Leseprobe - Schott Musikpädagogik

Transcription

Leseprobe - Schott Musikpädagogik
22 THEMA: TAFEL-MUSIK
Kulinarischer Pop
Essen und Trinken in der Massenmusik
friedrich neumann
5 6 7 8 9 10 11 12 13
Arbeitsblätter
▲ ▲ ▲
Songs über Essen & Trinken – S. 24-25
Textvergleich – S. 26
Ein eigener Song – S. 27
Hörbeispiele – CD
▲
▲
HB 4: Song-Collage zum Thema „Essen
& Trinken“
HB 5: Playback für den eigenen Song
Dateien – DVD
▲ ▲ ▲
Textvergleich (für 5 Gruppen)
Textvergleich – Lösungsblatt
Tipps und Hinweise
musikpädagogik-online.de
▲
Beitrag als PDF-Datei
Lieder über Essen und Trinken sind tief verwurzelt in der deutschen Tradition. Tiere als Festschmaus wurden schon im 12. Jahrhundert in
den Liedern der Carmina Burana besungen:
„Einst schwamm ich auf den Seen umher, einst
lebte ich und war schön, als ich ein Schwan noch
war. Jetzt liege ich auf der Schüssel und kann
nicht mehr fliegen. Sehe bleckende Zähne um
mich her! Armer, armer! Nun so schwarz. Und so
arg verbrannt!“ (Carmina Burana, Nr. 12). Zu den
zentralen Themen des deutschen Liedschatzes
gehört seit jeher auch der Genuss geistiger Getränke („Rheinwein, ja das ist mein Wein“,
„Schütt die Sorgen in ein Gläschen Wein“ etc.).
Bei zeitgenössischer Popularmusik dagegen denkt
man spontan erstmal nicht an Speisen und Getränke. In Schlager und Pop scheint sich praktisch
alles um Liebe zu drehen, in Rock und Blues um
Sex, Drogen, Frust und im Hip-Hop um Gewalt –
soweit jedenfalls das Klischee. Bei näherer Betrachtung ändert sich jedoch das Bild. Die Fülle
von Songs über alles, was zur kulinarischen Welt
gehört, ist schier überwältigend. Wirklich überraschend ist das aber nicht, denn Liedtexte
spiegeln und reflektieren grundsätzlich den
menschlichen Alltag, aus dem sie stammen. Die
Häufigkeit der besungenen Themen staffelt sich
nach ihrer Bedeutung; die wichtigsten Themen
kommen deswegen am häufigsten vor. Folglich
stehen Liebe, Sexualität und Zwischenmenschliches an oberster Stelle. Dicht darauf folgen
Essen und Trinken sowie Arbeit, Nachbarschaft
und Freunde.
songs übers essen
Beim Vergleich der populären Sparten Rock, Pop,
Schlager und Liedermacher zeigen sich deutliche
Unterschiede in der Stoßrichtung der Texte.
Im Rock werden die Dinge zumeist so benannt,
wie sie sind: Schnaps liefert die nötige Dröhnung
für einen feuchtfröhlichen Abend (Die Toten Hosen: Eisgekühlter Bommerlunder). Möchte man
musik
&
23
11
1.
ung
bild
In Pop, Rock und Schlager geht es längst nicht nur um Liebe.
Eine ergiebige Quelle für heitere und traurige, liebevolle und böse,
nette und gemeine Texte ist das ganz normale Leben. Dazu zählt
auch die Nahrungsaufnahme und alles, was damit zu tun hat.
seine Liebste zum Essen ausführen, hat aber kein
Geld für ein opulentes Menü beim Edelitaliener,
spendiert man eben preiswerte Spaghetti Carbonara (Spliff). Wen die Freundin abblitzen lässt,
der ist erst ein bisschen wütend, findet aber
schnell Trost bei einem Zitroneneis (Die Ärzte).
Wer sich schon immer über die reichen Leute geärgert hat, ruft mit Gebrüll zu deren Mord auf:
„Beiß rein und iss sie auf“ (Eat the Rich von Motörhead). Überzeugte Vegetarier stellen dagegen
die Fleischesser an den Pranger: Meat is Murder
(The Smiths).
In Pop und Schlager* schätzt man eher einen
freundlichen Tonfall und sanften Sound. Dass das
aber nicht immer ganz ehrlich ist, zeigt sich oft
am Auseinanderklaffen von Textinhalt und Klang.
Es gibt kein Bier auf Hawaii trägt Schlagersänger
Paul Kuhn mit sympathischer Gelassenheit vor,
obwohl er eigentlich nur seine Freundin abservieren will und das fehlende Bier dabei vorschützt. Lauscht man dem Weichspül-Sound der
Reggae-Popgruppe UB 40, möchte man meinen,
das Ertränken von Kummer mittels Rotwein sei eine sinnvolle Dauerlösung (Red, red wine). Ebenso
nett kommen die Prinzen rüber, selbst wenn sie
gerade davon singen, ihren Kuschelhasen umzubringen, um ihn zu essen (Tiere sind zum essen
da!). Trude Herr, Schlagerstar aus den 1960erJahren, singt dagegen so überzeugend „Ich will
keine Schokolade, sondern ein einen Mann“,
dass man ihr diesen Quatsch sogar glaubt.
In der Sparte Liedermacher, zu der hier auch
Chansonniers, Kabarettisten und spätere Rocksänger gezählt werden, gehören Ehrlichkeit und
Authentizität zum Berufsethos. Weil aber Ehrlichkeit eher langweilig oder sogar unangenehm ist,
wird hier Ironie und kabarettistische Übertreibung als Kunstform gepflegt. Reinhard Mey
prangert in Die heiße Schlacht am kalten Buffet
schlechte Manieren seiner Mitmenschen an, tut
das aber mit so viel Wortwitz, dass es ihm niemand übelnimmt. Die grenzenlose Überspitzung
schützt außerdem davor, den Inhalt auf sich
selbst zu beziehen. Herbert Grönemeyer zelebriert den Genuss der Currywurst in der Mundart
des Ruhrgebiets derartig lebensnah, dass man
unweigerlich Appetit bekommt. Wer sich selbigen
aber nicht verderben will, sollte den Song nicht
bis zum Schluss hören. Wenn Mundstuhl den
Fleischkonsum besingen (Fleisch), dann tun sie
das mit einer Art von Übertreibung, die jedem
sofort signalisiert: Achtung! Hier ist in Wirklichkeit
das genaue Gegenteil gemeint. Jeder weiß es,
man kann darüber lachen und fühlt sich gleichzeitig nicht bloßgestellt.
ziel
Sinn dieses Unterrichtsangebots ist es, den Blick
für Textthemen und ihre sprachliche Aufbereitung
in Songs zu schärfen und – wenn möglich – die
gewonnenen Erkenntnisse in einem eigenen
Song anzuwenden.
Die Vielzahl der auf einen Themenkreis fokussierten Texte fordert den Vergleich geradezu heraus
und intensiviert so den Blick für die Machart der
Texte. Durch das Lesen der Liedtexte (s. Arbeitsblatt „Songs über Essen & Trinken“) wird das
Textverständnis trainiert und die Wahrnehmung
auf Details wie Reimtechnik, Versmaß, Ehrlichkeit
der Aussage, Ironie, Vorder- und Hintergründigkeit gelenkt.
im unterricht
Analyse der Songtexte
Am Beginn der Stunde sollte ein Impuls stehen,
der den Anlass für ein einführendes Gespräch
gibt. Auf der Heft-CD befindet sich zu diesem
Zweck eine Collage von Songs zum Thema Essen
und Trinken (HB 4). Die Erarbeitung findet dann
in Gruppen statt. Fünf Gruppen bekommen jeweils die folgenden Materialien:
Arbeitsblatt „Songs über Essen & Trinken“: Es
enthält eine Sammlung aller benötigten Textzitate und Interpreten.
Arbeitsblatt „Textvergleich“: Jede Gruppe bekommt ihr eigenes Thema. Um welches es sich
handelt, muss zuvor von der Lehrkraft auf dem
Blatt angekreuzt werden. Wem das Ankreuzen zu
umständlich ist oder missverständlich erscheint,
kann von der Heft-DVD PDF-Dateien mit separaten Arbeitsblättern für jede Gruppe ausdrucken.
Das Arbeitsblatt „Tipps und Hinweise“ auf der
Heft-DVD enthält Hilfen zur Kategorisierung der
Songs und zur Wortwahl bei der Textbeschreibung.
Die Textanalyse kann etwa eine Doppelstunde in
Anspruch nehmen. Am Schluss tragen die Gruppen ihre Ergebnisse dem Plenum vor. Dabei sollten unterschiedliche Herangehensweisen in den
jeweiligen Musiksparten thematisiert werden.
Ein eigener Song
In einer folgenden Stunde kann nun ein eigener
Song kreiert werden (Arbeitsblatt „Ein eigener
Song“, auch auf der Heft-DVD). Bevor es losgeht,
müssen sich alle auf einen Titel einigen. Hier
wird Pfannkuchen vorgeschlagen – auch für den
Fall, dass kein eigener Titel gefunden wird. Jede
Gruppe steuert einen Bestandteil dazu bei: Eine
Gruppe (möglichst mit musikalischer Vorerfahrung) übernimmt den Refrain und die anderen
Gruppen jeweils eine Strophe. Dazu wurde ein
Playback (HB 5) vorbereitet, das während der
Kreativarbeit im Hintergrund als Endlosschleife
laufen kann. So können die SchülerInnen schon
in der ersten Schaffensphase ausprobieren, ob
ihre Text- bzw. Melodieideen zur Musik passen.
Die spätere Aufführung muss also nicht mehr intensiv geübt werden, denn das ist bereits während des Schreibens geschehen.
Das Playback für den eigenen Song (HB 5) besteht
aus einem viertaktigen Refrain, der gesungen
werden soll, und fünf achttaktigen Strophen, die
gerappt werden sollen. Ein zweitaktiges Intro leitet den Song ein, dann folgen fünfmal abwechselnd Strophe und Refrain. Am Schluss wird der
Refrain wiederholt.
* Dass beide Begriffe hier zusammen genannt werden, ist der
stilistischen Ähnlichkeit geschuldet. In einer verkürzten Definition könnte man sagen, Pop ist nichts anderes als Schlager
in englischer Sprache und mit angelsächsischer Herkunft.
Manchmal kommen solche Songs aber aus Deutschland und
werden auch deutsch gesungen. Dann spricht man von
deutschem Pop. Trotz der mangelhaften Logik kommt man
an einer Unterscheidung nicht vorbei, weil sowohl in der
Musikwirtschaft wie auch im allgemeinen Sprachgebrauch
diese Kategorisierung existiert. Zur stilistischen Einordnung
bleibt deswegen oft nur noch das Image des jeweiligen Interpreten. So zählt Udo Jürgens zur Kategorie Schlager, selbst
wenn er in vielen Texten unverblümte Wahrheiten ausspricht. Die Prinzen und die Wise Guys liegen mit ihren ironischen und manchmal abgründigen Texten zwar in der Nähe
der Sparte Liedermacher, werden aber wegen ihres Sounds
zum Pop gerechnet.