Textbausteine

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Textbausteine
KEIN MENSCH IST PERFEKT
Behinderte Menschen: Menschen wie Du und ich
Caritas-Kampagne 2011
Textbausteine
Gebet eines behinderten Menschen
Vater im Himmel! Ich bin gelähmt,
du gabst mir statt der Füße keine Flügel.
Du willst, dass ich mit meinem Rollstuhl
auf dem Boden bleibe.
Auf diesem Weg mit all seinen Hindernissen.
Es gibt steile Strecken, und ich meine,
sie nicht mehr bewältigen zu können.
Meistens geht es aber dann doch.
Es gibt keine bequemen Ausweichmöglichkeiten
für mich. In einsichtigen Momenten weiß ich,
dass dies ein Vorzug meines Lebens ist.
Oft bedrückt es mich,
dass ich so viel fordern muss,
um leben zu können.
Verständnis, Kraft, Geduld
und Freizeit meiner Mitmenschen
werden ständig von mir beansprucht.
Einmal nur unabhängig und auf
niemanden angewiesen sein!
Wenn ich es mir vorstelle,
merke ich erst, wie arm
mein Leben dann wäre.
Ich bitte dich nicht um ein anderes
oder gar besseres Leben,
sondern um die Kraft für mein Leben.
Amen!
(Autor unbekannt)
Alle gleich und doch ganz verschieden,
wie schwierig das manchmal zu verstehen ist,
dass der Nachbarhalm unter der gleichen Sonne
und demselben Wind ganz anders herangewachsen ist,
größer oder kleiner ist,
sich weniger oder mehr im Winde wiegt.
(Autor unbekannt)
Wir haben eine Gesellschaft, in der ein jeder Angst hat vor dem Anderen,
nicht vor dem anderen Menschen,
sondern davor,
dass der andere Mensch anders ist.
(Peter Fonda)
1
Auf der Schaukel sitzt ein Kind
Auf der Schaukel sitzt ein Kind.
Es kann nicht gehen, es kann nicht stehen.
Es ist lahm und blind.
Es sitzt zum ersten Mal auf der Schaukel.
Aber es hat doch gar nichts davon,
sagen die Leute,
das arme Kind ist lahm und blind!
Warum soll es nicht trotzdem schaukeln,
fragt die Schwester.
Und das Kind schaukelt und lacht
und ruft ganz aufgeregt:
Ich spüre den Wind!
Ich spüre den Wind!
(Do Solis-Rangel)
Fragen
Was erkennen wir nicht alles auf einem Foto?
Den blauen Himmel, die weißen Wolken,
die gelbe Sonne, den grünen Rasen,
einen roten Ball, einen schwarzen Hund,
einen violetten Schirm, einen braunen Hut,
Oma, Opa, Mama, Papa, Geschwister.
Wie sähe das alles aus, wenn wir nicht sehen könnten?
Wir sitzen vor dem Fernseher,
das Radio in der Küche ist an,
auf der Straße fährt ein Auto vorbei,
es klingelt an der Wohnungstür,
ein Freund will mit uns sprechen.
Wie hörte sich alles an, wenn wir nicht hören könnten?
(Frank Tollkühn)
Es ist normal verschieden zu sein
Was im Vorhinein nicht ausgegrenzt wird,
braucht hinterher auch nicht eingegliedert zu werden
(Richard von Weizsäcker)
2
Prädikat
Für euch gibt es
etliche Besonderheiten
Sonderheime
Sonderschulen
Sonderbusse
sehr sonderbar
Sonderbehandlung
besonderes Mitleid
abgesondert
immer etwas besonderes
besonders wertvoll
besonders
(Carsten de la Porte)
LaPorte, Carsten: Prädikat. In: Schmitt, Martin; LaPorte, Carsten; Kampe, Roland: Schattensprünge.
Gedichte über Behinderte. Hrsg.: Eine Stadt bringt was ins Rollen e.V.. Orig.-Ausg., 2.Auflage.
Karlsruhe: De la Porte, 1998. S. 20
Meine Behinderung
hindert mich:
die Gehsteige sind zu hoch
Treppen sind unüberwindbar
meine Füße gehorchen mir nicht
meine Zunge ist stumm geblieben
aber
mein Rollstuhl
ist doch keine Mauer
da sind doch schon Steine genug
in meinem Weg
so komm
Sich öffnen
öffne deine Tür für mich
versteck dich nicht
nimm mich an der Hand
geh nicht vorbei
sprich mit mir
nicht über mich
mein Kopf bleibt dir verschlossen
aber
mein
Herz
(Martin Schmitt)
Schmitt, Martin: Aufforderung. In: Schmitt, Martin; LaPorte, Carsten; Kampe, Roland:
Schattensprünge. Gedichte über Behinderte; a.a.O., S. 103
3
„Ich hätte vielleicht jetzt ein sehr langweiliges Leben, wenn ich nicht behindert wäre.
Vielleicht wäre ich Lehrerin geworden oder hätte einen Typen geheiratet und eine
langweilige Familie. Die Chance wäre klein, dass ich jetzt von Ihnen interviewt würde. Die
Behinderung hat mein Leben sehr spannend gemacht, und ich denke, die Behinderung hat
mich auch dazu gebracht, Sachen zu überdenken, die ich sonst nicht überdenken würde,
weil ich gar keine Veranlassung dazu hätte. Aber das ist auch ein Vielleicht. Vielleicht wäre
ich auch eine ganz tolle Professorin geworden, wer weiß? Ich lebe nun einmal mit diesem
Körper und ich bin mit diesem Körper sehr zufrieden, auch wenn er immer schwächer wird.“
(Ursula Eggli)
Lied
Du bist schön
nicht schöner
du bist anders schön.
Du bist lieb
nicht lieber
du bist anders
lieb
Du bist sanft
nicht sanfter
du bist anders
sanft
Du bist weise
nicht weiser
du bist anders
schön
lieb
sanft
weißt
du
Ich
lieb dich
du, ich lieb dich
du, ich lieb dich
anders
du, ich lieb dich
du, ich lieb dich
du, ich lieb dich
anders
Du bist nett
nicht netter
du bist anders
nett
Du bist gut
nicht besser
4
du bist anders
gut
Du bist ein Freund
nicht treuer
du bist anders
Freund
Du bist dick
nicht dicker
du bist anders
dünn
gut
Freund
dick
du
Ich
lieb dich
du, ich lieb dich
du, ich lieb dich
anders
(Hermann van Veen)
Inklusion beim Apostel Paulus
Der Apostel Paulus zeigt uns im Philipperbrief konkret auf, wie ein Gemeindeverständnis
inklusive Züge aufweisen kann. Es gibt kein hierarchisches Denken (von oben nach unten),
wie er es auch an anderen Stellen betont, sondern ein Geben und Nehmen. Das beruht aber
auf Gegenseitigkeit. Dabei ist entscheidend, dass sich Paulus mit den Philippern sehr
verbunden fühlt, ja, dass sie offenbar auf einer Wellenlänge waren. Es war in diesem
Miteinander aufeinander Verlass. Jeder wird mit seinen Möglichkeiten ernst genommen und
gehört ganz zu der Gemeinschaft. Dieses ganzheitliche Gemeindeverständnis, das neben
dem Geben und Nehmen auch die Verbundenheit im Gebet beinhaltet, ist aus heutiger Sicht
inklusiv zu nennen. Es ist auch gut auf eine Gemeinschaft zu beziehen, die Menschen mit
und ohne Behinderung im oben genannten Sinne ernst nimmt. Auch an anderen Stellen
weist Paulus darauf hin, dass jeder Einzelne dazugehört und jeder mit seinen Gaben an der
Gemeinschaft teilhat (z.B. im 1 Kor 12). Im Dankesschlusswort des Paulus an die Philipper
wird inklusives Denken in die Wirklichkeit umgesetzt: „Nicht dass ich erstrebe das Geschenk,
sondern ich erstrebe die Frucht, die sich mehrende auf eurem Konto“ (Phil 4, 17). „Frucht
heißt für Paulus: das Gegenseitigkeitsverhältnis wird verwirklicht, nicht nur beschworen. Aber
die Frucht kommt – und das ist das Entscheidende für Paulus – aus Gott selbst. Wer
erfahren hat, dass Gott die Stütze seines Lebens ist, der wird Frucht bringen aus ihm.“
(Andreas Heek). Der braucht auch nicht „danke“ zu sagen oder zu erwarten, denn
gegenseitiges Helfen in hilfloser Lage wird dann selbstverständlich.
Und heute? Die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass alle Menschen die Möglichkeit
zur Teilhabe haben ist das, was den Auftrag der Kirche ausmacht. Eine Inklusion in der
Kirchengemeinde bedeutet, einen großen Umdenkungsprozess einzuleiten. Es gilt
Anhaltspunkte zu finden, bei denen angeknüpft werden kann, um das Vorhaben möglich
machen zu können.
5
Menschen als gleichwertige Partner akzeptieren und deren gegenseitige Beziehungen durch
einen Dialog ‚auf gleicher Augenhöhe’ gestalten, könnte als Überschrift unter einer inklusiven
Gemeinde stehen. Dabei gilt es nicht nur Barrieren baulicher Art abzubauen.
(Diakon Thomas Schmidt)
Ohne zu sprechen habe ich die Sprache gelernt,
ohne zu laufen gehe ich durch die Literatur,
ohne zu singen nehme ich Melodien in mich auf und verwandle sie zu Texten.
(Veronika Raila)
Dich
dich sein lassen
ganz dich
Sehen
dass du nur du bist
wenn du alles bist
was du bist
das Zarte
und das Wilde
das was sich anschmiegen
und das was sich losreißen will
Wer nur die Hälfte liebt
der liebt dich nicht halb
sondern gar nicht
der will dich zurechtschneiden
amputieren
verstümmeln
Dich dich sein lassen
ob das schwer oder leicht ist?
Es kommt nicht darauf an mit wie viel
Vorbedacht und Verstand
sondern mit wie viel Liebe und
mit wie viel
offener Sehnsucht nach allem
nach allem
was du bist
Nach der Wärme
und nach der Kälte
nach der Güte
und nach dem Starrsinn
nach deinem Willen
und Unwillen
nach jeder deiner Gebärden
nach deiner Ungebärdigkeit
Unstetigkeit
Stetigkeit
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Dann
ist dieses
dich dich sein lassen
vielleicht
gar nicht so schwer
(Erich Fried)
Gebet eines behinderten Menschen
Herr, in diesen Tagen spüre ich die ganze Begrenzung meiner Bewegungsfähigkeit, meines
Handelns und meines Gehens. Ich fühle mich in jeder Beziehung eingeengt, und es kostet
mich Überwindung, sie zu ertragen. Vor allem macht es mir sehr zu schaffen, dass ich auf
Hilfe anderer angewiesen bin. Herr, Du kennst diese Schwierigkeit.
Ich bitte Dich, gib mir die Kraft, damit fertig zu werden, und auch wieder so viel
Bewegungsspielraum, dass ich diese Einengung nicht ganz so stark empfinde.
Lass mich diese auch als Herausforderung sehen und annehmen. Versage mir die Hilfe
nicht, die ich hierzu benötige. Schenke mir Mut und Zuversicht, Hoffnung und Vertrauen,
dass Du mir nahe bist und mir beistehst.
Herr, Du kennst alle meine Gedanken, Empfindungen und Regungen. Du kennst auch mein
ganzes Unvermögen, das gelassen und geduldig zu ertragen, was Du mir auferlegt hast.
Herr, ich denke, es ist genug, was Du mir bisher aufgeladen hast. Ich fühle mich in den
letzten Jahren einfach überfordert, weil ich eine weitere Begrenzung meiner
Bewegungsfähigkeit nicht mehr ertragen kann.
Daher schreie ich erneut wie einst Hiob zu Dir: Herr, erbarme Dich meiner und mache mich
frei. Hole mich heraus aus der Enge meines Lebens. Wie oft habe ich Dich schon gebeten,
mich zu Dir zu nehmen, damit ich frei werde von aller Belastung, von allen Schmerzen, die
mich quälen. Wie oft habe ich in diesen Tagen und Nächten zu Dir aufgeschrien, Du mögest
mit mir Erbarmen haben. Aber Du hast mich nicht erhört.
Ich weiß, dass ich mich nicht aus der Verantwortung für meine Familie stehlen kann, und ich
will dies letztlich auch nicht. Darum bitte ich Dich auch weiter: Herr, löse meine inneren und
äußeren Verkrampfungen, die mich peinigen und mich nicht zur Ruhe kommen lassen.
Kräftige meine Beine, damit sie fester am Boden haften und wieder sicherere Schritte tun.
Sei an meiner Seite und halte mich mit Deiner Hand. Lass mich wieder dankbar sein für
jeden Schritt, der fester ist und mich freier macht. Schenke mir bei allem Tun größere
Gelassenheit und innere Sicherheit in dem Bewusstsein, dass Du mir nahe bist.
Amen.
© Heinz Pangels, aus: Zwei Seiten hat der Himmel, Gütersloh 1997
Seligpreisungen
Selig sind die,
die mich von Geburt an angenommen haben, wie Gott,
der Schöpfer, mich geschaffen hat.
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Selig sind die,
die mir Zuneigung und Zärtlichkeit schenkten,
die mir Liebe und Geborgenheit vermittelten.
Selig sind die,
die auch dann JA zu mir sagten. wenn andere ganz erhebliche Bedenken hatten und ich von
Amts wegen als "geistig minder-bemittelt" gehandelt wurde.
Selig sind die,
die mir ihre Hände entgegenstreckten und mir Halt gaben,
wenn ich auf wackligen Füßen stand.
Selig sind die,
die meine Bewegungseinschränkungen sahen,
mir halfen. diese soweit wie möglich auszugleichen.
Selig sind die,
die mir Mut machten. selbst ein JA zum Leben zu sagen.
die mich. wo immer sie konnten, mit Geduld unterstützten.
mich in meinem Vorwärtsdrängen stärkten.
Selig sind die,
die sich Mühe gaben. mich zu verstehen,
wenn einmal meine Spastik mir die Sprache hemmte.
Selig sind die,
die sich mit mir freuten oder mit mir traurig waren.,
wenn ich Freude empfand oder mir zum Weinen zumute war,
die mit mir lachten und fröhlich waren.
Selig sind die,
die mich trösteten. wenn ich einmal Kummer hatte,
die für mich da waren, wenn ich ihrer Hilfe bedurfte.
Selig sind die,
die mir durch ihren Beistand Sicherheit und Zuversicht gaben,
die durch ihr Vertrauen zu mir mein Selbstvertrauen stärkten.
Selig sind die,
die mir einen Weg zeigten und mich streckenweise begleiteten,
die mich medizinisch betreuten und mich mit Geduld pflegten.
Selig sind die,
die meine Begabungen und Fähigkeiten erkannten,
die mich beruflich berieten und gefördert haben.
Selig sind die,
die mir einfach etwas zutrauten und mir vertrauten,
die sich Zeit für mich nahmen, mich nicht im Stich ließen,
wenn ich sie einmal brauchte.
Selig sind die,
die mir mit Geduld und Ausdauer beistanden,
mich immer wieder zäh herausgefordert haben.
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Selig sind die,
die mich mit allen meinen Fehlern und Schwächen angenommen
und ertragen haben. die mit mir und an mir gelitten haben,
die mich aber nie aufgaben.
Selig die Frau,
die mich so genommen, wie ich nun einmal war, die mir Verständnis entgegenbrachte und
Aufmerksamkeit schenkte, die mir vertraute und auf mich baute, ein gemeinsames Leben mit
mir führen zu können, die sich auch traute, Kinder von mir zu empfangen und zu gebären;
die mir Geborgenheit und Sicherheit vermittelte, damit ich mich beruflich und privat entfalten
konnte, die mir in guten und schweren Zeiten zur Seite stand, die alle Mühsal auf sich nahm,
um mich vor falschen Anwürfen zu schützen, die auch heute noch nach über dreißig Jahren
an meiner Seite steht und über mein Wohl und Wehe wacht.
Selig die Eltern,
die ihr behindertes Kind mit Liebe umsorgten. es groß zogen und
ihm verhalfen, ein eigenständiges, sinnerfülltes Leben zu führen,
die an ihr Kind glaubten und ihre ganze Kraft dafür einsetzten.
Selig die Frauen und Männer,
die einen jeden von uns aufgenommen, angenommen und
ernst genommen haben, die mit Freude und Enthusiasmus
uns zur Seite standen und mit uns kämpften, ein menschenwürdiges, mit Freude erfülltes Leben zu führen.
Sie alle werden im Himmel Freude und Freunde haben und
bei Gott Wohlgefallen finden.
© Heinz Pangels, 1998 Erstveröffentlichung im „Anzeiger für die Seelsorge““ Nr. 05/1998, S. 254
HERR,
schenke uns
offene Augen,
dass wir den Nächsten sehen;
offene Ohren zu hören,
wo uns der Nachbar braucht;
offene Hände, die weitergeben,
was wir empfangen haben;
starke Arme, die zupacken können,
wo man uns braucht;
feste Füße, die uns befähigen,
weite Wege zu gehen;
ein offenes Herz,
das mitempfindet;
Liebe,
die sich ohne Gegenliebe verschenkt;
Hoffnung,
die Zuversicht auslöst;
Glauben,
der alles überwindet;
Deinen Geist,
der uns frei macht!
© Heinz Pangels, in „Vertrauter Umgang“, S.33
9
Zwei Ichs
Immer wieder
kommt es mir vor,
als ob ich zwei Ichs hätte.
Ein Ich,
das das Gute will
und ein Ich,
das das Böse tut.
Ein Ich,
das für andere da sein möchte,
und ein Ich,
das nur an sich denkt.
Ein Ich,
das sagt:
Du bist in Ordnung,
und ein Ich,
das sagt:
Du bist unmöglich.
Ein Ich,
das an dich glauben möchte,
Gott,
und ein Ich,
das mir den Weg zu Dir versperrt.
(Petrus Ceelen)
Die „Arche“ glaubt, das „Menschen mit einer geistigen Behinderung die Fähigkeit des
Offenseins, des Staunenkönnens, der Spontaneität und Unkompliziertheit besitzen, und dass
sie lebendige Erinnerung für eine reichere Welt der wesentlicheren Werte des Herzens sind.
(aus der Satzung der „Arche“)
Es geht darum, die Schwächsten und verwundbarsten Menschen in den Mittelpunkt zu
stellen und ihre einzigartigen Gaben zu entdecken.
(Henri Nouwen, Adam und ich, Eine ungewöhnliche Freundschaft, Freiburg 1998, S.47)
Sind wir gut aufgrund dessen, was wir tun oder haben, oder aufgrund dessen, was wir sind?
Bin ich jemand, weil die Welt mich zu jemandem gemacht hat, oder bin ich jemand, weil ich
Gott gehöre, lange bevor ich der Welt gehörte?
(Henri Nouwen, Adam und ich, Eine ungewöhnliche Freundschaft, Freiburg 1998, S.79)
10
Gott hat immer mit solchen Menschen Geschichte geschrieben!
ABRAHAM war zu alt ...
JAKOB war ein Lügner ...
LEA war hässlich ...
JOSEF war ganz schön stolz ...
MOSE stotterte ...
JOSUA hatte Angst ...
SIMSON hatte lange Haare und war ein Frauenheld ...
RAHAB war eine Hure ...
JEREMIA und TIMOTHEUS waren zu jung ...
DAVID hatte eine Affäre und war ein Mörder...
ELIA war selbstmordgefährdet ...
JONA lief vor Gott weg ...
PETRUS verleugnete Christus ...
Die JÜNGER schliefen beim Beten ein ...
MARTHA machte sich immer Sorgen ...
Die SAMARITISCHE FRAU war geschieden ... mehr als einmal ...
ZACHÄUS war zu klein ...
PAULUS war zu gesetzlich und völlig contra ...
Und LAZARUS war tot!!!
Sie waren keineswegs perfekt.
Doch mit solchen Menschen hat Gott Geschichte geschrieben.
Und nun möchte er auch mit Dir Geschichte schreiben, und mit Gott an Deiner Seite:
Da geht was!
(Verfasser unbekannt)
Wer an Gott glaubt, braucht nicht Gott zu sein und Gott zu spielen. Er muss nicht der
Gesündeste, der Stärkste, der Schönste, der Erfolgreichste sein. Er ist nicht gezwungen,
völliger Souverän seines eigenen Lebens zu sein.
(Fulbert Steffensky)
Loslassen
die verkrampften hände loslassen
raum geben für Dich
ein bild ohne rahmen
damit du wachsen kannst
kein geträumtes glück
sondern Du
wirklich werden
meine ängste loslassen
mich selber loslassen
und fallen
in deine arme
(Andreas Knapp, Werdet vorübergehende, Hockenheim 2001, S. 15)
11
Gratuité
Oft
musste ich
kämpfen
völlig
umsonst
immer aber
darf ich
leben
vollkommen
umsonst
(Andreas Knapp, Werdet vorübergehende, Hockenheim 2001, S-20)
Psalm 8
Herr, unser Herrscher,
wie herrlich ist dein Name in allen Landen,
der du zeigst deine Hoheit am Himmel!
Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge
hast du eine Macht zugerichtet um deiner Feinde willen,
dass du vertilgest den Feind und den Rachgierigen.
Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk,
den Mond und die Sterne, die du bereitet hast:
Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst,
und des Menschen Kind,
dass du dich seiner annimmst?
Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott,
mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.
Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk,
alles hast du unter seine Füße getan:
Schafe und Rinder allzumal,
dazu auch die wilden Tiere,
die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer
und alles, was die Meere durchzieht.
Herr, unser Herrscher,
wie herrlich ist dein Name in allen Landen.
12
Hör dir das an
Hör dir das an, Gott, ich will heute
mit dem Auto unterwegs sein, morgen
schließ ich den Kaufvertrag ab, das
neue Haus wird in zehn Monaten
stehn, dann ziehen wir ein, machen das
dritte Kind, schicken das erste zur
Schule, das Geschäft wird vergrößert, den
Kompagnon schmeiße ich raus, kaufe das
restliche Aktienpaket, übernehme den
Vorsitz in der Waschmittelgesellschaft,
wechsle die Freundin, der Bungalow im
Tessin ist fällig, die Gören springen
mir von der Tasche, die Frau hat eine
Operation, ich bin Generaldirektor,
vielleicht Prostata, gut, wird repariert,
man ist sechzig, Konzern gesund, rapide
wächst das Grundkapital, glänzende
Aussichten für die nächsten zehn Jahre,
was sag ich, für zwanzig – hör dir das an,
Gott, und komme mir nicht dazwischen.
(Rudolf Otto Wiemer in: Carsten Peter Thiede (Hrsg.): Wie Segel über dem Meer. Christliche Lyrik des 20. Jahrhunderts.
R. Brockhaus Taschenbuch 402. Wuppertal (R. Brockhaus) 1986. S.131)
geburt
ich wurde nicht gefragt
bei meiner zeugung
und die mich zeugten
wurden auch nicht gefragt
bei ihrer zeugung
niemand wurde gefragt
außer dem Einen
und er sagte
ja
ich wurde nicht gefragt
bei meiner geburt
und die mich gebar
wurde auch nicht gefragt
bei ihrer geburt
niemand wurde gefragt
außer dem Einen
und der sagte
ja
(Kurt Marti in: Carsten Peter Thiede (Hrsg.): Wie Segel über dem Meer. Christliche Lyrik des 20. Jahrhunderts. R. Brockhaus
Taschenbuch 402. Wuppertal (R. Brockhaus) 1986. S. 93)
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Begegnungen
„Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt?“
Matthäus 16,26
Ich traf einen jungen Mann,
kerngesund, modisch gekleidet, Sportwagen,
und fragte beiläufig, wie er sich fühle:
Was ’ne Frage, sagte er, beschissen!
Ich fragte, ein wenig verlegen,
eine schwerbehinderte ältere Frau
in ihrem Rollstuhl, wie es ihr gehe:
Gut, sagte sie, es geht mir gut.
Da sieht man wieder, dachte ich
bei mir, immer hat man
mit den falschen Leuten Mitleid.
(Lothar Zenetti in: Carsten Peter Thiede (Hrsg.): Wie Segel über dem Meer. Christliche Lyrik des 20. Jahrhunderts. R.
Brockhaus Taschenbuch 402. Wuppertal (R. Brockhaus) 1986. S. 139 )
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