Abgegrenzte Gemeinschaft«

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Abgegrenzte Gemeinschaft«
so.
LEIPZIG
»Abgegrenzte Gemeinschaft«
Die Leipziger Geografin Franziska Bader untersucht in ihrer Doktorarbeit das Aufkommen
von Gated Communitys in mehreren deutschen Großstädten. Kennengelernt hatte sie das
Phänomen zuvor bei einem Auslandsaufenthalt in der US-Großstadt Miami. Zurück in Leipzig
wollte sie wissen: Werden Gated Communitys auch Deutschlands Städte verändern?
VON CLEMENS HAUG
Sonntag, 22. Februar 2015
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so.Leipzig
»Abgegrenzte Gemeinschaft«
Sie haben Gated Community Projekte in Berlin, Hamburg, München und
Düsseldorf untersucht. Sind gesicherte Wohnanlagen in Deutschland auf
dem Vormarsch?
Zu Beginn der 2000er hat die Öffentlichkeit das Phänomen Gated Community zum ersten Mal in Deutschland wahrgenommen und sofort verworfen. Es
hieß: Die Stadtplanung werde darauf achten, dass öffentliche Bereiche nicht
hinter privaten Mauern verschwinden. Außerdem gebe es keine Nachfrage
nach solchen Wohnanlagen. Die Pionierprojekte galten schnell als gescheitert.
Ich beobachte allerdings: Bislang sind zwar schätzungsweise nur ein halbes
Prozent der angebotenen Wohnungen in Deutschland Teil einer geschlossenen Wohnanlage. Aber es kommen mehr und mehr Projekte hinzu. Meiner
Meinung nach befinden wir uns in einer Initialphase.
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FRANZISKA BADER
untersucht in ihrer Doktorarbeit Gated
Communities in deutschen Großstädten.
Gibt es auf der Welt Beispiele, worauf die Entwicklung hinauslaufen könnte?
In Amerikas Städten sind Gated Communitys inzwischen ein Massenphänomen. Laut einer Schätzung gab es bereits in den 1990er-Jahren bis zu drei
Millionen Wohneinheiten in solchen Siedlungen in den USA. Die Bautätigkeit
hat seitdem nicht abgenommen, also dürften es inzwischen wesentlich mehr
sein. Zu Beginn waren die Communitys ein Thema der Oberschicht, inzwischen gibt es aber auch Wohnanlagen für mittlere und niedrige Einkommen.
In einer solchen Siedlung zu wohnen, gilt allgemein als erstrebenswert.
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Erwartet man solche Anlagen nicht eher in armen Ländern, wo sich Wohlhabende vom Rest der Bevölkerung abschotten wollen?
Natürlich gibt es dafür viele Beispiele, speziell in Südamerika. Ein anderer
Grund sind internationale Arbeitnehmer, die mit der Kultur eines Gastlandes
wenig anfangen können und sich lieber zurückziehen. Das findet man in Singapur oder in Saudi-Arabien.
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GETRENNTE ZUFAHRTEN
Bewohner und Gäste kommen im Polo Club
in Boca Raton (Florida) auf zwei unterschiedlichen Wegen in die Gated Community.
Welchen Sinn macht so eine abgegrenzte Wohnlage dann in einem Land wie
den USA, wo die Unterschiede zwischen Arm und Reich nicht so gewaltig
und die Bewohner kulturell zu Hause sind?
Es gibt vielfältige Gründe, warum Menschen in so eine Siedlung ziehen. Angst
und erhöhte Sicherheitsbedürfnisse sind nur zwei davon. Natürlich gibt es
Gated Communitys für die oberen fünf Prozent der Gesellschaft, also für die
Superreichen oder für berühmte Schauspieler, die Privatsphäre suchen. Daneben werden aber auch andere Zielgruppen angesprochen. Es gibt Communitys
für Familien mit Spielplätzen und Straßen ohne Autoverkehr. Oder für Rentner: Dort leisten sich ältere Menschen gemeinsam einen eigenen Golfplatz,
manchmal auch ein Schwimmbad oder ein Gemeinschaftshaus, wo man sich
treffen und Karten spielen kann. Manchmal haben die eigene Angestellte, die
Programme mit den Rentnern veranstalten, etwa Theateraufführungen oder
Abendtanz und ähnliches.
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Das klingt, als handele es sich bei einer Gated Community um eine Art Ferienressort.
Das stimmt und ist auch kein Zufall. Ferienressorts waren oftmals die Vorbilder, an denen sich die Bauunternehmer bei den Gated Communitys orientiert
haben. Warum nicht immer Ferien haben? Der Phantasie ist keine Grenze gesetzt, welche Annehmlichkeiten ein solches Projekt bieten kann.
waren
» Ferienressorts
oftmals die Vorbilder,
an denen sich die Bauunternehmer bei den
Gated Communitys
orientiert haben.
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In Deutschland sind Schwimmbäder öffentliche Einrichtungen. Warum bauen Gated Communitys in den USA ihre eigenen Pools?
Das kommunale System in den USA funktioniert ganz anders, als das in
Deutschland. Es gibt deutlich weniger öffentliche Einrichtungen, denn dort
wird das Problem gesehen: Man zahlt Steuern, von denen dann beispielsweise
ein Schwimmbad gebaut wird, dass dann aber auch die nutzen, die keine oder
weniger Steuern bezahlt haben. In einer Gated Community können die bezahlenden Bewohner ihren Pool exklusiv nutzen und dürfen auch allein darüber
bestimmen, was mit ihm geschehen soll. Der Gedanke der Selbstversorgung
ist viel stärker ausgeprägt.
Wie wird diese Selbstversorgung praktisch geregelt?
Es gibt sogenannte Homeowner Associations, in denen man Mitglied werden
muss, wenn man ein Haus in einer Gated Community kauft. Diese Vereinigung
ist im Prinzip eine kleine Regierung. Ein gewählter Vorstand trifft Entschei-
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Sonntag, 22. Februar 2015
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dungen, bei regelmäßigen Versammlungen wird gemeinsam abgestimmt über
Fragen wie: Wann soll das Tor geschlossen bleiben? Braucht es auch tagsüber
über einen Wachmann? Oder auch: Darf jemand sein Haus rot streichen? Wie
geht man mit den Problemen eines bestimmten Nachbarn um?
Klingt, als müsse man viel Privatsphäre aufgeben, wenn man in eine solche
Siedlung zieht.
Das ist in der Tat sehr widersprüchlich. Einerseits suchen die Kunden einen
Rückzug in einen privaten Raum mit Komfort und Ausstattung. Andererseits
opfern sie dafür Freiheiten und ein Stück Privatheit, weil sie plötzlich mit einer viel engeren Nachbarschaft konfrontiert sind. In einigen Fällen hat das zu
Gerichtsverfahren geführt. Ein Nachbar hat seinen Müll vor der Haustür stehen gelassen, deswegen hat ihn die Gemeinschaft der Bewohner verklagt. Der
Betroffene hält dagegen: Ich bin Amerikaner und habe garantierte Freiheiten.
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KAMERA- UND NACHBARÜBERWACHT
Angst und erhöhte Sicherheitsbedürfnisse
seien laut Franziska Bader nur zwei Gründe,
warum Menschen sich in solchen Siedlungen
abschotten. Viele Gated Communitys haben
einen eigenen Wachschutz.
Nach dieser Beschreibung ist eine Gated Community eigentlich sehr viel
mehr, als nur eine Wohnanlage mit einem Wachschutz.
Richtig. Deshalb gibt es in der Forschung viel Diskussion darüber, wann man
eine Siedlung wirklich als Gated Community ansieht. Denn nicht immer sind
solche Projekte auch soziale Gemeinschaften. Nach meinem Verständnis
reicht eine Mauer allein noch nicht aus. Wir Deutschen ziehen schon immer
um alles einen Zaun. Unter anderem habe ich ein Projekt in Berlin untersucht.
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entzündet sich
» Kritik
meistens dann, wenn
man eine Kamera
installiert oder eine
Mauer zieht.
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Dort hatten sich die Bewohner gemeinsam entschlossen: Das Tor kann tagsüber ruhig offen bleiben, wir wollen uns gar nicht abgrenzen. Zugleich zeigte sich: Sie haben sich gemeinschaftlich über ihre kleine Anlage miteinander
verbunden gefühlt. Plötzlich gab es ein Außen und ein Innen. Das entspricht
dann schon eher einer Gated Community, also einer abgegrenzten Gemeinschaft.
Warum gibt es in Deutschland so viel Kritik an solchen Projekten? Mit den
Nachbarn eine soziale Gemeinschaft, einen Zusammenhalt zu formen, ist
doch etwas Positives.
Kritik entzündet sich meistens dann, wenn man eine Kamera installiert oder
eine Mauer zieht. Wenn dann auf Plakaten steht: Hier wohnen Sie sicher und
luxuriös. Dann wirkt das wie der Rückzug von Menschen aus der Gesellschaft.
Außerhalb der Mauern liegt dann die Stadt, die im Gegensatz zur Wohnanlage
nicht immer schön und sauber ist, die sehr viel mehr ausmacht. Eine andere
sehr entscheidende Frage ist, wo in der Stadt solche Gated Communitys entstehen.
Warum?
Vor allem in Amerika sind die Wohnanlagen in den Vorstädten zu finden, wo
viel Platz ist. Das ist jetzt in Deutschland oder auch teilweise in Osteuropa,
wo viele neue Projekte gebaut werden, ganz anders. Hier lautet der Trend:
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Sonntag, 22. Februar 2015
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so.Leipzig
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Zurück in die Stadt. Deshalb versuchen Bauunternehmen nun die Vorzüge der
Zentren mit denen der Stadtränder zu verbinden. In der Konsequenz wirken
die neuen Projekte dann wie ein Vorort, der in die Stadt eingepflanzt wird.
Auch das gefällt nicht jedem.
Wo in unseren Innenstädten ist überhaupt Platz für solche Wohnanlagen?
Unter anderem gibt es viele alte leerstehende Fabriken, die nicht mehr für die
Produktion gebraucht werden. Aus diesen riesigen Arealen macht man nun
Wohnanlagen. Das hat den Vorteil, dass Mauern nicht neu errichtet werden
müssen, sondern diese Grundstücke im Prinzip schon immer abgegrenzt waren. Dadurch fallen die neuen Zäune nicht so sehr auf.
Können Gated Communitys den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden?
Das kann eine Konsequenz sein. In den USA gibt es Gemeinschaften, wo die
Bewohner sogar selbst die Müllentsorgung organisieren. Die haben bei ihren
lokalen Behörden dann gefordert, keine Steuern mehr zu bezahlen und deswegen auch Gerichtsverfahren angestrengt.
Halten Sie es für wahrscheinlich, dass es bei uns so weit kommt?
Eher nicht. Unsere Stadtgesellschaft ist anders aufgebaut und geprägt. Allerdings wird es zunehmend Menschen geben, die sagen, ich möchte in einen
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BESTENS GESICHERT
Die Gated Community Twin Lakes in
Sanford (Florida) ist eine abgeschlossene
Wohnsiedlung für sich.
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Ruhepol nach Hause kommen und dort gewisse Annehmlichkeiten vorfinden.
Es ist ja auch kein Zufall, dass sich besonders viele dieser Projekte in großen
Weltstädten befinden. Denn die Bewohner sind häufig hoch mobile Menschen. Die haben ein aufregendes, bewegtes Arbeitsleben und wollen nach
Feierabend an einen sorglosen Zufluchtsort zurückkehren.
Mauern können
» Die
ein Hindernis sein,
aber auch ein Signal,
hier gibt es etwas zu
holen.
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Welche Annehmlichkeiten erwarten solche Kunden?
Viele der Projekte, die ich untersucht habe, sind als Apartmentkomplexe
strukturiert. Unten am Eingang sitzt ein Concièrge, der einerseits für die Sicherheit zuständig ist, der aber bei Abwesenheit auch mal die Blumen gießt,
kurz vor der Rückkehr den Kühlschrank auffüllt oder Kleidung in die Reinigung
bringt und abholt.
Eine Art Butler also.
Im Prinzip ja. Den Concièrge teilt man sich jedoch mit den anderen Nachbarn.
Und wenn Fremde versuchen hinein zu gehen, werden sie sofort angesprochen: Wer sind Sie, zu wem wollen Sie?
Senken die Mauern und Kameras einer Gated Community die Gefahr von
Einbrüchen?
Die Mauern können ein Hindernis sein, aber auch ein Signal, hier gibt es etwas zu holen. Das passiert auch, wie ich von Zeitungsberichten in den USA
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Sonntag, 22. Februar 2015
Sonntag, 22. Februar 2015
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so.Leipzig
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weiß. Dabei zeigte sich dann oft ein neues Problem: Kam es zu einem Notfall,
brauchten Polizei und Feuerwehr lange, um überhaupt zum Einsatzort zu gelangen. Die Mauern erschwerten den Zugang für die Rettungskräfte.
Verteuern sich Mieten und Grundstücke in Stadtvierteln, in denen Gated
Communitys gebaut werden?
Das kann man nicht eindeutig beantworten, denn die Forschungsergebnisse
sind da sehr widersprüchlich. Die einen sagen, die Projekte selbst hätten die
Preise in die Höhe getrieben, die anderen, der Preisanstieg sei Konsequenz
einer allgemeinen Aufwertung des Stadtteils.
MASSENPHÄNOMEN
Schätzungsweise gab es schon in der 1990erJahren über drei Millionen Wohneinheiten
in Gated Communitys in den Vereinigten
Staaten. Florida rangiert bei der Anzahl abgeschlossener Wohnbezirke auf Platz zwei
hinter Kalifornien.
Sehen Forscher auch positive Folgen durch den Bau dieser Siedlungen?
Ja, durchaus. Manche Autoren loben, dass leerstehende Areale wiederbelebt
und aufgewertet werden. In Südamerika sehen einige Forscher positive Effekte für den Arbeitsmarkt. Eine Fallstudie hat eine Gated Community in Argentinien in einem Vorort von Buenos Aires untersucht. Dort wurden Putzkräfte
oder Sicherheitsleute aus der Nachbarschaft angeworben. Überhaupt ist Kultur sehr entscheidend dafür, wie Gated Communitys angesehen werden. In
Asien gibt es beispielsweise überhaupt keine Kritik, im Gegenteil. Lokalpolitiker geben sich jede Mühe, den Neubau der Anlagen zu fördern. Viele Menschen hoffen, sich selbst irgendwann den Einzug in einer Community leisten
N
zu können.