Humboldt-Universität zu Berlin
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Humboldt-Universität zu Berlin Institut für Philosophie SE Hannah Arendt über politisches Handeln Dozentin: E. von Redecker Verfasser: Adina Dymczyk, Annette Wolf, Jannis Birsner, Tabea Schikora Datum: 11.11.2010 T hesenpapier – H annah A rendt: V ita A ctiva oder Vom tätigen L eben. E rstes K apitel: Die menschliche Bedingtheit Erstveröffentlichung 1958 in den USA → “The Human Condition“ 1960 deutsche Veröffentlichung, von Hannah Arendt selbst übersetzt Prämissen der V ita A ctiva versuchte Abnabelung des Menschen von den allgemeinsten Bedingungen: Geburt und Tod, durch technischen Fortschritt (Eroberung des Weltalls, künstliches Leben) (S.8-9 und S.20) die Emanzipation der Wissenschaften von der Sprache und die damit einhergehende Gefahr einer nicht zu politischen Urteilen fähigen Wissenschaft (S.9-11) das totalitäre System als unpolitisch zu entlarven, d.h. als rein ideologisch, da Politik auf Handeln aufbaut, dieses beruht auf der Pluralität der Menschen und ist mit dem Versuch einer Erschaffung von bloßen Reaktionsbündeln des totalitären Systems unvereinbar (S.17) die seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts existierende Verherrlichung der Arbeit, deren drohende Absetzung durch die fortschreitende Automation und damit auf „eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist, also die einzige Tätigkeit, auf die sie sich noch versteht“ (S.13) Ziel des Buches: „Besinnung auf die Bedingungen (…) geleitet von den Erfahrungen und Sorgen der gegenwärtigen Situation“, (hier vor allem die atomare Bedrohung) (S.13) Thema/Fragestellung: „Was wir tun wenn wir tätig sind“, die allerelementarsten Gliederungen, in das „Tätig sein“ überhaupt zerfällt (S.14) §1 V ita A ctiva und Condition H umaine G rundtätigkeit V i t a A c t i v a W esen der G rundtätigkeit biologische Lebenserhaltung entsprechende G rundbedingung das Leben selbst H erstellen Produktion einer künstlichen Welt von Dingen H andeln (die politische Tätigkeit par exellence) zwischenmenschliche Tätigkeit unabhängig von Dingen Weltlichkeit (die Menschen sind auf Gegenständlichkeit und Objektivität angewiesen) Pluralität (Existenz und Zusammenleben mehrerer Menschen) → nicht nur notwendige sondern auch hinreichende Bedingung für Politik A rbeiten Nutzen und Zweck der G rundtätigkeit sichert das „Am-LebenBleiben“ u. das Weiterleben der Gattung errichtet eine künstliche Welt, die von der Vergänglichkeit der Menschen unabhängig ist schafft Bedingungen für einen Kontinuität der Generationen, für Erinnerung und damit für Geschichte Menschliche Bedingtheit ist in all ihren Aspekten auf das Politische bezogen. allgemeinste Bedingtheit menschlichen Lebens: Geburt und Tod 1 Alle Tätigkeiten sind an der Natalität orientiert (bes. das Handeln), in der Hinsicht für die Zukunft zu sorgen, da jeder Neuankömmling die Fähigkeit besitzt zu handeln, einen Anfang zu machen. Condition H umaine = die menschliche Bedingtheit Menschen sind bedingte Wesen: leben unter Bedingungen der Natur und schaffen sich selbst Bedingungen (bzw. Dinge, die ihre Existenz bedingen). Objektivität der Welt (ihr Objekt- u. Dingcharakter) und die menschl. Bedingtheit ergänzen einander: menschl. Existenz ist bedingt → bedarf der Dinge → diese bedingen menschl. Existenz wiederum §2 Der Begriff der V ita A ctiva Im Mittelalter wurde mit dem Begriff Vita acitva die aristotelische Lehre ins Lateinische übersetzt, aber auch umgedeutet. (S.22) Aristoteles unterscheidet zwischen drei Lebensweisen der Freiheit - Arbeiten und Herstellen sind aus diesen drei Lebensbereichen ausgeschlossen: 1. Das Leben, das im Genuss und Verzehr des körperlich Schönen dahingeht 2. Das Leben, das innerhalb der Polis schöne Taten erzeugt → Politik 3. Das Leben des Philosophen → Philosophie Bei Aristoteles wird das Handeln als politische Tätigkeit hervorgehoben, im Mittelalter wird dies nicht berücksichtigt, vielmehr wird die dritte Lebensweise, als die Vita contemplativa, zum Primat erhoben. (S.23) Mit der Umdeutung, die der Begriff der Vita activa im Mittelalter erfuhr, wurde das Handeln abgewertet. Durch die Erhebung der Vita contemplativa zum Ideal seit dem Mittelalter und bis zu Beginn der Neuzeit wurden die drei Grundtätigkeiten der Vita activa Handeln, Herstellen und Arbeiten auf eine Stufe gestellt, d.h. mit einer Unruhe gleichgesetzt, die im Gegensatz zu der in der Kontemplation angestrebten Ruhe stand. Hannah Arendts Vorhaben besteht darin, einerseits innerhalb der Vita Activa eine Hierarchie herauszuarbeiten, andererseits Vita activa und Vita contemplativa auf eine gleichwertige Ebene zu heben. (S.25-27) §3 E wigkeit und Unsterblichkeit Arendt verdeutlicht an dem Unterschied zwischen Ewigkeit und Unsterblichkeit den in der philosophischen Tradition vorherrschenden Konflikt zwischen philosophischen und politischen Leben, der seit Sokrates in einer strikten Abgrenzung beider Bereiche und einer Abwertung des tätigen, politischen Lebens besteht. E wigkeit Unsterblichkeit Existenz jenseits von Zeit und Raum „ein Währen und Dauern der Zeit, ein todloses Leben“ Streben nach dem Ewigen = Vita contemplativa, phi- Streben nach Unsterblichkeit = Vita activa, politisches losophisches Leben Leben Erfahrung des Ewigen nur außerhalb des Bereichs menschlicher Pluralität möglich (also außerhalb des Bereichs des Handelns), eine Art von Tod notwendig, in dem Sinne das man nicht mehr unter Menschen ist, in der Vereinzelung → vita contemplativa Mortalität als menschliche Eigenschaft par excellence , Unsterblichkeit können Menschen nur durch unsterbliche T aten erreichen (also durch H andeln → vita activa ) 2 steht im Zentrum des metaphysisch-philosophischen mindestens seit dem Untergang des römischen Reiches Denkens (Sokrates oder Plato) und ist dem Tätig-Sein und der Verbreitung der christlichen Theologie galt übergeordnet das Streben nach Unsterblichkeit als eitel und überflüssig → Abwertung der vita activa Wenn Arendt davon spricht, dass auch Denken eine Tätigkeit ist (S.31, Z.29f) weicht sie die strenge Dichotomie zwischen Ewigkeit und Unsterblichkeit, zwischen vita activa und vita contemplativa wieder auf und stellt sich damit gegen die philosophische Tradition seit Sokrates: „... wie sehr auch das Ewige im Zentrum eines Denkens stehen mag, der Denker selbst dies Anliegen in dem Augenblick im Stich läßt, wo er sich hinsetzt und seine Gedanken aufschreibt (...). Er ist auf seine Weise in die Vita activa eingetreten ...“ (S.30, Z.19-29) „... eben weil auch Denken eine Tätigkeit ist, kann es die Kontemplation des Ewigen nur unterbrechen und ruinieren.“ (S.31, Z.29f) ___________________________________________________________________________ F ragen → Welche Interpretation liegt Arendts Verständnis der politischen Philosophie Platos zugrunde und inwieweit kann man diese hinterfragen? (Bsp. S.24, Z.22ff). → Inwieweit schließt sich Hannah Arendt an die Tradition der griechischen Philosophie an, wo grenzt sie sich ab oder kehrt sie diese um? → Wie verhält sich Arendts Modell der Gleichwertigkeit zwischen Vita activa und Vita contemplativa zu anderen geschichtsphilosophischen und politphilosophischen Modellen und lassen sich daraus Impulse für eine ideologiekritische Theorie ableiten? 3