manteltarifvertrag der versicherungswirtschaft

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manteltarifvertrag der versicherungswirtschaft
Stellungnahme
des
Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V.
zur Zukunft des Verbots der Gewährung von Sondervergütungen und der Schließung von Begünstigungsverträgen
Konsultation 04/2012
VA 31-I 4318-2012/0002
Gesamtverband der Deutschen
Versicherungswirtschaft e. V.
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Die deutsche Versicherungswirtschaft setzt sich nachdrücklich in Erwägung insbesondere folgender Gründe für die Beibehaltung der bestehenden Provisionsabgabeverbote ein:
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Zur Wahrung der Gleichbehandlung sind die Verbote zwingend erforderlich.
Die bestehenden Verbote schützen den Verbraucher vor übereilten
Vertragsschlüssen.
Die Verbote unterstützen eine hohe Beratungsqualität der Versicherungsvermittler.
Aus Transparenzgründen ist eine Beibehaltung der Verbote geboten.
Ein Wegfall der Verbote begünstigt in erster Linie sachkundig, aggressiv vorgehende „Verhandler“; der „einfache Bürger“ geht in der
Regel leer aus.
Legalisierte Provisionsabgaben verlagern den Wettbewerb vom
Produkt auf die Versicherungsvermittler.
Mögliche Prämiensteigerungen als Folge des Wegfalls des Provisionsabgabeverbotes könnten die Gesamtheit der Versicherungsnehmer treffen.
Eine Aufhebung der bestehenden Verbote konterkariert die zum
1. April 2012 eingeführten gesetzlichen Regelungen zur Provisionsmaximierung in der Krankenversicherung und zur Stornohaftung
in der Lebens- und Krankenversicherung.
Das Provisionsabgabeverbot ist zur Existenzsicherung der Versicherungsvermittler unerlässlich.
Die bestehenden Provisionsabgabeverbote stehen mit den Regeln
des europäischen Kartellrechts im Einklang.
Bei einem Wegfall der Verbote ist mit Steuerausfällen zu rechnen.
Die Gewährung von geringfügigen Zuwendungen, die nicht von einem Vertragsabschluss abhängig gemacht wird, soll möglich sein.
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I.
Die für die Schaden- und Unfallversicherung sowie private Krankenund Lebensversicherung bestehenden Verbote sind unbedingt aufrechtzuerhalten. Die Verbote stellen ein wichtiges Regulativ im Verhältnis zwischen Versicherungsnehmern, Vermittlern und Versicherungsunternehmen dar und sind insbesondere vor dem Hintergrund
der neuen Regelungen für Versicherungsvermittler und den Regelungen des neuen Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) von besonderer Bedeutung.
II.
Wesentliche Zielsetzung ist die Wahrung der Gleichbehandlung. Es
soll gewährleistet werden, dass nicht Einzelne oder eine Gruppe von
Versicherten zu Lasten der übrigen Versicherten eines Versicherungsunternehmens bevorzugt werden.
III.
Die bestehenden Verbote dienen in hohem Maße dem Verbraucherschutz. Bei einem Wegfall der Verbote ist zu befürchten, dass sich
Kunden durch Versicherungsvermittler vermehrt zu übereilten Vertragsabschlüssen durch Angebote der Provisionsabgabe animieren
lassen. Die bestehenden Provisionsabgabeverbote wirken diesem
übereilten Handeln entgegen.
IV.
Die bestehenden Verbote unterstützen nicht einen auf reinen Provisionsinteressen basierten Vertrieb, wie dies von Kritikern der Verbote oft vorgebracht wird. Dies wird insbesondere dadurch deutlich,
dass Versicherungsvertretern, die ausschließlich für ein Versicherungsunternehmen tätig sind und in Deutschland einen Marktanteil
von nahezu 80 % repräsentieren, eine provisionsorientierte Vermittlung praktisch nicht möglich ist. Diese in Deutschland vorherrschende Vermittlergruppe bietet ausschließlich die Produkte eines Versicherungsunternehmens an. Ein Angebot von unternehmensfremden
Produkten ist vertraglich untersagt und könnte zu fristlosen Kündigungen unter Wegfall des gesetzlich bestehenden Ausgleichsanspruches nach § 89b HGB führen.
V.
Die Verbote unterstützen eine hohe Beratungsqualität der Vermittler
als Grundlage für die Vertrauensbildung beim Kunden. Vor dem Hintergrund notwendiger Eigenvorsorge zur Sicherung der Grundbedürfnisse im Alter ist das Vertrauen der Verbraucher notwendige Voraussetzung. Eine qualitativ hochwertige Beratung kostet Geld. Die
Vermittler sind bereit unter der Bedingung einer angemessenen
Vergütung, diese Beratungsleistung zu erbringen. Gerade bei den
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beratungsintensiven Produkten der Altersvorsorge, die im Vergleich
zu einfachen standardisierten Produkten naturgemäß höher vergütet
werden, ist mit gesteigerter Nachfrage nach Abgabe von Vergütungsteilen seitens der Kunden zu rechnen. Der dadurch entstehende Wettbewerbsdruck, dem die Vermittler ausgesetzt sein werden,
wird sich unmittelbar auswirken. Dieser kann die Beratungsqualität,
insbesondere bei komplexeren Produkten, die eine intensive Beratung erfordern, wie z. B. Altersvorsorgeprodukte, beeinflussen.
VI.
Die Sicherung der Beratungsqualität gewährleistet einen hohen Verbraucherschutzstandard. Aus diesem Grund ist auch ein Eingriff in
die durch Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit gerechtfertigt. Ein
milderes Mittel als das Provisionsabgabeverbot ist nicht ersichtlich.
Insbesondere die Einführung der Honorarberatung wäre kein milderes Mittel. Denn die Honorarberatung würde die Bereitschaft der
Verbraucher senken, eine solche Beratung in Anspruch zu nehmen,
da die Verbraucher die Kosten selbst tragen müssten. Im Rahmen
einer Abwägung zwischen dem Eingriff in die Berufsfreiheit und den
Zielen des Allgemeinwohls überwiegt deshalb das Allgemeinwohl,
insbesondere im Hinblick auf die breite Absicherung der Beratungsqualität.
VII. Die Markttransparenz ist in einem deregulierten Markt, wie er seit
Mitte der neunziger Jahre im Versicherungsbereich besteht, zwangsläufig durch die Vielzahl an Produkten und Produktvarianten eingeschränkt. Das Verbot ist daher seinerzeit u. a. mit dem Argument,
die Transparenz nicht weiter zu vermindern, ausdrücklich aufrechterhalten worden (BT-Drs. 12/795, S. 109). Andernfalls müsste sich
der Verbraucher in einem unübersichtlicher gewordenen Markt neben den verschiedenen Produkteigenschaften und Prämienhöhen
auch noch mit Fragen der Vermittlervergütung befassen, die sehr
unterschiedlich ausgestaltet ist.
VIII. Besondere Bedeutung erlangen die Verbote im Zusammenhang mit
den durch die neuen Regelungen des VVG bestehenden Informationspflichten. Im Bereich der Lebens-, Kranken- und Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr sind aufgrund der Informationspflichtenverordnung die einkalkulierten Abschluss- und Vertriebskosten gegenüber dem Kunden in Euro offenzulegen. Diese Offenlegungspflicht bedingt, dass dem Kunden relativ hohe Beträge offeriert
werden, die die tatsächlich gezahlte Vergütung für den jeweiligen
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Versicherungsvertrag in der Regel übersteigen. Es ist davon auszugehen, dass sich viele Kunden aufgrund dieser Nennung vermehrt
veranlasst fühlen, mit dem Versicherungsvermittler über dessen
Vergütung zu „verhandeln“. Wäre dem Versicherungsvermittler in
diesem Fall der Hinweis auf die bestehenden Provisionsabgabeverbote genommen, würde dies zu fatalen Verhältnissen im Versicherungsvertrieb führen. Der Wettbewerb würde vom Produkt verlagert
hin zu den Versicherungsvermittlern. Allein der vom Vermittler gewährte Nachlass würde in großem Maße den Ausschlag für den Abschluss eines Versicherungsvertrages geben.
IX.
Ein Fortfall der Verbote hätte zur Folge, dass zwar einige Versicherungsnehmer von der Provisionsabgabe profitieren würden, die Versicherungsvermittler wegen ihrer Einbußen bei den Versicherungsunternehmen aber höhere Provisionen fordern müssten. Es bestünde die Gefahr, dass aufgrund höherer Provisionsforderungen der
Versicherungsschutz für den einzelnen Versicherungsnehmer teurer
werden könnte. Nur einzelne sachkundige, aggressiv vorgehende
„Verhandler“ würden auf Kundenseite profitieren. Bei Fortfall der
Provisionsabgabeverbote ist der Gleichbehandlungsgrundsatz tangiert.
X.
Ein Wegfall der bestehenden Provisionsabgabeverbote würde die
zum 1. April 2012 eingeführten Regelungen zur Provisionsdeckelung
in der Krankenversicherung sowie der Stornohaftzeitregelungen in
der Lebens- und Krankenversicherung konterkarieren. Es besteht
die Gefahr, dass Provisionen, die unter der gesetzlichen Stornohaftung stehen, an Kunden weitergegeben werden, wobei dann bei
vorzeitigen Vertragsstornierungen durch den Kunden Konflikte zwischen Vermittler und diesem wahrscheinlich sind. Eine Erlaubnis zur
Werbung mit einer Provisionsabgabe schafft zudem Anreize zu Vertragsumdeckungen. Gerade dies sollte aber mit der Regelung zur
Provisionsdeckelung in der Krankenversicherung und mit den Regelungen zur Stornohaftzeit vermieden werden.
XI.
Darauf hinzuweisen ist, dass Versicherungsvermittler ihre Beratungsleistungen, die nicht zu einem Vertragsschluss führen, gegenüber dem Kunden unentgeltlich erbringen. Dieser teils hohe Aufwand der Vermittler kann nur kompensiert werden, wenn für die erfolgreiche Vermittlung eine angemessene Vergütung erfolgt. Durch
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einen Wegfall der Provisionsabgabeverbote ist diese für den Vermittler notwendige Quersubventionierung gefährdet.
XII. Die Einhaltung der Verbote kann sichergestellt werden. Einzelne
Verstöße gegen die Anordnungen zum Provisionsabgabeverbot lassen sich naturgemäß zwar nicht verhindern, sondern nur bußgeldrechtlich verfolgen. Darüber hinaus ist zur Durchführung der rechtlich begründeten Regelungen bereits 1971 die „Wiesbadener Vereinigung“ gegründet worden, die in enger Zusammenarbeit mit der
BaFin ebenfalls dafür Sorge trägt, dass die verbindlichen Regelungen eingehalten werden. Die durchgeführten Verfahren zeigen die
Wirksamkeit dieser Maßnahmen.
XIII. Es besteht die Gefahr, dass Versicherungsvermittler, die in der Regel sozialversicherungspflichtige Angestellte beschäftigen, einen
Großteil ihres Einkommens aufgrund des mit dem Wegfall der Provisionsabgabeverbote einhergehenden Provisionsdrucks einbüßen.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass sehr viele Vermittler, die jetzt
noch mit den erwirtschafteten Provisionen ihre Existenz sichern
können, durch eine geringere Anzahl von wirtschaftlich besser gestellten Vermittlern, die sich Provisionsabgaben leisten können, vom
Markt gedrängt werden. Dies würde für viele Selbstständige sowie
für die bei ihnen beschäftigten sozialversicherungspflichtigen Angestellten oft den Weg in die Arbeitslosigkeit bedeuten. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass in der Branche neben
über 250.000 selbstständigen Versicherungsvermittlern auch ca.
40.000 Angestellte im sog. Werbeaußendienst tätig sind, auf die der
Manteltarifvertrag der Versicherungswirtschaft Anwendung findet.
Diese erhalten in der Regel eine Vergütung auf der Basis des jeweils gültigen Gehaltstarifvertrages sowie Provisionen für vermitteltes Geschäft, wobei die Provisionen grundsätzlich auf das tarifvertragliche Mindesteinkommen angerechnet werden. Das tarifliche
Mindesteinkommen beträgt für diesen Kreis aktuell im 1. Beschäftigungsjahr 1.810 Euro brutto. Ein Wegfall der Provisionsabgabeverbote würde den Zweck des Manteltarifvertrages unterlaufen und den
strukturell im Angestelltenverhältnis verankerten sozialen Sicherungszweck gefährden. Die arbeitsrechtliche Mindestvergütungsstruktur wäre nicht mehr gewährleistet. Die bestehenden Verbote
dienen mithin auch dazu, das Existenzminimum der Vermittler im
Angestelltenbereich zu sichern.
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XIV. Das Provisionsabgabeverbot steht sowohl in der Kranken- und
Schadens- als auch in der Lebensversicherung mit Europäischem
Kartellrecht in Einklang. Der Europäische Gerichtshof hat bereits
1993 in seiner als „Fall Meng" bekannten Entscheidung für den Bereich der Kranken- und Schadensversicherung ausdrücklich festgestellt, dass die staatlichen Regelungen, durch die es Versicherungsvermittlern untersagt ist, die von den Versicherungsgesellschaften
erhaltenen Provisionen ganz oder teilweise an ihre Kunden abzugeben, mit den Regeln den Vorschriften des EWG-Vertrags (heute
AEUV) vereinbar sind. Ebenso begründet aber auch das Provisionsabgabeverbots in der Lebensversicherung keinen Verstoß gegen
Europäisches Kartellrecht. Zwar kann nach der Rechtsprechung des
EuGH bei staatlichen Maßnahmen ein Verstoß gegen europäisches
Recht vorliegen, wenn hierdurch eine zuvor bestehende Kartellabsprache „verstärkt“ wird. Anders als in der Kranken- und Schadensversicherung hat es Anfang des 20. Jahrhunderts im Bereich der
Lebensversicherung in der Tat privatwirtschaftliche Vereinbarungen
gegeben. Allerdings existierte zu diesem Zeitpunkt kein europarechtliches oder anderweitiges Kartellverbot, welches diesen privatrechtlichen Vereinbarungen bzw. dem Erlass der Verordnung im Jahre
1934 entgegengestanden hätte. Eine Anwendung der Europäischen
Kartellrechtsvorschriften auf vor ihrem Inkrafttreten abgeschlossene
Sachverhalte ist aufgrund des auch vom EuGH anerkannten Rückwirkungsverbotes nicht zulässig. Ferner kann aufgrund des langen
zeitlichen Abstands (fast ein Jahrhundert) zwischen den Vereinbarungen und einer heute erlassenen gesetzlichen Regelung kaum
mehr von einem Zusammenhang im Sinne der EuGH-Rechtsprechung die Rede sein. Abgesehen davon wird der Zusammenhang durch das nunmehr eingeleitete Konsultationsverfahren der
BaFin unterbrochen. Schließlich fehlt auch ein verbotswidriger Zusammenhang zwischen den Absprachen und der gesetzlichen Regelung. Der Gesetzgeber hat das Provisionsabgabeverbot damals
nicht etwa zu dem Zweck, die bestehenden privatrechtlichen Absprachen zu bestärken, sondern aus Gründen des Allgemeininteresses erlassen.
XV. Hinzuweisen ist auch auf steuerliche Aspekte. Eine Aufhebung der
Provisionsabgabeverbote würde dazu führen, dass eine Weiterleitung von Vergütungsteilen den steuerlichen Gewinn der Vermittler
mindert. Sofern es sich um Vergütungen handelt, die den Abschluss
privater Versicherungen betreffen, ist nicht sichergestellt, ob der
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Versicherungsnehmer die empfangenen Zahlungen im Rahmen seiner Steuererklärung berücksichtigt. Im Ergebnis würden sich bei der
Aufhebung der bestehenden Verbote Steuermindereinnahmen ergeben.
XVI. Das Provisionsabgabeverbot ist auch nicht zu unbestimmt formuliert.
Der anderslautenden Auffassung des VG Frankfurt am Main aus Oktober 2011, auf die auch in der Konsultation verwiesen wird, ist nicht
zuzustimmen. Es ist richtig, dass mit dem Begriff „Sondervergütung“
ein unbestimmter Rechtsbegriff verwendet wird. Deren Verwendung
ist jedoch zulässig, solange die Grenzen des durch den Rechtsbegriff eröffneten Spielraums abgesteckt sind. Die jahrzehntelange
Praxis des Provisionsabgabeverbots hat gezeigt, dass hier keinerlei
Unsicherheiten vorhanden sind, die eine verfassungswidrige Unbestimmtheit nahelegen. Dies gilt auch für europäische Bestimmtheitsvorgaben.
XVII. Geringwertige Zuwendungen sollten im Rahmen von Werbeaktionen, Weiterempfehlungen oder z. B. Kundenbetreuungsmaßnahmen
möglich sein. Diese Art der Zuwendungen ist nicht zu beanstanden,
da sie in der Regel nicht geeignet ist, den Kunden in seiner Abschlussentscheidung zu beeinflussen.
Aus den genannten Gründen ist aus Sicht der Versicherungswirtschaft an
den bestehenden Verboten festzuhalten.
Berlin, 25.05.2012
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