Das antikapitalistische Experiment Captain Fantastic
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Das antikapitalistische Experiment Captain Fantastic
Kino 28 NUMMER 190 Held der Kinder Film-Geflüster Kidman und Witherspoon arbeiten wieder zusammen Conni & Co mit Emma Schweiger Die Hollywood-Stars Nicole Kidman, 49, („Eyes Wide Shut“) und Reese Witherspoon, 40, („Walk the Line“) gehen eine weitere Literaturverfilmung gemeinsam an. Wie das Branchenblatt Variety berichtet, wollen sie als Produzentinnen den neuen Roman „Truly Madly Guilty“ der australischen Bestsellerautorin Liane Moriarty auf die Leinwand bringen. Ob sie auch die Hauptrollen in der Story über Ehe, Familie und Freundschaften spielen werden, wurde nicht bekannt. Kidman und Witherspoon drehten zuletzt die TV-Serie „(Big) Little Lies“ („(Große) Kleine Lügen“) nach der Romanvorlage von Moriarty. Die Serie unter der Regie von „Wild“-Regisseur Jean-Marc Vallée soll 2017 ausgestrahlt werden. Der Drehstart ist noch offen. VON ANDRÉ WESCHE Amy Adams wird Alien-Dolmetscherin US-Schauspielerin Amy Adams („American Hustle“), die zuletzt in dem Actionfilm „Batman v Superman“ zu sehen war, nimmt es nun mit Aliens auf. In dem ersten Trailer für den Science-FictionFilm „Arrival“ von „Sicario“-Regisseur Denis Villeneuve wird die 41-Jährige als Sprachwissenschaftlerin von der Regierung eingesetzt, mit Außerirdischen an Bord eines riesigen Raumschiffs zu kommunizieren. Alle hoffen auf ihre Kenntnisse, um einen Alien-Krieg zu vermeiden. An der Seite von Adams spielen Jeremy Renner, Forest Whitaker und Michael Stuhlbarg mit. Der Film kommt Mitte November in die Kinos. Ben Whishaw soll in neuem „Mary Poppins“ mitspielen Der britische Schauspieler Ben Whishaw, bekannt aus „Das Parfüm“, könnte seiner Landsfrau Emily Blunt, 33, in „Mary Poppins Returns“ Gesellschaft leisten. Variety zufolge verhandelt er um eine Hauptrolle in der geplanten Fortsetzung des Musical-Klassikers um ein magisches Kindermädchen aus dem Jahr 1964. Der 35-Jährige soll den nun erwachsenen Schützling Michael Banks spielen. Blunt tritt als Mary Poppins die Nachfolge von Julie Andrews an. Regisseur Rob Marshall („Into the Woods“) siedelt die Story im London der 1930er Jahre an. Disney will den Film Weihnachten 2018 in die Kinos bringen. Der erste „Mary Poppins“ war 1964 einer der größten Hollywood-Erfolge. Der Kinofilm nach dem berühmten Kinderbuch von P. L. Travers holte fünf Oscars. (dpa) Unsere Wertungen * sehr schwach ** mäßig *** ordentlich **** sehenswert ***** ausgezeichnet Sonst noch angelaufen ● Antonio, ihm schmeckt’s nicht Die hochschwangere, in Deutschland aufgewachsene Italienerin Sara (Mina Tander) und ihr Ehemann Jan (Christian Ulmen) wollen endlich ihre Flitterwochen nachholen - und zwar ohne Saras Vater Antonio (Alessandro Bressanello) und nicht in Apulien bei der Großfamilie, sondern allein in New York. Aber es kommt ganz anders. Nach etlichen Turbulenzen beim Zoll landet Jan mit seinem renitenten, radebrechenden Schwiegerpapa in der Honeymoon-Suite in New York, während Sara zu Hause der Geburt ihres Kindes entgegenzittert. In der Fortsetzung der Erfolgskomödie «Maria, ihm schmeckt’s nicht!» prallen erneut die unterschiedlichen Mentalitäten lustvoll aufeinander. Regie führte Sven Unterwaldt («7 Zwerge»; «Hilfe, ich habe meine Lehrerin geschrumpft»). (dpa) DONNERSTAG, 18. AUGUST 2016 Viggo Mortensen in Captain Fantastic - Einmal Wildnis und zurück. Im Familiendrama zieht er in der Rolle des Ben Cash seine Kinder auf alternativer Weise auf. Als seine Frau stirbt, ändert sich das Leben der Familie jedoch drastisch. Foto: Universum Film Das antikapitalistische Experiment Captain Fantastic Viggo Mortensen spielt einen Familienvater, der seine Kinder weitab der Gesellschaft aufzieht. Die Konfrontation mit der modernen Welt lässt sich aber nicht vermeiden VON MARTIN SCHWICKERT Weihnachten wird bei den Cashs nicht gefeiert. Die Geburt Jesu ist den bekennenden Atheisten vollkommen egal, aber der Jahrestag des linken Intellektuellen Noam Chomsky wird gebührend begangen. „Happy Chomsky Day“ sagt der Vater Ben (Viggo Mortensen) zu seinen Kindern und verteilt die Geschenke: Angel, Pfeil und Bogen und für die jüngste Tochter ein Jagdmesser, über das sich die Siebenjährige freut, wie andere Kinder über ein iPhone 6. Ben und seine Frau Leslie (Trin Miller) haben vor vielen Jahren der amerikanischen Konsumgesellschaft den Rücken zugekehrt und sich in die Wälder des Pazifischen Nordwesten zurückgezogen, um ihre Kinder in der freien Natur nach ihren eigenen Werten zu erziehen. Morgens geht es erst einmal zum Frühsport durch den Wald oder zum Klettern in eine steile Felswand. Aber die sechs Mädchen und Jungen sind nicht nur athletische Survival-Spezialisten, die es gewohnt sind, das Wild für ihr Mittagessen selbst zu jagen. Sie sind auch philosophisch und literarisch hoch gebildet. Statt abends fernzusehen, sitzen sie zusammen am Lagerfeuer und lesen Dostojewskis Gebrüder Karamasow vor oder machen gemeinsam Musik. Sie diskutieren über philosophische Ideen wie andere in ihrem Alter über die neue Frisur von Justin Bieber. Die Jüngste kann nicht nur den Inhalt der „Bill of Rights“ wiedergeben, sondern die Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung auch einem kritischen Diskurs unterziehen. Auf die Frage, was eine Vergewaltigung sei, bekommt sie von ihrem Vater eine genaue und schonungslose Erklärung. Genauso klar, wahrhaftig und ohne Umschweife berichtet Ben seinen Kindern, dass sich die depressive Mutter im Krankenhaus das Leben genommen hat. Es ist ein herzzerbrechende Szene und gleichzeitig eine Begebenheit voller Würde, weil der Vater seine Töchter und Söhne als vollwertige Menschen ernst nimmt und ihnen nichts vorenthält. Der Tod der Mutter ist der narrative Ausgangspunkt in Matt Ross intelligenten und eigenwilligen Familienporträt „Captain Fantastic“. Denn obwohl der Schwiegervater Ben verbietet zur Beerdigung zu kommen, macht er sich mit seinen Kindern auf nach New Mexico, um der Mutter die letzte Ehre zu erweisen. Auf dem Weg in den Süden werden die Kinder zum ersten Mal mit jener kapitalistischen Gesellschaft konfrontiert, über die sie viel theoretisches Wissen angehäuft haben, ohne wirklich eine Vorstellung davon zu haben. Und die Welt jenseits der Wälder hält einige Überraschungen für sie bereit. „Captain Fantastic“ spiegelt die moderne Konsumgesellschaft, indem er im engsten Familienkreis eine radikale Gegenutopie entwirft und diese ebenso radikal auf den Prüfstand setzt. Ross idealisiert den isolierten Antikapitalismus der Cashs nicht, sondern unterzieht das durchaus skurrile Lebensmodell einer dialektischen Prüfung. Herausgekommen ist dabei einer der interessantesten Filme, den das amerikanische Independent-Kino in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Mit intensiven Bildern aus dem Leben in der Wildnis zieht der Film sein Publikum hinein in eine Welt, die Archaisches mit Intellektuellem nahtlos verbindet. Viggo Mortensen, bekannt aus „Der Herr der Ringe“, ist hervorragend als charismatische Vaterfigur, der es bei der Erziehung der Kinder nicht nur um Indoktrination, sondern um die Anleitung zu selbstständigem Denken geht. Freiheit und Manipulation sind hier zwei Seiten der selben Medaille. Dieses widersprüchliche Betrachtungsprinzip hält der Film mit erstaunlicher Konsequenz durch und stellt damit den gesellschaftlichen Status Quo infrage. Captain Fantastic ist ein Film, der den Zuschauern viel Diskussionsstoff bietet. **** O Filmstart in Ulm Til Schweigers Nesthäkchen Emma hat mit ihren Auftritten in den Filmen ihres Vaters so manchem namhaften Kollegen die Show gestohlen. Nun bekommt das Naturtalent seinen eignen, großen Auftritt. Die 13-jährige schlüpft in die Rolle der beliebten Kinderbuchheldin Conni Klawitter, der junge Leser schon seit ihrem ersten Kindergartentag die Treue halten. Im Film „Conni & Co“ ist die Heldin nun natürlich im Alter ihrer Darstellerin. Der erste Tag in einem ungewohnten Wirkungskreis ist niemals leicht. Für Conni gerät der Einstand in die siebte Klasse einer neuen Schule aber zum Fiasko. Direktor Möller (Heino Ferch) kann Kinder ohnehin schon nicht leiden. Conni schafft es, dass sie der fiese Pauker von Anfang an auf dem Kicker hat. Immerhin ist das Mädchen nicht allein. Auch Connis bester Freund Paul musste die Schule wechseln. Aber die unreifen, angehenden Teenager können eine Freundschaft zwischen Mädchen und Junge nicht akzeptieren. Während Paul solange gehänselt wird, bis er sich nicht neben seine Freundin setzt, schlägt Conni der unverhohlene Hass der Klassen-Tussis entgegen. Regisseurin Franziska Buch nähert sich der beliebten „Conni“-Serie sensibel und respektvoll. Die Kinder werden ernst genommen, während sich die Erwachsenen zum Affen machen. Zwischen Klamauk und Situationskomik bleibt auch Raum für kleine Lebensratschläge. „Conni“ ist übrigens kein reiner „Mädchen-Film“. Auch Jungs werden ihre Identifikationsfiguren finden und Spaß haben. *** O Filmstart in vielen Kinos der Region Emma Schweiger als Conni Klawitter in „Conni & Co“. Foto: Warner Bros Himmelfahrtskommando Eine Frau in der Krise Suicide Squad Mit dabei: Will Smith, Margot Robbie und Jared Leto Alles was kommt Wenn eine Ehe zu Ende geht VON MARCO KREFTING, DPA Bereits vor dem Kinostart von „Suicide Squad“ gab es jede Menge Wirbel. Im vergangenen Jahr schaffte es Oscar-Preisträger Jared Leto während der Dreharbeiten wegen seiner grün-gefärbten Haare für die Rolle des Jokers in die Schlagzeilen. Bevor der Film Anfang dieses Monats dann in die US-Kinos kam, zerrissen einige Kritiker ihn als zu flach. Aus Ärger darüber startete ein Fan gar eine Online-Petition gegen Filmkritiken. Das Branchenmagazin The Hollywood Reporter berichtete unter Berufung auf Insider unter anderem, Warner Bros. Pictures habe sich in die Dreharbeiten eingemischt, die ursprüngliche Version von David Ayer sei den Verantwortlichen zu düster gewesen. Nun müsse der Film mindestens 800 Millionen USDollar einspielen, um als Gewinn verbucht zu werden. Die Geschichte ist tatsächlich recht schnell erzählt: Zwei Fabelwesen mit überirdischen Kräften und einer Armee schleimiger Soldaten wollen die Welt zerstören. Als einzige Gegenwehr sieht eine Geheimagentin einen Trupp aus den gefährlichsten derzeit einsitzenden Kriminellen. Darunter sind der Superschütze Deadshot (Will Smith), die völlig wahnsinnige Harley Quinn (Margot Robbie), ausgestattet mit einem Baseballschläger, sowie ein Pyromane, Messerkünstler und eine wuchtige Ungestalt mit Bärenstärke. In mehreren Kampfszenen können die Verbrecher ihre jeweiligen Talente ausspielen. Und weil in diesem Film die Bösen die Guten sind, gewinnen sie am Ende natürlich. Angeführt werden sie von Colonel Rick Flag (Joel Kinnaman), der das Leben der kaum zu bändigen Superschurken dank injizierter Sprengstoffkapseln per Klick aufs Smartphone auslöschen kann. Da- durch entwickelt sich ein anfangs kaum vorstellbarer Zusammenhalt: „Wenn er stirbt, sterben wir auch“, stellt Deadshot fest. Einzig der immer mal wieder auftauchende Joker vermag dem Film groteske Züge zu verleihen. Tiefgründig ist das nicht wirklich, aber als Popcornkino taugt die Produktion durchaus. Ayer schrieb und inszenierte das Himmelfahrtskommando nach den Figuren aus der US-amerikanischen DC-Comic-Serie, die Ende der 80er Jahre veröffentlicht wurde. ** O Filmstart in vielen Kinos der Region Jared Leto als Joker in „Suicide Squad“. Der Film kommt heute in die deutschen Kinos. Foto: Warner Bros, dpa VON FRED DURAN Die Quintessenz im Werk von Hannah Arendt und vieler anderer Denker des 20. Jahrhundert kann die Philosophielehrerin Nathalie (Isabelle Huppert) ihren Gymnasialschülern in einigen, griffigen Sätzen zusammenfassen. Die banalen Attacken des Lebens treffen sie allerdings vollkommen unvorbereitet. Nach 25 Ehejahren verlässt ihr Mann Heinz (André Marcon), mit dem sie die Liebe zur Philosophie und die gemeinsame Erziehung Kinder verbunden hat, sie ganz pro- Isabelle Huppert spielt Nathalie in „Alles was kommt“. Foto: Ludovic Bergery, dpa fan wegen einer Anderen. Und damit fängt die Verlustbilanz erst an. Die demente Mutter muss ins Pflegeheim. Die erwachsenen Kinder gehen mittlerweile eigene Wege. Sogar ihr früherer Lieblingsschüler und vielversprechender Doktorand verlässt Paris, um in einer Landkommune die Lücke zwischen politischer Theorie und persönlicher Praxis zu schließen. Aber Nathalie ist keine Frau, die sich den Boden unter den Füßen wegziehen lässt. Sie hat ein erfülltes Berufsleben, das nicht nur ihren Alltag in Zeiten der Krise strukturiert, sondern in ihr über die Jahrzehnte ein unerschütterliches Selbstbewusstsein angereichert hat. Das schützt die überzeugte Intellektuelle nicht vor der Leere, die sie weit hinter der Lebensmitte überfällt. Aber es hilft ihr diese Leere als Chance zu begreifen. Die französische Autorenfilmerin Mia Hansen-Løve („Der Vater meiner Kinder“) zeichnet in „Alles was kommt“ ein mitleidloses Bild weiblicher Krisenbewältigung. Es geht hier weniger um Überwindung als um Akzeptanz, in der sich die wahre Größe dieser intellektuellen Alltagsheldin zeigt. *** O Filmstart in Augsburg, Ulm