Organspende und die Auswirkung auf das Bild vom

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Organspende und die Auswirkung auf das Bild vom
Hartmut Kreß
Organspende und die Auswirkung auf das Bild vom Menschen
Hartmut Kreß
Organspende und die Auswirkung auf das Bild vom Menschen:
Ethische Gesichtspunkte
Referat anlässlich einer Veranstaltung zur Transplantationsmedizin am
26.03.2009 im Klinikum der Universität Bonn (Venusberg)
I. Vorbemerkung: Die Medikalisierung des Menschenbilds in der Moderne
In der Gegenwart ist häufig von einer Medikalisierung des Menschenbilds die
Rede. Klassisch findet sich dieser Gedanke bereits bei Rudolf Virchow. Dieser
bedeutende Mediziner, Pathologe und liberale Politiker schrieb im Jahre 1848:
„die Medicin ist eine soziale Wissenschaft und die Politik ist nichts weiter, als
Medicin im Großen.“ D.h., Virchow zählt zu denjenigen, die eine prägende Kraft
der Medizin für das Menschenbild, für die Gesellschaft und für die Politik begrüßt und befürwortet haben. In bestimmter Hinsicht ist seine Auffassung meines Erachtens berechtigt. Denn die moderne Medizin trägt sehr viel dazu bei,
Leben zu retten, Gesundheit zu erhalten, die Lebensqualität von Menschen zu
verbessern und insofern Humanität zu verwirklichen. Andererseits sind auch
Kehrseiten der modernen Medizin zu bedenken. Hierzu gehört die künstliche
Lebensverlängerung, die menschlich keinen Sinn mehr ergibt. Einzelheiten lasse ich dahingestellt, sondern betone zum Zusammenhang „Medizin und Menschenbild“ generell vorab folgendes:
a) Schon seit der Antike haben das Wissen und der Fortschritt der Medizin das
Menschenbild stets beeinflusst. Dass die Medizin für das Menschenbild Prägekraft besitzt, ist kein neues, kein modernes Phänomen.
b) Für unsere Gegenwart ist freilich eine Besonderheit festzuhalten: Der medizinische Fortschritt vollzieht sich hochdynamisch; das fachwissenschaftliche
Entwicklungstempo ist atemberaubend. Daher fällt es dem einzelnen Menschen
und der Gesellschaft oft schwer, mit dieser Dynamik Schritt zu halten.
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c) Es kommt hinzu: Gegenwärtig schneidet der medizinische Fortschritt sehr tief
in das Menschenbild ein. Sogar das Verständnis von Gesundheit und Krankheit
selbst wird verändert – z.B. durch die genetische Diagnostik.
d) Anders als es in früheren Epochen der Fall war, sind wir uns dessen bewusst
und ist es uns reflexiv deutlich, in welch hohem Maß die Medizin auf das Menschenbild einwirkt. Daher tragen die aktiv Beteiligten – Ärzte, Wissenschaftler,
Politiker – je nach ihrer Funktion eine gesteigerte Verantwortung für den Umgang mit dem Erkenntnis- und Handlungsfortschritt der Medizin. – Was bedeutet dies nun für die Transplantationsmedizin?
II. Leitgedanken zur Wechselbeziehung zwischen Menschenbild und Organtransplantation
1. Die Transplantationsmedizin verändert das Menschenbild nur in vergleichsweise beschränktem Maß.
Mir scheint, die Transplantationsmedizin beeinflusst das Menschenbild in geringerem Maße, als andere Entwicklungen der modernen Medizin es tun. Diese
Einschätzung mag vielleicht überraschen. Und ich räume ein: Als im Jahr 1967
in Südafrika erstmals die Übertragung eines menschliche Herzens gelang, wirkte dies wie ein Kulturschock. Seitdem wird immer wieder z.B. der schroffe Vorbehalt laut, die Entnahme von Organen entwürdige den Organspender; der
Spender, die Quelle des Organs werde gar zum bloßen „Ersatzteillager“. Ein
anderer Einwand lautet, die Implantation von Organen verändere die Identität
des Patienten, weil er nun mit einem fremden Organ leben muss.
Um auf den zweiten Einwand knapp einzugehen: Es ist in der Tat zu durchdenken und ist im Einzelfall zu prüfen, welche Auswirkungen eine Organübertragung auf das Selbstverständnis, auf das Lebensgefühl und den Lebensalltag
eines Empfängers hat. Solche Fragestellungen werden sich verschärfen, falls in
Zukunft eventuell einmal Organe von Tieren auf Menschen übertragen werden
(Xenotransplantation). Die Xenotransplantation wirft Probleme des Chimärismus auf. Die Spezies-Grenze wird überschritten, so dass die Organübertragung
vom Tier auf den Menschen einen Interspezies-Chimärismus erzeugt. Zweifel-
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los bedarf es der Reflexion, was dies für den eventuell betroffenen Patienten
sowie symbolisch für das Menschenbild im Allgemeinen bedeutet.
Insgesamt scheint mir aber, dass andere Entwicklungen der modernen Medizin
für das Menschenbild und für den Lebensalltag einschneidender sind, z.B. der
derzeitige Umbruch von der kurativen zur prädiktiven Medizin. Aufgrund genetischer Diagnostik (z.B. prädiktive Brustkrebs- oder Darmkrebsdiagnostik) können Menschen heutzutage Kenntnis davon erhalten, dass im Lauf ihres Lebens
bei ihnen mit gewisser Wahrscheinlichkeit bestimmte Krankheiten auftreten
werden. Der Sachverhalt, dass Menschen auf genetischer Basis Informationen
über ihre gesundheitliche Zukunft erhalten können, ist kulturgeschichtlich ein
Novum; er bedeutet einen Einschnitt in das Menschenbild, in das Alltagsverhalten (ggf. bis hin zur Fortpflanzungsplanung) und auch in die soziale Ordnung
(Arbeitswelt; Versicherungssysteme). Im Vergleich hierzu ist die Auswirkung der
Transplantationsmedizin auf das Menschsein und das Menschenbild wohl weniger dramatisch. Was das Thema des heutigen Abends – den Zusammenhang
zwischen Organtransplantation und Menschenbild – angeht, möchte ich sogar
einen ganz anderen Akzent setzen, einen Perspektivenwechsel vornehmen und
genau umgekehrt in den Vordergrund rücken: Die Konzeptionen der Menschenbilder (im Plural!), die in den verschiedenen Kulturen oder Regionen vertreten werden, geben ihrerseits den Ausschlag dafür, wie die Organentnahme
nach dem Hirntod jeweils bewertet wird.
2. In der Gegenwart sind ganz unterschiedliche Menschenbilder anzutreffen. Die Transplantationsmedizin ist ein Beispiel dafür, dass neue Entwicklungen der Medizin im Licht dieser Menschenbilder erörtert werden.
Im Spiegel der verschiedenen Menschenbilder wird die Organentnahme
nach dem Hirntod zum Teil abgelehnt, zum Teil akzeptiert.
Zur Erläuterung: Es fällt auf, dass im Judentum der Hirntod, die Organentnahme nach dem Hirntod und insbesondere die Übertragung von Herzen bis heute
weitgehend abgelehnt werden. Der Hintergrund besteht darin, dass im Judentum seit alters her das Herz als Kern des Menschseins gilt. Im Hebräischen war
schon vor Jahrtausenden das Wort „Herz“ das Äquivalent für das „Leben“, für
das Gewissen und für die Seele, also für das Innerste, für den Kern des einzel3
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nen Menschen. Im Licht jüdischer Anthropologie gibt deshalb noch heute der
Herztod, nicht der Hirntod den Ausschlag für die Todesfeststellung. Daher wird
eine Organentnahme nach dem Hirntod sehr skeptisch beurteilt, und eine Übertragung eines Herzens ist aus jüdischer Sicht höchst fragwürdig. Viel positiver
bewerten jüdische Autoritäten solche Optionen, für die der Hirntod keine Rolle
spielt und die nicht das Herz betreffen. Daher findet die Lebendspende von Nieren im Judentum hohe Zustimmung.
Distanz gegenüber dem Hirntod herrscht auch in fernöstlichen Kulturen. In Japan spielte und spielt eine Rolle, dass nach dem Tod die Seele nur langsam
und allmählich aus dem Körper weiche. Schon allein deswegen, weil der Tod
prozessual, zeitlich gestreckt vorgestellt wird, betrachtet man in Japan die Organentnahme mit Skepsis. Das japanische Transplantationsgesetz ist extrem
restriktiv (noch sehr viel restriktiver als das deutsche); letztlich ist es als Verhinderungsgesetz konstruiert.
In Europa hingegen wird das Hirntodkriterium durchweg anerkannt. Dies erklärt
sich wohl mit daraus, dass die abendländischen anthropologischen Denkmodelle den menschlichen Geist und die Vernunft, deren physiologische Basis das
Gehirn ist, häufig als das Wesen des Menschseins definierten. Der Geist des
Menschen bedeute seine Gottebenbildlichkeit – so lehrte es z.B. Thomas von
Aquin. In dieser Logik lag es nahe, das Hirntodkriterium zu rezipieren und das
Erlöschen der Gehirnfunktionen als Erlöschen des Menschseins zu begreifen.
Darüber hinaus kannte das Christentum die Vorstellung eines Todeszeitpunktes, eines Todesaugenblicks (im Unterschied zum langsamen Entweichen der
Seele, wie die fernöstliche Sicht es besagt). Religiös ist der Todeszeitpunkt sogar überhöht und verklärt worden. Die christliche Dogmatik kannte die letzte
Buße und vertrat die Idee, im Todesaugenblick sei eine sog. Endentscheidung
für oder gegen Gott möglich. Solche Ideen des spezifisch abendländischen,
hellenistisch und christlich geprägten Menschenbilds waren günstig dafür, die
Harvarddefinition von 1968, die medizinische Feststellung des Todeszeitpunktes durch den Hirntod, für nachvollziehbar zu halten.
Das heißt: Gegenwärtig wird die Organübertragung nach dem Hirntod im Licht
unterschiedlicher Traditionen und unterschiedlicher Anthropologien – fernöst4
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lich, jüdisch, islamisch, hellenistisch-christlich – jeweils unterschiedlich bewertet. Daher sollte man gedanklich nicht in einer Einbahnstraße verbleiben und
sagen, es sei die moderne Medizin, die das Menschenbild verändere. Vielmehr
ist es umgekehrt auch so, dass der Fortschritt der Medizin im Spiegel überlieferter anthropologischer und kultureller Überzeugungen erörtert und entsprechend
problematisiert oder akzeptiert wird.
Im folgenden möchte ich nun aber noch deutlicher untermauern, warum das
Hirntodkriterium und die Entnahme von Organen nach dem Hirntod ethisch tatsächlich legitim und zu bejahen sind. Hierzu greife ich einen weiteren Leitgedanken auf, der aus der Anthropologie des 20. Jahrhunderts stammt.
3. Die moderne Anthropologie hat die Differenz zwischen „Leib“ und
„Körper“ auf den Begriff gebracht. Diese Differenzierung besitzt Aussagekraft für das Hirntodkriterium und für das Todesverständnis. Sie erhöht
die ethische Legitimität der postmortalen Organentnahme; und sie bestätigt die moralische Verpflichtung zur Organspende.
Für die ethische Bewertung der Organentnahme nach dem Hirntod lässt sich
ein Gedankengang fruchtbar machen, der im frühen 20. Jahrhundert von dem
Philosophen Max Scheler (1874-1928) auf den Nenner gebracht worden ist.
Das Menschenbild, das Scheler konzipierte, unterscheidet zwischen „Körper“
und „Leib“. Demzufolge stellt der Körper das ensemble der verschiedenen Organe und der einzelnen Lebensfunktionen dar. Die einzelnen Organe sind Bestandteile des Menschen, machen aber nicht das Menschsein als solches aus.
Daher „hat“ der Mensch einen Körper und Körperteile; aber er „ist“ ein Leib. Anders als der Körper bzw. als die diversen Körperteile gehört der Leib untrennbar
zur Person, zum Ich eines Menschen, zur Ich-Identität. Der Leib ist unablösbares Element in der Einheit von Geist, Seele und Leib, die einen Menschen zum
„Individuum“ oder zur „Person“ werden lässt.
Was besagt dies für die Transplantationsmedizin? Ich gehe dabei davon aus,
dass das Hirntodkriterium, insbesondere in der Version des Ganzhirntodkriteriums, medizinisch-naturwissenschaftlich valide und dass es methodischdiagnostisch abgesichert ist. Wenn nun an einem Patienten der Ganzhirntod
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festgestellt wird, dann heißt dies: Der Betroffene ist kein lebender Mensch mehr
im Sinn der Einheit von Geist, Seele und Leib. Dasjenige, was Dritte wahrnehmen und was intensivmedizinisch gestützt wird (etwa durch künstliche Beatmung), sind der frühere Mensch und der frühere Leib. Es handelt sich jetzt nur
noch um einen Körper, nämlich um den Körper eines Toten. Dieser Körper
repräsentiert keine „leibliche“ Existenz im engeren Sinn und kein „Ich“, kein
„Person“-Sein mehr. Der Körper ist die verbliebene Gestalt des gewesenen
Menschen; aber das personale Menschsein als solches ist erloschen. Hieraus
sind verschiedene Konsequenzen zu ziehen.
a) Konsequenz für die Begriffsbildung: Die medizinische Option, Organe nach
dem Hirntod zu entnehmen, verändert den Begriff des Leichnams. Ich denke, in
dieser ganz spezifischen Hinsicht – für das Verständnis des Leichnams – bedeutet die Transplantationsmedizin tatsächlich einen kulturellen und begrifflichen Einschnitt. Herkömmlich denkt man bei einem „Toten“ oder beim Wort
„Leichnam“ an Totenflecken, an Leichenstarre u.a. Diese Merkmale treffen auf
den Hirntoten, dem ein Organ entnommen wird, jedoch nicht zu. Bei ihm sind
Lebensfunktionen noch vorhanden. Sie werden aber nicht mehr von innen reguliert und koordiniert, sondern aufgrund künstlicher, externer Stabilisierung. Daher handelt es sich um den Körper eines Toten oder, pointiert gesagt, um einen
Leichnam.
Hieraus ergibt sich nun allerdings eine Aporie, ein Zwiespalt: Der Hirntote wirkt
auf Dritte geradezu wie ein lebender Mensch oder wie ein integrierter Leib –
ohne dass er dies tatsächlich wäre. Kulturgeschichtlich ist die Vorstellung völlig
unvertraut, dass ein Körper, der lebendig wirkt, eigentlich ein Leichnam ist.
b) Konsequenz für die Angehörigen des Hirntoten: Aus dieser Aporie – der
Hirntote wirkt wie ein Lebender, aber er ist kein lebender Mensch mehr, sondern nur noch der Körper eines Toten – erklärt es sich, dass Angehörige, die
mit dem Hirntod konfrontiert werden, oftmals tief verunsichert sind. Dies ist wohl
eines der sensibelsten Probleme, die sich angesichts der Organentnahme nach
dem Hirntod stellen. Hier ergeben sich hohe Herausforderungen für die ärztliche Aufklärung und Beratung und für die mitmenschliche oder psychologische
Begleitung von Angehörigen.
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Darüber hinaus möchte ich auf generelle rechtliche Konsequenzen hinweisen:
c) Konsequenz in rechtlicher Hinsicht: Wenn man es ernst nimmt, dass es sich
beim Hirntoten nur noch um den Körper eines Toten und nicht mehr um einen
Leib oder um ein Ich handelt, dann ist der medizinische Zugriff auf den Hirntoten prinzipiell legitim. Dies gilt umso mehr, als das Ziel des Zugriffs die Lebensrettung bzw. die Therapie schwerster Erkrankungen von Patienten sind, für die
keine therapeutische Alternative zur Verfügung steht. Das Leben und die Gesundheit dieser Patienten sind Güter, die besonderes Gewicht besitzen. Es ist
ethisch und rechtlich geboten, Leben zu schützen und Gesundheit zu sichern;
jeder Mensch / jeder Patient besitzt ein Grundrecht auf den Schutz seiner Gesundheit und auf gesundheitliche Versorgung.
Daher ist zu sagen, dass die Gesetzeslage in Deutschland verändert werden
sollte. Sie sollte so ausgestaltet werden wie in den meisten europäischen Staaten, nämlich als Widerspruchslösung. Wenn ein Mensch es im Vorhinein abgelehnt hat, dass ihm postmortal Organe entnommen werden, dann muss dies
respektiert werden. In dieser Hinsicht gilt das Selbstbestimmungsrecht. Wenn
ein Mensch aber darauf verzichtet hat, von seinem Selbstbestimmungsrecht
Gebrauch zu machen, und er davon abgesehen hat, zur postmortalen Organentnahme Nein zu sagen, dann ist sein Körper nicht unantastbar. Sicherlich:
Auch der Körper eines gewesenen Menschen, eines Hirntoten verdient Achtung
und Respekt. Weil der Zugriff auf seine Organe aber die Rettung eines anderen
Menschen ermöglicht, ist eine Organentnahme grundsätzlich legitim.
Es wäre zu wünschen, dass der Gesetzgeber dieser – hier nur knapp angedeuteten – anthropologischen und ethischen Logik Rechnung trägt und das Transplantationsgesetz in Richtung auf eine Widerspruchslösung weiterentwickelt.
Dies wäre auch angesichts des Mangels an Spenderorganen in Deutschland zu
hoffen. Und darüber hinaus: Als Menschen sind wir moralisch zur Hilfeleistung
zugunsten von Mitmenschen verpflichtet. Die jüdische, die christliche oder die
philosophisch-humanistische Tradition besagen: Hilfeleistung ist für jeden eine
moralische Pflicht. Dies sollte für die Bestimmungen des Transplantationsgesetzes stärker aufgegriffen und auf gesetzlicher Ebene in angemessener Form
gedanklich berücksichtigt werden.
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III. Fazit
− Auf der Grundsatzebene ist festzuhalten: Legt man die Leitideen des abendländischen Menschenbilds zugrunde und nimmt man die Verpflichtung zur
Lebensrettung sowie das Recht schwer erkrankter Patienten auf Gesundheitsschutz ernst, dann ist die Organentnahme nach dem Hirntod ethisch zu
befürworten.
Dass die postmortale Organentnahme das abendländische Menschenbild
gefährde oder entwerte, ist nicht zu befürchten.
− Zwar ist der Einwand zu hören, potentielle Organspender würden zum Ersatzteillager; es drohe eine Kommerzialisierung des Körpers, ein Dammbruch zu Lasten der Menschenwürde oder anderes. Nun sind bestimmte
Missbrauchsgefahren nicht abzustreiten. Aber es ist die Aufgabe der
Rechtsordnung, ihnen pragmatisch zu wehren. Der Grundrechtsschutz von
Organspendern lässt sich mit Hilfe institutioneller Vorgaben und durch Verfahrenskontrolle sichern.
− Weiterer Diskussionsbedarf zur Transplantationsmedizin ist in anderer Hinsicht zu sehen, etwa was die Möglichkeit der Lebendorganspende oder die
Verteilungsmodalitäten knapper Organe anbelangt (z.B. das Problem Dringlichkeit versus Erfolgsaussicht).
Solche Anschlussfragen muss ich an dieser Stelle freilich offen lassen – aber
ich wollte sie zumindest erwähnt haben.
Verfasser:
Prof. Dr. Hartmut Kreß
Universität Bonn
Evang.-Theol. Seminar, Abt. Sozialethik
Am Hof 1, 53113 Bonn
http://www.sozialethik.uni-bonn.de
mail: [email protected]
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