Platon Ideenlehre Cornelia Ritz v. 21.12.04
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Platon Ideenlehre Cornelia Ritz v. 21.12.04
Dozent: Prof. Dr. Tengelyi Seminar: Platons’ Ideenlehre im Staat Protokollantin: Cornelia Ritz Protokolldatum: 21. 12. 2004 Platons’ flüssige Terminologie Zuallererst sei gesagt, dass Platons’ Philosophie nicht in einem abgeschlossenen Ganzen vorliegt, sondern, dass anstelle eines systematischen Entwurfs Dialoge stehen. Platon legt seine Philosophie Dialogfiguren in den Mund, wodurch die Aussagen kontextbezogen und abhängig von Personen sind, die gerade Aussagen machen. Somit ist es unerlässlich, inhaltliche Aussage n auf die Gesprächssituation und die Umstände zu beziehen. Liest und interpretiert man einen Dialog Platons, so sollte man sich dieser Rahmenbedingungen bewusst sein und dem Gesagten nicht einen absoluten Wahrheitsgehalt zusprechen. Dadurch, dass man Platons Werke keinen absoluten Wahrheitsgehalt zusprechen kann, erfahren seine Werke eine besondere Schutzfunktion. Da es keine terminologische Verfestigung der Begriffe gibt, ist man gezwungen in mehrere Richtungen zu blicken. So entsteht kein Engpass im Gedankengang, sondern es entwickelt sich ein anregendes Denken. Dies wird besonders in [534a] deutlich, wo das in [509e] eingeführte Liniengleichnis im Rückblick betrachtet wird. Während Platon im sechsten Buch die höchste Stufe der Erkenntnis als dialektische Vernunfteinsicht (???s??, nóesis ) bezeichnet, fasst er sie im siebten Buch als wissenschaftliche Erkenntnis (ep?s?µ?, epistéme) zusammen. 1 Die untersten Stufen der Erkenntnis Wenn der Mensch sein Erkennen auf das Reich des Veränderlichen2 stützt und nicht zu den sicheren, ewigen Ideen emporsteigt, so befindet er sich auf den untersten Stufen der Erkennensmöglichkeiten. Diejenigen, die ihren Platz auf der untersten Stufe gefunden haben, setzen nur Vermutungen an. Sie nehmen nur Schattenbilder der Gegenstände, vielleicht sogar nur Täuschungen und Illusionen, wahr. Über dieser Stufe stehen weitere Menschen, die an ihrem Wahrnehmungsglauben festhalten. Sie sind überzeugt, dass nichts über die Wahrnehmung hinausgehen kann und somit keine Dinge ohne die Wahrnehmung existieren könnten. Was diese Menschen sehen, halten sie für wahr. Dabei beziehen sie sich immer auf die Existenz der außen seienden Dinge; also auf die Dinge der materiellen Welt. Die Menschen der untersten Erkenntnisstufen bleiben in der Welt der sinnlichen Wahrnehmung haften und ihre Erkenntnis fundiert nur auf Meinung (d??a). Hier befassen sich die Menschen nur mit den einzelnen schönen Dingen und nicht mit den Gegenständen der Erkenntnis. Solange sich diese Menschen in der materiellen Welt aufhalten und sich nicht bemühen, höher zu klettern, werden sie nie zu einem sicheren Wissen gelangen. Die ideale und materielle Wirklichkeit Nach Platon kann ein sicheres Wissen nur über dialektische Vernunfteinsicht gewonnen werden und somit erst Wissenschaft betrieben werden. Die Mathematik erhebt nun Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, aber es ist eben die Philosophie, die diesem Anspruch tatsächlich gerecht wird. Nur die philosophische Vernunfterkenntnis kann als eine Wissenschaft bezeichnet werden, weil sie nach wahrem, festem Wissen strebt. Der Philosoph versucht nämlich, sich durch das Denken3 mit Gegenständen zu befassen, die ewig und unveränderlich 1 Siehe auch Skizze zum Liniengleichnis. Über das Reich des Veränderlichen wird in den von mir benannten Abschnitt „die ideale und materielle Wirklichkeit“ gesprochen. 3 Unter Denken versteht Platon das Reden mit sich selbst 2 sind; also den Ideen. Unter den Ideen versteht Platon etwas absolut Unräumliches, Unzeitliches und Unveränderliches. Ihre Wirklichkeit formt die eigentliche wahre ideale Welt und es ist eben diese ideale Wirklichkeit, das Reich der Ideen, welche die materielle Welt diktiert und strukturiert. In der Wahrnehmungswelt haben die Gegenstände einen Anteil an dem eigentlichen Seienden, so dass in dieser Welt nur Zerrbilder der Urbilder existieren. An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass es falsch wäre von einer Zweiweltentheorie im eigentlichem Sinne zu sprechen, da durch die Teilhabe der einzelnen Gegenstände an den Ideen nicht zwei streng voneinander getrennte Welten vorhanden sind. Ferner ist für Platon die ideale Welt stärker als die materielle Welt, und das nicht nur, weil sie die sinnliche Welt bestimmt, sondern vielmehr weil sie ze itlos ist. Während die sinnlich wahrnehmbare Welt entsteht und vergeht, und niemals sein wird, wird die ideale Welt immer sein und immer gelten. Ihr kommt ein absolutes Seinsgehalt zu und ihr Wahrheitsanspruch ist unbestreitbar. Die Ideenwelt dehnt sich auf alle Seinsbereiche aus, so auch auf die Mathematik, von der Platon bereits in den Dialogen Meno n und Phaidon redet. In dem letzteren Werk erzählt Platon erstmals von den Ideen der mathematischen Gegenstände, wie z.B. von der Idee der Gleichheit, der geraden Zahl, der Verschiedenheit, des Gegensatzes usw. Die Mathematik befindet sich in eine r Art Schwebezustand zwischen der Ideenwelt und der sichtbaren Welt. So gehören die mathematischen Sätze, die außerhalb von Raum und Zeit stehen und ewige Gültigkeit besitzen, in die ideale Wirklichkeit. Genau wie alle übrigen Ideen beziehen sich die mathematische n Wahrheiten auch auf die sichtbare Welt, ohne zu ihr selbst zu gehören. Dennoch ist z.B. die Idee des Dreiecks nicht unmittelbar für unser Denken fassbar, da wir in mathematischen Überlegungen immer sichtbare Dinge, so etwa mit Kreide gezeichnete Figuren, als Abbilder der Idee des Dreiecks verwenden. So schauen wir auch in der sinnlichen wahrnehmbaren Welt auf eine Vielfalt und Vielheit von Dreiecksfiguren, aber die Idee des Dreiecks bleibt vor uns verborgen, weil wir die Idee des Dreiecks nicht über das menschliche Denken in der Ideenwelt erfassen. Der Mathematiker selbst befasst sich zwar mit den unveränderlichen und ewigen Dingen, aber er nimmt dazu die Abbilder aus dem Bereich der materiellen Welt zur Hilfe. Somit hat der Mathematiker einen beschränken Zugang in die Ideenwelt über die mathematischen Objekte. Platon beschreibt die mathematischen Objekte wie Vermittler: auf der einen Seite haben sie ein axiomatisches System, d.h., es werden Hypothesen bzw. Voraussetzungen aufgestellt, um dann die Folgen zu untersuchen. Die Ergebnisse werden dann als Sätze festgehalten. Im Gegensatz dazu geht man in der Philosophie von den Ideen als Voraussetzungen aus, wobei sich alle Ideen aus der Idee des Guten ableiten lassen. Dabei ist die Idee des Guten selbst voraussetzungslos; sie steht durch sich selbst und ist sich selbst genügsam. Dennoch ist die Idee des Guten schwer erkennbar und kann uns nicht mit Hilfe von Ausdrücken oder Begriffen vermittelt werden. Ein jeder kann die Idee des Guten praktisch, und nicht theoretisch erfahren, um so vertraut mit ihr zu werden und ein persönliches Verhältnis zur ihr aufzubauen. Die drei Gleichnisse In [514a] bis [518c] wird Platons’ berühmtes Höhlengleichnis erzählt: Die Menschen sind in einer unterirdischen Höhle gefesselt und können nur auf eine Höhlenwand schauen, die dem Eingang gegenüberliegt. Sie sind von Geburt an in dieser unterirdischen Höhle und wissen nichts von dem, was sich an der Oberfläche befindet. Hinter den gefesselten Menschen verläuft quer durch die Höhle eine Mauer, hinter der ein Lagerfeuer brennt. Menschen tragen allerlei Gegenstände, wie z.B. Statuen und Figuren zwischen der Mauer und dem Feuer entlang. Die Schatten der Dinge, sowie das Echo der vorübergehenden Menschen, werden auf die Höhlenwand projiziert, die die Gefesselten für die wahre Wirklichkeit halten. Wenn sich nun einer der Gefangenen befreit, umwendet und die Gegenstände betrachtet, so würde er doch verwundert sein über diese Wirklichkeit. Würde man ihn ferner dazu zwingen, zum Licht emporzublicken, welches ihn blendet, und den Aufstieg aus der Höhle hinaus zur Oberfläche zu wagen, so würde der Aufstieg nur sehr mühsam und langsam fortschreiten. An der Oberfläche muss der Gefangene erst einmal seine Augen an das Sonnenlicht gewöhnen. Zuerst wird er nur die Schatten, dann die Abbilder, die wirklichen Dinge selbst und zuletzt die Sonne betrachten können. In dem Höhlengleichnis sind andere Gleichnisse Platons, das Liniengleichnis und das Sonnengleichnis, indirekt präsent. Man kann diese allerdings nur innerhalb des Höhlengleichnisses ausfindig machen, wenn man mit den übrigen Gleichnissen vertraut ist. Erst dann ist eine vollständige Interpretation des Höhlengleichnisses möglich. Die Sonne, welche im Sonnengleichnis die Idee des Guten symbolisiert, ist im Höhlengleichnis das, was alles beleuchtet und doch am schwersten erkennbar ist. Genauso verhält es sich mit der Idee des Guten: sie durchdringt alle anderen Ideen, beleuchtet sie und ist von den Menschen kaum zu erfassen. Das Liniengleichnis erklärt die vier Erkenntnisvermögen, die im Höhlengleichnis durch das Erkennen des wahren Seins symbolisiert wird. Dabei ist aber nicht die Stufenfolge der Wahrnehmung4 aus der Höhle an die Oberfläche gemeint, sondern die Stufenfolge [516a], die die Zunahme zu einer klareren Wahrheit aufzeigt. 4 Sichtbare Dinge, die aus einem Gemisch von Sein und Nichtsein bestehen, können nicht erkannt werden, da sie Schattenbilder der Originale sind.