Bildungspolitische Lehren aus den internationalen Sch¨ulertests
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Bildungspolitische Lehren aus den internationalen Sch¨ulertests
Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2006 7(3): 417–444 Bildungspolitische Lehren aus den internationalen Schülertests: Wettbewerb, Autonomie und externe Leistungsüberprüfung Ludger Wößmann* Ludwigs-Maximilians-Universität München und ifo Institut für Wirtschaftsforschung 1. Einleitung Bildung ist eine der treibenden Kräfte der langfristigen volkswirtschaftlichen Entwicklung und der individuellen Chancen am Arbeitsmarkt. Dabei ist es weniger das an den durchschnittlichen Bildungsjahren gemessene bloße quantitative Bildungsausmaß, das die wirtschaftliche Entwicklung antreibt. Vielmehr übt die mit kognitiven Leistungstests gemessene Bildungsqualität den größten Einfluss auf das langfristige Wachstum und Entwicklungsniveau von Volkswirtschaften aus. 1 Auch auf dem Arbeitsmarkt erhöhen Bildungsquantität und kognitive Leistungen sowohl das Einkommen als auch die Beschäftigungswahrscheinlichkeit. 2 Beispielsweise liegt in Deutschland die Arbeitslosigkeit Geringqualifizierter ohne Mittlere Reife bei über 26 Prozent, im Vergleich zu unter 5 Prozent bei Universitätsabsolventen (OECD, 2005). Akteure in Bildungsverwaltung und -politik argumentieren häufig, dass zur Erreichung besserer schulischer Leistungen mehr Ressourcen benötigt würden. Allerdings zeigt sich in der Realität immer wieder, dass zusätzliche Ausgaben innerhalb des gegenwärtigen Bildungssystems die Leistungen der Schüler kaum nachhaltig verbessern. Umfangreiche Evidenz offenbart, dass Ausweitungen ∗ Lehrstuhl für Volkswirtschaftlehre, insb. Bildungsökonomik, Ludwigs-Maximilians-Universität München, ifo Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität und CESifo, Poschingerstr. 5, 81679 München, Tel.: 089/9224-1699, Fax: 089/9224-2699, E-Mail: [email protected]. Für tatkräftige Unterstützung danke ich Ina Becker, für konstruktive Kommentare dem Herausgeber und einem anonymen Gutachter. 1. Vgl. Hanushek und Kimko (2000), Barro (2001), Wößmann (2002, 2003d), Gundlach und Wößmann (2004) und Hanushek (2005). 2. Vgl. etwa Card (1999), Bishop (1992), Currie und Thomas (2001) und McIntosh und Vignoles (2001). C Verein für Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd. 2006, 9600 Garsington Road, Oxford OX4 2DQ, UK und 350 Main Street, Malden, MA 02148, USA. Ludger Wößmann auf der Inputseite wie einfache technische Expansionen der schulischen Einrichtungen oder zusätzliche Ausgaben pro Schüler im Allgemeinen nicht zu substantiellen Verbesserungen der Basiskompetenzen und Lernleistungen der Schüler führen. 3 Dasselbe Bild zeigt sich auch zwischen Ländern: Schüler in Ländern mit höheren Ausgabenniveaus oder kleineren Klassen schneiden nicht systematisch besser ab als Schüler in weniger gut ausgestatteten Ländern (Wößmann, 2002, 2003a, 2005e; Fuchs und Wößmann, 2004a, 2004b). Selbst die Ausstattung der Klassenzimmer mit Computern hat keinen signifikanten Einfluss auf die Schülerleistungen (Fuchs und Wößmann, 2004c, 2005). 4 Aufgrund der fehlenden Ressourceneffekte stellt sich die Frage, wie Schülerleistungen denn verbessert werden können. Gibt es konstruktive politische Schlussfolgerungen? Wirtschaftstheoretische Überlegungen legen nahe, dass die Leistung eines Systems durch die Anreize beeinflusst wird, denen sich die Akteure gegenübersehen. Erzielte Leistungen sind dann besser, wenn gute Schülerleistungen zu positiven Konsequenzen für die Akteure im Bildungsprozess führen, und schlechte Leistungen zu negativen Konsequenzen. Solche Anreize zur Erreichung hochwertiger Leistungen werden wiederum durch die Institutionen des Bildungssystems bestimmt – durch die Regeln und Regulierungen mit ihren expliziten und impliziten Belohnungen und Sanktionen für die Bildungsakteure. Deshalb können institutionelle Gegebenheiten einen entscheidenden Einfluss auf die erzielten Schülerleistungen ausüben. Jüngste Untersuchungen belegen, dass institutionelle Gegebenheiten in der Tat sehr wichtig sind. Zur effektiven Bereitstellung hochwertiger Bildung scheinen institutionelle Reformen des Bildungssystems selbst notwendig zu sein. Drei institutionelle Gegebenheiten, die Teil eines erfolgreichen Bildungssystems sein können, sind durch den privaten Sektor entstehender Wettbewerb, Schulautonomie durch Dezentralisierung der Verantwortung und Regelungen wie zentrale Prüfungen, die die Schulen für ihre Leistungen verantwortlich machen (Wößmann, 2004). Bei erfolgreicher Umsetzung können derartige Reformen die im System erzielten Lernleistungen erheblich steigern, weil sie die Anreize aller Beteiligten darauf ausrichten, hohe Lernleistungen der Schüler hervorzubringen. Empirische Evidenz für die Effekte solcher institutioneller Gegebenheiten ist allerdings schwierig zu erhalten, vor allem weil systemische Eigenschaften wie Wettbewerb, Autonomie und Prüfungssysteme üblicherweise innerhalb einzelner Länder kaum variieren. Zum Beispiel sind zentrale Prüfungssysteme 3. Für Evidenz zum Fehlen von substantiellen Ressourceneffekten im Allgemeinen, und von Klassengrößeneffekten im Besonderen, vgl. z.B. Hanushek et al. (1994), Gundlach und Wößmann (2000), Gundlach et al. (2001), Wößmann (2002, 2005c), Hanushek (2003), Krueger (2003) und Wößmann und West (2006). 4. Im Gegensatz dazu finden alle internationalen Schülerleistungsstudien starke Effekte des familiären Hintergrunds. Schüler aus Familien mit höherem Bildungs- und sozioökonomischen Hintergrund schneiden wesentlich besser ab (vgl. Wößmann, 2003a; Fuchs und Wößmann, 2004a, 2004b; Schütz et al., 2005; Schütz und Wößmann, 2006). Nur unterliegt der familiäre Hintergrund keiner einfachen bildungspolitischen Einflussnahme. 418 C Verein für Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd. 2006 Bildungspolitische Lehren aus den internationalen Schülertests in der Regel nationale Gegebenheiten, die entweder im ganzen Land existieren oder überhaupt nicht. 5 Außerdem können Wettbewerb, Autonomie und Verantwortlichkeit auch systemische Effekte entfalten, die nicht nur die einzelne Schule selbst, sondern durch Interaktionen das ganze System betreffen. Beispielsweise mag das Vorhandensein privater Schulen nicht nur die Leistungen derjenigen Schüler beeinflussen, die diese Privatschulen besuchen, sondern auch die Leistungen in nahe gelegenen staatlichen Schulen, die im Wettbewerb mit diesen Privatschulen stehen. So dürfte die Tatsache, dass drei Viertel der Schüler im niederländischen Schulsystem privat geleitete Schulen besuchen, systemische Effekte auf das gesamte niederländische Schulsystem haben im Vergleich zu Schulsystemen, die einen geringen Anteil privater Schulen aufweisen. Ein weiteres Problem der auf Variationen innerhalb einzelner Länder beruhenden Evidenz besteht darin, dass institutionelle Variation, die innerhalb eines Landes existiert, meist nicht zufällig ist. Stattdessen dürfte diese Variation durch das zielgerichtete Handeln von Individuen hervorgerufen sein, die sich auch in anderer Hinsicht unterscheiden, was die empirische Identifikation der tatsächlichen Effekte institutioneller Gegebenheiten verzerren kann. 6 Deshalb betrachtet die in diesem Artikel berichtete Forschung eine andere Art der Variation in der Verbreitung von Wettbewerb, Autonomie und externer Leistungsüberprüfung: die Variation, die zwischen Ländern existiert. Zum Beispiel wird untersucht, ob Schüler in solchen Ländern höhere Bildungsleistungen erzielen, in denen die Eltern viel Wahlfreiheit bei der Entscheidung haben, ob sie ihre Kinder auf eine privat geleitete Schule schicken. Zur Beantwortung dieser Fragen greift der Artikel auf Daten mehrerer neuerer internationaler Schülerleistungstests zurück, die Länder vergleichende Informationen über Schülerleistungen liefern. Dadurch können die Untersuchungen die Leistungen zahlreicher Länder vergleichend betrachten, um zu erforschen, was die Länder bezüglich der Auswirkungen von Wettbewerb, Autonomie und Prüfungssystem voneinander lernen können. Im Folgenden skizziert Abschnitt 2 kurz das grundlegende theoretische Argument, weshalb Institutionen die erzielten Schülerleistungen beeinflussen. Der Abschnitt stellt außerdem dar, wie sich institutionelle Effekte anhand von internationaler Variation empirisch schätzen lassen, und führt die vier internationalen Schülerleistungstests ein, die die Datenbasis für die berichteten Analysen liefern. Abschnitt 3 berichtet die Evidenz zu Leistungseffekten der verschiedenen institutionellen Gegebenheiten: Wettbewerb durch privat geleitete Schulen, Schulautonomie und externe Prüfungssysteme. Abschließend behandelt der Abschnitt die Komplementarität von externen Prüfungen und 5. Ausnahmen sind Deutschland und Kanada, in denen zentrale Prüfungen eine regionale Gegebenheit sind. 6. Neuere Untersuchungen anhand von institutioneller Variation innerhalb von Ländern, die gleichzeitig Verzerrungen durch sonstige Effekte auszuschließen versuchen, werden im Folgenden an jeweils geeigneter Stelle ebenfalls kurz angesprochen. C Verein für Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd. 2006 419 Ludger Wößmann Schulautonomie. Abschnitt 4 fasst die Lehren zusammen, die die Bildungspolitik aus den internationalen Leistungstests für die bestmögliche Förderung schulischer Leistungen ziehen kann. 2. Institutionelle Effekte und wie sie sich empirisch schätzen lassen 2.1 Warum sollten Institutionen wichtig sein? Warum sollte man aus theoretischer Sicht erwarten, dass Institutionen wie Wettbewerb, Autonomie und Prüfungssystem die Schülerleistungen beeinflussen? 7 In der Privatwirtschaft werden Unternehmen durch den im Markt generierten Wettbewerb zu effizientem Handeln diszipliniert. Ineffizienzen führen zu höheren Kosten und Preisen, was die Kunden dazu bewegt, bei anderen Wettbewerbern einzukaufen. Damit übt Wettbewerb in der Privatwirtschaft eine Wahl- und Rechenschaftsfunktion aus, die zu hohen Leistungen führt. Doch überall auf der Welt finanzieren und verwalten Länder den Großteil ihrer Schulen staatlich (Pritchett, 2003). Dieser relative Wettbewerbsmangel im allgemein bildenden Schulsektor neigt dazu, Anreize zur Qualitätsverbesserung und Kostenbeschränkung zu dämpfen (Hanushek et al., 1994). Außerdem beschränken enorme Hindernisse zum Verlassen schlechter Schulen im staatlichen System oftmals die Möglichkeit von Eltern und Schülern, eine hochwertige Bildung zu erlangen. Deshalb können Institutionen, die Wahlfreiheit und Rechenschaft erzeugen, im staatlichen Schulsystem zu besseren Schülerleistungen führen. Solche Institutionen schaffen Anreize für das Schulpersonal, die Ressourcen so zu nutzen, dass dabei die besten Ergebnisse herauskommen. Damit können die Institutionen letztlich zu hohen Lernleistungen der Schüler beitragen. 8 Die Wahl- und Rechenschaftsfunktion, die Institutionen in das Schulsystem einbringen können, ist nicht allein auf die Wahlmöglichkeit der Eltern hinsichtlich privat geleiteter Schulen beschränkt. Sie schließt zum Beispiel auch die Wahlmöglichkeit der Schulen und Lehrer ein, autonome Entscheidungen zu treffen. Außerdem können institutionelle Gegebenheiten wie externe Abschlussprüfungen und regelmäßige Überwachungen des Lernfortschritts der Schüler durch Tests und Prüfungen eine Rechenschaftsfunktion ausüben, die sowohl auf Schulen als auch auf Schüler abzielen kann. 7. Abschnitte 2 und 3 lehnen sich in Teilen an Wößmann (2005b) an. 8. Vgl. Bishop und Wößmann (2004) für ein ausführlicheres theoretisches Modell institutioneller Effekte im Schulsystem. 420 C Verein für Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd. 2006 Bildungspolitische Lehren aus den internationalen Schülertests 2.2 Wie erhält man empirische Evidenz für institutionelle Effekte? Wie kann getestet werden, ob diese hypothetischen Effekte von Wettbewerb, Schulautonomie und Prüfungssystemen in der realen Welt vorliegen? Und wie lässt sich ihre Größe schätzen? Um Evidenz für institutionelle Effekte zu erlangen, benötigt man natürlich Variation in den institutionellen Gegebenheiten. Innerhalb eines Landes variieren institutionelle Gegebenheiten wie Wettbewerb, Autonomie und externe Leistungsüberprüfung nur äußerst selten. Und wenn sie variieren, dann ist diese Variation oftmals in einem Maße mit Selektionstatbeständen verbunden, das eine empirische Identifikation nur schwer ermöglicht. Wie im offensichtlichen Fall der systemweiten zentralen Prüfungen liegen institutionelle Gegebenheiten zumeist entweder im gesamten System vor oder gar nicht, so dass Leistungseffekte dieser Institution innerhalb eines Schulsystems nicht beobachtet werden können. Da der Großteil der bisher existierenden bildungsökonomischen Leistungsforschung sich aber auf einzelne Länder konzentriert, werden in den meisten empirischen Studien der Determinanten von Bildungsleistung die potentiell wichtigen Effekte institutioneller Gegebenheiten gar nicht berücksichtigt. Deshalb wird in diesem Artikel die institutionelle Variation genutzt, die zwischen Ländern besteht. Manche Länder haben zentrale Prüfungssysteme, andere haben sie nicht. In manchen Ländern gibt es viel Wahlfreiheit, in anderen Ländern nicht. Der vorliegende Artikel macht sich diese Art der Variation zunutze, um herauszufinden, welche institutionellen Faktoren mit besseren Schülerleistungen zusammenhängen und welche nicht. Zum Beispiel schätzt er, ob Schüler in Ländern, in denen Eltern und Schüler große Wahlfreiheit in Bezug auf privat geleitete Schulen haben, bessere Leistungen aufweisen als Schüler in Ländern ohne solche Wahlfreiheit. Allerdings hat die international vergleichende Herangehensweise auch ihre Grenzen. Zum einen kann sie zumeist nur allgemeine Zusammenhangsmuster aufzeigen, ohne dass bei der beschränkten Anzahl von Länderbeobachtungen eine vertiefte Analyse von in der Realität oftmals entscheidenden Details der Umsetzung möglich wäre. Zum anderen gibt es natürlich Grenzen der kausalen Interpretation internationaler Querschnittsuntersuchungen. In dem Maße, wie die internationale Variation der institutionellen Gegebenheiten mit anderen unbeobachteten Eigenschaften der Länder zusammenhängt, können die empirischen Zusammenhänge nur ein verzerrtes Abbild der tatsächlichen kausalen Zusammenhänge liefern. Deshalb kontrollieren die im vorliegenden Artikel berichteten Ergebnisse in ungewöhnlich umfassender Weise für Unterschiede in den Eigenschaften von Schülern, Schulen und Ländern. So werden die Einflüsse zahlreicher Variablen des familiären Hintergrundes, der materiellen und personellen Ausstattung der Schulen sowie des Pro-KopfEinkommens und des Ausgabenniveaus des Landes herausgerechnet. Diese Berücksichtigung beobachtbarer Einflussfaktoren ermöglicht einen Vergleich von Schülern, Schulen und Ländern, die sich in Bezug auf diese Einflussfaktoren gleichen. Gleichwohl liefern die internationalen C Verein für Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd. 2006 421 Ludger Wößmann Schülerleistungstests Beobachtungsdaten, in denen die institutionellen Gegebenheiten nicht wie in einem kontrollierten Experiment zufällig auf Untersuchungs- und Kontrollgruppe aufgeteilt wurden. Insofern die institutionellen Gegebenheiten in einem weiteren kulturellen Zusammenhang und historischer Verwurzelung stehen, sind die hier berichteten Zusammenhänge auch als Effekte solcher unbeobachtbarer Heterogenität zu verstehen, die nicht notwendigerweise einem direkten kausalen Effekt bei der erstmaligen Einführung in einem spezifischen Land entsprechen müssen. Allerdings werden an geeigneter Stelle auch jeweils Ergebnisse quasi-experimenteller Studien aus einzelnen Ländern berichtet, die die hier dargestellten internationalen Ergebnismuster der institutionellen Einflüsse durchaus bestätigen. 2.3 Die Datenbasis: Internationale Schülerleistungstests Die Daten, die die internationale Identifikation der institutionellen Effekte ermöglichen, stammen aus internationalen Schülerleistungstests. Diese Tests quantifizieren die Schülerleistungen in Fächern wie Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen, wobei durch Verwendung derselben Testfragen in allen teilnehmenden Ländern eine direkte internationale Vergleichbarkeit der Leistungsmaße sichergestellt wird. Des Weiteren erheben alle in diesem Artikel verwendeten internationalen Schülerleistungstests repräsentative Stichproben der Schüler in jedem teilnehmenden Land. Im Einzelnen verwenden die in diesem Artikel dargestellten Untersuchungen Daten von vier verschiedenen neueren internationalen Schülerleistungstests. Der erste Test ist die ,,Third International Mathematics and Science Study“ (TIMSS), die 1995 durchgeführt und deren Daten 1997 veröffentlicht wurden. TIMSS wurde von der ,,International Association for the Evaluation of Educational Achievement“ (IEA), einer unabhängigen Kooperation nationaler Forschungsinstitute und staatlicher Forschungsstellen, durchgeführt. TIMSS testete repräsentative Stichproben von Schülern der beiden Klassenstufen mit dem größten Anteil 13-Jähriger (üblicherweise die 7. und 8. Klassenstufe). Für die in diesem Artikel durchgeführten Analysen hat TIMSS international vergleichbare Daten für 266.545 Schüler an 6.107 Schulen in 39 Ländern geliefert (vgl. Wößmann, 2003a sowie die dort zitierten Referenzen für Details). Als zweiten Test hat die IEA 1999 eine Wiederholungsstudie des TIMSS-Tests unter dem Namen TIMSS-Repeat durchgeführt und die Daten 2001 veröffentlicht. TIMSS-Repeat testete die höhere der beiden in TIMSS getesteten Klassenstufen und umfasst 180.544 Schüler in 38 Ländern (vgl. Wößmann, 2003b sowie die dort zitierten Referenzen). Da sich die Stichprobe der teilnehmenden Länder zwischen den beiden Tests unterscheidet, umfasst die zusammengefasste TIMSS/TIMSS-Repeat-Datenbank 54 unterschiedliche Länder (447.089 Schüler). Als dritten Test hat die ,,Organisation for Economic Co-operation and Development“ (OECD) 2000 das ,,Programme for International Student 422 C Verein für Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd. 2006 Bildungspolitische Lehren aus den internationalen Schülertests Assessment“ (PISA) durchgeführt, das 15-jährige Schüler testete (Daten in 2002 veröffentlicht). Die PISA-Datenbank umfasst 32 Länder mit 175.227 Schülern in Lesen, 96.855 in Mathematik und 96.758 in Naturwissenschaften (vgl. Fuchs und Wößmann, 2004a sowie die dort zitierten Referenzen). Als vierten Test hat die IEA 2001 die ,,Progress in International Reading Literacy Study“ (PIRLS) – auf Deutsch ,,Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung“ (IGLU) genannt – durchgeführt, deren Daten 2003 veröffentlicht wurden. Während der Fokus der anderen Studien auf weiterführenden Schulen lag, untersuchte PIRLS die Leseleistungen von 140.626 Grundschülern in 35 Ländern (vgl. Fuchs und Wößmann, 2004b sowie die dort zitierten Referenzen). Die Zielgruppe bei PIRLS war die höhere der beiden Klassenstufen mit dem größten Anteil 9-Jähriger eines jeden Landes (üblicherweise die 4. Klassenstufe). Abbildung 1 zeigt die aggregierten Leistungen der Länder, die an den vier Tests teilgenommen haben. Jeder Test wurde so skaliert, dass er eine internationale Durchschnittsleistung von 500 Punkten unter den am jeweiligen Test teilnehmenden Ländern hat, mit einer internationalen Standardabweichung von 100 Punkten. 9 Die in Abbildung 1 gewählte Darstellungsweise verdeutlicht die substantielle internationale Leistungsvariation, die in jedem der Tests besteht, und hebt gleichzeitig zur Veranschaulichung das Leistungsniveau einiger ausgewählter Länder heraus. Aus der Abbildung wird ersichtlich, dass Deutschland bei den Sekundarschultests TIMSS und PISA nahe am Durchschnitt der jeweils teilnehmenden Länder und beim Primarschultest PIRLS über dem Durchschnitt lag. Die in diesem Artikel gestellte Frage ist, ob diejenigen Länder, die bei diesen Tests durchschnittlich besser abgeschnitten haben als Deutschland, einen institutionellen Aufbau ihrer Schulsysteme aufweisen, der mehr Wettbewerb, Autonomie und externe Leistungsüberprüfung ermöglicht. Dabei werden mögliche weitere Einflussfaktoren wie der familiäre Hintergrund, der Entwicklungstand des Landes und die durchschnittlichen Bildungsausgaben pro Schüler mit Hilfe ökonometrischer Methoden konstant gehalten. Die Tatsache, dass die Niederlande (das Land mit dem größten Anteil privat geleiteter Schulen) und Japan (das Land mit dem größten Anteil privater Schulen, die auch finanziell unabhängig von staatlichen Stellen sind) 10 regelmäßig über dem internationalen Durchschnitt liegen, kann als erstes Indiz dafür gelten, dass Wahlfreiheit einen Einfluss auf die Schülerleistungen haben könnte. Die in diesem Artikel durchgeführten Untersuchungen gehen jedoch weit über den einfachen Vergleich aggregierter Leistungen zwischen Ländern hinaus. Vielmehr werden die Leistungen auf der Ebene des individuellen Schülers analysiert, wobei nicht nur individuelle Schülerdaten über die 9. In PISA wurden der Mittelwert von 500 Punkten und die Standardabweichung von 100 Punkten für die Gruppe der OECD-Länder skaliert, so dass der Mittelwert von allen an PISA teilnehmenden Ländern ein wenig unter 500 Punkten liegt. 10. Finanzielle Unabhängigkeit bedeutet hier, dass weniger als die Hälfte der Kernfinanzierung für die elementaren Bildungsaufgaben einer Schule aus staatlichen Quellen stammen. C Verein für Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd. 2006 423 Ludger Wößmann Abbildung 1 Aggregierte Leistungen in internationalen Schülerleistungstests Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Daten der vier Tests. Die Abkürzungen sind die von der ,,International Organization for Standardization“ kodierten ISO-Codes der teilnehmenden Länder. Beispiele: AR = Argentinien; AT = Österreich; CA = Kanada; DE = Deutschland; EN = England; FR = Frankreich; GB = Großbritannien; JP = Japan; MA = Marokko; NL = Niederlande; US = Vereinigte Staaten von Amerika; ZA = Südafrika. Bildungsleistungen in Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen verwendet werden, sondern diese auch mit Daten über umfangreiche Hintergrundinformationen bezüglich weiterer potentieller Einflussfaktoren kombiniert werden. Diese umfassen Dutzende von Indikatoren des familiären Hintergrunds, meistens aus Schülerhintergrundfragebögen (und Elternfragebögen bei der Grundschulstudie PIRLS); einige Indikatoren der Ressourcenausstattung der Klassen und Schulen, die zumeist aus Lehrer- und Schulleiterfragebögen stammen; und einige Indikatoren der institutionellen Rahmenbedingungen des Schulsystems, hauptsächlich aus den Schulleiterfragebögen. Unter letzteren befinden sich auch verschiedene Indikatoren des Ausmaßes von Wettbewerb, 424 C Verein für Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd. 2006 Bildungspolitische Lehren aus den internationalen Schülertests Autonomie und Leistungsüberprüfung in der spezifischen Schule jedes getesteten Schülers. 3. Internationale Evidenz für institutionelle Effekte Zur Schätzung der institutionellen Effekte von Wettbewerb, Autonomie und externen Prüfungen wenden die in diesem Artikel zusammengefassten Forschungsarbeiten ökonometrische Techniken an, die solche Leistungsunterschiede herausrechnen, die aufgrund von Unterschieden im familiären Hintergrund und in der Ressourcenausstattung der Schulen zustande kommen. 11 Was finden diese Untersuchungen der internationalen Leistungstests in Bezug auf Effekte der zuvor angesprochenen Institutionen? 12 3.1 Wettbewerb durch privat geleitete Schulen Das erste hier untersuchte institutionelle Merkmal ist das Vorhandensein von privat geleiteten Schulen, die Wahlfreiheit für Eltern und damit Wettbewerb für staatliche Schulen schaffen. Industrieökonomische Modelle legen nahe, dass Wahlfreiheit und Wettbewerb Anreize zur Leistungsförderung schaffen. Es gibt zahlreiche theoretische Anwendungen dieser Modelle auf den Bildungsmarkt, häufig mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und widersprüchlichen Vorhersagen bezüglich der verteilungspolitischen Konsequenzen. 13 Doch die grundlegende Aussage dieser Modelle in Bezug auf die Effizienz des Schulsystems liegt darin, dass Wahlfreiheit und Wettbewerb im Bildungsbereich Anreize für Kostenreduktionen und leistungssteigernde Innovationen schaffen können, weil die Nachfrager (Eltern) die Möglichkeit haben, die Anbieter mit den besten Leistungen zu wählen. Die Quintessenz der Resultate der international vergleichenden Untersuchungen zum Wettbewerb durch Schulen in privater Trägerschaft ist, dass Schüler in Ländern, in denen mehr Schulen privat geleitet werden, bei den Tests in der Tat besser abschneiden. Wenn zum Beispiel der Anteil von Schülern in privat geleiteten Schulen in einem Land eine internationale Standardabweichung (oder 14 Prozentpunkte) höher war, erzielten Schüler im TIMSS-Test 10 Punkte mehr in Mathematik und 9 Punkte mehr in Naturwissenschaften (vgl. Wößmann, 2003a). 14 Verglichen mit dem Jahrgangsäquivalent (dem 11. Für methodische Details vgl. Wößmann (2003a, 2003b) und Fuchs und Wößmann (2004a). 12. Die Ergebnisse können hier nur kurz zusammengefasst werden. Für umfangreichere Details vgl. Wößmann (2001a, 2001b, 2002, 2003a, 2003e) für die TIMSS-Ergebnisse, Wößmann (2003b, 2003c) für TIMSS-Repeat, Fuchs und Wößmann (2004a) und Wößmann (2005d, 2005g) für PISA, Wößmann (2005a) für alle drei und Fuchs und Wößmann (2004b) für PIRLS. 13. Vgl. z.B. Chubb und Moe (1990), Shleifer (1998), Epple und Romano (1998), Nechyba (2000) und Gradstein et al. (2004). 14. Diese Ergebnisse beziehen sich auf die in TIMSS teilnehmenden OECD-Länder, für die konsistente Daten über den Privatschulanteil verfügbar sind. C Verein für Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd. 2006 425 Ludger Wößmann durchschnittlichen Leistungsunterschied zwischen der 7. und 8. Klassenstufe) von etwa 40 Punkten im TIMSS-Test ist dies ein großer Effekt. Anders ausgedrückt schnitten Schüler in Ländern, die über einen um 28 Prozentpunkte größeren Privatschulsektor verfügen, im Durchschnitt um die Lernleistung eines halben Schuljahres besser ab. Neben dem Effekt des Anteils privat geleiteter Schulen schnitten auch Schüler in Ländern, in denen ein höherer Anteil der staatlichen Bildungsausgaben an private Institutionen fließt, besser ab. Eine Erhöhung des Anteils öffentlicher Mittel, die unabhängigen privat geleiteten Schulen zugute kommen, um einen Prozentpunkt (oder eine internationale Standardabweichung), führte zu einer Verbesserung des Mathematik-Testergebnisses um 10 Testpunkte. Zusammenfassend sind die Schülerleistungen in Schulsystemen, in denen das Geld der Steuerzahler eher von privat geleiteten als von staatlichen Schulen ausgegeben wird, höher. Die bisher vorgestellte Evidenz auf Basis der TIMSS-Daten nutzt landesweite Maße des Ausmaßes des privaten Schulsektors. Dies lässt keine direkte Bewertung der relativen Leistungen staatlicher und privater Schulen zu, weil TIMSS keine Daten über die öffentliche oder private Trägerschaft individueller Schulen erhoben hat. Allerdings ist die Messung von Effekten des privaten Schulmanagements auf systemischer Ebene durchaus die relevante Ebene, wenn es darum geht, den systemischen Effekt des wettbewerblichen Umfeldes zu schätzen. Der Wettbewerb durch Privatschulen kann nämlich auch die Effektivität von nahe gelegenen staatlichen Schulen positiv beeinflussen. Im Gegensatz zu TIMSS hat PISA zum ersten Mal Daten über die staatliche oder private Leitung und Finanzierung der einzelnen getesteten Schulen erhoben. Der PISA-Datensatz verfügt über Informationen für jede untersuchte Schule sowohl darüber, ob die Schule privat oder staatlich geleitet wird, als auch darüber, wie groß der staatliche Anteil an ihrer Finanzierung ist. Als unter staatlicher Schulleitung stehend werden dabei alle Schulen definiert, die direkt oder indirekt durch eine öffentliche Schulbehörde, eine Regierungsbehörde oder durch einen von der Regierung ernannten oder von der Öffentlichkeit gewählten Verwaltungsrat verwaltet werden. Dementsprechend werden alle Schulen, die direkt oder indirekt durch nicht-staatliche Organisationen wie z.B. Kirchen, Gewerkschaften, Unternehmen oder andere private Institutionen geleitet werden, als unter privater Schulleitung stehend definiert. Der Anteil der staatlichen Finanzierung wird definiert als der Prozentsatz der gesamten Schulfinanzierung, der aus staatlichen Quellen (auf verschiedenen Ebenen) stammt, im Gegensatz zu privaten Beiträgen wie Gebühren und Spenden. Bei der Betrachtung aller Länder ist das Ergebnis wiederum, dass Schüler in privat geleiteten Schulen besser abschneiden. Die Größe des Leistungsunterschieds zwischen privat und staatlich geleiteten Schulen liegt in den drei PISA-Fächern zwischen 16 und 20 Testpunkten (Fuchs und Wößmann, 2004a). Bei der Interpretation dieser Ergebnisse auf der Basis individueller Variation innerhalb der Länder ist jedoch Vorsicht geboten, da es zu einer Selbstselektion von Schülern mit unterschiedlichen Fähigkeiten in private bzw. staatliche 426 C Verein für Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd. 2006 Bildungspolitische Lehren aus den internationalen Schülertests Schulen kommen kann. Während die meisten Merkmale der Selbstselektion durch die in den Analysen enthaltenen umfassenden Kontrollvariablen für den familiären Hintergrund herausgerechnet wurden, kann es keine endgültige Sicherheit geben, ob nicht Selektionsverzerrung aufgrund unbeobachtbarer Heterogenität der Schüler verbleibt. Wößmann (2005g) liefert eine vertiefte Analyse der Effekte von privater versus öffentlicher Schulleitung und -finanzierung in PISA, wobei diese Eigenschaften zumeist auf Landesebene gemessen werden, um Selektionsverzerrungen innerhalb von Ländern zu vermeiden. Diese Vorgehensweise erlaubt es auch wiederum, systemische Effekte abzubilden, bei denen sowohl private als auch öffentliche Schulen aufgrund der Existenz von privatem Wettbewerb auf einem höheren Niveau abschneiden. Die Ergebnisse belegen wiederum, dass Schüler in Ländern mit einem höheren Anteil privat geleiteter Schulen besser abschneiden. Gleichzeitig sind im Ländervergleich höhere Anteile öffentlicher Schulfinanzierung (in getrennter Betrachtung von der Schulleitung) mit besseren Schülerleistungen verbunden. Dieses Ergebnis ist in Abbildung 2 dargestellt. Länder, die relativ hohe Anteile privater Schulleitung mit relativ hohen Anteilen öffentlicher Finanzierung verbinden, schneiden unter allen möglichen LeitungsFinanzierungs-Kombinationen am besten ab, wohingegen Länder mit öffentlicher Leitung und privater Finanzierung am schlechtesten abschneiden. Darüber hinaus zeigt sich bei Messung auf Schulebene, dass der positive Effekt öffentlicher Finanzierung ausschließlich auf privat geleitete Schulen beschränkt ist. Diese Ergebnisse legen nahe, dass öffentliche Finanzierung die Wahlmöglichkeiten für ärmere Familien erweitern kann. Ohne öffentliche Finanzierung sind einkommensschwache Familien in ihrer Wahlfreiheit eingeschränkt, weil ihnen die finanziellen Mittel fehlen, sich für eine Privatschule zu entscheiden. In solchen Fällen kann staatliche Finanzierung diesen Familien dabei helfen, ihre Wahlfreiheit für privat geleitete Schulen auszuüben. So könnte der positive Effekt öffentlicher Finanzierung ein weiterer Aspekt der leistungsfördernden Wirkung von Schulwahl und -wettbewerb sein. Unter dem Vorbehalt, dass auf Beobachtungsdaten beruhende Studien Grenzen in der kausalen Interpretation haben, deutet die internationale Evidenz darauf hin, dass Schulsysteme mit Public-PrivatePartnerships, in denen der Staat die Schulen finanziert, ihre operative Leitung aber dem privaten Sektor überlässt, die effektivsten Systeme in Bezug auf eine Förderung der Bildungsleistungen der Schüler zu sein scheinen. Die internationale Evidenz positiver Leistungseffekte des Wettbewerbs wird auch durch Evidenz innerhalb einzelner Länder untermauert. 15 So scheint die Wahl von (katholischen) Privatschulen bei Schülern aus ärmeren Vierteln amerikanischer Großstädte zu besseren Leistungen zu führen (Neal, 1997, 15. Vgl. auch Hoxby (2003a) für aktuelle Forschungsergebnisse zur Ökonomie von Schulwahl und -wettbewerb. C Verein für Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd. 2006 427 Ludger Wößmann 80 74,6 Mathematikleistung in PISA-T estpunkten (relativ zur niedrigsten Kategorie) 60 36,6 40 36,7 20 relativ hoch 0 0,0 relativ niedrig Anteil öffentlicher Schulleitung Abbildung 2 relativ hoch relativ niedrig Anteil öffentlicher Schulfinanzierung Effekte privater versus öffentlicher Schulleitung und –finanzierung Quelle: Wößmann (2005g). 2002). Hoxby (2003b) fasst umfangreiche Evidenz jüngster experimenteller Studien in den USA zusammen, die belegt, dass Wahlfreiheit und Wettbewerb zwischen Schulen, unter anderem in Form von Bildungsgutscheinen und so genannten ,,Charter Schools“ (relativ autonomen öffentlichen Schulen, die den Eltern zusätzliche Wahlmöglichkeiten eröffnen), nicht nur die Leistungen der Schüler in diesen Schulen verbessern, sondern auch die Schülerleistungen in den öffentlichen Schulen, die sich dem Wettbewerb ausgesetzt sehen. Mehrere experimentelle Untersuchungen in den USA belegen, dass Bildungsgutscheine die akademischen Leistungen von afroamerikanischen Schülern, die durch sie zu einer Privatschule wechseln konnten, wesentlich verbessert haben (Howell et al., 2002). Auch innerhalb des öffentlichen Systems konnten in den USA positive Leistungseffekte von Wettbewerb zwischen öffentlichen Schulen nachgewiesen werden (Hoxby, 2000). Außerhalb der Vereinigten Staaten finden Bradley und Taylor (2002) und Levaĉić (2004) ähnliche positive Effekte des Schulwettbewerbs auf die Leistungen englischer Schulen. Sandström und Bergström (2005) und Björklund et al. (2004) belegen signifikante positive Effekte von Wettbewerb durch privat geleitete Schulen auf öffentliche Schulen in Schweden. Filer und Münich (2003) zeigen, dass die Einführung eines gutscheinähnlichen Systems in der 428 C Verein für Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd. 2006 Bildungspolitische Lehren aus den internationalen Schülertests Tschechischen Republik dazu geführt hat, dass private Schulen gerade dort entstanden, wo die öffentlichen Schulen schlechte Ergebnisse vorzuweisen hatten, und dass dem privaten Wettbewerb ausgesetzte öffentliche Schulen ihre Ergebnisse verbesserten. Bei einem Gutscheinprogramm zum Besuch von Privatschulen in Kolumbien konnte gezeigt werden, dass die Nutzen klar die Kosten überstiegen, welche etwa den Kosten der öffentlichen Schulen entsprachen (Angrist et al., 2002). All dies zeigt, dass Wettbewerb durch privat geleitete Schulen positive Effekte auf die akademischen Leistungen von Schülern haben kann. Es gibt natürlich auch wichtige Vorbehalte, die bei der Einführung von Wettbewerb im Bildungsbereich zu berücksichtigen sind und eine wohlbedachte Ausgestaltung notwendig machen. Kritiker befürchten vor allem verstärkte Aufteilung nach sozioökonomischem Hintergrund und negative Effekte für benachteiligte Schüler (z.B. Ladd, 2002, Cullen et al., 2005, Burgess et al., 2006), obwohl die Evidenz zum Teil sogar auf ausgleichende Effekte hindeutet (z.B. Hoxby, 2003b, Nechyba, 2000). Andere argumentieren, dass ein universelles Gutscheinsystem erhebliche administrative Kosten mit sich bringen könnte (Levin, 1998). Es ist also noch weit mehr Forschung notwendig, bevor die Funktionsweise von Wettbewerb im Bildungssystem und die Umstände, die dessen Effekte bestimmen, umfassend verstanden werden. Aber die vorhandene Evidenz deutet stark darauf hin, dass die Schaffung von Wettbewerb durch private Bildungsanbieter in Kombination mit öffentlicher Finanzierung der Schulen die Effizienz des Schulsystems erhöhen kann. 3.2 Schulautonomie Die zweite analysierte institutionelle Gegebenheit ist das Ausmaß an Autonomie, das Schulen in verschiedenen Entscheidungsbereichen haben. Schulautonomie gibt an, inwieweit Schulen und Lehrer eigenständige Entscheidungen treffen können. Dieses institutionelle Merkmal überlappt zwar in einigen Beziehungen mit dem Merkmal Wettbewerb, lässt sich aber konzeptionell von ihm trennen. Beim Merkmal Wettbewerb geht es um die Wahlfreiheit der Nachfrager. Im Wettbewerb stehende Schulen können Entscheidungsautonomie aufweisen oder nicht. So weisen Wahlmöglichkeiten eröffnende privat geleitete Schulen oftmals, aber keineswegs immer eine höhere Autonomie auf als öffentlich geleitete Schulen. Gleichzeitig können autonome Schulen dem Wettbewerb durch Wahlalternativen ausgesetzt sein oder nicht. Ökonomische Modelle der Zentralisation oder Dezentralisation des Schulbetriebs legen nahe, dass Autonomie unter bestimmten Umständen zu erhöhter Effektivität von Schulen führen kann. 16 Die Ergebnisse der Untersuchungen der internationalen Tests zeigen, dass Schüler in Schulen mit Autonomie bei Entscheidungen im 16. Vgl. z.B. Hoxby (1999, 2001), Behrman und King (2001), Nechyba (2003) und Bishop und Wößmann (2004). C Verein für Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd. 2006 429 Ludger Wößmann Prozess- und Personalbereich besser abschneiden (Wößmann, 2003a, Fuchs und Wößmann, 2004a). Diese Entscheidungen beinhalten Bereiche wie den Kauf von Lehrmitteln und die Budgetverteilung innerhalb der Schulen, Einstellung und Vergütung von Lehrern (innerhalb eines gegebenen Budgets) sowie die Auswahl der Lehrbücher, Lehrmethoden und dergleichen. Der Befund positiver Leistungseffekte von Schulautonomie in diesen Entscheidungsbereichen ergibt sich sowohl in den Tests in den weiterführenden Schulen als auch in dem Grundschultest (Fuchs und Wößmann, 2004b). In ähnlicher Weise schneiden Schüler dann besser ab, wenn ihre Lehrer sowohl die Anreize als auch die Möglichkeiten haben, über angemessene Lehrmethoden zu entscheiden (Wößmann, 2003a, Fuchs und Wößmann, 2004a). Somit haben auch Entscheidungs- und Wahlmöglichkeiten der Lehrer positive Leistungseffekte – so lange die Lehrer für die Ergebnisse ihrer Entscheidungen zur Verantwortung gezogen werden können (vgl. Abschnitt 3.4). 3.3 Systeme der externen Leistungsüberprüfung Prinzipal-Agenten-Modelle der Bildungsproduktion zeigen, dass die Einführung klarer Leistungsstandards und die Bereitstellung von Leistungsinformationen die Anreize auf verbesserte Schülerleistungen ausrichten können (z.B. Costrell, 1994, Betts, 1998). Indem sie Eltern und möglichen Arbeitgebern das Leistungsvermögen der Schüler signalisieren, erhöhen externe Abschlussprüfungen sowohl die Belohnung der Schüler für gute Leistungen als auch den elterlichen Spielraum zur Überwachung des Bildungsprozesses, was sich letztlich positiv auf die Schülerleistungen auswirkt (z.B. Bishop und Wößmann, 2004, Bishop, 2006). Die durch externe Prüfungen hervorgerufene Verantwortlichkeit (Rechenschaft, Transparenz; englisch: ,,accountability“) der Verursacher kann dazu beitragen, eine zentrale Herausforderung der institutionellen Gestaltung des Schulsystems zu bewältigen: Sie schafft Anreize für das Schulpersonal, sich nicht nach eigenen Partikularinteressen zu verhalten, sondern das Augenmerk auf das bestmögliche Lernen der Schüler zu richten. 17 Beispielsweise wäre es möglich, dass viele Lehrer ohne entsprechende Anreize nicht die viel versprechendsten Lehrmethoden anwenden, sondern solche Methoden vorziehen, die für sie am bequemsten sind. Wenn ein Schulsystem aber die Leistungen der Schüler mit externen Prüfungen bewertet und diese Informationen zur Bewertung der Lehrer nutzt, dann könnte das die Lehrer dazu bewegen, ihre Partikularinteressen beiseite zu schieben und sich stattdessen hauptsächlich auf die Verbesserung der Schülerleistungen zu konzentrieren. Externe Leistungsüberprüfung macht also sowohl Schüler als auch Schulen und Lehrer für das verantwortlich, was sie lernen und lehren. 17. Zwei neuere Sammlungen von Arbeiten zu Rechenschaftssystemen (,,accountability“) sind Evers und Walberg (2002) und Peterson und West (2003). 430 C Verein für Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd. 2006 Bildungspolitische Lehren aus den internationalen Schülertests Genau das wird durch die Evidenz der internationalen Schülertests belegt. Schüler in Ländern mit externen Abschlussprüfungen wie einem Zentralabitur schneiden in den internationalen Leistungstests wesentlich besser ab als Schüler in Ländern ohne solche Prüfungen. Dies trifft zu für TIMSS, TIMSSRepeat und PISA (Wößmann, 2003a, 2003b, 2005a, Fuchsund Wößmann, 2004a), aber auch schon für frühere internationale Leistungstests (Bishop, 1997, 2006). Zusammengenommen deutet die Evidenz darauf hin, dass der Effekt größer sein kann als der eines ganzen Jahrgangsstufenäquivalents – also das, was Schüler im Durchschnitt in einem ganzen Schuljahr lernen. Demnach sind die Schülerleistungen dort, wo Schüler und Schulen durch externe Prüfungen für ihr Verhalten verantwortlich gemacht werden, wesentlich besser. In ähnlicher Weise schneiden Schüler, deren Eltern Interesse an der Lehrtätigkeit zeigen, besser ab (Wößmann, 2003a). Dieser Effekt könnte darauf hindeuten, dass sich die Lernleistungen verbessern, wenn die Eltern Wahlmöglichkeiten haben und wenn sie die Schulen und Schüler für ihr Verhalten verantwortlich machen. Ebenso schneiden Schüler besser ab, deren Lehrer viel Wert auf die Überwachung der Lernfortschritte ihrer Schüler durch regelmäßige Tests und Prüfungen legen (Fuchs und Wößmann, 2004a). Dies ist zusätzliche Evidenz dafür, dass Verantwortlichkeit der Schüler für ihre Leistungen diese Leistungen steigert. Dieses Ergebnis trifft übrigens in der Grundschule genauso zu wie in weiterführenden Schulen (Fuchs und Wößmann, 2004b). Vergleichbare Evidenz für positive Leistungseffekte klarer Leistungsüberprüfung zeigt sich auch innerhalb von Schulsystemen. In den beiden nationalen Bildungssystemen, in denen die Existenz externer Prüfungen innerhalb des Landes variiert, weil manche Regionen externe Prüfungen anwenden und andere nicht (Deutschland und Kanada), wurde in ähnlicher Weise gezeigt, dass Schüler in Regionen mit externen Prüfungen besser abschneiden (Bishop, 1997, Jürges et al., 2005a, 2005b). Figlio und Lucas (2004) weisen positive Effekte von fordernden Benotungsstandards auf die Leistungen amerikanischer Schüler nach. Ein weiteres Mittel, um die Verantwortlichkeit zu erhöhen, sind auf Schulen fokussierte ,,Accountability“-Systeme. In den USA haben solche externen Prüfungssysteme mit expliziten Konsequenzen für die Schulen die Lernleistungen der Schüler erhöht (Carnoy und Loeb, 2003, Hanushek und Raymond, 2004, Jacob, 2005). Eine institutionelle Gegebenheit, die Verantwortlichkeit mit elterlichen Wahlmöglichkeiten verbindet, sind Systeme, die Schülern, deren Schulen in externen Tests regelmäßig schlecht abschneiden, Gutscheine zum Besuch von Privatschulen geben. In Florida hat die Bedrohung, dass Eltern bei schlechtem Abschneiden ihrer öffentlichen Schule die freie Wahl einer alternativen privaten Schule haben, die Leistungen insbesondere benachteiligter Schüler signifikant verbessert (West und Peterson, 2006). Es ist natürlich zu bedenken, dass die Gestaltung angemessener Rechenschaftssysteme, die die Akteure nur für solche Ergebnisse verantwortlich machen, für die sie auch wirklich verantwortlich sind, keine leichte C Verein für Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd. 2006 431 Ludger Wößmann Aufgabe darstellt. Externe Abschlussprüfungen können leistungsfördernde Anreize für Schüler setzen, wenn sie Leistungssignale erzeugen, die für die Schüler echte Konsequenzen mit sich bringen. Bishop (2006) stellt dar, dass ein gut gestaltetes System externer Abschlussprüfungen auf dem Curriculum basieren, Leistungen relativ zu einem externen Standard definieren, die ganze Spanne möglicher Leistungen messen, mehrere Leistungsniveaus signalisieren und den Großteil der Schüler umfassen sollte. Im Gegensatz dazu bedürfen auf Schulen abzielende Rechenschaftssysteme eines Value-added-Ansatzes, der die Steigerung (anstelle des Niveaus) der Lernleistungen jedes einzelnen Schülers testet (vgl. Kane und Staiger, 2002, Ladd und Walsh, 2002). Darüber hinaus können auf Schulen fokussierte Rechenschaftssysteme auch zu strategischem Verhalten von Lehrern und Schulen führen, z.B. indem leistungsschwache Schüler verstärkt in speziellen Bildungsprogrammen untergebracht werden, die außerhalb des Rechenschaftssystems sind, oder indem leistungsschwachen Schülern präventiv die Versetzung verweigert wird (Jacob, 2005). Außerdem kann die Verbindung der Tests mit tief greifenden Konsequenzen Anreize zu direkter Täuschung schaffen (Jacob und Levitt, 2003). Deshalb ist es bei der Gestaltung von Rechenschaftssystemen äußerst wichtig, die Möglichkeit zu strategischem Verhalten und Betrug durch entsprechende Implementierung so gering wie möglich zu halten. Im Gegensatz dazu sollten Bedenken über die direkten Kosten externer Prüfungssysteme nicht überbewertet werden, denn die Kosten der ,,Accountability“-Programme, die in den USA eingeführt wurden und umfangreiche externe Prüfungen beinhalten, konnten als relativ unbedeutend belegt werden (Hoxby, 2002). 3.4 Externe Prüfungen als ,,Währung“ dezentral organisierter Schulsysteme Bislang wurden Schulautonomie und externe Prüfungen als separate institutionelle Gegebenheiten betrachtet. Aber es gibt Gründe, dass externe Prüfungen und Schulautonomie komplementär zueinander sind, dass also das eine besonders effektiv ist, wenn auch das andere existiert (Wößmann, 2005a). Anders ausgedrückt sind externe Prüfungen eine Voraussetzung dafür, dass dezentrale Systeme mit Wahlfreiheit zwischen autonomen Schulen gut funktionieren. In diesem Sinn können externe Prüfungen als ,,Währung“ dezentraler Schulsysteme fungieren (Wößmann, 2003c). Im Wirtschaftssystem ist die Währung (das Geld) ein institutionelles Merkmal, das die Bewertung und den Vergleich verschiedener Objekte ermöglicht. Die durch die Währung als Maßeinheit erst ermöglichten Preissignale schaffen Wissen über Präferenzen, Knappheiten und Bewertungen, das eine einzelne Person nie ansammeln könnte. Externe Prüfungen können solch eine ,,Preisinformation“ für das Schulsystem bereitstellen. Dabei kommt es darauf an, dass die Prüfungen als standardisierte Tests von unabhängigen Institutionen und in für die Schulen externer Weise durchgeführt werden, damit sie 432 C Verein für Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd. 2006 Bildungspolitische Lehren aus den internationalen Schülertests unabhängige und vergleichbare Informationen über die Leistungen der Schulen liefern. Eltern können diese durch die externen Prüfungen geschaffenen Informationen für informierte Entscheidungen nutzen. Dies ist der Kern der Idee der Verantwortlichkeit: Sie schafft Wettbewerb, wo zuvor kein vergleichbarer Maßstab existierte, um sachkundige Entscheidungen zu treffen. Wenn ein solches ,,Preissystem“ vorhanden ist, ist von einem System dezentral organisierter, autonomer Schulen zu erwarten, dass es weit bessere Leistungen hervorbringt als zentral organisierte Schulsysteme. Der Grund dafür liegt sowohl darin, dass autonome Schulen ihr überlegenes lokales Wissen darüber nutzen können, wie man ihre jeweiligen Schüler am besten unterrichtet, als auch darin, dass der Wettbewerb ihnen Anreize bietet, ihre Anstrengungen auf das Lernen der Schüler zu fokussieren. Diese Überlegungen werden durch die Evidenz der internationalen Schülertests bestätigt. Die Untersuchungsergebnisse zeigen nicht nur, dass externe Abschlussprüfungen die Bildungsleistungen verbessern, sondern zugleich auch, dass Schulautonomie in Systemen mit externen Prüfungen leistungsförderlicher ist (Wößmann, 2003c, 2005a, Fuchs und Wößmann, 2004a). In mehreren Entscheidungsbereichen kehren externe Prüfungen sogar ansonsten negative Leistungseffekte der Schulautonomie komplett in positive Effekte um. Solch ein Fall ist in Abbildung 3 abgebildet. Die Abbildung stellt die Mathematikleistungen der Schüler in TIMSS und TIMSS-Repeat unter den vier Zuständen dar, die aus dem Vorhandensein oder Fehlen von zentralen Prüfungen und Schulautonomie über Lehrergehälter resultieren: die Schülerleistungen in Schulen ohne Gehaltsautonomie in Systemen ohne zentrale Prüfungen; mit Autonomie, aber ohne zentrale Prüfungen; ohne Autonomie, aber mit zentralen Prüfungen; und sowohl mit Autonomie als auch mit zentralen Prüfungen. Die Leistungen werden relativ zum Zustand mit der geringsten Leistung dargestellt, was in diesem Fall der Zustand mit Gehaltsautonomie und ohne zentrale Prüfungen ist. Abbildung 3 zeigt, dass Schulautonomie über Lehrergehälter in Systemen ohne zentrale Prüfungen einen negativen Effekt auf die erzielten Schülerleistungen hat. In Systemen mit zentralen Prüfungen sind die Schülerleistungen im Allgemeinen sowohl mit als auch ohne Autonomie höher als in Systemen ohne zentrale Prüfungen. Darüber hinaus kehrt sich aber auch der Effekt der Schulautonomie in Systemen mit zentralen Prüfungen komplett um: Gehaltsautonomie der Schulen hat in Systemen mit zentralen Prüfungen positive Auswirkungen auf die Schülerleistungen. Es besteht also eine starke Komplementarität zwischen externer Überprüfung und Schulautonomie. Schulen verhalten sich ohne die durch zentrale Prüfungen eingeführte Verantwortlichkeit opportunistisch, weil ihr lokales opportunistisches Verhalten nicht extern überwacht und somit auch nicht sanktioniert werden kann. Infolgedessen fühlen sich schulische Entscheidungsträger nicht dafür verantwortlich, über Lehrergehälter in einer C Verein für Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd. 2006 433 Ludger Wößmann 80 Mathematikleistung in T IMSS/T IMSSRepeat T estpunkten (relativ zur niedrigsten Kategorie) 76,2 70 55,5 60 50 40 30 20 23,7 Ja 10 0 0,0 Nein Schulautonomie über Lehrergehälter Abbildung 3 Nein Externe Abschlussprüfungen Ja Externe Prüfungen, Gehaltsautonomie und Schülerleistungen. Quelle: Wößmann (2005a). Art und Weise zu entscheiden, die zu verbesserten Schülerleistungen beiträgt. Stattdessen können sie ihre Entscheidungsautonomie zur Förderung anderer Interessen nutzen. Demgegenüber stellen zentrale Prüfungen Informationen darüber bereit, ob die Schulen gute oder schlechte Leistungen hervorbringen, so dass Eltern und Schulbehörden mögliche Konsequenzen aus leistungshemmendem Verhalten der Schulen ziehen können. Dadurch haben die Entscheidungsträger in den Schulen Anreize, ihre Autonomie bei der Festsetzung der Lehrergehälter nicht auf opportunistische Weise auszunutzen, sondern sie effektiv zur Förderung der Schülerleistungen einzusetzen. Dann treten auch die Vorteile des überlegenen lokalen Wissens in Kraft, weil die schulischen Entscheidungsträger im Allgemeinen viel besser als jede zentrale Behörde wissen, welche Lehrer es verdienen, für ihre gute Arbeit belohnt zu werden. Die durch die ,,Preisinformation“ der externen Prüfungen eingeführte Verantwortlichkeit scheint also Wettbewerb zu schaffen, der leistungsfördernde Effekte lokaler schulischer Entscheidungen hervorruft. Dieselben Effekte von Schulautonomie über Lehrergehälter mit und ohne zentrale Prüfungen finden sich nicht nur in TIMSS und TIMSS-Repeat, sondern auch in PISA (Fuchs und Wößmann, 2004a). Ähnliche Fälle, in denen externe Prüfungen einen negativen Autonomieeffekt in einen positiven umwandeln, konnten auch 434 C Verein für Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd. 2006 Bildungspolitische Lehren aus den internationalen Schülertests für Entscheidungsfelder wie Schulautonomie in der Bestimmung des Lehrinhalts sowie Lehrereinfluss über die Finanzierung der Lehrmittel gezeigt werden (vgl. Wößmann, 2005a, 2005f). Allgemeiner ausgedrückt deutet in etlichen Entscheidungsbereichen die Struktur der Evidenz darauf hin, dass Schulautonomie besser für Schülerleistungen ist, wenn es externe Abschlussprüfungen gibt (Wößmann, 2005a). Zusammenfassend zeigt dieser kurze Überblick, dass externe Prüfungen als ,,Währung“ des Schulsystems gesehen werden können. Sie sind ein Wertmaß, das dezentralen Opportunismus verhindert. Als solches sind sie eine Voraussetzung für das Erreichen hoher Schülerleistungen in dezentralen Schulsystemen. Effiziente Bildungspolitik sollte daher externe Prüfungen mit Schulautonomie kombinieren, indem sie Standards extern festlegt und ihr Erreichen extern überprüft, es dann aber den Schulen selbst überlässt, wie sie diese am besten erreichen. 4. Zusammenfassung und Schlussbetrachtung Die Schlussfolgerung der auf vier internationalen Schülerleistungstests basierenden Evidenz ist eindeutig: Institutionen sind wichtig! Institutionelle Gegebenheiten, die Wettbewerb, Autonomie und Verantwortlichkeit für erzielte Ergebnisse im Schulsystem verankern, sind entscheidend für hohe Schülerleistungen. Die einzelnen analysierten institutionellen Effekte addieren sich zu einem sehr großen Gesamteffekt. Beispielsweise machen sie in TIMSS mehr als 200 Testpunkte aus, verglichen mit 100 Testpunkten einer internationalen Standardabweichung oder 40 Testpunkten, die die Schüler im Durchschnitt in einem Schuljahr lernen (Wößmann, 2003a). Ähnlich kann etwa ein Viertel der gesamten internationalen Variation der PISA-Schülerleistungen auf internationale Variationen in institutionellen Rahmenbedingungen zurückgeführt werden (Fuchs und Wößmann, 2004a). 18 Die institutionellen Effekte sind also in der Tat sehr groß. Im Einzelnen lassen sich aus der präsentierten internationalen Evidenz folgende Lehren für die deutsche Bildungspolitik ziehen. Schüler schneiden besser ab - in Ländern mit mehr Wettbewerb durch privat geleitete Schulen, in Ländern, in denen eine öffentliche Finanzierung sicherstellt, dass alle Familien wählen können, - in Schulen mit Autonomie in Prozess- und Personalentscheidungen, - wenn Lehrer sowohl Anreize als auch Möglichkeiten haben, angemessene Lehrmethoden auszuwählen, - wenn Eltern ein Interesse an schulischen Angelegenheiten entwickeln, 18. Ein Großteil der verbleibenden internationalen Leistungsvariation kann auf Unterschiede im durchschnittlichen Schüler- und Familienhintergrund zurückgeführt werden. C Verein für Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd. 2006 435 Ludger Wößmann - wenn der Fortschritt der Schüler durch regelmäßige Prüfungen kontrolliert wird, - wenn Schulen durch externe Prüfungen zur Verantwortung gezogen werden, und - wenn externe Prüfungen und Schulautonomie kombiniert werden. Die auf internationalen Vergleichen zwischen zahlreichen Ländern basierende Evidenz ermöglicht es allen Ländern, voneinander zu lernen, wie ein Bildungssystem besser funktionieren kann. Kein einzelnes Land auf der Welt hat das uneingeschränkt beste Schulsystem, das alles richtig macht. Die in diesem Artikel eingenommene internationale Perspektive ermöglicht es, institutionelle Variationen zwischen allen Teilnehmerländern zu nutzen. Damit lassen sich die zugrunde liegenden Ursachen für unterschiedliche Leistungen analysieren, so dass die Länder insgesamt voneinander die sich ergebende beste Vorgehensweise lernen können. Die internationale Evidenz kann natürlich nur ein grundlegendes generelles Muster von Zusammenhängen aufdecken, nicht aber spezifische Details der praktischen Umsetzung im Einzelfall. Die jeweilige Umsetzung ist gleichwohl bei allen diskutierten institutionellen Rahmenbedingungen von entscheidender Bedeutung. Detailliertere Forschungsarbeiten müssen aufzeigen, wie sich Wettbewerb, Autonomie und externe Leistungsüberprüfung unter verschiedenen Umständen am besten umsetzen lassen. Aber die internationalen Ergebnisse können die ,,durchschnittlichen“ Effekte der Institutionen wiedergeben, wie sie in den realen Schulsystemen der verschiedenen Länder verwirklicht sind, und so einige der wesentlichen treibenden Erfolgskräfte im Schulsystem aufzeigen. Die Betrachtung von Wettbewerb, Autonomie und Prüfungssystemen liefert sicherlich auch keine vollständige Behandlung aller relevanten institutionellen Rahmenbedingungen des Schulsystems (vgl. Tabelle 1 für einen Überblick über ausgewählte institutionelle und weitere Einflussfaktoren auf den Bildungserfolg). So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass monetäre Anreize für Lehrer, die auf den gemessenen Schülerleistungen basieren, in Israel zu enorm verbesserten Schülerleistungen geführt haben (Lavy, 2002, 2004). In ähnlicher Weise finden Atkinson et al. (2004), dass die Einführung von leistungsbezogener Vergütung in England einen starken positiven Einfluss auf die Schülerleistungen hatte. 19 Anreize für Lehrer sind besonders wichtig, weil Lehrer – abgesehen von den Schülern selbst – sowohl kostenmäßig als auch inhaltlich den wichtigsten ,,Input“ im Bildungsprozess darstellen (Rivkin et al., 2005). Ein weiteres institutionelles Merkmal, das möglicherweise wichtige Auswirkungen auf die Bildungsleistungen hat, ist die Mehrgliedrigkeit 19. Atkinson et al. (2004) liefern auch einen Überblick über weitere Studien zu leistungsbezogener Lehrervergütung, von denen die methodisch überzeugenderen ebenfalls zumeist einen positiven Zusammenhang zwischen finanziellen Anreizen für Lehrer und Schülerleistungen finden. 436 C Verein für Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd. 2006 Bildungspolitische Lehren aus den internationalen Schülertests Tabelle 1 Einflussfaktor Ausgewählte Evidenz zu Einflussfaktoren des Bildungserfolgs Tendenzieller Befund Persönlicher Hintergrund Sozioökonomischer Nahezu ausnahmslos der stärkste Hintergrund der Einflussfaktor auf die SchülerEltern/ Familie leistungen, gerade in Deutschland; kausale Kanäle (Vererbung oder Erziehung) nicht eindeutig. Migrationshintergrund Schüler mit Migrationshintergrund schneiden signifikant schlechter ab; größter Teil ist aber auf sozioökonomischen Hintergrund zurückzuführen. Geschlecht Mädchen schneiden tendenziell in der Lesekompetenz besser ab, Jungen in Mathematik und Naturwissenschaften. Mitschüler- und Nicht eindeutig, aber neueste StuKompositionseffekte dien mit überzeugenden Identifikationsstrategien finden kaum kausale Effekte. Ausstattung der Schule Ausgaben pro Schüler Kaum Evidenz für signifikante Effekte auf die gemessenen Schülerleistungen. Klassengröße Kaum Evidenz für signifikante Effekte auf die gemessenen Schülerleistungen. Computerausstattung Kaum Evidenz für positive Effekte; negative Effekte bei sehr intensiver Nutzung. Unterrichtsmaterialien Stärkere Evidenz als bei den anderen schulischen Ausstattungsmerkmalen, obwohl nicht gänzlich eindeutig. Ausbildung und Wenig Evidenz für positive Effekte Erfahrung der Lehrer in USA, außer für die ersten Jahre der Lehr-Erfahrung; international gewisser positiver Zusammenhang. Akademische Der wichtigste Einflussfaktor Leistungen der Lehrer unter den beobachtbaren Lehrereigenschaften. C Verein für Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd. 2006 Weiterführende Literatur Schütz et al. (2005); Plug (2004) Entorf und Minoiu (2005) Fuchs und Wößmann (2004a) Hanushek et al. (2002, 2003); Vigdor und Nechyba (2006) Hanushek (2003); Wößmann (2002, Kapitel 3) Hanushek (2003); Wößmann (2005c) Fuchs und Wößmann (2004c) Pritchett und Filmer (1999); Fuchs und Wößmann (2004a) Hanushek (2003); Fuchs und Wößmann (2004a) Eide et al. (2004) 437 Ludger Wößmann Tabelle 1 Fortsetzung Qualität der Lehrer Entscheidender Einflussfaktor, gemessen an den großen Unterschieden, die verschiedene Lehrer denselben Schülern beibringen; allerdings kaum mit direkt beobachtbaren Lehrereigenschaften korreliert. Institutionelle Rahmenbedingungen Wettbewerb, Positive Effekte auf die SchülerPrivatschulen leistungen (vgl. Abschnitt 3.1). Schulautonomie Positive Effekte bei Personal- und Prozessentscheidungen, insbesondere bei gleichzeitigem Vorliegen externer Prüfungen (vgl. Abschnitte 3.2 und 3.4). Externe Prüfungen, Positive Effekte auf die SchülerRechenschaftssysteme leistungen (vgl. Abschnitte 3.3-3.4). Leistungsbezogene Lehrervergütung Vergewerkschaftung der Lehrer Mehrgliedrigkeit des Schulsystems Frühkindliche Bildung Positive Effekte auf die Schülerleistungen. Negative Effekte auf die Schülerleistungen. Kaum Effekte auf das Leistungsniveau, aber Verstärkung der Ungleichheit der Leistungen. Positive Effekte auf die Schülerleistungen, insbesondere für Kinder aus benachteiligtem Hintergrund. Rivkin et al. (2005) Hoxby (2003a, 2003b); Neal (2002); Wößmann (2005g) Wößmann (2003a, 2005a) Bishop (2006); Wößmann (2005a); Hanushek und Raymond (2004) Lavy (2002); Atkinson et al. (2004) Hoxby (1996) Hanushek und Wößmann (2006); Schütz et al. (2005) Currie (2001); Cunha et al. (2006); Schütz et al. (2005) des Schulsystems, die international mit verstärkter Ungleichheit der Schülerleistungen einhergeht (Hanushek und Wößmann, 2006). Ebenso scheint der Umfang des frühkindlichen Bildungssystems einen großen Einfluss auf die späteren Lernerfolge der Schüler zu haben (Schütz et al., 2005, Schütz und Wößmann, 2006). Demnach könnten sich Interventionen im frühkindlichen Alter als besonders wichtig erweisen, auch in Anbetracht der Bedeutung frühkindlicher Investitionen für weitere Humankapitalinvestitionen im Verlauf des Lebenszyklus einer Person (vgl. Carneiro und Heckman, 2003, Cunha et al., 2006). Die entscheidende Antwort auf die Frage, wie die Bildungspolitik die Basiskompetenzen und Lernleistungen hervorbringen kann, die den zukünftigen 438 C Verein für Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd. 2006 Bildungspolitische Lehren aus den internationalen Schülertests Erfolg von Individuen und Gesellschaften bestimmen, scheint in institutionellen Reformen zu liegen, und nicht in einer Ressourcenexpansion innerhalb des gegenwärtigen institutionellen Systems. Damit Bildungsinvestitionen sich in gesteigerten Schülerleistungen widerspiegeln, müssen alle Personen, die am Bildungsprozess beteiligt sind, sich den richtigen Anreizen gegenübersehen, die sie zu leistungsförderndem Verhalten bewegen. Die vorgestellte internationale Evidenz legt nahe, dass institutionelle Strukturen, die Wettbewerb, Autonomie und externe Überprüfung sicherstellen, eine gute Chance haben, durch leistungsförderliche Anreize die Schülerleistungen zu verbessern. Literaturverzeichnis Angrist, J., E. Bettinger, E. Bloom, E. King und M. Kremer (2002), Vouchers for Private Schooling in Colombia: Evidence from a Randomized Natural Experiment. American Economic Review 92, 1535–1558. Atkinson, A., S. Burgess, B. Croxson, P. Gregg, C. Propper, H. Slater und D. Wilson (2004), Evaluating the Impact of Performance-related Pay for Teachers in England, CMPO Working Paper 04/113, Centre for Market and Public Organisation, Bristol. Barro, R.J. 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Abstract: Evidence using micro data from four international student achievement tests shows that institutional features that ensure competition, autonomy and accountability in school systems are key to high student performance. The lessons that education policy can learn from the cross-country evidence include that students perform better (a) in countries with more competition from privately managed but publicly funded schools, (b) in schools with autonomy in process and personnel decisions, (c) if teachers have both incentives and powers to select appropriate teaching methods, (d) if parents take interest in teaching matters and (e) if students and schools are held accountable by external examinations. 444 C Verein für Socialpolitik und Blackwell Publishing Ltd. 2006