Jette und das geheimnisvolle Einhorn - Thienemann
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Jette und das geheimnisvolle Einhorn - Thienemann
ANTJE BONES Jette und das geheimnisvolle Einhorn PLANET GIRL Wenn du willst, dass deine Träume wahr werden, wach auf! Jettes Blick schweifte durch das Fenster, über den Hof und durch die dunkelgrünen Blätter der Bäume, in denen das Licht der hellen Mittagssonne spielte. Sie flog mit ihren Gedanken davon in den blauen Himmel, bis sie auf einer kleinen Schäfchenwolke landete. Langsam und ruhig ließ sich Jette vom Wind treiben und als sie von ihrem gemütlichen Wölkchen herunterschaute, sah sie Gut Nordwind in seiner ganzen Schönheit vor sich liegen! An dem einen Ende beim Wasserfall entdeckte sie die Eulenhöhle, wo Eleonora und inzwischen auch das kleine Grumbatz-Mädchen Flecki ihr Zuhause hatten, und dort, am anderen 5 Ende, erstreckte sich der Elfenwald, in dem Jette im letzten Sommer zusammen mit Rihanna, der Elfenkönigin, ihren Geburtstag gefeiert hatte. Und hier im Heidegrün hatten sie, Liv und Tante Sophie den Eindringling gestellt, der beinahe dem Geheimnis vom magischen Garten auf die Spur gekommen wäre. Jettes Herz hüpfte vor Freude, als sie an all die Abenteuer und schönen Stunden dachte, die sie an diesem traumhaften Ort hatte erleben dürfen. Glücklich beobachtete sie den klaren blauen Fluss, der sich durch den gesamten Garten schlängelte und in dem großen See mündete, der so herrlich in der Sonne glitzerte. Wie friedlich er dalag. »Wenn du willst, dass deine Träume wahr wer- 6 den, wach auf!«, hörte Jette von sehr weit weg eine Stimme. War das etwa … Thi? Das klang doch wie eine ihrer typischen Weisheiten! Auch wenn Jette das kleine Drachenmädchen von hier oben nicht erblicken konnte, so erkannte sie klar und deutlich ihr schrilles Plappern. »Wach auf!«, hallte es wieder durch die Luft. »Jette, wach auf!« Die Stimme wurde immer lauter. Und immer unsanfter. Vorbei war es mit dem Frieden! Und plötzlich lag Jette nicht mehr bequem auf einer kuschelig weichen Wolke, sondern sie saß auf einem viel zu harten Stuhl an einem viel zu kleinen Tisch. Oh nein! Schlimmer konnte ein Traum nicht enden! Sie war ... in der Schule! Neben ihr saß ihre beste Freundin Liv, die ihr gerade ziemlich ruppig in die Rippen stieß. Mahnend und mit großen Augen sah Liv Jette an – die 7 wiederum sehr kleine und verschlafene Augen hatte. »Was? Was ist denn los?«, murmelte Jette und gähnte. »Was los ist? Du hast geschlafen, Jette. Du hast tief und fest geschlafen«, flüsterte Liv, denn Frau Plumpe stand nun direkt hinter den beiden Mädchen. Sie blies sich energisch ihre kupferroten Ponyfransen aus der Stirn. Das tat sie immer dann, wenn sie sich aufregte, also eigentlich ständig. Auf ihrer Nase trug sie eine genauso kupferrote Brille, hinter der kleine Augen blinzelten, mit denen sie ununterbrochen nach Fehlern und Regelverstößen Ausschau hielt. Oder nach schlafenden Schülerinnen. All das machte Frau Plumpe nicht gerade zu Jettes und Livs Lieblingslehrerin. »Was haben die beiden Damen denn so Wichtiges zu besprechen?«, zischte sie. (Dies war übri- 8 gens genau so ein Satz, weswegen sie nicht zur Lieblingslehrerin taugte.) »Nun, wenn ihr uns nicht an euren Gedanken teilhaben lassen wollt, dann leistet doch bitte einen konstruktiven Beitrag zum Unterricht und nennt mir den Namen des längsten Flusses in Deutschland«, stichelte Frau Plumpe weiter, während sie im Schneckentempo um den Tisch der beiden Mädchen herumschlich und sich dabei in die Haare pustete. »Der schönste Fluss ist auf jeden Fall der im magischen Garten«, murmelte Jette. »Wie bitte?«, fragte die Plumpe spitz. Blitzschnell legte Liv ihre Hand auf Jettes Mund. Und genauso blitzschnell antwortete sie: »Donau! Gefolgt von Rhein, Elbe, Oder, Weser ...« »Schon gut. Schon gut!«, schnatterte die Plumpe und schaute beinahe enttäuscht drein. Sicher hatte sie gehofft, den beiden Mädchen eine saftige Strafarbeit aufbrummen zu können. Aber auf Liv 9 war einfach Verlass! Jette hingegen war noch ganz schön träge und ihre Gehirnzellen noch überhaupt nicht wieder funktionsfähig. Was nicht zuletzt am Unterricht lag. Denn die Plumpe gehörte nicht nur nicht zu Jettes Lieblingslehrerinnen – Erdkunde gehörte auch überhaupt kein bisschen zu ihren Lieblingsfächern. Elfenkunde im verborgenen Zimmer bei Tante Sophie! Ja, das war etwas ganz anderes! Das war spannend! Da konnte sie stundenlang zuhören und sich an den fabelhaften Wesen und ihren wunderbaren Geschichten erfreuen. Als beim Läuten der Schulglocke ihre Klassenkameraden hinausstürzten, schnappte sich Liv ihre Freundin. »Mensch, Jette! Das war echt knapp!«, sagte sie ernst. »Du kannst doch hier nicht vor allen anderen vom magischen Garten reden!« Jettes Blick sank schuldbewusst zu Boden. »Tante Sophie hat uns als ihre Nachfolgerinnen ausgebildet. Sie vertraut uns ihr ganzes Reich an und wir sind dazu bestimmt, ihre Tiere zu schützen.« »Das weiß ich doch! Ich war eben einfach noch 11 im Halbschlaf. Und ich habe von Gut Nordwind geträumt und wie schön es dort ist ... Bestimmt weil mir jeder Einzelne so am Herzen liegt und weil ich sie alle so sehr vermisse«, seufzte Jette. Ihr war nur zu bewusst, welche fürchterlichen Folgen es haben würde, wenn jemand auch nur ahnen könnte, was sich bei ihrer Tante im Garten zutrug. Liv nahm die verzweifelte Jette tröstend in den Arm. »Nicht mehr lange, Jette«, sagte sie und strich mit einem roten Filzstift – ganz wie es ihr Ritual erforderte – einen weiteren Tag im Kalender ab. »Nicht mehr lange, dann werden wir Tante Sophie und all die Tiere wiedersehen, die ...« »Tiere? Habe ich Tiere gehört?« Vor ihnen tauchte Mia auf. Das zarte Mädchen mit den geflochtenen Zöpfen war erst vor ein paar Wochen in ihre Klasse gekommen und Jette und Liv hatten sich gleich 12 mit ihr angefreundet. Was vielleicht auch ein ganz kleines bisschen daran lag, dass ihre Eltern den alten Bauernhof in der Nähe der Schule übernommen hatten. »Tiere? Äh, ja ... Lenny, natürlich. Du kennst doch Lenny, meinen Hund«, erklärte Jette. »Na klar kenn ich den«, sagte Mia und strahlte übers ganze sommersprossige Gesicht. »Habt ihr Lust, heute mit ihm vorbeizukommen? Wir erwarten nämlich jeden Moment das Kälbchen von Liselotte«, verkündete Mia. »Klar haben wir Lust!«, platzte es begeistert aus Jette heraus. Tierbabys waren einfach das Allerschönste! Das wusste Jette spätestens, seitdem sie Flecki, das kleine Grumbatz-Mädchen, aufgezogen hatte. »Prima! Dann bis später!« Mia verabschiedete sich und Liv atmete erleichtert durch. »Puh, das ist ja noch mal gut gegangen«, stellte 13 sie zufrieden fest und hakte Jette unter, um endlich mit ihr nach Hause zu gehen. Jette grinste. »Sonst hätte Tante Sophie eine extragroße Flasche vom Nichtsistjegewesen-Trunk schicken müssen ...« 15