Das erworbene von-Willebrand-Syndrom Als
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Das erworbene von-Willebrand-Syndrom Als
Das erworbene von-Willebrand-Syndrom CHRISTOPH SUCKER , LABOMED GERINNUNGSZENTRUM BERLIN Als Begleitphänomen bei hämatologischen Systemerkrankungen (myelo- proliferative Erkrankungen, lymphoproliferative Erkrankungen), kardiovaskulären Erkrankungen mit hohen Scherkräften, malignen Tumoren, Hypothyreose und Autoimmunerkrankungen wie dem systemischen Lupus erythematodes sowie unter Applikation verschiedener Medikamente kann es zu erworbenen Veränderungen des von-Willebrand-Faktors (vWF) kommen. Die Pathogenese ist heterogen und vielschichtig; bedeutsam sind insbesondere ein vermehrter Abbau und eine vermehrte Proteolyse des vWF, eine Adsorption des vWF und eine verminderte Synthese. Die in der Labordiagnostik beobachteten Veränderungen können klinisch symptomlos sein, so dass häufig eine erhebliche Diskrepanz zwischen auffälligem Laborbefund und fehlender Blutungsneigung besteht. In manchen Fällen können jedoch betroffene Patienten eine erhebliche Blutungsneigung aufweisen. Der Begriff des „erworbenen von-Willebrand-Syndroms“ sollte nach Auffassung des Autors nur dann verwendet werden, wenn neben detektierbaren Funktionsstörungen des vWF auch eine relevant gesteigerte Blutungsneigung ohne alternative Erklärung vorliegt. Die Möglichkeit eines erworbenen von-WillebrandSyndroms (vWS) sollte dann differenzialdiagnostisch berücksichtigt werden, wenn bei Patienten mit prädisponierenden Grunderkrankungen eine erworbene Blutungsneigung beobachtet wird. Andererseits sollte bei Nachweis einer erworbenen vWS nach einer möglicherweise assoziierten Grunderkrankung gefahndet werden. www.vascularcare.de Originalbeitrag VC-online 2012 C. Sucker. © SOCIO-MEDICO Verlag Willebrand-Syndrom“ Grundlagen Im Jahr 1926 berichtete der Internist bezeichnete Krankheitsbild an; als Ursache ver- ERIK ADOLF VON WILLEBRAND über die muteten Blutungsneigung in einer Großfamilie thrombozytären Defekt. auf den Åland-Inseln, einer Insel- Die tatsächliche Ursache des von- gruppe am Eingang des Bottnischen Willebrand-Syndroms Meerbusens Schweden Zeit unklar. Erst in den 1970er Jah- und Finnland. Über mehrere Genera- ren wurde durch Entdeckung und tionen wiesen zahlreiche weibliche Charakterisierung und schen Adhäsivproteins, heute als zwischen männliche Zeichen einer Familienmitglieder gesteigerten Blu- beide irrtümlich blieb eines von-Willebrand-Faktor einen lange plasmati- (vWF) be- tungsneigung auf [40]. Aufgrund sei- zeichnet, die Grundlage zum Ver- ner klinische Beobachtungen, insbe- ständnis der durch von Willebrand sondere der im Gegensatz zur Hä- beschriebenen mophilie fehlenden Geschlechtsbin- geschaffen. dung und des unterschiedlichen Blu- Faktor handelt es sich um ein aus tungstyps von identischen Monomeren aufgebautes Schleimhautblutungen, grenzte von Protein-Multimer. Die Monomere be- Willebrand das beschriebene Krank- stehen aus 2.050 Aminosäuren und heitsbild von der Hämophilie ab und weisen Bindungsstellen für Kollagen, bezeichnete es als „hereditäre Pseu- Thrombozyten und Gerinnungsfaktor dohämophilie“. Gemeinsam mit dem VIII auf (Abb. 1). mit Überwiegen Blutungserkrankung Beim von-Willebrand- Leipziger Hämatologen RUDOLF JÜRGENS stellte VON WILLEBRAND weitere Untersuchungen über das später nach dem Erstbeschreiber als „von- www.vascularcare.de Originalbeitrag VC-online 2012 C. Sucker. © SOCIO-MEDICO Verlag Abbildung 1: Monomer des von-Willebrand-Faktors mit Bindungsstellen für Kollagen, thrombozytäre Rezeptoren für die Thrombozytenadhäsion (GP Ib-Bindungsstelle) sowie für die Thrombozytenaggregation (GP IIbIIIa-Bindungsstelle). Die Monomere des vWF werden der primären Hämostase entschei- physiologischerweise dend. zu großen Makromolekülen mit einem Moleku- Unter physiologischen Bedingungen largewicht von 10-20 MegaDalton initiiert der vWF bei einer Gefäßver- multimerisiert. Die großen Multimere letzung die Adhäsion von Thrombo- des von-Willebrand-Faktors weisen zyten: Durch die Gefäßverletzung durch eine Vielzahl von Bindungs- kommt es zu einer Endothelläsion, stellen für Komponenten der Hämos- was tase eine besonders große hämo- subendothelialen Matrix gegenüber statische Kompetenz auf und sind dem zirkulierenden Blut führt. daher für die Funktion des vWF in vWF bindet an subendotheliales Kol- zu www.vascularcare.de Originalbeitrag VC-online 2012 C. Sucker. einer Exposition © SOCIO-MEDICO Verlag der Der lagen und erfährt hierdurch eine se kommt dem vWF eine wichtige Konformationsänderung, was eine Funktion zu: Er stellt den Carrier für Bindung von Thrombozyten an vWF, Gerinnungsfaktor VIII dar, den er vermittelt durch den thrombozytären spezifisch über eine Faktor VIII- Rezeptorkomplex Glykoprotein (GP) Bindungsregion bindet. Durch die Ib-V-IX, ermöglicht. Durch Interaktion Bindung an vWF wird Faktor VIII des vWF mit der Kollagenmatrix ei- stabilisiert und vor einer vorzeitigen nerseits und mit der Bindungsdomä- Proteolyse durch aktiviertes Protein ne auf dem thrombozytären Re- C geschützt. zeptorkomplex Glykoprotein (GP) IbV-IX anderseits wird somit die Thrombozytenadhäsion am Ort der Endothelläsion schwache initiiert. initiale Die Adhäsion noch wird nachfolgend durch Interaktion weiterer thrombozytärer Rezeptoren, insbesondere der Kollagenrezeptoren GP Ia-IIa und GP VI, mit der subendothelialen Matrix stabilisiert. Neben seiner Bedeutung bei der Thrombozytenadhäsion kann der vWF durch Interaktion mit thrombozytären Aggregationsrezeptoren (GP IIb-IIIa) eine Aggregation von Thrombozyten vermitteln. Auch in der plasmatischen Hämosta- Das nach seinem Erstbeschreiber benannte von-Willebrand-Syndrom (vWS) ist durch Verminderung (Typ 1), ein großes Spektrum funktioneller Defekte (Typ 2) oder, in seltenen Fällen, Fehlen des vWF (Typ 3) bedingt [27]. Durch Beeinträchtigung von Thrombozytenadhäsion Thrombozytenaggregation und sowie Störung des Faktor VIII-Transportes mit konsekutiv reduzierter FaktorVIII-Aktivität und gestörter Fibrinbildung kommt es bei betroffenen Patienten zu einer vermehrten Blutungsneigung oder erhöhten Blutungsgefährdung. Unter den Blutungssymptomen dominieren muko- www.vascularcare.de Originalbeitrag VC-online 2012 C. Sucker. © SOCIO-MEDICO Verlag insbesondere dieser Erstbeschreibung wurde seit- Epistaxis und Menorrhagie, außer- her über zahlreiche Fälle von erwor- dem treten Hautblutungen auf. Die benem vWS berichtet, die insbeson- Patienten dere bei Patienten mit prädisponie- kutane Blutungen, sind zudem gefährdet bei renden Grunderkrankungen auftre- operativen und zahnärztlichen Ein- ten. In dieser Arbeit soll ein aktueller griffen sowie bei Traumata. Aufgrund Überblick über dieses klinisch und der zahlreichen verschiedenen De- pathophysiologisch fekte und deren unterschiedlicher und heterogene Krankheitsbild ver- Ausprägung ist die Blutungsneigung mittelt werden. Hierbei wird über das von Patienten äußerst variabel und erworbene vWS im Rahmen der ver- interindividuell verschieden. schiedenen durch Blutungskomplikationen Das genetisch bedingte vWS wird heute als häufigster genetisch determinierter Gerinnungsdefekt ange- vielschichtige zugrundeliegenden Krankheitsbilder berichtet und auf Pathogenese, Diagnostik und Therapie eingegangen. sehen. Trotz gewisser Unklarheiten über die Häufigkeit der Erkrankung wird heute davon ausgegangen, Das erworbene von-WillebrandSyndrom dass ca. 0,5 bis 1% der Bevölkerung ein vWS aufweisen; somit ist alleine Das erworbene in Deutschland mit ca. 400.000 bis pathophysiologisch 500.000 Betroffenen zu rechnen. Im Krankheitsbild, welches durch er- Jahr 1968 berichteten SIMONE et al. worbene Defekte des vWF bei primär erstmalig über ein erworbenes vWS Gerinnungsgesunden hervorgerufen bei einem Kind mit systemischem wird und mit einer erworbenen Blu- Lupus erythematodes [30]. Nach tungsneigung einhergeht [35]. www.vascularcare.de Originalbeitrag VC-online 2012 C. Sucker. vWS ist ein heterogenes © SOCIO-MEDICO Verlag Über die Inzidenz und Prävalenz der kungen (myeloproliferative Erkran- Erkrankung sind heute keine guten kungen [MPS], lymphoproliferative Daten verfügbar. Das erworbene Erkrankungen [LPS]), soliden Tumo- von-Willebrand-Syndrom tritt in der ren, kardialen Vitien und Autoim- Regel nicht bei Gesunden auf, son- munerkrankungen auftritt. Unter den dern ist fast ausschließlich bei Indivi- sonstigen Ursachen des erworbenen duen mit einer prädisponierenden vWS Grunderkrankung oder einer Medika- induzierte Formen der Erkrankung, tion, die zu einer Beeinträchtigung die inzwischen in Zusammenhang der Funktion des vWF führt, assozi- mit zahlreichen Medikamenten be- iert. Aufgrund der Daten aus einem schrieben wurden. Einen Überblick eingerichteten internationalen Regis- über die Häufigkeitsverteilung des ter und aus der Literatur ist bekannt, erworbenen vWS nach FEDERICI et dass das erworbene vWS bevorzugt al. [[11]) zeigt Abbildung 2. dominieren medikamentös- bei hämatologischen Systemerkran- www.vascularcare.de Originalbeitrag VC-online 2012 C. Sucker. © SOCIO-MEDICO Verlag Ätiologie des erworbenen von‐Willebrand‐Syndroms Häufigkeit 60 (%) 50 40 30 20 Register 10 Literatur 0 Abbildung 2: Ätiologie des erworbenen von-Willebrand-Syndroms: Häufigkeitsverteilungen gemäß Internationalem Register (n = 186) und Literaturdaten (n = 266). Die Pathogenese des erworbenen Zellen und gestörte Synthese des vWS ist heterogen und nicht zuletzt vWF (Abb. 3). Betont werden muss, von der zugrundliegenden Erkran- dass bei einem einzelnen Patienten kung abhängig. Eine entscheidende verschiedene Bedeutung vermehrte gleichzeitig vorliegen können, welche Proteolyse des vWF, funktionelle für die Entstehung des erworbenen Beeinträchtigung des vWF, abnorme vWS ursächlich sind. haben Pathomechanismen Adsorption des vWF an (maligne) www.vascularcare.de Originalbeitrag VC-online 2012 C. Sucker. © SOCIO-MEDICO Verlag Abbildung 3: Pathogenese des erworbenen vWS unter Berücksichtigung der Ätiologie. Nachfolgend wird auf das erworbene len Vitien, Autoimmunerkrankungen, vWS bei verschiedenen Krankheits- malignen Tumoren und Hypothyreo- bildern, se eingegangen. insbesondere hämatologi- schen Systemerkrankungen, kardia- www.vascularcare.de Originalbeitrag VC-online 2012 C. Sucker. © SOCIO-MEDICO Verlag Erworbenes von-Willebrand- und Polyzythämia vera (PV) betrof- Syndrom bei hämatologischen fen. Systemerkrankungen Pathophysiologisch steht das erworbene vWS bei myeloproliferativen Erkrankungen fast immer im Zu- Myeloproliferative Erkrankungen Unter dem Oberbegriff sammenhang mit einer ausgepräg- der ten Thrombozytose [12]. Da die Erkrankungen Thrombozytose insbesondere bei der (MPS) werden Polyzythämia vera essenziellen Thrombozythämie das (PV), essenzielle Thrombozythämie Kardinalsymptom darstellt, ist diese (ET), Osteomyelofibrose (OMF) und die häufigste myeloproliferative Er- chronisch-myeloische krankung, die mit einem erworbenen myeloproliferativen Leukämie (CML) subsumiert. Diese Erkrankungen sind durch die Proliferation verschiedener Zellreihen gekennzeichnet und können ineinander übergehen [38]. vWS assoziiert ist. Die Pathophysiologie des erworbenen vWS bei Thrombozythämie bzw. ausgeprägter Thrombozytose ist heute gut bekannt: Bereits unter Gemäß Register- und Literaturdaten physiologischen Bedingungen wer- stellen myeloproliferative Erkrankun- den die Multimere des vWF durch gen die führende Ursache des er- thrombozytäre Proteasen, so ge- worbenen vWS dar, 30 bis 48% aller nannte Calpaine, gespalten. Diese Fälle des erworbenen vWS finden Spaltung sich somit in Assoziation mit der Thrombozytenzahl vollständig kom- Gruppe dieser Erkrankungen [11]; pensiert, so dass kein Verlust der besonders sind hierbei Patienten mit hochmolekularen essenzieller Thrombozythämie (ET) gewiesen werden kann. Bei Auftre- www.vascularcare.de Originalbeitrag VC-online 2012 C. Sucker. wird bei normaler Multimere © SOCIO-MEDICO Verlag nach- ten einer Thrombozytose läuft die neigung bei erworbenem vWS weiter Spaltung der großen Multimere des fördern kann [38]. Daher sollte bei vWF verstärkt ab, so dass der Abbau einer extremen Thrombozytose mit nicht werden Blutungsneigung differenzialdiagnos- kann. Es resultiert dann ein Verlust tisch an ein erworbenes vWS ge- der hochmolekularen Multimere, ent- dacht und eine entsprechende Ab- sprechend einem erworbenen vWS klärung Typ 2A [19]. Nachweis eines entsprechenden De- mehr Patienten kompensiert mit myeloproliferativen veranlasst fekts ist unter werden; bei Nutzen-Risiko- insbesondere Abwägung über die Gabe bzw. Fort- durch thrombotische Komplikationen führung der Aspirinmedikation zu gefährdet. Allerdings kann es bei entscheiden. Bei Überwiegen einer einer starken Thrombozytose mit Blutungsgefährdung ist zu überle- einer Thrombozytenzahl von über gen, die Aspirinmedikation auszuset- 1.000.000/µl zu einer so starken zen bzw. erst dann zu beginnen, Spaltung des vWF kommen, dass wenn durch eine gewisse Reduktion die Thromboseneigung aufgrund des der Thrombozytose das erworbene genannten in vWS wieder effektiv therapiert und umschlägt die Blutungsneigung bzw. Blutungs- [19]. Die Blutungsneigung der Pati- gefährdung somit minimiert wurde enten kann dann auch dadurch ver- [22]. stärkt werden, dass zur Basisthera- Entscheidende Maßnahme bei ei- pie der myeloproliferativen Erkran- nem erworbenen vWS mit Blutungs- kungen auch eine Hemmung der neigung Thrombozytenfunktion myeloproliferativen Erkrankung die der Erkrankungen eine sind Pathomechanismus Blutungsneigung mit Aspirin durchgeführt wird, was die Blutungs- im Kontrolle www.vascularcare.de Originalbeitrag VC-online 2012 C. Sucker. Rahmen © SOCIO-MEDICO Verlag einer ist erhöhten Thrombozytenzahl. Hierzu wird eine physiologischen Mechanismus ist gut zytoreduktive Therapie, in erster Li- verständlich, nie proliferativen Erkrankungen das er- mit Hydroxyharnstoff oder Annagrelide, durchgeführt [37, 38]. dass bei myelo- worbene vWS zumeist beim multiplen Myelom (Plasmozytom), der monoklonalen Gammopathie unklarer Lymphoproliferative Erkrankun- gen Signifikanz (MGUS) sowie bei lymphoplasmozytoiden Lymphomen Lymphoproliferative Erkrankungen (LPS) sind durch eine abnorme (Morbus Waldenström) beobachtet wird [11]. klonale Proliferation von Lymphozyten gekennzeichnet. Hierzu zählen B-Zell- und T-Zell-Erkrankungen, insbesondere Lymphome und Leukämien. Das erworbene Syndrom im von-Willebrand- Rahmen lympho- Erworbenes von-Willebrand- Syndrom bei kardialen Vitien proliferativer Erkrankungen ist zumeist durch eine Störung der Funktion des vWF durch Immunglobuline bedingt, die im Rahmen der B-ZellErkrankungen häufig stark vermehrt gebildet werden [37]. Diese Antikörper können die Funktion des vWF stören und somit ein erworbenes von-Willebrand-Syndrom fen. Aufgrund dieses hervorru- Aortenklappenstenose Aufgrund der publizierten Daten und der Daten des internationalen Registers für das erworbene vWS ist davon auszugehen, dass ca. 10 bis 20% der Fälle des erworbenen vWS bei kardialen Vitien auftreten [11]. patho- www.vascularcare.de Originalbeitrag VC-online 2012 C. Sucker. © SOCIO-MEDICO Verlag Prinzipiell kann diese Form des er- vWF von einer globulären in eine worbenen vWS bei allen kardialen gestreckte Konformation. Dies wie- Vitien, welche mit erhöhten Scher- derum bedingt die Exposition einer kräften vorkommen spezifischen physiologischen Spal- [35]. Allerdings wurde die ganz tungsstelle in der A2-Domäne des überwiegende Anzahl der Fälle des vWF, was das Protein anfällig für erworbenen vWS bei kardialen Vitien eine proteolytische Spaltung durch mit der Aortenklappenstenose in Zu- die „von-Willebrand-Faktor-Cleaving- sammenhang gebracht [34, 39]. Protease“, ADAMTS 13, macht. Die Der pathophysiologische Mechanis- vermehrte Spaltung des vWF führt mus, durch den kardiale Vitien zu zu einem Verlust bzw. einer deutli- einem erworbenen vWS führen, ist chen heute gut etabliert: Nach dem allge- statisch entscheidenden hochmole- mein akzeptierten Konzept sind für kularen Multimere des vWF; diese die Entstehung des erworbenen vWS erworbene Veränderung kann in et- hier die erhöhten Scherkräfte ursäch- wa einem hereditären vWS Typ 2A lich, Aorten- entsprechen, bei welchem die gro- zunehmender ßen Multimere des vWF aufgrund Reduktion der Klappenöffnungsflä- eines genetischen Defektes vermin- che auftreten und welche durch den dert sind. transvalvulären Druckgradienten er- Wie wir in früheren Untersuchungen fasst und quantifiziert werden kön- in Übereinstimmung mit anderen Au- nen [39]. Diese erhöhten Scherkräfte toren zeigen konnten, findet sich ei- führen bei der Passage des vWF ne durch die stenosierte Aortenklappe Multimere des vWF bei 80 bis 90% zu einer Konformationsänderung des der Patienten mit hämodynamisch- einhergehen, welche klappenstenose bei mit der Verminderung Verminderung www.vascularcare.de Originalbeitrag VC-online 2012 C. Sucker. der der © SOCIO-MEDICO Verlag hämo- großen relevanter Aortenklappenstenose ist auffällig, dass nur selten eine [34, 39]. Bemerkenswert ist, dass vermehrte Blutungsneigung im Alltag diese nur besteht [34]. Auch im Rahmen ope- durch die Multimeranalyse des vWF rativer Eingriffe, insbesondere beim nachweisbar sind, aber durch die Aortenklappenersatz, weisen betrof- Bestimmung von- fene Patienten nicht regelhaft eine (Konzentrati- vermehrte Blutungsneigung auf. So- Veränderungen konventioneller Willebrand-Parameter on, häufig Aktivität, Ratio Aktivi- mit ist eine deutliche Diskrepanz tät/Konzentration) zumeist nicht er- zwischen Prävalenz der Multimer- fasst werden [36]. Eine Verlängerung veränderungen einerseits und Auftre- der Platelet ten einer Blutungsneigung anderer- Function Analyzer (PFA-100) findet seits auffällig. Aus diesem Grund sich sind Verschlusszeiten bei Patienten im mit Aorten- bei Patienten klappenstenose häufig und kann in klappenstenose einer entsprechenden Konstellation induzierten auf Multimere eine Alteration der von- und mit Aorten- Scherkraft- Veränderungen des der von-Willebrand- Willebrand-Faktor-Multimere hinwei- Faktors zur Prophylaxe oder Thera- sen [36]. pie von Blutungen zumeist keine Bei der hohen Prävalenz der be- spezifischen therapeutischen Maß- schriebenen Multimerveränderungen nahmen erforderlich. des vWF bei hämodynamisch rele- Bei entsprechendem bekanntem De- vanter Aortenklappenstenose stellt fekt sich die Frage, inwieweit dieser er- (perioperativen) worbene Scherkraft-induzierte Defekt scheint nach Auffassung des Autors zu einer gesteigerten Blutungsnei- bei Fehlen von Kontraindikationen gung führt. Bei betroffenen Patienten eine Applikation von Desmopressin www.vascularcare.de Originalbeitrag VC-online 2012 C. Sucker. und Auftreten einer Blutungsneigung © SOCIO-MEDICO Verlag und/oder vWF-haltigen Faktoren- eines erworbenen vWS auf; bei Feh- konzentraten vertretbar, um zu ver- len einer Blutungsneigung wurde suchen, durch endogene Freisetzung diesen bzw. zuvor funktionell intakten vWS keine klinische Relevanz beigemes- den Gerin- sen [2]. Interessant ist auch die Be- nungsdefekt zu kompensieren. Aller- obachtung, dass bei Patienten nach dings ist dieses Vorgehen bisher Klappenersatz – insbesondere bei nicht durch größere Studien abgesi- paravalvulärem Leck – ein erworbe- chert und bedarf einer weiteren Klä- nes vWS auftreten kann [24]; dieser rung. Defekt sollte bedacht werden, wenn Scherkraft-induzierten Laborbefunden allerdings bei betroffenen Patienten unter Antikoagulation Sonstige kardiale Vitien tungsneigung eine vermehrte ohne Blu- befriedigende Da das erworbene von-Willebrand- alternative Erklärung auftritt. Auch Syndrom bei kardialen Vitien durch nach Implantation von Kunstherzen die erhöhten Scherkräfte hervorgeru- und kardialen „Assist-Devices“ wurde fen wird, kommt dieser erworbene über Gerinnungsdefekt nicht nur bei der Multimere des vWF berichtet, wobei Aortenklappenstenose vor. So wurde sich der Defekt nach Explantation auch kardialen wieder zurückgebildete [16]. In einer Vitien mit erhöhten Scherkräften wie kürzlich publizierten Studie zeigte offenem Ductus arteriosus Botalli sich, [25] und anderen kongenitalen kar- vWF/Faktor VIII-haltigen Faktoren- dialen Defekten [14] über ein erwor- konzentraten die Blutungsneigung benes vWS berichtet. Bei einer Un- der Patienten mit „Assist-Devices“ tersuchung von 49 Kindern mit kar- deutlich reduzierte und diese Thera- dialen Vitien wiesen 12% Kriterien pie bei Auftreten einer Blutungsnei- bei kongenitalen einen www.vascularcare.de Originalbeitrag VC-online 2012 C. Sucker. dass Verlust eine der Gabe © SOCIO-MEDICO Verlag großen von gung bei solchen Patienten unter Erworbenes Berücksichtigen möglicher thrombo- Syndrom bei soliden Tumoren tischer Komplikationen eingesetzt werden kann [5]. von-Willebrand- In seltenen Fällen wurde auch bei soliden Tumoren über das Auftreten eines erworbenen vWS berichtet. Zusammenfassend ist heute gesi- Aus der Literatur und den verfügba- chert, dass bei vielen Patienten mit ren Registerdaten geht hervor, dass angeborenen oder erworbenen kar- etwa 5% der Fälle des erworbenen dialen Defekten mit erhöhten Scher- vWS bei Patienten mit soliden Tumo- kräften ein Verlust der hochmoleku- ren beobachtet werden [11]. laren Multimere des plasmatischen In der Literatur finden sich insbeson- vWF resultieren kann. Eine Blu- dere zahlreiche Berichte über das tungsneigung betroffener Patienten Tumor-assoziierte erworbene vWS wird nicht regelhaft beobachtet, al- bei Patienten mit Nephroblastom lerdings sollte ein erworbenes vWS bzw. Wilms-Tumor [23, 28]; eine differenzialdiagnostisch berücksich- kausale Assoziation wird dadurch tigt werden, wenn bei solchen Pati- belegt, dass es nach erfolgreicher enten eine Blutungsneigung ohne Tumortherapie zu einer Rückbildung befriedigende alternative Erklärung des Gerinnungsdefekts kommt [28]. auftritt. In manchen Fällen kann bei In einer größeren Serie von 50 Pati- symptomatischen Patienten die Blu- enten mit Wilms-Tumor wurde ein tungsneigung durch Gabe vWF/Fak- erworbenes vWS bei 8% der Betrof- tor-VIII-haltiger Faktorenkonzentrate fenen nachgewiesen [4]. Wenngleich reduziert und das Blutungsrisiko im die Blutungsneigung bei den Patien- Rahmen von Eingriffen minimiert ten zumeist gering ist, wurde in Ein- werden. zelfällen eine schwere Blutungsnei- www.vascularcare.de Originalbeitrag VC-online 2012 C. Sucker. © SOCIO-MEDICO Verlag gung beschrieben, welche eine in- Erworbenes tensive Therapie erforderte [3]. Somit Syndrom bei Hypothyreose sollte bei Patienten mit Wilms-Tumor und unerklärlicher Blutungsneigung differenzialdiagnostisch an das Vorliegen eines erworbenen vWS ge- dacht werden. Bei schweren Blutungen wäre ein Therapieversuch durch Desmopressin, welches zu einer Freisetzung endogenen vWF führt, oder eine Substitution von vWF bei Nachweis eines erworbenen vWS zu überlegen. Auch bei anderen Tumoren, wie etwa MALT-Lymphom ([26] und Osteosarkom [1] wurde über ein erworbenes vWS berichtet. Pathogenese, von-Willebrand- Es wird angenommen, dass ca. 2 bis 5% der Patienten mit einer Hypothyreose eine Verminderung des vonWillebrand-Faktors im Sinne eines milden erworbenen von-WillebrandSyndroms Typ 1 aufweisen. Als Ursache wird eine verminderte Synthese des von-Willebrand-Faktors im Rahmen der Hypothyreose angenommen [13]. Durch Substitution einer Hypothyreose mit L-Thyroxin kann eine Normalisierung der vonWillebrand-Parameter und somit eine Rückmeldung des erworbenen vWS erreicht werden [6, 9]. Epidemiologie und klinische Relevanz sind derzeit nicht bekannt. Als Die klinische Relevanz der vermin- Konsequenz sollte auch bei erwor- derten Synthese des vWF bei Hypo- bener Blutungsneigung im Rahmen thyreose ist umstritten. Während sich maligner Tumoren ohne alternative in einer Studie lediglich eine geringe Erklärung differenzialdiagnostisch an und klinisch irrelevante Reduktion ein mögliches erworbenes vWS ge- der Konzentration des vWF zeigte dacht und eine entsprechende Ab- [17], fanden andere Autoren bei be- klärung herbeigeführt werden. troffenen Patienten eine ausgeprägte und klinisch relevante Reduktion des www.vascularcare.de Originalbeitrag VC-online 2012 C. Sucker. © SOCIO-MEDICO Verlag vWF und nahmen diesen Defekt als auf Gabe von Desmopressin be- Hauptursache der vermehrten Blu- schrieben; zudem können zur The- tungsneigung rapie bei Patienten mit mukokutaner Blutungen Hypothyreose an [18]. Antifibrinolytika eingesetzt werden. Eine abschließende Bewertung der Die effektive Substitution einer Hypo- Relevanz des verminderten vWF bei thyreose führt bei betroffenen Patien- Hypothyreose in Hinblick auf die Blu- ten zur Normalisierung der vWF- tungsneigung ist derzeit aufgrund Parameter und zur Rückbildung der widersprüchlicher Publikationen nicht Blutungssymptome und stellt somit möglich. Eine Blutungsneigung bei die Therapie der Wahl dar [20]. Hypothyreose ist insgesamt selten. Bei Auftreten von Blutungssymptomen bei Patienten mit manifester Hypothyreose sollte differenzialdiagnostisch an ein erworbenes vWS Erworbenes Syndrom von-Willebrand- bei Autoimmuner- krankungen gedacht und eine entsprechende Über das erworbene von-Willebrand- Diagnostik initiiert werden. Anderer- Syndrom wurde erstmals durch SI- seits sollte bei Patienten mit leichter MONE Verminderung der von-Willebrand- Kind Parameter differenzialdiagnostisch erythematodes (SLE) berichtet [30]. an das Vorliegen einer Hypothyreose Seither finden sich in der Literatur gedacht werden [6]. wiederholte Berichte über das er- Hinsichtlich der Therapie des erworbenen vWS im Rahmen der Hypo- et al. im Jahre 1968 bei einem mit systemischen Lupus worbene vWS bei SLE und anderen Autoimmunerkrankungen. thyreose wurde ein gutes Anspre- Als Ursache erwiesen sich Autoanti- chen mit Anstieg der vWF-Parameter körper, die gegen den Komplex aus www.vascularcare.de Originalbeitrag VC-online 2012 C. Sucker. © SOCIO-MEDICO Verlag vWF und Faktor VIII gerichtet sind Medikamentös-induziertes und über eine beschleunigte Elimina- worbenes von-Willebrand-Syn- tion zu einer Verminderung von vWF drom er- und Faktor VIII führen. Betroffene Patienten weisen eine Verlängerung der aPTT, eine Ristocetin-induzierte verminderte Plättchen- aggregation (RIPA) sowie eine Verminderung der großen Multimere des vWF in der Multimeranalyse auf. Bei Blutungsneigung ist eine Therapie durch Applikation monoklonaler Immunglobuline (i.v.IG) zu erwägen, die durch Blockade des retikuloendothelialen Systems (RES) die Elimination des vWF reduzieren; das Ansprechen der Blutungsneigung auf die Gabe von Desmopressin oder Faktorenkonzentraten wird hingegen als zumeist schlecht beschrieben. Durch eine adäquate immunsuppressive Therapie der Autoimmunerkrankung kann mit bestenfalls mit einer Rückbildung des erworbenen vWS gerechnet werden [20]. Erworbene Veränderungen des vonWillebrand-Faktors wurden in Zusammenhang mit der Applikation verschiedener Pharmaka beschrieben. Am bekanntesten sind Alterationen der von-Willebrand-Parameter durch eine Applikation des Plasmaexapanders Hydroxyäthylstärke (HAES), die durch eine Präzipitation des von-Willebrand-Faktors hervorgerufen werden. Durch die Applikation von HAES kommt es zu einem signifikanten Abfall der Konzentration und Aktivität des vWF, begleitet von einer Verlängerung der Verschlusszeiten von Epinephrin/Kollagen- und ADP/Kollagen-Kartuschen telet im Pla- Function Analyzer (PFA) als Ausdruck einer relevanten Beeinträchtigung der primären Hämostase [7]. Des Weiteren finden sich auch unter Therapie mit dem Antiepileptikum www.vascularcare.de Originalbeitrag VC-online 2012 C. Sucker. © SOCIO-MEDICO Verlag Valproinsäure neben anderen Ver- Begründung für die Blutungsneigung änderungen wie Hypofibrinogenämie bei einigen therapierten Kindern dar- und Thrombozytopenie auch gehäuft stellen [8]. Berichte über das Auftreten eines Zu zahlreichen anderen Medikamen- erworbenen vWS. SERDAROGLU et al. ten, wie etwa Cephalosporinen [15], [29] untersuchten Veränderungen von Gerinnungsparametern bei 29 Kindern mit Epilepsie, die Valproinsäure über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten erhielten; bei 20,7 % der Betroffenen wurde eine Verminderung der Aktivität des vWF nachgewiesen [29]. existieren Einzelfallberichte die Veränderungen der vWF-Parameter beschreiben; die Pathogenese dieser Veränderungen ist größtenteils unbekannt. Die klinische Relevanz ist wahrscheinlich gering, zumal Blutungskomplikationen bei entspre- chend therapierten Patienten nur Hingegen fanden sich in einer ande- selten vorkommen und dann zumeist ren Untersuchung unter Therapie mit nur mild ausgeprägt sind. Valproinsäure zwar signifikante Verminderungen von Fibrinogen und Thrombozytenzahlen, allerdings keine Veränderungen im Sinne eines erworbenen vWS. Aufgrund der geringen bis fehlenden Blutungsneigung kamen die Autoren kamen zu dem Schluss, dass die leichten beobachteten Veränderungen des vonWillebrand-Faktors unter Medikation mit Valproinsäure keine hinreichende www.vascularcare.de Originalbeitrag VC-online 2012 C. Sucker. © SOCIO-MEDICO Verlag Fazit zur Diagnostik und Thera- Die Therapie des erworbenen vWS pie Zur Diagnostik des erworbenen vWS sind eine Bestimmung von Konzentration und Aktivität des von- Willebrand-Faktors erforderlich. Eine relevante Einschränkung der Funktion des vWF spiegelt sich häufig in einer Verlängerung der Verschlusszeiten im Platelet Function Analyzer (PFA) wider. Der beim erworbenen vWS häufig nachweisbare Verlust bzw. die Reduktion der hochmolekularen Multimere lässt sich meist nur durch rung einer Multimeranalyse [35, 37]. elektrophoretische Auftren- nung in der sogenannten Multimeranalyse nachweisen. Dieser Defekt entgeht somit häufig der konventionellen Diagnostik, da Konzentration und Aktivität des vWF sowie Relation von Aktivität zu Konzentration unauffällig sein. ist von der Ätiologie der Erkrankung abhängig. Die effektive kausale Therapie der zugrundeliegenden Erkrankung stellt die Therapie der Wahl dar, etwa die Therapie einer hämatologischen Systemerkrankung, die Resektion eines Tumors, die Substitution einer Hypothyreose und die immunsuppressive Therapie Autoimmunerkrankung. einer Zur Sym- ptomkontrolle, also zur Prophylaxe oder Therapie von Blutungen, kann versucht werden, eine Freisetzung von vWF durch Gabe von Desmopressin zu induzieren oder eine Substitution mit vWF-haltigen Faktorenkonzentraten versucht werden; in vielen Fällen ist allerdings mit einem verringerten Ansprechen zu rechnen, da auch der freigesetzte oder zugeführte vWF durch Abbau, Daher empfiehlt sich bei unauffälliger Proteolyse oder Adsorption rasch Routinediagnostik bei prädisponier- aus der Zirkulation eliminiert wird. ten Individuen mit auffälliger Blu- Daher werden in vielen Fällen im- tungsanamnese ggf. die Durchfüh- www.vascularcare.de Originalbeitrag VC-online 2012 C. Sucker. © SOCIO-MEDICO Verlag munsuppressive Maßnahmen oder ren. Insgesamt ist die Therapie des Blockades des retikuloendothelialen erworbenen Systems (RES) durch intravenöse droms heute unzureichend standar- Applikation disiert, hier sind noch erhebliche An- von Immunglobulinen (i.v.IG) erforderlich, um Blutungen zu von-Willebrand-Syn- strengungen erforderlich [37]. verhindern oder adäquat zu therapie- www.vascularcare.de Originalbeitrag VC-online 2012 C. Sucker. © SOCIO-MEDICO Verlag Literatur 1 Agrawal AK, Golden C, Matsunaga A. Acquired von Willebrand disease in an osteosarcoma patient. J Pediatr Hematol Oncol 2011; 33: 622‐3. 2 Arslan MT, Ozyurek R, Kavakli K, Levent E, Ulger Z, Gurses D, Akyol B, Atay Y. Fre‐ quency of acquired von Willeband´s disease in children with congenital heart disease. Acta Cardiol 2007; 62: 403‐8. 3 Baxter PA, Nuchtern JG, Guillerman RP, Mahoney DH, Teruya J, Chintagumpala M, Yee DL. Acquired von Willebrand syndrome and Wilms tumor: not always benign. 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