Erwachsene lieben Malbücher
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Erwachsene lieben Malbücher
Salzburger Nachrichten "Salzburger Nachrichten" Nr. 152 vom 04.07.2015 Seite: 26 Ressort: Wissenschaft Österreich Erwachsene lieben Malbücher Was einst den Kleinen vorbehalten war, haben nun die Großen entdeckt. Das ruhige Konzentrieren auf Form und Farbe macht glücklich und entspannt. URSULA KASTLER SALZBURG. Oma hatte natürlich recht. Wenn die Rasselbande unruhig wurde, weil das Spielen draußen nicht möglich war – und die Küche wegen ernsthafter Produktion geschlossen werden musste –, dann holte sie Malbücher und Buntstifte. Bald war kein Mucks mehr zu hören. Die Zunge zwischen die Zähne geklemmt, suchten alle nur noch nach der richtigen Farbe für Blümchen und Häschen. Inzwischen haben Blümchen und Häschen Karriere gemacht – trotz Tablets, Smartphones und Fernseher. Erwachsene Menschen haben die Malbücher entdeckt, weil die ruhige Konzentration auf Form und Farbe sehr erholsam ist. Wer die Buntstifte auspackt und sich in stilisierte Blüten, Fabelwälder und kunstvoll vorgezeichnete Geometrie vertieft, kann sich innerhalb von Minuten aus seinem Alltag ausklinken. Übung und spezielle Begabung braucht es dafür nicht. Die Kosten halten sich in Grenzen. Wenn man die Öffentlichkeit nicht scheut, lässt sich die kleine Auszeit im Handumdrehen in jedem Warteraum, im Zug und im Flugzeug herbeizaubern. Nur von Versuchen während langer Autofahrten wird dringend abgeraten, wenn man selbst am Steuer sitzt. Ein schlechtes Gewissen wegen der erwachsenen Vorliebe für eine traditionell kindliche Beschäftigung zu haben sei jedenfalls nicht notwendig, wie Ulrich Ansorge, Professor für Psychologie an der Universität Wien, findet: „Wer Lust dazu hat, soll das machen. Das Malen, auch das Ausmalen, ist mit Bewegung verbunden. Geistige Prozesse wie etwa schöne Vorstellungen haben von Kindheit an ihre Wurzeln in der Bewegung. Jean Piaget, der bedeutendste Entwicklungspsychologe des 20. Jahrhunderts, bezeichnet die ersten beiden Jahre der kognitiven Entwicklung als sensomotorische Phase und weist damit darauf hin, dass die intellektuelle Entwicklung auf einer guten Entwicklung der Wahrnehmung (Senso) und der Bewegung (Motorik) basiert. Wie beim Lesen durch die Bewegung der Augen entstehen beim Malen durch die Bewegung der Hand – und auch der Augen – innere Bilder.“ Es gibt zu Malbüchern keine wissenschaftlichen Untersuchungen, aber die Beschäftigung damit regt vermutlich Areale im Gehirn an, die mit Kreativität und Entspannung zu tun haben. Es sind jene Arten von Vorstellungen und Bildern, die nicht zweckgebunden und nicht für eine bestimmte Handlung bedeutsam sind. „Das Ausmalen könnte ähnlich wirken wie eine einfache Meditation. Die unangestrengte Konzentration lenkt von täglichen Sorgen und Zielen ab. Die Aufmerksamkeit richtet sich eine Zeit lang auf etwas Zweckbefreites. Vermutlich hat man hinterher – ähnlich wie beim Träumen – plötzliche Lösungen für Probleme parat, weil das Gehirn unterschwellig und unbehelligt weiterarbeiten kann“, sagt Ulrich Ansorge. Die Nachfrage nach hübschen und etwas anspruchsvolleren Malbüchern ist jedenfalls groß. Wie die britische Zeitung „The Telegraph“ berichtete, steigt der Absatz von Malbüchern jährlich um 300 Prozent. Ihren Siegeszug begannen sie in Frankreich. Für den Buchhandel war der Boom anfänglich ein Rätsel. Auflagen seien „rasend schnell“ verkauft, wie Christin Nase vom deutschen Verlag Knesebeck berichtet: „Wir mussten ein Buch innerhalb von drei Monaten zum dritten Mal nachdrucken. Besonders gefragt sind die Bücher der britischen Designerin Johanna Basford. Sie haben sich weltweit millionenfach verkauft. Die Malbücher funktionieren für Kinder und Erwachsene gleichermaßen.“ Britta Kierdorf vom Verlag arsEdition in München rechnet damit, dass die erwachsene Freude am bunten Ausmalen anhält: „Wir sehen die Nachfrage seit zwei Jahren nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich, Frankreich, Spanien und Italien. Diese Malbücher sind keine kurzfristige Modeerscheinung. Wir haben unser Programm darauf abgestimmt und wollen künftig für spezielle Anlässe wie Weihnachten Malbücher produzieren.“ Auch das deutsche Unternehmen Faber-Castell, Hersteller edler Schreibutensilien sowie Farbstifte und Kreiden für Künstler, verzeichnet nach eigenen Angaben weltweit ein zweistelliges Umsatzwachstum bei Mal- und Zeichenutensilien – trotz Wirtschaftsflaute in Märkten wie Spanien, Frankreich und Italien. Kostenlose Malvorlagen für Erwachsene sind online im Angebot. Brevillier Urban ist Österreichs Fabrikant von Buntstiften, die unter dem Namen „Jolly“ bekannt wurden. Marketingleiter Clemens Ellmauthaler freut sich, dass vermehrt Erwachsene nach den Farbstiften greifen: „Diese Kunden suchen Qualität. Die Leute wollen sich wieder Zeit für das Malen nehmen, weil es so erholsam ist.“ Die Ferien sind da! Nichts ist schneller eingepackt als ein Malbuch und ein paar Stifte – samt den glücklichen Erinnerungen an die Kindheit. Und die Oma.