1 Grabrede zum Tod meiner Mutter Heide Schumann gehalten am

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1 Grabrede zum Tod meiner Mutter Heide Schumann gehalten am
Grabrede zum Tod meiner Mutter Heide Schumann gehalten am 18.11.2010 in der Kapelle am Friedhof in Göttingen Geismar In der Kapelle steht die Urne umringt von Blumen. Sie ist weiß mit einem Sandstreifen, der den schönsten Urlaub meiner Mutter, an einem Strand von Mallorca repräsentiert. Es kommt die dt. Ausgabe des Liedes Memories/Erfahrunen aus „Cats“ Es geht los: Es fällt nicht leicht, angesichts des Todes die richtigen Worte zu wählen. Ich möchte es dennoch versuchen und ich hoffe, dass es tröstende und aufmunternde Worte sind, die Gemeinschaft schaffen, die Sinn stiften, sodass wir dann auch im 2. Teil in der Gaststätte „Linde“ wieder Geselligkeit und vielleicht auch eine Fröhlichkeit zulassen. Ich bin sicher, dass Sie sich das gewünscht hätte. Das Leben meiner Mutter war ja viel die Suche nach Fröhlichkeit und Unbeschwertheit, ein Wunsch, den Sie mit uns allen teilt. Und der sich ja auch erfüllt. Auch ihr Leben war ja voll von Feiern. Und jetzt sind wir bei ihrer Trauerfeuer. Wir haben dieses Bild gewählt (ein Portrai meiner Mutter mit ca. 23 Jahren steht auf einer Staffelei), weil ich glaube, dass sie auf diesem Bild so aussieht, wie Gott sie gemeint hat: Offen, Neugierig, Unschuldig, wunderschön und mit dem Wunsch nach Leben. Und ich glaube, man sollte Menschen so erinnern wie Gott sie gemeint hat. Und besser noch, sie zu Lebzeiten auch so ansehen wie Gott sie gemeint hat: Also Gutes unterstellen, also zunächst einmal vertrauen, zunächst einmal daran glauben, dass der andere einem zugeneigt ist. Das ist jedenfalls eine Lehre, von der ich glaube, dass sie wahr ist und man dann mit den Menschen am besten zurecht kommt. Aber jetzt geht es erst einmal um sie, um meine Mutter: Liebe Verwandten, liebe Freunde, liebe Nachbarn, liebe Bekannte, die ihr heute hier seid. Ich weiß nicht, ob es Ihnen, ob es Euch gerade eben in der Stille vor dem Lied auch so gegangen ist: Man befindet sich in einer intensiven Kommunikation mit sich selbst, mit dem Leben und mit Heide, natürlich auch mit dem Alltagsgedanken, die ablenken vom Wesentlichen. Aber man ist absolut aufmerksam, absolut präsent, man hört in sich hinein, aber auch natürlich sehr stark nach Außen: gibt es störende Geräusche, gibt es irgendwas, was nervt, vielleicht ein Kind, das schreit... Diese Aufmerksamkeit hat etwas Schönes, vielleicht auch etwas Quälendes. Aber der Moment, wo die Musik einsetzt, hat für mich immer etwas Magisches: Es kommt mir vor, als wenn Heide selbst singen würde. Ging es Euch auch so? Ja, im irdischen Leben hatte sie ja im Leben diese tiefe, dunkle Stimme und wurde ja häufig am Telefon für einen Mann gehalten, etwas, das sie Zeit ihres Lebens doof fand, sich aber damit abfand. Ich bin sicher, dass Sie nun die Stimme hat, die Gott ihr eigentlich zugedacht hatte. Im Leben musste sie eben mit Bordmitteln auskommen, wie wir alle. Vielleicht ist es Euch auch so ergangen, dass ihr die 1 jetzige Stimme gehört habt oder jedenfalls ein bisschen, dann wäre das Ziel dieses ersten Liedes erreicht, denn ich möchte Euch in dieser Rede in Kontakt bringen mit dem Leben und mit dem Geist von Heide. Es gibt noch eine weitere Begründung für dieses Lied. Meine Mutter hat Musicals sehr gemocht. Cats hat sie in Hamburg mit meinem Vater gesehen und das letzte Bild, was wir von ihr haben, zeigt meine Mutter und mich in den Theatersesseln als wir „Tarzan“ sahen, ein weiteres Musical in Hamburg. Ich bin froh, dass wir das noch gemacht haben. Überhaupt war die letzte Zeit, die ich mit meiner Mutter hatte, großartig. Sie war in Hamburg für 6 Wochen: Endlich haben wir sie überreden können, eine etwas längere Therapie gegen die Alkoholsucht in Angriff zu nehmen. Und das in Hamburg. Auf diese Weise war sie am Wochenende immer bei uns. Sie hat viel Freude mit Lissy ihrer Enkelin gehabt, wir waren beim Brainwalking, wir waren auf dem Altonaer Straßenfest. Wir haben zusammen getanzt und es gibt heute ein wundervolles Video auf dem Internet wo Heide mit Myriam und Lissy und mir sehr entspant tanzt: Interessanterweise zu dem Lied „Jessica“ in dem die Zeile vorkommt. „und sie tanzte der Freiheit entgegen...“. Schaut Euch das Video an, es ist einfach eine Freude. Und das ist auch die Botschaft, die diese Rede Euch vermitteln will. Nichts geht verloren, alles hinterlässt Spuren. Man kann sich fragen: War denn alles, was wir mit Heide gemacht haben, letztlich umsonst? All die Gespräche, all die Hilfe, all Unterstützungsangebote, die Therapien, die Medikamente, die flammenden Reden, die gehalten worden sind. Es wurde sich ja enorm eingesetzt. Ich denke an Dich Rainer, der Du nach einer wilden Aktion meiner Mutter mit seiner Frau Inge das Haus wieder in Schuss gebracht hast. Ich denke an Dich Werner, der Du wegen ihrer Alkoholsucht eine flammende Rede gehalten hast auf dem Sofa während ich dabei war. (Ich hatte Dich bis dahin gar nicht für eine solch brillanten Redner gehalten, aber Du bist an diesem Tag über Dich hinausgewachsen, weil Du mit Leidenschaft dabei warst). Dann der Einsatz der Ärzte, die Medikamente, der halbherzige Versuch, Therapien zu machen, der Freundeskreis der anonymen Alkoholiker in der Stephanusgemeinde. Die Unterstützung der Nachbarn und Jürgen, der sie noch am Schluss versorgt hat. Dann auch unser Einsatz, wir haben täglich mit ihr telefoniert. Ich immer beim Wäscheauf-­‐ oder abhängen:so war schon ein bisschen Arbeit erledigt und dennoch die Beziehung gehalten. Ich fand das eine gute Lösung. Wir haben ihr Fotos von Lissy geschickt und eine Geschichte, die ich am Schluss noch lesen will. Leider hat sie die Geschichte nicht mehr gelesen. Sie war in ihrem Email-­‐Account noch fett gedruckt... War also das alles letztlich umsonst? Nein, so darf man das nicht sehen. So muss man das nicht sehen. Versuchen Sie es, trotz allem Frust, den man gehabt hat und den man vielleicht auch noch spürt, so zu sehen: Dieser Einsatz hat das Leben verlängert. Er hat das Leben überhaupt erst ermöglicht: In den Unterlagen die ich jetzt gefunden habe, 2 habe ich einen ärztlichen Bericht gelesen: Psychotische Depression mit Suizid-­‐
Versuch und Versündigungswahn. Richtig, ich hatte es schon vergessen: Meine Mutter hatte sich versucht, sich umzubringen 1996. Das heißt vor 15 Jahren. Und in diesen 15 Jahren hat Sie noch eine Menge erlebt., oder? Da waren Reisen mit Werner Winter und Frau nach Ungarn, da war das Kennenlernen eines neuen Mannes Klaus und das Beginen eines neuen Lebens nach dem Tod meines Vaters, da waren Reisen nach Wien und tausend Sachen andere Sachen. Sie hat noch gelernt, wie man Emails schreibt und das letzte was sie tat, war einen virtuellen Glückskeks an Klaus zu verschicken. Und das hat sich doch gelohnt oder? Der Einsatz hat sich gelohnt. Sie hat sogar noch die Geburt einer Enkelin mitbekommen, etwas womit sie gar nicht mehr gerechnet hat und an dem Sie sich enorm gefreut hat. Das hat sie auch in ihr Oma-­‐Buch geschrieben.: ein Buch das Myriam ihr geschenkt hat, worin die Oma alles aufschreibt, was für die Enkelin wichtig sein könnte über ihr eigenes Leben. Sie hat sich enorm an Lissy gefreut. Das Leben geht weiter, das ist ja die Botschaft eines Enkels, besonders dann, wenn man selbst älter wird. Meine Mutter lässt mich jetzt allein. Und das darf auch so sein. Sie hat mir das Leben geschenkt und mir viele Male das Leben gezeigt und letzlich auch das Leben gerettet, manchmal ohne dass sie es wusste: Manchmal nur durch das Zuschicken eines Geburtstagskuchen, den ich in der Fremde aus einem Paket nahm und in dem Moment als ich in den Kuchen biss (übrigens Ananass-­‐Kuchen, den wird es auch heute nachmittag zu Heides Andenken wieder geben) und ich in einer schlimmen Depression doch wieder etwas davon spürte: Das Leben ist lebenswert. Es soll weiter gehen. Manchmal ist es ein Kuchen, der Leben rettet und zwar ohne, dass der andere davon wissen muss. Ich will noch etwas zum Tod im Allgemeinen sagen wie ich ihn heute verstehe: Meine Mutter ist 68 Jahre geworden. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen liegt bei 83. Das sind 15 Jahre weniger als der Durchschnitt. Ist sie jetzt darum betrogen worden? Es macht einfach folgendes klar: Wir haben hier kein Zeitkonto auf Erden, auf das wir Anspruch haben und bei dem wir jedes Jahr ein Jahr abbuchen, immer ängstlicher und müder werdend je mehr wir auf das Alter zugehen. So ist es nicht: Das Leben ist keine Bank gegen die wir Ansprüche haben. Wir kommen ins Leben und haben keine Ansprüche. Jeder Moment, den wir leben, wahrhaft leben bekommen wir geschenkt, den können wir verbuchen auf die Habenseite. Für mich ist der Schluss daraus: Wir dürfen Heide -­‐ und wir dürfen uns -­‐ nicht als eine Frau des Durchschnitts behandeln -­‐ obwohl sie in vielerlei Hinsicht eine Frau des Durchschnitts war. Ja, eine Frau, die den Durchschnitt zum Programm gemacht hat, die nicht auffallen wollte, nicht anecken wollte, sich nicht abheben wollte. Wir dürfen sie -­‐wir dürfen uns -­‐ nicht mit dem Durchschnitt vergleichen: Wir müssen sie in der Entwicklung sehen. Und die ist positiv! Ihre Mutter, Ursula Schüssler ist nur 26 Jahre alt geworden. Ob da die Medizin versagt hat oder die eigene Haltung im Weg stand muss ich heut noch herausfinden. Ich muss Rainer danach fragen. Aber meine Mutter wurde 42 Jahre älter als ihre 3 Mutter. Und das ist doch enorm. Und sie konnte es dank der Unterstützung der Familie, dank Freunden, dank der Medizin. Wir haben hier vor 12 Jahren meinen Vater beerdigt -­‐ und viele von Euch waren dabei... Er ist 61 geworden. 79 Jahre ist der Durchschnitt bei Männern. Liegt er jetzt 18 Jahre unter dem Durchschnitt? Ja und nein. Schauen wir uns die Generation seiner Eltern an, so haben die sich ja gegenseitig umgebracht. Mein Vater hat ja seinen Vater gar nicht gekannt. Auch meine Mutter hat ihren Vater gar nicht gekannt. Auch der ist im Krieg umgekommen: Man bekam damals dann einen anonymen Brief von einem Offizier, der etwas von Heldentod schrieb und eine Bleistift-­‐Zeichnung beifügte, wo der Held jetzt verscharrt worden ist. Ich habe den Brief und die Zeichnung bei den Unterlagen meiner Mutter gefunden: Einfach schrecklich, wie dieser Zettel den schrecklichen Umgang mit Menschen, mit Mitmenschen repräsentiert. Meinen Vater habe ich wenigstens 61 Jahre kennen lernen dürfen und ihn, wie ich finde, würdig begraben können. Und viele von Euch waren dabei... Mein Vater ist ja zu Hause gestorben und meine Mutter und ich durften das gemeinsam erleben. Das war einer der bewegendsten Moment, die ich mit meiner Mutter hatte. Meine Mutter und ich standen an seinem Bett als er starb und ich fand es wunderbar zu sehen, wie sich seine Gesichtszüge im Moment des Todes entspannten. Er wirkte mit einem Mal 15 bis 20 Jahre jünger. Es war wundervoll, geheimnisvoll und sehr tröstend nach dem halben Jahr des Leidens. Auch hier: Lungenkrebs: Ja, schrecklich nicht wahr, aber ist es nicht auch hier ein Fortschritt: Seine Elterngeneration hat sich noch gegenseitig umgebracht. In den Schützengräber liegend versucht, dem anderen, weil dieser eine andere Uniform anhatte, das Kugelblei möglichst zwischen die Augen zu schießen: Ist es nicht ein Fortschritt, dass sich die Generation unsere Väter nicht mehr gegenseitig umbringen -­‐ sondern –leider-­‐ nur sich selbst: durch Süchte, die eigentlich fehlgeleitete Sehnsüchte sind: Also die Sucht nach sich selbst, die leider häufig nur in Abgrenzung, schlimmer noch in Konkurrenz zum anderen definiert wird und dann in verpasstem Gemeinschaftsgefühl und innerer Einsamkeit endet: Die Verdrängung der Gefühle, die durch Alkohol und Nikotin erreicht wird, rächt sich schrecklich: Man lebt nicht mehr richtig und es folgt die Flucht in Lageweile und Ablenkung, die dann in Konsum und einer komischen Art von Unterhaltung, auch in Abendunterhaltung endet: Fernsehen, statt des wahren Ansehens des anderen, Talkshows statt des wirklichen Gespräches mit dem anderen, der neben einem sitzt und der aber einen wirklich angeht, anders als die Themen, die im auf der Mattscheibe vor einem diskutiert werden: Hollywood statt Lebenstraum. Nichts gegen Fernsehen und Kino: Das sind wunderbare Erfindungen, aber man muss sie auch zu nutzen wissen und eben die richtigen Sendungen und Filme schauen und nicht den Müll, der die Massen unterhalten soll und der Zynismus, Verachtung und Häme erzeugt sogenanntes Reality – TV: Messies und schlimme Jugendliche, die zu den härtesten Eltern der Welt geschickt werden, um ordentlich da schlimme Leben zu geniessen. Oder eben auch die Nachrichten, die Frustration, Ohnmacht und Lageweile erzeugen: Wie lange wird schon über den Israel-­‐Konflikt gesprochen: Seit dem 4 ich die allerersten Nachrichten in meinem Leben sah: also mit 5 oder 6? Was hat sich seitdem daran geändert? Nicht viel. Und wie hat es mich betroffen: nicht viel. Außer das die ständig schrecklichen Nachrichten mit in Entsetzen und Frustration versetzt haben. Und was habe ich zur Lösung dieses Konfliktes beigetragen: Ebenfalls nicht viel. Warum also diese Sendungen über Jahre verfolgen? Vielleicht weil man hofft, dass sich doch etwas bewegt, dass doch etwas besser wird – und haben wir nicht gerade jetzt eine berechtigte Hoffnung, dass sich die Konfliktparteien annähern. Das wäre doch wunderbar. Das gäbe viel Hoffnung. Wir wünschen es uns so sehr. Nochmals zurück: Meine Mutter durfte, anders als ihre Mutter mit deren Mann, der 1945 an vordersten Front als Späher durch einem Granatensplitter getötet wurde, lange mit meinem Vater zusammenleben. Sie war glücklich diese Ehe geführt zu haben. Das schrieb sie ins Oma-­‐Buch, von dem ich vorhin sprach. Mit meinem Vater hatte sie eine Zeit voll des Feierns, der Urlaube. Sie bauten sich etwas auf. Sie verstanden einander, auch wenn sie unterschiedlicher Meinung waren. Hier sollte das Lied „die kleine Kneipe von Peter Alexander eingespielt werden – ein Lied, das gut zu meiner Mutter passt, ist sie doch in einer Kneipe aufgewachsen und hat dort auch so in einem 3 Generationenhaus gelebt bis ich 10 Jahre alt war. Leider haben wir das überspringen müssen. Für so eine Trauerfeier hat man eigentlich nur 30 Minuten Zeit. Ich brauchte schon 1 Stunde für die Rede: Und das soll reichen, einen Menschen mit seinem ganzen Leben zu verabschieden. Wie soll das eigentlich gehen, fragt man sich. Und nach dem Tod meines Vaters? Sie hat ihn überwunden. Und dabei war es eine kreative Lösungen, die dabei half. Eine der kleinen Sachen, die das Leben erhält: Es gab es eine Postkarte, die zwischen Ilsabe, der wundervollen Nachbarin und meiner Mutter hin und her ging: Zum Zeichen, dass alles ok ist. Ilsabe und meine Mutter hätten nicht verschiedener sein können. Ilsabe war kreativ, sehr kommunikativ und von Grund auf fröhlich, meine Mutter eher ordentlich und brav angepasst, aber man war befreundet. Gute Nachbarschaft: Man wollte beim anderen nicht auf der Matte stehen, aber der andere sollte wissen, dass man ein Auge auf ihn hat und auf ihn aufpasst. Eine gute Lösung für den Wunsch nach Nähe und auch ein bisschen Kontrolle und dem Wunsch nach Freiheit und Unbehelligtsein. Emails gab es ja damals noch nicht: Man warf sich also einander diese Postkarte ein und es ist diese Postkarte, die ich hier in den Händen halte: Auf ihr steht Es ist ein Gesetz des Lebens: Schließt sich eine Tür, öffnet sich eine andere. Und das ist etwas, woran ich inzwischen ganz fest glaube. Interessanterweise ist diese Karte auch eine der ersten Sachen gewesen, die ich in dem verrußten Zimmer fand, in dem meine Mutter gestorben ist. Sie hat eine tiefe Wahrheit: Das Leben geht weiter, manchmal vielleicht auch erst, wenn man eine Tür wirklich zu gemacht hat oder auch wenn eine zugemacht worden ist. 5 Dieser Spruch wird auch auf dem Grabstein stehen. Noch auf dem Grabstein steht der Trauspruch meiner Eltern: Epheser VI Vers 3: Als ich jetzt in der Bibel nachlas, was das eigentlich bedeutet fand ich folgende Ausdeutung... Ich find das sehr schön und sehr passend für meine Mutter und meinen Vater. Beide Sprüche passten leider nicht auf den Grabstein: Der ist 40x40cm, es ist ein halbanonymes Grab, also mit Grabplatte, aber ohne Beet, sodass man mit dem Rasenmäher darüber fahren kann: Sehr praktisch, wenn die Angehörigen zu weit weg wohnen, um das Grab pflegen zu können, aber wie soll man in 40x40 cm ein Leben zusammenfassen sollen. Man braucht dafür doch eigentlich eine Tafel, die 400 x 400 cm ist. Oder noch besser 40x40 Meter, so reichhaltig kann doch ein Leben sein. Letztlich habe ich den oberen Spruch mit der Tür gewählt und den andere nur abgekürzt einmeißeln lassen (übrigens ist es der umgearbeitete Grabstein meines Vaters, der jetzt umgebettet im Grab meiner Mutter liegt). Jetzt sieht es leider so aus als wäre Epheser 4 Vers 3 die Quelle des Tür-­‐Zitats, was ja nicht stimmt -­‐ das erinnert mich an viele Übersetzungsfehler in der Heiligen Schrift mit den seltsamsten Konsequenzen -­‐ aber ihr Eingeweihten wisst ja, was gemeint ist. Und ich denke genau darauf kommt es an: Aus den Merkwürdigkeiten, die einem begegnen, die richtigen Schlüsse ziehen zu können. Passen Sie in Zukunft doch einmal auf, welche Merkwürdigkeiten Sie erleben werden: Gehen Sie diesen Sachen auf den Grund: Sie werden sehen: Es geschehen noch Zeichen und Wunder: Alles, wirklich alles ist nur Fassade: Wirtschaft (mit dem Slogan: Konkurrenz belegt das Geschäft: Haben wir nicht bei Kain und Abel gesehen, wohin das führt), in der Politik, natürlich ist Demokratie ein Fortschritt, aber es ist schlimm, wenn die Debatten durch die Profilierungen der einzelnen (Streit-­‐) Parteien so lange dauern, weil uns die Zeit davonrennt. Meine Mutter hat ihre Mutter um 42 Jahre überlebt. Wie alt wird ihre Enkelin Lissy werden, wenn sich diese Entwicklung fortschreibt? Was wird sie noch alles erleben. Ich bin so gespannt auf die Entwicklung von Technik und Politik: Es wird nicht alles schlimmer als früher. Es wird auch so vieles besser, jeden Tag, das ist mit Händen zu greifen, aber nur, wenn man die Zeitung au richtige Weise zu lesen versteht. Mehr dazu ein anderes Mal... Was wird Lissy wohl für eine Welt haben, wenn Sie groß ist, wenn sie gar ins Alter von meiner Mutter kommt? Das ist doch unvorstellbar: Vielleicht fliegen wir dann zur Arbeit? Vielleicht können wir Organe passgenau wachsen lassen? Sicher können wir Depressionen heilen, da bin ich ganz sicher. Die Möglichkeiten werden enorm sein, wenn wir sie nutzen. Vielleicht können wir Tote zum Leben erwecken. Ich habe jedenfalls eine Haarlocke meiner Mutter aufgehoben so makaber das sein mag. Ich werde die DNA behalten, wer weiß, was mal möglich sein wird. Sie liegen in einem Mini-­‐Sarkophag, einer Kasten in Form eines ägyptischen Mumiensarges, den ich früher in der Schule für Stifte benutzt habe. 6 Man kann noch weitere Dinge positiv sehen: Wer weiß, was meine Mutter sich und wenn man ganz ehrlich ist, was sie uns erspart hat: Sie hatte durch das Rauchen ein beginnendes Kehlkopfgeschwür, vielleicht einen Krebs. Ich hatte da schon die schlimmsten Befürchtungen... Sie war durch den Alkohol schon sehr tüddelig geworden. Viel schlimmer als ich dachte: Ich fand einen Zettel vor, auf dem sie Wort für Wort etwas für ein im Grunde sehr einfaches Telefonat aufgeschrieben hatte. Da war sie auch kognitiv schon sehr viel geschwächt. Also war es vielleicht die richtige Zeit zu gehen. Aber mit diesem „Knalleffekt“: Meine Mutter hat den Deckenfluter, also eine Halogenlampe umgestürzt, vielleicht ist sie mit dem Rollstuhl dagegen gefahren. Der Deckenfluter hat eine Bettdecke in Brand gesetzt, den meine Mutter nicht mehr hat ausmachen können. Wahrscheinlich hat sie es mit der Krücke, die unten angesengt war, noch versucht. Sie ist dann an einem Schwellbrand erstickt. Wahrscheinlich war das letzte was sie sah, ein Portrait von mir, es lag jedenfalls herausgenommen aus dem Wohnzimmerschrank umgekehrt auf dem Parkett. So wurde es nicht verrust... Eine gute Freundin meinte, dies sei doch tröstlich, dass sie das letzte was sie sah, bevor es in doppeltem Sinne schwarz um sei geworden sei, das Liebste gewesen sei, was sie hatte. So hatte ich das noch gar nicht gesehen. Hätte die Wohnzimmertür zufällig aufgestanden, wäre das ganze Haus abgebrannt, auch wenn sie es noch zur Terasse heraus geschafft hätte. So allerdings, mit den geschlossenen Türen, hat sich das Feuer durch den mangelnden Sauerstoff durch sich selbst erstickt...Ob ihr es klar war, dass sie mit dem Öffnen der Tür und das Herausgehen auf die Terasse das Haus und die Nachbarn gefährdet hätte. Man wird es nie erfahren. Oder erst, wenn man sich wieder sieht. Ein solcher „Knalleffekt“ wäre doch gar nicht ihre Art gewesen. Und vielleicht doch richtig, macht er uns doch darauf aufmerksam, dass es auch für uns jederzeit vorbei sein kann. Das Leben ist kein Zeitkonto, von dem man abbucht, bis nichts mehr da ist. Es ist ein Konto, auf das wir immer mehr eingezahlt bekommen, ohne dass wir etwas dafür tun müssen. Wir können natürlich dafür etwas dafür tun: Nicht trinken, nicht rauchen gehört dazu. Wir können etwas tun, in dem wir bewusster leben, dass heißt dem Leben weniger ausweichen, weniger den Begegnungen ausweichen. Mehr im Augenblick zu leben und die enormen Möglichkeiten der Zukunft zu erkennen und zu nutzen, die in jedem Augenblick uns winken. Jeden Tag, den wir leben, haben wir sicher. Wir müssen ihn nur auch richtig gelebt haben, damit er uns als wertvoll erscheint. Und richtig leben, bedeutet Zeit zu haben, Zeit für das Wesentliche. Und das Wesentliche geschieht immer nur an einem einzigen Ort: Hier. Nicht wo anders. Immer nur an einem Ort: 7 Nur im Hier und Jetzt. Und ich bin froh, dass ihr heute mit mir diesen Moment teilen wollt. Und ihr seid ja hier. Hier und Jetzt. Ich bin froh, dass ihr diesen Moment wichtig genug fandet, zu kommen und zu zeigen; Ihr seid da. Ihr findet es wichtig, zu kommen, Verbindung zu halten, ihr findet es wichtig, zu zeigen, dass man angesicht des Todes nicht allein ist. Und ihr lasst mich nicht allein in diesem Moment. Dafür danke ich Euch. Und deswegen ist es gut, dass meine Tochter bei diesem Moment dabei ist und dass Myriam, die mich so wunderbar unterstützt durch ihre enorme Stabilität eine dunkele Jacke trägt, auf der aber hinten drauf in bunten Farben steht: „Life is happy“. Das Leben ist glücklich. Man darf, auch angesicht des Todes glücklich sein. Nein, es ist geradezu eine Pflicht. Und ich bin froh, dass ihre Stabilität mich den heutigen Tag gut überstehen läßt. Der Pflicht, wieder glücklich zu sein, kommen wir nach, wenn wir in der „Linde“ sind: Das hätte auch meine Mutter auch so gewollt. Ein dummer Zufall und jeder von uns kann morgen mausetot sein. Und in 50 Jahren sind wir es auch. Das vereint uns. Wir sind alle sterblich. Daraus kann man aber auch Kraft ziehen: Wir haben nichts zu verlieren, wir haben schon alles verloren, wir brauchen keine Angst zu haben, was kann den schlimmer sein als der Tod – und der kommt ohnehin. Das kann auch Kraft verleihen. Im Steppenwolf von Herrmann Hesse ist das wunderbar beschrieben. Wie überhaupt Bücher sehr viele Wahrheiten enthalten. Wenn man sie richtig liest. Es kann auch das Gegenteil von dem was drin steht, richtig sein. Der Tod meiner Mutter ist deshalb so tragisch weil es zeigt: Sie hatte angeblich alles, was es braucht, Haus, Geld für Reisen, Freunde, ein Kind, an dem sie sich erfreut, ein Enkel sogar. Aber Sie hat beschlossen und im Leben immer wieder eingeübt, das Leben nicht von der positiven Seite zu sehen, sondern von der schlimmen Seite: Die Umweltkrise, die Eurokrise, die hohen Benzinpreise, die Nachbarn, die ihren Garten hätten besser aufräumen können und und und. Da waren viele Dinge, die, wenn man es recht bedenkt, einen doch recht wenig angehen. Jedenfalls sollte man es nicht zum pausenlos zum Tagesgespräch machen, wenn man nichts dagegen tut. Und auch bei den oben genannten großen Krisen kann man etwas tun: Man kann für die Umwelt etwas tun, kleine Dinge helfen viel, wenn es viele machen, man kann Vertrauen in den Euro haben, wenn Viele Vertrauen haben, bleibt er stabil. Wenn nicht, dann nicht. Es ist alles im Leben eine sich selbst erfüllende Prophezeihung. Und bei dem Wort Prophezeihung kommen mir die „Prophezeihungen von Celestine“ in den Sinn oder auch „The Secret“. Ist das ganze Leben einen Prophezeihung? Kann man sich tatsächlich wünschen, was man will, sich vorstellen, was man will, dann loslassen und dann kommt das, was man wollte, wie in „den Bestellungen an das Universum. Ich habe jedenfalls so etwas schon häufiger erlebt, aber das führt zu weit und kann ja auch das „Phänomen der selektiven Aufmersamkeit“ sein. Auf diese Weise wäre es gut, seine 8 Aufmerksamkeit auf das Positive zu lenken, etwas, was ich ja bereits vorhin sprach. Lesen Sie bei der Zeitung das Positive. Erzählen sie anderen davon. Lassen sie das Schreckliche, das sie nichts angeht, weg (oder tun sie was dagegen, dann ist es ok, darüber zu sprechen). Meine Mutter hat das Potenzial in der neueren Entwicklung der Politik leider zu wenig sehen können. Sie hat wenig sehen können, dass es auch was Gutes hat, wenn Konzerne sich zusammenschließen (und es dann weniger Konkurrenz gibt). Sie hat es wenig erkennen können, dass es gut ist, wenn es den Atomausstieg gibt, auch wenn dies angeblich aus wahltaktischen Gründen passiert ist. Wollten wir denn nicht mal, dass die Politik Rücksicht nimmt auf das Volk? Dann müßte das doch eine gute Sache sein, oder? Besonders, wenn es inhaltlich der richtige Schritt ist. Natürlich sind besonders in Deutschland die Titelzeilen der Nachrichten immer schlimm. Only Bad news are good news. Aber es gibt so viele positive Nachrichten und ich glaube, dass die immer mehr werden. Achten Sie einmal in Zukunft darauf. Ihr Blick wird sich verändern. Und dann können wir alle etwas tun. Wir können selbst positive Nachrichten verbreiten. Das ist so wichtig. Stecken Sie andere mit ihrer Begeisterung für das Leben an. In uns steckt ein enormes Potenzial, wenn wir es nur nutzen. In der Politik steckt ein enormes Potenzial, wenn wir sie nur richtig nutzen. Es ist doch fantastisch wie überall Demokratien entstehen und sich auch in den Beziehungen die gewaltfreie Kommunikation durchsetzt. Dazu findet ihr etwas auf einem „Memory-­‐Stick“ (USB-­‐Stick), den ich Euch gemacht habe, den ihr gern draußen wegnehmen könnt. Auf ihm findet ihr Fotos von Heide und hilfreiche MP3 Hörbücher. Und auch ich versuche ja in dieser Sache hier eine gute Nachricht zu verkünden. Ich hoffe, es ist nicht zu früh für Euch. Zu unpassend. Ich habe vielleicht schon mehr Zeit gehabt als ihr und schon genug geheult. Aber ich glaube, so wie von mir beschrieben kann man die Sache sehen. So muss man die Sache sehen, wenn man die Tragik und den Schmerz aushalten will, der so ein Unglück hinterlässt und man nicht zerbrechen will an dem unsinnigen und traurigen Ende eines Menschen, der einem so nah war, wie kein anderer. Auch wenn es schwierig war. Ich lebe ja viel in Symbolen, die auch hier in die Trauerfeier einfliessen: Es gibt einen weißen Schal, der den Islam repräsentiert. Ich weiß nicht, ob der Islam wirklich so intensiv zu Deutschland gehört, wie das Christentum und ich spiele dabei auf die Debatte, die die Äußerung unseres Bundespräsidenten ausgelöst hat. Ich weiß aber dass es hier freundliche Nachbarn gibt, die es gut mit meiner Mutter gemeint haben und als ich unseren Nachbarn Herrn Mehrabi, der meiner Mutter viel Hilfe geleistet hat, fragte, was Moslems machen mit ihren Toten, sagte er, man läge ein weißes weiches Tuch um den Sarg legt. Nun haben wir ein weißes Tuch um die Urne gelegt. Eine kreative Lösung finde ich, um zu zeigen, dass „ehemalige Ausländer“ (ich würde Herrn Mehrabi als 9 Inländer betrachten, so gut ist er hier integriert) als gute Nachbarn zu uns gehören, zu unserem Leben und zu unserem Sterben und wenn ich die Urne mit dem Schal in der Hand halte, stelle ich mir vor, wie das Tuch die Urne wärmt, so wie Herr Mehrabi meine Mutter zu Lebzeiten mit seiner Freundlichkeit gewärmt hat und so soll er sie sogar bis ins Grab bringen. Die Urne werde ich am Schluss mitnehmen und ins Grab senken. Mein Vater hat dies bei seiner Mutter auch gemacht. Sehr zum Entsetzen meiner Mutter allerdings. Denn er hatte das nicht mit ihr abgesprochen. Er aber sagte ihr unter Tränen: “Meine Mutter hat mich unter Schmerzen ins Leben getragen, da werde ich sie doch wohl ins Grab tragen können. „ Ich denke, ich werde das auch können. Ich bin jetzt erwachsen und habe die Gesetze des Lebens kennen gelernt und lerne durch diese Sache enorm dazu. Manchmal schneller als mir lieb ist... Ich habe mir einen Hut mitgebracht. Mein Vater hat ja vor seinem Tod fast eine Glatze gehabt und häufig einen Hut getragen. Der war wichtig. Meine Mutter sagte, sie glaube, der Hut gäbe ihm Kraft. So ist es im Leben: Manchmal ist ein Geburtstagskuchen wichtig, manchmal ist es ein Hut... Man muss sich mit kraftgebenden Dingen umgeben, da bin ich ganz sicher. Das funktioniert. Und natürlich mit kraftgebenden Menschen. Deswegen seid ihr ja hier. Am Ausgang gibt es für Euch einen Memory-­‐Stick, von dem ich schon sprach: Auf dem sind die Lieder zu hören von der Trauerfeier, aber noch mehr. Es gibt darauf eine Menge hilfreicher Hörbucher zum Thema „Leben, aber richtig“, es gibt Humor von Eckard von Hirschhausen mit seinen Programm „Das Glück kommt selten allein“, es gibt etwas über Burnout, ein Thema, was sehr viele im Arbeitsleben bewegt. Dass der Memory-­‐Stick wie eine weiße lange Pille aussieht hat, gefällt mir auch, zeigt es doch, dass der Streit ob nur Medikamente oder ob Psychotherapie vorrangig bei der Hilfe ist, Unsinn ist: Man braucht beides in der richtigen Dosis. Dass auf dem Stick zufällig noch „Transzent“ steht finde ich passt auch. Denn es geht ja hier darum, einen Tod zu transzendieren und aus dieser schrecklichen Geschichte einen Sinn zu geben. Blumen. Viele von Euch haben Blumen mitgebracht. Das ist ein Zeichen des Lebens. Meine Mutter war immer sehr bescheiden und leider waren ihr Geschenke auch immer ein wenig peinlich. Sie gab lieber und sorgte für andere. Warum machen wir es nicht genauso? Werft doch, wenn es passt, eine von Euren Blume ins Grab und schenkt den Rest einem anderen Menschen von hier, vielleicht einem, den ihr noch gar nicht gut kennt. Es kostet etwas Mut auf jemanden zuzugehen, schafft aber Verbindung und Austausch und von den Blumen hat dann ein lebendiger Mensch etwas, der vielleicht noch eine weitere Woche an dieses Ereignis erinnert wird und es hoffentlich in guter Erinnerung behält. 10 Es zeigt, wenn man sich dem Leben zuwendet, wenn man gute Lösungen findet, wenn man nicht etwas Schönes einer Toten opfert, sondern etwas neues ausprobiert, ist für alle genug da. Wir können in einer Welt von Reichtum und Überfluss leben, wenn wir uns vertrauen. Letztlich ist alles eine Frage des Vertrauens. Davon bin ich überzeugt. Menschlich und auch der politischen Ebene. Zum Schluss möchte ich noch die Geschichte lesen, die meine Mutter noch im Emailkasten hatte. Wir haben uns ja täglich angerufen, ich immer beim Wäsche auf oder Abhängen, das war die beste Möglichkeit, aber diese Mail hat sie nicht mehr gelesen. Ich finde aber sie passt gut zu Leben meiner Mutter. Ich hätte mir gewünscht, dass sie gegen Ende mehr der 4. Mensch hätte sein können und musste leider sehen, dass sie immer mehr zu den ersten 3 Menschen wurde, die ihr gleich kennen lernen werdet: Es war einmal ein Engel, der zur Erde kam, um den Menschen und seine Welt kennen zu lernen. Die Schönheit der Welt überwältigte ihn. Er sah die sonnigen Gipfel und dunklen Wälder, der singende Wind und die regenbogenfarbigen Täler. Die Erde war vom Tau geküsst, der Boden roch nach Leben. die Pflanzen erstrahlten in stillem Glanz und die Tiere waren wild und sanft. überall sah er nur Schönheit. Als er den Menschen traf, war er voller Ehrfurcht, denn er hörte die Musik des menschlichen Herzens und das Lied der menschlichen Seele. Er verliebte sich zutiefst in das Mysterium des Menschen. Bald war seine Zeit vorüber, er musste wieder zurück und hatte Tränen in den Augen. Er fühlte sich so unglaublich bereichert durch dieses Abenteuer auf der Erde, dass er aus einfacher Freude heraus einigen von uns auf ihrem Weg helfen wollte. Da sah er vier Menschen miteinander gehen und sagte ihnen, sie hätten einen Wunsch frei. Wie der Zufall will waren sie alle spirituelle Sucher. Der erste sagte: "Ich habe unaufhörlich nach der göttlichen Wahrheit gesucht. Ich habe mich abgestrampelt, gekämpft, abgestrampelt und wieder gekämpft. Gib mir spirituellen Frieden." "Aber sich zu bemühen ist eine der Freuden des Lebens," sagte der Engel und verstand dessen Wunsch nicht. Nachdem der Sucher aber auf dem Wunsch bestand, verwandelte der Engel ihn in eine Kuh, die auf einer ruhigen Weide völlig zufrieden Gras kaute. Ein wenig verstört wendete sich der Engel dem zweiten Menschen zu. "Gott ist rein aber ich bin es nicht," sagte dieser. "Bitte befreie mich von allen Unreinheiten, von jeder Leidenschaft, Gefühlen und Sehnsüchten." "Aber ist das nicht die Quelle des Lebens?" fragte der Engel. "Aber ich will nicht leben, ich will Reinheit!" Der zweite Mensch bestand darauf und eine halbe Sekunde später verschwand er in einen entfernten Tempel als Marmorstatue. Der dritte Mensch sagte: "Mache mich perfekt. Weniger als das kommt für mich nicht in Frage." Er verschwand und tauchte auch nicht mehr auf, denn nichts auf der Erde ist perfekt oder kann es jemals sein. 11 Der Engel wendete sich an den vierten Sucher. "Was ist dein Wunsch?" "Ich habe keinen," antwortete der glückliche Mensch. "Keinen Wunsch?" "Nein, ich möchte nur ganz und gar menschlich sein und lebendig." Eine schon fast erstickte Freude begann im Engel wieder hoch zu keimen. Er schaute liebevoll auf den gesegneten Menschen, lehnte sich über ihn und umarmte ihn in tiefer Liebe. Der vierte Mensch ging weiter auf seinem Weg und sang von der Schönheit Mensch zu sein. Er tanzte aus Lebensfreude. Als der Engel von Gott gefragt wurde, welchen Wunsch er noch habe, sagte dieser: "Schicke mich zurück zur Erde und mache mich wie diesen vierten Menschen." Lasse dies auch dein Wunsch sein. Ich spiele jetzt zum Abschied das Lied für den 11. September, weil ich hoffe, dass die private Tragödie meiner Mutter, ähnlich wie die schreckliche Tragödie in New York sich nach einer Zeit auflöst und dass das Wieder-­‐Hören der Musik, die das Ganze umgibt, einen mit der Zeit versöhnt. Auch in dieser Sache des 11. September 2001 gibt es ja Anzeichen, die uns guter Hoffnung lassen. Ein paar ganz praktische Dinge zum Schluss: Ich werde auf Xing und Facebook angeben, wann ich in Göttingen bin und das wird jetzt häufiger sein. Es gibt eine Menge praktischer Dinge zu regeln und ich bin froh, auf diese Weise alte Freunde wiedersehen zu können. Vielleicht führt das Angeben der Zeiten auf den oben genannten Netzwerken auch zu überraschenden Begegnungen. Beim Leichenschmaus wird kein Alkohol ausgeschenkt. Vielleicht können wir einmal feiern ohne Alkohol, der in dieser Sache soviel Leid verursacht hat. Es gibt Kaffee, aber probiert auch einmal den Tee, er hat weniger Suchtpotenzial und hält länger an. Ich habe viele Tees ausgelegt, für jede Stimmungslage etwas Spezielles. Johanniskrauttee hilft in dunkler Jahreszeit zu guter Stimmung und Entspannung: Etwas, was wir alle jetzt gut brauchen können. Und es wird Annanaskuchen geben, den Kuchen, den mir meine Mutter schickte als es wirklich wichtig war. Es werden dort Fotos von meiner Mutter liegen, auch ein paar Gegenstände, die für sie typisch sind. Das war das Leben meiner Mutter. Nehmt etwas davon mit, Entweder etwas, das ihr brauchen könnt oder etwas zur Erinnerung. Und es wird eine Schokolade ausliegen. Diese Schokolade, eine Streitschlichterschokolade, für die die mit meiner noch im Streit lagen oder im Groll, oder Schuldgefühle haben, nicht genug getan zu haben oder letztlich das Falsche getan zu haben. Esst und nehmt alle davon... Jörg Schumann 12 13