Erasmus-Bericht: Università degli Studi di Napoli Federico II

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Erasmus-Bericht: Università degli Studi di Napoli Federico II
10.03.2015
Erasmus-Bericht: Università degli Studi di Napoli Federico II
Korcan Yeşil, HHU-Düsseldorf, Rechtswissenschaft, WS 2014/15
1.
Vorbereitung
Meine Freunde erklärten mich für verrückt oder schüttelten den Kopf, als ich ihnen sagte, dass
ich mit Grundkenntnissen auf Italienisch ein Auslandssemester in Neapel antreten möchte.
Auch für mich ist es im Nachhinein verrückt gewesen. Jedenfalls bin ich kein Freund von tagelangen Vorbereitungen, sodass ich das Hostel für die ersten beiden Tage in Neapel auf den
letzten Drücker buchte. Um eine Wohnung habe ich mich erst gar nicht gekümmert, zumal ich
meine mögliche Wohnung erst einmal vor Ort sehen wollte. Was gibt es schließlich Spannenderes, als mit überschaubaren Italienisch-Kenntnissen nach einer Wohnung in Neapel zu suchen?
2.
Anreise
Mit gemischten Gefühlen machte ich mich also auf den Weg nach Neapel. Kaum angekommen,
fuhr mich ein Taxi für einen natürlich überteuerten Preis zum Pizza Hostel. Hinsichtlich der
Fahrtmöglichkeiten in die Stadt ist der Alibus die klar preiswerteste Möglichkeit. Es handelt
sich um einen Bus, der über den Hauptbahnhof Garibaldi fährt; ein Ticket kostet lediglich 4 €.
So vermeidet ihr Taxi-Fahrer, die euch über das Ohr hauen wollen. Das Pizza Hostel wurde in
den Erasmus-Gruppen auf Facebook propagiert und es war in Ordnung. 18-20 € pro Nacht ist
preislich nicht schlagbar, aber man darf halt nicht viel erwarten.
3.
Wohnungssuche
Bei der Wohnungssuche habe ich Erasmuspoint kontaktiert. Der Großteil der gezeigten Wohnungen war sehr heruntergekommen. Nach drei Tagen fand ich endlich ein gescheites Zimmer
in einer Dreier-WG, doch das Glück hielt nicht lange. Bereits nach sechs Tagen zogen meine
beiden Mitbewohner und ich wegen „Unstimmigkeiten“ mit der Vermieterin aus. Dann ließ ich
mich drei Wochen auf die Couch im Wohnzimmer eines Kumpels (Kontakte, Kontakte, Kontakte) nieder, bis ich mit schwindender Hoffnung Ende Oktober ein nettes Zimmer in einer
Vierer-WG auf der Via dei Tribunali, also im Herze der Stadt, fand. Weitere zentrale Straßen
sind die Via Mezzocannone, Via Duomo, Via Toledo, Via Spaccanapoli. Zum Einzugszeitpunkt
wohnten in der Wohnung zunächst nur zwei weitere Studenten, Selcuk aus der Türkei und Michele aus der Umgebung von Neapel.
4.
Alltag
a)
Studium
Die rechtswissenschaftliche Fakultät in Neapel hat Tradition und zählt zu einer der
besten Fakultäten Italiens. Das alte Gebäude der Fakultät mit je einer Löwen-Statue
links und rechts vom Eingang ist imposant. Die Professoren sind nett; bei verwaltungstechnischen Angelegenheiten benötigt ihr viel Zeit und Geduld. Ich hatte in
Deutschland sehr viele Kurse in mein Learning Agreement gewählt. So konnte ich
mir in Neapel viele Vorlesungen anschauen und dann die nicht notwendigen Kurse
streichen. Schließlich habe ich mich für diritto lavoro und diritto penale entschieden, wobei ich nur in Strafrecht eine Prüfung abgelegt habe. Die Vorlesungen sind
zweistündig und werden von Montag bis Mittwoch gehalten. Die Prüfungen sind
mündlich; das System ist sehr gewöhnungsbedürftig: Der Professor sagt einen Zeitpunkt an, zu dem alle Prüfungen „beginnen“. Alle Studenten finden zu diesem Zeitpunkt im Hörsaal Platz und warten und unterhalten sich lautstark, während fünf
Prüfer vorne die Prüfungen abhalten. Ich habe nur zwei Stunden gewartet, bis ich
dran war. Im Nachhinein sagte man mir, ich hätte Glück gehabt. Wartezeiten von
drei bis fünf Stunden seien üblich. Habt also immer einen vollen Handy-Akku oder
im Optimalfall ein externes Akku-Pack dabei!
b)
Neben den beiden juristischen Veranstaltungen habe ich kostenlos einen Sprachkurs am Centro Linguistico di Ateneo (CLA) belegen dürfen. Diese Sprachkurse
(von Niveau A1 bis B2) werden nur in Zusammenarbeit mit der Universität
Federico II angeboten. Ich habe eine Woche nach meiner Ankunft das Gebäude
dieses Instituts aufgesucht, um den Einstufungstest zu absolvieren. Die
Einstufungs- und selbst die Nachschreibefrist waren bereits abgelaufen. Aus
Kulanz durfte ich den Test belegen und mich dann am selben Tag noch in einen
Kurs reinsetzen. Achtet also auf den Zeitpunkt des Einstufungstests!
Freizeit
Da mein Stundenplan recht übersichtlich war, hatte ich viel Freizeit. In punkto Erasmus-Freizeit in Neapel spielen zwei Vereine eine besondere Rolle: Erasmusland
und Erasmus Student Network (ESN). Zwei Vereine, die sich die Unterhaltung der
Erasmus-Studenten und ihr eigenes Vergnügen zum Ziel gesetzt haben. So erwarten
euch verschiedene Events, wie zum Beispiel gemeinsame Grillabende, Sportveranstaltungen, Hauspartys, Ausflüge zu verschiedenen Städten in ganz Italien und Vieles mehr. Beide Vereine bieten Mitgliedskarten an, die einmalig 10 € kosten. Mit
diesen Karten erhält man freien Eintritt in bestimmten Clubs, Rabatte, usw. Die
Benachrichtigungen erfolgen über die Facebook-Gruppen. All das machte es mir
auch am Anfang leicht, Kontakte zu knüpfen. Ich kannte vor meiner Anreise beispielsweise gar keine Person vor Ort. Mithilfe der beiden Vereine und mithilfe des
Haupttreffpunkts der Jugendlichen, Piazza Bellini, hatte ich bereits nach zwei Wochen Kontakte in alle Richtungen.
Auch wenn ich die genannten Veranstaltungen zu Beginn meines Aufenthalts zu
schätzen wusste, habe ich mich nach und nach weniger an den allwöchentlichen
Partys in denselben Diskotheken beteiligt. Die große Gefahr an einem ErasmusSemester besteht darin, in bestimmte Gewohnheiten zu verfallen. Insbesondere bei
einer überragenden Mehrheit an Spaniern bilden sich schnell Gruppen. Deshalb
habe ich mir nach meinem Einzug in die Wohnung im November auch schnellstmöglich einige Tandem-Partner gesucht. Eine Anzeige in einer Facebook-Gruppe
lieferte mir 15 Anfragen. Schließlich hatte ich sechs Tandem-Partner, mit denen ich
mich regelmäßig traf: Sei es zum einem caffè, zum Cineforum, zu Erasmus-untypischen Clubs, zur cena, zu einer weniger klassisch-touristischen Stadtführung oder
zu einem Rock-Konzert in einer heruntergekommenen Halle in Pozzuoli. Das waren
die Tage und Abende, an denen ich das Leben in Neapel richtig kennenlernte. Und
mein Italienisch immer weiter alltags- und unitauglich machte.
Interessanter wurde es, als im Dezember Francesco in die WG einzog. Mit
Francesco habe ich mich auf Anhieb gut verstanden und viel Zeit mit ihm verbracht.
Wir führten viele Gespräche über Gott und die Welt, Italien, Deutschland, Türkei,
die Uni, die italienische Mentalität, die südländische Mentalität, den Unterschied
zwischen Norden und Süden Italiens, usw. Wir waren viel unterwegs, wobei er mir
auch immer wieder etwas Neues zeigte oder erklärte.
c)
d)
e)
5.
Reisen
Das Reisen sollte stets höchste Priorität haben. Um nicht allzu sehr auszuschweifen,
zähle ich im Folgenden die Sehenswürdigkeiten in Neapel und die Orte in der Umgebung auf, die ihr unbedingt sehen solltet:
aa) In Neapel
Museo Capella Sansevero (Nr. 1 Sehenswürdigkeit in Neapel auf Tripadvisor), Certosa di San Martino, Castel Sant’Elmo, Napoli Sotteranea, Palazzo
Reale, Teatro di San Carlo, Museo Archeologico, Palazzo Spagnolo, Palazzo
Sanfelice, Casa di Totò, Cimitero delle Fontanelle.
bb) Umgebung
Caserta/Casertavecchia (in Casertavecchia auf einen Berg hoch und den
Ausblick genießen), Salerno (von November bis Januar mit den luci d’artista), Sorrento, Amalfi, Ravello (Villa Rufolo!), Ercolano, Pompeii,
Procida (Mofa-Tour, mein Highlight!).
Stadt
Neapel hat einfach Charme. Laute, verwinkelte Gassen, unebenes Steinpflaster, die
vom sechsten Stock herunterragenden Einkaufskörbe der Großmütter, die besten
Pizzen der Welt, Kinder auf Mofas ohne Helm…typisch Italienischer kann eine
Stadt nicht sein. Letzteres kann ich deshalb sagen, weil ich meine Erasmus-Zeit mit
einer Tour über Florenz, Mailand und Venedig abschloss und damit auch den Norden Italiens gesehen habe. Alle drei Städte sind wunderschön und definitiv eine
Reise wert, jedoch nicht so klassisch Italienisch, wie man sich Italien als Deutscher
nun einmal vorstellt.
Kultur
In Punkto Kultur bietet Neapel unfassbar viel. Museen, Paläste, Theater, beeindruckende Kirchen (s. o. „Reisen“). Auch ein Fußballspiel im Stadio San Paolo gehört
zum kulturellen Erlebnis in Neapel dazu. Mein kultureller Geheimtipp ist jedoch
Curiocity; eine Agentur, die „Insider-Stadtführungen“ organisiert. Mit einer meiner
Tandem-Partner nahm ich an einer Tour durch das Viertel Rione Sanità teil. Auch
gut zu wissen: Am ersten Sonntag im Monat gib es freien Eintritt in den Großteil
der Museen und öffentlichen Einrichtungen. Mehr Informationen dazu auf:
www.napolidavivere.it.
Fazit
Ende 2012 schrieben die Medien, dass der EU das Erasmus-Geld ausgehe. Angesichts
der aktuellen Entwicklungen in der EU, insbesondere der Stimmungsmache gegen die
Griechen und die Südeuropäer, wäre eine Aufhebung des Erasmus-Programmes widersinnig gewesen. Ganze Generationen haben bislang durch das Erasmus-Programm erfahren, was es heißt, mit Menschen aus anderen Kulturen zu leben. So auch ich. Zugegebenermaßen werden mir das Italienische Arbeits- und Strafrecht nicht für das Staatsexamen
weiterhelfen. Was ich jedoch dafür umso mehr aus meiner Zeit in Neapel mitnehme, sind
die unterschiedlichen Lebens- und Denkweisen der Erasmus-Leute aus aller Herren Länder und natürlich die der Neapolitaner selbst. Mein dringlichster Rat ist es, nicht im Erasmus-Einheitsbrei unterzugehen, sondern Kontakte zu den Bewohnern der Stadt herzustellen. Mit Francesco beispielsweise habe ich einen Freund für das Leben gewonnen. Er
wird mich im Mai in Düsseldorf besuchen.

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