Medizinrechtinfo 2
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Pharmarecht | Mandanteninformation | 27. Juni 2012 | Seite 1 Der BGH hat entschieden: Keine Anwendung der Bestechlichkeitsstraftatbestände auf niedergelassene Ärzte, die für die vertragsärztliche Versorgung in der GKV zugelassen sind Dr. Ingo Schneider Rechtsanwalt Fachanwalt für Medizinrecht Nun hat der BGH die Katze aus dem Sack gelassen. Mit dem seit langem erwarteten Beschluss vom 29. März 2012 (GSSt 2/11), welcher am 22. Juni 2012 verkündet wurde, hat der Große Senat für Strafsachen entschieden, dass niedergelassene, für die vertragsärztliche Versorgung zugelassene Ärzte weder als Amtsträger noch als Beauftragte der gesetzlichen Krankenkassen handeln. Straftatbestände nach § 299 StGB wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr bzw. § 332 StGB wegen Bestechlichkeit im Zusammenhang mit der Amtsausübung finden keine Anwendung. 1. Entscheidungsgegenstand Dem Großen Senat für Strafsachen wurde im Rahmen einer Revision des 5. Strafsenates des BGH die Frage vorgelegt, ob ein niedergelassener, für die vertragsärztliche Versorgung zugelassener Arzt Amtsträger im Sinne der Straftaten im Amt (§§ 331 ff. StGB) oder aber Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes im geschäftlichen Verkehr im Sinne des § 299 StGB ist. Die Revision betrifft ein Strafverfahren, in dem eine Pharmare- ferentin eines pharmazeutischen Unternehmens niedergelassenen Vertragsärzten Geldzuwendungen versprach und leistete, wenn die Ärzte Arzneimittel des pharmazeutischen Unternehmens verordneten. Die Höhe der Prämie sollte 5% des Herstellerabgabepreises betragen. Die Zahlungen wurden sodann mit wissenschaftlichen Vorträgen ausgewiesen, die tatsächlich jedoch nicht stattfanden. Anklage wurde beim zuständigen Landgericht Hamburg gegen die Pharmareferentin erhoben. Das Landgericht verurteilte diese wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr nach § 299 Abs. 2 StGB. Eine Bestechung von Amtsträgern nach § 334 StGB lehnte das LG Hamburg ab. 2. Die Entscheidung Der Große Senat für Strafsachen hat entschieden, dass niedergelassene Ärzte, die für die vertragsärztliche Versorgung in der GKV zugelassen sind, keine Amtsträger nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) StGB sind. Kassen seien zwar jedenfalls sonstige Stellen der öffentlichen Verwaltung; Vertragsärzte seien jedoch nicht dazu bestellt, im Auftrag der gesetzlichen Krankenversicherungen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen. Dies begründet der BGH zumindest mit zwei wesentlichen Argumenten: a) Zum einen stehe das persönliche Verhältnis zwischen Patienten und Vertragsärzten im Vordergrund; ein hoheitlicher Charakter der Erfüllung öffentlicher Aufgaben trette dahinter deutlich zurück. Dieses Verhältnis sei durch ein Element des persönlichen Vertrauens bestimmt. Auch die Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln sei ebenfalls vordergründig persönlich zwischen Patient und Vertragsarzt geprägt. Auf dieses persönliche >> Castringius Rechtsanwälte & Notare Zweite Schlachtpforte 7 28195 Bremen Telefon (0421) 368 000 Telefax (0421) 368 0033 [email protected] www.castringius.de Pharmarecht | Mandanteninformation | 27. Juni 2012 | Seite 2 Der BGH hat entschieden: Keine Anwendung der Bestechlichkeitsstraftatbestände auf niedergelassene Ärzte, die für die vertragsärztliche Versorgung in der GKV zugelassen sind Verhältnis könne die jeweilige gesetzliche Krankenkasse nicht einwirken. Darin sieht sich der Große Senat für Strafsachen durch die Rechtsprechung des BGH in Zivilsachen bestätigt. Danach sei die ärztliche Heilbehandlung mit der Ausübung eines öffentlichen Amtes unvereinbar. Versorgung zur Teilnahme an dieser vertragsärztlichen Versorgung verpflichtet werden (§ 95 Abs. 3 Satz 1 SGB V). Ferner meint der BGH, dass die Zulassung von Ärzten zur vertragsärztlichen Versorgung keine „Bestellung“ sei, Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen. Dies ist jedoch erforderlich, um Amtsträger zu sein. Die Zulassung erfülle diese Voraussetzung nicht, weil darin keine der Krankenkasse zurechenbare Entscheidung vorläge. Die Zulassung erfolgte nämlich bei den Kassenärztlichen Vereinigungen. Nach der Entscheidung regele das SGB V in den §§ 72 ff. ein Konzept des gleichgerichteten Zusammenwirkens der an der ärztlichen Versorgung Beteiligten. Gesetzliche Krankenkassen könnten keinen und die Vertragspartner nur einen geringen Einfluss auf das Zustandekommen des einzelnen Behandlungsverhältnisses nehmen. Dies sei darin begründet, dass Versicherte nach § 46 SGB V das Recht auf freie Arztwahl hätten. Aus der Sicht des Versicherten stellt sich hiernach die Situation so dar, dass der jeweilige Patient den jeweiligen Vertrags- Zum anderen seien Ärzte Freiberufler, auch wenn sie durch die Zulassung zur vertragsärztlichen b) Vertragsärzte sind nach der Entscheidung auch nicht Beauftragte eines geschäftlichen Betriebes. arzt beauftragte, im Sinne des Patienten tätig zu werden. Ferner führt der BGH aus, dass niedergelassene Vertragsärzte nicht als Vertreter der Krankenkassen beim Zustandekommen eines jeden Kaufvertrages über ein verordnetes Arzneimittel tätig würden. Über die Reichweite und Konkretisierung der Leistungspflicht betreffend Arzneimittel könnten niedergelassene Vertragsärzte nicht abschließend und alleinverantwortlich entscheiden. Der Leistungsanspruch der Versicherten auf Versorgung mit Arzneimitteln sei durch eine Fülle von Vorgaben im SGB V sowie in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses geregelt. Zu allermeist werde die Konkretisierung des verordneten Arzneimittels erst auf der Ebene der Apotheken vorgenommen. Auch der Umstand, dass niedergelassene Vertragsärzte dem Wirtschaftlichkeitsgebot verpflichtet sind, ändere nach Auffassung des BGH hieran nichts. Diese Verpflichtung bestehe nämlich gegenüber den Kassenärztlichen Vereinigun>> Castringius Rechtsanwälte & Notare Zweite Schlachtpforte 7 28195 Bremen Telefon (0421) 368 000 Telefax (0421) 368 0033 [email protected] www.castringius.de Pharmarecht | Mandanteninformation | 27. Juni 2012 | Seite 3 Der BGH hat entschieden: Keine Anwendung der Bestechlichkeitsstraftatbestände auf niedergelassene Ärzte, die für die vertragsärztliche Versorgung in der GKV zugelassen sind gen sowie den gesetzlichen Krankenkassen. 3. Anmerkungen und Folgen Bemerkenswert ist, dass der Beschluss vom 29.03.2012 datiert. Aus der Presse ist hinlänglich bekannt, dass Mitte April 2012 im gesamten Bundesgebiet umfangreiche Durchsuchungsmaßnahmen in der Verantwortung der Staatsanwaltschaft Hannover durchgeführt wurden. Die Durchsuchungen wurden durchgeführt, weil auch die Staatsanwaltschaft Hannover davon ausging, dass sich eine Vielzahl von Onkologen im Sinne des § 299 StGB haben bestechen lassen. Auch hätten beschuldigte Apothekerinnen und Apotheker hierzu Beihilfe geleistet. Ermittelt wurde ebenfalls gegen ein pharmazeutisches Unternehmen. Hätte der BGH eine andere Entscheidung getroffen, so z. B. festgestellt, dass niedergelassene Vertragsärzte Amtsträger seien, so hätte dies weitreichende Folgen gehabt. Eine Körperverletzung durch einen Amtsträger wird nach § 340 StGB mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft, während eine Körperverletzung, die nicht im Amt erfolgt, keine Mindestfreiheitsstrafe vorsieht. Auch im Bereich von Betrugsdelikten sind Amtsträger ebenfalls einer höheren Bestrafung ausgesetzt. Während ein Betrug grundsätzlich mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet wird, kann ein Betrug durch Missbrauch einer Amtsstellung mit einer Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten geahndet werden. Die Höchstfreiheitsstrafe beträgt in diesem Fall sogar zehn Jahre. Folge der Entscheidung ist jedoch nicht, dass Vertragsärzte sanktionsfrei Zuwendungen für die Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln entgegennehmen bzw. diese fordern dürfen. So ist in der Vergangenheit schon mehrfach entschieden worden, dass im Bereich der Hilfsmittel- bzw. Arzneimittelverordnung Betrugsoder Untreuetatbestände nach dem Strafgesetzbuch verwirklicht wurden. Gleichermaßen sind pharmazeutische Unternehmen betroffen, die entsprechende Zuwendungen an Vertragsärzte für die Verordnung ihrer Produkte leisten. Ist die Straftat des Vertragsarztes als Untreue zu werten, so können pharmazeutische Unternehmer zu dieser angestiftet haben. Sollte es sich bei der Straftat der Vertragsärzte um einen Betrug handeln, so können pharmazeutische Unternehmer in diesem Sinne sogar Mittäter sein mit der Folge, dass pharmazeutische Unternehmer und Ärzte gleichermaßen betraft werden können. Das Fordern bzw. die Entgegennahme von Zuwendungen in diesem Sinne kann auch dazu führen, dass die vertragsärztliche Zulassung entzogen wird (§ 95 Abs. 6 SGB V sowie § 27 Ärzte-ZV). Folge ist, dass die betroffenen Ärztinnen und Ärzte an der vertragsärztlichen Versorgung nicht mehr teilnehmen können. Dabei bedarf es noch nicht einmal eines strafrechtlichen Vorwurfes. Bereits in § 128 SGB V ist ein umfassendes Verbot geregelt, nach dem Vertragsärzte für die Verordnung von Hilfs- und Arzneimitteln keine Entgelte entgegennehmen dürfen. Gleichermaßen kann aber auch die Approbation widerrufen werden, wenn sich herausstellt, dass die für die Ausübung des Arztberufes erforderliche Würdigkeit und/oder Zuverlässigkeit nicht mehr gegeben ist. Schließlich enthält auch das Heilmittelwerberecht in § 7 ein Verbot des Anbietens, Gewährens oder Annehmens von Zuwendungen. 4. Fazit Der Beschluss des Großen Senates des BGH bedeutet, dass eine Bestrafung von niedergelassenen Vertragsärzten nicht aufgrund von Bestechungsdelikten erfolgen kann. Der Beschluss sagt nicht, dass Zuwendungspraktiken straffrei sind. >> Castringius Rechtsanwälte & Notare Zweite Schlachtpforte 7 28195 Bremen Telefon (0421) 368 000 Telefax (0421) 368 0033 [email protected] www.castringius.de