über den Volkswagen Passat Serie 1
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über den Volkswagen Passat Serie 1
ZeitHaus Automobile Klassiker Volkswagen Passat Serie 1 – der Beginn von etwas völlig Neuem 1973-1980 Automobile Meilensteine sind das Thema des ZeitHauses in der Autostadt – dies ungeachtet ihrer Herkunft. ZeitHaus-Philosophie ist es, Trendsetter zu präsentieren: Automobile, die Maßstäbe setzten und anderen Herstellern als Vorbild dienten, sei es technologisch, konzeptionell, im Design oder in der Produktionsweise, so, wie viele Modelle von Volkswagen – zum Beispiel der erste Passat. Diese Mittelklasselimousine mit Ingolstädter Genen bedeutete für das Wolfsburger Unternehmen 1973 einen tief greifenden Neuanfang – und den Beginn der zweiten Erfolgsgeschichte von Volkswagen, geprägt von Wasser- statt Luftkühlung und von Frontantrieb statt Heckmotor. „Passat – ein Name mit Sinn“ – so überschrieb die Wolfsburger VW-Presseabteilung anno 1973 ihre erste Mitteilung an die deutsche Motorjournalistenschar. Und weiter: „Als EA 400 ist unser neues Modell entstanden (EA = Entwicklungsauftrag), Typ 511 wollten wir es nennen, aber der Gedanke an Namen statt Nummern sprang ins Gespräch, und keine Zahl gefiel uns mehr.“ Tatsächlich sollte der Neue der erste Volkswagen werden, der statt einer Typen-Kennziffer oder NutzungsBezeichnung einen Namen trug – so, wie das im Volksmund zuvor schon beim Volkswagen 1200 („Käfer“), beim Transporter („Bulli“) oder beim 411 („Nasenbär“) gebräuchlich war. Mit ihrer Hintergrundinformation – „Typ 511“ – verrieten die Wolfsburger, welche Funktion der Neue hatte, wo sie ihn zu positionieren gedachten: nämlich als Nachfolger der Heckmotor-Mittelklasselimousine 411 (bzw. 412). Tatsächlich endete deren Produktion im Mai 1974 – ein knappes Jahr, nachdem Ende Juli 1973 im VW-Werk Emden das PassatFließband angelaufen war. Passat – ein Name mit Hintersinn: Es sei „der sichere Segelwind auf dem Kurs um die Welt“, Beständigkeit sei seine Tugend. „Kein Zweifel“, so das Fazit der Journalisten vor fast 40 Jahren, „es ist ein guter Name, nicht aus der Luft gegriffen.“ Gut – und haltbar überdies: Der Name „Passat“ hat bis heute Bestand, da die erfolgreiche Mittelklasse von Volkswagen bereits in ihrer fünften Generation nutzwertorientierte Autokäufer erfreut. Damit hat er sogar eine um ein Jahr längere Tradition als jenes legendäre Automobil, das jedermann zuerst in den Sinn kommt, wenn es um Volkswagen geht: der Golf. Wie der Golf (und Scirocco), so bedeutete zuvor schon der Passat eine radikale Kehrtwende in der Wolfsburger Konstruktions-Philosophie, angestoßen bereits 1970 mit der Einführung des heute fast vergessenen K 70. Diesen ersten FrontantriebsViertürer mit dem VW-Logo hatte Volkswagen aus Beständen der NSU Motorenwerke übernommen, die 1969 mit der VW-Tochter Auto Union GmbH zur Audi NSU Auto Union AG fusionierten. Auch der erste Passat war kein Wolfsburger Eigengewächs: Er basierte auf dem im Juli 1972 vorgestellten Audi 80, übernahm dessen komplette Technikkonzeption, Motorenpalette (mit Ausnahme des 100 PS starken 80-GT-Motors) und in der Grundform auch die 80-Karosserie. Im niedersächsischen Wolfsburg stand man damals freimütig zur Entscheidung für die bayerische Lösung – zitiert sei abermals die erste PassatPressemitteilung: „Der Passat ist Resultat einer Idealkonkurrenz. Sehr unterschiedliche Konzepte sind im Konzernverbund entstanden und diskutiert worden. Die Entscheidung fiel in dieser Klasse für den Vorschlag aus der Entwicklungsabteilung im Werk Ingolstadt …“ Wesentliches äußeres Unterscheidungsmerkmal zum Ingolstädter Konzern-Zwilling mit Stufenheck ist allerdings das von Giorgio Giugiaro (Firma „Ital Design“, seit kurzem zugehörig zum Volkswagen Konzern) neu gestaltete Passat-Fließheck, zunächst mit konventionellem Kofferraumdeckel, ab 1975 alternativ auch mit großer, bis ins Dach reichender Kombi-Heckklappe. Und Passat-exklusiv war der Variant, die fünftürige Kombiversion. Audi bot den 80 erst ab 1992 gleichfalls in der besonders raumökonomischen Karosserievariante mit großer Heckklappe an, bei den Ingolstädtern „Avant“ genannt. Diese Tradition setzte ab 1994 der 80-Nachfolger A4 fort. Auch bei Volkswagen ging der Variant mit etwas zeitlichem Verzug an den Start: Er begann im Januar 1974 seinen Siegeszug, um bereits ab 1980 mit wenigen Ausnahmen die jährlichen Passat-Zulassungs- und damit Produktions- statistiken anzuführen. Schon im Baujahr 1974 des im ZeitHaus der Autostadt präsentierten Variant standen den rund 141.000 PassatZweitürern und knapp 82.000 Viertürern knapp 90.000 Variant gegenüber. Von den bis Oktober 1980 abgesetzten knapp 1,6 Millionen Passat erster Serie waren ein knappes Drittel Variant. Variant-Kunden, das bestätigte das damals führende Fachblatt „auto motor und sport“ im großen Kombi-Vergleich (Ausgabe 24/1974), sind glücklich zu schätzen: „Die großzügigen Platzverhältnisse […] erwiesen sich im täglichen Umgang als echter Vorzug, auf den man nur ungern wieder verzichten möchte.“ Und weiter heißt es da: „[…] haben die VW-Konstrukteure auf ein besonders günstiges Verhältnis von Außenabmessungen zum Innenraum geachtet.“ Tatsächlich schluckte der 4,22 Meter lange und 1,6 Meter breite Variant nur geringfügig weniger Ladegut in seinem praktischen Gepäckabteil, als ein zum Vergleich herangezogener Chevrolet Chevelle Estate, der 5,34 Meter in der Außenlänge misst und 1,94 Meter in der Breite: Bei vorgeklappter Rücksitzbank waren es im Volkswagen nach „auto motor und sport“-Norm 672 Liter, im über einen Meter längeren Detroit-Dickschiff gerade mal 36 Liter mehr. Doch nicht nur mit seiner Ladekapazität bezwang der neue Volkswagen Anfang und Mitte der 70er Jahre mögliche und unmögliche Konkurrenten in einer Art und Weise, wie dies Wolfsburger Produkte bei aktuellen Vergleichstests noch heute tun. So stellte „auto motor und sport“ im April 1974 eine Passat-Limousine etablierten Klassenkonkurrenten von Fiat, Opel, Peugeot und Renault gegenüber und bewertete dabei fünf Kriterien, nämlich Karosserie, Motor, Handlichkeit, Fahrkomfort und Fahrsicherheit. Drei Kapitel – Fahrsicherheit, Handlichkeit und Karosserie – entschied der VW für sich und holte sich in der Summe gleich im Premieren-Vergleich den ersten von vielen folgenden Gesamtsiegen. Die Begründung liest sich wie das Fazit eines Volkswagen-Tests anno 2010: „Sieger wurde der VW Passat, der […] bewies, daß er von allen Vergleichstestwagen die ausgewogensten Eigenschaften besitzt.“ Diese Ausgewogenheit spürt man beim Fahren des Serie-1Passat noch heute: Dieser Volkswagen ist geradezu ein Harmonie-Weltmeister, an dem YoungtimerLiebhaber auf der Suche nach coolen Ecken und Kanten allenfalls stört, dass einen nichts stört. Die Übersichtlichkeit ist bestechend, die Instrumente sind schnörkellos modern gezeichnet und eindeutig ablesbar. Der Sitzkomfort auf den VW-exklusiven Sesseln mit Dreipunktverankerung ist durchaus noch heute, knapp 40 Jahre nach dem Debüt des Passat, akzeptabel. Und die notwendigen Lenkkräfte am großen Ruder sind trotz des Fehlens einer Servounterstützung bemerkenswert gering, dies trotz der beim ZeitHaus-Passat aufgezogenen, relativ breiten Reifengröße 175/70 SR 13 (Seriengröße: 155/80 SR 13), wie sie eigentlich Privileg des TS-Modells war. Fünf längs eingebaute Otto-Motoren und (ab 1978) ein Diesel-Motor standen im ersten Passat alternativ zur Wahl: mit 50 PS (1,5-Liter-Diesel), 55 PS (1,3-Liter-Otto), 75 PS und 85 PS (jeweils 1,5-Liter-Otto). Im ZeitHaus-Variant tut die Grundmotorisierung Dienst, mit 55 PS zwar kein Rennwagen, doch dank geringem Fahrzeuggewicht von deutlich weniger als einer Tonne dennoch erstaunlich munter – ein Eindruck, zu dem auch die ausgeprägte Drehfreude des für die 70er Jahre hochmodernen, kurzhubigen Vierzylinders mit der oben liegenden Nockenwelle beiträgt. Immerhin bot der Basis-Passat Serie 1 vor knapp 40 Jahren bereits das Beschleunigungs-Temperament eines aktuellen Basis-Polo mit 60 PS (0-100 km/h in 16 Sekunden), die Höchstgeschwindigkeit fiel mit 150 km/h nur wenig geringer aus. Im zeitgenössischen Vergleich waren das Werte, die nicht nur treue VW-Kunden aufhorchen ließen. Schließlich musste der Passat-Vorgänger 411/412 mindestens 75 PS aufwenden, um annähernd die Fahrleistungen eines 55-PS-Passat zu bieten. Und wenn unter der Passat-Motorhaube die optionalen 75 PS schlummern, dann rennt der Ur-Passat rund 165 km/h schnell (0-100 km/h in 13 Sekunden), ganz zu schweigen vom Passat TS mit 85 PS: Knapp 170 km/h und 12 Sekunden lauten hier die entsprechenden Fahrleistungs-Werte. Dass Audi bzw. die Auto Union viel und langjährige Erfahrung mit dem Frontantrieb hatte, spürt man beim Duo Audi 80/VW Passat daran, dass man den Frontantrieb nicht spürt – fast nicht spürt. Denn nur, wer in sehr engen Ecken plötzlich und heftig Gas gibt, der fühlt ein leichtes Rucken in der sehr exakt arbeitenden Zahnstangenlen- kung. Auch sogenannte Lastwechselreaktionen, also ein Ausschwenken des Hecks, wenn in Kurven vom Gaspedal gegangen wird, sind dem Passat fremd: Er hält erfreulich spurtreu den ihm vorgegebenen Radius und erweist sich als mustergültig fahrsicher – dies übrigens nicht nur durch die zeitgenössische Brille betrachtet, sondern durchaus auch unter aktueller Sichtweise. Das gilt auch und ganz besonders bei Bremsmanövern. Zwar lagen Anfang der 70er Jahre die ABS- und ESP-Zeitalter noch in ferner Zukunft, doch Furore machten Audi 80 und VW Passat dennoch mit einem Fahrsicherheits-Merkmal, das einst ähnlich sensationell erschien, wie 20 Jahre später Elektronik-Helferlein zur Vermeidung unbeabsichtigter Ausflüge in die Botanik. Gemeint ist der sogenannte negative Lenkrollradius, der ein Verreißen der Lenkung beim Bremsen auf links und rechts verschiedener Fahrbahnbeschaffenheit verhindert und für eine zusätzliche Richtungsstabilität sorgt – deshalb laufen sowohl Audi 80 als auch VW Passat selbst bei Höchstgeschwindigkeit unbeirrt geradeaus. Nebenbei erlaubte der negative Lenkrollradius den Einbau eines diagonalen Zweikreis-Bremssystems, bei dem die Bremskreise jeweils diagonal von Vorder- zu Hinterrädern verbunden sind. Im Gegensatz zum her- kömmlichen Zweikreissystem – ein Kreis für die Vorderräder, einer für die Hinterräder – bleibt beim Diagonalsystem auch bei Ausfall eines Kreises in jedem Fall eine Vorderradbremse zur Verarbeitung der Hauptbremsleistung funktionstüchtig, ohne dass die einseitige Bremswirkung das Fahrzeug in einen Dreher oder ins Abseits manövriert. „Passat. Mit diesem Auto beginnt etwas Neues.“ So lautete 1973 einer der Werbe-Slogans für die neue Mittelklasse von Volkswagen. Aus guten Gründen hatte dieses Neue Zukunft. „auto motor und sport“ ergänzte den Slogan im Test der 55-PS- und 85-PS-Varianten des Passat (Ausgabe 19/1973) übrigens geradezu euphorisch: „[…] so gute Volkswagen“, lautete das Fazit, „hat es lange nicht gegeben.“ Hersteller / Baujahr: Volkswagenwerk AG / 1974 Meilenstein Volkswagen Passat Serie 1 Limousine und Variant Warum Meilenstein? Mit dem vom Audi 80 abgeleiteten Passat etablierte sich Volkswagen ab 1973 mit einem der damals modernsten Konzepte in der Mittelklasse. Maßstäbe setzten Audi 80/VW Passat insbesondere mit genialem Leichtbau: So geriet der Passat rund 200 Kilogramm leichter als sein Vorgänger, der Typ 412. Wann entstanden? Volkswagen präsentierte die Passat-Limousine (interne Bezeichnung: Typ 32) Ende Mai 1973 und startete deren Produktion in Emden zwei Monate später. Der Variant (Typ 33) folgte im Januar 1974. 1977 geringfügig modifiziert blieb die erste Passat-Serie bis Herbst 1980 in Produktion. Wie erfolgreich? In knapp siebeneinhalb Jahren verkaufte Volkswagen knapp 1,6 Millionen Passat erster Serie – über das Vierfache des Vorgängers 411/412 in einem vergleichbaren Zeitraum (19681974). Welche Wirkung? Der erste Passat ist die Wurzel des Volkswagen-Erfolges in der Mittelklasse. In fünfter Generation definiert der Passat bis heute den Klassen-Maßstab – insbesondere im KombiSegment, das der Passat Variant dominiert. Welche Daten? Reihen-Vierzylinder, 1.281 ccm, 40 kW/55 PS, hinten Torsionskurbelachse mit Längslenkern und Schraubenfedern, vorn Einzelradaufhängung mit Querlenkern und Schraubenfedern, Leergewicht 920 kg, Höchstgeschwindigkeit 150 km/h; damaliger Neupreis: 9.205 DM (Passat L Variant 1974). Weitere Informationen finden Sie unter www.autostadt.de oder erhalten Sie direkt beim ZeitHaus-Team unter [email protected] Fotonachweis: Autostadt, bei einigen der abgebildeten Anzeigen- oder Prospekt-Motiven handelt es sich um zeitgenössische Dokumente