Fortschritte beim Aufbau des weltweiten Tsunami

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Fortschritte beim Aufbau des weltweiten Tsunami
Juni 2006
Fortschritte beim Aufbau des weltweiten
Tsunami-Frühwarnsystems
Lutz Möller
Seit dem tragischen Tsunami im Indischen Ozean am 26. Dezember 2004 hat die Zwischenstaatliche
Ozeanographische Kommission (IOC) der UNESCO große Anstrengungen unternommen, ein
weltweites Tsunami-Frühwarnsystem aufzubauen. 2005 hat die IOC die Einrichtung eines regionalen
Frühwarnsystem im Indischen Ozean beschlossen. Als dessen Bestandteil wird derzeit mit deutscher
Unterstützung ein nationales Frühwarnsystem in Indonesien aufgebaut. Zeitgleich verständigten sich
Experten und Politiker in der IOC darauf, auch Frühwarnsysteme in der Karibik und im
Mittelmeer/Nordostatlantik aufzubauen. Diese drei neuen Systeme sollen mit dem seit den 60er Jahren
im Pazifik betriebenen System zu einem weltweiten Tsunami-Frühwarnsystem zusammengeschlossen
werden. Der bisherige Sekretär der Deutschen IOC-Sektion Dr. Klaus-Peter Koltermann wird ab 1. Juni
2006 im Sekretariat der IOC eine wichtige Koordinierungsstelle beim Aufbau des weltweiten
Tsunami-Frühwarnsystems übernehmen.
Am 26. Dezember 2004 verwüstete ein verheerender Tsunami die indonesische Küste
Zweites Koordinierungstreffen für das Frühwarnsystem im Mittelmeer/Nordostatlantik
Vertreter von 17 Anrainerstaaten des Mittelmeers und des Nordostatlantiks (dazu gehört auch die Nordsee)
trafen sich vom 22. bis 24. Mai 2006 in Nizza, Südfrankreich, um die Fortschritte seit dem ersten
Koordinierungstreffen im November 2005 zu diskutieren. In Rom war die "Zwischenstaatliche
Koordinierungsgruppe für das Frühwarn- und Schadenminderungssystem gegen Tsunamis im Nordostatlantik,
dem Mittelmeer und angrenzenden Meeren" (ICG/NEAMTWS) gegründet worden mit dem Ziel, bis Ende 2007
erste Elemente des Warnsystems in Betrieb zu nehmen. In Nizza erstellten die Experten einen ausführlichen
und umfangreichen Arbeitsplan, um den ehrgeizigen Zeitplan einhalten zu können. Dafür müssen die in der
ICG/NEAMTWS beteiligten Regierungen ihre Anstrengungen deutlich erhöhen.
Am Mittelmeer treten Tsunamis seltener auf, aber sie besitzen ein ganz anderes Gefahrenpotenzial als im
Pazifik: Wegen der sehr kurzen Distanzen sind die Vorwarnzeiten enorm kurz. Innerhalb einer Stunde kann ein
Tsunami das Mittelmeer durchqueren, daher müssen Warnungen innerhalb von fünf Minuten veröffentlicht
werden. Wegen der Seltenheit von Tsunamis am Mittelmeer sind die Anwohner viel weniger sensibilisiert,
müssen aber im Notfall sehr schnell reagieren.
Besonders tragische Beispiele für Tsunamis in unseren Meeren sind die Zerstörung Lissabons am 1.
November 1755 mit 60.000 Todesopfern und die Zerstörung Messinas auf Sizilien am 28. Dezember 1908 mit
85.000 Todesopfern. Die gerade in der Nähe des Bosporus in den letzten Jahren immer wieder auftretenden
katastrophalen Erdbeben zeigen, dass am Mittelmeer jederzeit die Gefahr von Tsunamis besteht. Da 40
Prozent der 46.000 Kilometer langen Küstenlinie des Mittelmeeres bebaut sind, mit stark wachsender
Tendenz, und man 2025 mit 90 Millionen Bewohnern der Küstenstädte und über 300 Millionen Touristen pro
Jahr rechnet, sind die Folgen eines schweren Tsunamis bei Fehlen eines Frühwarnsystems unvorstellbar.
Nach umfangreichen Berechnungen des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie ist die Gefährdung
für die deutsche Nordseeküste wegen der geringen Tiefe der Nordsee dagegen minimal. Steinrutsche am
norwegischen Festlandsockel gelten in der Nordsee als wahrscheinlichster Auslöser von Tsunamis. Dennoch
beteiligt sich Deutschland aktiv an der ICG/NEAMTWS und wird im Januar 2007 zur dritten Sitzung der
ICG/NEAMTWS nach Bonn einladen.
Die Aufgaben beim Aufbau des Frühwarnsystems im Mittelmeer/Nordostatlantik sind andere als im Indischen
Ozean: Pegelstände und Seismometer sind in großer Zahl vorhanden - allerdings kann auf die von ihnen
gemessenen Daten selten in Echtzeit zugegriffen werden. Daher ist es nicht möglich, innerhalb weniger
Minuten zu entscheiden, ob ein lokalisiertes Erdbeben einen Tsunami ausgelöst hat oder nicht. Diese
Entscheidung ist aber die Voraussetzung für die Warnung, denn jeder Falschalarm reduziert die Sensibilität der
betroffenen Bevölkerung.
Der Exekutivsekretär der IOC Patricio Bernal nennt es paradox, dass Europa über alle Bestandteile eines
Tsunami-Frühwarnsystems verfügt, ohne dieses System zu realisieren. Die europäischen Regierungen
müssten entschlossener ihre jeweils national zuständigen Tsunami-Warnzentren benennen und entlang ihrer
Küsten Vorsorgemaßnahmen treffen. Die Teilnehmer des Nizzaer Treffens fordern, alle Rohdaten der
Beobachtungssysteme sofort, frei und offen zur Verfügung zu stellen. Die Finanzierung der
Beobachtungssysteme muss langfristig (auf Jahrzehnte) angelegt sein, dies umfasst den operationellen
Betrieb, weitere Forschung und die Ausbildung.
Erster umfassender Test des Frühwarnsystems im Pazifik
Da auch bestehende Systeme fortlaufend optimiert werden müssen, fand kurz vor dem Nizzaer Treffen eine
Katastrophenübung im Pazifik statt. Circa 80 Prozent der Tsunamis weltweit treten im Pazifik auf. Deshalb hat
die IOC hier bereits in den 60er Jahren mit dem Aufbau eines regionalen Frühwarnsystems begonnen. Das
Pacific Tsunami Warning and Mitigation System (PTWS) unter dem Dach der IOC wird koordiniert durch das
Pacific Tsunami Warning Centre in Honolulu, Hawaii. Am 17. Mai wurde dieses System erstmals einem
umfassenden Test unterzogen, um Schwachstellen zu identifizieren und die Performance zu verbessern. An
dem Test "Pacific Wave 06", den der UNESCO-Generaldirektor Koïchiro Matsuura einen "großen Erfolg"
nannte, beteiligten sich 30 Staaten.
Für diesen Test wurden in möglichst realistischen Szenarios zwei schwere Erdbeben simuliert, eines davon vor
der Küste Chiles, das andere im Norden der Philippinen. Im Fokus des Interesses standen die Informationsund Kommunikationsnetzwerke, die für das Frühwarnsystem aufgebaut worden waren. In Malaysia, den
Philippinen, Thailand und Samoa wurden auch Katastropheneinsätze mit Evakuierungen in Küstenorten und
Schulen durchgeführt.
Patricio Bernal von der IOC nannte es "unser Hauptinteresse, dass Informationen schnell bei den richtigen
Personen ankommen". Trotz sehr positiver Gesamtbeurteilung identifizierte die IOC dennoch einige
Problembereiche. Dazu gehört die Fähigkeit aller Staaten, effektiv öffentliche Warnungen auszusprechen, rund
um die Uhr und besonders in der Nacht und den frühen Morgenstunden. Ebenso gehören dazu die extremen
Anforderungen an die Reaktionsfähigkeit von Staaten, wenn Tsunamis unmittelbar vor ihren Küsten ausgelöst
werden. Die Erkenntnisse aus dem Test werden derzeit ausführlich ausgewertet und für die Verbesserung der
Katastrophenschutzpläne verwendet.
Siehe auch die Artikel:
Ein Tsunami-Frühwarnsystem für den Indischen Ozean
UNESCO will beim Aufbau eines Tsunami-Warnsystems für den Indischen Ozean helfen
unesco heute online
Redaktion: Dieter Offenhäußer / Kurt Schlünkes
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