(Keine) Chancen für Bewerber ab 50?

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(Keine) Chancen für Bewerber ab 50?
(Keine) Chancen
für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
August 2008
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Marek Frei
SÖSTRA -Institut für Sozialökonomische Strukturanalysen, Berlin
im Auftrag der
G.I.B.
Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung mbH, Bottrop
vorgelegt im Dezember 2006
2
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Inhaltsverzeichnis
In aller Kürze ......................................................................................................... 4
Vorbemerkungen ................................................................................................... 5
1.
Die Beschäftigungs- und Arbeitsmarktsituation Älterer .......................... 6
2.
Berücksichtigung älterer Bewerber bei Stellenbesetzungen –
Ergebnisse des IAB-Betriebspanels ........................................................ 14
3.
Einstellungshemmnisse – Ergebnisse der Interviews mit
Personalverantwortlichen....................................................................... 19
3.1
Bewerbersuche und -auswahl ................................................................. 19
3.2
Fachkenntnisse...................................................................................... 33
3.3
Körperliche Belastbarkeit........................................................................ 37
3.4
Kündigungsschutz und Lohn-/Gehaltskosten............................................ 40
3.5
Verrentungspraxis.................................................................................. 48
3.6
Verhältnis von Einarbeitungsaufwand und Beschäftigungsperspektive ....... 52
3.7
Altersstruktur der Belegschaften ............................................................. 56
4.
Einfluss von Förderinstrumenten der Bundesagentur für Arbeit auf
das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen ....................... 60
5.
Aktuelle Herausforderungen und Empfehlungen in Bezug auf die
Erhöhung der Einstellungschancen älterer Bewerber .............................. 67
Literatur............................................................................................................... 75
Anhang ................................................................................................................ 79
3
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Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
In aller Kürze
Durch den demografischen Wandel wird das Durchschnittsalter der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen steigen und die Zahl der Erwerbspersonen erheblich zurückgehen. Die deutliche Reduzierung des Angebots an Arbeitskräften könnte dazu führen, dass Unternehmen
zukünftig in stärkerem Maße Angebotspotenziale nutzen, die derzeit nicht auf der personalpolitischen Agenda stehen, wie z. B. ältere und erfahrene Arbeitnehmer.
Gegenwärtig jedoch beschäftigen nur 60 % der Betriebe in Nordrhein-Westfalen noch Mitarbeiter, die 50 Jahre oder älter sind. Die Beschäftigungsquote der 55- bis 64-Jährigen beträgt
in Nordrhein-Westfalen lediglich 39,8 %. Weniger als ein Zehntel aller Stellenbesetzungen
entfallen auf ältere Bewerber. Der Anteil dieser Altersgruppe an den Beschäftigten ist demgegenüber mehr als doppelt so hoch. Gemessen an ihrem Beschäftigtenanteil werden Ältere
somit bei der Besetzung von Stellen eindeutig benachteiligt. Weniger eindeutig ist, warum ältere Bewerber in so geringem Maße bei Stellenbesetzungen berücksichtigt werden.
Zur Beantwortung dieser Frage wurde im Auftrag der Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung NRW (G.I.B.) eine Studie zum Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen in Bezug auf Ältere durchgeführt. Im Ergebnis dieser Untersuchung wurden eine
Reihe von Faktoren herausgestellt, die die Einstellungschancen Älterer verringern. Diese Faktoren berühren unterschiedliche Ebenen, angefangen von rechtlich-institutionellen Regelungen über sachlich begründete Vorbehalte, die aus der Diskrepanz von tätigkeitsspezifischen
Leistungsanforderungen einerseits und dem Leistungsvermögen älterer Bewerber herrühren,
bis hin zur Ebene schlichter Vorurteile, die in der Regel auf Informationsdefiziten beruhen.
Die sich daraus ergebenden Herausforderungen im Hinblick auf die Verbesserung der Einstellungschancen älterer Bewerber sind vielfältig und komplex. Die Verbesserung der Einstellungschancen Älterer setzt nicht nur eine intensivere Auseinandersetzung mit Fragen der Beteiligung älterer Arbeitnehmer an beruflicher Weiterbildung sowie der Gestaltung alternsgerechter Arbeitsplätze voraus, sondern in hohem Maße auch mit den Effekten bestehender
gesetzlicher Rahmenbedingungen.
Der eingeleitete Paradigmenwechsel pro Ältere bleibt durch die derzeit bestehende Widersprüchlichkeit der politischen Signale noch unvollständig. Einerseits wird die Eingliederung Älterer gefördert, andererseits werden massive finanzielle Anreize für die Ausgliederung Älterer
gesetzt. Das Einstellungsverhalten der Betriebe lässt sich nur dann nachhaltig verbessern,
wenn diese Inkonsistenz beseitigt wird. Positive Signale müssen verstärkt, negative Signale
verringert werden. Die Verbesserung der Einstellungschancen älterer Bewerber setzt letztlich
nicht nur eine konsistentere Politik, sondern auch eine entsprechende Arbeitskräftenachfrage
voraus.
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Vorbemerkungen
Ein wesentliches Ziel der gegenwärtigen Arbeitsmarktpolitik besteht darin, die im internationalen Vergleich deutlich geringere Beschäftigungsquote Älterer in Deutschland zu erhöhen. Die Erreichung dieses Ziels entsprechend den Vorgaben der beschäftigungspolitischen
Leitlinien der Europäischen Union1 hängt im Wesentlichen von zwei Komponenten ab: von
der Dauer des Verbleibs älterer Arbeitnehmer im Erwerbsleben sowie dem Ausmaß, in dem
ältere Bewerber bei Stellenbesetzungen berücksichtigt werden.2 Die vorliegende Studie setzt
sich ausschließlich mit dem letzten Punkt auseinander. Im Mittelpunkt dieser Auseinandersetzung steht die Frage, welche Faktoren das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen gegenüber Älteren beeinflussen.
Die Erkenntnisse zum Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen im Hinblick auf ältere Bewerber sowie den zugrunde liegenden Bestimmungsgründen wurden auf zwei Wegen
gewonnen: Neben einer Auswertung relevanter Umfragen und Studien zum Thema wurden
eigenständige Untersuchungen in Unternehmen durchgeführt. Diese betriebsbezogenen Untersuchungen in insgesamt 22 Unternehmen wurden als leitfadengestützte Interviews ausgeführt. Durch diese Vorgehensweise ist die Erfassung des konkreten betrieblichen Entscheidungsverhaltens sowie der Problemlagen und Handlungsperspektiven der einzelnen Unternehmen in differenzierterer Form möglich, als bei reinen standardisierten Befragungen. In
den Interviews mit Geschäftsführern und Personalverantwortlichen wurden potenzielle, im
Ergebnis der Auswertung vorhandener Untersuchungen identifizierte Einflussfaktoren beleuchtet und auf ihre Wirksamkeit im Hinblick auf das Einstellungsverhalten der Unternehmen gegenüber älteren Bewerbern überprüft. Die Interviews mit Personalverantwortlichen
dienen darüber hinaus auch dazu, die Bedeutung herausgestellter Faktoren für die betriebliche Einstellungspraxis am konkreten Beispiel ausgewählter Unternehmen zu veranschaulichen. Es ist wichtig zu betonen, dass aus den Einzelinterviews keine „Hochrechnung“ auf die
Gesamtheit der Unternehmen vorgenommen werden kann. Die Frage danach, wie „groß“
oder „verbreitet“ identifizierte und beschriebene Hemmnisse sind, lässt so ein Vorgehen daher zwangsläufig offen.
Die Auswahl von Unternehmen für Interviews mit Geschäftsführern und Personalverantwortlichen orientierte sich an folgenden Überlegungen. Alle Unternehmen sollten in den letzten
drei Jahren Personaleinstellungen vorgenommen haben. Dabei spielte es keine Rolle, ob
auch ältere Bewerber eingestellt wurden. Durch die Beschränkung auf Unternehmen mit Personaleinstellungen wurde gewährleistet, dass nicht lediglich Meinungen abgebildet werden,
die letztlich unverbindlich bleiben, wenn sie nicht in tatsächliche Einstellungsentscheidungen
umgesetzt werden. Über diesen Punkt hinaus sollte die Auswahl von Betrieben ein möglichst
breites Spektrum an Branchen und Betriebs-größenklassen abbilden, dabei jedoch die gegebene Struktur der Betriebslandschaft angemessen berücksichtigen. Die endgültige Auswahl
konkreter Unternehmen erfolgte auf Basis von bestehenden Betriebskontakten des Autors
sowie von Empfehlungen regionaler Akteure, die sich in der Umsetzung arbeitsmarktpoliti1
2
Vgl. Spidla, Vladimir: Europäische Beschäftigungsstrategie und die Förderung älterer Arbeitnehmer, in:
Sproß, Cornelia (Hrsg.): Beschäftigungsförderung älterer Arbeitnehmer in Europa. BeitrAB 299. Nürnberg
2006, S. 5-12.
In diesem Text wird der Einfachheit halber überwiegend die männliche Form von Begriffen und Bezeichnungen verwendet. Die Verwendung der männlichen Form eines Begriffes oder einer Bezeichnung schließt die
weibliche Form dabei im Allgemeinen ebenso ein wie die Verwendung der weiblichen Form eines Begriffes
oder einer Bezeichnung die männliche Form.
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scher Programme des Bundes, der Länder oder der Bundesagentur für Arbeit engagieren. In
diesem Sinne handelt es sich teilweise um eine Positivauswahl von Unternehmen. Diese Tatsache sowie der Umstand, dass es sich bei den untersuchten Unternehmen ausnahmslos um
solche handelt, die Personaleinstellungen vorgenommen haben und darüber hinaus bereit
waren, über die Bestimmungsgründe ihrer Einstellungsentscheidungen Auskunft zu geben,
muss bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden.
Im Ergebnis der Erkenntnisse zu den Wiederbeschäftigungshemmnissen älterer Arbeitskräfte
und in Auswertung der herausgestellten Zusammenhänge werden abschließend Handlungserfordernisse und Empfehlungen im Hinblick auf die Verbesserung der Einstellungschancen
älterer Arbeitnehmer abgeleitet.
1.
Die Beschäftigungs- und Arbeitsmarktsituation
Älterer
In Nordrhein-Westfalen sind rund 55 % der Beschäftigten in den Betrieben zwischen 35 und
55 Jahre alt, rund ein Drittel der Beschäftigten ist jünger als 35 Jahre, rund ein Zehntel ist 55
Jahre und älter. Die Werte für Nordrhein-Westfalen liegen im bundes-deutschen Durchschnitt
(vgl. Abbildung 1).
Abb. 1:
Altersstruktur der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nach Bundesländern
Baden-Württemberg
Bayern
Berlin
Brandenburg
Bremen
Hamburg
Hessen
Mecklenburg-Vorpommern
Niedersachsen
Nordrhein-Westfalen
Rheinland-Pfalz
Saarland
Sachsen
Sachsen-Anhalt
Schleswig-Holstein
Thüringen
Deutschland
0%
10%
20%
30%
15-34 Jahre
40%
50%
35-49 Jahre
60%
50-54 Jahre
70%
80%
90%
100%
55 J. und älter
Quelle: IAB-Datenbank.
Die Analyse von Beschäftigtenstruktur und Bevölkerung nach Altersjahrgängen zeigt, dass
das Beschäftigungspotenzial älterer Personen im erwerbsfähigen Alter gegenwärtig nur un-
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vollständig genutzt wird. Ein Indikator hierfür ist die Beschäftigungsquote der 55- bis 64Jährigen, d. h. der Anteil der Beschäftigten im Alter zwischen 55 und 64 Jahren an der
Wohnbevölkerung dieser Altersgruppe. Diese beträgt im Durchschnitt aller Bundesländer
41,4 %; in keinem Bundesland liegt sie über 50 % (vgl. Abbildung 2).3
Abb. 2:
Beschäftigungsquote der 55- bis 64-Jährigen nach Bundesländern
Baden-Württemb.
Bayern
Berlin
Brandenburg
Bremen
Hamburg
Hessen
Mecklenburg-Vorp.
Niedersachsen
Nordrhein-Westfalen
Rheinland-Pfalz
Saarland
Sachsen
Sachsen-Anhalt
Schleswig-Holstein
Thüringen
0
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
Beschäftigungsquote in %
Quelle: Darstellung nach Angaben von IAB Regional Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Ältere auf dem
Arbeitsmarkt in Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf 26.05.2006 (Angaben für 2004; aktuellere Daten
auf Bundesländerebene nicht verfügbar).
Die Beschäftigungsquote der 55- bis 64-Jährigen ist unter den westdeutschen Bundesländern
nur im Saarland noch niedriger als in Nordrhein-Westfalen. Die Gesamtbeschäftigungsquote,
also der Bevölkerungsgruppe der 15- bis 64-Jährigen, beträgt in Nordrhein-Westfalen 61,8 %
und im bundesdeutschen Durchschnitt 64,3%. Der Unterschied zwischen dem Bundesland
mit der höchsten und dem mit der niedrigsten Beschäftigungsquote der 55- bis 64-Jährigen
beträgt mehr als 18 Prozentpunkte.4
Wie lassen sich die enormen Unterschiede zwischen den Bundesländern erklären? Sind diese
auf ein unterschiedliches Einstellungsverhalten der Betriebe in Bezug auf ältere Bewerber zu-
3
4
Nach der Definition der Eurostat-Arbeitskräftestichprobe gelten Personen als Beschäftigte, die älter als 15
Jahre sind und die in der Referenzwoche der Erhebung mindestens eine Stunde einer bezahlten Arbeit nachgingen. Als Beschäftigte zählen auch mithelfende Familienangehörige.
Quelle: IAB Regional Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Ältere auf dem Arbeitsmarkt in Nordrhein-Westfalen.
Düsseldorf 26.05.2006.
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Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
rückzuführen? Haben die Betriebe in Baden-Württemberg und Bayern ein anderes, ein positiveres „Altenbild“ als Betriebe in Nordrhein-Westfalen oder im Saarland?
Wie der Blick auf Untersuchungen aus den entsprechenden Ländern zeigt, vermutlich nicht.5
Es scheint vielmehr so zu sein, dass die beobachteten Unterschiede mit der allgemeinen
Nachfrage am regionalen Arbeitsmarkt in Beziehung gesetzt werden müssen, wobei das
Ausmaß der durchschnittlichen Arbeitslosigkeit als Indikator für die Nachfrage in der jeweiligen Region betrachtet werden kann. Im Hinblick auf die Arbeitslosenquote nimmt NordrheinWestfalen unter den westdeutschen Bundsländern den vorletzten Platz ein, nur in Bremen ist
die Quote noch schlechter.
Ein Vergleich der Beschäftigungsquoten der 55-65-Jährigen und der durchschnittlichen Arbeitslosenquoten in den einzelnen Bundesländern bestätigt den vermuteten Zusammenhang.
In fast allen Bundesländern, in denen die Arbeitslosenquote deutlich unterhalb des Durchschnittswertes liegt, ist ein höherer Anteil älterer Erwerbspersonen tätig als in Bundesländern
mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit (vgl. Tabelle 1).
5
Vgl. Bangali, Lucy u. a.: Beschäftigungsfähigkeit älterer Fachkräfte in Baden-Württemberg. Stuttgart 2003;
Böhme, Stefan; Eigenhüller, Lutz; Heinecker, Paula; Kistler, Ernst: Beschäftigungstrends im Freistaat Bayern
2005. Repräsentative Analysen auf Basis des IAB-Betriebspanels 2005. Bericht an das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen und die Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit. Stadtbergen 2006; Dann, Sabine u. a.: Zur Situation älterer Arbeitnehmer in BadenWürttemberg. Eine empirische Analyse bestehender Beschäftigungshemmnisse aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmersicht. Tübingen 2004; Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft e.V.: Einstellungsverhalten
und personalpolitische Strategien in saarländischen Unternehmen und Gebietskörperschaften. Ergebnisse einer Befragung von Personalverantwortlichen im Jahr 2003. Saarbrücken 2004.
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Tab. 1:
Beschäftigungsquote der 55-65-Jährigen und Arbeitslosenquote insgesamt nach Bundesländern*
Bundesland
Baden-Württemberg
Bayern
Schleswig-Holstein
Hamburg
Hessen
Rheinland-Pfalz
Bremen
Niedersachsen
Nordrhein-Westfalen
Berlin
Thüringen
Brandenburg
Sachsen
Saarland
Sachsen-Anhalt
Mecklenburg-Vorpommern
Deutschland
Beschäftigungsquote
Arbeitslosenquote
der 55-65-Jährigen
insgesamt
in %
48,6
46,7
45,1
43,6
43,3
41,4
41,2
40,4
39,8
37,8
37,1
35,6
34,5
32,2
31,3
30,3
41,4
6,2
6,9
9,8
9,7
8,2
7,7
13,3
9,6
10,2
17,6
16,7
18,7
17,8
9,2
20,3
20,5
10,5
Quelle: IAB Regional Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Ältere auf dem Arbeitsmarkt in NordrheinWestfalen. Düsseldorf 26.05.2006; Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.): Arbeitsmarkt 2004. Amtliche
Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, 53. Jg., Sondernummer, 30.08.2005; *Angaben jeweils
für 2004.
Die Beschäftigungssituation von Älteren scheint somit der allgemeinen regionalen Beschäftigungslage und Arbeitskräftenachfrage zu folgen. Wie der oben dargestellte Zusammenhang
deutlich macht, sind die Einstellungschancen für Bewerber, egal ob Jüngere oder Ältere,
Frauen oder Männer, in Bundesländern mit unzureichender Arbeitskräftenachfrage scheinbar
generell ungünstiger als in solchen, bei denen das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage weniger unausgeglichen ausfällt.
Die Wiedereingliederung älterer Arbeitsloser in das Beschäftigungssystem ist der entscheidende Punkt der Altersproblematik am Arbeitsmarkt.6 Die Wiederbeschäftigungschancen
einmal freigesetzter älterer Arbeitnehmer sind wesentlich schlechter als von unter 50jährigen Arbeitslosen (vgl. Abbildung 3).
6
Vgl. Dahlbeck, Elke; Wojtkowski, Sascha: Beschäftigungslosigkeit Älterer in NRW, IAT-Report 2005-05, Gelsenkirchen 2005.
9
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Abb. 3:
Wiederbeschäftigungsquote7 nach Altersgruppen in Nordrhein-Westfalen
39,6
Durchschnitt
38,7
38,5
36,9
36,7
Wiederbeschäftigungsquote in %
33,9
29,2
17,7
15,3
7,3
unter 20
20 - 24
25 - 29
30 - 34
35 - 39
40 - 44
45 - 49
50 - 54
55 - 59
60 - 64
Altersgruppe
Quelle: Berechnungen und Darstellung nach Angaben der Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen
der Bundesagentur für Arbeit (Angaben für 2004; aktuellere Daten sind nicht verfügbar).
Der Blick auf die Abgangsziele von arbeitslosen Erwerbspersonen in Nordrhein-Westfalen
zeigt, dass – vor dem Hintergrund einer allgemein hohen Arbeitslosenquote – die Wahrscheinlichkeit einer Wiederbeschäftigung für arbeitslose Erwerbspersonen ab 50 Jahren, die
insgesamt etwa ein Viertel der knapp 1 Mio. Arbeitslosen in Nordrhein-Westfalen stellen, besonders gering ist. So sinkt die Wiederbeschäftigungsquote, d. h. die Zahl der Abgänge arbeitslos gemeldeter Personen in Erwerbstätigkeit an den Abgängen insgesamt, mit zunehmenden Alter deutlich. Während bei den 50- bis 54-Jährigen immerhin noch knapp 30 % der
Betroffenen der Übergang von der Arbeitslosigkeit in die Erwerbstätigkeit gelingt, sind es bei
den 55- bis 59-Jährigen nur noch rund 15 % und bei den 60- bis 64-Jährigen noch nicht
einmal 10 %.
Demografische Entwicklung – Bedrohung oder Chance?
Die mittlere Variante der 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen
Bundesamtes prognostiziert mit einer angenommenen Nettozuwanderung von 200.000 und
einer angenommenen mittleren Steigerung der Lebenserwartung bis 2050 eine gesamtdeutsche Bevölkerungszahl von rund 75 Mio. Personen. Während das Durchschnittsalter der
deutschen Bevölkerung zwischen 2002 und 2020 um 3,8 Jahre ansteigen wird (Westdeutschland: 3,3 Jahre; Ostdeutschland 5,1 Jahre), erhöht sich der Altersdurchschnitt der Bevölke-
7
Die Wiederbeschäftigungsquote ist definiert als prozentualer Anteil der Arbeitslosen, die in Arbeit abgehen,
an allen Abgängen aus der Arbeitslosigkeit.
10
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rung im Erwerbsalter bis 2020 um 1,7 Jahre.8 Auch in Nordrhein-Westfalen wird das Durchschnittsalter der Bevölkerung steigen und die Zahl der Erwerbspersonen erheblich zurückgehen. Entsprechend den Berechnungen des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik
Nordrhein-Westfalen verläuft dieser Rückgang kontinuierlich und beziffert sich bis zum Jahr
2050 auf 1,85 Millionen Personen; das entspricht einer Reduzierung des Erwerbspersonenvolumens gemessen an 2005 um 22 %. In kurzfristiger Hinsicht, also bis 2010 ist demgegenüber noch eine geringe Steigerung der Erwerbspersonenzahl zu erwarten.9
Aus den erwarteten Entwicklungen werden nun unterschiedliche Szenarien abgeleitet, die
sich ihrerseits mit bestimmten Grundannahmen und Konsequenzen für die ReIntegrationschancen älterer Arbeitnehmer verbinden. Aus der Annahme einer deutlichen Reduzierung des Angebots an Arbeitskräften wird der Schluss gezogen, dass Unternehmen zukünftig Potenziale nutzen müssen, gewissermaßen zwangsläufig und damit aus eigenem betrieblichen Interesse heraus, die gegenwärtig nicht auf der personalpolitischen Agenda stehen, wie z. B. Ältere. In der stärkeren (Wieder-) Beschäftigung künftiger Kohorten älterer
Erwerbspersonen wird zunehmend eine Möglichkeit gesehen, die erwartete demografisch bestimmte Lücke im Arbeitskräfteangebot zu schließen. In einer Pressemitteilung der Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen der Bundesagentur für Arbeit aus dem Jahr 2004 bspw., in der
die Initiative für ältere Langzeitarbeitslose in Nordrhein-Westfalen angekündigt wurde, ist die
Rede von einem „absehbaren Fachkräftemangel“ und „absehbar dringend benötigten älteren
Arbeitskräften“. 10 Stehen der Wirtschaft demnach – gemessen am Bedarf der Unternehmen
– bald zu wenig Arbeitskräfte zur Verfügung? Wird sich die Arbeitsmarktlage für ältere Arbeitnehmer gar umkehren und diese in Fragen Beschäftigungs- und Integrationschancen zu
Gewinnern des demografischen Wandels machen?
Wenngleich es keinesfalls unrealistisch erscheint, dass die Bereitschaft der Unternehmen, ältere Arbeitnehmer einzustellen, durch veränderte Angebotssituationen generell erhöht werden könnte, besteht eine große Unsicherheit in der Frage, ob die prognostizierte Verknappung des Arbeitskräfteangebotes tatsächlich in der angenommenen Schärfe eintreten wird,
zudem durch eine Förderung und Ausweitung der Frauenerwerbstätigkeit, eine Verkürzung
der Ausbildungszeiten sowie eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit („Rente mit 67“)
durchaus noch Arbeitskräftereserven zur Verfügung stehen. Die Eintreffenswahrscheinlichkeit
des prognostizierten Szenarios hängt zudem entscheidend von der Entwicklung der Arbeitskräftenachfrage ab, und diese kann, anders als die Entwicklung des Arbeitskräfteangebots,
gegenwärtig kaum seriös eingeschätzt werden. Es muss somit offen bleiben, welches Arbeitskräftepotenzial unter den Bedingungen einer globalisierten Wirtschaft und rasanter Produktivitätssteigerungen überhaupt noch benötigt wird. Jedenfalls kann keineswegs von einem demografischen Automatismus, der das generelle Problem der Unterbeschäftigung quasi von selbst löst, ausgegangen werden.11
8
9
10
11
Kistler, Ernst; Ebert, Andreas: Demografischer Wandel und Arbeitsmarkt – Deutschland, in: Verband Deutscher
Rentenversicherer (Hrsg.): Smart Region. Eine innovative Maßnahme zur Bewältigung des demografischen
Wandels in europäischen Regionen, Bad Homburg 2005, S. 101-124.
Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen: Auswirkungen des demografischen Wandels. Aktualisierte Ergebnisse der Modellrechnungen für die Bereiche Haushalte, Erwerbspersonen und Pflegebedürftigkeit, Statistische Analysen und Studien Nordrhein-Westfalen, Band 38. Düsseldorf 2006.
Vgl. NRW-Arbeitsministerium und Bundesagentur für Arbeit starten neue Initiative. Pressemitteilung der Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen der Bundesagentur für Arbeit vom 24.6.2004.
Vgl. Kistler, Ernst; Huber, Andreas: Entlastet die demografische Entwicklung den Arbeitsmarkt nachhaltig? Kein
Licht am Ende des Tunnels, in: Kistler, Ernst; Mendius, Hans G. (Hrsg.): Demografischer Strukturbruch und Arbeitsmarktentwicklung. Probleme, Fragen, erste Antworten. SAMF-Jahrestagung 2001. Stuttgart 2002.
11
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Welche Betriebe beschäftigen überhaupt noch ältere Arbeitnehmer?
Wie sieht die Realität gegenwärtig aus? Welche Betriebe beschäftigen überhaupt noch ältere
Arbeitnehmer? Nach den Ergebnissen des IAB-Betriebspanels Nordrhein-Westfalen beschäftigen rund 40 % der Betriebe in Nordrhein-Westfalen nicht einen einzigen Mitarbeiter, der 50
Jahre oder älter ist (vgl. Abbildung 4).12
Abb. 4:
Struktur der Betriebe in Nordrhein-Westfalen nach dem Anteil älterer Arbeitnehmer an der
Belegschaft
unter 10 % Ältere
12 %
10 % bis unter 20 %
Ältere
keine Älteren
12 %
40 %
20 % bis unter 30 %
Ältere
10 %
30 % bis unter 50 %
Ältere
50 % und mehr Ältere
9%
17 %
Quelle: Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen der Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.): IABBetriebspanel NRW 2004, Ältere im Betrieb. Düsseldorf 2006.
Lässt sich aus diesem Befund schlussfolgern, dass ein Großteil der Betriebe in NordrheinWestfalen Vorbehalte gegenüber älteren Arbeitnehmern hat. Muss die vergleichsweise hohe
Zahl von Betrieben ohne einen einzigen älteren Beschäftigten als ein Ausdruck für eine altersdiskriminierende Personalpolitik in den Betrieben betrachtet werden? Vor der Beantwortung dieser Frage ist es hilfreich, die Ergebnisse zur Verbreitung der Beschäftigung älterer
Arbeitnehmer zusätzlich nach der Betriebsgrößenklassenzugehörigkeit zu differenzieren. Bei
Betrieben mit weniger als fünf Beschäftigten haben einerseits 57 % überhaupt keine Mitarbeiter im Alter 50 Jahre oder älter, andererseits aber 31 % mindestens 50 % Ältere. Der Anteil von Betrieben mit einer mittleren Altersstruktur, also Anteilen Älterer zwischen 10 % und
12
Diese und die folgenden Angaben beziehen sich auf alle Betriebe mit mindestens einem sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, nicht jedoch auf Betriebe ohne sozialversicherungspflichtig Beschäftigte wie z. B. EinPersonen-Betriebe. In Nordrhein-Westfalen haben rund 410.000 Betriebe mindestens einen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (vgl. Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit [Hrsg.]: IABBetriebspanel NRW, Report 2004. Düsseldorf 2006).
12
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
30 %, beträgt in der kleinsten Größenklasse lediglich 4 %. Der Anteil von Betrieben dieser
Größenklasse an allen Betrieben in Nordrhein-Westfalen beträgt 41 %, an den Beschäftigten
allerdings nur 6 %. Völlig anders stellt sich die Situation bei Betrieben mit mindestens 500
Beschäftigten dar. Hier beträgt der Anteil von Betrieben mit einer mittleren Altersstruktur
rund 80 %. Lediglich 1 % der Betriebe dieser Größenklasse haben mehr als 50 % Ältere,
während es andererseits keinen einzigen Betrieb in dieser Größenklasse gibt, der nicht mindestens einen älteren Mitarbeiter beschäftigt. Betriebe dieser Größenklasse stellen in Nordrhein-Westfalen zwar weniger als 1 % aller Betriebe, aber rund 20 % der Beschäftigten (vgl.
Abbildung 5).
Abb. 5:
Altersstruktur in den Betrieben in Nordrhein-Westfalen nach Betriebsgrößenklassen
100%
90%
80%
70%
50% und mehr Ältere
30% bis unter 50% Ä.
20% bis unter 30% Ä.
10% bis unter 20% Ä.
unter 10% Ä.
0% Ältere
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
1 bis 4
5 bis 9
10 bis 19
20 bis 99
100 bis 499
ab 500
Betriebsgrößenklasse (Zahl der Beschäftigten)
Quelle: Darstellung nach Angaben der Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen der Bundesagentur
für Arbeit (Hrsg.): IAB-Betriebspanel NRW 2004, Ältere im Betrieb, Düsseldorf 2006.
Die populäre und vielfach verbreitete Meinung, wonach es in Deutschland kaum noch Betriebe gibt, die ältere Arbeitnehmer beschäftigen, überzeichnet die wahre Situation und erzeugt
ein Bild, dass so nicht stimmt. Das geläufige Bild von der vermeintlich geringen Verbreitung
der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer ist in erster Linie auf das starke Gewicht von Kleinstbetrieben, mit dem diese in die Bildung des Durchschnittswerts einfließen, geschuldet. Bei
sachlicher Betrachtung zeigt sich, dass die Beschäftigung Älterer in Deutschland keinen Exo-
13
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
ten vorbehalten ist, sondern im Gegenteil weit verbreiteter ist als gemeinhin angenommen
wird.13
2.
Berücksichtigung älterer Bewerber bei
Stellenbesetzungen – Ergebnisse des IABBetriebspanels
Einstellungsbereitschaft von Personalverantwortlichen in Bezug auf ältere Bewerber relativ hoch
Die Ergebnisse vorliegender Befragungen zeigen, dass die prinzipielle Einstellungsbereitschaft von Personalverantwortlichen hinsichtlich älterer Bewerber relativ hoch ist. Die Umfragen scheinen das Pauschalurteil, wonach in Deutschland die Betriebe keine älteren Menschen
mehr einstellen möchten, zu widerlegen. So wären rund 58 % der Betriebe in NordrheinWestfalen grundsätzlich bereit, auch ältere Bewerber einzustellen (vgl. Abbildung 6).
Abb. 6:
Einstellungsbereitschaft von Personalverantwortlichen in Nordrhein-Westfalen in Bezug auf
ältere Bewerber
Einstellung ohne
Bedingungen
58 %
grundsätzlich keine
Einstellung Älterer
16 %
nur unter bestimmten
Voraussetzungen
26 %
(in %)
31
nur, wenn keine
jüngeren Bewerber
27
nur als
Teilzeitkräfte
23
nur mit
Lohnkostenzuschüssen
19
nur mit
befristetem Vertrag
Quelle: Darstellung nach Angaben der Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen der Bundesagentur
für Arbeit (Hrsg.): IAB-Betriebspanel NRW 2004, Ältere im Betrieb, Düsseldorf 2006.
13
Vgl. hierzu auch Promberger, Markus: Ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt und im Betrieb, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Sozialpolitische Flankierung einer verlängerten Erwerbsphase, Bonn 2004, S. 2139.
14
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Demgegenüber würden rund 16 % der Betriebe ältere Bewerber grundsätzlich nicht einstellen. Weitere 26 % lehnen ältere Bewerber nicht grundsätzlich ab, würden eine Einstellung
aber an bestimmte Voraussetzungen knüpfen, wie z. B. einem Fehlen jüngerer Bewerber,
was auf spezifische komparative Nachteile Älterer im Vergleich zu Jüngeren hinweist. Etwas
mehr als jeder vierte Betrieb, der die Einstellung Älterer an bestimmte Voraussetzungen
knüpft, würde ältere Bewerber lediglich als Teilzeitkräfte beschäftigen wollen, was auf eventuelle Probleme hinsichtlich der Belastbarkeit der Älteren hinweisen könnte. Andere Betriebe
gaben an, ältere Bewerber allenfalls mit Lohnkostenzuschüssen einstellen zu wollen, was
darauf hindeutet, dass die Lohn- und Gehaltskosten Älterer – gemessen an deren erwarteter
Produktivität – zumindest für einen Teil der Betriebe zu hoch sein könnten. Eine nicht geringe Zahl von Betrieben würde Ältere letztlich nur mit einem befristeten Arbeitsvertrag einstellen, was auf Probleme hinsichtlich des Kündigungsschutzes hindeuten könnte.
Die Ergebnisse des IAB-Betriebspanels wurden in anderen Untersuchungen bestätigt. In einer branchenübergreifenden Umfrage des Personaldienstleisters Randstad bspw. gaben
mehr als 60 % von 330 befragten Personalverantwortlichen kleiner, mittlerer und großer Unternehmen in der gesamten Bundesrepublik an, dass es keine grundsätzliche Altersbegrenzung für Bewerber in ihren Unternehmen gibt. Demgegenüber gilt für rund 16 % der Befragten ein Interessent ab 50 Jahren als zu alt.14
Berücksichtigung älterer Bewerber bei Stellenbesetzungen deutlich geringer als
die Einstellungsbereitschaft
Inwieweit schlägt sich die bekundete Bereitschaft der Betriebe, auch ältere Bewerber bei der
Besetzung von Stellen zu berücksichtigen, in der tatsächlichen Einstellungspraxis nieder?
Nach den Angaben des IAB-Betriebspanels Nordrhein-Westfalen wurden lediglich rund 9 %
aller Stellen15 mit Personen im Alter 50 Jahre oder älter besetzt. Interessanterweise lagen
nur bei rund 21 % der angebotenen Stellen überhaupt Bewerbungen Älterer vor, d. h. auf
rund vier Fünftel des Stellenangebots in Nordrhein-Westfalen – gemessen an der Zahl der
angebotenen und besetzten Stellen – haben sich Ältere überhaupt nicht beworben, lagen also ausschließlich Bewerbungen jüngerer Personen vor.
Um die Einstellung Älterer zu fördern, wird von verschiedener Seite vorgeschlagen, in Stellenanzeigen auf die Angabe einer Altersgrenze zu verzichten. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse des IAB-Betriebspanels Nordrhein-Westfalen ist jedoch zu bezweifeln, ob diese
Maßnahme hilfreich sein kann und ausreicht, um das Einstellungsverhalten der Betriebe
nachhaltig zu beeinflussen. Lediglich 3 % der angebotenen und besetzten Stellen in Nordrhein-Westfalen wurden von vornherein nur für Personen unter 50 Jahren ausgeschrieben.
14
15
Vgl. Randstad Deutschland Pressestelle (Hrsg.): Chancen für Arbeitnehmer ab 50 besser als gedacht – zu
wenig Bewerbungen von über 50 jährigen, Pressemitteilung, Januar 2006.
Etwa jeder fünfte Betrieb in Nordrhein-Westfalen hat im ersten Halbjahr 2004 Arbeitskräfte eingestellt. In
diesen rund 82.000 Betrieben wurden im genannten Zeitraum insgesamt ca. 295.000 Personaleinstellungen
vorgenommen, d. h. 3,6 Personen pro Betrieb. Die Angaben im Text beziehen sich auf alle zuletzt besetzten
Stellen im ersten Halbjahr 2004. Die entsprechende Frage lautete: „Wenn Sie einmal an die Stelle denken,
die Sie zuletzt besetzt haben: Haben sich auf diese Stelle Personen beworben, die älter als 50 Jahre waren?“
(vgl. Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen der Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.): IAB-Betriebspanel NRW
2004, Ältere im Betrieb. Düsseldorf 2006.
15
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Altersselektive Stellenanzeigen wie die folgende sind daher als Ausnahme zu betrachten (vgl.
Abbildung 7).16
Abb. 7:
Beispiel einer Stellenanzeige mit Altersobergrenze
Quelle: Bundesagentur für Arbeit
Stark selektives Bewerbungsverhalten der Älteren
Das Interesse älterer Bewerber verteilt sich scheinbar nicht gleichmäßig, wie die Ergebnisse
des IAB-Betriebspanels Nordrhein-Westfalen zeigen. So lagen den Betrieben in der Landund Forstwirtschaft bei 94 % der angebotenen und besetzten Stellen keine Bewerbungen Älterer vor. Ähnlich stellt sich die Situation für das Baugewerbe und den Bereich der übrigen
Dienstleistungen dar (u. a. Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe, Reinigung). Auch hier
16
Am 18.8.2006 ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft getreten. Arbeitgeber sind gesetzlich dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass kein Beschäftigter bzw. Bewerber aufgrund von Rasse, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderungen, Alter oder sexueller Identität benachteiligt wird (§ 7 AGG). Die Angabe von Altersobergrenzen oder Aussagen in Stellenanzeigen wie „Unser
junges Team sucht junge, dynamische Mitarbeiter“ können zukünftig den Tatbestand der Ungleichbehandlung erfüllen. Um sich rechtlich abzusichern, müssen Personalverantwortliche ihre Stellenanzeigen daher so
neutral und objektiv wie möglich verfassen. Nach § 10 AGG ist unter gesetzlich definierten Voraussetzungen
eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch
ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist, z. B. auf Grund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand.
16
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
lagen den Betrieben in Nordrhein-Westfalen eigenen Angaben zufolge fast ausschließlich Bewerbungen von jüngeren Bewerbern vor. Zu den Bereichen, in denen der Anteil von Stellen
mit Bewerbungen Älterer demgegenüber vergleichsweise hoch ausfällt, gehören die Bereiche
Verkehr- und Nachrichtenübermittlung (u. a. Transportgewerbe wie z. B. Taxigewerbe, Speditionen, Kurierdienste, Call-Center) und öffentliche Verwaltung. Auf 53 % bzw. 33 % der in
den beiden genannten Wirtschaftszweigen angebotenen und besetzten Stellen lagen den Betrieben bzw. Dienststellen auch Bewerbungen von 50-Jährigen und älteren Personen vor. Im
Fall der öffentlichen Verwaltung ist dies besonders interessant, weil hier der Anteil von 50Jährigen und älteren Personen an den Beschäftigten höher ist als in jedem anderen Wirtschaftszweig.17
Der Blick auf die Verteilung nach Betriebsgrößenklassen liefert ebenfalls interessante Erkenntnisse. So steigt der Anteil der angebotenen und besetzten Stellen, bei denen auch Bewerbungen älterer Personen vorlagen, mit der Größe des Betriebes. Bei Betrieben mit mehr
als 250 Mitarbeitern beispielsweise haben sich auf mehr als die Hälfte der angebotenen und
besetzten Stellen auch ältere Personen beworben. Demgegenüber haben sich bei Betrieben
mit weniger als 10 Mitarbeitern noch nicht einmal bei 10 % der Stellen auch Personen der
Altersgruppe 50 Jahre oder älter beworben. Es sind somit die tendenziell größeren Betriebe,
wo sich Ältere scheinbar noch am ehesten Chancen auf eine Einstellung ausrechnen, und
sich daher auch auf deren Stellenangebote bewerben. Kleinere Betriebe erhalten demgegenüber deutlich seltener Bewerbungen älterer Personen auf ihre Stellenangebote. Liegen den
kleineren Betrieben jedoch Bewerbungen älterer Personen vor, dann werden sie scheinbar in
höherem Maße eingestellt als bei größeren Betrieben (vgl. Abbildung 8).
17
Vgl. Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen der Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.): IAB-Betriebspanel NRW
2004, Ältere im Betrieb. Düsseldorf 2006.
17
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Abb. 8:
Bewerbungen älterer Personen und Berücksichtigung älterer Bewerber in
Betrieben der einzelnen Betriebsgrößenklassen
Anteil von Stellen, die mit älteren Bewerbern
besetzt wurden - bezogen auf alle Stellen, bei
denen Bewerbungen Älterer vorlagen
100
100
90
90
80
80
70
70
60
60
50
50
40
40
30
30
20
20
10
10
0
Anteile in %
Anteile in %
Anteil von Stellen, auf die sich auch
Ältere beworben haben - bezogen auf alle
Stellen
0
5 bis 9
10 bis 49
50 bis 249
Zahl der Beschäftigten
ab 250
5 bis 9
10 bis 49
50 bis 249
ab 250
Zahl der Beschäftigten
Quelle: Darstellung nach Angaben der Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen der Bundesagentur
für Arbeit (Hrsg.): IAB-Betriebspanel NRW 2004, Ältere im Betrieb. Düsseldorf 2006.
Die Ergebnisse des IAB-Betriebspanels sowie anderer Befragungen zeigen, dass ein Großteil
der Betriebe Ältere beschäftigt und schätzt sowie grundsätzlich auch bereit wäre, ältere Arbeitnehmer bei der Besetzung von freien Stellen zu berücksichtigen. Bei der tatsächlichen
Stellenbesetzung werden Ältere jedoch kaum berücksichtigt. Wie lässt sich dies erklären?
Verbirgt sich hinter der unverbindlich geäußerten, relativ hohen Einstellungsbereitschaft der
Personalverantwortlichen lediglich politisch korrektes Antwortverhalten? Ist die Zahl der Betriebe mit Vorbehalten in der Praxis viel höher? Oder handelt es sich bei jenen Betrieben ohne Vorbehalte genau um solche, die kaum einstellen? Sind möglicherweise Betriebe mit Personaleinstellungen genau jene, die einer Einstellung älterer Bewerber skeptisch gegenüber
stehen? Und vor allem, worin bestehen eigentlich die Hemmnisse, die einer stärkeren Berücksichtigung älterer Bewerber entgegenstehen? Von welchen Überlegungen lassen sich die
Personalverantwortlichen bei Stellenbesetzungen leiten? Der Autor hat im Rahmen der Interviews mit Personalverantwortlichen versucht, mögliche Hemmnisse einer Beschäftigung Älterer näher zu beleuchten. Es wird davon ausgegangen, dass die Konzentration auf die Leistungsfähigkeit Älterer und somit der „Nutzenseite“, wie in einigen Untersuchungen18 erfolgt,
das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen nur eingeschränkt erklären kann. Um
begründen zu können, warum jüngere Bewerber älteren Bewerbern vorgezogen werden,
18
Vgl. z. B. Dann, Sabine u. a.: Zur Situation älterer Arbeitnehmer in Baden-Württemberg. Eine empirische Analyse bestehender Beschäftigungshemmnisse aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmersicht. Tübingen 2004.
18
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
muss auch die „Kostenseite“ berücksichtigt werden. Bei der Analyse solcher „Kostenaspekte“,
die das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen in Bezug auf ältere Bewerber beeinflussen, werden Faktoren unterschiedlicher Einflussebenen herausgestellt: Tätigkeitsanforderungen in fachlicher Hinsicht als auch in der Frage körperlicher Belastungen, Regelungen zum Kündigungsschutz, Lohn- und Gehaltsaspekte, betriebliche Altersstrukturen sowie
staatliche Anreize zur Frühverrentung. Die Ergebnisse werden in den folgenden Abschnitten
vorgestellt.19
3.
Einstellungshemmnisse – Ergebnisse der
Interviews mit Personalverantwortlichen
3.1
Bewerbersuche und -auswahl
„Altersgrenzen sind aus unserer Sicht nur dann diskriminierend, wenn es keinen
sachlichen Grund für eine Benachteiligung, für ein Anknüpfen an das Alter gibt.“20
In den folgenden Ausführungen geht es zunächst um die Frage, in welchem Maße das Lebensalter von Bewerbern eine Rolle bei der Stellenbesetzung spielt. Experten vermuten, dass
bei einer hohen Zahl von Bewerbungen auf Stellenangebote, gewöhnlich ist dies der Fall bei
hoher Arbeitslosigkeit, sich Personalverantwortliche möglicherweise veranlasst sehen, im
Prozess der ersten Selektion auf möglichst einfache, kostengünstige und wenig zeitaufwändige Auswahlkriterien zu setzen. Dies könnte umso mehr in kleinen Betrieben gelten, in denen es in der Regel keine spezifischen Kapazitäten für Personalfragen gibt, und Personalauswahl- und Einstellungsentscheidungen in der Regel von den Geschäftsführern getroffen
werden müssen. Ein scheinbar besonders einfaches Kriterium ist das Lebensalter: „Das Alter
lässt sich in Zahlen ausdrücken und hat damit, unabhängig von allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Abkopplung von Lebensjahren und biologischem Alter und zum grundsätzlichen Zusammenhang von Alter und Leistungsfähigkeit, für die Personalverantwortlichen auf
jeden Fall den Vorteil der einfachen Handhabung.“21 Diese Vereinfachung führt zu einer Pauschalisierung der „Gruppe der 50-Jährigen und Älteren“.
Lebensalter der Bewerber für jeden zweiten Personalverantwortlichen entscheidendes Selektionskriterium
Das Lebensalter von Bewerbern stellt nach Aussagen der befragten Personalverantwortlichen22 in etwas weniger als der Hälfte der untersuchten Betriebe kein Kriterium dar, das automatisch zu einem Ausschluss älterer Bewerber führen würde. Ältere Bewerber werden hier
von den Personalverantwortlichen nicht als homogene Bewerbergruppe wahrgenommen:
19
20
21
22
Die hier herausgestellten Einflussfaktoren wurden im Ergebnis eines im Vorfeld der Befragung erarbeiteten
Thesenpapiers entwickelt (vgl. Anhang).
Klumpp, Guido von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (vgl. Deutscher Bundestag,
Protokoll Nr. 15/51, 15. Wahlperiode, Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 51. Sitzung, Teil
I - Wortprotokoll*, Berlin, 07.03.2005.
Koller, Barbara; Gruber, Hannelore: Ältere Arbeitnehmer im Betrieb und als Stellenbewerber aus Sicht der
Personalverantwortlichen; in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Heft 4, 34. Jg., Nürnberg 2001, S. 483.
In den größeren Betrieben werden Einstellungsentscheidungen ausnahmslos von entsprechend qualifizierten
Personalleitern getroffen, in den kleineren Betrieben demgegenüber von den Geschäftsführern, welche in
der Regel über einen technischen Ausbildungshintergrund verfügen.
19
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
„Es gibt keine Obergrenze. Wenn der Bewerber über die nötigen Kenntnisse verfügt, gesund
ist und keine unerfüllbaren Lohnvorstellungen hat, dann wäre das überhaupt kein Problem,
dann würde ich auch einen 60-Jährigen einstellen.“ (Geschäftsführer eines Kleinbetriebes,
Maschinenbau)
„Wir haben derzeit gerade eine Stelle für einen Konstrukteur ausgeschrieben, zwei Jahre befristet. Da haben wir keine Altersgrenze vorgegeben. Warum soll der nicht 60 sein? Von mir
aus.“ (Personalleiter eines mittelgroßen Betriebes, Fahrzeugbau und -teile)
„Bei uns gibt es keine Altersobergrenze. Ob jemand bei uns eingestellt wird oder nicht, hängt
nicht vom Alter ab.“ (Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes, Datenverarbeitung und Datenbanken)
Demgegenüber gab etwas mehr als jeder zweite der befragten Personalverantwortlichen an,
dass Bewerber, die ein bestimmtes Alter überschritten haben, bei der Vorauswahl und Selektion von Bewerbungsunterlagen gewöhnlich nicht mehr berücksichtigt werden. In keinem
dieser Betriebe gibt es irgendwelche Festlegungen oder formale Anweisungen, vielmehr handelt es sich um sogenannte „praktizierte Grenzen“; die Altersgrenze befindet sich gewissermaßen „im Kopf der Personalverantwortlichen“ und gewinnt Realität durch das praktische
Handeln. Das Vorhandensein von Altersobergrenzen schließt jedoch nicht aus, dass auch ältere Bewerber bei Stellenbesetzungen berücksichtigt werden. Die Frage, wann ein Bewerber
aus Sicht der Personalverantwortlichen zu alt ist, ab welcher Altersgrenze sie einen Bewerber
nicht mehr berücksichtigen würden, wird von den Befragten unterschiedlich beantwortet:
„Es gibt bei uns im Unternehmen keine Altersgrenze im Sinne einer formellen Festlegung. Allerdings achte ich bei Einstellungen sehr wohl darauf, dass ich mir vorstelle, wie der Bewerber mit den Belastungen umgehen kann und da komme ich auf eine Altersgrenze von ca. 40
Jahren, einfach weil Lebensalter und Belastbarkeit miteinander gekoppelt sind“ (Personalleiter eines Großbetriebes, Fahrzeugbau und -teile)
„Es gibt keine formal festgelegte Altersgrenze. Die Altersobergrenze bei Einstellungen liegt
bei uns aber faktisch bei etwa 50 bis 55 Jahren.“ (Personalleiterin eines Großbetriebes, Gesundheits- und Sozialwesen)
Bei vier Betrieben liegt die Obergrenze bereits bei 45 bis 50 Jahren. Drei dieser Betriebe gehören dem Verarbeitenden Gewerbe, einer dem Dienstleistungsgewerbe/Kreditwesen an.
Weitere vier Betriebe würden keine Bewerber im Alter 50 bis 55 Jahre einstellen; ebenfalls
vier Betriebe setzen die Grenze „erst“ bei 55 bis 60 Jahren an. Wenngleich die jeweilige Altersobergrenze von Betrieb zu Betrieb variiert und damit deutlich wird, dass auch bei Personalverantwortlichen mit Vorbehalten keine einheitliche Sicht auf die Gruppe der Älteren besteht, zeigt sich jedoch, dass Bewerber über 60 bei diesen Betrieben chancenlos sind.
Beeinflussen Vorgaben der Geschäftsführung das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen?
Im Vorfeld der Interviews mit den Personalverantwortlichen wurde die These entwickelt, wonach Personalverantwortliche die Auswahl von Bewerbern gegenüber ihren Vorgesetzten oder Dritten, in deren Verantwortungsbereich der Einsatz der ausgewählten und eingestellten
Arbeitskräfte fällt, legitimieren müssen. Kleinere Betriebe sind hiervon naturgemäß nicht betroffen, da Einstellungsentscheidungen in der Regel durch den Geschäftsführer selbst getroffen werden, der logischerweise keinem Dritten gegenüber Rechenschaft schuldig ist. Es wird
nun davon ausgegangen, dass Auswahlentscheidungen anhand eines Vergleichs von Stellen-
20
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
und Bewerberprofil, aber auch unter Berücksichtigung von bei betrieblichen Entscheidungsträgern vorherrschenden Vorstellungen und Etikettierungen vom idealen Bewerber getroffen
werden (Alter, Geschlecht, Familienstand, Wohnort, Nationalität etc.). Es kann daher vermutet werden, dass Personalverantwortliche bestrebt sein werden, solche Bewerber zu bevorzugen, die den im Betrieb vorherrschenden Vorstellungen und Etikettierungen vom idealen
Bewerber am ehesten entsprechen. Bestehen bei betrieblichen Entscheidungsträgern z. B.
Vorbehalte gegen ältere Bewerber, müsste eine Einstellungsentscheidung zu Gunsten Älterer
nicht nur in höherem Maße begründet werden, sondern wäre auch das Risiko, sich bei einer
personalpolitischen Fehlentscheidung gegenüber dem Vorgesetzten rechtfertigen zu müssen,
für Personalverantwortliche deutlich höher als bei der Entscheidung für einen jüngeren Bewerber. Daher, so lässt sich vermuten, werden Personalverantwortliche es zu vermeiden versuchen, passfähige, aber in bestimmten Kriterien von den konventionellen Vorstellungen des
Betriebes bzw. der Geschäftsleitung abweichende Bewerber – in diesem Falle Ältere – auszuwählen und einzustellen. In dem Maße, in dem die betrieblichen Erwartungsbilder, die Etikettierungen der betrieblichen Entscheidungsträger im Hinblick auf Ältere positiv ausfallen,
verringert sich für Personalverantwortliche das Risiko, eine Auswahlentscheidung pro ältere
Bewerber zu treffen, was zu einer stärkeren Berücksichtigung dieser Bewerbergruppe bei der
Stellenbesetzung führen könnte. Die entscheidende Frage ist also, ob (Alters-)Vorgaben seitens der Geschäftsführung dazu führen, dass Personalverantwortliche anders entscheiden,
als sie sich ohne solche Vorgaben entschieden hätten. Gab es also Personalverantwortliche,
die persönlich Ältere eingestellt hätten, dies aber aufgrund von vorgegebenen Grenzen unterließen?
Wie bereits oben ausgeführt, gibt es in 12 der 22 untersuchten Betriebe nach Aussagen der
befragten Personalverantwortlichen klare Altersobergrenzen. Bewerber, die diese Grenze überschritten haben, werden in der Regel bei Stellenbesetzungen nicht berücksichtigt. Für
diese Betriebe wurde nun geprüft, ob der Handlungsspielraum der Personalverantwortlichen
von Dritten eingeschränkt wird, sprich: ob diese Altersobergrenzen durch die Geschäftsführung vorgegeben wurden. Bei der Interpretation der folgenden Ergebnisse ist unbedingt zu
berücksichtigen, dass gezielt mittelständische Betriebe untersucht wurden. Im Gegensatz zu
Großbetrieben mit mehreren hundert bzw. tausend Beschäftigten verfügen diese Betriebe in
der Regel über keine größeren Personalabteilungen. In der Regel besteht die Personalabteilung aus wenigen, oftmals sogar nur einer Person. Dies bedeutet, dass die Vorauswahl, die
Filterung von Bewerbern oftmals in einer Hand liegen. Mit der Größe des Betriebes steigt dagegen die Zahl der Personen, die mit solchen Aufgaben befasst sind. In diesen Fällen erfolgt
die Auswahl von Bewerbern häufig arbeitsteilig und auf mehren Hierarchieebenen, wie das
Beispiel der Personalleiterin eines größeren mittelständischen Betriebes zeigt:
„Frau X, die bei uns die Bewerbervorauswahl macht, kam mal zu mir und legte mir eine Bewerbung hin und meinte, der wäre geeignet, aber schon über 50, ob wir den überhaupt
nehmen wollen?“ (Personalleiterin eines Großbetriebes, Fahrzeugbau und -teile)
Für die Mehrheit der untersuchten Betriebe, bei denen Personalfragen in der Regel weniger
arbeitsteilig als in dem oben zitierten Beispiel bearbeitet werden, kann die oben aufgeworfene Frage eindeutig verneint werden. Es gab so gut wie keinen Befragten, der von nennenswerten Diskrepanzen zwischen Personalleitung und Geschäftsführung bzw. sonstigen Dritten
in der Beurteilung älterer Bewerber berichten konnte. Wenngleich Personalverantwortliche
vorgegebene Hierarchien berücksichtigen müssen, entscheiden sie in der großen Mehrheit
der Fälle, zumindest in ihrer Selbstwahrnehmung, autonom, wie das folgende Zitat exemplarisch belegt:
21
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
„Natürlich muss ich meine Entscheidungen gegenüber der Geschäftsführung vertreten. Da ist
ja normal. Aber ich entscheide letztlich selbst, wer eingestellt wird und wer nicht.“ (Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes, Wäscherei und chemische Reinigung)
Dort, wo vorhanden, sind Altersobergrenzen und Vorbehalte gegen ältere Bewerber nicht
„von oben“ vorgegeben, sondern entsprechen scheinbar den Überzeugungen und Vorstellungen der Personalverantwortlichen selbst, wie auch das folgende Beispiel einer Personalleiterin belegt. Diese berichtete von einer über 55-Jährigen, die als Zeitarbeiterin im Montagebereich regelmäßig in Stoßzeiten eingesetzt wird:
„Die ist gut aber ich kriege die nicht eingestellt. Wie soll ich gegenüber der Geschäftsführung
begründen, eine 55-Jährige einzustellen, die dann mit 57 das Unternehmen mit Altersteilzeit
wieder verlässt.“ „Habe ich Sie richtig verstanden? Sie als Personalleiterin würden diese ältere Arbeitnehmerin einstellen. Eine Einstellung scheitert jedoch, weil die Geschäftsführung ihre Entscheidung nicht mittragen würde?“ „Nein, ich würde diese Frau aus dem eben genannten Grund auch nicht einstellen.“ (Personalleiterin eines mittelgroßen Betriebes, Elektrotechnik)
Insgesamt hat sich gezeigt, dass Personalverantwortliche bei Stellenbesetzungen selten Vorgaben von der Geschäftsführung erhalten. Von größerem Einfluss sind demgegenüber Leitungskräfte jener Bereiche oder Abteilungen, in denen die betreffende Stelle zu besetzen ist.
Wenngleich von der Seite der fachlichen Leiter Vorgaben gemacht werden, beziehen sich
diese nicht auf das Alter von Bewerbern, so die befragten Personalverantwortlichen. Sie beziehen sich in der Regel auf das Qualifikationsprofil der potenziellen Bewerber. Gerade der
Bereich der fachlichen Anforderungen ist teilweise so spezifisch, dass die Personalverantwortlichen auf Vorgaben der jeweiligen Bereichsleiter angewiesen sind:
„Die wissen, was der können muss. Das kann ich nicht beurteilen.“ (Personalleiterin eines
mittelgroßen Betriebes, Datenverarbeitung und Datenbanken)
Im Gegensatz zu den Bereichsleitern berücksichtigen die Personalverantwortlichen noch weitere Faktoren, die über die bloße Frage der fachlichen Leistungsfähigkeit hinausgehen. Die
Personalverantwortlichen setzten sich nicht nur mit der Frage der fachlichen Leistungsfähigkeit (= Nutzenseite) auseinander, sondern berücksichtigen darüber hinaus auch Fragen von
Lohn/Gehalt oder personalpolitischen Handlungsspielräumen/Kündigungsschutz (= Kostenseite):
„... es gibt schon teilweise Spannungen zwischen mir und den einzelnen Bereichsleitern, wie
bspw. bei der letzten Einstellung. Der Bereichsleiter wollte den Mann unbedingt haben, den
hat nur interessiert, was der kann. Ich muss aber auch auf die Kosten(!) schauen. Ich habe
gesagt: Nicht zu dem Preis. Für das Gehalt stellen wir den nicht ein. Der kommt von der
Stütze, der soll sich freuen, dass er überhaupt noch Arbeit bekommt. Da gab es dann schon
Spannungen.“ (Personalleiterin eines mittelgroßen Betriebes, Datenverarbeitung und Datenbanken)
„Egal, was die Bundesregierung sich jetzt noch ausdenkt für die Älteren, jetzt wird erst recht
kein Unternehmen einen Älteren einstellen. Man muss ja als Arbeitgeber ab nun stets befürchten, dass der EuGH eine beschlossene Regelung nachträglich kippt. Das Risiko für Arbeitgeber ist da viel zu hoch. Wenn ich einen Älteren auf dieser Basis einstellen würde,
müsste mich mein Geschäftsführer eigentlich entlassen.“ (Personalleiter eines Großbetriebes,
Papier-, Verlags- und Druckgewerbe)
22
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Inwieweit wirken sich nun die Vorstellungen und Vorbehalte eines nennenswerten Teils der
Personalverantwortlichen auf das tatsächliche Einstellungsverhalten aus? Rund drei Viertel
bzw. 17 von 22 Betrieben haben – bezogen auf alle Einstellungen seit 2004 – mindestens einen Bewerber eingestellt, der zum Zeitpunkt der Einstellung das 50. Lebensjahr vollendet
hatte. Ältere Bewerber wurden auch bei einem großen Teil jener Betriebe eingestellt, die bei
Bewerbern eine Altersobergrenze vorgeben. Da diese je nach Betrieb unterschiedlich definiert ist, haben auch Bewerber ab 50 eine Chance. In der Mehrheit der Fälle waren die eingestellten älteren Bewerber zuvor arbeitslos. Ein Viertel bzw. fünf von 22 Betrieben haben
demgegenüber ausschließlich Bewerber unter 50 eingestellt. Zu diesen Betrieben gehören
erwartungsgemäß drei jener vier Betriebe, bei denen die Altersobergrenze für Bewerber mit
45 bis 50 Jahren besonders niedrig angesetzt ist (vgl. Abbildung 9).
Der Blick auf die Größe der Betriebe zeigt, dass konkrete Vorstellungen in Bezug auf das
Höchstalter von Bewerbern vor allem bei Personalverantwortlichen größerer Betriebe vorherrschen. So beschäftigen Betriebe ohne Altersobergrenzen durchschnittlich 114 Mitarbeiter
gegenüber 238 Mitarbeitern in Betrieben mit solchen Grenzen. Betriebe mit einer bewusst altersselektiven Einstellungspolitik sind also im Durchschnitt doppelt so groß wie Betriebe mit
altersneutralem Einstellungsverhalten, womit sich der im Vorfeld vermutete Zusammenhang
zwischen Betriebsgröße und der Existenz von Altersgrenzen bestätigt. Dieser wirkt allerdings
in umgekehrter Richtung. Anders als vermutet sind es gerade nicht die kleineren Betriebe,
sondern eher die größeren Betriebe, die das Lebensalter der Bewerber als pauschales Kriterium bei der Vorauswahl heranziehen (vgl. Abbildung 10).
23
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Abb. 9:
Vorstellungen der Personalverantwortlichen in Bezug auf das Höchstalter von Bewerbern und
reales Einstellungsverhalten
Bewerber ab 50 eingestellt
8
Zahl der Betriebe
keine Bewerber ab 50 eingestellt
4
4
3
2
1
0
max. 50 Jahre
0
max. 55 Jahre
max. 60 Jahre
keine Altersobergrenze
Altersobergrenze
Abb. 10:
Betriebe mit und ohne Obergrenzen in Bezug auf das Alter von Bewerbern nach der Betriebsgröße
250
238
Betriebsgröße (Zahl der Beschäftigten)
200
150
114
100
50
0
Betriebe mit Altersobergrenze
Betriebe ohne Altersobergrenze
24
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Wie hoch ist nun der Anteil der Älteren an allen vorgenommenen Personaleinstellungen im
untersuchten Zeitraum? Handelt es sich bei den vorgenommenen Einstellungen in Bezug auf
ältere Bewerber lediglich um Ausnahmen oder wurden ältere Bewerber in nennenswertem
Maße eingestellt? Der Anteil 50-Jähriger oder älterer Personen an allen Einstellungen in den
untersuchten Betrieben liegt im Durchschnitt bei 12,7 % und reicht – bezogen auf jene 17
Betriebe, die mindestens eine Person im Alter ab 50 Jahre eingestellt haben – von lediglich
zwei Prozent, was wohl eher den Tatbestand der Ausnahme erfüllt, bis hin zu 50 % (!). Im
letzteren Fall ist der Wert ein wenig überzeichnet, da es sich um einen Kleinbetrieb (10 bis
49 Beschäftigte) handelt und sich der Wert auf lediglich zwei Neueinstellungen bezieht. Bei 6
der 17 Betriebe, also einem knappen Drittel, lag der Anteil unter 10 %, bei weiteren 6 Betrieben zwischen 10 und 20 %. Bei den übrigen fünf Betrieben betrug der Anteil Älterer an
allen Einstellungen mehr als 20 %. Interessanter gehören vier dieser fünf Betriebe zum
Dienstleistungssektor, was auf einen Zusammenhang zwischen dem Anteil Älterer an den
Einstellungen und der Branche hindeutet. Dieser Zusammenhang lässt sich tatsächlich bestätigen: So ist der Anteil der Älteren an allen Einstellungen bei den untersuchten Betrieben aus
dem Dienstleistungsgewerbe (n = 11) mit 16,6 % nahezu doppelt so hoch wie bei den Betrieben des Verarbeitenden Gewerbes (n = 11), wo er lediglich 8,8 % beträgt (vgl. Abbildung
11)
Abb. 11:
Altersvorstellungen und Einstellungsverhalten in den untersuchten Betrieben im
Verarbeitenden Gewerbe (n= 11) und im Dienstleistungsgewerbe (n = 11)
Anteil von Betrieben mit Altersobergrenzen
an allen Betrieben
Anteil von neu eingestellten Mitarbeitern im Alter 50+
an allen Einstellungen
63,6 %
16,6 %
45,5 %
8,8 %
Verarbeitendes
Gewerbe
Dienstleistungsgewerbe
Verarbeitendes
Gewerbe
Dienstleistungsgewerbe
Die bisherigen Ergebnisse deuten vorsichtig interpretiert darauf hin, dass Einstellungschancen und (Wieder-)Beschäftigungsmöglichkeiten eher in kleineren Betrieben bzw. in Betrieben
25
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
des Dienstleistungsgewerbes zu finden sind, und weniger in größeren Betrieben bzw. Betrieben des Verarbeitenden Gewerbes.23
Wie werden Mitarbeiter für freie Stellen gesucht und gefunden?
Bei der Gewinnung von neuen Mitarbeitern stehen den Betrieben prinzipiell mehrere Strategien zur Verfügung. Sie können ihren Bedarf durch die Einstellung von entsprechend qualifizierten Arbeitskräften decken (extern) oder diese selbst ausbilden bzw. vorhandenes Personal qualifizieren (intern). Beide Rekrutierungswege haben aus Sicht der untersuchten Betriebe spezifische Vor- wie auch Nachteile. Externe Wege haben den Vorteil, dass benötigte Arbeitskräfte sofort verfügbar sind. Gegenüber internen Rekrutierungswegen sind sie jedoch
wesentlich teurer. Interne Rekrutierungswege sind aus Sicht der Betriebe zwar kostengünstiger, benötigtes Personal ist aufgrund der vergleichsweise langen Qualifizierungsphase jedoch erst langfristig verfügbar und setzt eine vorausschauende Personalpolitik voraus. Welcher der genannten Wege konkret genutzt wird, hängt nach den Aussagen der Befragten
von der Art des gesuchten Qualifikationsniveaus, der regionalen Verfügbarkeit entsprechender Fachkräfte, den Zeithorizonten der Personalplanung sowie der betrieblichen Ressourcenausstattung ab. Die eigene Ausbildung bspw. setzt bestimmte Bedingungen voraus wie etwa
das Vorhandensein einer Ausbildungsberechtigung u. ä. Über diese Voraussetzungen verfügen kleinere Betriebe in geringerem Maße als größere Betriebe. Ersteren steht daher als Option in der Regel nur der externe Arbeitsmarkt offen. Die gewählte Strategie beeinflusst in
hohem Maße die Einstellungschancen älterer (arbeitsloser) Bewerber. So sind die Chancen
älterer Bewerber bspw. relativ begrenzt bei jenen Betrieben, die ihr Personal vornehmlich
über die eigene Ausbildung gewinnen und kaum auf externe Beschaffungswege zurückgreifen.
Von den untersuchten Betrieben bildet derzeit rund jeder zweite aus; für einen Teil der ausbildenden Betriebe ist dies der Hauptweg bei der Deckung des Personalbedarfs. Einstellungen „von außen“ erfolgen lediglich in jenen Fällen, wo eine betriebliche Ausbildung nicht
möglich ist (Bsp.: Ingenieure = Ausbildung an Hochschulen). Im Falle externer Rekrutierungswege erstrecken sich die Suchaktivitäten der untersuchten Betriebe in der Regel auf die
unmittelbare Region. Im Falle von Stellen, die spezifische Qualifikationen erfordern, werden
die Aktivitäten jedoch über die unmittelbare Region hinaus ausgedehnt, da regionale Arbeitsmärkte in der Regel nur über ein begrenztes Potenzial an entsprechend ausgebildeten
Arbeitskräften verfügen. Die hauptsächlich genutzten Suchwege sind: Geschäfts- bzw. Kooperationspartner, Mitarbeiter und Bekannte, klassische Annonce, eigener Internetauftritt,
Reaktion auf Initiativbewerbungen, Agenturen für Arbeit/ARGEn. Persönliche Kontakte sind
vor allem für kleine und mittelgroße Betriebe von überragender Bedeutung bei der Besetzung von Stellen; Empfehlungen spielen eine wichtige Rolle.
„Man hört sich also um, man kennt die Branche, die Szene, wo wird abgebaut, wo werden
Leute frei... Wir annoncieren nicht. Bei der letzten Stelle haben wir eine Ausnahme gemacht,
weil wir keinen gefunden haben.“ (Personalleiterin eines mittelgroßen Betriebes, Datenverarbeitung und Datenbanken)
23
Vgl. hierzu auch die ähnlichen Erkenntnisse von Benedix, Ulf; Hammer, Gerlinde; Knuth, Jutta: Beschäftigung und Qualifizierung älterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vor dem Hintergrund des demografischen Wandels. Bestandsaufnahme und qualitative Untersuchung in Bremer und Bremerhavener Unternehmen. Bremen 2002.
26
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Die Vermittlungsdienste der Arbeitsverwaltung werden von diesen Betrieben eher selten genutzt, was jedoch nicht zwangsläufig bedeutet, dass arbeitslose Bewerber nicht berücksichtigt werden, wie die folgenden Beispiele belegen:
„Haben auch Arbeitslose eine Chance? „Ja. Wir haben auch schon Arbeitslose eingestellt. Die
sind uns aber nicht vom Arbeitsamt geschickt worden. Die haben sich bei uns auf eigene Initiative beworben. Die Bewerber, die man uns vom Arbeitsamt geschickt hat, waren nicht geeignet.“ (Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes, Gesundheits- und Sozialwesen)
„Die Älteren (zuvor arbeitslosen; M. F.), die wir genommen haben, haben wir nicht im normalen Bewerbungsverfahren eingestellt... Leute direkt vom Arbeitsamt stellen wir eigentlich
nicht ein.“ (Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes, Datenverarbeitung und
Datenbanken).
Im zuletzt genannten Fall wurden die eingestellten, zuvor arbeitslosen Mitarbeiter von Geschäftspartnern empfohlen, wie der Personalverantwortliche mitteilte, und kamen aus Betrieben, die auf Grund ungünstiger Auftragsentwicklung oder anderen betriebsbedingten
Gründen Personal abbauen mussten. Für (ältere) Bewerber, die außerhalb dieser „Szene“,
dieser Beziehungsnetzwerke stehen und sich ausschließlich auf die Angebote und Kenntnisse
der Arbeitsvermittlung verlassen müssen, bleibt dieser Markt in der Regel verschlossen. Ein
Teil der mittelgroßen Betriebe sowie alle untersuchten Großbetriebe nutzen demgegenüber
die gesamte Palette an Optionen. Stellen werden in den Printmedien ausgeschrieben, der eigene Internetauftritt ist bei diesen Betrieben seit langem Standard, Kontakte zur Arbeitsvermittlung gehören ebenfalls zum personalpolitischen Alltag. Im Gegensatz zu den kleineren
Betrieben erhalten sie darüber hinaus aufgrund ihrer größeren Bekanntheit in der Region
sowie den vermeintlich attraktiveren Bedingungen regelmäßig und in hoher Zahl Initiativbewerbungen.
„Wir bekommen Initiativbewerbungen ohne Ende. Wir bekommen im Monat Hunderte von
Bewerbungen, da haben wir ausreichend Auswahl, da müssen wir gar nicht ausschreiben.“
(Personalleiter eines Großbetriebes, Fahrzeugbau und -teile)
„Wir brauchen keine Stellenanzeigen, wir erhalten ausreichend Initiativbewerbungen. Die
Fluktuation ist hoch, das ist für unsere Branche aber üblich. Das betrachten wir nicht als
Problem. Viele gehen, viele kommen.“ (Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes, Gesundheits- und Sozialwesen)
„Wir bekommen regelmäßig Initiativbewerbungen. Das sind dann aber immer Jüngere, die
bewerben sich in der Regel über Email.“ (Personalleiterin eines mittelgroßen Betriebes, Datenverarbeitung und Datenbanken)
Die Leistungen der Arbeitsvermittlung werden von den Befragten differenziert betrachtet,
wobei insgesamt kritische Einschätzungen überwiegen. Die Mitarbeiter der Arbeitsverwaltungen müssen sich zunehmend an den Angeboten und dem Auftreten privater Arbeitsvermittler
und Zeitarbeitsfirmen messen lassen. In der Regel schneiden sie schlechter ab. Kritik wird
vor allem an der Kommunikation sowie der Personalvorauswahl geübt.
„Ich erhalte jeden Tag Anrufe von Zeitarbeitsfirmen, Leasingsfirmen etc. - vom Arbeitsamt
hat mich noch nie jemand angerufen.“ (Personaleiter eines Großbetriebes, Fahrzeugbau und
-teile).
27
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
„Wir haben es einmal gemacht, da haben wir uns an das Arbeitsamt gewandt (im Jahr 2005;
M. F.). Da standen wir auf einmal im Internet. Wir haben von allen möglichen Leuten Anfragen und Anrufe bekommen, wir sind regelrecht erschlagen worden. Wir hatten uns vorgestellt, dass das Arbeitsamt uns einen gezielten Personalvorschlag macht, aber doch nicht,
dass unsere Firma auf einmal im Internet steht. Wir haben uns daraufhin entschlossen, das
machen wir nie wieder. Da gibt es eine strikte Anweisung.“ (Personalverantwortlicher eines
mittelgroßen Betriebes, Wäscherei und chemische Reinigung).
„... sind wir gezwungen, uns ans Arbeitsamt zu wenden. Allerdings haben wir da nur negative Erfahrungen gemacht. Wenn das Arbeitsamt eine Krankenschwester vorbeischickt, dann
können Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es da einen Haken gibt.“
(Personalleiterin eines Großbetriebes, Gesundheits- und Sozialwesen)
Viele Betriebe halten trotz einzelner Kritikpunkte Beziehungen zu den Arbeitsvermittlungen
aufrecht. Eine wesentliche Ursache hierfür dürfte vor allem in der Tatsache liegen, dass die
dort angebotenen Leistungen anders als bei privater Arbeitsvermittlung kostenfrei erhältlich
sind.
Zeitarbeit als Sprungbrett?
Neben den beiden besprochenen Wegen der Personalrekrutierung – Ausbildung/ Qualifizierung sowie Einstellung gewinnt Zeitarbeit als ein „dritter Weg“ zunehmend an Bedeutung für
die Betriebe.24 Dieser Weg wird vornehmlich in den verschiedenen Bereichen des Verarbeitenden Gewerbes genutzt, kaum oder nie dagegen in den untersuchten Betrieben aus den
einzelnen Bereichen des Dienstleistungssektors, wie z. B. Handel, Kreditwesen, Hotel- und
Gaststättenwesen oder Gesundheitswesen. In der Regel arbeiten die untersuchten Betriebe
bei Auftragsspitzen mit Leiharbeitsfirmen zusammen, oftmals betrifft dies einfache Montagetätigkeiten, aber auch Tätigkeiten in den Bereichen Schweißen und Zerspanen. In nahezu allen Betrieben, die mit Zeitarbeitsfirmen zusammenarbeiten, wurden auf diesem Weg ältere
Bewerber eingestellt. Diese waren vor ihrer Tätigkeit bei der Zeitarbeitsfirma in der Regel arbeitslos. Das entscheidende Kriterium für die Betriebe war die Möglichkeit, sich einen gezielten Überblick über die Kenntnisse und Fähigkeiten der älteren Arbeitskräfte zu verschaffen,
wie das folgende Beispiel exemplarisch belegt. Auf die Frage, warum er sich – angesichts der
erwähnten hohen Zahl von Bewerbern – ausgerechnet für den älteren Bewerber entschieden
hatte, antwortete der Geschäftsführer:
„Das kann ich Ihnen sagen, ganz einfach, weil der das am besten konnte.“ „Wie haben Sie
das denn festgestellt, anhand der Bewerbungsunterlagen?“ „Ach was, Papier ist geduldig,
wenn die immer alles könnten, was sie da in die Bewerbungen reinschreiben. Nein, wir haben die Bewerber eingeladen und dann durften die vor Ort Probearbeiten, also Schweißen.
Und der älteste von den Bewerbern konnte das am besten, also haben wir den eingestellt.
Außerdem kannten wir den schon. Der hatte schon mal für eine gewisse Zeit bei uns gearbeitet, als Leiharbeiter.“ (Geschäftsführer eines Kleinbetriebes, Maschinenbau)
Im Vorfeld der Stellenbesetzung hatte sich der Geschäftsführer an die betreffende Personalüberlassungsfirma gewandt, ist auf den betreffenden Arbeitnehmer zugegangen und hat diesen ausdrücklich aufgefordert, sich auf die zu besetzende Stelle im Betrieb zu bewerben.
24
Im gesamten Bundesgebiet wurden im Jahr 2005 rund 738.000 neue Leiharbeitsverhältnisse begründet (vgl.
Antoni, Manfred; Jahn, Elke J.: Arbeitnehmerüberlassung. Boomende Branche mit hoher Fluktuation. IABKurzbericht Nr. 14/19.9.2006).
28
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig die persönliche Kenntnis, aber auch die Fürsprache von
Dritten ist. Durch das Arbeitsverhältnis auf Zeit erhalten ältere Arbeitnehmer die Möglichkeit,
ihre Leistungsfähigkeit praktisch und vor Ort unter Beweis zu stellen. Die Betriebe haben die
Möglichkeit, sich ein konkretes Bild von den Kenntnissen und Fähigkeiten der älteren Arbeitnehmer zu machen. Im Prinzip kann jeder Einsatz beim Entleihbetrieb als eine Bewerbung
bzw. ein Training betrachtet werden.
Ausreichend Bewerber im Bereich einfacher und normaler Qualifikationen, Rekrutierungsschwierigkeiten bei Höherqualifizierten
Die Chancen für ältere Bewerber wie auch für andere Gruppen mit Wiedereingliederungsschwierigkeiten hängen entscheidend von der quantitativen Aufnahmekapazität der regionalen Arbeitsmärkte, d. h. der Arbeitskräftenachfrage der Betriebe ab. In der öffentlichen Diskussion nehmen die Stimmen zu, die angesichts der demografischen Entwicklung vor einem
drohenden Fachkräftemangel warnen. Vor diesem Hintergrund wird argumentiert, dass die
Betriebe es sich immer weniger leisten könnten, auf einen Teil des Arbeitskräftepotenzials zu
verzichten.
Die Dramatisierungsrhetorik in der öffentlichen Diskussion steht in einem bemerkenswerten
Kontrast zur gegenwärtigen Situation. Der großen Mehrheit der Personalverantwortlichen in
den untersuchten Betrieben gelingt es derzeit ohne nennenswerte Schwierigkeiten, freie
Stellen zu besetzen. Es muss allerdings unterschieden werden zwischen Stellen für An- und
Ungelernte und ausgebildete Fachkräfte einerseits, auf die die große Mehrheit der freien
Stellen entfällt, sowie Stellen für Höherqualifizierte (Fachkräfte mit akademischen Abschluss),
die zwar von entscheidender Bedeutung für die betriebliche Entwicklung sind, jedoch lediglich einen geringen Anteil an den gesamten Einstellungen ausmachen. Im Falle von Stellen
für An- und Ungelernte und ausgebildete Fachkräfte stellt sich die Arbeitsmarktlage aus Sicht
der Befragten derzeit günstig dar. Zahlreiche Betriebe werden geschlossen oder bauen Personal ab, so dass gegenwärtig viele arbeitsuchende Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt verfügbar sind, so die Eindrücke der befragten Personalverantwortlichen. Egal, ob es sich um Stellen für den Produktionsbereich oder die Verwaltung handelt, in der Regel können diese problemlos besetzt werden.
„Wir bekommen im Durchschnitt 25 Bewerbungen pro Stelle. Da sind viele gute Leute dabei.
Ich kann wirklich nicht sagen, dass wir Probleme hätten.“ (Geschäftsführer eines kleines Betriebes, Einzelhandel)
„Wir hatten bislang keine wirklichen Schwierigkeiten bei der Besetzung von Stellen... Wir bekommen sehr viele Bewerbungen auf eigene Initiative.“ (Personalleiterin eines mittelgroßen
Betriebes, Chemische Industrie)
„Für den Produktionsbereich gibt es ausreichend Bewerber. Wir bilden außerdem aus.“ (Personalleiterin eines Großbetriebes, Fahrzeugbau und -teile)
„Wie ich die Bewerberlage einschätze? In den Bereichen Buchhaltung und Sekretariat werden wir überschwemmt von Bewerbungen.“ (Geschäftsführerin eines Kleinbetriebes, Erbringung von Dienstleistungen für Unternehmen)
„Ich hatte schon arbeitslose ältere Bewerber, die kamen zu mir und haben gesagt, Herr X,
ich arbeite drei, sechs Monate umsonst, da können Sie mich testen...“ (Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes, Wäscherei und chemische Reinigung)
29
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Dass es sich bei diesen Einschätzungen um keine Einzelfälle handelt, zeigen die Ergebnisse
repräsentativer Untersuchungen. Der Mehrheit der Betriebe in Nordrhein-Westfalen wie in
Deutschland insgesamt gelingt es zur Zeit relativ problemlos, geeignete Bewerber für die Besetzung freier Stellen zu rekrutieren.25 Bei einigen speziellen Qualifikationen und insbesondere bei höheren Qualifikationsanforderungen können Stellen demgegenüber nur mit erhöhtem
Aufwand oder überhaupt nicht besetzt werden. Fast alle Personalverantwortlichen machen
gegenwärtig die Erfahrung, dass höherqualifizierte Fachkräfte nur mit hohem Aufwand zu
gewinnen sind. Insbesondere bei der Besetzung von Stellen für Ingenieure hatten und haben
fast alle untersuchten Unternehmen Schwierigkeiten.
„Bei Höherqualifizierten, z. B. für die Produktionsleitung oder Arbeitsvorbereitung schreiben
wir aber aus. Bei Ingenieuren ist es zur Zeit etwas schwierig, geeignete Leute zu finden.“
(Personalleiter eines Großbetriebes, Fahrzeugbau und -teile)
„Bei Hochschulabsolventen, z. B. Prüfungsassistenten und generell Steuerberatern ist es relativ schwer, Leute zu bekommen.“ (Geschäftsführerin eines Kleinbetriebes, Erbringung von
Dienstleistungen für Unternehmen)
„Es kostet uns richtig viel Geld, Akademiker zu gewinnen. Facharbeiter können wir selbst
ausbilden, außerdem ist der Markt teilweise überschwemmt mit Facharbeitern. In bestimmten Fälle gewinnen wir auch Arbeitslose durch Anlernen, aber bei Akademikern...“ (Personalleiterin eines mittelgroßen Betriebes, Elektrotechnik)
„Im Bereich der Höherqualifizierten ist unsere Einstellungspolitik fremdbestimmt, d. h. wir
können uns nicht den Luxus(!) leisten, nur Leute bis maximal 35 bis 40 Jahre einstellen zu
wollen. Daher stellen wir in diesem Bereich gezwungenermaßen auch Fachkräfte ein, die über dieser Altersgrenze liegen ... wir haben den Arbeitsmarkt abgegrast und auch Ältere genommen, sofern die Qualifikation stimmte.“ (Personalleiter eines Großbetriebes, Papier-, Verlags- und Druckgewerbe)
„Warum haben Sie eigentlich den älteren Bewerber genommen?“ „Wir haben nichts gefunden. Die Absolventen werden direkt von der Uni abgeworben, die machen vorher schon ihre
Praktika in Unternehmen, dort werden sie dann gleich übernommen. Da haben wir als kleines Unternehmen kaum eine Chance.“ (Personalleiterin eines mittelgroßen Betriebes, Datenverarbeitung und Datenbanken)
„Bei Stellen für Ärzte haben wie derzeit große Probleme.“ (Personalverantwortlicher eines
mittelgroßen Betriebes, Gesundheits- und Sozialwesen)
Im Hinblick auf die Situation im Bereich des Gesundheitswesens, auf das sich das zuletzt angeführte Zitat bezieht, weichen die Meinungen der befragten Personalverantwortlichen – insgesamt wurden drei Betriebe aus dem Gesundheitswesen untersucht – teilweise voneinander
ab. Dies betrifft sowohl die Einschätzungen zur Bewerberlage als auch zu den Beschäftigungspotenzialen dieses Sektors. Aufgrund des steigenden Anteils älterer Personen an der
Bevölkerung wird von einen steigendem Bedarf an Arbeitskräften ausgegangen: „Weil die
Versorgung hochaltriger Personen pflegeintensiver und zeitaufwendiger ist, leitet sich daraus
ein künftig verstärkter Bedarf nach professioneller Pflege ab. Die Nachfrage nach stationärer
25
Vgl. Bellmann, Lutz; Bielenski, Harald; Bilger, Frauke; Dahms, Vera; Fischer, Gabriele; Frei, Marek Wahse,
Jürgen: Personalbewegungen und Fachkräfterekrutierung. Ergebnisse des IAB-Betriebspanels 2005. IABForschungsbericht Nr. 11/2006. Nürnberg 2006; Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK): Ruhe
vor dem Sturm Arbeitskräftemangel in der Wirtschaft. Ergebnisse einer DIHK-Unternehmensbefragung. Berlin Herbst 2005.
30
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
und ambulanter Betreuung wird deshalb stärker steigen.“26 Und Roland Schäfer, Präsident
des DStGB, meinte kürzlich: „Ich bin sicher, dass sich der Bereich der gesundheitsnahen
Dienstleistungen schon kurzfristig in Deutschland zur Jobmaschine entwickeln kann...“27 Einer
der drei befragten Personalverantwortlichen aus dem Gesundheitswesen meinte hierauf angesprochen:
„Aber nicht die Kliniken. Von denen werden in Deutschland noch einige 100 dicht gemacht.“
(Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes, Gesundheits- und Sozialwesen)
Der betreffende Personalverantwortliche schätzt auch die gegenwärtige Bewerberlage mit
Ausnahme von hochqualifiziertem Fachpersonal wie Ärzten als relativ günstig ein, wie das
folgende Zitat belegt:
„Im Pflegebereich bekommen wir genug Bewerbungen, allerdings sind nur 5 % geeignet.“
(Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes, Gesundheits- und Sozialwesen)
Wenngleich lediglich ein geringer Teil der zahlreichen Bewerber geeignet ist, konnten bislang
alle Stellen im Bereich der Pflege im untersuchten Betrieb problemlos besetzt werden. Dies
entspricht auch der Einschätzung eines anderen befragten Personalverantwortlichen aus dem
Bereich des Gesundheitswesens. Demgegenüber sieht die Personalleiterin des dritten untersuchten Betriebes aus diesem Bereich die gegenwärtige Situation wie folgt:
„Examiniertes Pflegepersonal ist in Deutschland nicht zu bekommen, da gibt es einen regelrechten Fachkräftemangel. In diesem Bereich sind wir gezwungen, uns ans Arbeitsamt zu
wenden.“ (Personalleiterin eines Großbetriebes, Gesundheits- und Sozialwesen)
Es lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass den untersuchten Betrieben – von einzelnen
Ausnahmen abgesehen – gegenwärtig eine vergleichsweise große Zahl von Bewerbern zur
Verfügung steht und die große Mehrheit der freien Stellen demzufolge ohne größere Schwierigkeiten besetzt werden kann.
Keine Bewerbungen Älterer?
In einem Teil der untersuchten Betriebe wurden Stellen ausschließlich mit unter 50-Jährigen
Bewerbern besetzt. Obwohl keine der betreffenden Stellen den Angaben der Befragten zufolge altersbegrenzt ausgeschrieben war oder sonstige Beschreibungen enthielt, die auf älterer Bewerber möglicherweise distanzierend wirkten, bewarben sich kaum 50-Jährige oder ältere, entsprechend qualifizierte Personen. Dies betraf Stellen sowohl im Bereich des Verarbeitenden Gewerbes (Maschinen- und Anlagenfahrer, Pharmakanten, Lagerarbeiter, Montagearbeiter), im Bereich des Gesundheitswesens (Pflegekräfte) als auch im Bereich des Hotelund Gaststättenwesens.
„Bewerbungen auf eigene Initiative haben wir sehr viele, aber da sind kaum Ältere darunter.“
(Personalleiterin eines mittelgroßen Betriebes, Chemische Industrie)
„Warum haben sie so wenig Ältere eingestellt?“ „Wir bekommen so gut wie keine Bewerbungen von Älteren. Ich kann Ihnen ein Beispiel geben: Vor kurzem haben wir zwei Stellen ausgeschrieben, eine Stelle für einen Koch und eine Stelle für die Zimmerreinigung. Da hatten
wir so gut wie keine Bewerbungen von Älteren. Das ist ganz selten, dass sich bei uns mal ein
Älterer bewirbt.“ „Würden Sie es denn begrüßen, wenn sich mehr Ältere bewerben würden,
26
27
Vgl. Pressemitteilung des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB) Nr. 50 vom 14.09.2006.
Vgl. Pressemitteilung Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen (LDS NRW) Nr.
141/06 vom 27.09.2006.
31
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
hätten die überhaupt eine Chance?“ „In bestimmten Bereichen auf jeden Fall. Reinigungskräfte, Hausmeistertätigkeiten, Beiköche, das sind alles Tätigkeiten, da kann ich mir Ältere
sehr gut vorstellen wegen der Erfahrung, die die mitbringen. Einer älteren Reinigungskraft im
Zimmerservice muss ich bspw. nichts mehr beibringen. Die hat Kinder groß gezogen, die
führt einen Haushalt, also die weiß wie es geht. Bei Jüngeren kann man das nicht erwarten.“
(Geschäftsführer eines mittelgroßen Betriebes, Gastgewerbe)
„Warum waren unter Eingestellten kaum Ältere?“ „Es haben sich einfach nicht mehr Ältere
beworben. Wir haben in den letzten Jahren insgesamt vielleicht 10 Bewerbungen von Älteren
erhalten.“ (Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes, Gesundheits- und Sozialwesen)
„Warum haben Sie lediglich einen Älteren eingestellt bei insgesamt fast 20 Neueinstellungen?
„Wir hatten kaum Bewerbungen Älterer. Bei Stellen fürs Lager und für den Bereich der Produktion hatten wir, glaube ich, so gut wie keine Bewerbung von Älteren.“ (Personalleiterin
eines mittelgroßen Betriebes, Chemische Industrie).
Diese Beispiele bestätigen die Ergebnisse des IAB-Betriebspanels und deuten darauf hin,
dass ältere Bewerber ihre Einstellungschancen möglicherweise steigern könnten, wenn sie
ihre Bemühungen insgesamt ausweiten sowie in stärkerem Maße auch auf die Stellenangebote kleinerer Betriebe ausrichten würden.
Exkurs: Arbeitskräftenachfrage der Unternehmen –
Gibt es einen Fachkräftemangel?
Die jüngsten Analyseergebnisse des gesamtwirtschaftlichen Stellenangebots durch das IAB
belegen, dass offene Stellen in den Jahren 2004 und 2005 leichter besetzt werden konnten
als in den Vorjahren. „Knappheiten auf Bewerberseite sind zumindest im Moment nicht das
Kernproblem am Arbeitsmarkt (...).“28 Insgesamt suchten die Unternehmen in NordrheinWestfalen im 1. Halbjahr 2005 nach Angaben des IAB-Betriebspanels Arbeitskräfte in einer
Größenordnung von 300.000 Personen (Deutschland ca. 1,6 Mio.). Dabei ging es insbesondere darum, Stellen für qualifizierte Tätigkeiten zu besetzen, d. h. es wurden überwiegend
Mitarbeiter gesucht, die eine Berufsausbildung, vergleichbare Berufserfahrungen oder ein
Hochschulstudium nachweisen konnten. Der Anteil der zu besetzenden Stellen für qualifizierte Tätigkeiten an allen zu besetzenden Stellen erreichte in den Unternehmen in NordrheinWestfalen 57 % (Westdeutschland 61 %, Deutschland 63 %). Demgegenüber waren 43 %
der Stellen im 1. Halbjahr 2005 in Nordrhein-Westfalen für einfache Tätigkeiten vorgesehen.
Dieser Wert ist möglicherweise etwas überzeichnet, weil speziell bei einfachen Tätigkeiten
häufig relativ kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse (Saisonarbeit) eingegangen werden und
der Personalwechsel höher ist. Von den insgesamt zu besetzenden Stellen wurden in Nordrhein-Westfalen 84 % auch tatsächlich besetzt, ca. 16 % der gesuchten Stellen waren zum
Befragungszeitpunkt unbesetzt (Westdeutschland und Deutschland jeweils: 89 % der Stellen
besetzt, 11 % unbesetzt). Unbesetzte Stellen sind vor allem ein Problem der Kleinstbetriebe
(weniger als 10 Beschäftigte): Jede dritte bis vierte der zu besetzenden Stellen in Kleinsttrieben blieb offen. Möglicherweise stimmten die Vorstellungen der Bewerber über Arbeitsinhalte
28
Der Anteil schwer besetzbarer Stellen unter den Vakanzen hat sich im Herbst 2005 gegenüber dem Vorjahr
von 18 auf 14 Prozent verringert. Damit ist nicht von gravierenden Problemen bei Stellenbesetzungen auszugehen, sondern eher von einer Entspannung (vgl. Kettner, Anja; Spitznagel, Eugen: Gesamtwirtschaftliches Stellenangebot – Kräftiger Anstieg nach jahrelangem Rückgang. In: IAB Kurzbericht, Ausgabe Nr. 6,
27.4.2006, S. 6).
32
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
und -aufgaben, qualifikatorische Anforderungen, Arbeitszeit und Entlohnung mit den Interessen und wirtschaftlichen Möglichkeiten in den Kleinbetrieben nicht überein. So erreicht das
Lohn- und Gehaltsniveau in Kleinbetrieben nur etwa 60 Prozent der Löhne und Gehälter in
größeren Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten.
3.2
Fachkenntnisse
In vielen Berufsfeldern kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass das einmal erworbene berufliche Wissen genügt, um auf Dauer den sich wandelnden Tätigkeitsanforderungen gerecht werden zu können. Daraus ergibt sich die Forderung nach einem lebenslangen Lernen. Erkenntnis und tatsächliches Handeln klaffen jedoch nach wie vor auseinander,
wie zahlreiche Studien belegen.29 Im Vergleich zu anderen Ländern nehmen Arbeitnehmer in
Deutschland in deutlich geringerem Maße an Weiterbildungsmaßnahmen zur Anpassung der
Kenntnisse und Fähigkeiten an technologische Weiterentwicklungen teil, wobei mit steigendem Alter die Beteiligung an Weiterbildung deutlich sinkt. Egal, ob die mit zunehmenden Alter abnehmende Beteiligung an Weiterbildung auf eine möglicherweise altersdiskriminierende
Personalentwicklungspolitik von Personalverantwortlichen oder eher auf eine mit dem Alter
abnehmende Teilnahmebereitschaft der Arbeitnehmer selbst zurückzuführen ist. Die geringere Weiterbildungsteilnahme Älterer sowie die größere zeitliche Distanz zwischen dem Erwerb
der beruflichen Qualifikation und deren aktueller Nutzung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass
es zwischen Anforderungsprofilen zu besetzender Stellen einerseits und Kenntnissen und Fähigkeiten älterer Bewerber andererseits größere Lücken gibt als bei Jüngeren.
Welche Erfahrungen haben die befragten Personalverantwortlichen gemacht? Sind ältere
Bewerber weniger gut qualifiziert als jüngere Bewerber? Sind die Qualifikationen älterer Bewerber veraltet? In den Interviews mit Personalverantwortlichen hat sich zunächst die auch
in anderen Untersuchungen gewonnene Erkenntnis bestätigt, wonach die Qualifikation für
Personalverantwortliche an erster Stelle steht, wenn es um die Auswahl von Bewerbern geht.
Die Passfähigkeit von Fachkenntnissen und Stellenanforderungen stellt für sich allein noch
keine Einstellungsgarantie dar, sie ist jedoch eine notwendige Voraussetzung, um überhaupt
in die engere Auswahl zu kommen. Alle Personalverantwortlichen wiesen darauf hin, dass Ältere über ein größeres berufliches Erfahrungswissen verfügen würden und sie dieses als großen Vorteil älterer Bewerber gegenüber Jüngeren betrachten, was zunächst die Ergebnisse
des IAB-Betriebspanels Nordrhein-Westfalen bestätigt.30 Sie betonten aber zugleich, dass der
Wert dieser Erfahrungen in hohem Maße von der Geschwindigkeit der technologischen Entwicklungen bzw. der Halbwertzeit des Wissens im unmittelbaren Berufsfeld abhängt. So sind
z. B. erworbene Erfahrungen an älteren Anlagen bei modernen, automatisch gesteuerten Anlagen nur von eingeschränktem Nutzen. Es kommt vor allem darauf an, dass man sich mit
den neuesten Steuerungen und mit aktuellen Trends auskennt. Bewerber mit veralteten bzw.
29
30
Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF): Berichtssystem Weiterbildung IX. Integrierter
Gesamtbericht zur Weiterbildungssituation in Deutschland. Bonn, Berlin 2006; Eichhorst, Werner; Sproß,
Cornelia: Arbeitsmarktpolitik für Ältere. Die Weichen führen noch nicht in die gewünschte Richtung, IABKurzbericht Nr. 16/5.10.2005; Koller, Barbara; Plath, Hans-Eberhard: Qualifikation und Weiterbildung älterer
Arbeitnehmer; in: Reinberg, Alexander (Hrsg.): Arbeitsmarktrelevante Aspekte der Bildungspolitik, BeitrAB
245, Nürnberg 2001, S. 63-95.
Vgl. Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.): IAB-Betriebspanel NRW 2004, Ältere im
Betrieb, Düsseldorf 2006.
33
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
unzureichenden Fachkenntnissen werden – egal wie alt – in der Regel bei Stellenbesetzungen nicht berücksichtigt.
Die Mehrheit der befragten Personalverantwortlichen ist vor dem Hintergrund der eigenen
Erfahrungen mit älteren Bewerbern der Meinung, dass Ältere im Prinzip nicht schlechter qualifiziert sind als Jüngere. Ein Teil der Personalverantwortlichen berichtet demgegenüber von
gegenteiligen Erfahrungen (vgl. Abbildung 12).
Abb. 12:
Einschätzung der Fachkenntnisse älterer Bewerber
Gegen die Einstellung älterer Bewerber sprechen die nicht passenden bzw. veralteten
Kenntnisse. Dieser Aussage stimme ich ...
10
6
6
eher zu
eher nicht zu
0
ausdrücklich zu
ausdrücklich nicht zu
Personalverantwortliche, die im Fachwissen älterer Bewerber eher ein Einstellungshemmnis
sehen, verweisen auf folgende Defizite. Fachliche Lücken oder – im Vergleich zu jüngeren
Bewerbern – weniger aktuelles Wissen werden bei Älteren vor allem in Arbeits- und Tätigkeitsbereichen gesehen, die durch den Einsatz moderner Medien oder computergestützter
Maschinen und Anlagen geprägt sind oder sich in einem von Innovationen geprägtem Umfeld
behaupten müssen. Hierzu gehören vor allem Betriebe aus dem Verarbeitenden Gewerbe
und aus den unternehmensnahen, wissensintensiven Dienstleistungen wie die folgenden
Aussagen belegen:
„Als Unternehmen einer Branche mit hoher Innovationsintensität setzten wir natürlich sehr
auf Jüngere. Innovative Gedankenträger, die noch nicht betriebsblind sind, das sind vor allem jüngere Menschen. Jüngere sehen Dinge, die Älteren nicht mehr auffallen. Jüngere stellen Dinge stärker in Frage als Ältere. Ein Nachrichtentechniker, der sein Diplom vor 30 Jahren gemacht hat, ist heutigen Anforderungen nicht mehr gewachsen.“ (Personalleiterin eines
mittelgroßen Betriebes, Elektrotechnik).
„Die Bedientechnik an den neuen Anlagen können Sie mit der Technik der alten Anlagen
nicht vergleichen – immer weniger manuelle Einstellungen, fast alles computergesteuert…Ein
34
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Arbeitnehmer, der 30 Jahre nur an einer alten Anlage gearbeitet hat, ist an einer neuen Anlage gar nicht einsetzbar. Heute geht’s nicht mehr nach Gefühl und Wellenschlag, heute sind
EDV-Kenntnisse gefragt.“ (Personalleiter eines Großbetriebes, Papier-, Verlags- und Druckgewerbe).
„Im Prinzip gibt es keine Unterschiede zwischen Jüngeren und Älteren. Bei modernen Technologien sehen wir aber, dass das Wissen der jüngeren Bewerber in der Regel aktueller ist,
z. B. bei der Beherrschung aktueller Programmiersprachen, die wir für die Entwicklung von
individuellen, auf spezifische Kundenwünsche ausgerichteten Softwareprogrammen einsetzen.“ (Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes, Datenverarbeitung und Datenbanken).
„Durch die jungen Studenten kommt frisches Wissen rein. Aber die Älteren, die im Arbeitsprozess stehen, die sind auch auf dem aktuellen Stand, da gibt’s nach meinen Erfahrungen
keine Probleme. Problematisch wird es, wenn man raus ist und sich dann nicht auf dem Laufenden hält… Die Programme, mit denen hier bei uns gearbeitet wird, die werden ständig
weiterentwickelt, das müssen sie beherrschen können.“ (Personalleiterin eines mittelgroßen
Betriebes, Datenverarbeitung und Datenbanken).
„Ich würde keine 50-Jährige Kosmetikerin einstellen. Die älteren Kosmetikerinnen sind nicht
auf dem neuesten Stand, die kennen die neuen Produkte, die neuen Trends nicht.“ (Geschäftsführer eines mittelgroßen Betriebes, Gastgewerbe).
Aus der Sicht einiger Personalverantwortlicher kommt hinzu, dass jüngere Bewerber aufgrund der sozialisationsbedingt größeren Vertrautheit beim Umgang mit modernen Medien
„beweglicher“ und „schneller“ wären. Ein Personalleiter drückte dies so aus:
„Jüngere sind mutiger an der ‚Kiste’, die sind vertrauter im Umgang mit Computern und mit
Steuerungen.“ (Personalleiter eines mittelgroßen Betriebes, Verarbeitendes Gewerbe).
Nach Aussage von einigen Personalverantwortlichen aus dem Verarbeitenden Gewerbe
herrscht in den Betrieben selbst ein zum Teil großes „technisches Gefälle“; es wird sowohl
mit hochmodernen als auch mit teilweise veralteten Maschinen gearbeitet. Entscheidend ist
der Punkt, dass die Zuteilung von Mitarbeitern mit formal gleichen Berufsabschluss an die
jeweiligen Maschinen altersselektiv erfolgt: die älteren, erfahrenen Mitarbeiter bedienen die
alten Anlagen, mit denen sie groß geworden sind; die jüngeren Mitarbeiter arbeiten an den
neuen. Ein Arbeitsplatzwechsel zwischen alten und neuen Anlagen ist nach Aussage der Personalverantwortlichen nicht möglich, da beide Anlagentypen unterschiedliche Kenntnisse
voraussetzen.
„In den Hallen 1, 2 und 3 stehen die älteren Anlagen. Hier arbeiten sehr viele ältere Mitarbeiter. In Halle 4 steht die modernste, eine vollautomatisierte Anlage zum Biegen von Verstrebungen. Diese Anlage ist eine Sonderanfertigung, ist also speziell für unser Unternehmen
hergestellt worden. Hier arbeiteten vor allem jüngere Mitarbeiter.“ (Personalleiter eines mittelgroßen Betriebes, Fahrzeugbau und -teile).
Im Gegensatz zu den zitierten Personalverantwortlichen haben die meisten Befragten vorwiegend positive Erfahrungen im Hinblick auf die Fachkenntnisse der älteren Bewerber gemacht. Vor allem in Bereichen, die nicht durch ständige technologische Sprünge geprägt sind
und berufliche Erfahrungen von größerer Bedeutung sind als die Kenntnis aktueller technischer Trends, haben Ältere, deren Ausbildung schon etwas länger zurückliegt, dadurch keine
Nachteile gegenüber jüngeren Bewerbern.
35
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
„Veraltete Kenntnisse? Nein, das ist kein Hemmnis. Wir sind auf einem Gebiet tätig, dass
nicht durch größere technologische Quantensprünge gekennzeichnet ist“ (Personalleiterin eines mittelgroßen Betriebes, Chemische Industrie)
„Wir sind ein Spezialanbieter. Was wir produzieren und wie wir es produzieren, ist relativ selten. Dafür benötigt man Spezialkenntnisse. Die Beherrschung der Maschinen und Anlagen
setzt fundiertes Wissen voraus. Da sehe ich aber keine großen Unterschiede, da haben Ältere
eher noch Vorteile.“ (Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes, Maschinenbau)
„Im Bereich Zerspanen und Schweißen verfügen die älteren Bewerber in der Regel über bessere Kenntnisse und Fähigkeiten als Jüngere. Das liegt aber auch daran, dass die Arbeitnehmer – jedenfalls im Bereich Schweißen – verpflichtet sind, ständig ihre Schweißernachweise
regelmäßig überprüfen zu lassen. Also bei Schweißern kann man wirklich sagen: Je älter,
umso besser, jedenfalls hinsichtlich der Fachkenntnisse.“ (Geschäftsführer eines Kleinbetriebes, Maschinenbau)
„…benötigen sie dagegen vor allem Branchenerfahrung, Berufserfahrung. Bei uns im Controlling bspw. da können wir keinen Jüngeren einstellen.“ (Personalleiterin eines mittelgroßen
Betriebes, Elektrotechnik).
„Bei uns braucht keiner eine Ausbildung. Mir ist es egal, ob der ein Stück Papier hat. Der
muss verkaufen können. Gerade für den Verkauf, da ist die Erfahrung der Älteren ein Vorteil.“ (Geschäftsführer eines Kleinbetriebes, Einzelhandel).
„… Wenn es jedoch Tätigkeiten sind, bei denen berufliche Erfahrungen nicht ganz unwichtig
sind, dann nehme ich schon ganz gerne Ältere. Im Küchenbereich, also als Beikoch. Die Saucen, die ein Älterer drauf hat, dass kann ein Junger gar nicht.“ (Geschäftsführer eines mittelgroßen Betriebes, Gastgewerbe).
„Veraltetes Fachwissen? Nein, das ist ausdrücklich kein Hemmnis, denn alle machen eine
dreijährige Grundausbildung, die sind alle gleich gut einsetzbar. Es macht auch nichts, wenn
in der Pflege jemand fünf Jahre raus war, z. B. wegen Schwangerschaft und Kindererziehung.“ (Personalleiterin eines Großbetriebes, Gesundheits- und Sozialwesen)
Es lässt sich festhalten: Bei älteren Bewerbern, die sich auf freie Stellen in Bereichen bewerben, die durch fortlaufende technologische Entwicklungen geprägt sind, kommt es in hohem
Maße auf die Aktualität der Fachkenntnisse an, was letztlich eine permanente Beteiligung an
beruflicher Weiterbildung voraussetzt. Hier schneiden ältere Bewerber in der Sicht einiger
Personalverantwortlicher schlechter ab als jüngere Bewerber. Bei Tätigkeiten, in denen berufliches Erfahrungswissens eine hohe Bedeutung hat, sind die Einstellungschancen älterer
Bewerber nicht schlechter als die jüngerer Bewerber.
36
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
3.3 Körperliche Belastbarkeit
„Ich halte es für eine Mär, dass Ältere keine Schaufel mehr halten können. Richtige Malocher-Arbeitsplätze gibt es in Deutschland doch gar nicht mehr“ (Personalleiter eines mittelgroßen Betriebes, Gesundheits- und Sozialwesen).
Arbeitsbedingte Erkrankungen und damit verbundene Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit sind – ungeachtet aller Fortschritte beim Einsatz von entlastenden Hilfsmitteln
(Beispiel: „Happy Seat“ bei der Montage im Fahrzeugbau)31 – nach wie vor weit verbreitet.
Der technische Wandel in der Arbeitswelt hat „bisher weniger zu einem Belastungsabbau als
zu einer Belastungsverschiebung geführt. Arbeitsverdichtung und Arbeiten unter hohem Arbeitstempo und Zeitdruck sind vielfach höher geworden.“32
In bestimmten Branchen und Berufen sind die hohen körperlichen Belastungen Hauptgrund
für die vorzeitige Verrentung der Beschäftigten. Als Beispiel kann hier auf die in der öffentlichen Debatte viel diskutierte Berufsgruppe der Dachdecker verwiesen werden. Trotz vielfach
eingesetzter moderner Technik wie Förderbändern ist der Beruf immer noch durch schwere
körperliche Arbeit gekennzeichnet. Im Durchschnitt gehen die gewerblichen Mitarbeiter in
Dachdeckerbetrieben mit 58 Jahren in Rente. Lediglich fünf Prozent der im deutschen Dachdeckergewerbe tätigen Personen arbeiten bis 65.33
Unter den 22 untersuchten Fällen befinden sich ebenfalls eine Reihe von Betrieben, bei denen die Mehrheit der Arbeitsplätze durch hohe körperliche Belastungen geprägt ist. Die
Mehrheit dieser Betriebe gehört zum Verarbeitenden Gewerbe, ein Teil zum Dienstleistungsgewerbe (Gesundheits- und Sozialwesen, Reinigungsgewerbe). In diesen Betrieben ist die
körperliche Belastbarkeit der Bewerber oftmals wesentliche Voraussetzung für eine positive
Einstellungsentscheidung. Jüngere Bewerber erhalten in der Regel den Vorzug gegenüber älteren Bewerbern, da letzteren nicht zugetraut wird, den hohen körperlichen Belastungen im
Betrieb gerecht zu werden. Ergebnisse der biomedizinischen Forschung zeigen zwar, dass
der individuelle Leistungsstand „das Ergebnis vielfältiger Umweltbedingungen (ist), die teilweise in direkter Wechselbeziehung mit der ausgeübten Erwerbstätigkeit stehen. Dies führt
unter anderem dazu, dass die Streuung der Leistungsfähigkeit innerhalb eines Altersjahrgangs in der Tendenz größer ist als die Streuung von Leistungsunterschieden zwischen den
Altersgruppen.“34 Die Skepsis der Personalverantwortlichen gegenüber älteren Bewerbern
wird jedoch genährt durch die täglichen Erfahrungen im Umgang mit den eigenen älteren
Mitarbeitern, deren körperliche Belastbarkeit aufgrund der ungünstigen Arbeitsbedingungen
mit zunehmenden Alter abnimmt:
„Als Schweißer oder Dreher müssen sie natürlich anpacken können, da müssen sie auch mal
was heben. Das sind jetzt keine riesigen Lasten, aber wenn sie da was mit der Bandscheibe
haben, ist das eher hinderlich.“ (Personalleiter eines Kleinbetriebes, Maschinenbau).
„Ich kann nicht verhehlen, dass die Leute bei uns ab 50 verschlissen sind, die sind wirklich
kaputt...Ich müsste überzeugt sein, dass ein Mitarbeiter die Tätigkeit bei uns bis 65 Jahren
31
32
33
34
Happy Seat bei Ford in Köln, in: IG Metall (Hrsg.): Gesünder arbeiten. Tipps für den Arbeitsplatz. Nr. 29.
Adamy, Wilhelm: Ist ein Ende des Jugendwahns in Sicht? in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Sozialpolitische
Flankierung einer verlängerten Erwerbsphase, Bonn 2004, S. 75-87.
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10.2.2006.
Arnds, Pascal; Bonin, Holger: Arbeitsmarkteffekte und finanzpolitische Folgen der demographischen Alterung
in Deutschland. IZA DP No. 667, Dezember 2002.
37
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
ausüben kann. Meine bisherigen Erfahrungen zeigen jedoch ein anderes Bild.“ (Personalleiter
eines Großbetriebes, Fahrzeugbau und -teile).
„Ich habe im Unternehmen die Erfahrung gemacht, dass unsere ältere Mitarbeiter weniger
gut mit den körperlichen Belastungen zurecht kommen als unsere jüngeren. Viele unserer älteren Mitarbeiter klagen über gesundheitliche Beschwerden“ (Personalleiterin eines Großbetriebes, Fahrzeugbau und -teile)
„Pflege ist Schwerstarbeit. Das können Sie vergleichen mit der Stahlindustrie. Unsere Mitarbeiter schaffen es ja noch nicht einmal bis 65 Jahre zu arbeiten.“ (Personalverantwortliche
eines Großbetriebes, Gesundheits- und Sozialwesen).
Durch Umsetzung auf körperlich weniger belastende Arbeitsplätze, von den Personalverantwortlichen in der Regel als „Schonarbeitsplätze“ bezeichnet, wird versucht, auf diese Situation zu reagieren. Die Möglichkeiten dieser Personalpolitik nehmen nach Ansicht der Befragten
jedoch zunehmend ab, da die Zahl solcher Arbeitsplätze in den letzten Jahren deutlich reduziert wurde. Viele der früher in größerer Zahl vorhandenen Arbeitsplätze sind aufgrund von
Rentabilitätsüberlegungen rationalisiert oder ausgegliedert worden.
„Die Älteren sagen selbst, wie soll ich das bis 65 durchhalten. Die müssten eigentlich auf
Schonarbeitsplätze umgesetzt werden. Das Problem ist, das es bei uns im Unternehmen keine Ausweicharbeitsplätze für die Älteren gibt. Auf 50 Stellen kommt lediglich ein ‚Helferstelle’.“ (Personalleiter eines Großbetriebes, Papier-, Verlags- und Druckgewerbe)
„Wir versuchen im Rahmen unserer Möglichkeiten, innerbetrieblich umzusetzen. Als Schonarbeitsplatz kommt zum Beispiel unser Lager, also die Werkzeugausgabe in Frage. Aber solche Stellen sind bei uns begrenzt. Wir können keine zusätzlichen Schonarbeitsplätze schaffen.“ (Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes, Maschinenbau)
„Wird das Auslaufen der Altersteilzeit zum Ende des Jahres 2009 Effekte auf Ihre Personalpolitik haben?“ „Ja. Dann sinkt die Bereitschaft, Ältere einzustellen noch mehr. Ich sage es Ihnen ganz ehrlich. Ich bin doch froh, wenn die älteren Mitarbeiter von selbst gehen … Es gibt
zwar Schonarbeitsplätze, aber das Volumen solcher Arbeitsplätze ist begrenzt.“ (Personalleiter eines Großbetriebes, Fahrzeugbau und -teile)
„Ältere haben mit den Belastungen große Schwierigkeiten. Aber jemand, der bei uns 30 Jahre gearbeitet hat, wird nicht einfach entlassen, weil er seine Leistung nicht mehr bringt. Das
machen wir nicht. Wir haben einige Arbeitsplätze, z. B. in der Vorsortierung, die nicht ganz
so anstrengend sind. Da wird dann intern umgesetzt. Die Möglichkeiten sind jedoch begrenzt.“ (Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes, Wäscherei und chemische
Reinigung)
Aufgrund dieser Erfahrungen werden ältere Bewerber von den zitierten Personalverantwortlichen – in der Regel ohne Prüfung des Einzelfalls – bei Stellenbesetzungen nicht berücksichtigt, wie die folgenden Zitate belegen:
„Die körperlichen Belastungen der Tätigkeiten spielen schon eine Rolle bei Einstellungsentscheidungen. Diese sind nicht gewaltig, sprechen aber eher gegen eine Berücksichtigung älterer Bewerber“ (Personalleiter eines mittelgroßen Betriebes, Fahrzeugbau und -teile).
„Der Hauptgrund, warum wir keine Älteren einstellen, ist die eingeschränkte körperliche Belastbarkeit. Ich möchte nicht ausschließen, dass es einige gibt, die das noch bringen. Die
müssen Sie aber erst einmal finden. Ich habe einfach Angst, dass ich einen einstelle und
38
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
dann bricht der mir zusammen. Ich habe es selbst gesehen. Die Arbeit geht ins Kreuz, in die
Knochen. Der Verschleiß ist enorm.“ (Personalverantwortlicher einer mittelgroßen Betriebes,
Wäscherei und chemische Reinigung).
Die folgende Abbildung 13 macht den Zusammenhang zwischen körperlichen Belastungen
am Arbeitsplatz und den potenziellen Einstellungschancen älterer Bewerber deutlich.
Abb. 13:
Zusammenhang zwischen dem Grad der körperlichen Belastung am Arbeitsplatz und dem
Anteil älterer Bewerber an den Neueinstellungen
24
22
Anteil 50+ an den Neueinstellungen (in %)
20
18
16
14
12
10
8
6
4
2
0
1 = gering
belastend
2
3
4
5
6 = sehr
belastend
Grad der körperlichen Belastung am Arbeitsplatz
Die befragten Personalverantwortlichen wurden gebeten, auf einer Skala von 1 bis 6 den
Grad der körperlichen Belastung – bezogen auf die Mehrzahl der Arbeitsplätze im Betrieb –
einzuschätzen. Bei Betrieben aus dem Verarbeitenden Gewerbe handelt es sich bei diesen
Arbeitsplätzen in der Regel um Montage-, Schweiß- oder Maschinenbedienungstätigkeiten.
Bei Betrieben aus dem Dienstleistungsbereich ist die Palette deutlich breiter und umfasst
ganz verschiedene Tätigkeiten, angefangen vom Verkauf über die PC-Bedienung bis hin zur
Krankenpflege. Es zeigt sich, dass der durchschnittliche Anteil älterer Bewerber an den Einstellungen tendenziell mit dem Grad der körperlichen Belastungen sinkt. Bei Betrieben, die
durch Arbeitsplätze mit hohen und höchsten körperlichen Belastungen (Grad der Belastung =
5 und 6) gekennzeichnet sind, liegt der Anteil Älterer an den Einstellungen nahe Null.
In vielen Fällen verbinden sich körperlich belastende Tätigkeiten mit ungünstigen Umgebungseinflüssen wie Hitze, Lärm oder Staub, sowie belastenden Arbeitszeiten (Schichtarbeit),
was die Vorbehalte der befragten Personalverantwortlichen gegenüber älteren Bewerbern
noch verstärkt.
39
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
„Worüber die Leute jammern, das ist der Schichtbetrieb. Der ist natürlich auch für 30-Jährige
belastend, aber die älteren Mitarbeiter tun sich damit besonders schwer.“ (Personalleiter eines Großbetriebes, Papier-, Verlags- und Druckgewerbe)
Im Zusammenhang mit der Frage der körperlichen Belastbarkeit wurde von einigen Personalverantwortlichen, vornehmlich aus Dienstleistungssektor, auf die ihrer Meinung nach
weitaus relevanteren psychischen Belastungen verwiesen. Dies wäre z. B. in Bereichen des
Gesundheitswesens der Fall, aber auch im untersuchten Betrieb aus dem Bereich des Kreditwesens, wo diese Belastungen aufgrund des gestiegenen Leistungsdruckes und der Erweiterung bisheriger Tätigkeiten um neue Aufgabenfelder erheblich zugenommen haben.
In Abhängigkeit vom Grad der körperlichen Belastungen in den Betrieben haben die Personalverantwortlichen sehr unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich des Alters, das ein Stellenbewerber maximal haben sollte. In der Tendenz gilt, dass die Altersgrenze bei qualifikatorisch anspruchsvolleren und körperlich kaum belastenden Tätigkeiten höher liegt, als bei solchen mit starken physischen und psychischen Belastungen, ungünstigen Arbeitsbedingungen
(z. B. Schichtarbeit) sowie einem hohen Arbeitstempo (z. B. Akkordarbeit):
„Bei uns gibt es keine Altersobergrenze. Ob jemand bei uns eingestellt wird oder nicht, hängt
nicht vom Alter ab.“ (Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes, Datenverarbeitung und Datenbanken)
„... ich mir vorstelle, wie der Bewerber mit den Belastungen umgehen kann und da komme
ich auf eine Altersgrenze von ca. 40 Jahren, einfach weil Lebensalter und Belastbarkeit miteinander gekoppelt sind.“ (Personalleiter eines Großbetriebes, Fahrzeugbau und -teile)
„Im Pflegebereich liegt die Grenze bei 50 bis 55 Jahren, das ist körperlich bedingt, das sind
Belastungen wie im Stahlbau. Wenn sie 20 Jahre in der Pflege gearbeitet haben, dann sind
sie verschlissen. Das muss man einfach akzeptieren“ (Personalleiterin eines Großbetriebes,
Gesundheits- und Sozialwesen)
Es lässt sich an dieser Stelle festhalten: Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen gegenüber älteren Bewerbern hängt in hohem Maße von den Tätigkeitsbelastungen ab,
die sich mit den zu besetzenden Arbeitsplätzen verbinden. Positive Erfahrungen von Personalverantwortlichen mit eigenen Mitarbeitern im Hinblick auf die körperliche Belastbarkeit
ebenso wie negative Erfahrungen bestimmen, ob ältere Bewerber bei der Stellenbesetzung
berücksichtigt werden. Als alterskritisch gelten vor allem körperlich anstrengende oder einseitige Arbeiten sowie Hitze, Lärm und Schichtarbeit. Einstellungsbarrieren resultieren in diesen Betrieben hauptsächlich aus der Diskrepanz zwischen den hohen Belastungen am Arbeitsplatz und der unterstellten eingeschränkten Belastbarkeit Älterer.
3.4 Kündigungsschutz und Lohn-/Gehaltskosten
a)
Kündigungsschutz
„Über 57 würde ich keinen einstellen. Keine Chance.“ „Warum gerade 57?“ „Das ist mir von
meinem Anwalt so gesagt worden.“ (Geschäftsführer eines Kleinbetriebes, Dienstleistungsgewerbe)
Vor allem der Kündigungsschutz wird in der öffentlichen Diskussion genannt, um die vergleichsweise geringe Berücksichtigung älterer Bewerber bei Stellenbesetzungen zu erklären.
Der gesetzliche Kündigungsschutz, verankert im Kündigungsschutzgesetz (KSchG), schränkt
40
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
den Handlungsspielraum von Arbeitgebern im Hinblick auf die Kündigung bestehender Arbeitsverhältnisse in bestimmten Maße ein. Darüber hinaus finden sich in verschiedenen Gesetzen, u. a. im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) sowie im Bürgerlichen Gesetzbuch
(BGB) besondere Festlegungen zum Kündigungsschutz. Diese werden flankiert durch spezifische Regelungen in Flächentarifverträgen, wobei allerdings anzumerken ist, dass ein erheblicher Teil der Betriebe nicht unter die Bestimmungen von Tarifverträgen fällt.35 Insgesamt
weisen die tariflichen Regelungen zum Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses zwar einen
starken Altersbezug auf. Doch zumeist wird neben dem Lebensalter auch die betriebliche Beschäftigungsdauer als Kriterium für die Kündigungsbestimmungen herangezogen. Wenn z. B.
ein Betrieb einen 50-Jährigen einstellt, kann dieser nach den meisten Tarifbestimmungen in
der Regel erst mit 60 bzw. 65 Jahren den besonderen Kündigungsschutz erreichen.36
Durch die bestehenden Regelungen werden vor allem Beschäftigte mit einer langen Betriebszugehörigkeit begünstigt, während Beschäftigte mit häufigen Betriebswechseln oder Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit einen weniger ausgeprägten Schutz genießen. Bei Neueinstellungen Älterer dürften diese spezifischen, an die Dauer der Betriebszugehörigkeit gekoppelten Regelungen daher im Prinzip keine Rolle spielen.37
Von größerer Relevanz – im Falle von Neueinstellungen älterer Bewerber – sind die direkt altersbezogenen Bestimmungen, also unmittelbar am Lebensalter festgemachte Regelungen,
wie sie sich z. B. im KschG finden lassen. Die Pflicht zur Erstellung eines Sozialplans, der im
Prinzip ein „Ranking“ der Beschäftigten darstellt, begünstigt ältere Beschäftigte gegenüber
jüngeren Kollegen – unter sonst gleichen Bedingungen, da das Lebensalter neben Dauer der
Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten sowie Behinderung ein eigenes Selektionskriterium
darstellt.
Die interessierende Frage ist nun, ob sich die Regelungen des Kündigungsschutzes letztlich
im tatsächlichen Einstellungsverhalten der Betriebe niederschlagen. Trotz der für alle gleichermaßen geltenden Regelungen – befragt wurden vom Autor ausschließlich Betriebe mit
mehr als 10 Beschäftigten38 – vertreten die befragten Personalverantwortlichen überraschenderweise ganz unterschiedliche Positionen hinsichtlich des Einflusses bestehender Kündigungsschutzregelungen auf ihr Einstellungsverhalten gegenüber älteren Bewerbern. Jene
Personalverantwortliche, die den Kündigungsschutz als entscheidendes Hemmnis für die Einstellung älterer Bewerber betrachten, führen folgende Gründe an:
35
36
37
38
Rund 52 % der Betriebe bzw. 30 % der Beschäftigten in Nordrhein-Westfalen sind nicht tarifgebunden. (vgl.
Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.): IAB-Betriebspanel NRW, Report 2004. Düsseldorf 2006).
Vgl. Bispinck, Reinhard; WSI-Tarifarchiv: Tarifpolitik für ältere ArbeitnehmerInnen. Eine Analyse von tariflichen Regelungen in ausgewählten Tarifbereichen. Elemente qualitativer Tarifpolitik Nr. 49. Düsseldorf, September 2002.
Vgl. Pfarr, Heide u. a.: Der Kündigungsschutz zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit. Betriebliche Erfahrungen mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen, 2005.
Betriebe, die hinsichtlich der Beschäftigtenzahl einen bestimmten Schwellenwert überschreiten
(10 Mitarbeiter), unterliegen den Bestimmungen des KSchG. Fast die Hälfte (45 %) aller Betriebe in Nordrhein-Westfalen beschäftigt weniger als fünf Mitarbeiter. Weitere 27 Prozent der Betriebe beschäftigen lediglich fünf bis neun Mitarbeiter. Auf Betriebe mit 1 bis 4 Mitarbeitern sowie 5 bis 9 Mitarbeitern entfallen zusammen rund 72 % aller Betriebe, allerdings weniger als ein Fünftel (17 %) der Beschäftigten in NordrheinWestfalen. Nur eine Minderheit der Betriebe, allerdings die Mehrheit der Beschäftigten unterliegt demnach
den Bestimmungen des KschG.
41
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
„Sie haben heute die Situation, wenn Sie in Konflikt mit einem Älteren geraten, unterliegen
Sie als Arbeitgeber. Je älter ein Mitarbeiter ist, umso mehr verliere ich an personalpolitischer
Flexibilität.“ (Personalleiter eines Großbetriebes, Papier-, Verlags- und Druckgewerbe)
„Der Kündigungsschutz ist ein echtes Hemmnis für die Einstellung älterer Bewerber. Bei Entlassungen müssen Sie eine Sozialauswahl vornehmen. Bei Älteren haben sie da ganz schlechte Karten.“ (Geschäftsführerin eines Kleinbetriebes, Erbringung von Dienstleistungen für Unternehmen)
„Wollen Sie wissen, warum die Unternehmen keine Älteren einstellen. Ich geben Ihnen eine
ehrliche Antwort. Das liegt am Kündigungsschutz.“ (Geschäftsführer eines Kleinbetriebes,
Einzelhandel)
Die Personalverantwortlichen, die diese Position vertreten, stützen sich auf konkrete negative
und oftmals kostenintensive Erfahrungen bei der gerichtlichen Auseinandersetzung mit älteren ehemaligen Mitarbeitern. Wengleich dies in keinem Fall neu eingestellte ältere Mitarbeiter
betraf, werden die negativen Erfahrungen mit den ehemaligen langjährig beschäftigten Älteren auf ältere Bewerber übertragen. In Antizipation möglicher personalpolitischer Risiken und
Kosten wird bei Neueinstellungen älterer Bewerber von vornherein auf Ältere verzichtet.
Auf der anderen Seite finden sich jene Personalverantwortliche, die auf die zahlreichen Möglichkeiten zur Gewährleistung der erforderlichen personalpolitischen Handlungsspielräume
verweisen und daher keine Effekte des Kündigungsschutzes auf ihr Einstellungsverhalten gegenüber älteren Bewerbern sehen:
„Wissen Sie, wir haben so viele Möglichkeiten jemanden zu entlassen...“ (Geschäftsführer eines Kleinbetriebes, Herstellung von Metallerzeugnissen)
„Der Kündigungsschutz ist für Ältere genauso schlecht wie für Jüngere, oder wenn sie es
wollen, genauso gut, weil er in der Regel von der Betriebszugehörigkeit und nicht vom Alter
abhängig ist. Wenn ich einen 50-Jährigen einstelle, dann fängt der bei Null an. Also ist das
für mich kein Hindernis, Ältere einzustellen. Letzten Endes kann ich auch befristet einstellen,
wenn ich das will“ (Geschäftsführer eines Kleinbetriebes, Maschinenbau)
„Wenn ich jemanden einstelle, dann denke ich nicht schon daran, wie ich den wieder los
werde. Das wäre meines Erachtens eine schlechte Basis. Und außerdem: Ich habe eine Probezeit von sechs Monaten. Und wenn das nicht reicht, dann stelle ich eben nur befristet ein.
Bei uns sind etwa 50 % aller Neueinstellungen befristet.“ (Personalverantwortlicher eines
mittelgroßen Betriebes, Gastgewerbe)
Wenngleich nur wenige befragte Personalverantwortliche im bestehenden Kündigungsschutz
Hemmnisse für die Einstellung speziell älterer Bewerber sehen, so wird dieser doch von einigen Befragten insgesamt eher kritisch beurteilt, wie die folgenden Aussagen exemplarisch
belegen:
„Der Kündigungsschutz ist generell ein Einstellungshemmnis. Das hat nichts mit Älteren zu
tun. Sie können in Deutschland nicht wirklich kündigen, ohne etwas dafür zu bezahlen.“
(Personalleiterin eines mittelgroßen Betriebes, Chemische Industrie)
„Wenn der Kündigungsschutz anders gehandhabt würde, dann würde man als Arbeitgeber
eher einstellen, wovon natürlich auch ältere Bewerber profitieren würden. Es ist heute leider
so, dass die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses mit den allergrößten Schwierigkeiten verbunden ist. Das müsste man in der Tat ändern. Es müsste so sein, dass man als Unterneh-
42
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
mer zügig auf Veränderungen reagieren kann. Das kann man in Deutschland derzeit leider
nicht. Deshalb stellt man als Unternehmer auch nicht in dem Maße ein, wie man das vielleicht möchte. Und betroffen sind davon natürlich auch die Älteren.“ (Geschäftsführer eines
Kleinbetriebes, Maschinenbau)
„Der Kündigungsschutz spricht aus unserer Sicht nicht gegen eine Einstellung von Älteren.
Das sage ich, weil wir in dieser Hinsicht keine schlechten Erfahrungen mit älteren Mitarbeitern gemacht haben. Generell gesehen ist der Kündigungsschutz jedoch ein riesiges Problem,
das hat nichts mit Älteren zu tun.“ (Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes,
Gesundheits- und Sozialwesen)
„Diese ganze Kündigungsschutz-Sch... muss weg. Es ist nicht so, dass ich für ‚Hire and Fire’
wäre. Aber dass man die Hürden für Arbeitgeber so hoch hängt, dass man sich von unfähigen Mitarbeitern nicht mehr trennen kann, das ist belastend. Wir haben früher nur unbefristet eingestellt. Aufgrund unschöner Erfahrungen stellen wir aber nur noch befristet ein. Dies
machen wir, weil man nie weiß, ob man sich von einem Mitarbeiter im Bedarfsfall wieder
trennen kann. Es wäre ein großer Fortschritt, wenn man als Arbeitgeber dieses Risiko nicht
hätte.“ (Personalleiterin eines Großbetriebes, Gesundheits- und Sozialwesen)
Andere Personalverantwortliche kritisieren weniger den Kündigungsschutz an sich, sondern
vor allem die Unsicherheit und Unklarheit bei arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen. Urteile basieren in hohem Maße auf der Spruchpraxis der Arbeitsgerichte und sind daher kaum
antizipierbar. Gewünscht werden klarere Festlegungen bspw. über das tatsächliche Gewicht
der einzelnen Kriterien wie Lebensalter im Rahmen von Sozialplänen oder die Höhe der Abfindungen, die Arbeitgeber bei Entlassungen zu zahlen haben.
„Das Alter hat auch unabhängig von der Betriebszugehörigkeit ein entscheidendes Gewicht
bei der Sozialauswahl. Wie hoch das Gewicht des Alters bei der Sozialauswahl genau ist,
darüber besteht jedoch große Unsicherheit. Ohne Beistand eines Arbeitsrechtlers geht gar
nichts mehr.“ (Geschäftsführerin eines Kleinbetriebes, Erbringung von Dienstleistungen für
Unternehmen)
„In der Regel findet man sich beim Arbeitsgericht wieder. Und das ist für Arbeitgeber ein Vabanquespiel. Man weiß als Arbeitgeber nie, wie es beim Arbeitsgericht ausgeht. Sie können
mir glauben, ich habe alles erlebt.“ (Personalleiter eines Großbetriebes, Papier-, Verlags- und
Druckgewerbe)
Die Verunsicherung der Betriebe wurde durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs
(EuGH) hinsichtlich der Altersgrenze bei befristeten Einstellungen ohne sachlichen Grund
noch verstärkt. Um Einstellungshürden für Ältere abzubauen, hatte die Bundesregierung zum
1.1.2003 die Altersgrenze für die Zulässigkeit der unbegrenzten zeitlichen Befristung eines
Arbeitsverhältnisses auf das 52. Lebensjahr abgesenkt. Diese Regelung sollte zur Verbesserung der Einstellungschancen älterer Bewerber beitragen. Der Europäische Gerichtshof
(EuGH) hat Ende des letzten Jahres diese Regelung für unwirksam erklärt, da das Alter nicht
alleiniger Anknüpfungspunkt für eine Abweichung von den allgemeinen Befristungsregelungen sein dürfe. Die Richter sahen hierin eine nicht gerechtfertigte Diskriminierung. Zwar erkennt der EuGH die Zielsetzung der Gesetzgebung an. Allerdings laufe die Regelung darauf
hinaus, dass alle älteren Arbeitnehmer, gleich wie lange sie vorher arbeitslos waren, nur
noch befristete Arbeitsverträge angeboten bekämen. Sie seien daher von einem wichtigen
Aspekt des Arbeitnehmerschutzes von vornherein ausgeschlossen. Als Konsequenz aus dem
43
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Urteil ist der entsprechende Passus im TzBfG nunmehr unanwendbar, was Personalverantwortlichen zu folgenden Urteilen kommen lässt.
„Was jetzt passiert, sage ich Ihnen. Egal, was die Bundesregierung sich jetzt noch ausdenkt
für die Älteren, jetzt wird erst recht kein Unternehmen einen Älteren einstellen. Man muss ja
als Arbeitgeber ab nun stets befürchten, dass der EuGH eine beschlossene Regelung nachträglich kippt. Das Risiko für Arbeitgeber ist da viel zu hoch. Wenn ich einen Älteren auf dieser Basis einstellen würde, müsste mich mein Geschäftsführer eigentlich entlassen.“ (Personalleiter eines Großbetriebes, Papier-, Verlags- und Druckgewerbe)
„Da gab es damals eine Lücke im Gesetz, im Altersteilzeitgesetz, oder nein, im Teilzeit- und
Befristungsgesetz. Da konnte man Ältere befristet einstellen. Aber das geht jetzt nicht mehr.
Da herrscht jetzt so eine Rechtsunsicherheit, also da stelle ich keine älteren Bewerber ein.
Das Problem ist einfach die Unsicherheit. Da kann etwas passieren, z. B. Krankheit, wie im
aktuellen Fall, und dann stehen sie da und haben die Belastungen. Und als kleines Unternehmen spüren sie diese Belastungen ganz besonders. Das kostet richtig viel Geld, das kann
bis an die Substanz gehen.“ (Geschäftsführer eines Kleinbetriebes, Einzelhandel)
Es lässt sich festhalten: Der Kündigungsschutz in seiner gegenwärtigen Form wird von vielen
Personalverantwortlichen als erhebliche Einschränkung ihrer personalpolitischen Handlungsspielräume empfunden und entsprechend kritisch beurteilt. Die Frage, ob dadurch die Einstellung älterer Bewerber gehemmt bzw. eine Lockerung bestehender Regelungen zu einer
stärkeren Berücksichtigung dieser Altersgruppe bei Stellenbesetzungen führt, lässt sich anhand der Untersuchungsergebnisse weniger klar beantworten. Bei aller Vorsicht der Interpretation scheint der Kündigungsschutz als Einstellungshemmnis in Bezug auf Ältere weniger
bedeutsam zu sein, als angesichts des Stellenwertes dieses Faktors in der öffentlichen Diskussion zu erwarten gewesen wäre. Lediglich eine Minderheit der befragten Personalverantwortlichen sieht im Kündigungsschutz das entscheidende Hemmnis für die Einstellung älterer
Bewerber. Vor dem Hintergrund der dargestellten Zusammenhänge kann abgeleitet werden,
dass Veränderungen von altersbezogenen Regeln im Kündigungsschutz nur unwesentlich zu
einer stärkeren Berücksichtigung älterer Bewerber führen dürften.
b)
Lohn- und Gehaltskosten
„In der Praxis erweist sich gerade das höhere Einkommen Älterer oft als Wiedereinstellungsbremse.“39
In den folgenden Ausführungen soll geprüft werden, ob das betriebliche Einstellungsverhalten gegenüber Älteren von altersbezogenen Verdienstregelungen negativ beeinflusst wird.
Für Betriebe sind Löhne und Gehälter vor allem ein Kostenfaktor und beeinflussen entsprechend die Einstellungsentscheidungen von Personalverantwortlichen, wobei zu berücksichtigen ist, dass diese zwischen beiden Parteien verhandelbar sind. Es stellt sich die Frage, ob
die diesbezüglichen Handlungsspielräume durch bestimmte Rahmenbedingungen zu Lasten
älterer Bewerber eingeschränkt werden.
Wie bei Kündigungsschutzbestimmungen enthalten zahlreiche Tarifverträge auch im Hinblick
auf Vergütungsaspekte altersbezogene Regelungen (sog. Senioritätsregelungen).40 Bei der
39
40
DIHK-Chef Ludwig Georg Braun in einem Interview, Berliner Zeitung vom 6.3.2006.
Vgl. Bispinck, Rainer; WSI-Tarifarchiv: Tarifpolitik für ältere ArbeitnehmerInnen. Eine Analyse von tariflichen
Regelungen in ausgewählten Tarifbereichen. Elemente qualitativer Tarifpolitik Nr. 49. Düsseldorf, September
2002
44
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
klassischen Form der Senioritätsentlohnung erhöhen sich Löhne und Gehälter in Abhängigkeit vom Lebensalter. Altersbezogene Verdienstregelungen finden sich vor allem im öffentlichen Dienst und vergleichbaren Organisationen (zum Beispiel Sozialversicherungsträger,
Post, Telekom oder auch bei großen Kreditinstituten).41 Darüber hinaus enthalten einige Tarifverträge Bestimmungen, nach denen eine Entgeltrückstufung von Arbeitnehmern – z. B.
infolge eines Arbeitsplatzwechsels aus gesundheitlichen Gründen, wegen verminderter Leistungsfähigkeit oder aus betriebsorganisatorischen Gründen – ab einem bestimmten Alter
ausgeschlossen ist. Solche Regelungen greifen in der Regel ab dem 50. bis 55. Lebensjahr
und nach zehn bis 25 Jahren Betriebszugehörigkeit.
Alterbezogene Bestimmungen zu Fragen von Lohn und Gehalt sind in der Regel – ähnlich wie
altersbezogene Regelungen im Rahmen von Kündigungsschutzregelungen – an die Betriebszugehörigkeitsdauer geknüpft. Im Falle von Neueinstellungen älterer Bewerber dürften Senioritätsregelungen daher im Prinzip keine Rolle bei der Bestimmung der Lohn- bzw. Gehaltshöhe spielen. Es ist also wichtig, zwischen den Gehaltsansprüchen älterer Beschäftigter, die
über viele Jahre in einem tarifgebundenen Betrieb tätig sind und einem Älteren, der sich bei
einem Betrieb neu bewirbt, zu unterscheiden. Darüber hinaus muss auch die Frage der Tarifgebundenheit berücksichtigt werden. Ist diese nicht gegeben, entfallen auch entsprechend
lohnpolitische Vorgaben.
Wie sehen die vom Autor befragten Personalverantwortlichen diesen Aspekt? Sind Einstellungen von älteren Bewerbern mit höheren Lohn- und Gehaltskosten verbunden? Sind ältere
Bewerber zu teuer und werden deshalb von den Personalverantwortlichen bei der Besetzung
von freien Stellen nicht berücksichtigt? Der Aussage, dass die Lohn- und Gehaltkosten gegen
die Einstellung älterer Bewerber sprechen, stimmte nicht ein einziger Befragter – egal ob tarifgebunden oder tarifungebunden – „ausdrücklich zu“ (vgl. Abbildung 14).
41
Nach dem Bundesangestelltentarif (BAT) bspw. orientiert sich der Verdienst eines Mitarbeiters entsprechend
seiner Eingruppierung in eine Vergütungsgruppe entsprechend Qualifikation/Leistung am Alter, d. h. wer älter ist, verdient automatisch mehr. Innerhalb einer Vergütungsgruppe kann der Verdienstunterschied zwischen einem Jüngeren und einem Älterem dann bis zu mehreren hundert Euro betragen. Ein älterer, ansonsten gleich eingruppierter Arbeitnehmer ist in dieser Hinsicht teurer als ein jüngerer Arbeitnehmer. Im Jahr
2005 wurde zwischen der Gewerkschaft Verdi und den Arbeitgebern im öffentlichen Dienst des Bundes und
der Kommunen – im November 2006 auch für die Länder – eine Tarifrechtsreform abgeschlossen, nach der
die bisherige an Alter und Familienstand anknüpfende Entlohnung im Grundsatz durch ein flexibleres, stärker
leistungsorientiertes Bezahlungssystem ersetzt wurde – unter Berücksichtigung des „Besitzstandes“, d. h. bereits Beschäftigte sollen durch das neue Tarifrecht keine Nachteile erleiden.
45
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Abb. 14:
Bedeutung von Lohn- und Gehaltskosten älterer Bewerber für das Einstellungsverhalten von
Personalverantwortlichen
Gegen die Einstellung älterer Bewerber sprechen die Lohn- und Gehaltskosten.
Dieser Aussage stimme ich ...
8
5
3
2
0
2
2
0
ausdrücklich zu
eher zu
tarifgebunden
eher nicht zu
ausdrücklich nicht zu
nicht tarifgebunden
Lediglich ein Teil der Befragten sieht einen gewissen Einfluss und verwies auf eigene Erfahrungen, wonach ältere Bewerber in der Regel deutlich höhere Gehaltsansprüche stellen, als
man zu gewähren bereit ist. Ältere Bewerber haben in der Regel ein gewisses Verdienstniveau erreicht, das sie bei einer Neueinstellung wieder erzielen möchten. Jüngere Bewerber,
insbesondere jene, die direkt aus der Ausbildung kommen, haben „noch gar kein richtiges
Geld verdient“ und vergleichsweise geringere Ansprüche.42
„Wir sehen die Gehaltsentwicklung im Unternehmen. Bei uns gibt es kontinuierliche Gehaltssteigerungen. Und wenn sie dann lange im Unternehmen sind, wie unsere älteren Mitarbeiter, dann ist da das Ende der Fahnenstange eigentlich erreicht. Das ist in den anderen Unternehmen genauso. Die Älteren, die sich bei uns bewerben, haben ganz andere Gehaltsvorstellungen als Jüngere. Wenn wir jemanden einstellen, zahlen wir dem zunächst 1.800 €. Für
das Gehalt bekommen sie keinen Älteren. Deren Vorstellungen liegen alle weit darüber.“
(Geschäftsführerin eines Kleinbetriebes, Erbringung von Dienstleistungen für Unternehmen)
Diejenigen älteren Bewerber, deren Vorstellungen deutlich über dem Niveau liegen würden,
kämen nach Meinung der befragten Personalverantwortlichen in der Regel aus tarifgebundenen Großbetrieben und hätten dort entsprechend hohe Einkommen erzielt, die sich in mittelständischen Betrieben in der Regel nicht erwirtschaften lassen.
42
Diese Eindrücke werden durch aktuelle Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
bestätigt, wonach ältere Arbeitslose in ihrem letzten Arbeitsverhältnis in der Regel ein deutlich höheres Einkommen als jüngere Arbeitslose erzielt haben (vgl. Dietz, Martin u. a.: Kombilohn für ältere Arbeitslose.
Maßgeschneidert ist besser als von der Stange, IAB-Kurzbericht Nr. 18/20.10.2006).
46
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
„Ich hatte schon Bewerber, die waren vorher in einem großen Unternehmen, die haben da
am Band gestanden, waren also Hilfsarbeiter, also nicht, dass sie mich falsch verstehen, ich
habe nichts gegen Hilfsarbeiter, aber die haben da 15 bis 20 € die Stunde verdient. Die hatten da Akkord, da gab es dann Zuschläge und was weiß ich noch alles. Da haben sie dann
ein Lohnniveau, also das ist völlig illusorisch... Also zu hohe Lohnkosten können in der Tat
ein Hemmnis sein.“ (Geschäftsführer eines Kleinbetriebes, Maschinenbau)
Die höheren Gehaltsvorstellungen älterer Bewerber sind nach Meinung der Befragten lediglich dann kein Problem, wenn sie durch bessere Kenntnisse und Fähigkeiten gerechtfertigt
sind und durch eine entsprechende Produktivität „erwirtschaftet“ werden können. Im Bereich
des Gastgewerbes bspw. wäre dies erfahrungsgemäß bei älteren Köchen der Fall, so ein Befragter aus diesem Bereich. Ein Problem besteht in dieser Hinsicht jedoch bei Kellnern und
ähnlichen Anlerntätigkeiten. Hier spielen Erfahrungen eine weniger große Rolle. Hier hat in
den Augen des befragten Personalverantwortlichen derjenige Bewerber Vorteile, der weniger
kostet.
Fast alle Personalverantwortlichen weisen darauf hin, dass Lohn- und Gehaltsvorstellungen
verhandelbar sind und sie – angesichts hoher Arbeitslosigkeit und einer zumeist sehr hohen
Zahl von Bewerbern – gewöhnlich in der besseren Verhandlungsposition wären, wie das folgende Beispiel zeigt. So stellte der Geschäftsführer eines Kleinbetriebes aus dem Bereich des
Verarbeitenden Gewerbes vor einiger Zeit einen über 50-Jährigen arbeitslosen Schlosser ein.
Letzterer hatte vor seiner Arbeitslosigkeit in einem namhaften, größeren Betrieb gearbeitet.
Nach dem Konkurs dieses Betriebes kam der betreffende Arbeitnehmer in eine Transfergesellschaft und hatte, so der Geschäftsführer, „sogar dort noch einige Tausend Euro verdient.“
Dementsprechend lagen die jeweiligen Verdienstvorstellungen weit auseinander, „aber wer
zwei oder drei Jahre arbeitslos war, der weiß, dass er in dieser Hinsicht keine unerfüllbaren
Bedingungen stellen darf.“
Auch die folgenden Zitate zeigen, dass die gegebene Beziehung zwischen Lohn- und Gehaltsfragen und dem Alter der Bewerber in der Regel durch Verhandlungen „aufgelöst“ wird:
„Bei uns wird jemand entsprechend seiner Arbeitsaufgabe bezahlt, egal wie alt er ist. Wenn
einer neu eingestellt wird, fängt er mit einem Einstiegsgeld an und kann sich dann langsam
hocharbeiten.“ (Personalleiter eines mittelgroßen Betriebes, Fahrzeugbau- und teile)
„...habe auch die Erfahrung gemacht, dass Arbeitslosigkeit bei vielen dazu führt, dass man
wieder auf vernünftiger Basis miteinander reden kann. Also es ist sehr unterschiedlich. Einige
sind verständig, bei anderen kommt man in diesem Punkt nicht zusammen.“ (Geschäftsführer eines Kleinbetriebes, Maschinenbau)
„Der Verdienst richtet sich nach der Arbeitsleistung. Bei uns wird Akkord gearbeitet. Wer
mehr schafft, verdient mehr – egal wie alt.“ (Personalleiter eines Großbetriebes, Fahrzeugbau- und teile)
„Der Verdienst bei uns im Unternehmen ist in erster Linie von der Qualifikation, vom Können
bzw. dem Nutzen des Bewerbers für das Unternehmen abhängig. Der Verdienst bzw. die Kosten für uns als Unternehmen richten sich natürlich auch ganz stark nach der Arbeitsmarktlage, aber auch wie hoch der Druck für uns als Unternehmen ist, dass man eine Stelle besetzen muss.“ (Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes, Datenverarbeitung und
Datenbanken)
47
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
„Nur weil einer älter ist, verdient er nicht mehr. Es ist bei uns nicht so wie bei den Beamten.“
(Personalverantwortliche eines mittelgroßen Betriebes, Metallerzeugung und -bearbeitung)
„Der Markt in der Region ist nicht so, dass die Bewerber Forderungen stellen können. Die
sind froh, dass sie eine Arbeit finden.“ (Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes, Gesundheits- und Sozialwesen)
„Die Forderungen der älteren Bewerber sind in der Regel realistisch. Und wenn jemand zu
hohe Forderungen hat und darauf besteht, dann wird er eben nicht eingestellt“ (Personalverantwortliche eines Großbetriebes, Fahrzeugbau- und teile)
Es lässt sich festhalten: Aus Sicht der befragten Personalverantwortlichen sind die Lohn- und
Gehaltskosten kein eigenständiger Faktor, der gegen die Einstellung älterer Bewerber spricht.
Hemmnisse scheinen hier vor allem von den Älteren selbst auszugehen.43 Vor allem Ältere,
die in größeren, tarifgebundenen Betrieben tätig waren, haben Gehaltsvorstellungen, die
oftmals über dem angebotenen Niveau der zu besetzenden Stellen liegen. Einstellungschancen bestehen, sofern ältere Bewerber den fachliche Ansprüchen genügen und bereit sind,
das gegebene Verdienstniveau, das in kleinen und mittelständischen Betrieben in der Regel
deutlich niedriger ist als in größeren Betrieben zu akzeptieren, und damit auch mögliche Gehaltseinbußen gegenüber einer früheren, höher dotierten Stelle in Kauf zu nehmen. Entscheidend ist somit die Flexibilität der älteren Bewerber in Fragen Lohn und Gehalt.
3.5
Verrentungspraxis
„Durch die Altersteilzeitregelungen wurden bestimmte personalpolitische Lösungen erst ermöglicht und dadurch natürlich Bedürfnisse geweckt.“ (Personalleiterin eines großen Betriebes, Kreditgewerbe)
Es wird davon ausgegangen, dass das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen in
Bezug auf ältere Bewerber wesentlich von der vorherrschenden Verrentungspraxis, von den
institutionalisierten Mustern des Übergangs vom Erwerbsleben in die Rentenphase beeinflusst wird. Seit vielen Jahren scheiden ältere Arbeitnehmer unterhalb der gesetzlichen Regelaltersgrenze aus dem Erwerbsleben aus. In Nordrhein-Westfalen gehen Männer gegenwärtig im Durchschnitt mit 60,4 Jahren in den Ruhestand, Frauen mit 61,5 Jahren.44
Die in den letzten Jahren erfolgten Änderungen im Rentenrecht sowie im Hinblick auf die Bezugsdauer von Lohnersatzleistungen, haben die Anreize für einen frühzeitigen Ausstieg aus
dem Erwerbsleben zwar eingeschränkt.45 Im Angesicht der nach wie vor bestehenden Möglichkeit der Frühverrentung sowie der Verlängerung eigentlich ausgelaufener Regelungen,
wie z. B. der „Leistungsbezug unter erleichterten Voraussetzungen“ für Arbeitslose nach voll43
44
45
„Einige ältere Arbeitnehmer erwarten deutlich zu viel von einer neuen Stelle und brauchen zu lange, bis sie
ihre Erwartungen korrigieren. Wenn sie dann endlich bereit sind, ihre Ansprüche herunterzuschrauben, sind
sie schon so lange ohne Beschäftigung, dass die Langzeitarbeitslosigkeit zum Einstellungshemmnis wird“, so
Ulrich Walwei, geschäftsführender Präsident des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (vgl. Neuer
Job nur mit Lohneinbußen, in: Der Tagesspiegel vom 23.10.2006).
Vgl. IAB Regional Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Ältere auf dem Arbeitsmarkt in Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf 26.05.2006.
Vgl. Engstler, Heribert: Geplantes und realisiertes Austrittsalter aus dem Erwerbsleben. Ergebnisse des Alterssurveys 1996 und 2002. Kurzbericht Nr. 3; Wübbeke, Christina: Der Übergang in den Rentenbezug im
Spannungsfeld betrieblicher Personal- und staatlicher Sozialpolitik, BeitrAB 290.1, Nürnberg 2004.
48
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
endetem 58. Lebensjahr gemäß § 428 SGB III – diese Regelung war ursprünglich bis zum
31.12.2005 befristet, wurde aber um zwei Jahre verlängert – wird zutreffend von einem „unvollständigen Paradigmenwechsel“46 gesprochen.
Von aktueller Bedeutung für den Verbleib bzw. die vorzeitige Ausgliederung älterer Arbeitnehmer sind vor allem die Regelungen des Altersteilzeitgesetzes47, mit dem der Gesetzgeber
eine Form der Teilzeitarbeit geschaffen hat, die älteren Arbeitnehmern einen gleitenden Übergang in den Ruhestand ermöglichen soll. Mittlerweile gibt die Bundesagentur für Arbeit
eigenen Angaben zufolge mehr als 1 Mrd. € pro Jahr für die Förderung der Inanspruchnahme von Altersteilzeit aus.48
Von den insgesamt 22 untersuchten Betrieben nutzen neun Betriebe Altersteilzeit; nahezu
ausnahmslos in Form des Blockmodells. Ein befragter Personalleiter meinte hierzu treffend:
„Das Blockmodell ist nicht anderes als eine legalisierte Frühverrentung.“ (Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes, Fahrzeugbau und -teile)
Die untersuchten Betriebe mit Altersteilzeit sind im Durchschnitt viermal so groß wie jene Betriebe, die keine Altersteilzeit nutzen und deren ältere Mitarbeiter überwiegend erst mit Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters aus dem Betrieb ausscheiden (vgl. Abbildung
15).
46
47
48
Eichhorst, Werner: Beschäftigung Älterer in Deutschland: Der unvollständige Paradigmenwechsel, IZA.DP
No. 1985, Februar 2006; Eichhorst, Werner: Integration in Beschäftigung – Bewertung aus deutscher Sicht;
in: Sproß, Cornelia (Hrsg.): Beschäftigungsförderung älterer Arbeitnehmer in Europa. BeitrAB 299. Nürnberg
2006, S. 227-234.
Das Altersteilzeitgesetz am 23.07.1996 (BGBl. I S. 1078) erlassen, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 27.06.2000 (BGBl. I S. 910), ist gültig bis zum 31.12.2009.
Schließen Arbeitgeber und Arbeitnehmer einen Altersteilzeitvertrag ab, wird dies durch Leistungen der Bundesagentur für Arbeit gefördert, wenn die Arbeitszeit ab Vollendung des 55. Lebensjahres spätestens ab
31.12.2009 vermindert und damit die Einstellung eines sonst arbeitslosen Arbeitnehmers ermöglicht wird.
Bei einer Trennung ohne Wiederbesetzung des Arbeitsplatzes entfällt die Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit (vgl. § 1 AtG).
49
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Abb. 15:
Durchschnittliche Betriebsgröße, Tarifbindung und Altersobergrenzen für Bewerber bei
Betrieben mit und ohne Nutzung von Altersteilzeit
375
100
Altersobergrenze für Bewerber
keine Altersobergrenze
350
349
90
325
89
80
275
70
250
69
225
60
Anteile in %
Betriebsgröße (Zahl der Beschäftigten)
300
200
175
150
50
40
125
30
31
100
86
75
20
50
10
25
0
11
0
Betriebe mit Altersteilzeit
Betriebe ohne Altersteilzeit
Betriebe mit Altersteilzeit
Betriebe ohne Altersteilzeit
Mit steigender Betriebsgröße geht auch ein höherer tariflicher Bindegrad einher: So sind Betriebe mit Altersteilzeit in einem deutlich höheren Maße tarifgebunden. Mit der Tarifbindung
verbinden sich in Abhängigkeit von den konkreten tariflichen Regelungen ergänzende Bestimmungen zur Altersteilzeit. Altersteilzeit ist im Prinzip keine gesetzliche Pflichtleistung. Die
Inanspruchnahme setzt voraus, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer einig sind. Allerdings enthalten zahlreiche Tarifverträge Regelungen, wonach Arbeitnehmer bis zu einem bestimmten Umfang von Altersteilzeit Gebrauch machen dürfen, ohne dass hierzu die Zustimmung des Arbeitgebers erforderlich ist. Ihrerseits können Arbeitgeber keinen Mitarbeiter
zwingen, Altersteilzeit in Anspruch zu nehmen.
„Wenn sie tariflich gebunden sind, müssen Sie als Arbeitgeber, dann haben die Mitarbeiter
einen Anspruch auf Altersteilzeit ... Es ist immer eine Entscheidung des Arbeitnehmers, ob
Altersteilzeit genutzt wird oder nicht. Wir können keinen Mitarbeiter zwingen.“ (Personalleiterin eines mittelgroßen Betriebes, Elektrotechnik)
Wenn in den Betrieben Mitarbeiter bereits mit 57 Jahren oder noch früher aus dem Erwerbsleben ausscheiden, dann erscheint es Personalverantwortlichen wenig sinnvoll, einen 50Jährigen oder noch älteren Bewerber einzustellen. So gibt es in knapp 90 % der untersuchten Betriebe, in denen Altersteilzeit genutzt wird und in denen die Mitarbeiter folglich deutlich vor Erreichen des 65. Lebensjahres aus dem Erwerbsleben ausscheiden, Altersobergrenzen für Bewerber, d. h. werden Bewerber ab einem bestimmten Alter bei Stellenbesetzungen
nicht mehr berücksichtigt. Bei den untersuchten Betrieben ohne Altersteilzeit liegt dieser Anteil bei lediglich rund 30 %.
50
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
„Diese Altersteilzeitregelungen sind meines Erachtens nicht gerade ideal, um Ältere wieder in
Beschäftigung zu bringen. Da muss schon ein bestimmter Abstand sein zwischen dem Einstiegsalter und dem Alter beim Ausscheiden. Durch die bestehenden Regelungen ist der natürlich sehr klein.“ (Personalleiter eines großen Betriebes, Metallerzeugung und -bearbeitung)
Bei der Besetzung von freien Stellen ist somit das Alter, das die eigenen Beschäftigten bei ihrem Austritt aus dem Unternehmen und dem Wechsel in den Ruhestand aufweisen, Messlatte für die Beurteilung des Alters externer Bewerber. Personalverantwortliche erwarten, dass
zwischen dem Alter der neu eingestellten Bewerber und dem Alter der aus dem Betrieb und
dem Erwerbsleben ausscheidenden älteren Mitarbeiter ein gewisser Abstand liegt. Es liegt
auf der Hand, dass dieser Abstand bei Nutzung von Altersteilzeit erheblich kleiner ist als ohne Nutzung von Altersteilzeit. Je geringer das Alter der eigenen Beschäftigten beim faktischen Austritt aus dem Betrieb – bei Nutzung der Altersteilzeitregelungen in Form des
Blockmodells ist dies z. B. deutlich niedriger als bei „echter“ Teilzeit –, desto höher sind die
Einstellungsbarrieren für 50-Jährige oder ältere Bewerber. In Betrieben mit Altersteilzeit
werden Bewerber, deren Alter nur unwesentlich unter dem Alter liegt, mit dem die Beschäftigten im eigenen Unternehmen faktisch ausscheiden, daher bei Stellenbesetzungen in der
Regel nicht berücksichtigt. So berichtete z. B. die Personalverantwortliche eines mittelgroßen
Betriebes aus dem Verarbeitenden Gewerbe von einer älteren Arbeitnehmerin aus dem Bereich der Montage, die seit etwa fünf Jahren regelmäßig in Stoßzeiten als Leiharbeiterin eingesetzt wird:
„Die ist gut, aber ich kriege die nicht eingestellt. Wie soll ich gegenüber der Geschäftsführung begründen, eine 55-Jährige einzustellen, die dann mit 57 das Unternehmen mit Altersteilzeit wieder verlässt. Es ist einfach schwer zu vermitteln, jemand mit 55 einzustellen,
während man gleichzeitig eine Personalstrategie verfolgt, bei der Mitarbeiter, die das 57. Lebensjahr erreicht haben per Altersteilzeit aus dem Unternehmen gehen.“ (Personalleiterin eines mittelgroßen Betriebes, Elektrotechnik)
Es lässt sich an dieser Stelle festhalten: Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen gegenüber älteren Bewerbern steht nach wie vor im Spannungsverhältnis widersprüchlicher Signale. Die Zielsetzung der politischen Unterstützung von Frühverrentungsmaßnahmen ist vor dem Hintergrund der Beschäftigungsprobleme am Arbeitsmarkt nachzuvollziehen. Die Effekte auf die Einstellungschancen älterer Bewerber sind jedoch negativ, da diese
Politik genau das Gegenteil signalisiert. So hat die vorzeitige Ausgliederung Älterer aus dem
Erwerbsleben letztlich „der Ausprägung eines ‚Altenbildes’ Vorschub geleistet, wonach Mitarbeiter im fortgeschrittenen Lebensalter als nur eingeschränkt belastbar, innovativ und lernfähig gelten.“49 Um dieses Denkmuster umzukehren, müssen die Signale der Politik eindeutiger
pro Ältere gesetzt werden. Trotz eines „Paradigmenwechsels“ sind die Anreize zur Frühverrentung immer noch so attraktiv, dass sie von vielen Betrieben wahrgenommen werden, wodurch das zum Teil altersselektive Einstellungsverhalten der Personalverantwortlichen in den
Betrieben mindestens befördert wird. Darüber hinaus werden Ältere selbst ermuntert, sich
weiterhin vom Arbeitmarkt zurückzuziehen. So lange wie Anreize für einen frühzeitigen Austritt aus dem Erwerbsleben nicht beseitigt werden, werden die Chancen Älterer nicht wesentlich steigen, bei der Besetzung von freien Stellen berücksichtigt zu werden.
49
Prager, Jens U.; Schleiter, André: Älter werden – aktiv bleiben?! Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage
unter Erwerbstätigen in Deutschland, 2006, S. 16.
51
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
3.6
Verhältnis von Einarbeitungsaufwand und
Beschäftigungsperspektive
Das Einstellungsverhalten gegenüber Älteren kann durch das im Vergleich zu jüngeren Bewerbern ungünstigere Verhältnis von Einarbeitungsaufwand und Beschäftigungsperspektive
negativ beeinflusst werden. Insbesondere bei Arbeitsplätzen mit überdurchschnittlich hohen
Einarbeitungskosten wird sich die betriebliche Einstellungspolitik vermutlich auf solche Personen fokussieren, deren Einstellung eine vergleichsweise lange Beschäftigungsperspektive
verspricht. Dieser Zusammenhang lässt sich dadurch begründen, dass die Länge der Beschäftigungsdauer gleichbedeutend mit der Amortisationsdauer der Einarbeitungsaufwendungen ist. Wenn die Wahrscheinlichkeit für einen Betriebswechsel für alle Bewerber gleich
ist, so hängt die Amortisationszeit der betrieblichen Aufwendungen für Einarbeitung und
Qualifizierung letztlich vom Alter der Person ab. Jüngere Bewerber bieten in dieser Sichtweise bessere „Anlageformen für Humankapital-Investitionen“, da die Durchschnittskosten der
Qualifikation eines jüngeren Mitarbeiters wegen der längeren Beschäftigungsdauer geringer
sind. In dieser Sichtweise wären ältere gegenüber jüngeren Bewerbern im Nachteil. Aufgrund einer geringeren Verbleibsdauer amortisieren sich Aufwendungen für Einarbeitung,
Aus- und Weiterbildung weniger als bei Jüngeren.50
Welche Position vertreten die befragten Personalverantwortlichen? Für acht von 22 Befragten
ist das vergleichsweise ungünstigere Verhältnis von Einarbeitungsaufwand und Beschäftigungsperspektive eher oder ausdrücklich ein Grund, ältere Bewerber nicht zu berücksichtigen
bzw. jüngeren Bewerbern den Vorzug zu geben. Die jeweilige Position der Personalverantwortlichen hängt erwartungsgemäß eng zusammen mit dem konkreten Ausmaß des Einarbeitungsaufwandes in den Betrieben (vgl. Abbildung 16).
50
Vgl. Koller, Barbara; Gruber, Hannelore: Ältere Arbeitnehmer im Betrieb und als Stellenbewerber aus Sicht der
Personalverantwortlichen; in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Heft 4, 34. Jg., Nürnberg 2001, S. 479-505.
52
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Abb. 16:
Bedeutung des Verhältnisses von Einarbeitungsaufwand und Beschäftigungsperspektive für
das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Gegen die Einstellung älterer Bewerber spricht das Verhältnis von Einarbeitungszeit und
verbleibender Beschäftigungsperspektive. Dieser Aussage stimme ich ...
11
4
3
2
2
0
0
ausdrücklich zu
eher zu
Einarbeitungsaufwand durchschnittlich
eher nicht zu
0
ausdrücklich nicht zu
Einarbeitungsaufwand überdurchschnittlich hoch
Bei einem vergleichsweise geringen Einarbeitungsaufwandes ist die Frage des Alters im Hinblick auf das Verhältnis von Einarbeitungsaufwand und Beschäftigungsperspektive in den
Überlegungen der Personalverantwortlichen tendenziell unbedeutend, wie die folgenden Aussagen belegen:
„Wir machen Einstellungen nicht davon abhängig, wie lange der Arbeitnehmer im Unternehmen bleibt. Es ist auch nicht so, dass wir einen besonders hohen Einarbeitungsaufwand haben.“ (Personalverantwortlicher eines Kleinbetriebes, Maschinenbau)
„Nein, das spricht nicht gegen Ältere. Der Einarbeitungsaufwand ist natürlich abhängig von
den Kenntnissen, die der neue Mitarbeiter mitbringt. Das bezieht sich in erster Linie auf das
Kennen lernen der Abläufe. In der Regel hält sich der jedoch in Grenzen.“ (Geschäftsführerin
eines Kleinbetriebes, Erbringung von Dienstleistungen für Unternehmen)
„Selbst wenn einer nur ein Jahr bleibt, dann ist das bei zwei Wochen Einarbeitung noch ein
ausreichend gutes Verhältnis.“ (Geschäftsführer eines mittelgroßen Betriebes, Gastgewerbe)
„Die Dauer der Einarbeitung ist natürlich immer abhängig von den Kenntnissen und den Erfahrungen, die der Bewerber mitbringt. In der Regel erfolgt die Einarbeitung durch einen Tutor, also durch einen erfahrenen Kollegen. Das hält sich insgesamt in Grenzen, denn wir haben auch gar nicht das Personal, um jemanden monatelang einzuarbeiten.“ (Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes, Gesundheits- und Sozialwesen).
53
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
In jenen Fällen, in den dieser Aufwand ein als durchschnittlich angesehenes Maß jedoch überschreitet, gewinnt das Alter der Bewerber als Selektionskriterium deutlich an Bedeutung:
„Das ist eindeutig ein Aspekt, der gegen die Einstellung älterer Bewerber spricht bzw. wo ältere gegenüber jüngeren Bewerbern im Nachteil sind. Die Einarbeitungsphase ist relativ lang,
vor allem im Bereich der Montage von Lichtleiterkabeln, das ist eine rein manuelle Tätigkeit,
sehr anspruchsvoll, die setzt hervorragende feinmotorische Fähigkeiten sowie feinoptische
und feinwerkmechanische Kenntnisse voraus. Bis man diese Montagetätigkeiten beherrscht,
also von der Qualität und der Montagezeit her, bis die Mitarbeiter volle Leistung erreichen
dauert es im Schnitt zwei Jahre“ (Geschäftsführer eines mittelgroßen Betriebes, Maschinenbau)
„Es sollten schon noch ein paar Jahre sein, die der Mitarbeiter im Unternehmen verbleibt. In
dieser schnelllebigen Zeit kann ich allerdings ohnehin nur maximal fünf Jahre überblicken.
Wenn ich einen einstelle, dann rechne ich mit dem für fünf Jahre. Bis zu einem Alter von 58
bis 60 Jahre trifft dies für alle zu. Älter sollte ein Mitarbeiter bei der Einstellung dann aber
nicht sein“ (Geschäftsführer eines Kleinbetriebes, Herstellung von Metallerzeugnissen)
„Die Lehrgänge sind teuer. Da muss ich schon überlegen, wie lange jemand noch im Unternehmen bleibt.“ (Personalleiter eines mittelgroßen Betriebes, Fahrzeugbau und -teile)
„Ein schnelles Anlernen ist bei uns nicht möglich. Ohne eine gewisse Vorbildung geht bei uns
gar nichts ... aber selbst der beste Mann kann nicht von Anfang an 100 % bringen ... Die Einarbeitungszeit muss sich für uns aber rechnen. Und das ist natürlich davon abhängig, wie
lange der Mitarbeiter noch im Unternehmen verbleibt“ (Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes, Maschinenbau)
„Das trifft schon zu, ist aber abhängig von den Vorkenntnissen der Bewerber. Bei einem
durchschnittlichen Kenntnisstand dauert die Einarbeitung etwa sechs Monate und ca. zwei
Jahre, bis man die Maschinen gut beherrscht.“ (Personalleiterin eines Großbetriebes, Fahrzeugbau und -teile)
Bei Überlegungen hinsichtlich eines angemessenen Verhältnisses von Einarbeitungsaufwand
und Beschäftigungsperspektive spielt auch eine Rolle, ob ältere Mitarbeiter im Betrieb deutlich vor 65 aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Altersteilzeitregelungen, vor allem in Form
des Blockmodells, verkürzen die mögliche Verbleibsdauer älterer Bewerber und verstärken
damit den grundsätzlich gegebenen Nachteil von älteren gegenüber jüngeren Bewerbern in
dieser Hinsicht, wie die folgenden Aussage sowie Abbildung 17 veranschaulichen.
„Das ist schon nicht unwichtig. Sie haben den Einarbeitungsaufwand. Das müssen die anderen Kollegen nebenbei mitmachen. Wenn einer mit 55 Jahren kommt, dann hat er eigentlich
noch 10 Jahre zu arbeiten. Das ist an und für sich in Ordnung. Allerdings bleibt bei uns keiner bis 65.“ (Personalleiter eines mittelgroßen Betriebes, Metallerzeugung und -bearbeitung)
54
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Abb. 17:
Bedeutung des Verhältnisses von Einarbeitungsaufwand und Beschäftigungsperspektive für
das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Gegen die Einstellung älterer Bewerber spricht das Verhältnis von Einarbeitungszeit und
verbleibender Beschäftigungsperspektive. Dieser Aussage stimme ich ...
7
4
3
1
3
3
1
0
ausdrücklich zu
eher zu
Ältere MA scheiden deutlich vor 65 aus
eher nicht zu
ausdrücklich nicht zu
Ältere MA scheiden in der Regel mit 65 aus
Einige Personalverantwortliche verweisen auf einen Aspekt, der tendenziell für die Einstellung älterer Bewerber spricht. So hat eine Teil der Befragten die Erfahrung gemacht, dass
unter 50-Jährige Mitarbeiter aufgrund besserer Angebote den Betrieb verlassen haben. Im
Ergebnis waren getätigte Investitionen in die Qualifikation dieser Mitarbeiter für den Betrieb
verloren. Bei älteren Arbeitnehmern ist ein freiwilliges Ausscheiden aus dem Unternehmen
demgegenüber weniger wahrscheinlich, nicht zuletzt aus den von diesen antizipierten geringen Wiederbeschäftigungschancen, wie folgende Aussagen exemplarisch belegen:
„Wir haben kaum Fluktuation. Die wenigen, die von sich aus gegangen sind, sind die 40-45Jährigen, die sich durch einen Wechsel bessere Möglichkeiten erhoffen. Von den Älteren ist
bislang keiner gegangen. Das ist bislang noch nicht vorgekommen.“ (Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes, Datenverarbeitung und Datenbanken)
„Eine ältere Montiererin kündigt nicht. Die hat keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt.“ (Personalverantwortliche eines mittelgroßen Betriebes, Elektrotechnik)
Es lässt sich festhalten: Ungeachtet des Wunsches nach gewissen personalpolitischen Handlungsspielräumen und der Verbreitung befristeter Beschäftigungsverhältnisse sind die Personalverantwortlichen an langfristigen Arbeitsbeziehungen interessiert. Personalverantwortliche
erwarten eine gewisse Mindestbeschäftigungsdauer von den eingestellten Arbeitnehmern.
Nachteile von älteren gegenüber jüngeren Bewerbern ergeben sich bei Arbeitsplätzen mit einem überdurchschnittlich hohen Einarbeitungsaufwand. Dieser Nachteil wird verstärkt durch
Altersteilzeitregelungen, die die verbleibende Beschäftigungsperspektive für ältere Bewerber
zusätzlich verringern. In Betrieben, in denen die älteren Mitarbeiter mit Erreichen der Regel-
55
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
altersgrenze ausscheiden und der Einarbeitungsaufwand bei Neueinstellungen auf einem
durchschnittlichen Niveau liegt, stellt die gegenüber jüngeren Bewerber kürzere Beschäftigungsperspektive Älterer demgegenüber kein Einstellungshemmnis dar.
3.7
Altersstruktur der Belegschaften
„... die vernünftige Mischung von Jung und Alt bringt für Unternehmen die größten Vorteile.“ 51
Personalverantwortliche haben bestimmte Vorstellungen über die Altersstruktur ihrer Belegschaften. Als optimal wird eine Belegschaft betrachtet, deren altersmäßiger Aufbau einer
Glockenkurve entspricht, wie das folgende Zitat exemplarisch belegt:
„Wir haben ein paar jüngere Mitarbeiter, ein paar Ältere und der Rest liegt dazwischen – genauso soll es sein.“ (Geschäftsführer eines Kleinbetriebes, Maschinenbau)
Im Interesse der Aufrechterhaltung bzw. Erreichung einer als optimal betrachteten Altersstruktur sind Personalverantwortliche bestrebt, freie Stellen vorrangig mit solchen Bewerbern
zu besetzen, deren Alter dieser Zielsetzung am ehesten entspricht. Im Falle eines als zu hoch
empfunden Durchschnittsalters der Belegschaft, d. h. mit einem Übergewicht auf Seiten älterer Beschäftigter sind Personalverantwortliche bestrebt, altersbedingt frei werdende Stellen
mit Jüngeren zu besetzen, um dadurch eine jüngere Altersstruktur zu erzielen. Ältere Bewerber werden in diesem Fall nicht berücksichtigt, um die bestehende, als unausgewogen bzw.
zu alt empfundene Struktur nicht noch weiter zu verschlechtern.
Die spannende Frage ist nun, wann eine Belegschaft in den Augen der Personalverantwortlichen als „ausgewogen“ bzw. „unausgewogen“ gilt und insbesondere – im Hinblick auf die
Einstellungschancen älterer Bewerber – ab wann als „überaltert“. Vor dem Hintergrund dieser Fragestellung wurden die Personalverantwortlichen zunächst nach dem Anteil der Beschäftigten im Alter 50 und älter im eigenen Betrieb gefragt. Im Durchschnitt aller 22 Betriebe beträgt der Anteil dieser Altersgruppe nach den Angaben der Befragten 23,1 %, was annähernd dem bundesdeutschen Durchschnittswert entspricht. Bei zwei Betrieben liegt der
Anteil nicht höher als 10 %, bei vier Betrieben dagegen bei 30 % und mehr. In einem zweiten Schritt wurden die Personalverantwortlichen gebeten, die Altersstruktur der Beschäftigten in ihrem Unternehmen zu beurteilen. 16 der 22 Befragten schätzten diese als „ausgewogen“ ein, was zugleich den Vorstellungen der Personalverantwortlichen entsprach. Insgesamt
sechs Betriebe weisen demgegenüber eine „unausgewogene“ Altersstruktur auf: jeweils drei
Befragte beurteilten ihre Belegschaft als „eher jung“ bzw. „eher alt“. Im Fall der als alt eingeschätzten Belegschaften wurde dies von allen Betroffenen als Problem betrachtet, dessen
Lösung entsprechende personalpolitische Maßnahmen erfordern würde.
Wie die folgende Abbildung 18 zeigt, können hinter ähnlichen Einschätzungen altersmäßig
ganz unterschiedlich strukturierte Belegschaften stehen. Im Durchschnitt bewegt sich der
Anteil Älterer bei „ausgewogenen“ Belegschaften zwischen 20 % und 30 %. Als „jung“ gelten
dagegen Belegschaften mit einem Anteil Älterer von unter 10 % bzw. unter 20 %. Bei einem
Anteil von 30 % und mehr schätzen Personalverantwortliche ihre Belegschaft demgegenüber überwiegend als „eher alt“ ein.
51
Müntefering, Franz: Die Kraft der Erfahrung nutzen. Die Perspektiven einer älter werdenden Gesellschaft,
Berlin 2006.
56
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Abb. 18:
Einschätzung der Altersstruktur durch die Personalverantwortlichen und Anteil der Mitarbeiter
im Alter 50 Jahre oder älter an der Belegschaft
100%
80%
60%
eher alt
ausgewogen
eher jung
40%
20%
0%
unter 10
10 bis 19
20 bis 29
30 und mehr
Anteil der Mitarbeiter im Alter 50+ an allen Mitarbeitern im Unternehmen (in %)
Diese Einschätzungen belegen, dass Personalverantwortliche in der Regel bestimmte Vorstellungen hinsichtlich der Altersstruktur der Mitarbeiter in ihren Unternehmen haben. Diese sind
jedoch bei weitem nicht so starr sind, wie man hätte erwarten können, sondern variieren
zwischen den einzelnen Betrieben.
Oftmals wird die Frage aufgeworfen, ob gerade Branchen oder Betriebe mit einem hohem
Anteil Älterer an den Beschäftigten (mindestens 30 %) überdurchschnittlich große Einstellungschancen für Ältere bieten. Nach Angaben des IAB-Betriebspanels liegt der Anteil von
Betrieben mit solchen Altersstrukturen in Nordrhein-Westfalen bei rund 26 %. Der hohe Altersdurchschnitt dient gewissermaßen als Beleg dafür, dass die betreffenden Bereiche für Ältere geeignet sind. In welchem Maße wurden also ältere Bewerber bei der Besetzung von
freien Stellen berücksichtigt? Die Ergebnisse zeigen, dass der Anteil Älterer an den Einstellungen bei Betrieben mit einer als ausgewogen eingeschätzten Belegschaft deutlich höher lag
als in den beiden Vergleichsgruppen (Abbildung 19).
57
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Abb. 19:
Einschätzung der Altersstruktur durch die Personalverantwortlichen und Anteil der Mitarbeiter
im Alter 50 Jahre oder älter an den Neueinstellungen
18
16
Anteil 50+ an Neueinstellungen (in %)
14
12
10
8
6
4
2
0
eher junge Belegschaft
ausgewogene Belegschaft
eher alte Belegschaft
In Betrieben mit einer als eher alt und als problematisch empfundenen Altersstruktur lag der
Anteil Älterer an den Personaleinstellungen fast bei Null: zwei der drei betreffenden Betriebe
haben niemanden ab 50 Jahre eingestellt; bei dem dritten Betrieb lag der Anteil bei lediglich
2 %. Alle drei Betriebe gehören dem Verarbeitenden Gewerbe an, sind groß bzw. mittelgroß.
Der gegenwärtig hohe Anteil Älterer an den Mitarbeitern, die einzelnen Anteile betragen 25
%, 30 % sowie 50 % (!), werden von den Personalverantwortlichen als „ungesund“ beurteilt.
Eine „Gesundung“ möchte man vor allem durch eine Verstärkung der Ausbildungsleistungen
sowie die Einstellung jüngerer Bewerber erreichen. Wegen der als problematisch empfundenen Altersstruktur haben diese Betriebe kurz- und mittelfristig kein Interesse an der Einstellung Älterer. Die kritische Sicht auf die Altersstruktur der eigenen Belegschaft wird in den betreffenden Betrieben noch befördert durch die Tatsache, dass die betriebliche Praxis in allen
drei Betrieben durch vergleichsweise hohe körperliche Belastungen sowie ungünstige Arbeitsbedingungen (Schicht, Akkord u. ä.) gekennzeichnet ist.
Im Falle von Knappheiten und Stellenbesetzungsproblemen, wie z. B. gegenwärtig im Bereich höherqualifizierter Tätigkeiten, haben jedoch auch ältere Bewerber bis zu einem gewissen Grad eine Chance, wie das folgende Zitat belegt:
„Die Grenze haben wir bei 40 Jahre gesetzt, weil wir aufgrund der Arbeitsmarktsituation
nicht angewiesen sind auf den 50-Jährigen, der vielleicht schon fünf Jahre arbeitslos ist. Es
gibt allerdings Ausnahmen. Im Bereich der Höherqualifizierten ist unsere Einstellungspolitik
fremdbestimmt, d. h. wir können uns nicht den Luxus (!) leisten, nur Leute bis maximal 35
bis 40 Jahre einstellen zu wollen. Daher stellen wir in diesem Bereich gezwungenermaßen
auch Fachkräfte ein, die über dieser Altersgrenze liegen. Wir haben den Arbeitsmarkt abge-
58
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
grast und auch Ältere genommen sofern die Qualifikation stimmte.“ (Personalleiter eines
Großbetriebes, Papier-, Verlags- und Druckgewerbe)
Solche, als ungünstig empfundene Altersstrukturen sind häufig das Resultat von zurückliegenden Personalabbauprozessen, bei denen die Belegschaft vor allem an den Altersrändern
„abgeschmolzen“ wurde:
„Der gegenwärtig hohe Altersdurchschnitt ist ein ganz wesentliches Hemmnis. Beim großen
Personalabbau infolge der ungünstigen Auftragslage vor etwa fünf bis sechs Jahren haben
wir uns von den jüngeren und den älteren Mitarbeitern trennen müssen, übrig blieb die Mitte. Die mittleren Jahrgänge sind jetzt geschlossen in die älteren Klassen gerutscht.“ (Personalleiter eines mittelgroßen Betriebes, Metallerzeugung und -bearbeitung)
Andererseits sind unter den untersuchten Betrieben weitere sechs, in denen der Anteil Älterer an der Belegschaft ebenfalls mindestens 25 % beträgt. Im Gegensatz zu den diskutierten
Fällen gehören diese Betriebe allerdings mit einer Ausnahme zum Dienstleistungssektor. Die
bestehenden Altersstrukturen in diesen Unternehmen werden von den Personalverantwortlichen als „ausgewogen“ eingeschätzt. Der Grad der körperlichen Belastungen der jeweiligen
Tätigkeiten in diesen Betrieben ist tendenziell eher klein. Die Spannbreite der Einstellungen
Älterer reicht bei diesen Unternehmen von 8 % bis zu 40 % (!). Bei der Abschätzung des
Einflusses von Altersstrukturen auf potenzielle Einstellungschancen älterer Bewerber muss
also unterschieden werden zwischen dem Grad der körperlichen Belastungen der jeweiligen
Tätigkeiten. Die Trennlinie verläuft hier scheinbar zwischen dem Verarbeitenden Gewerbe
und dem Dienstleistungssektor.
Einige der Befragten wiesen darauf hin, dass oftmals nicht die Altersstruktur der gesamten
Belegschaft von Relevanz bei der Bewertung des Alters von Bewerbern wäre, sondern die Altersstruktur der Mitarbeiter jener Bereiche, in denen die Stelle zu besetzen ist. Im Gegensatz
zur wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion, in der die Vorteile von altersgemischten
Teams herausgestellt werden, bevorzugen einige Personalverantwortliche für bestimmte Arbeitsbereiche altershomogene Gruppen. Begründet wird dies teilweise mit der kulturellen
Nähe von ähnlich alten Mitarbeitern, die vorteilhaft für das Arbeitsklima und letztlich die Leistungsfähigkeit sei. Darüber hinaus werden Gründe genannt, die eher auf die unterschiedliche
Belastbarkeit jüngerer und älterer Arbeitnehmer abzielen (Tempo, Kraft, Ausdauer). Dort, wo
das Ergebnis belastungsintensiver Arbeitsprozesse vom Zusammenspiel der Mitarbeiter abhängig ist, sollen die Mitarbeiter nach den Vorstellungen der Personalverantwortlichen altersmäßig möglichst harmonieren.
„Ob Ältere passen ist abhängig vom jeweiligen Team, in dem eine Stelle zu besetzen ist. An
den einzelnen Maschinen sind im Schnitt rund vier bis fünf Mitarbeiter tätig, die Hand in
Hand arbeiten. Die sollten vom Alter her zusammenpassen. Die Erfahrungen haben gezeigt,
dass altershomogene Teams besser zusammenarbeiten.“ (Betriebsleiter eines mittelgroßen
Betriebes, Wäscherei und chemische Reinigung)
„Es ist nicht so, das wir eine definierte Grenze haben und von vornherein Leute aussortieren,
die eine bestimmte Grenze überschreiten. Frau X z. B., die vor 4 Jahren eingestellt haben,
war bei der Einstellung 57 Jahre alt. Grundsätzlich ist es aber so, dass wir lieber Jüngere
nehmen. Nicht für die Bereiche Buchhaltung und Sekretariat. Da passen Ältere. Aber im Bereich Steuerberatung arbeiten bei uns fast nur Jüngere. Das würde einfach nicht passen.“
(Geschäftsführerin eine Kleinbetriebes, Erbringung von Dienstleistungen für Unternehmen)
59
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Es lässt sich an dieser Stelle festhalten: Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen in Bezug auf ältere Bewerber wird in hohem Maße von der betrieblichen Altersstruktur
beeinflusst. Bei Betrieben mit überalterten Belegschaften bestehen große Einstellungshemmnisse für ältere Bewerber. Ob eine Belegschaft als alt eingeschätzt wird, ist allerdings weniger vom Altersdurchschnitt oder dem Anteil Älterer im Betrieb abhängig, sondern hängt ganz
entscheidend von der Wahrnehmung und Interpretation dieser beiden Kennziffern durch die
Personalverantwortlichen ab. So kann eine ähnliche Altersstruktur in einem Betrieb als ausgewogen, in einem anderen dagegen als zu alt wahrgenommen werden. Die Art der Wahrnehmung selbst, so hat sich in den Interviews gezeigt, wird in hohem Maße von der Art der
Tätigkeiten beeinflusst, wobei die Trennlinie zwischen Produzierendem Gewerbe („Handarbeit“) und Dienstleistungssektor („Kopfarbeit“) verläuft.
4.
Einfluss von Förderinstrumenten der
Bundesagentur für Arbeit auf das
Einstellungsverhalten von
Personalverantwortlichen
Im Zusammenhang mit der Ermittlung relevanter Einstellungshemmnisse wurden auch Bekanntheit, Nutzung und Optimierungsmöglichkeiten von bestehenden Förderinstrumenten
zur Wiedereingliederung älterer Arbeitsloser untersucht. Die Erfahrungen der letzten Jahre
haben gezeigt, dass arbeitsmarktpolitische Förderung, sofern auf den sogenannten ersten
Arbeitsmarkt ausgerichtet, keine zusätzlichen Arbeitsplätze schaffen kann. Vor dem Hintergrund eines gegenwärtig hohen Angebots an Arbeitskräften kann Förderung aber Anreize
setzen, die das „Kosten-Nutzen-Verhältnis einzelner Arbeitsmarktgruppen beeinflussen, um
so Bewerber, die im „Ranking“ der Personalverantwortlichen hintere Plätze einnehmen, zu
begünstigen. Mit Hilfe von Förderung kann versucht werden, auf die Einstellungspolitik von
Unternehmen Einfluss zu nehmen, damit vorhandene freie Stellen mit bestimmten Personengruppen, in diesem Falle Ältere, besetzt werden (Steuerungsfunktion).
Für die Förderung der Einstellung älterer Arbeitsloser steht ein umfangreiches Instrumentarium der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung. Die interessierende Frage ist, ob diese Instrumente in der Lage sind, tatsächliche oder vermeintliche Wettbewerbsnachteile Älterer
gegenüber Jüngeren auszugleichen und damit die Einstellungschancen älterer Bewerber erhöhen. Im Rahmen der Interviews mit Personalverantwortlichen wurden folgende vier Instrumente betrachtet: Eingliederungszuschüsse und Beitragsbefreiung als direkte Leistungen
an Arbeitgeber sowie Entgeltsicherung und Trainingsmaßnahmen, die sich zwar an Arbeitnehmer richten, aber mittelbar auf das Einstellungsverhalten der Personalverantwortlichen
wirken.
Eingliederungszuschüsse nach § 218 SGB III: Betriebe können für die Einstellung arbeitsloser Bewerber sogenannte Eingliederungszuschüsse erhalten. Hierbei handelt es sich
einen Lohnkostenzuschuss in Höhe von maximal 50 % des Arbeitsentgeltes, der bis maximal
12 Monate gewährt werden kann. Die konkrete Förderhöhe und -dauer soll sich am Umfang
der zu erwartendenden Minderleistung und den Eingliederungserfordernissen orientieren und
liegt somit im Ermessen des Arbeitsvermittlers. Bei der Einstellung von Personen, die das 50.
Lebensjahr vollendet haben, kann dieser Zuschuss entsprechend den Sonderregelungen nach
60
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
§ 421f SGB III bis zu 36 Monaten gezahlt werden. Zugleich entfällt bei dieser Personengruppe die Verpflichtung zur Rückzahlung und Nachbeschäftigung. Diese Regelung ist bis zum
31.12.2009 befristet.
Beitragsbefreiung nach § 421k SGB III: Bei diesem Instrument, bekannter, wenngleich
sinnentstellend unter dem Begriff „Beitragsbonus“, werden Arbeitgeber, die einen Arbeitslosen, der das 55. Lebensjahr vollendet hat, einstellen, von ihren Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung befreit (= 3,25 % des Bruttoentgelts).
Entgeltsicherung nach § 421j SGB III: Dieses Instrument geht davon aus, dass bei den
Älteren selbst „Hemmschwellen“ zur Aufnahme eines neuer Beschäftigung bestehen, etwa
wenn die Arbeitsaufnahme mit Lohneinbußen gegenüber der früheren Tätigkeit verbunden
ist. Arbeitnehmer ab dem 50. Lebensjahr können daher einen Zuschuss zum Arbeitsentgelt in
Höhe des halben Unterschiedsbetrages zwischen dem früheren und dem neuen Nettolohn/gehalt inkl. einer Aufstockung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung erhalten.
Maßnahmen zur Eignungsfeststellung/Trainingsmaßnahmen nach § 48 SGB III:
Im Gegensatz zu den oben genannten Instrumenten sind Trainingsmaßnahmen weder ausschließlich auf Ältere bezogen, noch enthält dieses Instrument ergänzende Sonderregelungen in Bezug auf Ältere. Maßnahmen zur Eignungsfeststellung, d. h. zur Prüfung der Eignung
für die jeweilige Tätigkeit können max. vier Wochen umfassen. Trainingsmaßnahmen zwecks
Vermittlung notwendiger Kenntnisse und Fertigkeiten in den Betrieben können bis zu acht
Wochen gewährt werden. Eine Besonderheit dieses Instrumentes liegt darin, dass die geförderten Personen während der Maßnahme arbeitslos gemeldet sind und weiterhin Arbeitslosengeld beziehen.
Förderinstrumente für Ältere teilweise unbekannt
In den Interviews hat sich zunächst gezeigt, dass den Personalverantwortlichen – unabhängig von Betriebsgröße und Branche – ein Teil der genannten Förderinstrumente völlig unbekannt ist. Dies betrifft in hohem Maße die beiden Instrumente „Beitragsbefreiung“ und „Entgeltsicherung“, die Anfang 2003 eingeführt wurden. 19 von 22 Personalverantwortlichen haben noch nie etwas von einem „Beitragsbonus“ bzw. einer „Beitragsbefreiung“ gehört. 17
von 22 Personalverantwortlichen konnten auch mit dem Instrument „Entgeltsicherung“ nichts
anfangen (vgl. Abbildung 20).
Warum ist die Kenntnis der Personalverantwortlichen über die vorhandenen Möglichkeiten
zur Förderung der Einstellungschancen so gering? Ein Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes macht hierfür vor allem die unzureichende Informationspolitik der Agenturen für Arbeit verantwortlich:
„Ich habe noch nie gehört von einem Beitragsbonus oder einer Entgeltsicherung. Ich fühle
mich eigentlich normal informiert. Dennoch kenne ich diese Instrumente nicht. Das darf eigentlich nicht sein. Es sollte vielmehr so sein, dass ein normal Informierter so etwas kennt,
ohne einen übergroßen Aufwand betreiben zu müssen.“ (Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes, Gesundheits- und Sozialwesen)
Die bestehende Intransparenz könnte auch dem permanenten „Auf und Ab“ der Förderpolitik
geschuldet ist. Ein Beispiel hierfür ist die Änderung der Konditionen bei den Eingliederungszuschüssen für Ältere. So wurde Anfang 2004 die maximale Förderdauer bei Personen ab
vollendetem 50. Lebensjahr von bislang fünf auf drei Jahre sowie das berücksichtigungsfähige Arbeitsentgelt von 70 auf 50 % reduziert, was zugleich in deutlichem Kontrast zur paralle-
61
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
len Verstärkung der Aktivitäten pro Ältere auf anderen Ebenen steht. Ein häufiger Wechsel
in Bezug auf Förderbedingungen und Förderinstrumente erhöht den Informationsaufwand für
die Betriebe; ein Aufwand, den viele Betriebe scheinbar nicht leisten können, nicht wollen
oder auch gar nicht nötig haben. Viele Befragte verweisen darüber hinaus auf die Vielzahl
von Fördermöglichkeiten zur Förderung der Einstellung älterer Bewerber. Auch dies trägt aus
Sicht der Betriebe dazu bei, den erforderlichen Informationsaufwand unnötig zu erhöhen
(Stichwort: „Förderdschungel“).
52
Abb. 20:
Kenntnis und Beurteilung von Förderinstrumenten zur Verbesserung der Einstellungschancen
von älteren arbeitslosen Bewerbern
Sind die folgenden Instrumente im Falle Ihres Betriebes geeignet, die Einstellungschancen
arbeitsloser Bewerber ab 50 zu erhöhen?
19
17
Zahl der Nennungen
14
10
8
6
6
4
3
1
0
Lohnkostenzuschüsse
0
Beitragsbefreiung
ja
Entgeltsicherung
nein
Trainingsmaßnahmen
kenne ich nicht
Zugleich wird die Frage nach dem Sinn dieser Fördervielfalt aufgeworfen, wie das folgende
Zitat exemplarisch belegt:
„Lohnkostenzuschüsse reichen völlig aus. Wenn die richtig ausgestaltet werden, wozu
braucht man dann diesen Beitragsbonus?“ (Personalleiterin eines mittelgroßen Betriebes, Datenverarbeitung und Datenbanken)
Wie werden die Instrumente „Beitragsbefreiung“ und „Entgeltsicherung“ beurteilt? Stellen
diese Instrumente einen Anreiz dar, um ältere arbeitslose Bewerber einzustellen, die man
ansonsten nicht eingestellt hätte? Die wenigen Befragten, die von diesen Instrumenten gehört haben und sich ein Urteil bilden konnten, sehen diese im Prinzip als nicht geeignet an.
So ist der finanzielle Ertrag im Falle der Beitragsbefreiung für den Betrieb nicht nur ver52
Vgl. Bundesregierung: Die Wirksamkeit moderner Dienstleistungen am Arbeitsmarkt. Bericht 2005 der Bundesregierung zur Wirkung der Umsetzung der Vorschläge der Kommission Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Ohne Grundsicherung für Arbeitsuchende). Umsetzung der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 14. November 2002 (BT-Drs. 15/98), Berlin, Januar 2006, S. 169.
62
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
schwindend gering, so die einhellig Kritik der Personalverantwortlichen, sondern steht auch
„in keinem Verhältnis zum bürokratischen Abrechnungsaufwand, den der Beitragsbonus für
den Arbeitsgeber bedeutet“, wie selbst der stellvertretende Vorsitzende der Bundesagentur
für Arbeit, Heinrich Alt, in einem Interview meinte: „Bei einem Facharbeiter mit 2.500 Euro
brutto sind das gerade einmal 75 Euro Ersparnis.“53
Im Vergleich zu den nahezu unbekannten Instrumenten „Beitragsbefreiung“ und „Entgeltsicherung“ waren Eingliederungszuschüsse allen Befragten vertraut. Wenngleich den Personalverantwortlichen Eingliederungszuschüsse zwar im Prinzip vertraut sind, über genaue Kenntnisse der aktuellen Förderbedingungen verfügten sie in vielen Fällen jedoch nicht. Einige
Personalverantwortliche gehen z. B. davon aus, dass es für die Einstellung älterer Bewerber
grundsätzlich Fördermittel gibt. Eingliederungszuschüsse werden in dieser Sichtweise als eine
Art „Einstellungsbonus“ betrachtet. Teilweise werden die gesetzlichen Höchstgrenzen bei der
Förderung als Standardwerte angesehen.
„Ich habe gehört, dass man da etwas bekommt, wenn man einen Älteren einstellt. Ich war
jedoch enttäuscht, dass das so wenig war.“ (Personalleiterin eines mittelgroßen Betriebes,
Datenverarbeitung und Datenbanken)
Vor dem Hintergrund der Ermessenspielräume der Mitarbeiter in den Agenturen für Arbeit,
die sich dabei an sogenannten „ermessenslenkenden Weisungen“ orientieren, sind Höhe und
Dauer des Zuschusses abhängig vom Ergebnis der Aushandlung zwischen Personalverantwortlichem und Arbeitsvermittler. Viele Befragte fühlten sich teilweise „wie auf einem Basar“.
„Es kann nicht sein, dass da jemand sitzt und sagt, der bekommt drei Monate Förderung und
der bekommt sechs Monate Förderung. Es sollte stattdessen so sein, dass es einen festen
Satz gibt - für die Dauer und die Höhe.“ (Personalleiterin eines mittelgroßen Betriebes, Datenverarbeitung und Datenbanken)
„Es ist ärgerlich, dass man sich nicht darauf verlassen kann, dass man diesen Zuschuss und
in welcher Höhe man ihn bekommt. Denn das ist leider keine Pflichtleistung, das hängt meiner Meinung nach sehr davon ab, welches Verhältnis zwischen dem Personalverantwortlichen
im Unternehmen und der verantwortlichen Person im Arbeitsamt besteht. Es sollte nicht sein,
dass Förderung abhängig vom guten Willen der Sachbearbeiter oder der Kassenlage ist… Als
Unternehmer, der jemanden einstellt, sollte man sich nicht wie ein Bittsteller fühlen müssen.“
(Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes, Datenverarbeitung und Datenbanken)
Das der zuletzt zitierte Personalverantwortliche mit seiner Vermutung nicht ganz daneben
liegt, wird durch Untersuchungen im Rahmen der „Hartz-Evaluierung“ belegt: „Die Entscheidung der Vermittler/innen über die Förderung bzw. über deren Dauer und Höhe ist nicht allein von den Vermittlungshemmnissen und Eingliederungserfordernissen der Bewerber/innen,
sondern auch von ihrer Einschätzung über den einstellenden Betrieb abhängig. So wird bei
Betrieben, die als nicht fördermittelorientiert wahrgenommen werden und bei denen auf-
53
Heinrich Alt, Vizechef der Bundesagentur für Arbeit, in: Der Tagesspiegel Nr. 19103 vom 13.2.2006; vgl.
auch: Brussig, Martin; Knuth, Matthias; Schweer, Oliver: Arbeitsmarktpolitik für ältere Arbeitslose. Erfahrungen mit „Entgeltsicherung“ und „Beitragsbonus“, IAT-Report 2006-02. Gelsenkirchen 2006.
63
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
grund guter Erfahrungen in der Vergangenheit eine dauerhafte Integration zu erwarten ist,
der Ermessensspielraum eher großzügiger ausgelegt.“ 54
Auch im Falle der beiden Instrumente „Eingliederungszuschüsse“ und „Trainingsmaßnahmen“ ist eine Mehrheit der Personalverantwortlichen der Meinung, dass diese eher nicht geeignet sind, um die Einstellungschancen älterer Bewerber zu verbessern. Die Attraktivität von
Trainingsmaßnahmen liegt für die befragten Personalverantwortlichen vor allem darin, dass
Bewerber ohne finanzielles Risiko betriebsnah getestet werden können.55 Im Gegensatz zu
Eingliederungszuschüssen enthalten Trainingsmaßnahmen jedoch keine altersbezogenen Regelungen. Nahezu alle Befragten betonten dementsprechend auch, dass dieses Instrument
für arbeitslose Bewerber aller Altersstufen genutzt wird, wodurch sich letztlich kein besonderer Vorteil für ältere Bewerber ableiten lässt. Mit Hilfe von Trainingsmaßnahmen haben die
untersuchten Betriebe zwar auch Ältere, vor allem aber unter 50-Jährige arbeitslose Bewerber eingestellt, wie im Falle der nachfolgend zitierten Personalverantwortlichen.
„Trainingmaßnahmen sind okay. Wenn wir Arbeitslose einstellen, sagen wir, wir möchten
euch vorher kennen lernen, und zwar ‚on the job’ – vier Wochen. (Personalleiterin eines
Großbetriebes, Fahrzeugbau und -teile)
“Kennen lernen ist besser als jedes Bewerbungsgespräch“ (Personalleiterin eines mittelgroßen Betriebes, Chemische Industrie)
„Trainingsmaßnahmen sind gut, vor allem dann, wenn der Mitarbeiter eine Weile raus war,
also das haben wir schon öfter gemacht.“ (Geschäftsführer eines Kleinbetriebes, Maschinenbau)
„Die, die wir eingestellt haben, wurden eingestellt, weil man sie kannte, weil man sie kennen
lernen konnte. Fast alle hatten ein ‚Praktikum’ bei uns gemacht.“ (Personalleiterin eines mittelgroßen Betriebes, Datenverarbeitung und Datenbanken)
Steuerung des Einstellungsverhaltens oder bloße Mitnahme?
Die Ergebnisse vorliegender Untersuchungen deuten darauf hin, dass es in hohem Maße zu
Mitnahmeeffekten kommt. Die Direktorin des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Jutta Allmendinger, sprach bei einer Anhörung davon, dass bei Eingliederungszuschüssen 90 % aller Fälle als Mitnahme einzustufen seien.56 Diese Einschätzung wird durch
die Ergebnisse der Interviews bestätigt. So gaben diejenigen Personalverantwortlichen, die
ältere Arbeitslose eingestellt haben und hierfür Eingliederungszuschüsse erhielten, mehrheitlich an, dass sie ihre Personalauswahl unabhängig von der Förderfähigkeit der Bewerber getroffen haben und sich erst danach um eine Förderung bemühten, wie die folgenden beide
Zitate exemplarisch belegen:
„Das gebe ich offen zu, die Förderung habe ich mitgenommen. Ich hätte den ohnehin eingestellt. Ich wäre ja dumm, wenn ich das nicht mitnehme. Ansonsten ist das für mich jedoch
54
55
56
Vgl. Bundesregierung: Die Wirksamkeit moderner Dienstleistungen am Arbeitsmarkt. Bericht 2005 der Bundesregierung zur Wirkung der Umsetzung der Vorschläge der Kommission Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Ohne Grundsicherung für Arbeitsuchende). Umsetzung der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 14. November 2002 (BT-Drs. 15/98), Berlin, Januar 2006, S. 174.
Vgl. als Beispiel für viele andere: EQUAL-Entwicklungspartnerschaft „Offensive für Ältere“ (Hrsg.): Erfahrung
zahlt sich aus! Köln 2005.
Vgl. Artikel im Handelsblatt vom 5.9.2006 („Zuschüsse für Ältere sind wirkungslos. Experten stellen Münteferings Kombilohn-Plänen schlechtes Zeugnis aus – Sehr große Mitnahmeeffekte“).
64
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
kein Anreiz, einen Älteren bevorzugt einzustellen.“ (Personalleiterin eines mittelgroßen Betriebes, Datenverarbeitung und Datenbanken)
„Wir sehen es nicht als unsere Aufgabe an, ältere Arbeitslose einzugliedern. Deshalb sind mir
die arbeitsmarktpolitischen Instrumente auch völlig egal. Wir stellen keinen Älteren ein, nur
weil wir einen Eingliederungszuschuss bekommen. Unsere Maschinen und Anlagen sind sehr
teuer, unser Lohnkostenanteil beträgt lediglich 7 %“, daher sind Lohnkostenzuschüsse für
unser Unternehmen überhaupt nicht interessant. Wenn es sowieso vorgesehen ist, ja dann
nehmen wir’s natürlich mit.“ (Personalleiter eines Großbetriebes, Papier-, Verlags- und
Druckgewerbe)
„Förderung spielt bei Einstellungsentscheidungen keine Rolle. Unterm Strich kann Förderung
die Kosten, die mir als Unternehmen durch ein Nicht-Passen entstehen, nicht ausgleichen.
Entscheidend ist, dass die Qualifikation des Bewerbers zum Stellenprofil passt. Wenn die
passt, dann nehme ich Förderung natürlich mit.“ (Personalleiterin eines mittelgroßen Betriebes, Elektrotechnik)
Im Hinblick auf das Instrument „Beitragsbefreiung“ bzw. „Beitragbonus“ kommen Untersuchungen zu einem ähnlichen Ergebnis. So ergab eine Befragung von 30 geförderten Betrieben, dass diese „in der überwiegenden Mehrheit die entsprechenden Bewerber/innen auch
ohne den Beitragsbonus eingestellt hätten.“57 Was ist aber nun in jenen Fällen, wo ältere arbeitslose Bewerber nicht passen? Sind die Anreize hoch genug, dass sich Personalverantwortliche für einen älteren Bewerber entscheiden, der gegenüber anderen Bewerbern aufweist, oder aus anderen Gründen als nicht geeignet betrachtet wird? Wie oben bereits aufgezeigt, kann man dies im Fall der „Beitragsbefreiung“ eindeutig verneinen. Eingliederungszuschüsse scheinen demgegenüber einen echten Anreiz – jenseits von bloßer Mitnahme –
zumindest für jene Betriebe zu haben, bei denen Lohnkosten einen hohen Anteil an den Gesamtkosten ausmachen. Dies ist tendenziell in kleineren Betrieben der Fall, wie die folgenden
Aussagen von Personalverantwortlichen vornehmlich kleinerer Betriebe belegen:
„Wir haben schon darüber nachgedacht. Ich würde Lohnkostenzuschüsse auf jeden Fall nicht
als ungeeignet betrachten.“ (Geschäftsführerin eines kleines Betriebes, Erbringung von
Dienstleistungen für Unternehmen)
„Da ist man jetzt auf dem richtigen Weg mit der Übernahme der Lohnkosten. Das kann man
dann von mir aus auch mit einer Nachbeschäftigungspflicht versehen. Das muss für mich als
Unternehmer aber lukrativ sein. Lukrativ, das geht los bei einem halben Jahr. Aber 20 % für
drei Monate – also das ist kein Anreiz um einen einzustellen, den ich sonst nicht genommen
hätte.“ (Geschäftsführer eines mittelgroßen Betriebes, Gastgewerbe)
Wie die folgenden Aussagen unterstreichen, sind der Steuerbarkeit des Einstellungsverhaltens von Personalverantwortlichen mit Hilfe von Eingliederungszuschüssen in der gegenwärtigen Form jedoch in vielen Fällen scheinbar Grenzen gesetzt:
„Das bisschen Förderung, was es jetzt noch gibt, wiegt das, was ich noch in einen eingestellten Mitarbeiter investieren muss, nicht auf. Ein Anreiz wäre es, wenn die Förderung annähernd den Gegenwert der erforderlichen Qualifizierung, z. B. die Schulung bei den Herstel57
Vgl. Bundesregierung: Die Wirksamkeit moderner Dienstleistungen am Arbeitsmarkt. Bericht 2005 der Bundesregierung zur Wirkung der Umsetzung der Vorschläge der Kommission Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Ohne Grundsicherung für Arbeitsuchende). Umsetzung der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 14. November 2002 (BT-Drs. 15/98), Berlin, Januar 2006, S. 181.
65
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
lern erreichen würde. Das wäre der Fall bei einem Zuschuss von 50 % über ein bis zwei Jahre.“ (Personalleiter eines mittelgroßen Betriebes, Fahrzeugbau und -teile)
„Lohnkostenzuschüsse sind ungeeignet, weil sie am eigentlichen Problem, der hohen körperlichen Belastung nichts ändern. Die Arbeit in der Pflege ist belastend, durch den Zuschuss
werden die Belastungen nicht geringer, durch den Zuschuss wird eine ältere Bewerberin
auch nicht belastbarer.“ (Personalleiterin eines Großbetriebes, Gesundheits- und Sozialwesen)
„Diese Zuschüsse sind uns egal, die beeinflussen unsere Entscheidungen nicht. Wir wollen
uns durch solche Instrumente nicht steuern lassen.“ (Personalleiterin eines mittelgroßen Betriebes, Elektrotechnik)
„Wir nehmen den, der am besten passt. Der Schaden fürs Unternehmen ist größer, wenn ich
jemanden einstelle, der nicht richtig passt, als das, was ich als Zuschuss bekomme. (Personalleiterin eines mittelgroßen Betriebes, Chemische Industrie)
„In der derzeit praktizierten Form finde ich Lohnkostenzuschüsse ungeeignet. Wenn die Förderung ein Jahr gehen würde und der Zuschuss 70 % betragen würde, dann wäre das ein
echter Anreiz, um Ältere bei der Einstellung zu bevorzugen.“ (Personalleiterin eines mittelgroßen Betriebes, Datenverarbeitung und Datenbanken)
„Lohnkostenzuschüsse reißen mich nicht vom Hocker. Vielleicht, wenn es einfache Tätigkeiten betrifft, dann wären die vielleicht geeignet.“ (Personalleiter eines mittelgroßen Betriebes,
Metallerzeugung und -bearbeitung)
Die Aussagen der Personalverantwortlichen zeigen, dass einerseits Einstellungsentscheidungen zugunsten arbeitsloser älterer Bewerber unabhängig vom Vorhandensein von Fördermitteln getroffen, letztere dann aber „mitgenommen“ werden. Ältere wären in diesen Fällen
auch ohne Förderung eingestellt worden. In jenen Fällen, wo diese Passfähigkeit nicht in vollem Maße gegeben ist, scheint Förderung unter den aktuellen Konditionen keine ausreichenden Anreize zu bieten, um bestehende Nachteile zu kompensieren. Förderung wird also
scheinbar vor allem dort in Anspruch genommen, wo sie am wenigsten erforderlich ist. Da,
wo Förderung erforderlich ist und betriebliche Auswahlentscheidungen steuern soll, sind die
Anreize offenbar zu gering, um Wirksamkeit zu entfalten.
Diskriminierung durch altersbezogene Förderung?
Die besondere Förderung und Herausstellung von Älteren über 50 als einer besonders förderbedürftigen Gruppe kann in indirekt diskriminierender Weise bestehende Vorbehalte gegen Ältere als „Problemgruppe“ möglicherweise noch verstärken. Werner Eichhorst vom IZA
weist darauf hin, dass „viele Maßnahmen für über 50 oder 55 Jahre alte Arbeitslose signalisieren, dass pauschal eine schwächere Produktivität älterer Arbeitskräfte unterstellt wird. Die
Anerkennung eines besonderen Förderbedarfs für Ältere kann zu Vorbehalten der Arbeitgeber gegenüber dieser Gruppe und so zu mittelbarer Diskriminierung beitragen.“58 In der Tat
lassen sich in den Interviews mit den Personalverantwortlichen Hinweise auf die beschriebene „Signalfunktion“ von Förderung – teilweise in Bezug auf Arbeitslose aller Altersgruppen –
finden, wie die folgenden Aussagen einiger Personalverantwortlicher zeigen:
58
Eichhorst, Werner: Beschäftigung Älterer in Deutschland: Der unvollständige Paradigmenwechsel, IZA.DP
No. 1985, Februar 2006.
66
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
„Förderung gibt es immer für Problemfälle. Wenn ein Bewerber aber ein Problemfall ist, dann
ist er nicht geeignet und dann wird er von uns auch nicht eingestellt.“ (Personalverantwortlicher eines mittelgroßen Betriebes, Maschinenbau)
„Die Politik sollte Schluss machen mit der Herausstellung der Älteren, mit der Behandlung
der Gruppe der Älteren als eine besondere Gruppe. Man sollte ältere Arbeitnehmer genau
wie alle anderen Arbeitnehmer behandeln. Die Herausstellung der Älteren führt zur Stigmatisierung.“ (Geschäftsführer eines Kleinbetriebes, Herstellung von Metallerzeugnissen)
„Lohnkostenzuschüsse sind nicht wirklich geeignet, um die Einstellungschancen Älterer zu
verbessern, jedenfalls nicht bei Facharbeitern. Wenn ein Facharbeiter einen Zuschuss
braucht, dann ist das eigentlich ein Zeichen dafür, dass er seine Tätigkeit nicht richtig kann...
Mit finanziellen Anreizen, mit Zuschüssen führen sie keine wirkliche Veränderung herbei.
Durch das Fördern dokumentieren sie bloß, dass die Geförderten schlechter sind als die
Nicht-Geförderten, dass die irgendein Manko haben.“ (Geschäftsführer eines Kleinbetriebes,
Maschinenbau)
„Eine spezifische Förderung für Ältere, nur weil sie älter sind, ist meiner Meinung nach eine
Diskriminierung der Älteren.“ (Personalleiterin eines mittelgroßen Betriebes, Chemische Industrie)
Es lässt sich festhalten: Die Vielzahl der Fördermöglichkeiten einerseits, der häufige Wechsel
der Förderkonditionen in der Praxis der Bundesagentur für Arbeit hinsichtlich der Einstellung
älterer Arbeitnehmer andererseits führt scheinbar zu einer hohen Intransparenz auf Seiten
der potenziellen Nachfrager.59 Dies dürfte aufgrund geringerer personalpolitischer Kapazitäten in erster Linie kleine und mittelgroße Betriebe betreffen, die einen Großteil der Arbeitsplätze bereitstellen. Intransparenz und Informationsdefizite führen dazu, dass das zur Verfügung stehende Förderinstrumentariums zur Verbesserung der Einstellungschancen älterer
Arbeitnehmer nur in beschränktem Umfang genutzt wird. Angesichts des anscheinend hohen
Ausmaßes von Mitnahmeeffekten einerseits, begrenzter Wirksamkeit anderseits ist letztlich
zu fragen, ob die bestehenden Förderinstrumente zur Eingliederung älterer Arbeitsloser in ihrer gegenwärtigen Form den Bedürfnissen der Betriebe überhaupt entsprechen. Die Ergebnisse der Interviews, die durch Erkenntnisse anderer Untersuchungen bestätigt werden, werfen diesbezüglich zumindest Zweifel auf.
5.
Akutelle Herausforderungen und Empfehlungen in
Bezug auf die Erhöhung der Einstellungschancen
älterer Bewerber
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen in Bezug auf Ältere wird von einer
Vielzahl von Faktoren ungünstig beeinflusst. Diese berühren unterschiedliche Ebenen, angefangen von rechtlich-institutionellen Regelungen über sachlich begründete Vorbehalte, die
aus der Diskrepanz von tätigkeitsspezifischen Leistungsanforderungen einerseits und dem
59
In diesem Zusammenhang ist auch auf die uneinheitliche Zielgruppendefinition hinzuweisen. Es ist nicht ersichtlich warum die Altersgrenze bei einem Instrument bei 50 Jahren liegt (Entgeltsicherung), bei einem anderen aber bei 55 Jahren (Beitragsbefreiung). Es sollte überlegt werden, ob es nicht sinnvoller wäre, die Altersgrenze der angesprochenen Gruppe der Älteren zu vereinheitlichen.
67
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
wahrgenommen bzw. vermuteten Leistungsvermögen älterer Bewerber herrühren, bis hin
zur Ebene schlichter Vorurteile, die in der Regel auf Informationsdefiziten beruhen. Aus der
Analyse des Rekrutierungsverhaltens der in die vorliegende Untersuchung einbezogenen Unternehmen ergeben sich folgende konkrete Herausforderungen im Hinblick auf die Verbesserung der Einstellungschancen älterer Bewerber.
Herausforderung „Lebenslanges Lernen“: In vielen Bereichen der Wirtschaft reicht das
einmal erlernte Wissen nicht mehr für das gesamte Berufsleben aus. Der Einsatz innovativer
Technologien sowie neuer organisatorischer Konzepte führt zu veränderten Anforderungen
an das fachliche Vermögen der Beschäftigten. Arbeitnehmer müssen daher bereit sein, ihre
Kenntnisse an neue Entwicklungen anzupassen. Diese Herausforderung besteht jedoch nicht
in allen Branchen in gleichem Maße. In einigen Bereichen der personenbezogenen Dienstleistungen vollzieht sich die Veränderung des Anforderungsprofils in moderaten Schritten. In
anderen Bereichen, vornehmlich im Bereich der exportorientierten, hochinnovativen Branchen des Verarbeitenden Gewerbes sowie in wissensintensiven Dienstleistungsbranchen erfolgen im Abstand von wenigen Jahre zum Teil regelrechte technologische Quantensprünge.
In diesen Bereichen gelten Jüngere als Träger des erforderlichen „neuen Wissens“, die das
vorhandene „Erfahrungswissen“ der beschäftigten Älteren sinnvoll ergänzen. Die Betriebe
beziehen dieses Wissen in der Regel über die Einstellung von Absolventen entsprechender
Bildungseinrichtungen. Promberger vom IAB sieht hierin „das ‚rationale’ am jugendorientierten Rekrutierungsverhalten derjenigen Unternehmen, denen es nicht per se auf branchenübliche Jugendlichkeit ankommt.“60 Aber selbst in weniger wissensintensiven Bereichen der
Wirtschaft werden die Arbeitsplätze anspruchsvoller. Personalcomputer haben in vielen Bereichen Einzug gehalten, Verkäufer müssen den Umgang mit Scannerkassen beherrschen,
frühere Helfertätigkeiten wie z. B. im Lagerbereich verlangen die Beherrschung von EDVProgrammen. Kurzum: Ältere Bewerber, die sich für ihre Tätigkeit nicht weitergebildet und
ihre beruflichen Kenntnisse an neue Entwicklungen anpasst haben, haben in den Augen der
Personalverantwortlichen geringe Einstellungschancen.
Wenngleich die Erkenntnis der stärkeren Beteiligung an beruflicher Weiterbildung nicht mehr
neu ist, ist die tatsächliche Beteiligung der Arbeitnehmer insgesamt und im internationalen
Vergleichsmaßstab betrachtet nach wie vor vergleichsweise niedrig. Mit steigendem Alter
nimmt sie sogar deutlich ab. Für eine Änderung dieser Situation sind nicht allein die Arbeitgeber verantwortlich. Bei den Arbeitnehmern selbst muss in stärkerem Maße als bisher die
Bereitschaft geweckt und unterstützt werden, sich auch in der zweiten Hälfte des Erwerbslebens an Weiterbildung zu beteiligen. Die untersuchten Betriebe sehen vor allem die Arbeitnehmer in der Pflicht, sich zur Sicherung ihrer Beschäftigungsfähigkeit weiterzubilden. Rund
90 % der Beschäftigten sehen dies einer aktuellen Umfrage genauso.61
Mit dem „Bildungsscheck“ trägt das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen dazu bei, die Beschäftigungsfähigkeit gerade jener Gruppen am Arbeitsmarkt zu erhalten, die sich den höchsten Einstellungsbarrieren gegenüber sehen. Dieses
Instrument richtet sich vor allem an jene Beschäftigten, die in den letzten beiden Jahren an
60
61
Promberger, Markus: Ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt und im Betrieb, in: Friedrich-Ebert-Stiftung
(Hrsg.): Sozialpolitische Flankierung einer verlängerten Erwerbsphase, Bonn 2004, S. 21-39.
Prager, Jens U.; Schleiter, André: Älter werden – aktiv bleiben?! Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage
unter Erwerbstätigen in Deutschland, 2006.
68
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
keiner betrieblichen Weiterbildung teilgenommen haben. Auch das Programm WeGebAU62
der Bundesagentur für Arbeit richtet sich insbesondere an Geringqualifizierte und ältere Beschäftigte. Das Interesse an einer stärkeren Beteiligung an beruflicher Weiterbildung wird
letztlich sowohl bei Älteren wie bei Arbeitgebern in hohem Maße von der weiteren politischen
Rahmensetzung in Bezug auf die Frühverrentungspraxis abhängen. Denn diese beeinflusst in
hohem Maße die Frage, bis zu welchem Alter die Beteiligung an beruflicher Qualifizierung
von den Betroffenen überhaupt noch als lohnenswert und im Erwerbsleben verwertbar betrachtet wird.
Herausforderung „Alternsgerechte Arbeitsplätze“: Nach wie vor sind die Arbeitsbedingungen vieler Arbeitnehmer ungeachtet aller technischen Fortschritte durch hohe Belastungen gekennzeichnet. In Bereichen der Wirtschaft, in denen der Arbeitsalltag von hohen körperlichen Belastungen geprägt ist, wird eine stärkere Berücksichtigung älterer Bewerber bei
der Besetzung von Stellen durch die mit steigendem Lebensalter abnehmende physische Belastbarkeit eingeschränkt. Die Einschränkung der Einstellungschancen im Hinblick auf körperlich belastende Tätigkeiten ist jedoch nicht zwangsläufig, sondern in erster Linie eine Folge
der Bedingungen, unter denen die älteren Bewerber jahrelang gearbeitet haben. Nicht das
Alter ist somit das Hauptproblem, sondern die unzureichende Prävention und der vorzeitige
Verschleiß infolge jahrelanger körperlicher Belastungen. Genauso wenig, wie der Gruppe der
älteren Erwerbspersonen pauschal eine verminderte Leistungsfähigkeit unterstellt werden
kann, sollte diese Gruppe demzufolge auch nicht pauschal „idealisiert“ werden.
Lösungsansätze zur Beeinflussung des Einstellungsverhaltens zu Gunsten älterer Bewerber
müssen in diesen Bereichen vor allem auf eine alternsgerechte Gestaltung der Arbeitsplätze
in den Betrieben abzielen. Von Maßnahmen der alternsgerechten Gestaltung von Arbeitsplätzen profitieren zunächst zwar nur die bereits in den Betrieben beschäftigten älteren Mitarbeiter, und nicht jene, die sich aktuell um eine Wiederbeschäftigung bemühen. Das Vorhandensein alternsgerechter Arbeitsplätze schafft jedoch erst die Voraussetzung dafür, dass Personalverantwortliche von Betrieben mit belastungsintensiven Arbeitsplätzen ältere Bewerber bei
ihren Einstellungsentscheidungen zukünftig überhaupt berücksichtigen können. In diesem
Sinne ist die Verbesserung der Einstellungschancen älterer Bewerber unmittelbar von Maßnahmen zum Erhalt ihrer Beschäftigungsfähigkeit bzw. der alternsgerechten Gestaltung der
Arbeitslätze in den Betrieben selbst abhängig.63 Im Gegensatz zu Großbetrieben verfügen
kleine und mittlere Betriebe jedoch selten über die erforderlichen Ressourcen sowie das notwendige Wissen, um diese Bedingungen zu schaffen. In Nordrhein-Westfalen bieten Programme und Aktivitäten wie z. B. das Förderangebot der „Potenzialberatung“ sowie die Gemeinschaftsinitiative „Gesünder arbeiten“, die sich der Entwicklung, Umsetzung und dem
Transfer beispielhafter Konzepte von Arbeits- und Gesundheitsschutz widmen, diesen Betrieben bereits eine wirkungsvolle Unterstützung. Der weitere Ausbau von Beratungsstrukturen
zum Gesundheitsmanagement, die Erarbeitung von Handlungshilfen für die Gestaltung gesundheitsförderlicher Arbeitsbedingungen oder auch die Identifizierung und Propagierung
guter praktischer Lösungen können günstige Voraussetzungen schaffen, um die Einstellungschancen älterer Bewerber noch nachhaltiger zu erhöhen.
62
63
Sonderprogramm der Bundesagentur für Arbeit zur Stärkung der Qualifikation der Personengruppe der Geringqualifizierten und Älteren" - Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter Älterer in Unternehmen
(WeGebAU). Mit diesem Programm sollen vor allem die Integrationsfortschritte bei gering qualifizierten Arbeitslosen gefördert werden. Es umfasst insbesondere die Zielgruppe der Älteren ab 50 Jahren.
Vgl. Rothkirch, Christian von u. a.: Einstellungen älterer Arbeitnehmer zum Renteneintritt. Eine empirische
Untersuchung in nordrhein-westfälischen Betrieben, Düsseldorf 2005.
69
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Herausforderung „Arbeitsrecht“: Die Effekte gängiger und permanent geforderter Rezepte zur Erleichterung betriebsbedingter Kündigungen in Bezug auf das Einstellungsverhalten der Betriebe gegenüber älteren Bewerbern sind auf der Basis der eigenen Untersuchung
schwer abschätzbar. Durch die bestehenden altersbezogenen Kündigungsschutzregelungen
werden vor allem langjährig Beschäftigte begünstigt. Die Analyse des Rekrutierungsverhaltens der in die Auswahl einbezogenen Betriebe hat gezeigt, dass bei Neueinstellungen Älterer diese spezifischen Regelungen im Prinzip keine Rolle spielen. Viele Befragte geben zu,
dass besondere Schutzregelungen für Ältere erst in Kombination der beiden Kriterien „Alter“
und „Dauer der Betriebszugehörigkeit“ wirken. Bei einer Neueinstellung fangen Ältere im
Prinzip wieder bei Null an. Für die Mehrheit der befragten Personalverantwortlichen ist der
Kündigungsschutz daher kein Hindernis, Ältere einzustellen. Dennoch bestehen Vorbehalte
bei einem Teil der Betriebe. Diese beruhen in der Regel auf negativen Erfahrungen mit langjährig beschäftigten Älteren, welche teilweise auf ältere Bewerber übertragen werden und
dadurch einstellungshemmend wirken. Vor diesem Hintergrund erscheint der Vorschlag des
Sachverständigenrats zumindest überlegenswert – und als Handlung mit möglicherweise hoher Signalwirkung bedeutsam –, die bisherige separate Berücksichtigung des Lebensalters im
Rahmen der Sozialauswahl herauszunehmen. Lange im Unternehmen beschäftigte und damit
logischerweise ältere Mitarbeiter sind über das Kriterium „Betriebszugehörigkeitsdauer“ bereits relativ gut vor Freisetzungen geschützt.64
Informationspolitik und Appelle an Betriebe können vor dem Hintergrund teilweise vorhandener Informationsdefizite, die erwartungsgemäß vor allem bei kleineren Betrieben bestehen, die eigentlich am aufgeschlossensten gegenüber älteren Bewerbern zu sein scheinen,
flankierend sinnvoll und notwendig sein.65 Solche Aktionen sollten dann nicht nur pauschal
und einseitig die hohe Leistungsfähigkeit und Kompetenz älterer Bewerber herausstellen –
diese Botschaft ist bei vielen Betrieben angekommen –, sondern vor allem auch die vermeintlichen kostenverursachenden Faktoren einer Einstellung Älterer sachlich thematisieren.
Dies bietet die Möglichkeit, öffentlich stark diskutierte, aber inhaltlich nicht immer korrekt
widergegebene Aspekte im Rahmen der Beschäftigung und Einstellung Älterer gezielt und
wirksam klar zustellen, insbesondere Fragen des Kündigungsschutzes, z. B. die Bedeutung
des Lebensalters bei Sozialplänen oder Rückerstattungspflichten im Rahmen der Förderung
durch die Bundesagentur für Arbeit. Die Beseitigung bestehender Informationslücken würde
dazu beitragen, die sich lediglich auf Informationsdefizite gründenden Einstellungshemmnisse gegenüber älteren Bewerber abzubauen.
Herausforderung „Bewerberverhalten“: Ergebnisse aktueller Untersuchungen haben
gezeigt, dass ältere Bewerber ihre Bewerbungsbemühungen sehr selektiv ausrichten. In vielen Fällen liegen den Betrieben keine Bewerbungen Älterer vor. Im Mittelpunkt der Bemühungen älterer Bewerber scheinen vorwiegend jene Betriebe zu stehen, bei denen die Einstellungshürden für Ältere vermutlich am höchsten sind, nämlich Großbetriebe. In Anbetracht
dieses Befundes, der durch die eigene Untersuchung gestützt wird, lässt sich vermuten, dass
ältere Bewerber ihre Einstellungschancen möglicherweise steigern könnten, wenn sie ihre
Bemühungen insgesamt ausweiten und in stärkerem Maße auch auf Stellenangebote kleine64
65
Vgl. Sachverständigenrat (Hrsg.): Die Chance nutzen - Reformen mutig voranbringen, Jahresgutachten:
2005/06, veröffentlicht am 09.11.2005, S. 163. Ähnlich argumentiert auch die BDA (vgl. Bundesvereinigung
der Deutschen Arbeitgeber (Hrsg.): Ältere Arbeitnehmer – ein Asset für die Wirtschaft. Empfehlungen für Politik, Tarifpartner und Unternehmen 2003).
Einigen Betrieben war bspw. nicht bekannt, dass der § 147 SGB („Verpflichtung zur Rückerstattung des Arbeitslosengeldes“) zum 1.2.2006 außer Kraft gesetzt wurde.
70
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
rer Betriebe reagieren würden. Da gerade diese Betriebe ihre freien Stellen selten melden, ist
es auch aus diesem Blickwinkel erforderlich, dass die Unternehmen die Transparenz über ihr
Stellenangebot erhöhen.
Ein weiterer Punkt ist die Nutzung neuer Medien bei der Stellensuche. Viele Betriebe verfügen mittlerweile über eigene Internetpräsenzen, die in der Regel auch zur Stellenausschreibung genutzt werden. Die Wahrnehmung solcher Optionen setzt entsprechende Kompetenzen seitens der älteren Bewerber voraus. In diesem Sinne können Projekte zur Erhöhung der
Medienkompetenz einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Integrationschancen älterer
Bewerber leisten.66
Herausforderung „Demografie-Diskussion“: In der öffentlichen Diskussion um die Effekte der demografischen Entwicklung ist permanent die Rede von einer drohenden „Überalterung der Gesellschaft“ und von „überalterten Belegschaften“. Betriebe, so lautet die Botschaft, werden infolge einer Alterung der Bevölkerung bei gleichzeitigem Rückgang des potenziellen Arbeitskräfteangebots zukünftig mit deutlich älteren Belegschaften auskommen
müssen. Während einerseits die hohe Leistungsfähigkeit Älterer pauschal propagiert wird,
wird andererseits implizit unterstellt, dass ein zukünftig höherer Anteil Älterer die Produktivität und die Innovationsfähigkeit der Betriebe gefährde. Die pauschale Kategorisierung des
demografisch bedingt wachsenden Anteils Älterer als „Problem“ führt unbeabsichtigt zu einer
Stigmatisierung Älterer (mit Älteren auskommen „müssen“), was in der Konsequenz zu einer
Verfestigung bestehender Einstellungsbarrieren Älterer beiträgt. Appelle, Sensibilisierungskampagnen u. ä. Aktionen sollten die Inszenierung demografischer Drohkulissen daher vermeiden und vielmehr versuchen, die demografische Entwicklung als Chance zu „vermarkten“.
Herausforderung „Förderinstrumentarium“: Das Instrumentarium der aktiven Arbeitsmarktpolitik zur Unterstützung der Integration Älterer in Beschäftigung muss transparenter
und attraktiver für die Betriebe gestaltet werden. Beitragsbefreiung und Entgeltsicherung
sind in den untersuchten Betrieben als Förderinstrumente weitgehend unbekannt bzw. nach
deren Auffassung kaum dazu geeignet, Ältere in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Eine offensivere Bewerbung dieser Instrumente würde daher vermutlich nur unwesentlich zu einer höheren Wirksamkeit führen. Es sollte stattdessen überlegt werden, ob die Förderung pro Ältere nicht auf ein oder zwei wirksame Instrumente reduziert werden kann. Dies verringert den
Informationsaufwand und erhöht die Transparenz. Im Hinblick auf Eingliederungszuschüsse67
sollten die gegenwärtigen „Verkaufsargumente“ überprüft werden. Bislang werden diese als
Kompensation einer Leistungsminderung „verkauft“, was zwangsläufig die Botschaft mittransportiert: Ältere weisen Defizite auf. Diese Praxis verstärkt – ähnlich wie Frühverrentungsmodelle – das in den Köpfen vieler Personalverantwortlicher bestehende Defizitmodell.
Es wäre demnach zu überlegen, ob dieser Zuschuss nicht grundsätzlich als eine „Einstellungsprämie“ mit festgelegter Höhe und Dauer gezahlt werden könnte (Prämienmodell statt
Defizitmodell). Diese Leistung könnte auch gestaffelt werden: je älter der Bewerber, desto
höher die Prämie. In diesem Sinne sind Vorschläge unabhängig von einzelnen Details zu be66
67
Vgl. Gehrke. Barbara: Expertise. Ältere Menschen und Neue Medien. Entwicklungschancen für künftige Medienprojekte für ältere Frauen und Männer in Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf 2005.
Bei Eingliederungszuschüssen gilt es zu bedenken, dass Ältere (und auch Jüngere) vielfach auch ohne Zuschüsse eingestellt worden wären. Angesichts dieser Erfahrungen könnte vorsichtig der Schluss gezogen
werden, Eingliederungszuschüsse – jedenfalls in der gegenwärtigen Ausgestaltung – abzuschaffen. In Nordrhein-Westfalen wurden im Juni 2006 in 17.876 Fällen Eingliederungszuschüsse gezahlt, im Januar 2005 waren dies lediglich 6.739 Fälle. Damit hat sich die Zahl der gewährten Eingliederungszuschüsse innerhalb eines Zeitraumes von 18 Monaten mehr als verdoppelt (Quelle: Bundesagentur für Arbeit).
71
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
grüßen, die bei Älteren zukünftig die Notwendigkeit einer Förderung prinzipiell unterstellen.68
Bei Trainingsmaßnahmen fällt die Resonanz der Personalverantwortlichen vergleichsweise
positiv aus. Die Tatsache, dass dieses „Praktikum“ für die Betriebe mit keinerlei Verpflichtungen verbunden ist, scheint zu einer deutlichen Senkung von bestehenden Hemmschwellen
gegenüber arbeitslosen Personen zu führen. Personalverantwortliche haben die Chance, potenzielle Mitarbeiter kostenlos und unverbindlich zu testen. Für ältere Bewerber ist dies in jedem Fall von Vorteil. Auch „Praktikanten“, die nicht übernommen werden können, erwerben
praktische Erfahrungen in realer Arbeitsatmosphäre und verbessern damit ihre Einstellungsvoraussetzungen. Da dieses Instrument in der gegenwärtigen Form jedoch arbeitslosen Bewerbern aller Altersgruppen offen steht, profitieren hiervon scheinbar vor allem unter 50Jährige. An die Betriebe sollte daher appelliert werden, noch stärker von diesem Instrument
Gebrauch zu machen und gegebenenfalls bei Älteren öfter den vollen möglichen Zeitraum
auszuschöpfen.
Eine erfolgreiche Integration älterer Arbeitsloser in Beschäftigung setzt auch eine höhere
Transparenz über den Arbeitskräftebedarf der Betriebe voraus. Die Mitarbeiter in den Agenturen für Arbeit, ARGEn und Optionskommunen, die für die Integration der älteren Arbeitslosen verantwortlich sind, haben jedoch lediglich von einem Teil des gesamten Stellenangebotes Kenntnis, da lediglich ein Teil der betrieblichen Stellen in Nordrhein-Westfalen (44 %)
gemeldet wird.69 Ein großer Teil der betrieblichen Bedarfsbewegungen bleibt somit verborgen
und kann damit in die Such- und Vermittlungsbemühungen nicht einfließen. Hier müssten die
Anreize verstärkt werden, damit Betriebe in höherem Maße als bisher ihre Stellen melden.
Hierzu kann an verschiedenen Punkten angesetzt werden. Ein erster Punkt betrifft die Personalvorauswahl durch die Arbeitsvermittlung. Trotz erfolgter Verbesserungen wird diese von
den untersuchten Betrieben eher kritisch beurteilt. Einige der befragten Personalverantwortlichen haben den Eindruck, dass nicht nur geeignete und passende Bewerber ausgewählt
werden, sondern auch Personen zum Testen der Arbeitswilligkeit zu ihnen geschickt werden.
Diese Praxis erfolgt zu Lasten der Betriebe und provoziert Enttäuschungen, die letztlich zu
einer Einschränkung der Kooperationsbereitschaft führen. Die guten Erfahrungen von Modellprojekten bei der Integration von Arbeitslosen zeigen demgegenüber, dass eine intensive
Beratung, Betreuung und Ansprache der Betriebe eine wesentliche Rolle für den Wiedereingliederungserfolg spielen.70 Ob dies auch außerhalb von Modellprojekten, im Rahmen der
täglichen Praxis der Arbeitsvermittlung gelingt, dürfte nicht zuletzt vom sogenannten Betreuungsschlüssel und den damit verbundenen personellen und zeitlichen Ressourcen abhängen71
68
69
70
71
„Ein Alter über 50 Jahre wird grundsätzlich als Hemmnis bei der Vermittlung angesehen. Betriebe, die solche
Arbeitnehmer einstellen, können einen Eingliederungszuschuss zwischen 20 und 40 % des Lohns für max. 2
Jahre erhalten, wenn das Arbeitsverhältnis mindestens 1 Jahr dauert.“ (Bundesarbeitsminister Franz Müntefering, zit. nach http://www.bmas.bund.de/ BMAS/Navigation/Presse/ nachrichten,did=145366.html).
Eigene Berechnung auf der Grundlage der Daten des IAB-Betriebspanels Nordrhein-Westfalen, Befragungswelle 2005.
Vgl. Lohmann, Bettina: Neue Arbeit – neues Leben. Evaluation eines Arbeitsmarktprojektes zum Einsatz von
neuen Coaching- und Qualifizierungskonzepten für ältere Arbeitslose mit dem Ziel der Vermittlung in den 1.
Arbeitsmarkt in der Region Ostwestfalen von Juni 2002 bis Juli 2004, Bielefeld 2006.
„Bei Jugendlichen soll ein Vermittler maximal 75 Fälle betreuen, und es gibt jedes Jahr eine große Kampagne, bei der Handwerkskammern und Minister für Ausbildungsplätze werben. Warum setzt man sich nicht genauso für die Älteren ein?“ (Herbert Buscher, Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt am Institut für Wirtschaftsforschung Halle, zit. nach: Die Zeit vom 03.03.2005, Nr. 10).
72
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Auch die gegenwärtige Gestaltung der Kommunikationsstruktur zwischen Betrieben und Arbeitsvermittlung bietet – trotz erheblicher Fortschritte im Rahmen der Reorganisation der
Bundesagentur für Arbeit – noch Optimierungspotenziale.72 In der gegenwärtigen Praxis sehen sich Personalverantwortliche in der Regel verschiedenen Ansprechpartnern seitens der
Agentur für Arbeit gegenüber. So wurde von einigen Befragten kritisiert, dass es z. B. einen
Ansprechpartner für Fragen zur Einstellung von Fachkräften gibt, einen anderen zu Fragen
der Ausbildung und wieder einen anderen zu Fragen von Altersteilzeit. Es sollte daher überlegt werden, ob an dieser Stelle nicht eine Bündelung erzielt werden kann, so dass lediglich
ein einziger Ansprechpartner für die Personalverantwortlichen zuständig ist im Sinne einer
„One-Stop-Agency“. Dies würde nicht nur zu einer Reduzierung des momentan erheblichen
Aufwandes führen, der gegenwärtig viele, nicht nur kleinere und mittlere Betriebe, von einer
intensiveren Zusammenarbeit mit den Agenturen für Arbeit, ARGEn und Optionskommunen
abhält, sondern auch der Herstellung eines notwendigen Vertrauensverhältnisses zwischen
Betrieb und Agentur für Arbeit dienen. Die Aufteilung der Arbeitsuchenden auf unterschiedliche Zuständigkeitsbereiche und damit die Vervielfachung der potenziellen Ansprechpartner
für die Personalverantwortlichen ist in dieser Hinsicht wenig förderlich. Überdenkenswert
scheint auch die im Rahmen der Reformierung der Bundesagentur für Arbeit erfolgte Einteilung der Betriebe in Zielkunden und Standardkunden. Während Zielkunden, Betriebe mit einem hohem Stellenpotenzial und attraktiven Arbeitsplätzen (tendenziell Großbetriebe) intensiv betreut werden, wird der Aufwand für Standardkunden – in der Regel vermutlich kleinere
und mittelständische Betriebe – eingeschränkt. Diese Praxis wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht dazu beitragen, Betriebe dieses Typs stärker als bisher für eine Kooperation zu gewinnen. Gerade die kleineren und mittelständischen Betriebe müssten jedoch als „Kunden“
gewonnen werden, da gerade hier scheinbar die geringsten Hemmschwellen gegenüber älteren Bewerbern zu bestehen scheinen.
Herausforderung „Frühverrentungspraxis“: Konträr zu den Bemühungen zur Verbesserung der Einstellungschancen älterer Bewerber wirken sich die finanziellen Anreize zum vorzeitigen Ausscheiden Älterer aus dem Arbeitsleben aus. Im Rahmen der Regelungen zur Altersteilzeitarbeit fördert die Bundesagentur für Arbeit den frühzeitigen Ausstieg älterer Arbeitnehmer aus dem Erwerbsleben inzwischen mit mehr als 1 Mrd. € pro Jahr. Damit haben
sich die Ausgaben der Bundesagentur für Arbeit für Altersteilzeit in den vergangenen sechs
Jahren mehr als vervierfacht.73 Dies steht in der Sache im Gegensatz zum Beschluss der
Bundesregierung zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch die Einführung der Rente ab
67.74 Durch die Widersprüchlichkeit der „Signale“ wird der angestrebte Paradigmenwechsel
pro Ältere blockiert. Das Einstellungsverhalten der Betriebe lässt sich nur dann nachhaltig
verbessern, wenn diese Inkonsistenz beseitigt wird. Positive Signale müssen verstärkt, negative Signale verringert werden. Die kürzlich erfolgte Verlängerung der (Nicht-)Verfügbarkeit
72
73
74
Vgl. hierzu auch Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.): IAB-Betriebspanel NRW 2004,
Agenturen für Arbeit und Personalsuche, Düsseldorf 2006.
Die Zuschüsse der Bundesagentur für Arbeit beliefen sich im Jahr 2000 auf 274 Millionen Euro. 2003 wurden
aus den Mitteln der Arbeitslosenversicherung rund 864 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. 2005 überschritten die Fördergelder für Altersteilzeit erstmals die Milliardengrenze. Die Ausgaben für Altersteilzeit der
Bundesagentur für Arbeit stiegen in den ersten drei Monaten 2006 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um
ein knappes Fünftel auf 306 Millionen Euro (Quelle: Bundesagentur für Arbeit).
Ab dem Jahr 2012 soll das Rentenalter monatsweise pro Jahr angehoben werden. Ab 2023 bis 2029 steigt
das Rentenalter dann zwei Monate pro Jahr. Wer bis 2012 in Rente geht, der muss keinen Tag länger arbeiten. Wer im Jahr 2029 65 Jahre alt ist (Geburtsjahrgänge 1964 und jünger), der muss zwei Jahre länger bis
zum 67. Lebensjahr arbeiten – zumindest, wenn er keine Abschläge in Kauf nehmen möchte.
73
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
im Falle älterer Arbeitsloser, die sogenannte 58er-Regelung nach SGB III § 428, ist in diesem
Sinne als eher kontraproduktiv einzuschätzen.75 Die beschlossene schrittweise Heraufsetzung
des gesetzlichen Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre ist als Signal demgegenüber richtig, sofern die Arbeitsbedingungen derart gestaltet werden, dass ein Arbeiten bis 67 möglich
ist, und zwar für den Durchschnittsarbeitnehmer in allen Branchen und Berufsgruppen und
nicht nur für jene älteren Arbeitnehmer mit Verwaltungs- oder Leitungsaufgaben.
Es lässt sich abschließend festhalten: Die Herausforderungen hinsichtlich der Verbesserung
der Einstellungschancen älterer Bewerber sind vielfältig und komplex. In Anbetracht der
wechselseitigen Abhängigkeiten der einzelnen Einflussfaktoren dürfte es nicht ausreichen, lediglich an einer „Stellschraube“ zu drehen. Das Einstellungsverhalten der Betriebe lässt sich
nur dann nachhaltig verbessern, wenn die Kohärenz der Politik pro Ältere erhöht wird. Es
muss zukünftig noch stärker darum gehen, das Entscheidungskalkül der Betriebe auf den
verschiedenen Ebenen im Rahmen einer einheitlichen Strategie zu beeinflussen, d. h. eine
Politik zur Verbesserung der Einstellungschancen älterer Bewerber muss vor allem einem
konsistenten Gesamtkonzept folgen. Damit zukünftig mehr Stellen mit Bewerbern ab 50 besetzt werden, muss der politische Kurs konsequent auf Eingliederung ausgerichtet werden.
Vor dem Hintergrund der Situation auf dem Arbeitsmarkt ist dies zugegebenermaßen nicht
einfach. So setzt die Verbesserung der Einstellungschancen älterer Bewerber nicht nur eine
konsistentere Politik pro Ältere, sondern auch eine entsprechende Arbeitskräftenachfrage
voraus. Es wird sich zeigen müssen, wie belastbar all jene Prognosen sind, die bereits mittelfristig eine deutliche Verknappung des Arbeitskräfteangebots in Aussicht stellen.
75
Seit dem Jahre 1986 zählt ein großer Teil der Arbeitslosen nach Vollendung ihres 58. Lebensjahres nicht
mehr zu den statistisch registrierten Arbeitslosen, da sie dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen,
ohne dadurch ihren Leistungsanspruch gegenüber der Arbeitslosenversicherung zu verlieren (vgl. § 428 SGB
III „Arbeitslosengeld unter erleichterten Voraussetzungen“). In Nordrhein-Westfalen erhalten ca. 50.000
Menschen ab 58 Jahren – Bestand zum 30.06.2006 – Arbeitslosengeld unter erleichterten Voraussetzungen
nach § 428 SGB III und werden aus diesem Grund nicht als Arbeitslose gezählt (vgl. Pressemitteilung Nr.
033/2006 der RD NRW vom 28.09.2006).
74
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
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2006.
Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.): IAB-Betriebspanel NRW,
Report 2004. Düsseldorf 2006.

Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.): IAB-Betriebspanel NRW
2004, Ältere im Betrieb, Düsseldorf 2006.

Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.): IAB-Betriebspanel NRW
2004, Agenturen für Arbeit und Personalsuche, Düsseldorf 2006.




Rothkirch, Christian von u. a.: Einstellungen älterer Arbeitnehmer zum Renteneintritt.
Eine empirische Untersuchung in nordrhein-westfälischen Betrieben, Düsseldorf 2005.
Sachverständigenrat (Hrsg.): Die Chance nutzen - Reformen mutig voranbringen, Jahresgutachten: 2005/06, veröffentlicht am 09.11.2005.
Spidla, Vladimir: Europäische Beschäftigungsstrategie und die Förderung älterer Arbeitnehmer, in: Sproß, Cornelia (Hrsg.): Beschäftigungsförderung älterer Arbeitnehmer
in Europa. BeitrAB 299. Nürnberg 2006, S. 5-12.
Wübbeke, Christina: Der Übergang in den Rentenbezug im Spannungsfeld betrieblicher
Personal- und staatlicher Sozialpolitik, BeitrAB 290.1, Nürnberg 2004.
78
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Anhang
Struktur der untersuchten Betriebe 76
Branche entspr. Klassifikation WZ 03
D Verarbeitendes Gewerbe
24
21
27
28
29
30
31
Chemische Industrie (U 19)
Papier-, Verlags- und Druckgewerbe (U 07)
Metallerzeugung und -bearbeitung (U 20)
Herstellung von Metallerzeugnissen (U 09)
Maschinenbau (U 03, U 11, U 13)
Elektrotechnik (U 06)
Fahrzeugbau und -teile (U 05, U 15, U 22)
G Handel; Instandhaltung u. Reparatur v.
Kraftfahrzeugen; Tankstellen
Anzahl
Anteil
11
50%
1
1
1
1
3
1
3
4,5%
4,5%
4,5%
4,5%
13,5%
4,5%
13,5%
1
4,5%
52 Einzelhandel (U 14)
1
4,5%
H Gastgewerbe
1
4,5%
55 Gastgewerbe (U 12)
1
4,5%
4,5%
J Kredit- und Versicherungsgewerbe
1
65 Kreditgewerbe (U 17)
1
4,5%
K Unternehmensnahe Dienstleistungen
4
18,0%
72 Datenverarbeitung und Datenbanken (U 01, U 08)
74 Erbringung von Dienstleistungen für Unternehmen (U 04, U 21)
2
2
9,0%
9,0%
13,5%
N Gesundheits- und Sozialwesen
3
85 Gesundheits- und Sozialwesen (U 02, U 10, U 16)
3
13,5%
O Erbringung von sonstigen Dienstleistungen
1
4,5%
93 Wäscherei und chemische Reinigung (U 18)
Betriebsgrößenklasse entspr. EU-Klassifikation
1
4,5%
22
100%
Anzahl
Anteil
4
18%
12
55%
Kleinbetrieb (10 bis 49 Beschäftigte)
(U 04, U 09, U 13, U 14)
Mittelgroßer Betrieb (50 bis 249 Beschäftigte)
(U 01, U 03, U 05, U 06, U 08, U 10, U 11, U 12, U 16, U 18, U 19, U 20)
Großbetrieb (ab 250 Beschäftigte)
(U 02, U 07, U 15, U 17, U 21, U 22)
76
6
27%
22
100%
Die EU-Kommission geht bei Klassifizierung von Betrieben nach Betriebsgrößenklassen von folgenden
Schwellenwerten aus: Kleinstbetriebe < 10 Beschäftigte, Kleinbetriebe = 10-49 Beschäftigte, mittlere Betriebe = 50-249 Beschäftigte, Großbetriebe = 250 Beschäftigte und mehr (vgl. http://europa.eu.int/
comm/enterprise/enterprise_policy/sme_definition/index_de.htm).
79
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Thesen zu Einflussfaktoren und Bestimmungsgründen des Einstellungsverhaltens
von Arbeitgebern und Personalverantwortlichen gegenüber älteren Bewerbern
und Bewerberinnen
Vorbemerkungen
Das betriebliche Einstellungsverhalten gegenüber älteren Bewerbern und Bewerberinnen
hängt davon ab, wie die soziale Gruppe „Ältere“ von Arbeitgebern und Personalverantwortlichen im Vergleich zu jüngeren Erwerbspersonen wahrgenommen wird. Auf der Grundlage
einschlägiger Literatur sowie Ergebnisse empirischer Untersuchungen zum Thema kann davon ausgegangen werden, dass die Wahrnehmung und damit das konkrete Einstellungsverhalten von Arbeitgebern und Personalverantwortlichen gegenüber Älteren von einer Vielzahl
von Faktoren ungünstig beeinflusst wird. Als wesentliche Faktoren können herausgestellt
werden: rechtlich-institutionelle, sozialrechtliche und arbeitsmarktpolitische Regelungen,
branchen- und tätigkeitsspezifische Leistungsanforderungen sowie vorherrschende soziokulturelle Muster. Alterselektives Einstellungsverhalten wird darüber hinaus befördert durch
Vorbehalte bzw. Vorurteile von Arbeitgebern und Personalverantwortlichen gegenüber Älteren, d. h. weder sachlich begründete noch durch eigene Erfahrung belegte Einstellungen,
sowie gruppenspezifische Stereotype und durch die Zuweisung von gesellschaftlich akzeptierten und sozial abgefederten Alternativrollen.77
Bei der Analyse jener Faktoren, die eine Einstellung Älterer aus Sicht der Arbeitgeber und
Personalverantwortlichen als unattraktiv erscheinen lassen, wird kein Automatismus bzw. eine Gesetzmäßigkeit unterstellt, etwa in dem Sinne, dass bestimmte Rahmenbedingungen
oder Faktoren ein bestimmtes betriebliches Denken und Handeln zwangsläufig nach sich ziehen. So wird davon ausgegangen, dass Arbeitgeber und Personalverantwortliche innerhalb
bestimmter Grenzen über gewisse Wahlmöglichkeiten verfügen, gegebene Rahmenbedingungen und wirkende Faktoren jedoch die Wahrscheinlichkeit des Auftretens bestimmter
Einstellungen bzw. eines bestimmten betrieblichen Verhaltens erhöhen bzw. verringern.
Die oben genannten Einflussfaktoren berühren unterschiedliche Ebenen, angefangen von der
individuellen Ebene (z. B. Vorurteile, Informationsdefizite) über die betriebliche Ebene (z. B.
tätigkeitsspezifische Leistungsanforderungen) bis hin zur Ebene der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (z. B. rechtlich-institutionelle Regelungen). Dementsprechend unterschiedlich sind die Ansatzpunkte für unterstützende Maßnahmen und Aktionen zur Verbesserung
der Einstellungschancen älterer Bewerber und Bewerberinnen zu wählen. So müsste beispielsweise im Falle von eher individuell begründeten Einstellungsbarrieren eine Einflussnahme zur Verbesserung der Einstellungschancen Älterer vermutlich vor allem an einer stärkeren Aufklärung und Sensibilisierung der Personalverantwortlichen in den Unternehmen ansetzen. Hierfür sind in erster Linie konkrete Erkenntnisse für die Bestimmungsgründe der
spezifischen Wahrnehmung Älterer durch die Personalpolitik erforderlich. Im Falle tätigkeitsbedingter Hemmnisse müsste demgegenüber in erster Linie überlegt werden, wie mögliche
Diskrepanzen zwischen der Leistungsfähigkeit Älterer einerseits und konkreten Tätigkeitsanforderungen andererseits ausgeglichen werden können. Bei Hemmnissen, die auf der Ebene
institutioneller Rahmenbedingungen angesiedelt sind, müssten Überlegungen einer Einflussnahme vor allem auf bestehende rechtliche Regelungen orientiert werden. Insgesamt wird
davon ausgegangen, dass kein Einflussfaktor bzw. Bestimmungsgrund allein das betriebliche
77
Vgl. Grewer, Hans-Günther: Einstellungsverhalten und personalpolitische Strategien in saarländischen Unternehmen und Gebietskörperschaften. Ergebnisse einer Befragung von Personalverantwortlichen im Jahr 2003,
Saarbrücken 2004.
80
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Einstellungsverhalten erklären kann, was gegen monokausale Erklärungs- sowie Lösungsansätze spricht.
Die im Folgenden dargestellten Thesen sollen der Strukturierung und Eingrenzung von Untersuchungsgegenstand und Fragestellung, der Identifikation von geeigneten Betrieben für
die vorgesehenen Interviews mit Arbeitgebern und Personalverantwortlichen, der Vorbereitung der Operationalisierung getroffener Annahmen zu Wirkungszusammenhängen sowie der
Identifikation von Ansatzpunkten für die Beeinflussung des Einstellungsverhaltens von Arbeitgebern und Personalverantwortlichen gegenüber Älteren dienen.
Folgende, zu überprüfende Einzelthesen lassen sich ableiten. Die Reihenfolge der Darstellung
entspricht dem vermuteten Beitrag der Thesen zur Erklärung des Einstellungsverhaltens von
Arbeitgebern und Personalverantwortlichen gegenüber älteren Bewerbern und Bewerberinnen.
These 1:
Das betriebliche Einstellungsverhalten gegenüber Älteren wird von
branchen- bzw. tätigkeitsimmanenten Anforderungen negativ beeinflusst.
Die These unterstellt einen Zusammenhang zwischen der Problematik von Arbeitsplätzen mit
tätigkeitsbedingten Altersbeschränkungen und dem Einstellungsverhalten von Arbeitgebern
und Personalverantwortlichen gegenüber älteren Bewerbern und Bewerberinnen. Bei der Untersuchung von Bestimmungsgründen des Einstellungsverhaltens von Arbeitgebern bzw. Personalverantwortlichen gegenüber Älteren muss berücksichtigt werden, dass die Arbeitsbedingungen in den einzelnen Branchen außerordentlich unterschiedlich sind. Es wird angenommen, dass das Einstellungsverhalten der Unternehmen und damit die Frage, welche
Chancen Ältere auf dem Arbeitsmarkt haben, vom konkreten Tätigkeitsprofil bzw. der Branche abhängt. Spezifische branchen- bzw. tätigkeitsimmanente Anforderungen können mit
zunehmenden Alter zu einer Einschränkung der Beschäftigungsfähigkeit führen. Beschäftigungs- bzw. Leistungsfähigkeit kann als Summe verschiedener Elemente betrachtet werden.
Hierzu gehören fachliches Wissen (Kenntnisse und Fertigkeiten), fachübergreifendes Wissen
(Sprachen, EDV-Kenntnisse, Medienkompetenz etc.), soziale Kompetenzen (Teamfähigkeit,
Arbeitsdisziplin, Anpassungsfähigkeit etc.) sowie Gesundheitszustand (körperliche Belastbarkeit etc.). Die Altersgrenze, ab der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als zu alt für einen
bestimmten Arbeitsplatz eingeschätzt werden, und damit die Grenze für die Ausübung einer
Tätigkeit erreichen, kann für unterschiedliche berufliche Tätigkeiten allerdings unterschiedlich
hoch angesetzt werden. In der Tendenz dürfte gelten, dass tätigkeitsbedingte Altersgrenzen
bei qualifikatorisch anspruchsvolleren und besser entlohnten Tätigkeiten sehr nahe oder sogar jenseits der gesetzlichen Altersgrenze liegen.78 Bei Arbeitsplätzen bzw. Tätigkeiten, die
mit starken physischen und psychischen Belastungen, ungünstigen Arbeitsbedingungen (z. B.
Schichtarbeit) sowie einem hohen Arbeitstempo (z. B. Akkordarbeit) verbunden sind bzw.
Tätigkeiten für Un- und Angelernte, dürften die tätigkeitsbedingte Altersgrenzen demgegenüber deutlich niedriger sein als das gesetzliche Renteneintrittsalter. In verschiedenen Branchen mit unterschiedlichen Produktionsregimes kann das Einstellungsverhalten von Arbeitgebern bzw. Personalverantwortlichen gegenüber Älteren und demzufolge die Einstellungschancen älterer Arbeitnehmer daher sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Hinweise für die
78
Vgl. Koller, Barbara; Gruber, Hannelore: Ältere Arbeitnehmer im Betrieb und als Stellenbewerber aus Sicht
der Personalverantwortlichen, In: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Heft 4, 34. Jg.,
Nürnberg 2001, S. 479-505.
81
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Plausibilität dieser Annahmen finden sich in den Ergebnissen des IAB-Betriebspanels NRW,
wo gezeigt werden konnte, dass der Anteil von älteren Beschäftigten in bestimmten Branchen deutlich unter dem Durchschnitt des Landes liegt. Als Beispiele wurden die Land- und
Forstwirtschaft, das Baugewerbe sowie das Gesundheits- und Sozialwesen identifiziert - ausnahmslos Branchen, in denen körperlich belastende Tätigkeiten den beruflichen Alltag prägen.79
Unter der Annahme des unterstellten Zusammenhangs kann daher vermutet werden, dass
unzureichende Einstellungschancen aus der Tatsache resultieren, dass vorherrschende Arbeitsplatzanforderungen eine Beschäftigung Älterer tendenziell erschweren. Einstellungsbarrieren resultieren in diesem Fall aus der Diskrepanz zwischen Stellenanforderungen und Leistungsfähigkeit oder aber – im Falle eines Bewerberüberschusses – einer vermuteten geringeren Belastbarkeit älterer Bewerber im Vergleich zu Jüngeren.80 Prinzipiell wäre es natürlich
denkbar, körperlich belastende Arbeitsplätze altersgerecht zu gestalten und damit positiv Einfluss zunehmen auf das Ausmaß und die Dauer der beruflichen Leistungsfähigkeit Älterer.
Aufgrund des anhaltend hohen Angebots an jüngeren Arbeit Suchenden könnten Arbeitgeber
jedoch nur eingeschränkt bereit zu sein, die Kosten für eine alternsgerechte Gestaltung von
Arbeitsbedingungen zu übernehmen.
Neben vermuteten physischen Einschränkungen, die ältere Bewerber vor allem bei der Besetzung von Stellen mit hohen körperlichen Belastungen benachteiligen, könnte ebenfalls die
vermutete Passfähigkeit der Kenntnisse und Fähigkeiten Älterer von Bedeutung sein. Sowohl
die Chancen auf längere Beschäftigung im Betrieb als auch die Möglichkeit, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, hängen davon ab, in welchem Maße Kenntnisse und Fähigkeiten der
Bewerber und Bewerberinnen den Anforderungen der zu besetzenden Stellen entsprechen.
Aufgrund der größeren zeitlichen Distanz zwischen dem Abschluss bzw. Erwerb der beruflichen Qualifikation könnte das Wissen Älterer im Vergleich zu denen junger Ausbildungsabsolventen aus Sicht von Arbeitgebern und Personalverantwortlichen möglicherweise als veraltet gelten.81 Obwohl angesichts des beschleunigten Strukturwandels nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass einmal erworbenes berufliches Wissen genügt, um auf Dauer
den sich wandelnden Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt gerecht werden zu können, ist
durch zahlreiche Studien belegt, dass ältere Arbeitnehmer in deutlich geringerem Maße an
Weiterbildungsmaßnahmen zur Anpassung der Kenntnisse und Fähigkeiten an technologische Weiterentwicklungen teilnehmen als ihre jüngeren Kollegen. Egal, ob dieser Zusammenhang auf eine möglicherweise altersdiskriminierende Personalentwicklungspolitik von Arbeitgebern und Personalverantwortlichen oder eher auf eine mit dem Alter abnehmende
Teilnahmebereitschaft der Arbeitnehmer selbst zurückzuführen ist. Die geringere Weiterbildungsteilnahme könnte dazu führen, dass es zwischen Stellenprofil einerseits und Kenntnis-
79
80
81
Vgl. Landesarbeitsamt Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): IAB-Betriebspanel NRW 2002, Teil 2: Ältere im Betrieb,
Düsseldorf 2003.
Vgl. Meyer, Thomas: Qualifikationsstruktur und Beschäftigungschancen älterer Arbeitnehmer im Ziel 2Gebiet. Ergebnisse der Unternehmensbefragung. Trier 2004.
Hinzu kommt der Effekt der Arbeitslosigkeit im Hinblick auf Tätigkeitsfelder, die durch einen permanenten
technologischen Wandel gekennzeichnet sind (Bsp.: Informationstechnik): Je länger die Dauer der Arbeitslosigkeit, umso niedriger ist der Grad der Verwertbarkeit des einmal erworbenen beruflichen Wissens in solchen Tätigkeitsfelder.
82
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
sen und Fähigkeiten älterer Bewerber und Bewerberinnen andererseits möglicherweise größere Lücken gibt als bei Jüngeren.82
Wenn es gelänge, Diskrepanzen zwischen der Beschäftigungsfähigkeit älterer Bewerber und
Bewerberinnen und den Stellen- bzw. Tätigkeitsanforderungen sowohl im Hinblick auf die
körperliche Belastbarkeit als auch auf die Kenntnisse und Fähigkeiten zu verringern - sei es
durch unterstützende Qualifizierungsmaßnahmen oder durch Unterstützung der Arbeitgeber
bei der Einrichtung altersgerechter Arbeitsplätze -, dann würden sich die Einstellungschancen
Älterer erhöhen, würden sie bei der Stellenbesetzung stärker als bisher berücksichtigt.
These 2:
Das betriebliche Einstellungsverhalten gegenüber Älteren wird von der
staatlichen Frühverrentungspolitik negativ beeinflusst.
Die These unterstellt einen Zusammenhang zwischen institutionalisierten Mustern der Frühverrentung einerseits und dem betrieblichen Umgang mit Älteren, die Einschätzung ihrer Beschäftigungsfähigkeit sowie dem Einstellungsverhalten von Arbeitgebern und Personalverantwortlichen gegenüber Älteren andererseits. So gilt ein weit unterhalb der gesetzlichen
Regelaltersgrenze liegendes Ausscheiden von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen aus
dem Erwerbsleben – durch rentenrechtliche Regelungen massiv gestützt – seit vielen Jahren
als Normalfall.83 In diesem Zusammenhang von Bedeutung sind vor allem die Regelungen
des Altersteilzeitgesetzes, insbesondere die Möglichkeit der Inanspruchnahme des so genannten Blockmodells und der damit verbundenen vorzeitigen Ausgliederung älterer Arbeitnehmer. Damit geht von der in den letzten Jahren in Deutschland verfolgten Frühverrentungspolitik das Signal aus, dass man auf Ältere am leichtesten verzichten kann. Während
auf der einen Seite der frühzeitige Austritt Älterer aus dem Erwerbsleben politisch unterstützt
wird, werden auf der anderen Seite zahlreiche Initiativen auf Bundes- wie auf Landesebene
von der Politik gefördert, die auf den Verbleib bzw. den Wiedereintritt älterer Arbeitnehmer
und Arbeitnehmerinnen abzielen.84 Diese Politik ist im Hinblick auf die Wahrnehmung der Beschäftigungsfähigkeit und -chancen Älterer wenig kohärent und widersprüchlich und führt
letzten Endes zu negativen Effekten auf das Einstellungsverhalten von Arbeitgebern und Personalverantwortlichen gegenüber älteren Bewerbern und Bewerberinnen.85
Die erfolgten rentenrechtlichen Änderungen in den Jahren 2001 und 2004 scheinen neuesten
Erkenntnisse zufolge zumindest bei den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zu Verhal82
83
84
85
Der betriebliche (und der individuelle) Nutzen von Weiterbildung wird durch die Angebote eines vorgezogenen Ruhestandes vermindert: Nach einer Weiterbildung bleibt weniger Zeit, das angeeignete Wissen auch im
Betrieb anzuwenden. In Ländern mit einem frühen Renteneintrittszeitpunkt fällt deshalb die Beteiligung an
beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen mit dem Lebensalter besonders stark ab (vgl. IAB-Kurzbericht Nr.
16/2005).
Engstler, Heribert: Geplantes und realisiertes Austrittsalter aus dem Erwerbsleben. Ergebnisse des Alterssurveys 1996 und 2002. Kurzbericht Nr. 3; Wübbeke, Christina: Der Übergang in den Rentenbezug im Spannungsfeld betrieblicher Personal- und staatlicher Sozialpolitik, BeitrAB 290.1, Nürnberg 2004.
Diese Maßnahmen zielen nicht zuletzt darauf ab, entsprechend den beschäftigungspolitischen Leitlinien der
Europäischen Union folgend, die im internationalen Vergleich deutlich geringere Beschäftigtenquote Älterer
in Deutschland mittel- und langfristig zu erhöhen (vgl. Spidla, Vladimir: Europäische Beschäftigungsstrategie
und die Förderung älterer Arbeitnehmer; in: Sproß, Cornelia [Hrsg.]: Beschäftigungsförderung älterer Arbeitnehmer in Europa. BeitrAB 299. Nürnberg 2006, S. 5-12).
Vgl. Eichhorst, Werner: Integration in Beschäftigung – Bewertung aus deutscher Sicht; in: Sproß, Cornelia
(Hrsg.): Beschäftigungsförderung älterer Arbeitnehmer in Europa. BeitrAB 299. Nürnberg 2006, S. 227-234;
Koller, Barbara; Plath, Hans-Eberhard: Qualifikation und Weiterbildung älterer Arbeitnehmer; in: Reinberg,
Alexander (Hrsg.): Arbeitsmarktrelevante Aspekte der Bildungspolitik, BeitrAB 245, Nürnberg 2001, S. 63-95.
83
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
tensänderungen zu führen.86 Vor diesem Hintergrund wäre zu prüfen, ob diese Veränderungen im Rentenrecht, insbesondere die schrittweise Heraufsetzung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auch ein verändertes Einstellungsverhalten von Arbeitgebern und Personalverantwortlichen gegenüber Älteren bewirken. Folgende Vermutung im Hinblick auf die Beeinflussung des Einstellungsverhaltens lässt sich ableiten. In dem Maße, in dem die Praxis der
Rentenpolitik mehr Signale zu Gunsten Älterer aussendet (Bsp.: Heraufsetzung des Renteneintrittsalters), werden sich die Einstellungschancen älterer Bewerber und Bewerberinnen erhöhen, werden sie von Arbeitgebern und Personalverantwortlichen bei der Stellenbesetzung
stärker als bisher berücksichtigt.
These 3:
Das betriebliche Einstellungsverhalten gegenüber Älteren wird von der
personalwirtschaftlichen Praxis der (Vor-)Auswahl von Bewerbern und
Bewerberinnen negativ beeinflusst.
Die These geht davon aus, dass die (Vor-)Auswahl von Bewerbern und Bewerberinnen durch
Arbeitgeber und Personalverantwortliche – neben den bereits oben dargestellten, negativ
wirkenden Einflussfaktoren auf das betriebliche Einstellungsverhalten gegenüber Älteren, wie
z. B. alterspezifische gesetzliche und sozialpolitische Regelungen, bestehende vermeintlich
ungünstige betriebliche Altersstrukturen der Belegschaften oder vermutete Minderleistungen
– einem bestimmten Muster folgt, dass sich in der Konsequenz zu Lasten Älterer auswirkt.
Vordergründig geht es also um die Frage, wie Personalauswahlentscheidungen getroffen
werden, anhand welcher Kriterien Bewerber und Bewerberinnen vorselektiert werden. Bei
hoher Arbeitslosigkeit und einer damit verbundenen gewöhnlich hohen Zahl von Bewerbungen auf Stellenangebote können sich Arbeitgeber und Personalverantwortliche veranlasst sehen, im Prozess der ersten Selektion auf möglichst einfache, kostengünstige und wenig zeitaufwändige Auswahlkriterien zu setzen. Dies gilt umso mehr in kleinen Betrieben, in denen
es in der Regel keine spezifischen Kapazitäten für Personalfragen gibt, und Personalauswahlund Einstellungsentscheidungen in der Regel von den Geschäftsführern getroffen werden.
Von Experten wird in diesem Zusammenhang vor allem auf das Merkmal „Alter“ hingewiesen, dass bei der Personalvorauswahl eine Art Signalfunktion ausüben würde: „Das Alter
lässt sich in Zahlen ausdrücken und hat damit, unabhängig von allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Abkopplung von Lebensjahren und biologischem Alter und zum grundsätzlichen Zusammenhang von Alter und Leistungsfähigkeit, für die Personalverantwortlichen auf
jeden Fall den Vorteil der einfachen Handhabung.“87 In diesem Sinne könnte bei Stellenbesetzungen das Alter tatsächlich als formell festgelegtes Kriterium – sei es bereits auf der ersten oder auf einer späteren Entscheidungsstufe – für eine Vorselektion von Bewerbern und
Bewerberinnen, die eine bestimmte, von Personalverantwortlichen subjektiv festgelegte Altersgrenze überschritten haben, ohne Prüfung des Einzelfalls angewendet werden. Im Zusammenhang mit der Frage, wie die Vorauswahl von Bewerbern und Bewerberinnen bei Stellenbesetzungen konkret erfolgt, ist auf folgenden Aspekt hinzuweisen. Ein nennenswerter
Teil der Stellenbesetzungen erfolgt über informelle Netzwerke. So wurden nach Erkenntnissen des IAB-Betriebspanels rund 40 Prozent der in NRW besetzten Stellen weder den Agen86
87
Vgl. Büttner, Renate; Knuth, Matthias: Spätere Zugänge in Frührenten – Regelaltersrente auf dem Vormarsch. Verschiebung der Altersgrenzen und Abschlagsregelungen bewirken Verhaltensänderung der Versicherten. Altersübergangsreport 2004-01.
Koller, Barbara; Gruber, Hannelore: Ältere Arbeitnehmer im Betrieb und als Stellenbewerber aus Sicht der
Personalverantwortlichen; in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Heft 4, 34. Jg., Nürnberg 2001, S. S. 483.
84
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
turen für Arbeit gemeldet, noch in öffentlich zugänglichen Medien annonciert. In Anbetracht
dieser Tatsache stellt sich nicht nur die Frage, in welchem Maße die oben dargestellten Auswahlmuster auch bei solchen informellen Verfahren der Personalsuche zur Anwendung
kommen, sondern auch, ob ältere Arbeitslose überhaupt in solche informellen Netzwerke
eingebunden sind, d. h. in welchem Maße sie an diesen Wegen der Stellenbesetzung überhaupt teilhaben. An dieser Stelle ist letztlich auch auf die Rolle der Agenturen für Arbeit der
Integration von älteren Arbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt hingewiesen. So wäre möglicherweise schon einiges erreicht, wenn die Agenturen für Arbeit Kenntnis eines größeren Teil
des realen Stellenangebots hätten, da sich damit das Spektrum ihrer Vermittlungsmöglichkeiten und die Unterstützungsmöglichkeiten für Ältere zumindest theoretisch deutlich gegenüber dem aktuellen Niveau erhöhen würde.
Die tatsächliche Bedeutung der oben getroffenen Annahmen für die betriebliche Einstellungspraxis, insbesondere im Bereich informeller Such- und Besetzungswege, ist gegenwärtig
relativ unklar, da systematische empirische Untersuchungen hierzu nicht vorliegen. Es kann
jedoch vermutet werden, dass ältere Bewerber und Bewerberinnen zumindest dann ein reale
Chance bei Stellenbesetzungen haben, wenn das Alter in der betrieblichen Praxis der Bewerbervorauswahl nicht als ein vom Einzelfall abstrahierendes Selektionskriterium genutzt
wird.
These 4:
Das betriebliche Einstellungsverhalten gegenüber Älteren wird von einer alterslastigen (jungenlastigen) Altersstruktur der Belegschaften in
den Unternehmen negativ beeinflusst.
a) Generationenaustausch-These (alterslastige Altersstruktur)
Diese These unterstellt einen direkten Zusammenhang zwischen der Altersstruktur der beschäftigten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und dem Einstellungsverhalten von Arbeitgebern bzw. Personalverantwortlichen gegenüber Älteren. Es wird angenommen, dass Unternehmen mit einer unausgewogenen Altersstruktur Einstellungen auch unter dem Aspekt
des Alters der Bewerber und Bewerberinnen betrachten werden.88 Im Interesse der Aufrechterhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur der Belegschaften und austarierten Mischung aus Jung und Alt (Generationenmix) könnten Arbeitgeber bzw. Personalverantwortliche solcher Unternehmen bestrebt sein, vakante Stellen vorrangig mit solchen Bewerbern
und Bewerberinnen zu besetzen, deren Alter dieser Zielsetzung am ehesten entspricht. Bei
einem hohen Durchschnittsalter der Belegschaft, d. h. mit einem Übergewicht auf Seiten älterer Beschäftigter wird eine Austarierung durch Einstellung vorrangig Jüngerer erreicht.
Nicht zuletzt im Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung ist vielfach die Rede
von einer drohenden „Überalterung der Gesellschaft“ und von „überalterten Belegschaften“
etc. An die Betriebe wird appelliert, künftig die Potenziale Älterer stärker als bisher zu nutzen, da sie infolge einer Alterung der Bevölkerung bei gleichzeitigem Rückgang des potenziellen Arbeitskräfteangebots zukünftig mit deutlich älteren Belegschaften auskommen müssen. Diese Botschaften, von Wissenschaft und Politik verbreitet mit dem Ziel, die Beschäftigungschancen Älterer zu verbessern, können jedoch auch das Gegenteil bewirken: Einerseits
88
Untersuchungen zeigen, dass – abgesehen von branchenspezifischen Abweichungen – Arbeitgeber bzw. Personalverantwortliche ihre Belegschaften als „zu alt“ bzw. „überaltert“ einschätzen, wenn das Durchschnittsalter aller Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen über 44 Jahre liegt (vgl. Koller, Barbara; Gruber, Hannelore: Ältere
Arbeitnehmer im Betrieb und als Stellenbewerber aus Sicht der Personalverantwortlichen; in: Mitteilungen
aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Heft 4, 34. Jg., Nürnberg 2001, S. 479-505.
85
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
kann dies zu einer Stigmatisierung Älterer führen (mit Älteren auskommen „müssen“) sowie
zugleich dazu beitragen, dass sich der Fokus betrieblicher Einstellungspolitik wegen der
„drohenden Überalterung“ stärker als bisher auf Jüngere richtet – gewissermaßen vorbeugend. Unter der Voraussetzung eines ausreichenden Angebots an jüngeren Bewerbern könnte dies die Chancen älterer Arbeitnehmer auf Re-Integration, insbesondere in jenen Branchen oder beruflichen Tätigkeitsgruppen, die gegenwärtig ein vergleichsweise hohes Durchschnittsalter der Beschäftigten aufweisen, erschweren.
b) Jugendzentrierungs-These (jungenlastige Altersstruktur)
Diese These unterstellt einen direkten Zusammenhang zwischen der Altersstruktur der beschäftigten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und dem Einstellungsverhalten von Arbeitgebern bzw. Personalverantwortlichen gegenüber Älteren. Im Gegensatz zu den obigen Ausführungen können Einstellungshemmnisse gerade in Branchen oder beruflichen Tätigkeitsgruppen bestehen, die gerade nicht auf einen Altersmix setzen, sondern ganz im Gegenteil
bewusst auf altershomogene, in diesem Fall jüngere Belegschaften setzen. Unternehmen in
Branchen wie z. B. IT und neue Medien sowie personenbezogenen Dienstleistungen wie der
Gastronomie sowie bestimmten Bereichen des Einzelhandels (Musikfachgeschäfte, Jugendmode u. ä.). weisen ein vergleichsweise niedriges Durchschnittsalter der Beschäftigten auf.
Altershomogene Belegschaften gelten hier nicht als Nachteil, sondern werden bewusst angestrebt. Arbeitgeber bzw. Personalverantwortliche in diesen Branchen könnten anführen, dass
Ältere - angesichts des geringen Durchschnittsalters der Belegschaften, der anvisierten jüngeren Zielgruppe sowie nicht zuletzt den Erwartungen der Kunden und Verbraucher -, nicht
in die vorhandenen Belegschaften passen.89
Vor dem Hintergrund der dargestellten Zusammenhänge wäre zu prüfen, ob die aktuellen öffentlichen Diskussionen und Kampagnen zur demografischen Entwicklung einen positiven
Einfluss auf das Einstellungsverhalten von Arbeitgebern und Personalverantwortlichen gegenüber Älteren ausüben, ob also ältere Bewerber und Bewerberinnen bei der Stellenbesetzung stärker als bisher berücksichtigt werden.
These 5:
Das betriebliche Einstellungsverhalten gegenüber Älteren wird vom
ungünstigen Verhältnis von Einarbeitungsaufwand und Beschäftigungsperspektive negativ beeinflusst.
Die These unterstellt einen Zusammenhang zwischen dem Verhältnis von Einarbeitungsaufwand und Verweildauer von Bewerberinnen und Bewerbern einerseits und dem Einstellungsverhalten von Arbeitgebern bzw. Personalverantwortlichen gegenüber Älteren andererseits.
Bei Arbeitsplätzen mit überdurchschnittlich hohen Einarbeitungskosten wird sich betriebliche
Einstellungspolitik auf solche Personen fokussieren, deren Einstellung eine vergleichsweise
lange Beschäftigungsperspektive verspricht. Dieser Zusammenhang lässt sich dadurch begründen, dass die Länge der Beschäftigungsdauer gleichbedeutend mit der Amortisationsdauer der Einarbeitungsaufwendungen ist. Wenn die Wahrscheinlichkeit für einen Betriebswechsel für alle Bewerber gleich ist, so hängt die Amortisationszeit der betrieblichen Aufwendungen für Einarbeitung und Qualifizierung letztlich vom Alter der Person ab. Jüngere
Bewerber böten in dieser Sichtweise bessere „Anlageformen für Humankapital-Investitionen“,
da die Durchschnittskosten der Qualifikation eines jüngeren Mitarbeiters wegen der längeren
Beschäftigungsdauer geringer sind. In dieser Sichtweise wären ältere gegenüber jüngeren
89
a. a. O.
86
(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Bewerbern und Bewerberinnen im Nachteil. Aufgrund einer geringeren Restnutzzeit amortisieren sich Humankapitalinvestitionen, sprich Aus- und Weiterbildung weniger als bei Jüngeren.90 Als Argument gegen diese Position lässt sich allerdings einwenden, dass bei jüngeren
Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen die theoretische Wahrscheinlichkeit eines freiwilligen
Austritts aus dem Unternehmen höher ist – aufgrund der besseren Perspektiven für Jüngere
auf eine Wiedereinstellung in einem anderen Unternehmen. Im Ergebnis wären getätigte Investitionen in die Qualifikation dieser Mitarbeiter für das Unternehmen verloren. Bei älteren
Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen wäre ein freiwilliges Ausscheiden aus dem Unternehmen demgegenüber weniger wahrscheinlich, nicht zuletzt aus den von diesen antizipierten geringen Wiederbeschäftigungschancen. Die tatsächliche Bedeutung solcher Annahmen
für die betriebliche Einstellungspraxis ist gegenwärtig jedoch unklar, da systematische empirische Untersuchungen hierzu nicht vorliegen.
These 6:
Das betriebliche Einstellungsverhalten gegenüber Älteren wird von altersbezogenen institutionell-rechtlichen Schutzregelungen negativ beeinflusst.
Die These unterstellt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen altersbezogenen Schutzregelungen - hierzu sind gesetzliche ebenso wie tarifvertragliche Regelungen zu zählen - und
dem Einstellungsverhalten von Arbeitgebern bzw. Personalverantwortlichen gegenüber älteren Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen. Die Legitimation solcher Regelungen ergibt sich
aus der Tatsache, dass sich Ältere im Vergleich zu anderen Personengruppen des Arbeitsmarktes einem deutlich höheren Risiko ausgesetzt sehen, nach einer Entlassung dauerhaft
aus dem Beschäftigungssystem ausgeschlossen zu werden. Im Fokus existierender Schutzregelungen steht daher der Bestandsschutz bestehender Arbeitsverhältnisse. Der gesetzliche
Kündigungsschutz beispielweise, verankert im Kündigungsschutzgesetz (KSchG), schränkt
den Handlungsspielraum von Arbeitgebern im Hinblick auf die Kündigung bestehender Arbeitsverhältnisse ein. Zu unterscheiden sind hierbei direkt und indirekt altersbezogene Regelungen: Direkt altersbezogene Bestimmungen sind unmittelbar am Lebensalter festgemachte
Regelungen. Indirekt altersbezogene Bestimmungen sind solche, die sich an der Dauer der
Betriebszugehörigkeit orientieren. Darüber hinaus finden sich in verschieden Gesetzen, u. a.
im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) sowie im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) besondere
Festlegungen zum Kündigungsschutz.91 Der gesetzliche Kündigungsschutz und insbesondere
der spezielle tarifvertragliche Kündigungsschutz verringern die Disponibilität älterer Arbeitskräfte, schränken deren Kündbarkeit entscheidend ein und tragen dazu bei, bestehende Arbeitsverhältnisse von älteren Beschäftigten zu sichern. Für ältere Arbeit Suchende, insbesondere arbeitslose Ältere, können diese Regelungen jedoch aufgrund der eingeschränkten Disponibilität ein Einstellungshindernis darstellen und letztlich die ReIntegration älterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in das Beschäftigungssystem behindern.92
90
91
92
Vgl. George, Rainer: Beschäftigung älterer Arbeitnehmer aus betrieblicher Sicht – Frühverrentung als Personalanpassungsstrategie in internen Arbeitsmärkten. München 2000; Koller, Barbara; Gruber, Hannelore: Ältere Arbeitnehmer im Betrieb und als Stellenbewerber aus Sicht der Personalverantwortlichen; in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Heft 4, 34. Jg., Nürnberg 2001, S. 479-505.
Vgl. Bispinck, Reinhard; WSI-Tarifarchiv: Tarifpolitik für ältere ArbeitnehmerInnen. Eine Analyse von tariflichen Regelungen in ausgewählten Tarifbereichen. Elemente qualitativer Tarifpolitik Nr. 49. Düsseldorf, September 2002.
Im Hinblick auf den Geltungsbereich altersbezogener Regelungen ist zu beachten, dass ein Teil der Betriebe
von solchen Bestimmungen ausgenommen ist. Dies gilt zum einen für Betriebe, die hinsichtlich der Beschäf-
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(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
Im Jahr 2003 erfolgte eine Änderung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG), wonach
die Altersgrenze für die Zulässigkeit der unbegrenzten zeitlichen Befristung eines Arbeitsverhältnisses auf das 52. Lebensjahr abgesenkt wurde, um Arbeitgebern und Personalverantwortlichen damit einen Anreiz bieten, gerade ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen
einzustellen. In der betrieblichen Praxis wird diese Möglichkeit jedoch scheinbar kaum genutzt, wobei die Gründe der geringen Nutzung empirisch noch nicht systematisch untersucht
wurden.93
Vor dem Hintergrund der dargestellten Zusammenhänge kann vermutet werden, dass Veränderungen im Hinblick auf Einstellungs- und Kündigungsmöglichkeiten ein verändertes Einstellungsverhalten von Arbeitgebern und Personalverantwortlichen gegenüber Älteren bewirken können. Wenn die Disponibilität Älterer erhöht wird, dann würden sich die Einstellungschancen älterer Bewerber und Bewerberinnen verbessern, würde diese Bewerbergruppe in
stärkerem Maße als bisher bei der Stellenbesetzung berücksichtigt werden.94
These 7:
Das betriebliche Einstellungsverhalten gegenüber Älteren wird von Legitimitätszwängen der Personalverantwortlichen gegenüber ihren
Vorgesetzten negativ beeinflusst.
Die These geht davon aus, dass Personalverantwortliche die Auswahl von Bewerbern und
Bewerberinnen gegenüber ihren Vorgesetzten oder Dritten, in deren Verantwortungsbereich
der Einsatz der ausgewählten und eingestellten Arbeitskräfte fällt, legitimieren müssen. Auswahlentscheidungen werden in der Regel anhand eines Vergleichs von Stellen- und Bewerberprofil, auf der Basis von Erfahrungswerten, aber auch unter Berücksichtigung von bei betrieblichen Entscheidungsträgern vorherrschenden Vorstellungen und Etikettierungen vom
idealen Bewerber getroffen. Personalverantwortliche müssen letztlich nicht nur dafür Sorge
tragen, dass Bewerber- und Stellenprofil „auf dem Papier“ möglichst optimal übereinstimmen, sondern sich die einmal getroffene Entscheidung für einen Bewerber bzw. eine Bewerberin auch in der zukünftigen betrieblichen Praxis bewährt. Ob sich ausgewählte Bewerber
im Nachhinein als die richtige Wahl entscheiden, lässt sich im Vorfeld jedoch nicht mit Sicherheit sagen und unterliegt einer gewissen Unsicherheit. Es kann daher vermutet werden,
dass Personalverantwortliche bestrebt sein werden, solche Bewerber und Bewerberinnen zu
bevorzugen, die den im Betrieb vorherrschenden Vorstellungen und Etikettierungen vom idealen Bewerber am ehesten entsprechen (Alter, Geschlecht, Familienstand, Wohnort, Nationa-
93
94
tigtenzahl einen bestimmten Schwellenwert nach dem KSchG nicht überschreiten, und zum anderen für Betriebe, die geltenden tariflichen Bestimmungen nicht unterworfen sind.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Ende des letzten Jahres diese Regelung für unwirksam erklärt, da
das Alter nicht alleiniger Anknüpfungspunkt für eine Abweichung von den allgemeinen Befristungsregelungen
sein dürfe. Die Richter sahen hierin eine nicht gerechtfertigte Diskriminierung. Zwar erkennt der EuGH die
Zielsetzung der Gesetzgebung an. Allerdings laufe die Regelung darauf hinaus, dass alle älteren Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, gleich wie lange sie vorher arbeitslos waren, nur noch befristete Arbeitsverträge angeboten bekämen. Sie seien daher von einem wichtigen Aspekt des Arbeitnehmerschutzes von vornherein ausgeschlossen. Als Konsequenz aus dem Urteil ist der entsprechende Passus im TzBfG nunmehr unanwendbar. Die Befristung von Arbeitsverträgen mit älteren Arbeitnehmern darf damit – wie bei jüngeren
Arbeitnehmern auch – zwei Jahre nicht mehr überschreiten.
Als Gegenthese zu einer stärkeren Flexibilisierung lässt sich allerdings anführen, dass eine Lockerung altersbezogener Schutzregelungen für ältere Beschäftigte die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen und damit
die Integration Älterer in Beschäftigung zwar erhöhen, gleichzeitig aber auch die Beschäftigungsstabilität der
bereits beschäftigten Älteren verringern dürfte. Wenn ältere Beschäftigte leichter als bisher möglich entlassen werden könnten, so lässt sich nämlich vermuten, wäre die Arbeitslosigkeit von Älteren insgesamt noch
höher.
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(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
lität etc.). Bestehen bei betrieblichen Entscheidungsträgern z. B. Vorbehalte gegen ältere
Bewerber und Bewerberinnen, müsste eine Einstellungsentscheidung zu Gunsten Älterer
nicht nur in höherem Maße begründet werden, sondern wäre auch das Risiko, sich bei einer
personalpolitischen Fehlentscheidung gegenüber dem Vorgesetzten rechtfertigen zu müssen,
für Personalverantwortliche deutlich höher als bei der Entscheidung für einen jüngeren Bewerber. Daher, so lässt sich vermuten, werden Personalverantwortliche es zu vermeiden versuchen, passfähige, aber in bestimmten Kriterien von den konventionellen Vorstellungen des
Betriebes bzw. der Geschäftsleitung abweichende Bewerber – in diesem Falle Ältere – auszuwählen und einzustellen.
Vor dem Hintergrund der dargestellten Zusammenhänge kann folgende Überlegung getroffen werden: In dem Maße, in dem die betrieblichen Erwartungsbilder, die Etikettierungen der
betrieblichen Entscheidungsträger im Hinblick auf Ältere positiv ausfallen, verringert sich für
Personalverantwortliche das Risiko, eine Auswahlentscheidung pro ältere Bewerber und Bewerberinnen zu treffen, was zu einer stärkeren Berücksichtigung dieser Bewerbergruppe bei
der Stellenbesetzung und damit zu besseren Integrationschancen führen könnte.
These 8:
Das betriebliche Einstellungsverhalten gegenüber Älteren wird von altersbezogenen Verdienstregelungen negativ beeinflusst (Senioritätsentlohnung).
Die These unterstellt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Lohn- bzw. Gehaltshöhe,
Alter und Einstellungschancen. Die Lohn- bzw. Gehaltshöhe ist ein wesentlicher Leistungsanreiz für die Beschäftigten. Für die Betriebe spielt die Entlohnung dagegen vor allem als Kostenfaktor eine entscheidende Rolle und beeinflusst entsprechend die Einstellungsentscheidungen von Arbeitgebern und Personalverantwortlichen. Wie bei Kündigungsschutzbestimmungen enthalten zahlreiche Tarifverträge auch im Hinblick auf Vergütungsaspekte altersbezogene Regelungen (Senioritätsregelungen).95 Bei der klassischen Form der Senioritätsentlohnung erhöhen sich Löhne und Gehälter in Abhängigkeit von Lebensalter und/oder der Betriebszugehörigkeit. Eine ältere, ansonsten gleiche Arbeitnehmerin ist in dieser Hinsicht teurer als eine jüngere Arbeitnehmerin. Altersbezogene Verdienstregelungen finden sich vor allem im öffentlichen Dienst und vergleichbaren Organisationen (zum Beispiel Sozialversicherungsträger, Post, Telekom oder auch bei großen Kreditinstituten).96 Darüber hinaus enthalten einige Tarifverträge Bestimmungen, nach denen eine Entgeltrückstufung von Arbeitnehmern – z. B. infolge eines Arbeitsplatzwechsels aus gesundheitlichen Gründen, wegen verminderter Leistungsfähigkeit oder aus betriebsorganisatorischen Gründen – ab einem bestimmten Alter ausgeschlossen ist. Solche Regelungen greifen in der Regel ab dem 50. bis
55. Lebensjahr und nach zehn bis 25 Jahren Betriebszugehörigkeit.97
Obwohl im Falle von Neueinstellungen, also nach einem Arbeitgeberwechsel, die bisherigen
Berufsjahre der älteren Bewerber und Bewerberinnen bei der Entgelteinstufung, sofern diese
95
96
97
Vgl. Bispinck, Rainer; WSI-Tarifarchiv: Tarifpolitik für ältere ArbeitnehmerInnen. Eine Analyse von tariflichen
Regelungen in ausgewählten Tarifbereichen. Elemente qualitativer Tarifpolitik Nr. 49. Düsseldorf, September
2002.
Im Jahr 2005 wurde zwischen der Gewerkschaft Verdi und den Arbeitgebern im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen (nicht jedoch der Länder) eine Tarifrechtsreform abgeschlossen, nach der die bisherige an Alter und Familienstand anknüpfende Entlohnung durch ein flexibleres, stärker leistungsorientiertes
Bezahlungssystem ersetzt wurde.
Vgl. George, Rainer: Beschäftigung älterer Arbeitnehmer aus betrieblicher Sicht – Frühverrentung als Personalanpassungsstrategie in internen Arbeitsmärkten. München 2000.
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(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
an die Dauer der Betriebszugehörigkeit und nicht am Lebensalter anknüpfen, im Prinzip keine Rolle bei der Bestimmung der Lohn- bzw. Gehaltshöhe spielen dürften, wird in vielen Untersuchungen und in der öffentlichen Diskussion auf die oben genannten Faktoren verwiesen
und damit das altersselektive Einstellungsverhalten von Arbeitgebern und Personalverantwortlichen zu begründen versucht.98 Unterstellt wird zumeist, dass es eine Diskrepanz gibt
zwischen dem Lohn, den ein Arbeitgeber bereit ist zu zahlen, und dem so genannten Anspruchslohn der älteren Bewerber und Bewerberinnen. In dieser Argumentation überschätzen ältere Bewerber und Bewerberinnen den Wert ihrer erworbenen Qualifikation und beruflichen Erfahrungen und fordern einen Anspruchslohn, der von Arbeitgebern und Personalverantwortlichen als zu hoch betrachtet wird und in der Folge zu einem Ausschluss im Bewerbungsverfahren führt.99 Unklar ist bislang, ob ältere Bewerber und Bewerberinnen tatsächlich
- aus Sicht von Personalverantwortlichen - zu hohe Lohn- und Gehaltsansprüche stellen und
damit ihre Einstellungschancen verringern, oder diese Ansprüche lediglich unterstellt werden
und dies von vornherein zu einer Nichtberücksichtung Älterer führt. Es könnte aber auch
sein, dass es Arbeitgeber und Personalverantwortliche in der Praxis dennoch vermeiden –
trotz faktischer Möglichkeit und gegebener Bereitschaft älterer Bewerber, eine im Vergleich
zur früheren Tätigkeit geringere Entlohnung in Kauf zu nehmen –, Ältere einzustellen. Arbeitgeber und Personalverantwortliche könnten möglicherweise eine Demotivation der älteren Bewerber befürchten mit entsprechenden Folgekosten für das Unternehmen, wenn sie
qualifizierte Ältere auf oder knapp über dem Niveau eines Berufsanfängers einzustufen. Diese könnte dadurch entstehen, dass Ältere den Einstiegsstatus als Deklassierung gegenüber
ihrer früheren Tätigkeit empfinden. Sollten sie allerdings erheblich über jungen Berufseinsteigern eingestuft werden, so könnte dies von Mitarbeitern als ungerecht empfunden werden und ebenfalls motivationssenkend wirken (Einordnung in das betriebliche Gehaltsgefüge). In dieser Argumentation würden Arbeitgeber und Personalverantwortliche älteren Bewerbern und Bewerberinnen zwar wohl wollendes Verständnis entgegen bringen, diese letztlich jedoch bei der Bewerberauswahl nicht berücksichtigen. Dieses Argumentationsmuster
entspricht jenem bei der Ablehnung von Bewerbern und Bewerberinnen, die sich auf Stellen
bewerben, für die so nach Meinung von Personalverantwortlichen „überqualifiziert“ sind.
Vor dem Hintergrund der dargestellten Zusammenhänge lässt sich folgende Vermutung aufstellen. In dem Maße, in dem der Verdienst von der Dauer der Betriebszugehörigkeit und
dem Lebensalter entkoppelt wird, würden sich die Einstellungschancen älterer Bewerber und
Bewerberinnen erhöhen, würden sie bei der Stellenbesetzung stärker als bisher berücksichtigt.100
98
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100
„In der Praxis erweist sich gerade das höhere Einkommen Älterer oft als Wiedereinstellungsbremse.“ (DIHKChef Ludwig Georg Braun in der Berliner Zeitung vom 6.3.2006)
Als Anspruchslohn bezeichnet man den Lohn, der bei der Neuaufnahme einer Beschäftigung mindest verlangt wird bzw. der Lohn, ab dem ein Bewerber bereit ist, eine ihm angebotene Stelle anzunehmen. Die Höhe des Anspruchlohns dürfte in der Praxis auch von der Höhe der verfügbaren Transferleistungen abhängen.
Verschiedene Instrumente setzten an diesem Punkt an, wie z. B. das Instrument der Entgeltsicherung, dass
sich jedoch nicht an Arbeitgeber, sondern an Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen richtet, sowie das Instrument des Kombilohnes.
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Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
These 9:
Das betriebliche Einstellungsverhalten gegenüber Älteren wird von der
unzureichenden Kenntnis der Betriebe über vorhandene altersspezifische Förderinstrumente der Arbeitsmarktpolitik einerseits sowie deren
ungenügenden Ausgestaltung bzw. Ausrichtung auf die praktischen
Bedürfnisse der Betriebe andererseits negativ beeinflusst.
Die These unterstellt einen Zusammenhang zwischen der Transparenz im Hinblick auf das
Angebot an Förderinstrumenten zur Verbesserung der Beschäftigungsaussichten für Ältere
und dem Ausmaß der Ausrichtung dieser Instrumente am tatsächlichen Bedarf der Unternehmen sowie dem Einstellungsverhalten von Arbeitgebern bzw. Personalverantwortlichen
gegenüber Älteren. Grundsätzlich gilt, dass Förderinstrumente zur Verbesserung der Beschäftigungschancen wie beispielsweise Eingliederungszuschüsse keine zusätzlichen Arbeitsplätze schaffen. Förderung dieser Art versucht vielmehr, auf die Einstellungspolitik von Unternehmen so Einfluss zu nehmen, dass vorhandene freie Stellen mit bestimmten Personengruppen - zu Lasten anderer Personengruppen - besetzt werden.101 Für die Förderung der
Einstellung älterer Arbeitsloser steht nun zwar ein umfangreiches Instrumentarium von Bund,
Länder und insbesondere der Bundesagentur für Arbeit (BA) zur Verfügung. Die Vielzahl der
Fördermöglichkeiten einerseits, aber auch der häufige Wechsel der Förderkonditionen in der
Praxis der BA hinsichtlich der Einstellung älterer Arbeitnehmer andererseits102 führt zu einer
gewissen Intransparenz auf Seiten der potenziellen Nachfrager. Dies dürfte aufgrund geringerer personalpolitischer Kapazitäten in erster Linie kleine und mittlere Unternehmen (KMU)
betreffen, die einen Großteil der Arbeitsplätze bereitstellen und vielen als "Beschäftigungsträger“ und „Jobmotor" gelten. Die im Rahmen der Evaluierung der Hartz-Gesetzgebung ermittelten Ergebnisse zeigen, dass den Unternehmen viele der gesetzlichen Regelungen und
existierenden Förderinstrumente nicht bekannt sind, wie z. B. die Möglichkeit, Ältere lediglich
befristet einzustellen. Ähnliches gilt für das Instrument Beitragsbonus.103 Intransparenz und
Informationsdefizite führen in der Folge nicht zur vom Gesetzgeber und den Verantwortlichen der Umsetzung der Arbeitsmarktpolitik gewünschten Inanspruchnahme des zur Verfü101
102
103
„Nach Ansicht von Vermittlerinnen und Vermittlern in den Agenturen führen die Eingliederungszuschüsse
nicht zu zusätzlichen oder vorgezogenen Neueinstellungen, haben aber Einfluss auf die Personalauswahl der
Betriebe.“ (Bundesregierung: Die Wirksamkeit moderner Dienstleistungen am Arbeitsmarkt. Bericht 2005 der
Bundesregierung zur Wirkung der Umsetzung der Vorschläge der Kommission Moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt (Ohne Grundsicherung für Arbeitsuchende). Umsetzung der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 14. November 2002 (BT-Drs. 15/98), Berlin, Januar 2006, S. 173).
In diesem Zusammenhang ist auf die Veränderungen im Hinblick auf Höhe und Dauer der BAEingliederungszuschüsse für ältere Arbeitslose hinzuweisen, die im Zuge der Neuausrichtung und internen
Reorganisation erfolgten. Wenngleich die konkrete Auslegung der Vorgaben im Ermessen der zuständigen
BA-Mitarbeiter liegt – Arbeitgeber können bei Einstellung von älteren Arbeitslosen als Ausgleich einer vermuteten Minderleistung maximal 50 Prozent des Arbeitsentgeltes für längstens 36 Monate erhalten – gibt es
Anzeichen dafür, dass in der Praxis Höhe und Dauer dieser Leistung deutlich unter diesen Werten liegen und
sich damit nicht von der Förderkonditionen anderer Altersgruppen abheben. Experten weisen interessanterweise auf eine generelle Problematik spezifischer arbeitsmarktpolitischer Instrumente für Ältere hin, da viele
Maßnahmen signalisieren, dass pauschal eine schwächere Produktivität älterer Arbeitkräfte unterstellt wird:
„Die Anerkennung eines besonderen Förderbedarfs für Ältere kann zu Vorbehalten der Arbeitgeber gegenüber dieser Gruppe und so zu mittelbarer Diskriminierung beitragen.“ (Eichhorst, Werner: Beschäftigung Älterer in Deutschland: Der unvollständige Paradigmenwechsel. IZA-Discussion Paper No. 1985, Bonn 2006, S.
17).
Vgl. Bundesregierung: Die Wirksamkeit moderner Dienstleistungen am Arbeitsmarkt Bericht 2005 der Bundesregierung zur Wirkung der Umsetzung der Vorschläge der Kommission Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Ohne Grundsicherung für Arbeitsuchende) Umsetzung der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 14. November 2002 [BT-Drs. 15/98], Berlin, Januar 2006.
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(Keine) Chance für Bewerber ab 50?
Das Einstellungsverhalten von Personalverantwortlichen
gung stehenden Förderinstrumentariums und damit der Verbesserung der Einstellungschancen älterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwieweit bestehende Angebote den Bedürfnissen der Betriebe hinsichtlich der Einstellung älterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen überhaupt entsprechen. Im Zusammenhang mit
der Evaluierung der „Hartz-Gesetze“ gibt es Indizien, die auf eine teilweise unzureichende
Übereinstimmung von Förderanboten auf der einen und konkretem betrieblichen Bedarf auf
der anderen Seite hindeuten.104
Vor dem Hintergrund der dargestellten Zusammenhänge lässt sich folgende Überlegung ableiten. In dem Maße, in dem das Instrumentarium der aktiven Arbeitsmarktpolitik zur Unterstützung der Integration Älterer in Beschäftigung einerseits transparenter für die Betriebe
gestaltet und andererseits stärker auf deren reale Bedürfnisse ausgerichtet wird, werden solche Instrumente in der betrieblichen Praxis stärker genutzt, erhöhen sich die Einstellungschancen älterer Bewerber und Bewerberinnen, werden Ältere von Arbeitgebern und Personalverantwortlichen bei der Stellenbesetzung stärker als bisher berücksichtigt.
104
Im Rahmen der Evaluierung der Hartz-Reform beispielsweise wurde u. a. geprüft, ob und inwieweit die Beschäftigungschancen Älterer durch die Befreiung der Arbeitgeber von den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung bei Einstellung eines Arbeitslosen, der das 55. Lebensjahr vollendet hat, gesteigert werden konnten
(Beitragsbefreiung). Die ersten Ergebnisse zeigen, dass bislang nur sehr wenige Arbeitgeber dieses Instrument überhaupt genutzt haben. Aufgrund der äußerst geringen Inanspruchnahme liegen keine belastbaren
Ergebnisse zu den Ursachen für die unerwartet geringe Inanspruchnahme vor (vgl. Bundesregierung: Die
Wirksamkeit moderner Dienstleistungen am Arbeitsmarkt Bericht 2005 der Bundesregierung zur Wirkung der
Umsetzung der Vorschläge der Kommission Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Ohne Grundsicherung für Arbeitsuchende) Umsetzung der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 14. November
2002 [BT-Drs. 15/98], Berlin, Januar 2006; Brussig, Martin; Knuth, Matthias; Schweer, Oliver: Arbeitsmarktpolitik für ältere Arbeitslose. Erfahrungen mit „Entgeltsicherung“ und „Beitragsbonus“, IAT-Report 2006-02.
Wuppertal 2006).
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