manteltarifvertrag der versicherungswirtschaft
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manteltarifvertrag der versicherungswirtschaft
Stellungnahme des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. zur Zukunft des Verbots der Gewährung von Sondervergütungen und der Schließung von Begünstigungsverträgen Konsultation 04/2012 VA 31-I 4318-2012/0002 Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. Wilhelmstraße 43 / 43 G, 10117 Berlin Postfach 08 02 64, 10002 Berlin Tel.: +49 30 2020-5420 Fax: +49 30 2020-6422 51, rue Montoyer B - 1000 Brüssel Tel.: +32 2 28247-30 Fax: +32 2 28247-39 Ansprechpartner: Wolfgang Marzin Außendienst und Maklerfragen E-Mail: [email protected] www.gdv.de Die deutsche Versicherungswirtschaft setzt sich nachdrücklich in Erwägung insbesondere folgender Gründe für die Beibehaltung der bestehenden Provisionsabgabeverbote ein: • • • • • • • • • • • • Zur Wahrung der Gleichbehandlung sind die Verbote zwingend erforderlich. Die bestehenden Verbote schützen den Verbraucher vor übereilten Vertragsschlüssen. Die Verbote unterstützen eine hohe Beratungsqualität der Versicherungsvermittler. Aus Transparenzgründen ist eine Beibehaltung der Verbote geboten. Ein Wegfall der Verbote begünstigt in erster Linie sachkundig, aggressiv vorgehende „Verhandler“; der „einfache Bürger“ geht in der Regel leer aus. Legalisierte Provisionsabgaben verlagern den Wettbewerb vom Produkt auf die Versicherungsvermittler. Mögliche Prämiensteigerungen als Folge des Wegfalls des Provisionsabgabeverbotes könnten die Gesamtheit der Versicherungsnehmer treffen. Eine Aufhebung der bestehenden Verbote konterkariert die zum 1. April 2012 eingeführten gesetzlichen Regelungen zur Provisionsmaximierung in der Krankenversicherung und zur Stornohaftung in der Lebens- und Krankenversicherung. Das Provisionsabgabeverbot ist zur Existenzsicherung der Versicherungsvermittler unerlässlich. Die bestehenden Provisionsabgabeverbote stehen mit den Regeln des europäischen Kartellrechts im Einklang. Bei einem Wegfall der Verbote ist mit Steuerausfällen zu rechnen. Die Gewährung von geringfügigen Zuwendungen, die nicht von einem Vertragsabschluss abhängig gemacht wird, soll möglich sein. Seite 2 / 8 I. Die für die Schaden- und Unfallversicherung sowie private Krankenund Lebensversicherung bestehenden Verbote sind unbedingt aufrechtzuerhalten. Die Verbote stellen ein wichtiges Regulativ im Verhältnis zwischen Versicherungsnehmern, Vermittlern und Versicherungsunternehmen dar und sind insbesondere vor dem Hintergrund der neuen Regelungen für Versicherungsvermittler und den Regelungen des neuen Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) von besonderer Bedeutung. II. Wesentliche Zielsetzung ist die Wahrung der Gleichbehandlung. Es soll gewährleistet werden, dass nicht Einzelne oder eine Gruppe von Versicherten zu Lasten der übrigen Versicherten eines Versicherungsunternehmens bevorzugt werden. III. Die bestehenden Verbote dienen in hohem Maße dem Verbraucherschutz. Bei einem Wegfall der Verbote ist zu befürchten, dass sich Kunden durch Versicherungsvermittler vermehrt zu übereilten Vertragsabschlüssen durch Angebote der Provisionsabgabe animieren lassen. Die bestehenden Provisionsabgabeverbote wirken diesem übereilten Handeln entgegen. IV. Die bestehenden Verbote unterstützen nicht einen auf reinen Provisionsinteressen basierten Vertrieb, wie dies von Kritikern der Verbote oft vorgebracht wird. Dies wird insbesondere dadurch deutlich, dass Versicherungsvertretern, die ausschließlich für ein Versicherungsunternehmen tätig sind und in Deutschland einen Marktanteil von nahezu 80 % repräsentieren, eine provisionsorientierte Vermittlung praktisch nicht möglich ist. Diese in Deutschland vorherrschende Vermittlergruppe bietet ausschließlich die Produkte eines Versicherungsunternehmens an. Ein Angebot von unternehmensfremden Produkten ist vertraglich untersagt und könnte zu fristlosen Kündigungen unter Wegfall des gesetzlich bestehenden Ausgleichsanspruches nach § 89b HGB führen. V. Die Verbote unterstützen eine hohe Beratungsqualität der Vermittler als Grundlage für die Vertrauensbildung beim Kunden. Vor dem Hintergrund notwendiger Eigenvorsorge zur Sicherung der Grundbedürfnisse im Alter ist das Vertrauen der Verbraucher notwendige Voraussetzung. Eine qualitativ hochwertige Beratung kostet Geld. Die Vermittler sind bereit unter der Bedingung einer angemessenen Vergütung, diese Beratungsleistung zu erbringen. Gerade bei den Seite 3 / 8 beratungsintensiven Produkten der Altersvorsorge, die im Vergleich zu einfachen standardisierten Produkten naturgemäß höher vergütet werden, ist mit gesteigerter Nachfrage nach Abgabe von Vergütungsteilen seitens der Kunden zu rechnen. Der dadurch entstehende Wettbewerbsdruck, dem die Vermittler ausgesetzt sein werden, wird sich unmittelbar auswirken. Dieser kann die Beratungsqualität, insbesondere bei komplexeren Produkten, die eine intensive Beratung erfordern, wie z. B. Altersvorsorgeprodukte, beeinflussen. VI. Die Sicherung der Beratungsqualität gewährleistet einen hohen Verbraucherschutzstandard. Aus diesem Grund ist auch ein Eingriff in die durch Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit gerechtfertigt. Ein milderes Mittel als das Provisionsabgabeverbot ist nicht ersichtlich. Insbesondere die Einführung der Honorarberatung wäre kein milderes Mittel. Denn die Honorarberatung würde die Bereitschaft der Verbraucher senken, eine solche Beratung in Anspruch zu nehmen, da die Verbraucher die Kosten selbst tragen müssten. Im Rahmen einer Abwägung zwischen dem Eingriff in die Berufsfreiheit und den Zielen des Allgemeinwohls überwiegt deshalb das Allgemeinwohl, insbesondere im Hinblick auf die breite Absicherung der Beratungsqualität. VII. Die Markttransparenz ist in einem deregulierten Markt, wie er seit Mitte der neunziger Jahre im Versicherungsbereich besteht, zwangsläufig durch die Vielzahl an Produkten und Produktvarianten eingeschränkt. Das Verbot ist daher seinerzeit u. a. mit dem Argument, die Transparenz nicht weiter zu vermindern, ausdrücklich aufrechterhalten worden (BT-Drs. 12/795, S. 109). Andernfalls müsste sich der Verbraucher in einem unübersichtlicher gewordenen Markt neben den verschiedenen Produkteigenschaften und Prämienhöhen auch noch mit Fragen der Vermittlervergütung befassen, die sehr unterschiedlich ausgestaltet ist. VIII. Besondere Bedeutung erlangen die Verbote im Zusammenhang mit den durch die neuen Regelungen des VVG bestehenden Informationspflichten. Im Bereich der Lebens-, Kranken- und Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr sind aufgrund der Informationspflichtenverordnung die einkalkulierten Abschluss- und Vertriebskosten gegenüber dem Kunden in Euro offenzulegen. Diese Offenlegungspflicht bedingt, dass dem Kunden relativ hohe Beträge offeriert werden, die die tatsächlich gezahlte Vergütung für den jeweiligen Seite 4 / 8 Versicherungsvertrag in der Regel übersteigen. Es ist davon auszugehen, dass sich viele Kunden aufgrund dieser Nennung vermehrt veranlasst fühlen, mit dem Versicherungsvermittler über dessen Vergütung zu „verhandeln“. Wäre dem Versicherungsvermittler in diesem Fall der Hinweis auf die bestehenden Provisionsabgabeverbote genommen, würde dies zu fatalen Verhältnissen im Versicherungsvertrieb führen. Der Wettbewerb würde vom Produkt verlagert hin zu den Versicherungsvermittlern. Allein der vom Vermittler gewährte Nachlass würde in großem Maße den Ausschlag für den Abschluss eines Versicherungsvertrages geben. IX. Ein Fortfall der Verbote hätte zur Folge, dass zwar einige Versicherungsnehmer von der Provisionsabgabe profitieren würden, die Versicherungsvermittler wegen ihrer Einbußen bei den Versicherungsunternehmen aber höhere Provisionen fordern müssten. Es bestünde die Gefahr, dass aufgrund höherer Provisionsforderungen der Versicherungsschutz für den einzelnen Versicherungsnehmer teurer werden könnte. Nur einzelne sachkundige, aggressiv vorgehende „Verhandler“ würden auf Kundenseite profitieren. Bei Fortfall der Provisionsabgabeverbote ist der Gleichbehandlungsgrundsatz tangiert. X. Ein Wegfall der bestehenden Provisionsabgabeverbote würde die zum 1. April 2012 eingeführten Regelungen zur Provisionsdeckelung in der Krankenversicherung sowie der Stornohaftzeitregelungen in der Lebens- und Krankenversicherung konterkarieren. Es besteht die Gefahr, dass Provisionen, die unter der gesetzlichen Stornohaftung stehen, an Kunden weitergegeben werden, wobei dann bei vorzeitigen Vertragsstornierungen durch den Kunden Konflikte zwischen Vermittler und diesem wahrscheinlich sind. Eine Erlaubnis zur Werbung mit einer Provisionsabgabe schafft zudem Anreize zu Vertragsumdeckungen. Gerade dies sollte aber mit der Regelung zur Provisionsdeckelung in der Krankenversicherung und mit den Regelungen zur Stornohaftzeit vermieden werden. XI. Darauf hinzuweisen ist, dass Versicherungsvermittler ihre Beratungsleistungen, die nicht zu einem Vertragsschluss führen, gegenüber dem Kunden unentgeltlich erbringen. Dieser teils hohe Aufwand der Vermittler kann nur kompensiert werden, wenn für die erfolgreiche Vermittlung eine angemessene Vergütung erfolgt. Durch Seite 5 / 8 einen Wegfall der Provisionsabgabeverbote ist diese für den Vermittler notwendige Quersubventionierung gefährdet. XII. Die Einhaltung der Verbote kann sichergestellt werden. Einzelne Verstöße gegen die Anordnungen zum Provisionsabgabeverbot lassen sich naturgemäß zwar nicht verhindern, sondern nur bußgeldrechtlich verfolgen. Darüber hinaus ist zur Durchführung der rechtlich begründeten Regelungen bereits 1971 die „Wiesbadener Vereinigung“ gegründet worden, die in enger Zusammenarbeit mit der BaFin ebenfalls dafür Sorge trägt, dass die verbindlichen Regelungen eingehalten werden. Die durchgeführten Verfahren zeigen die Wirksamkeit dieser Maßnahmen. XIII. Es besteht die Gefahr, dass Versicherungsvermittler, die in der Regel sozialversicherungspflichtige Angestellte beschäftigen, einen Großteil ihres Einkommens aufgrund des mit dem Wegfall der Provisionsabgabeverbote einhergehenden Provisionsdrucks einbüßen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass sehr viele Vermittler, die jetzt noch mit den erwirtschafteten Provisionen ihre Existenz sichern können, durch eine geringere Anzahl von wirtschaftlich besser gestellten Vermittlern, die sich Provisionsabgaben leisten können, vom Markt gedrängt werden. Dies würde für viele Selbstständige sowie für die bei ihnen beschäftigten sozialversicherungspflichtigen Angestellten oft den Weg in die Arbeitslosigkeit bedeuten. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass in der Branche neben über 250.000 selbstständigen Versicherungsvermittlern auch ca. 40.000 Angestellte im sog. Werbeaußendienst tätig sind, auf die der Manteltarifvertrag der Versicherungswirtschaft Anwendung findet. Diese erhalten in der Regel eine Vergütung auf der Basis des jeweils gültigen Gehaltstarifvertrages sowie Provisionen für vermitteltes Geschäft, wobei die Provisionen grundsätzlich auf das tarifvertragliche Mindesteinkommen angerechnet werden. Das tarifliche Mindesteinkommen beträgt für diesen Kreis aktuell im 1. Beschäftigungsjahr 1.810 Euro brutto. Ein Wegfall der Provisionsabgabeverbote würde den Zweck des Manteltarifvertrages unterlaufen und den strukturell im Angestelltenverhältnis verankerten sozialen Sicherungszweck gefährden. Die arbeitsrechtliche Mindestvergütungsstruktur wäre nicht mehr gewährleistet. Die bestehenden Verbote dienen mithin auch dazu, das Existenzminimum der Vermittler im Angestelltenbereich zu sichern. Seite 6 / 8 XIV. Das Provisionsabgabeverbot steht sowohl in der Kranken- und Schadens- als auch in der Lebensversicherung mit Europäischem Kartellrecht in Einklang. Der Europäische Gerichtshof hat bereits 1993 in seiner als „Fall Meng" bekannten Entscheidung für den Bereich der Kranken- und Schadensversicherung ausdrücklich festgestellt, dass die staatlichen Regelungen, durch die es Versicherungsvermittlern untersagt ist, die von den Versicherungsgesellschaften erhaltenen Provisionen ganz oder teilweise an ihre Kunden abzugeben, mit den Regeln den Vorschriften des EWG-Vertrags (heute AEUV) vereinbar sind. Ebenso begründet aber auch das Provisionsabgabeverbots in der Lebensversicherung keinen Verstoß gegen Europäisches Kartellrecht. Zwar kann nach der Rechtsprechung des EuGH bei staatlichen Maßnahmen ein Verstoß gegen europäisches Recht vorliegen, wenn hierdurch eine zuvor bestehende Kartellabsprache „verstärkt“ wird. Anders als in der Kranken- und Schadensversicherung hat es Anfang des 20. Jahrhunderts im Bereich der Lebensversicherung in der Tat privatwirtschaftliche Vereinbarungen gegeben. Allerdings existierte zu diesem Zeitpunkt kein europarechtliches oder anderweitiges Kartellverbot, welches diesen privatrechtlichen Vereinbarungen bzw. dem Erlass der Verordnung im Jahre 1934 entgegengestanden hätte. Eine Anwendung der Europäischen Kartellrechtsvorschriften auf vor ihrem Inkrafttreten abgeschlossene Sachverhalte ist aufgrund des auch vom EuGH anerkannten Rückwirkungsverbotes nicht zulässig. Ferner kann aufgrund des langen zeitlichen Abstands (fast ein Jahrhundert) zwischen den Vereinbarungen und einer heute erlassenen gesetzlichen Regelung kaum mehr von einem Zusammenhang im Sinne der EuGH-Rechtsprechung die Rede sein. Abgesehen davon wird der Zusammenhang durch das nunmehr eingeleitete Konsultationsverfahren der BaFin unterbrochen. Schließlich fehlt auch ein verbotswidriger Zusammenhang zwischen den Absprachen und der gesetzlichen Regelung. Der Gesetzgeber hat das Provisionsabgabeverbot damals nicht etwa zu dem Zweck, die bestehenden privatrechtlichen Absprachen zu bestärken, sondern aus Gründen des Allgemeininteresses erlassen. XV. Hinzuweisen ist auch auf steuerliche Aspekte. Eine Aufhebung der Provisionsabgabeverbote würde dazu führen, dass eine Weiterleitung von Vergütungsteilen den steuerlichen Gewinn der Vermittler mindert. Sofern es sich um Vergütungen handelt, die den Abschluss privater Versicherungen betreffen, ist nicht sichergestellt, ob der Seite 7 / 8 Versicherungsnehmer die empfangenen Zahlungen im Rahmen seiner Steuererklärung berücksichtigt. Im Ergebnis würden sich bei der Aufhebung der bestehenden Verbote Steuermindereinnahmen ergeben. XVI. Das Provisionsabgabeverbot ist auch nicht zu unbestimmt formuliert. Der anderslautenden Auffassung des VG Frankfurt am Main aus Oktober 2011, auf die auch in der Konsultation verwiesen wird, ist nicht zuzustimmen. Es ist richtig, dass mit dem Begriff „Sondervergütung“ ein unbestimmter Rechtsbegriff verwendet wird. Deren Verwendung ist jedoch zulässig, solange die Grenzen des durch den Rechtsbegriff eröffneten Spielraums abgesteckt sind. Die jahrzehntelange Praxis des Provisionsabgabeverbots hat gezeigt, dass hier keinerlei Unsicherheiten vorhanden sind, die eine verfassungswidrige Unbestimmtheit nahelegen. Dies gilt auch für europäische Bestimmtheitsvorgaben. XVII. Geringwertige Zuwendungen sollten im Rahmen von Werbeaktionen, Weiterempfehlungen oder z. B. Kundenbetreuungsmaßnahmen möglich sein. Diese Art der Zuwendungen ist nicht zu beanstanden, da sie in der Regel nicht geeignet ist, den Kunden in seiner Abschlussentscheidung zu beeinflussen. Aus den genannten Gründen ist aus Sicht der Versicherungswirtschaft an den bestehenden Verboten festzuhalten. Berlin, 25.05.2012 Seite 8 / 8