Ambulante Anästhesie bei Kindern

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Ambulante Anästhesie bei Kindern
Aktuelles Wissen für Anästhesisten
Refresher Course Nr. 40
Mai 2014 · Leipzig
Ambulante Anästhesie bei Kindern
K. Becke
Zusammenfassung
Immer mehr operative und diagnostische Eingriffe im Kindesalter werden ambulant durchgeführt. Bei der anästhesiologischen
Versorgung sind verschiedene Rahmenbedingungen zu beachten, um höchstmögliche Sicherheit und Komfort zu garantieren.
Die Auswahl geeigneter Patienten und Verfahren minimiert das
Risiko von Komplikationen, die sorgfältige Vorbereitung des
Kindes und der Familie mindert Angst und Unsicherheit; beide
Aspekte zeigen auf, wie wichtig neben den medizinischen vor
allem die organisatorischen Aspekte der ambulanten Versorgung sind. Am OP-Tag kommen moderne Anästhesieverfahren
kombiniert mit PONV-Prophylaxe („postoperative nausea and
vomiting“) und multimodaler Schmerztherapie zum Einsatz,
die Entlassung und Nachsorge im häuslichen Umfeld sollte
mittels klarer Vorgaben für z.B. die Fortsetzung der Schmerztherapie und Planung der Wundkontrollen in Zusammenarbeit
mit den Chirurgen und Hausärzten organisiert werden.
1. Einleitung
1.1 Grundlagen
„Ambulant vor stationär“ – so lautet das Prinzip des Sozialgesetzbuch SGB V, nach dem zuerst alle Möglichkeiten der
ambulanten Versorgung ausgeschöpft werden sollen, bevor ein
Patient (voll-)stationär im Krankenhaus behandelt wird. Die
ambulante Versorgung wird gerade dem hohen Bedürfnis von
Kindern nach Geborgenheit und einer vertrauten Umgebung
sowie dem Wunsch der Eltern, ihr Kind nach einer Operation
wieder mit nach Hause zu nehmen, gerecht [1].
Der Druck, ambulant zu operieren, kommt heute aber zunehmend von ganz anderen Seiten. Hier ist es die Aufgabe
des Behandlungsteams, Komfort, wirtschaftliche Zwänge und
Sicherheitsbedürfnis in Einklang bringen. Etliche typische
und häufige Eingriffe im Kindesalter sind nach dem Katalog
ambulant durchführbarer Operationen und stationsersetzender
Eingriffe in der Regel als ambulant durchzuführende ärztliche
Maßnahmen eingestuft [2]. Dies bedeutet jedoch nicht, dass
der Arzt zur ausschließlich ambulanten Erbringung verpflichtet
ist. Vielmehr ist der Arzt verpflichtet, in jedem Einzelfall zu
prüfen, ob Eingriff, Gesundheitszustand und äußere Umstände
die ambulante Durchführung der Operation erlauben und ob
das Kind nach Entlassung aus der unmittelbaren Betreuung des
Behandlungsteams im häuslichen Umfeld sowohl ärztlich als
auch pflegerisch angemessen versorgt wird [3].
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Konkret führt Prof. Ulsenheimer aus: „Das ambulante Operieren darf [...] nicht zu einer Risikoerhöhung für den Patienten im
Vergleich zu einer Behandlung unter stationären Bedingungen
führen. Entscheidend ist dabei der konkrete Risikovergleich im
Einzelfall“[4].
Die Sicherheit des Patienten genießt zweifellos höchste Priorität. Die Entscheidung zur ambulanten Durchführung sollte stets
interdisziplinär, in Abhängigkeit der Gesamtkompetenz der Institution und der Zusammenschau aller vorliegenden Befunde
des Patienten getroffen werden. Neben patientenspezifischen
Faktoren inklusive Alter spielt auch die Versorgungssituation
des Kindes eine wesentliche Rolle (soziale Situation zuhause,
Entfernung des Wohnortes zur nächsten Klinik etc.).
Im Zweifelsfall gilt: die ambulante Durchführung eines
operativen Eingriffs darf keine konkrete Risikoerhöhung
für den jeweiligen Patienten bedeuten.
1.2 Besonderheiten der ambulanten Versorgung im
Kindesalter
Es gibt gute Argumente für eine ambulante Versorgung von
Kindern: Kinder sind meist gesund (ASA I), sie haben nur selten
chronische Vorerkrankungen, erholen sich rasch von Operationen und die typischen Eingriffe im Kindesalter sind „klein“ und
wenig invasiv [5] (siehe Tabelle 1). Kinder profitieren, wenn sie
schnell wieder in ihr gewohntes Umfeld zurückkehren können,
die Eltern können zügig wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren und die Gesamtkosten der Behandlung sind – verglichen
mit einer stationären Behandlung – signifikant niedriger. Die
Anästhesietechniken im Kindesalter haben sich in den letzten
20 Jahren deutlich verbessert, neben kurzwirksamen und gut
steuerbaren Anästhetika stehen Lokal-/RegionalanästhesieTechniken zur Verfügung, die einen optimalen postoperativen
Verlauf möglich machen.
Bei allen Vorteilen bleibt aber zu beachten, dass die Anästhesie von Kindern eben nicht dem Prinzip folgt „kleiner
Eingriff – kleine Narkose“, eine sorgfältige Balance zwischen Nutzen- und Risiko und eine Durchführung unter
optimalen Bedingungen ist in jedem Fall anzustreben (siehe Abbildung 1).
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Abbildung 1
PATIENT
Stabiler/optimierter
Gesundheitszustand (ASA I-II)
Keine spez. Komplikationen
in der periop. Phase zu erwarten
FAMILIE/
UNTERSTÜTZENDE STRUKTUREN
OPERATIVER/
DIAGNOSTISCHER EINGRIFF
Ausreichende Compliance
Teamkompetenz
Geringe Invasivität
Präop. Anleitung/Schulung
Kontakt zu Haus-/Kinderarzt
ANÄSTHESIE
ÖKONOMIE
Teamkompetenz
Einsatz gut steuerbarer Substanzen
Kalkulierbares Risiko
an postoperativen Komplikationen
(Schmerz, Nachblutung, PONV)
Echter „Spareffekt“
durch ambulante Versorgung
Lokal-/Regionalanästhesie
Multimodale Schmerztherapie
PONV-Prophylaxe
Voraussetzungen für ambulante Behandlung im Kindesalter.
Kritisch anzumerken ist an dieser Stelle auch, dass sich das
derzeitige Entlohnungssystem in der ambulanten Anästhesie in
erster Linie am operativen Eingriff orientiert und nur marginal
die notwendige intensive Betreuung von Säuglingen, Kleinkindern und deren Eltern berücksichtigt.
Tabelle 1
Typische ambulante Eingriffe im Kindesalter.
Zahnheilkunde
• Zahnbehandlung, Zahnextraktion
HNO-Heilkunde
• Adenotomie
• Paukendrainage, Paukenröhrchen
• Ohrkorrektur
Kinderchirurgie/
Kinderurologie
• Phimose/Zirkumzision
• Nabel-, Leistenbruch/Herniotomie
• Hodenhochstand/Orchidopexie
• Entfernung von Hauttumoren und
-anhängseln
• Entfernung von Ganglien, Zysten,
Fisteln (z.B. laterale Halszysten)
• Korrektur von Polydaktylien
• Fremdkörperentfernung
Kindertraumatologie/
Kinderorthopädie
• Geschlossene Frakturreposition
• Metallentfernung
• Arthroskopie
Augenheilkunde
• Tränenkanalsondierung
• Strabismus-Korrektur
Radiologie/Diagnostik
• MRT, CT, Szintigraphie
• Zystoskopie, Gastroskopie/Koloskopie
1.3 Zahlen und Fakten
Eine offizielle Statistik über ambulante Eingriffe besteht in
Deutschland – im Gegensatz zu stationären Eingriffen nicht
[6]. Schätzungen aus den abgerechneten Fällen im vertragsärztlichen Bereich gehen davon aus, dass derzeit ca. 100.000
Eingriffe bei Kindern im Alter unter 5 Jahren ambulant durchgeführt werden [7]. Der größte Anteil betrifft wahrscheinlich
zahnärztliche Eingriffe, gefolgt von HNO-Eingriffen und
kinderchirurgischen Eingriffen. Tabelle 1 zeigt typische und
häufige Eingriffe im Kindesalter, die ambulant durchgeführt
werden.
2. Präoperative Vorbereitung
2.1 Prinzipien
Bei ambulanten Eingriffen hat die präoperative Vorbereitung
einen wichtigen Stellenwert, der Anästhesist sollte den Eltern
und dem Kind genau erklären, was auf sie zukommt, eine
zusätzliche schriftliche Information inkl. Angaben zur Nüchternheit ist sinnvoll. Präoperative Vorbereitungsprogramme
z.B. internetbasierte Informationen, werden zukünftig eine
größere Rolle spielen, um Kind und Familie mit den Details
einer ambulanten Versorgung vertraut zu machen.
Die Patientenevaluation im Rahmen des Vorgesprächs dient der
Festlegung, ob das Kind zweifelsfrei ambulant versorgt werden
kann. Die Evaluation folgt grundlegend dem Prinzip des
Vorgehens bei stationärer Versorgung. Die für den Erwachsenenbereich geltenden „Gemeinsamen Empfehlungen zur präoperativen Patientenevaluation [8]“ können prinzipiell auf das
Kindesalter übertragen werden, spezifisch für das Kindesalter
kommen die Handlungsempfehlungen des Wissenschaftlichen
Arbeitskreises Kinderanästhesie der DGAI zur Anwendung [9].
6
Bestandteile der präoperativen Evaluation sind:
• Standardisierte Anamnese (z.B. mithilfe von Anamnese­
bögen)
• Körperliche Untersuchung (z.B. pulmonale/kardiale Auskultation, Mund-Rachen-Inspektion)
• Indizierte apparative/Labor-Diagnostik (i.d.R. nicht notwendig bei gesunden Kindern und kleineren Eingriffen)
Ziel der präoperativen Evaluation ist neben der optimalen
Vorbehandlung des Patienten das Vermeiden von OP-/Anästhesie-Absagen sowie ausreichende Information, Aufklärung und Anleitung des Patienten resp. der Familie und die
Festlegung des Anästhesieverfahrens mit juristisch angemessener anästhesiologischer Risiko- und Sicherungsaufklärung.
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2.2. Aufklärung und Einwilligung
Der Bundesgerichtshof hat festgestellt [BGH VI ZR 178/93],
dass eine Aufklärung und Einwilligung für einen ambulanten
Eingriff am Tag der Operation nicht statthaft ist, wenn es sich
um „größere Operationen mit beträchtlichen Risiken“ handelt.
Bei einer Aufklärung am Tag der Operation ist darauf zu achten, dass der Patient bzw. seine gesetzlichen Vertreter seine
Entscheidung frei treffen kann und nicht den Eindruck gewinnt,
dass ein nicht beeinflussbarer Automatismus eingesetzt hat [4]:
eine Aufklärung am Tag des Eingriffs genügt nicht, „... wenn die
Aufklärung erst so unmittelbar vor dem Eingriff erfolgt, dass der
Patient unter dem Eindruck steht, sich nicht mehr aus einem
bereits in Gang gesetzten Geschehensablauf lösen zu können
(z.B. Aufklärung unmittelbar vor der Tür zum Operationssaal)“
[BGH (NJW 2000, 1787)].
Auch wenn bei einer ambulanten Anästhesie das Aufklärungsgespräch ausnahmsweise am Tag der Operation juristisch möglich ist, so kann dieses Vorgehen aus medizinischer Sicht nicht empfohlen werden. Gerade die adäquate
Vorbereitung und Planung einer ambulanten OP/Anästhesie für ein Kind bedarf eines zeitlichen Vorlaufs für alle
Beteiligten.
2.3 Kinder mit Vorerkrankungen
Im Prinzip gelten schwerere Begleiterkrankungen dann als
Kontraindikation für ein ambulantes Vorgehen, wenn während der ambulanten Versorgung spezifische Komplikationen
befürchtet werden müssen oder wenn Spätkomplikationen
nach der Entlassung eintreten können. Typische Risikokonstellationen im Kindesalter sind akuter Atemwegsinfekt, ehemalige
Frühgeburtlichkeit, obstruktive Schlafapnoe und chronische
Erkrankungen wie Asthma bronchiale, Cystische Fibrose, kongenitale Herzerkrankungen und neurologische Erkrankungen.
Aus anästhesiologischer Sicht können generell folgende
patientenspezifischen Umstände als absolute Kontraindikationen für ambulante Operationen gelten [7,10]:
• Schwere akute infektiöse Erkrangungen (gastrointestinale Infekte, Atemwegsinfekte)
• Chronische Begleiterkrankung mit instabilem Verlauf,
z.B. schlecht eingestellter Diabetes mellitus, exazerbiertes Asthma bronchiale, Cystische Fibrose mit Infekt
• Erkrankungen mit länger zu erwartendem Überwachungsbedarf, z.B. schwere obstruktive Schlafapnoe,
Frühgeburtlichkeit
• Erhöhtes Nachblutungsrisiko, z.B. Von-Willebrand-Syn­
drom, Hämophilie
2.3.1 Atemwegsinfekte
Atemwegsinfekte sind die häufigste Erkrankung im Kindesalter,
es ist davon auszugehen, dass etwa 20-30% aller Kinder, die
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sich zu einer OP vorstellen, aktuell an einem Infekt der oberen
Atemwege leiden [11]. Es ist bekannt, dass die Rate an (v.a.
respiratorischen) Komplikationen bei diesen Kindern erhöht
ist [12, 13, 14], eine pauschale Verschiebung des OP-Termins
ist aber weder medizinisch noch ökonomisch zielführend
[15]. Die Entscheidung, wann eine OP/Anästhesie abgesagt
wird, sollte stets einer individuellen Risiko-Nutzen-Abwägung
überlassen bleiben [16]. Faktoren, die diese Entscheidung
beeinflussen, sind v.a.:
• Schwere der Atemwegserkrankung (symptomatische
Infektion)
• Pulmonale Komorbidität inkl. Passivrauchen
• Invasivität des Eingriffs (Atemwegsnähe)
• Invasivität des Atemwegs (Endotrachealtubus)
• Kompetenz des Teams inkl. Möglichkeit der verlängerten
Überwachung.
Eine Hilfestellung können Entscheidungsalgorithmen (siehe
Abbildung 2) bieten.
2.3.2 Ehemalige Frühgeburtlichkeit, Neugeborene
Als eine gefürchtete Komplikation gelten späte postoperative
Apnoen bei ehemaligen Frühgeborenen. Das Risiko für
Apnoen ist v.a. abhängig von Gestationsalter (=Schwangerschaftsdauer), Postkonzeptionsalter (Alter des Kindes seit der
Konzeption) und einer vorbestehenden Anämie [17]. Obwohl
keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz vorhanden ist,
ab wann eine ambulante Versorgung als „sicher“ gelten kann,
besteht Konsens, ehemalige Frühgeborene im Postkonzeptionsalter < 56-60 Wochen solange zu überwachen, dass ein
apnoe-freies 12h-Intervall garantiert ist [18,19]. Kinder, die
in den letzten 6 Monaten zuhause Sauerstoff benötigten oder
am Monitor überwacht wurden, sollten ebenfalls ausreichend
lange überwacht werden [17].
In diesem Zusammenhang soll daran erinnert werden, dass
Kinder vor allem dann von ambulanter Versorgung profitieren,
wenn eine bewusst erlebte Traumatisierung durch Hospitalisation vermeiden werden kann. Ehemalige Früh- und Neugeborene in den ersten Lebenswochen nehmen ihre Umwelt noch
nicht explizit wahr, so dass davon ausgegangen werden kann,
dass eine stationäre Versorgung wohl wenig traumatisierend
ist, wenn das Umfeld des Kindes stabil ist und das Kind vor
extremen Einflüssen bewahrt wird, wie Schmerzen, Hunger,
Durst und Kälte.
Die Frage, ob eine Altersbegrenzung für ambulante Anästhesie
grundsätzlich definiert werden soll, schließt daran an. Im ersten
Lebenshalbjahr finden die wesentlichen physiologischen Umstellungsprozesse statt, ebenso weite Teile der renalen und hepatischen Reifung [20]. Nicht alle kongenitalen Erkrankungen
werden mit der Geburt oder kurz danach diagnostiziert, häufig
besteht ein „diagnostisches Fenster“ von ca. 3-6 Monaten.
Das erste Lebenshalbjahr kann also als Stabilisierungsphase
beschrieben werden. Aus Sicht der Autorin ist die Indikation
zur ambulanten Versorgung vor allem in dieser Phase immer
individuell kritisch abzuwägen, unter Einbezug aller Faktoren,
wie in Abbildung 1 aufgezeigt.
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Abbildung 2
• Anamnese
• Komorbidität
• Körperl. Untersuchung
• Vitalparameter
• Aussage der Eltern
Kind mit "Erkältung"
Schnupfen
Produktiver Husten
Eitriges Sekret
Obstruktion
Fieber
Unwohlsein
Präoperative
Evaluation
Schnupfen
Trockener Husten
Wässriges Sekret
Milder Infekt
Schnupfen
Produktiver Husten
Eitriges Sekret
Moderater Infekt
Schwerer Infekt
Risiko-Nutzen-Abwägung
Risiko:
• Kind < 1 Jahr
• Passivraucher
• Pulmonale Komorbidität
• Atemwegsnahe OP
• Endotracheale Intubation
Nutzen:
• HNO-OP = Fokussanierung
z.B. ATE bei rez. Infekten/OSAS
• Expertise des Teams
• Erweiterte Überwachung möglich
• Elterliche Compliance
Vorbehandlung mit Salbutamol inhalativ
Durchführung der OP/Anästhesie
Anästhesie-Management
Vermeiden der Intubation
Vermeiden von Desfluran
Einsatz der LMA
Einsatz von Propofol
Verschieben der OP ≥ 2 Wochen
Re-Evaluation
Nach Becke K. Anesthesia in children with a cold. Curr Opin Anaesthesiol 2012; 25(3): 333-339.
Algorithmus: Kind mit Atemwegsinfekt nach [16].
2.3.3 Obstruktive Schlafapnoe, OSA
Die Schlafapnoe im Kindesalter ist ein Thema, das mehr und
mehr im wissenschaftlichen und klinischen Fokus steht. Obwohl hinlänglich bekannt ist, dass Kinder mit schwerem OSA
wegen des erhöhten Risikos für perioperative Komplikationen
eine intensivierte anästhesiologische Betreuung benötigen,
d.h. i.d.R. eine stationäre Aufnahme für 1 Nacht, gibt es bislang keine Leitlinien oder Empfehlungen zur Versorgung von
Kindern mit OSA [21,22].
Das größte Risiko für Komplikationen bei Kindern mit OSAS
besteht zweifellos in der postoperativen Phase, respiratorische
Komplikationen können im Rahmen der Schmerztherapie
mit Opioiden durch die typische hypoxie-induzierte OpioidEmpfindlichkeit getriggert werden.
8
Als Kriterien für eine verlängerte Überwachung von Kindern
mit OSA werden vorgeschlagen [23]:
• Alter < 3 Jahre
• Schwere OSA (Apnoe-Hypopnoe-Index AHI > 16/h, SpO2<
85%)
• Weitere Komorbidität.
Kinder mit OSA, die Midazolam erhalten, sollen konsequent
überwacht werden, Kodein als postoperatives Analgetikum
verbietet sich grundsätzlich wegen der Gefahr der respiratorsichen Insuffizienz [24].
2.3.4 Kinder mit chronischen Erkrankungen
Kinder mit bestimmten chronisch verlaufenden aber stabil
eingestellten Erkrankungen können ambulant betreut werden,
z.B. Asthma bronchiale, Cystische Fibrose, Sichelzellanämie,
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Epilepsie, Diabetes mellitus, geistige Behinderung. Hier
kann gerade die ambulante Versorgung Vorteile bieten, denn
chronisch kranke Kinder profitieren von jeder Vermeidung von
Hospitalisation. Eltern von chronisch kranken Kindern können
den aktuellen Gesundheitszustand bzw. Krankheitsverlauf in
der Regel sehr gut einschätzen und sind neben dem Kind die
wichtigsten Partner in der perioperativen Betreuung. Die aktuelle Medikation sollte in der Regel beigehalten werden, bzw.
so schnell wie möglich postoperativ wieder angesetzt werden.
Bei Kindern mit chronischen Erkrankungen ist die Kommunikation mit dem betreuenden Kinder-/Hausarzt wichtig, der den
medizinischen Krankheitsverlauf am besten einschätzen kann.
Kontraindikationen für ambulante Anästhesie zeigt Tabelle 2.
Tabelle 2
Kontraindikationen für ambulante Anästhesie (nach [7]).
Kontraindikationen
Frühgeburtlichkeit < 56. – 60. Postkonzeptionswoche
Schwere bronchopulmonale Erkrankungen
Hämodynamisch relevante kardiale Erkrankungen
Muskelerkrankungen
Seltene Erkrankungen („rare diseases“), bei denen wenig allgemeine
Anästhesieerfahrungen vorliegen
Stoffwechselerkrankungen mit der Neigung zu später Entgleisung
und Folgen (Gluc-6-Ph-DH-Mangel, Glykogenspeicherkrankheiten),
schlecht eingestellter Diabetes mellitus
Schwere obstruktive Schlafapnoe
3. Anästhesie
Kraniofaziale Missbildungen mit erwarteten Problemen bei der
Atemwegssicherung
3.1 Anästhesiologischer Arbeitsplatz
Die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin hat in 2013 Mindestanforderungen an den anästhesiologischen Arbeitsplatz unter besonderer Bezugnahme auf die
Versorgung von Kindern formuliert, die für alle Orte Gültigkeit
besitzen, an denen ambulante oder stationäre Allgemein- oder
rückenmarksnahe Anästhesieverfahren durchgeführt werden
[25]. Essentielle und empfohlene apparative Mindestanforderungen zeigt Tabelle 3.
Spezifische Anforderungen an eine kindgerechte anästhesiologische Versorgung definieren neben dem einzuhaltenden Facharztstandard erstmals auch die Qualifikation des anästhesiologischen Assistenzpersonals: Erfahrung in der Kinderanästhesie
soll vorhanden sein bzw. durch Hospitation bei Kinderanästhesien < 5 Jahren erworben werden. Sämtliches Equipment muss
für den Einsatz in der zu behandelnden Altersgruppe zugelassen
sein, die Basisausstattung muss ergänzt werden mit Materialien
für den intraossären Zugang und den kindlichen Atemweg inkl.
Atemhilfen. Für den Bereich der Kopf-Hals-Eingriffe wird auf
die sichere, stabile und druckstellenfreie Lagerungsmöglichkeit
des Kopfes, die uneingeschränkte Erreichbarkeit des intravenösen Zugangs und geeignete Lagerungskissen/Armhalterungen
für Kinder hingewiesen.
3.2 Prämedikation
Der Stellenwert von Midazolam als medikamentöses Anxiolytikum im Vorfeld der Anästhesieeinleitung ist in den
letzten Jahren gesunken, die Ursachen dafür sind vielschichtig
[26]. Kinder im Schulalter, die von den Eltern und dem Behandlungsteam gut auf die Operation/Anästhesie vorbereitet
worden sind, haben meist weniger Angst und eine höhere
Bereitschaft zur Kooperation, sie benötigen häufig gar keine
Prämedikation. Lokalanästhetika-haltige Cremes erlauben eine
nahezu schmerzfreie i.v.-Punktion, und auch die Anwesenheit
der Eltern kann bei einer bestimmten Patientengruppe zu einer
ruhigeren Einleitungssituation führen [27,28]. Das Aufwachverhalten erscheint nach einer Midazolamgabe verändert, ob
eine erhöhte Inzidenz an postoperativem Delir („Emergence
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Tabelle 3
Mindestanforderungen an die apparative Ausstattung eines AnästhesieArbeitsplatzes [25].
Arbeitsplatz1
essenziell
Anästhesiesystem
x
patientennahe
Atemgasmessung
x
Pulsoximeter
x
EKG-Monitor
x
Blutdruckmessung
x
verfügbar2
KörpertemperaturMessung
x
Defibrillator
x
Relaxometer
x
Blutzucker-Messgerät
empfohlen AnästhesieBeatmungsgerät
Oszillometrische
Blutdruckmessung
x
x
x
Delirium“) mit Midazolam vergesellschaftet ist, kann derzeit
nicht sicher beantwortet werden [29].
Nichtsdestotrotz wird es immer eine Gruppe von Kindern
geben, die von einer medikamentösen Anxiolyse profitiert,
im Speziellen Kinder im Kleinkind- und Vorschulalter, die die
Abläufe noch nicht verstehen bzw. abstrahieren können. Hier
ist die Angstminderung essentiell, um psychologische Folgeschäden zu verhindern [30].
3.3 Intraoperative Anästhesieverfahren
Bei der Wahl der Anästhetika sind kurzwirksame, gut steuerbare Substanzen zu bevorzugen. Propofol im Rahmen einer
TIVA bietet bei Kindern zu ambulanten Operationen Vorteile,
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u.a. durch seine antiemetische Wirkung, Reflexdämpfung im
Larynxbereich, die besonders vorteilhaft bei Kindern mit Atemwegsinfekt ist und durch seine präventiven Eigenschaften im
Hinblick auf eine ruhige Aufwachphase unter Vermeiden von
Emergence Delirium [32,33,34].
Die Atemwegssicherung mittels Larynxmaske ist bei den
meisten ambulanten Eingriffen als Goldstandard zu bezeichnen, die – invasivere – endotracheale Intubation ist nur selten
notwendig.
3.4 Lokal-/Regionalanästhesieverfahren
Eine optimale Schmerzkontrolle ist ein wichtiger Punkt für den
Erfolg einer ambulanten Versorgung [35]. Die Vermeidung von
Opioiden – wenn möglich – macht Sinn, da Opioide ein Risikofaktor für PONV sind und die postoperative Überwachung
verlängert sein kann. Eine Lokal-/Regionalanästhesie ist einfach, sicher und effektiv – klinisch relevante Nebenwirkungen
sind sehr selten [36,37]. Sie sollte daher wann immer möglich
durchgeführt werden. Periphere Nervenblockaden sind sehr
gut und lange wirksam, sie kommen meist als Einzelinjektion
zur Anwendung (z.B. Peniswurzelblock, Ilioinguinalis-iliohypogastricus-Block (IIB), Transversus abdominis plane-Block
(TAP)). Auch der Kaudalblock ist weit verbreitet in der ambulanten Kinderanästhesie. Motorische Blockaden werden bei
der Verwendung von Ropivacain 0,2% kaum beobachtet [38].
Tabelle 4 zeigt eine Auswahl gebräuchlicher Techniken und
Lokalanästhetika nach [39].
beobachtet, danach steigt die Häufigkeit mit einem Gipfel
zwischen 6 bis 10 Jahren, um sich bis zur Pubertät wieder der
Häufigkeit bei Erwachsenen anzugleichen.
Für die ambulante Anästhesie bei Kindern geeignete Medikamente sind Dexamethason (0,15 mg/kgKG), Dimenhydrinat
(0,5 mg/kgKG), und Setrone (z.B. Ondansetron 0,1 mg/kgKG)
[42]. Butyrophenone (z.B. Droperidol) und Metoclopramid mit
ihrer erhöhten Inzidenz extra-pyramidal-motorischer Nebenwirkungen sollten nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden.
Jede Einzelmaßnahme reduziert das gegebene PONV-Risiko
um ca. 30%. Da Dexamethason vor allem prophylaktisch wirksam ist, zudem einen ausgezeichneten ko-analgetischen Effekt
hat und eine TIVA ohne Lachgas ausschließlich prophylaktisch
eingesetzt werden kann, sind diese beiden Maßnahmen als
Säulen der Prophylaxe zu bezeichnen, ergänzt von Ondansetron bei Hochrisikopatienten.
Die Auswahl des intraoperativen Vorgehens, d.h. welche
Anästhetika, Nicht-/Opioid-Analgetika und Regionalanästhesieverfahren verwendet werden, folgt den individuellen
Voraussetzungen und Erfahrungen der Einrichtung. Oberste Prämisse hat das Vermeiden von intraoperativn anästhesie-bedingten Komplikationen. Das Behandlungsteam sollte daneben stets im Auge haben, dass eine optimale
Schmerzkontrolle und das konsequente Vermeiden bzw.
die Therapie von PONV und Emergence Delirium eine
wichtige Rolle für den Erfolg der Operation und die Zufriedenheit des Kindes und der Eltern spielen.
3.5 PONV-Prophylaxe
Postoperative Übelkeit und Erbrechen (PONV) ist einer der
häufigsten Gründe für die stationäre Aufnahme nach ambulanten Operationen [40]. Da sowohl die Patientenzufriedenheit
als auch das Resultat der Operation gefährdet sein kann, sollte
ein klares Konzept zu PONV-Prophylaxe bei Kindern verfolgt
werden [41]. Bei Kindern unter 3 Jahren wird PONV selten
Tabelle 4
Übersicht Lokal-/Regionalanästhesie für ambulante Eingriffe im
Kindesalter.
10
Eingriff
Mögliche Verfahren
Lokalanästhetikum/
Dosis
Zirkumzision
Peniswurzelblock
Bupivacain 0,5%
2 x 0,1 ml/kgKG
Leisteneingriffe
IIB-, TAP-Block,
Kaudalblock, Wundinfiltration
Ropivacain 0,2%
0,5 - 1 ml/kg KG
Oberflächliche
Eingriffe an Kutis/
Subkutis
Wundinfiltration
Ropivacain 0,2%
0,5 - 1 ml/kg KG
Eingriffe an
Extremitäten
je nach Eingriff, z.B.
Femoralis-, Ischiadikus-,
Plexus axillaris-Block,
alternativ Wundinfiltration
Ropivacain 0,2%
0,5 - 1 ml/kg KG
4. Postoperative Phase
4.1 Rahmenbedingungen
Für die Versorgung der Patienten in der postoperativen Phase
gibt es klare Vorgaben [43,44]:
• Postoperativ müssen Kinder in geeigneten Räumen von
geschultem Assistenzpersonal und unter unmittelbarer Verfügbarkeit eines Arztes überwacht werden, bis sie definierte
Entlassungskriterien erfüllen.
• Der Anästhesist hat sich in einer persönlichen Visite von der
Entlassfähigkeit des anästhesierten Patienten zu überzeugen.
• Zwischen den Berufsverbänden der Anästhesie und
Chirurgie ist vereinbart, dass beide Fachgebiete für die
Überwachung und Behandlung postoperativer Komplikationen zuständig sind, jeweils für ihr spezifisches Fachgebiet. Wenn nötig, ist der jeweils fachlich zuständige Arzt
hinzuzuziehen.
4.2 Postoperative Schmerztherapie
Eine suffiziente postoperative Schmerztherapie ist essentiell
für eine ruhige, für das Kind angenehme Aufwachphase, die
Zufriedenheit von Kind und Familie und zur Vermeidung
stationärer Aufnahmen [35]. Wesentliche Voraussetzung
der Schmerztherapie ist die Erfassung und Einschätzung von
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Schmerzen im Aufwachraum, z.B. durch die Pflegekräfte durch
standardisierte Schmerzerfassungsskalen. Für das Kindesalter
besonders geeigent sind Kindliche Unbehagen- und Schmerzskala (KUSS, [45]) und Gesichterskala nach Hicks (siehe
Abbildung 3, [46]). Als „Zielwert“ gilt ein Wert < 4. Mittels
multimodaler Schmerztherapie ist dieses Ziel bei kleineren
Eingriffen stets zu erreichen.
Abbildung 3
Scoring-Systeme zur Schmerzerfasung: a) KUSS, b) Faces-Pain-Scale.
a) Nach Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2011;
46(5): 334-342.
Kindliche Unbehagens- und Schmerzskala (KUSS)
Beobachtung
Bewertung
Neben Lokal-/Regionalanästhesie sind Nicht-Opioid-Analgetika ein wesentlicher Pfeiler der postoperativen Schmerztherapie. Supplementierend und überlappend sollten sie bereits
intraoperativ verabreicht werden. Opioide ergänzen die Therapie, falls notwendig:
• Nicht-Opioid-Analgetika, z.B.
• Metamizol 20 mg/kg KG als Kurzinfusion (cave: multiple Allergien)
• Ibuprofen 10 mg/kg kG p.o. (cave: Dehydratation,
Nierenfunktion)
• Paracetamol 15 mg/kg KG als Kurzinfusion oder p.o.
(cave: schwache Analgesie, Lebertoxizität)
• Opioide, z.B. Piritramid 0,05 - 0,1 mg/kg KG, falls notwendig
Weinen
gar nicht
0
Stöhnen, Jammern, Wimmern
1
Schreien
2
entspannt, lächelt
0
Mund verzerrt
1
Mund und Augen grimassieren
2
neutral
0
unstet
1
Aufbäumen, Krümmen
2
neutral
0
strampelnd, tretend
1
an den Körper gezogen
2
Es ist heute aus zahlreichen Studien bekannt, dass nach ambulanter Chirurgie anhaltende stärkere Schmerzen bestehen
können [47,48]; mit der Entlassung nach Hause darf die
Schmerztherapie also keinesfalls enden, sondern es sollen
klare Vorgaben zur Fortsetzung der Analgetikagabe für die
Folgetage mit den Eltern besprochen sein, idealerweise auch
schriftlich dokumentiert.
motorische Unruhe
nicht vorhanden
0
mäßig
1
ruhelos
2
4.3 PONV-Therapie
PONV steht gemeinsam mit Schmerzen auf der Hitlliste der
unbedingt zu vermeidenden Begleiterscheinungen einer Operation/Anästhesie [49]. Neben der Prophylaxe ist also auch
im Falle des Auftretens von Übelkeit und/oder Erbrechen eine
unmittelbare, engagierte Therapie angezeigt [41]. Dafür sind
prinzipiell ale Substanzen geeigent, die auch der Prophylaxe
dienen. Es empfiehlt sich, bei bereits erfolgter intraoperativer
Prophylaxe mit einem antiemetischen Wirkstoff postoperativ
auf einen anderen Wirkstoff zu wechseln, z.B. intraop. Dexamethason und Ondansetron, postop. Dimenhydrinat.
Gesichtsausdruck
Rumpfhaltung
Beinhaltung
Punkte
Summe
Instruktion: Beobachten Sie das Kind über insgesamt 15 s. Bewerten Sie nur das,
was Sie innerhalb dieses Zeitraums beobachtet haben.
b) Nach Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2011;
46(5): 334-342.
Faces-Pain-Scale
Instruktion: Diese Gesichter zeigen, wie weh etwas tun kann (wie sehr etwas schmerzen kann). Dieses Gesicht hier (auf das Gesicht ganz links zeigen) zeigt, dass es gar
nicht weh tut (schmerzt). Die anderen Gesichter zeigen, dass es mehr und mehr weh tut
(schmerzt) (auf die Gesichter der Reihe nach zeigen) bis hin zu diesem Gesicht, das
zeigt, dass es ganz stark weh tut (schmerzt). Zeig mir mal das Gesicht, dass am besten
zeigt, wie sehr es Dir (gerade) weh tut (wie stark deine Schmerzen [gerade] sind).
Bildnachweis: Hicks CL, von Baeyer CL, Spafford P, van Korlaar I, Goodenough B. The Faces Pain Scale –
Revised: toward a common metric in pediatric pain measurement. Pain 93 (2001) 173-183.
4.4 Postoperatives Delir
Gerade im Kleinkind- und Vorschulalter kann es zu unruhigen
Aufwachphasen kommen, während derer das Kind extrem
agigtiert, teilweise aggressiv und nicht zugänglich ist. Dieses
als „Emergence Delirium“ bekannte Phänomen ist multifaltorieller Genese, neben dem Alter des Kindes werden z.B.
Volatila und Eingriffe im HNO-Bereich als Risikofaktoren
gewertet [50]. Zur Prophylaxe dient allem voran eine suffiziente Schmerztherapie, aber auch der Einsatz von Ketamin und
Clonidin (cave: lange Wirkdauer!) [29]. Unbestritten ist, dass
das Delir einer unmittelbaren Therapie bedarf, und gleichzeitig
einer Aufklärung der Eltern, die diesen Zustand des Kindes als
extrem belastend erleben.
Ambulante Anästhesie bei Kindern · K. Becke
Postoperatives Delir im Kindesalter ist ein multifaktorielles
Geschehen, TIVA und optimale Schmerztherapie wirken
präventiv.
5. Entlassung
5.1 Kriterien für die Entlassung
Die Entlassung nach einer ambulanten Anästhesie/Operation
kann anhand eines standardisierten Kriterienkatalogs eingeleitet werden [51]:
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• Waches/orientiertes, motorisch unauffälliges Kind (Aus­
gangs­befund)
• SpO2 unter Raumluft >1h >95%, kein Stridor
• Stabile Vitalparameter, im Vollbesitz der Schutzreflexe
• Adäquate Schmerzkontrolle, NRS < 4
• Keine PONV-Zeichen (mehr), trinken möglich
• Verband trocken, keine Blutungshinweise.
Perioperative Komplikationen, die zu einer stationären Behandlung führen bzw. die Entlassung am OP-Tag verbieten,
sind Nachblutung, schwerere respiratorische Komplikationen, anhaltende Übelkeit und Erbrechen sowie persistierende Schmerzen.
4.
5.
6.
7.
8.
5.2 Nachsorge
Eltern spielen in der postoperativen Nachsorge eine tragende
Rolle, sie müssen in der Lage sein, Störungen und Beeinträchtigungen rechtzeitig wahrzunehmen und adäquate Schritte
einzuleiten. In jedem Fall müssen die Eltern auch bei banalen
Störungen rund um die Uhr einen kompetenten Ansprechpartner erreichen können.
Nach einer ambulanten Behandlung sollten folglich folgende
Dinge festgelegt, dokumentiert und den Eltern verständlich
erklärt worden sein:
• Durchgeführte Operation und Anästhesie
• Nachsorgeplanung (Verbandkontrolle, Vorstellungstermin,
Schul- u./o. Sportbefreiung, Nahtentfernung o.ä.)
• Schmerztherapie (Dosierung, Intervall, Maximaldosis)
• Verhaltensregeln für das postoperative Intervall (Nahrungsaufnahme, Ruhezeiten, Verkehrsfähigkeit, Überwachung)
• Verhalten bei Problemen oder Komplikationen(wann, warum und wen kontaktieren, Kontaktmöglichkeiten: nächste
Kinderklinik bzw. diensthabender niedergelassener Kinderarzt, Operatuer/Anästhesist nach Dienstschluss).
• Telefonnummern!
Eine telefonische post-anästhesiologische Visite empfiehlt
sich, um Probleme und Komplikationen in der postoperativen
Phase abzufragen und ggf. behandeln zu können. Der unkomplizierte, direkte Kontakt zum Behandlungsteam steigert nicht
nur die Zufriedenheit der Eltern, sondern ist ein wesentlicher
Bestandteil eines funktionierenden Systems zur Verbesserung
der Patientensicherheit.
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