1 Deutschland A9 - Eine Reportage von Noemi Schneider Will man

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1 Deutschland A9 - Eine Reportage von Noemi Schneider Will man
Deutschland A9 - Eine Reportage von Noemi Schneider
Will man etwas über dieses Land erfahren, muss man es er-fahren. Also fahre ich.
Mitfahrgelegenheit München-Berlin, 10.05.2009, 11.00 Uhr, 24 Euro. Das nenne ich fair und
denke an die Deutsche Bahn. Am vereinbarten Treffpunkt steht eine junge Frau mit einer
großen schwarzen Reisetasche, neben ihr ein etwas dicklicher Mann zwischen 40 und 50, der
aufgeregt telefoniert.
Berlin?, frage ich. Die Frau nickt und der Mann hört auf zu telefonieren. Wir stellen uns vor.
Der Fahrer heißt Carlos, ist Sizilianer und arbeitet für einen großen Elektrofachhandel. Ich bin
etwas überrascht, denn in der Anzeige stand ein Frauenname. Seine Frau managt das alles für
ihn, erklärt er. Ich frage, ob noch jemand kommt. Falsches Thema, denn Carlos ist sauer. Eine
Mitfahrerin hat ihm vor fünf Minuten abgesagt, was ihn zu einem Vortrag über deutsche
Tugenden animiert, mit denen er keine guten Erfahrungen gemacht hat. Er hat eine
pädagogische Ader, das merke ich sofort. Während wir auf die dritte Mitfahrerin warten,
stecke ich mir eine Zigarette an. Auch das sieht Carlos nicht gerne. Selbstmord auf Raten,
kommentiert er und fügt hinzu, Raucherpausen gibt es bei mir nicht.
Die Frau mit der schwarzen Reisetasche heißt Marie und kommt aus Berlin. Sie arbeitet im
Klinikum Rechts der Isar als OP-Schwester und fährt nur übers Wochenende nach Hause,
weil ihr Bruder für drei Wochen auf Auslandseinsatz in den Kosovo geht.
Die dritte Mitfahrerin hat sich in der Straße geirrt. Atemlos kommt sie mit einem großen
Rucksack angerannt und stellt sich vor. Nadja.
Wir nehmen in einem bequemen Ford-Bus Platz. Füße nicht auf den Sitz, sagt Carlos. Zu dritt
in einem Kleinbus, nicht schlecht. Auch Nadja scheint angenehm überrascht und erzählt von
ihrer letzten Mitfahrgelegenheit nach Berlin in einem ähnlichen Ford-Bus. Sie waren zu
neunt, es schneite und war arschkalt, und zu allem Überfluss wurden sie die ganze Fahrt über
mit synthetischen Geigen, Marke asiatische Entspannungsmusik in Erotik-Massagestudios,
beschallt. Bei Carlos läuft Antenne Bayern, immerhin.
Nadja kommt aus Halle, sie hat in Coburg Soziale Arbeit studiert und macht gerade ein
Praktikum in München in einer Einrichtung für schwererziehbare Jugendliche. Sie hört am
liebsten Sputnik, das Jugendradio des MDR und überlegt, ihren Master an einer ostdeutschen
Universität zu machen, denn da gibt es wenigstens keine Studiengebühren.
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Als wir aus der Stadt herausfahren, wissen Nadja und ich erstmal genug übereinander und
lehnen uns zurück. Carlos checkt die Staumeldungen und telefoniert mit seiner Frau. Vom
Mittleren Ring fahren wir auf die A9. Eine Autobahn mit einer langen deutsch-deutschen
Geschichte. 1936 wurde sie als Reichsautobahn eröffnet. Nach dem zweiten Weltkrieg diente
sie bis zur Wiedervereinigung als eine von drei Transitstrecken von Westdeutschland nach
West-Berlin. Nach der Wiedervereinigung wurde ihr durchgehender sechsstreifiger Ausbau
als wichtigstes Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 12 in Angriff genommen.
Ein silberner Bär am Straßenrand winkt uns zu: 500 km Berlin.
Eching, Allershausen, Pfaffenhofen, Ingoldstadt, Denkendorf, Altmühltal, Hipoltstein,
Allersberg.
An der Ausfahrt Nürnberg-Fischbach fahren wir raus und lesen an einer S-Bahn-Haltestelle
sechs weitere Mitfahrer auf. Carlos’ Frau hat in letzter Minute sogar noch jemand für die
abgesagte Münchnerin gefunden. Jetzt ist der Bus voll.
Neben mir sitzt ein junger Mann im Sakko, der nervös an seinem i-Pod nano herumnestelt. Er
stellt sich als Acuner vor. Hinter mir sitzen Alex aus Erlangen, Mark aus Pankow und ein
langhaariger Typ im Ledermantel, der sofort seinen Laptop aus der Tasche zieht und
Kopfhörer aufsetzt. Dahinter Birgit aus Berlin, die ziemlich erkältet ist und Tobi aus Jena in
Hemd und Krawatte.
Und wer von euch is jetzt aus’m Osten?, fragt Carlos und fügt hinzu, ihr seht nämlich alle
nicht so aus. Tobi zieht die Augenbrauen nach oben, ah ja, und wie müssten wir aussehen?
Carlos lässt die Frage unbeantwortet und dreht das Radio lauter.
Oh, Mann, ich mag nicht mal Bananen, sagt Tobi. Ich mag Bananen. Aber ob Bananen eine
gute Grundlage für ein Gespräch über Deutschland sind, bezweifle ich. Während ich noch hin
und her überlege, verwickelt Acuner Carlos in ein Gespräch über die Mafia und Tobi erzählt
mir grinsend von seinem ersten Ausflug nach Westdeutschland. Nach Duderstadt bei
Göttingen sind sie ganz klischeemäßig zu fünft im blauen Trabi gefahren und wurden auf
einem Parkplatz von Frauen mit belegten Broten empfangen. Er lacht. Das war schon ein
tolles Gefühl als ich meinen Fuß das erste Mal auf westdeutschen Boden stellen durfte, sagt
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er. Mark schüttelt den Kopf: Kann ick von mir jetzt nich so sagen, aber war eh immer wat
anderes in Berlin, Berlin is Berlin.
Ich denke, das ist ein Gefühl, dass ich nie kennen gelernt habe.
Nach dem Abitur in Weimar zog Tobi dann ganz in den Westen. Seinen Zivildienst leistete er
in Kaufbeuren im Allgäu ab mit WG-Kollegen, an denen die Deutsche Wiedervereinigung
einfach vorübergegangen war. Er erzählte, wie eines Nachts sein Mitbewohner mit einigen
Freunden in seinem Zimmer auftauchte und sagte: Wenn wir dich Ostdeutschen mal irgendwo
auf der Straße sehen, dann erschlagen wir dich mit nem Beil. Er hatte so getan, als ob er
schlief und dann probiert sich anzupassen, seinen Akzent loszuwerden und möglichst
hochdeutsch zu reden.
Auch wieder ein Gefühl, dass ich nicht kenne.
Er lacht, aber das ist lange her. Mittlerweile lebt er in Erlangen und arbeitet in einer
Werbeagentur als Kontakter und beziehungstechnisch ist die Einheit bei ihm exemplarisch zu
Stande gekommen.
Was haltet ihr eigentlich von dem Beitritt der Türkei in die EU?, fragt der Typ neben mir. Ich
bin dafür, er dagegen. Acuner ist Deutscher, türkischer Herkunft. Seine Eltern stammen aus
einem kleinen Dorf bei Izmir. Sie sind Aleviten und gehören zu einer Volksgruppe, die über
Jahrhunderte in der Türkei diskriminiert wurde. Seine Mutter wurde mit 15 zwangsverheiratet
und kam nach Regensburg. Nach zwanzig Jahren Ehe hat sie es geschafft, sich scheiden zu
lassen. Acuner ist 26, studiert Jura und kann nicht mal türkisch.
Pegnitztalbrücke, Schnaittach, Homersdorf, Plech, Weidensees.
Das ist interessant, meldet sich plötzlich der Langhaarige mit dem Laptop und erzählt, dass
die Ausfahrt Weidensees bis in die 70er Jahre Veldensteiner Forst geheißen habe, wegen
Hermann Göring, der ab 1939 der Eigentümer der mittelalterlichen Burg Veldenstein war, die
ihm seine Patentante Elisabeth von Epstein nach dem Tod ihres Mannes verkauft hatte. Aber
nur, weil Göring ihr zuvor, im Zuge der Arisierung jüdischer Betriebe, das marktführende
Kondomunternehmen von Julius Fromm zu einem Spottpreis verschafft hatte.
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1945 dann wurde die Burg von den Amerikanern erobert. Die ließen keinen Stein auf dem
anderen, da sich das Gerücht hielt, dass Göring all seine Kunstschätze in den letzten
Kriegstagen nach Veldenstein geschickt habe. Gefunden wurde allerdings nur eine Kiste mit
36 alten Tischleuchtern, Wein, Sekt und Cognac. Später wurden in der Burg Flüchtlinge
untergebracht.
Raststätte Fränkische Schweiz, Bayreuth, Kulmbach, Himmelkron, Gefrees, Münchberg Süd,
Hof, Dreieck Bayerisches Vogtland, Naila, Selbitz, Berg, Bad Steben, Rudolphstein, Raststätte
Frankenwald mit Brückenrestaurant.
Wir machen Pause. Fünfzehn Minuten!, sagt Carlos und deutet auf seine Uhr. Nadja muss
lachen und erzählt während einer Zigarette von ihrem letzten unfreiwilligen Aufenthalt auf
diesem Parkplatz. Vor etwa einem Monat war sie mit drei Anderen in einem Twingo auf der
Rückfahrt von Berlin der bayerischen Drogenfahndung verdächtig vorgekommen. Nachdem
zwei Beamte bei strömendem Regen das Auto und die Insassen auf den Kopf gestellt hatten
und natürlich nichts fanden, erklärte einer der Polizisten ihre Vorgehensweise mit den
Worten: Sie sind jetzt in Bayern, und hier ticken die Uhren anders.
Wir fahren weiter, passieren die Landesgrenze Thüringen und stehen plötzlich auf der 296
Meter lange Saaletalbrücke, die heute, Brücke der Deutschen Einheit, heißt, im Stau. Hier
stand ich noch nie im Stau, flucht Carlos und zückt sein Handy. Die Saaletalbrücke wurde
1936 von einer Arbeitsfront erbaut. Im zweiten Weltkrieg zerstörten die deutschen Truppen
die Brücke, 1966 wurde sie wieder eröffnet.
Die deutsche Einheit. Eigentlich kann ich von mir nicht gerade behaupten, eine Expertin auf
diesem Gebiet zu sein. Ich bin 1982 geboren. Obwohl ein Großteil meiner Verwandtschaft
väterlicherseits in der DDR geblieben war, hatte ich von ihrer Existenz erst nach dem
Mauerfall erfahren. Im Geschichtsunterricht beschäftigten wir uns eingehender mit der
Weimarer Republik, der Industrialisierung und dem Nationalsozialismus als mit der jüngsten
deutsch-deutschen Geschichte. Meine Verwandtschaft aus dem Osten habe ich erst Ende der
90er kennen gelernt. Mein Großcousin Steffen war bei der Stasi gewesen, nach der Wende
fast 10 Jahre arbeitslos und ist mittlerweile bei einer Sicherheitsfirma in Berlin beschäftigt.
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Die verschnupfte Birgit aus der letzten Reihe schaltet sich ins Gespräch ein. Sie ist 1985
geboren, und zwar in Hohenschönhausen. Sie erinnert sich noch gut an den Onkel Erich, der
in ihrer Kindheit öfter zu Besuch gewesen war. Die Wiedervereinigung hat sie fast gar nicht
mitgekriegt. Gemerkt hat sie es nur daran, dass sie die Fahne nicht mehr raushängen durften
und es im Supermarkt bestimmte Produkte nicht mehr gab. Birgit arbeitet als
Physiotherapeutin in München, weil es in Berlin keine Jobs gibt.
Der Stau hat sich aufgelöst. Im Radio kommt die Nachricht, dass der Wettbewerb für das
geplante Nationaldenkmal für Freiheit und Einheit gescheitert sei. Keiner der eingereichten
532 Entwürfe wurde von der Jury in die engere Auswahl aufgenommen.
Wer braucht denn noch so ein Denkmal?, sagt Alex, für die Millionen könnten sie neue
Kindertagesstätten bauen, die Steuern senken oder in erneuerbare Energien investieren. Die
Argumente waren einleuchtend. Und, was machst Du in Berlin?, frage ich. Na, demonstrieren,
sagt er. Was für ne Demo? Wir zahlen nicht für eure Krise. Ach ja, ich erinnerte mich an die
Plakate.
Bad Lobenstein, Schleiz, Dittersdorf, Triptis.
Hier stand bis vor kurzem noch die älteste Autobahnraststätte Deutschlands, Rodaborn. Sie
war 1928 als Ausflugslokal für die Bürger von Triptis eröffnet worden und wurde 1936 mit
der Fertigstellung der Reichsautobahn zur ersten Autobahnraststätte Deutschlands. Zu DDRZeiten war sie nur für Transitreisende geöffnet. Dem sechsspurigen Fahrbahnausbau musste
sie weichen.
Hermsdorfer Kreuz,
Bad Klosterlausitz, Eisenberg, Droyssig, Landesgrenze Sachsen,
Naumburg, Weissenfels, Kreuz Rippachtal, Bad Dürenberg. Landesgrenze Sachsen-Anhalt,
Leipzig, Grosskugel, Schkeuditzer Kreuz.
Wiedemar, Halle, Bitterfeld, Wolfen, Dessau,
Vockerode, Coswig, Köselitz, Landesgrenze Berlin-Brandenburg, Klein Marzehns, Niemegk,
Brück, Beelitz, Dreieck Potsdam, Berlin.
Alle Zoo?, fragt Carlos. Zustimmendes Grummeln. Am Zoo war ich schon lange nicht mehr.
Ick ooch nich, icke jeh eijentlich nie in Westen, sagt Mark und schnorrt sich noch eine
Zigarette von mir. Alex wird von seiner Freundin aus Neukölln abgeholt. Birgits Papa steht
vor dem McDonalds. Der Langhaarige nimmt sich ein Taxi, Nadja den Bus, Carlos fährt
Marie noch nach Spandau und Acuner kommt mit mir zur S-Bahn. Es ist 21.45 Uhr.
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Eine Gruppe betrunkene Japaner stolpert uns entgegen und eine alte Frau schimpft
unaufhörlich vor sich hin. Ein Barfüssiger drückt mir einen Flyer in die Hand: Jesus kommt
auch in dein Herz. Ein Punk will ein bisschen Kleingeld und singt die Internationale.
Fußballfans grölen, eine dicke Frau lächelt in sich hinein während sie Zeitung liest und ein
Mann neben mir murmelt Gebete in seinen Tasbih.
Auf dem Bahnsteig gegenüber bewirbt ein großes Plakat den Film Deutschland 09 - 13 kurze
Filme zur Lage der Nation.
Ich habe den Film gesehen, er spielt nicht in einem Auto, das ist sein Problem.
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