blutungsneigung eingesetzt werden.
In Zukunft ist daher im Falle einer verlängerten
aPTT immer eine genaue Medikamentenanamnese hinsichtlich neuer Antikoagulanzien notwendig.
Verlängerung der aPTT. Die
1,5
Mehrfachdosis
y = 0,86 + 0,06873 · x1/2
r2= 0,8514
1,2
0,9
0
100
200
300
400
500
600
700
800 900 1000
Dabigatran-Plasmakonzentration (ng/ml)
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Die Entwicklung und der Ein-
Zusammenfassung
satz neuer Antikoagulanzien
sind neben ihren unübersehbar vielen Vorteilen auch mit
einigen Problemen behaftet.
Literatur
[1] Amadeus Investigators, Bousser MG, Bouthier J, Büller HR, Cohen
AT, Crijns H, Davidson BL, Halperin J, Hankey G, Levy S, Pengo V,
Die Entwicklung und der Einsatz neuer
Antikoagulanzien sind neben ihren unübersehbar vielen Vorteilen auch mit einigen
Problemen behaftet. Nach ihrer Zulassung
sind wie bei allen neuen Medikamenten
eine Überwachung zur Identifikation noch
nicht bekannter Nebenwirkungen und
das Erlernen der Wirkungen auf das Gerinnungssystem und der Gerinnungstests
erforderlich, um neue Probleme in Zukunft
zu minimieren.
Prandoni P, Prins MH, Tomkowski W, Torp-Pedersen C, Wyse
DG: Comparison of idraparinux with vitamin K antagonists for
prevention of thromboembolism in patients with atrial fibrillation: a
randomised, open-label, non-inferiority trial. Lancet 371 (9609) Jan
26 (2008) 315–21
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[3] Harenberg J, Jörg I, Weiss C: Incidence of recurrent venous
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[5 Koscielny J, Kiesewetter H, Jörg I, Harenberg J: Ximelagatran for
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[8] Savi P, Herault JP, Duchaussoy P, Millet L, Schaeffer P, Petitou M,
Bono F, Herbert JM: Reversible biotinylated oligosaccharides: a
new approach for a better management of anticoagulant therapy. J
Thromb Haemost 6 (10) Oct (2008) 1697–706
Prof. Dr. med. Job Harenberg
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Medizinische Fakultät Mannheim
Klinische Pharmakologie
Maybachstraße 14
68169 Mannheim
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