Jens Bisky - Rationalgalerie
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Jens Bisky - Rationalgalerie
Jens Bisky Überfordert durch Überkompensation Autor: U. Gellermann Datum: 13. Juni 2009 SACHSE:Wo gehts denn hier nach Aldi?TÜRKE:Zu Aldi! Zu Aldi!SACHSE:Was denn, haben die schon zu?West-Witz aus dem Jahr 1990 Wer den Sprachwitz über Türken und Sachsen um 1990 erinnert, der weiß fast alles über das Verhältnis der Alt- zu den Neubürgern der Bundesrepublik Deutschland: Die Ostler, gestern noch Brüder und Schwestern, standen plötzlich noch unter den verachteten Türken, den bisher letzten in der bundesdeutschen sozialen Rangreihung. Was der gegebene Anlass ist, aus dem Jens Bisky, Redakteur der "Süddeutschen Zeitung" gerade jetzt den "Westdeutschen" untersucht, einen "blassen Mythos", wie er ihn nennt, kann nur vermutet werden: Vielleicht will er den unsäglich geschönten Bericht des Herrn Tiefensee zur Deutschen Einheit flankieren, vielleicht folgt er der Mainstream-Pflicht, die Geschichte umzuschreiben, von der Wirklichkeit zur Siegerwahrheit. "Die meisten (Westler, die unmittelbar nach der Wende in den Osten kamen) verstanden sich als Pioniere oder Aufbauhelfer", schreibt Bisky. Der ehemalige Leutnant der Nationalen Volksarmee war zu jener Zeit 24 Jahre alt und schon Mitarbeiter des Radio DT64 in Berlin. Kann ihm, zum Beispiel, der politische Umbau Brandenburgs entgangen sein? Wer in jener Zeit die Amtsstuben der neuen Landesregierung betrat, traf an allen Schaltstellen auf Leute aus Nordrhein-Westfalen. Ziemlich unverhohlen erzählten sie (natürlich nur einem Wessi-Gegenüber) warum sie den Wechsel aus der "Zivilisation" (Hückeswagen, Gelsenkirchen, Gütersloh) in den "Busch" (Potsdam) auf sich genommen hatten: Karriere-Sprung. Wer sich ein wenig umhörte, fand auch nicht wenige Fälle von Abschiebehaft wegen Unfähigkeit oder falschem Parteibuch. Keine Pioniere, nirgends. Barbara Bohley, jeder DDR-Nostalgie unverdächtig, sagte nach der Wende 1|3 Quelle: Heruntergeladen am 16.01.2017 http://www.rationalgalerie.de/jens-bisky-ueberfordert-durch-ueberkompensation.html hilflos: "Wir wollten eigentlich eine bessere DDR, aber dann kam Kohl". Jens Bisky zitiert zu diesem Machtwechsel Wolfgang Schäuble, der die ostdeutsche Revolution "unvollendet" genannt hatte. Weil, so registriert Bisky zustimmend, "erst mit den Landtagswahlen 1994 . . . die Entmachtung der alten Eliten . . . abgeschlossen" war. Die neuen "Eliten" kamen wesentlich aus dem Westen, drei von fünf Ost-Ministerpräsidenten waren Westler: Biedenkopf kam aus dem CDU-Parteistraflager zum Recycling nach Sachsen, Werner Münch floh aus einer Senke bei Vechta zum deutlich erhöhten Gehalt nach Sachsen-Anhalt, Bernhard Vogel genas nach einem schweren Politunfall in der Pfalz im Ost-Amt. Die also haben, glaubt man Bisky, die Revolution vollendet. Im Jahr 1989, dem letzten Jahr der DDR, flohen rund 50.000 ihrer Bürger in den Westen. Seit der Wende haben 1,5 Millionen Menschen rübergemacht, vor allem jüngere Frauen. Das sind im Jahr 75.000 Ostflüchtlinge. Der Westkenner vermisst die wöchentlichen Meldungen der Bildzeitung über diese dramatische Fluchtbewegung. Jens Bisky vermisst nichts, er empfiehlt die "Berichte der Aufbauhelfer (zu) lesen". Ob in denen auch steht, dass mehr als 90 Prozent des Volkseigentums in westliche Hände ging? Zerschlagung der DDR-Industrie, Übernahme fast aller großen Zeitungen und Verlage, Abschaffung der DDR-Filmproduktion, alles Aufbau durch freundliche Helfer? Der "Mythos", sagt das Lexikon, ist eine sagenhafte Geschichte, eine Mär. Ein Dorf in Brandenburg. Neue, glatte Straßen, eine herausgeputzte Promenade aus EU-Geldern. Den Häusern auf der Dorfstraße sieht man an, wer darin wohnt: In den gut und geschmackvoll restaurierten wohnen ausnahmslos Künstler aus West-Berlin. Nette Leute, wenig Vorurteile. Außer vielleicht, hinter vornehm vorgehaltener Hand: Die Ossis (also die ursprünglichen Bewohner) hätten Vorurteile. Gegen Westler, es grenze an Rassismus. Wo Bisky Befreiung sieht, sehen die Dörfler Befreiung von Arbeit. Mehr als 30 Prozent der Bewohner haben seit Jahren keine mehr. Gehen sie durch ihre Straßen, können sie Arm und Reich, Ost und West an den Fassaden erkennen. "Bevor man dem Kapitalismus, der Sozialisierung oder ideologischer Verblendung die Schuld (an der Wessi-Phobie) gibt, soll man die Berichte der Aufbauhelfer lesen". Schreibt Byski. Die Dörfler lesen ihre Straßen. Häufig müht sich Byski schreibend in den Westen zu kommen. Darin ähnelt er 2|3 Quelle: Heruntergeladen am 16.01.2017 http://www.rationalgalerie.de/jens-bisky-ueberfordert-durch-ueberkompensation.html Angela Merkel, die auch so so tut, als hätte sie den Westen erfunden und die ihre Ostbiografie durch Verschweigen leugnet. Deshalb fällt dem SZ-Redakteur auch ein, das "Besserwessitum" sei "eine ungeschickte Überkompensation von Überforderung". Jens Byski ist nicht dumm. Er hat Augen. Er müsste sie nur öffnen. Das macht er lieber nicht. Es könnte seine neu gewonnene Sozialisierung, die erhabene Position eines Feuilletonredakteurs, der beinahe aus dem Westen kommt, erschüttern. So gerät er dann zum Schmock, zu jener opportunistischen, verlogenen Figur, wie sie Gustav Freytag in seinem Lustspiel "Journalisten" entworfen hat. Bei Byski ist es deshalb anders als beim Besser-Wessi: Er ist überfordert die Wirklichkeit zu sehen weil er seine Herkunft überkompensiert. 3|3 Quelle: Heruntergeladen am 16.01.2017 http://www.rationalgalerie.de/jens-bisky-ueberfordert-durch-ueberkompensation.html