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Aufgespießt
Was läuft
Die „Anna-Lysa“ des Rückwärtsläufers
H
Von Manfred Steffny
eute Hosiannah, morgen kreuziget ihn!
Oder sie. So kann es kommen. Wenige
Wochen nach dem Marathonsieg von
Anna Hahner in Wien kommt für die Fachwelt
die Ernüchterung. Die Hessin aus der Nähe von
Fulda – wir schreiben das immer noch statt ihres seltsamen „rantuskei“-Klubs im Badischen
– erklärte ihren Verzicht für die Europameisterschaften in Zürich aus „organisatorischen und
ökonomischen Gründen“. Siehe Meldung „Mixtour“. In ziemlich deutlichen Worten hatte DLVSportdirektor Kurschilgen den Verzicht kritisiert.
Es ist hier allein die Rede von Anna Hahner,
schließlich handelt es sich nicht um siamesische
Zwillinge. Lisa Hahner ist verletzt, ihr Marathonversuch in Hannover misslang. Anna aber
ist putzmunter. Aber sie will nicht. Was sind die
organisatorischen und ökonomischen Gründe,
wenn man gerade mal in Wien 15.000 € Preisgeld gewonnen hat? Damit lässt sich viel organisieren und ökonomisieren.
Nehmen wir eine emotionale Variante für den Verzicht: die
Zwillinge Anna und Lisa wollten so gerne im Doppelpack antreten und sind so enttäuscht, dass es mit Lisa nicht klappt,
dass auch Anna geknickt nicht laufen will.
Für den DLV existiert mit Recht nur die sportlich qualifizierte
und fitte Anna. Für die hat man innerhalb der Förderungsmaßnahmen ein Trainingslager in Chiclana und ein Höhentraining
in Kenia bezahlt, das pro Person ca. 3.500 € gekostet hat. Das
war als Vorbereitung für die EM und für ein erfolgreiches Marathonteam gedacht. Einen entsprechenden Athletenvertrag
als sportliches Ziel haben die Hahners unterschrieben.
Nun wird dieser Vertrag gebrochen, weil Anna und Lisa Hahner bzw. der „rantuskei“-Chef, Thomas Dold, ein Diplom-Wirtschaftswissenschafler mit der Diplomarbeit „Sportsponsoring
für den Mittelstand“ analysisiert haben, dass sich ein Doppelstart der Zwillinge im Herbst bei einem großen City-Marathonlauf besser verkaufen lässt als ein vierter oder fünfter Platz
bei einer EM im Marathon-Team des DLV. Ganz klar war seine
„Anna-Lysa“.
Doch nicht für alle. Christoph Kopp, Athletenmanager einiger
großer Marathonläufe mit weiß Gott gutem Überblick in der
Szene, stellt fest: „Man muss unterscheiden zwischen maximalen und optimalen Verträgen.“ Das heißt, man kann einmal
soviel rausholen, dass einen das nächste Mal keiner mehr haben will oder nur unter Preis.
Die Gefahr der übertriebenen Maximierung scheint bei Manager Thomas Dold, liiert mit Anna Hahner, gegeben zu sein.
Nicht umsonst nennt man den 29-Jährigen in der Szene „Thomas Dollar“. Gegründet hat er die Firma „run2sky.com“ im badischen Steinach, wohin dann die Hahner-Zwillinge gezogen
sind und gleichzeitig hat das Trio mit vier weiteren Leuten den
gleichnamigen Verein „run2sky“ gegründet, den der Badische
Leichtathletik-Verband seit dem 1.1.2011 so ohne weitere Ortsbezeichnung merkwürdigerweise aufgenommen hat. Sieben
Mitglieder sind ein Verein und man kennt nur drei: „dold2hahner“. Was unter der parallel laufenden Firma „com“ läuft,
ist reichlich kommerziell, wird im Internet mit verheißendem,
doch eher nichtssagenden BWLer-Deutsch angepriesen. Am
aussagekräftigsten ist die Sponsorenleiste, um die „run2sky.
com“ von manchem City-Marathonveranstalter beneidet wird:
Ausrüster: adidas, Premium Partner: Bauernfeind, Parl Inn,
Move control, Partner: Kernenergy, Powerbar, Kettler, Intersport Kirch u.a.
Anna Hahner in ihrer Absage der EM-Teilnahme vom 9. Mai:
„Ich bin topfit, mega motiviert und würde unglaublich gerne für Deutschland in Zürich an den Start gehen. Das werde
ich aber nicht. Und zwar aus rationalen Gründen. Bis Herbst
letzten Jahres war ich in der Sportfördergruppe der Bundes-
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wehr. Bei der WM in Moskau wollte ich für
Deutschland an den Start gehen. Doch dann
kam ein Ermüdungsbruch dazwischen, den
ich mir bei der Grundausbildung der Bundeswehr zugezogen hatte. Also keine WM.
Das ist Sport, also Blick nach vorne, Blick
nach Zürich richten. Eine EM und dann fast
ein Heimspiel. Doch völlig überraschend
wurde meine Zugehörigkeit zur Sportfördergruppe der Bundeswehr im August 2013
nach nur einem Jahr von Seiten des DLV
nicht verlängert. Plötzlich stand ich da, völlig unvorbereitet und ohne Förderung… Ein
Start bei der EM bringt einen unschätzbaren
emotionalen Mehrwert. Doch davon bezahlt
sich weder die Miete noch die Krankenversicherung.“
Das liest sich gut, wenn man die Hintergründe nicht kennt. Bei der Sportfördergruppe
der Bundeswehr ist man nach drei Monaten
Grundausbildung bei weiterlaufendem Gehalt Sportprofi. Ein solcher Vertrag wird aus gutem Grund nur
jeweils für ein Jahr vertraglich geregelt, wobei Fachverband
(hier DLV), Deutscher Olympischer Sportbund und die Bundeswehr beraten und bestimmen. Ca. 550 Plätze stehen bundesweit für den deutschen Sport zur Verfügung, der DLV kann
dabei für seine 40 Sportdisziplinen nur ein Zehntel besetzen.
Dem DLV oder gar dem Bundestrainer Wolfgang Heinig, den
die Hahners gegen den italienischen Trainer Renato Canova
ausgetauscht haben, die Schuld am Vertragsende zu geben,
ist deswegen unrichtig. Sollte hier eine Retourkutsche geplant
sein, so ist der DLV der falsche Partner. Neben dem nach der
WM 2013 fehlenden internationalen Leistungsstandard gab
es für das Gremium zu viele Unklarheiten über Trainingsgestaltung und Wohnort. Schließlich steht eine Bundeswehrfördergruppe für den Sport für Deutschland. Eine Anna Hahner
stand da (leider) ohnehin nur am Ende der Liste.
Und – das betont intern ein DLV-Verantwortlicher, der durchaus Verständnis für eigene Wege der Spitzenathleten hat –
ein weitgehender Amateur-Fachverband kann nicht für den
Lebensunterhalt eines Athleten verantwortlich sein, sondern
nur für die Leistungsförderung. Dass es für den Lebensunterhalt mehr als reicht statt für ein gezieltes Aufbauprogramm,
hat schon den Trainer Wolfgang Heinig verärgert, der die so
erfolgeich begonnene Zusammenarbeit mit den Hahner-Zwillingen nicht weitergeführt hat. Denn eines sollte „run2sky“
wissen. Der jetzige Hype mit dem Zwillingseffekt hält nicht
ewig. Schnell ist man durchgereicht, wenn die Leistung nicht
stimmt. Mit 2:28:59 h steht Anna Hahner im Moment an 60.
Stelle der Weltrangliste. Eine solide Leistung bei der EM in
Zürich hielte sie mehr im Blickpunkt als ein Lauf bei einem
Herbstmarathon, selbst wenn der noch mal einen fünfstelligen Betrag mit Antrittsgeld und Preisgeldern für die Zwillinge
abwerfen könnte. Außerdem weiß ein Christoph Kopp: „Melanie Kraus ist 2007 acht Wochen nach der Weltmeisterschaft
in Frankfurt 2:28 h gelaufen. Frauen können kürzere Pausen
zwischen Marathonläufen verkraften.“
Aber moralische Pflichten und die Ehre, für Deutschland zu
starten, scheinen ja nicht mehr zu zählen. Irina Mikitenko hat
es vorgemacht, wie man den Verband an der Nase herumführen kann. Wer weiß, ob die Hahners trotz ihrer 24 Jahre noch
für Olympia in Rio 2016 in Frage kommen. Von 2:24 h – und
das ist dann die Latte zur Weltelite sind sie weit entfernt, viel
zu langsam auf der Unterdistanz 10.000 m, wo blanke 31 min
gefragt wären.
Manager Thomas Dold ist weltweit der beste Hochhausläufer
und hält einige Weltrekorde im Rückwärtslauf. In Sachen Hahner scheint er fälschlich den Rückwärtsgang eingeschaltet zu
haben. Schade!
Laufmagazin SPIRIDON 6/14