König Salomo und die Liebe zur Weisheit

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König Salomo und die Liebe zur Weisheit
Bibelarbeit im September 2005
König Salomo und die Liebe zur Weisheit
1. Hinführung
Das Streben nach Weisheit ist in unseren Tagen selten
geworden. Persönliches Lebensglück und Reichtum
sind für viele Menschen heute weit wichtigere Ziele
als Weisheit. In früheren Zeiten hatte die Weisheit
noch einen höheren Stellenwert. Der lateinische
Kirchenlehrer Thomas von Aquin (1225-1274) hat in
seiner Summe gegen die Heiden das Streben nach
Weisheit sogar als die vollkommenste aller
menschlichen Bestrebungen bezeichnet, "weil der
Mensch, insofern er der Weisheit sein Streben
widmet, schon einen Teil des wahren Glücks besitzt."
(Summa contra Gentiles I,2).
Eine vergleichbare Einstellung zu Weisheit und Lebensglück findet sich in der Bibel. Für den
Verfasser des Buchs der Sprichwörter ist Weisheit der Garant für ein gelingendes Leben (Spr
2,1-3,26). Wer Weisheit verachtet, gilt dagegen als unglückseliger Mensch (Weish 3,11). Das
Idealbild des Weisen wird in der Heiligen Schrift von König Salomo verkörpert. Er galt als
der weiseste aller Menschen (1 Kön 5,10f.). Seine Weisheit war so berühmt, dass Könige aus
allen Ländern an den Königshof nach Jerusalem zogen, um seinen Rat zu hören (1 Kön 5,14).
Sogar die sagenhafte Königin von Saba, die sich mit großem Gefolge nach Jerusalem
aufmachte, um ihn mit Rätselfragen zu prüfen, kam aus dem Staunen über seine große
Weisheit und seinen immensen Reichtum nicht heraus (1 Kön 10,1-13). Ein Beispiel von
Salomos Weisheit gibt die legendarische Erzählung von der Schlichtung eines Streits zweier
Mütter um ein Kind, das jede als ihr eigenes beansprucht (1 Kön 3, 16-28).
Salomo war ein Sohn des Königs David und dessen Frau Bathseba (2 Sam 12,24). Auf
Betreiben seiner Mutter und des Propheten Nathan wurde er, anstelle seines älteren Bruders
Adonija, der Nachfolger Davids auf dem Thron Israels (1 Kön 1,1-39). Seine fast
vierzigjährige Regierungszeit als König (965-926 v. Chr.) war geprägt von Frieden und
wirtschaftlichem Aufschwung. Unter seiner Regentschaft entstand der erste Tempel (1Kön
6,1-9,9), die Stadt Jerusalem wurde erweitert und gegen feindliche Angriffe mit einer Mauer
gesichert (1Kön 9,15). Zudem gelang es ihm, das von David geschaffene Großreich in seinem
Kern zu erhalten und zu modernisieren. Auch wenn nicht alle Regierungsmaßnahmen
Salomos bei seinen Untertanen Beifall fanden, so blieb doch vor allem der außerordentliche
wirtschaftliche und kulturelle Aufschwung jener Zeit in Erinnerung. Gerade in Anbetracht
des nach seinem Tod einsetzenden Niedergangs, der eine Spaltung des Reiches zur Folge
hatte (1Kön 12,1-19), erschien nachfolgenden Generationen die Regentschaft König Salomos
wie ein goldenes Zeitalter.
Salomo wurden im frühen Judentum und im Frühchristentum verschiedene
Weisheitsschriften zugeschrieben. Eine dieser Schriften ist die Weisheit Salomos, ein Werk,
das im ägyptischen Alexandria, vermutlich in der Zeit zwischen 30 v. Chr. und 40 n. Chr.,
entstanden ist. Verfasst hat sie aller Wahrscheinlichkeit nach ein jüdischer Schriftgelehrter,
der über eine umfassende hellenistische Bildung verfügt haben muss. Da bereits Hieronymus
und Augustinus Zweifel an der Verfasserschaft König Salomos hatten, wird diese Schrift in
der späteren lateinischen Überlieferung oft auch als liber sapientiae ("Buch der Weisheit")
bezeichnet. Diesem Buch ist der Text der folgenden Bibelarbeit entnommen.
2. Der Bibeltext: Buch der Weisheit 8,2-9
2 Die Weisheit hab ich geliebt und gesucht von meiner Jugend an und danach
getrachtet, sie mir zur Braut zu nehmen, und ich hab ihre Schönheit
liebgewonnen.
3 Sie zeigt sich ihrer edlen Herkunft würdig, indem sie bei Gott lebt; und der
Herr aller Dinge hat sie lieb.
4 Denn sie ist in Gottes Wissen eingeweiht und wählt aus, was Gott tut.
5 Ist aber Reichtum ein Gut, das man im Leben begehrt, was ist dann reicher
als die Weisheit, die alles schafft?
6 Ist’s aber Klugheit, die etwas schafft, wer in aller Welt ist dann ein größerer
Meister als die Weisheit?
7 Hat aber jemand Gerechtigkeit lieb - so ist es die Weisheit, die die Tugenden
wirkt; denn sie lehrt Besonnenheit und Klugheit, Gerechtigkeit und Tapferkeit,
und nichts Nützlicheres als dies gibt es im Leben für die Menschen.
8 Begehrt aber jemand Erfahrung und Wissen - so ist es die Weisheit, die das
Vergangene kennt und das Zukünftige errät. Sie versteht sich auf gewandte
Rede und weiß, Rätsel zu lösen. Zeichen und Wunder erkennt sie im voraus
und was Stunden und Zeiten bringen werden.
9 Ich habe daher beschlossen, sie mir zur Gefährtin zu nehmen, denn ich
wußte, daß sie mir ein Ratgeber zum Guten sein würde und ein Trost in
Sorgen und Traurigkeit.
(Übersetzung nach der revidierten Fassung der Lutherbibel von 1984)
3. Hintergründe zum besseren Verständnis des Textes
"Die Weisheit hab ich geliebt und gesucht von meiner Jugend an ..." - der Sprecher dieser
bekenntnishaften Worte ist Salomo (vgl. Weish 9,7f.). Aufgrund der späten Abfassungszeit
des Buchs der Weisheit ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass hier der wirkliche König
Salomo zu uns spricht, es sind wohl vielmehr Worte, die ihm von dem uns unbekannten
Autor des Buchs der Weisheit in den Mund gelegt worden sind. Salomo stellt sich darin als
ein Mensch vor, der schon von frühester Jugend an die Weisheit gesucht hat. Seine Liebe zur
Weisheit ist alles andere als abstrakt, denn er strebt zu ihr hin, wie ein junger Mann sich zu
einer Frau hingezogen fühlt, die seine Sinne verstört hat. Daher beschreibt Salomo die
Vorzüge der Weisheit auch so, wie man eine begehrenswerte junge Frau beschreiben würde:
sie ist schön, von edler Herkunft, reich und klug. Die edle Herkunft der "Frau Weisheit"
begründet Salomo mit ihrer Nähe zu Gott.
Die Vorstellung, die Weisheit sei eine attraktive und begehrenswerte Frau, die in Gottes Nähe
lebt und von ihm geliebt wird, ist uns heute fremd. Sie passt weder zu unserem traditionellen
Gottesbild, noch zu unserem Verständnis von Weisheit. Wenn wir von Weisheit sprechen,
denken wir an einen Zustand geistiger Reife, den man - wenn überhaupt - meist erst nach
vielen Lebensjahren erreicht. Die Idee der "Frau Weisheit" ist aber auch in Israel nicht von
Anfang an da gewesen. Unter Einfluss ägyptischen Gedankenguts hat sich diese Vorstellung
erst allmählich in der Zeit nach dem Babylonischen Exil entwickelt. Sie begegnet unter
anderem auch im Buch der Sprichwörter (8,22-31) und bei Jesus Sirach (24,1-22).
Vor dem Exil war Weisheit in Israel gleichbedeutend mit der Fähigkeit, die
Schöpfungsordnung der Welt zu begreifen und sich durch das richtige Tun darin einzufügen.
Wenn der Mensch das Richtige tut, wird es ihm im Leben wohl ergehen. Jedes Handeln, das
gegen die göttliche Schöpfungsordnung verstößt, wird dagegen negative Auswirkungen auf
das Leben haben. In der Bibelwissenschaft wird diese, für die alttestamentliche Weisheit
fundamentale Überzeugung als Tun-Ergehen-Zusammenhang bezeichnet. Auch in unserem
Text steht er im Hintergrund, insofern auch hier die Weisheit als hilfreich für ein gelingendes
Leben verstanden wird.
"Ist aber Reichtum ein Gut, das man im Leben begehrt, was ist dann reicher als die Weisheit,
die alles schafft?" - mit dem fünften Vers beginnt Salomo die Weisheit als das höchste aller
Güter ins Bewußtsein zu heben. Reichtum (Vers 5), Klugheit (Vers 6), Gerechtigkeit (Vers
7), Erfahrung und Wissen (Vers 8), allesamt von Menschen begehrt, geschätzt und geachtet,
haben letztlich einen Ursprung: die Weisheit. In Vers 7 zeigt sich, wie gut der Verfasser mit
der griechischen Tugendlehre vertraut ist, denn bei den vier Tugenden, die er aufzählt
(Besonnenheit, Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit), handelt es sich um die vier
Kardinaltugenden, die erstmalig von dem griechischen Philosophen Platon (427-347 v. Chr.)
klassifiziert worden sind (vgl. Phaidon 69C; Nomoi 631C).
Die Weisheit ist das höchste Gut, weil alle Tugenden und erstrebenswerten Güter auf sie
zurückgehen. Diese Erkenntnis will der Verfasser seinen Leserinnen und Lesern ins
Bewußtsein heben. Wie Salomo, das große Vorbild, so sollen auch sie danach streben, sich
die Weisheit zur Gefährtin zu nehmen.
In den Schlussworten unseres Textes wird der Unterschied zwischen dem vor- und dem
nachexilischen Weisheitsbegriff noch einmal unmittelbar deutlich. Vor dem Exil galt die
Weisheit vorrangig als eine Leistung der Vernunft und des Verstandes, hier wird sie als eine
Gabe Gottes begriffen. Das Verhältnis des Menschen zur Weisheit ist dadurch grundlegend
verändert. Weisheit ist nicht länger eine Fähigkeit, die wenigen auserwählten Menschen
vorbehalten bleibt, sondern eine Gabe Gottes, um die jeder bitten kann (vgl. Weish 7,7; 1
Kön 3,5-12). Jeder Mensch kann somit prinzipiell Anteil bekommen an der göttlichen
Weisheit, die die Schöpfungsordnung begründet hat. Ein Vergleich zwischen dem
Schlussvers und Vers 4 macht aber deutlich, dass zwischen göttlicher und menschlicher
Weisheit immer ein unüberbrückbarer Unterschied bleiben wird. Die Weisheit, die bei Gott
lebt, ist in sein Wissen eingeweiht und wählt aus, was er tut. Der mit Weisheit begabte
Mensch partizipiert dagegen nicht direkt am göttlichen Wissen. Die Weisheit ist ihm "nur"
eine Ratgeberin zum Guten und vermag ihm in Sorgen und Traurigkeit Trost zu spenden.
4. Vorschlag für eine Bibelarbeit
(1)
Der Leiter bzw. die Leiterin der Bibelarbeitsgruppe gibt erste
Hintergrundinformationen zum Text.
(2)
Alle Teilnehmer/innen lesen den Text leise. Wenn alle den Text gelesen haben, wird
er noch einmal von einem Mitglied der Gruppe laut vorgelesen.
(3)
Lockerer Austausch über den Text.
Mögliche Fragen:
- Was hat mich angesprochen?
-
Was hat mich befremdet?
Wo hatte ich Probleme, den Text zu verstehen?
(4)
Erneuter Durchgang durch den Text, diesmal Vers für Vers.
Leitfragen für die Verse 1 bis 4:
- Welches Bild von Weisheit skizziert der Autor?
- Was ist nach Auskunft des Textes charakteristisch für die Weisheit?
Leitfragen für die Verse 5 bis 8:
- Welche Tugenden/Güter erwähnt der Autor?
- Wie wird das Verhältnis zwischen den Tugenden/Gütern und der Weisheit
bestimmt?
Leitfragen für Vers 9:
- Warum beschließt Salomo, sich die Weisheit zu seiner Gefährtin zu nehmen?
- Gibt es Unterschiede zwischen der Weisheit, die bei Gott lebt und der Weisheit,
die den Menschen von Gott als Gabe verliehen wird? (Vergleich zwischen den
Versen 4 und 9)
(5)
Freie Diskussion
Impulsfragen:
- Gibt es heute noch weise Frauen/Männer? (Beispiele!)
- Was zeichnet weise Menschen aus?
- Haben weise Menschen ein besonders intensives Verhältnis zu Gott?
Wenn gewünscht, kann die Bibelarbeit durch das Singen von Liedern feierlich gestaltet
werden. Besonders eignet sich dafür:
Gotteslob Nr. 614 ("Wohl denen, die da wandeln")
Ergänzend dazu können auch die Psalmen 1 (Gotteslob 708) und 112 (Gotteslob 630)
gesungen oder gebetet werden.
5. Weiterführende Literatur
Helmut Engel, Das Buch der Weisheit (Neuer Stuttgarter Kommentar; Altes Testament 16),
Stuttgart: Verl. Kath. Bibelwerk 1998
Hans Hübner, Die Weisheit Salomos – Liber Sapientiae Salomonis (Das Alte Testament
deutsch: Apokryphen, Bd. 4), Göttingen 1999
Horst Dietrich Preuß, Einführung in die alttestamentliche Weisheitsliteratur (UrbanTaschenbücher; 383), Stuttgart [u.a.]: Kohlhammer 1987
Christian Nanz (September 2005)
Katholisches Bibelwerk im Bistum Münster
in Kooperation mit
kirchensite – online mit dem Bistum Münster
(www.kirchensite.de)

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