Victor Hugo Der Glöckner von Notre Dame
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Victor Hugo Der Glöckner von Notre Dame
Victor Hugo Der Glöckner von Notre Dame Für Schauspiel und Ballett eingerichtet von Peter Dehler (c) henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 2015 Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien. Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von: henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH Alte Jakobstraße 85/86 10179 Berlin [email protected] Tel.: 030 - 4431 8888 PERSONEN QUASIMODO ESMERALDA GRINGOIRE FROLLO PHÖBUS CLOPIN VICTOR VICTORIA SUSANNE ANTOINE FLEUR DE LYS SCHARFRICHTER TOURISTEN ZIGEUNER BETTLER HUREN SOLDATEN TOURISTEN mit Videokameras, Handyfotoapparaten, Stadtplänen, usw. treten auf. Der Stadtführer erklärt. Gestikuliert. Musik. In der Stille der Nacht In der Stille der Nacht schweigen die alten Steine Wenn die Mittagssonne glüht schweigen die alten Steine Wenn der Schnee leise fällt schweigen die alten Steine Wenn der Regen sie umspült schweigen die alten Steine auch Wenn diese alten Steine mit uns sprechen könnten was würden sie uns wohl erzählen Von einer Zeit da alles anders war Von einer Welt die es nicht mehr gibt Da dieses Tor, wer kam herein, wer ging hinaus Wer stand davor, wen warf man hinaus Da diese Stufen wer hat auf ihnen gelegen Hört man das Weinen Wer gab seinen Segen Wenn diese alten Steine mit uns sprechen könnten Was würden sie uns wohl erzählen Von einer Zeit da alles anders war Von einer Welt die es nicht mehr gibt 1482 Hier in Notre Dame Starb ein Mann und ein Weib Niemand hat geweint 1482 Hier in Notre Dame Starb ein Mann und ein Weib Erst im Tod vereint 5 Während des Songs haben die TOURISTEN begonnen zu tanzen. Plötzlich sind zwei undefinierbare Wesen aus dem Nichts aufgetaucht und betteln um Almosen. Die TOURISTEN fotografieren, sie stellen sich mit ihnen in Posen. Die Wesen verschwinden wieder. Die TOURISTEN suchen sie und einer nach dem anderen kommt dabei abhanden. Die beiden Wesen tauchen wieder auf und freuen sich. Entdecken das Publikum. VICTOR/VICTORIA In einer kalten Novembernacht Es ist hell denn da oben scheint der Mond Paris schläft fest, man war müde von dem Tag Doch da schleicht ein Mensch, der hier nicht wohnt Er ist nicht allein, andre folgen ihm Was versteckt der Mensch da vor der Welt Ein Bündel klein trägt der Mensch im Arm Da hört, ein Wachhund hat gebellt. Der Mensch mit dem Bündel rennt her und hin Die anderen lassen ihn allein Die Wachen mit den Pfeilen aus dem Dunklen sehn diesen Menschen und das Bündel klein Der Mensch ist ein Zigeuner Und nicht nur das, es ist ein Weib Sie presst in Angst vor den Pfeilen das Bündel fest an ihren Leib Der Bogen spannt der Pfeil, er fliegt Niemand tut etwas dagegen Tot um fällt das Zigeunerweib Auf das Bündel fällt ein Regen Richter Frollo schreitet nun das Diebesgut zu sehen Entreißt dem Weib das Bündel und bleibt stehen Richter Frollo hat schon viel von dieser Welt gesehen Doch als er in das Bündel blickt bleibt ihm der Atem stehen 6 Ein Kind so hässlich und so krumm das kann nur aus der Hölle sein Er nimmt das Bündel, geht zum Brunnen und wirft es hinein Halt, ruft eine Stimme da Der Abt von Notre Dame Das darfst du nicht, Gott schaut dir zu Der Richter zuckt zusammen Gib her das Kind, es wird hier groß Da oben im Glockenturm Frollo bringt nun nach Notre Dame Den unglückselgen Wurm 23 Jahre später Hier oben auf dem Glockenturm Wurde ein Glöckner von Notre Dame Ein Quasimodo aus dem Unglückselgen Wurm QUASIMODO ist während der letzen Zeilen aufgetreten. 1. Szene FROLLO Quasimodo. Quasimodo. QUASIMODO Ja Herr. FROLLO Träumst du wieder, Quasimodo? QUASIMODO Nein, Herr. FROLLO Was gibt es da unten? QUASIMODO Nichts, Herr. FROLLO Genauso ist es, Quasimodo. Schau in den Himmel! Da gibt es Hoffnung, Vergebung und Erlösung. Da unten gibt es nur Laster, Sünde und Verbrechen. Wiederhole es! QUASIMODO Da gibt es Hoffnung, Vergebung und Erlösung. Da unten gibt es nur Laster, ... FROLLO Sünde und Verbrechen. 7 QUASIMODO Sünde und Verbrechen. Aber manchmal kann es doch sein ... FROLLO Was kann sein? QUASIMODO Dass auch da unten ein wenig Hoffnung ist. FROLLO Denke nur an deine Mutter. Was hat sie getan? QUASIMODO Nein. FROLLO Quasimodo, was hat sie dir angetan? QUASIMODO Sie hat mich ausgesetzt, bei Nacht und Regen auf den Stufen von Notre Dame. FROLLO Und wer hat dich gerettet vor dem sicheren Tod. QUASIMODO Ihr, Herr. FROLLO Und was bist du mir dafür schuldig? QUASIMODO Ewigen Gehorsam. FROLLO Bist ein braver Kerl. QUASIMODO Ich werde immer tun, was Ihr sagt. FROLLO Quasimodo, du bist hier am sichersten. Weit weg von da unten und so nah dem Himmel. QUASIMODO Herr, heute ist doch der Narrenball und ich wollte fragen ... FROLLO Was wolltest du fragen, mein Sohn? QUASIMODO Nichts, Herr. FROLLO Wenn ich dich da unten bei den Lasterhaften, den Sündern, den Verbrechern erwische. Dann gnade dir Gott. QUASIMODO Ja, Herr. FROLLO Folge mir in die Bibliothek. Der Kamin muss angeheizt werden. QUASIMODO Ja, Herr. 8 Zwischenspiel VICTOR/VICTORIA Seht den Meister Gringoire Er ist ein Herr Poet Mit seinen Mimen führt er auf Was in seinem Drama steht Jeder Vers ein Liter Schweiß Doch eines ist zu dumm Es gibt für seine Verse Gar kein Publikum 2. Szene Dichter in klassischem Hamletkostüm und mit einer Trommel. Aber alles knallige Rottöne. 1 tritt auf, ist als üppiges Weib mit Perücke in weißem Gewande und mit einem Kunstbusen ausgestattet. 2 ist Sensemann mit Totenschädel und Sense ganz in schwarz. GRINGOIRE Meine Freunde welch Freude Euch so zahlreich hier zu sehen Wenn ihr unser Stück gesehen Sollt ihr belehrt nach Haus gehen ANTOINE Meister, es ist doch gar keiner da. GRINGOIRE Halts Maul! Wir sind die Poesie. Klein ist die Kunst. Groß sind die Plätze. Doch nur wir bewahren die Schätze. Schreib das auf. Das ist großartig. SUSANNE Da kommen welche. Der Bettlerkönig tritt mit seinem Gefolge auf. GRINGOIRE Das ist der Tod, der euch alle ereilt Und das ist das heitere Leben Und weil ihr im Leben sehr kurz nur verweilt Wollen wir Euch dies Drama heut geben. Alle drei singen zur Trommel. Mit einem Schrei beginnt der Mensch das Leben Ist es vorbei, wird er ganz still Dazwischen liegt die Angst – die Qual – Die Pein 9 CLOPIN Räumt den Kerl da weg! GRINGOIRE Wenn wir missfallen tun, so ists mit gutem Willen Der Vorsatz bleibt doch gut, wenn wir ihn nicht erfüllen. BETTLER Wohin mit ihm? CLOPIN Bring ihn zu mir. GRINGOIRE Wir kommen nicht als sollt ihr euch daran ergötzen. CLOPIN Das haben wir gemerkt. GRINGOIRE Die wahre Absicht ist – CLOPIN Jetzt kommts, was ist die Absicht? GRINGOIRE Zu eurer Lust allein sind wir nicht hier – dass wir in Reu und Leid euch setzen. CLOPIN Ich will nicht, dass mich so eine Nase wie du in Reu und Leid setzt. Holt Esmeralda her. Hab Reu und Leid den ganzen Tag. Will Spaß. Kannst du das auch? Du Nase. GRINGOIRE Oh sprich mir nicht von jeder bunten Menge Bei deren Anblick uns der Geist entflieht Verhülle mir das wogende Gedränge Das wider willen uns zum Strudel zieht. CLOPIN Esmeralda tanze und stopft dem Kerl das Maul. Esmeraldas Lied Wenn der heiße Wüstensand an meinen zarten Füßen brennt Wenn im alten breiten Nil jede Welle meinen Namen kennt Wenn die Palmen leise rauschen Die Kamele friedlich ziehn Kann ich alten Liedern lauschen Weil ich da zuhause bin Trallallallalla... 10