Impingement-Syndrom des oberen Sprunggelenks

Transcription

Impingement-Syndrom des oberen Sprunggelenks
Literaturstudie
91
Impingement-Syndrom des oberen Sprunggelenks
Autor
J. Schomacher
Schlüsselwörter
Zusammenfassung
Abstract
!
!
Sprunggelenkschmerzen können unter anderem
mechanisch durch ein Einklemmen zwischen
Tibia und Talus verursacht werden. Die vorliegende Arbeit erläutert dieses Impingement-Syndrom und stellt dessen Diagnose und chirurgische Therapie dar. Außerdem wird eine in der
Literatur bislang fehlende passende Physiotherapie vorgeschlagen.
Among others ankle pain can mechanically be
caused by an impingement between tibia and
talus. This article explains this impingement
syndrome and portrays its diagnosis and surgical management. In addition, an in literature
to date missing suitable physiotherapy is suggested.
Einleitung
diesen sowie aus den über die Funktion Related
articles entdeckten Arbeiten wurden anhand
der Titel und Abstracts geeignete Artikel für
diese Übersichtsarbeit ausgewählt. Die Literatursuche ergab ausschließlich ärztliche Arbeiten
zur Beschreibung des OSG-Impingements einschließlich Diagnostik und Therapiehinweisen.
Artikel zu einer entsprechenden Physiotherapie
waren nicht zu finden.
Der vorliegende Beitrag beschreibt das Krankheitsbild und zeigt dazu passende Wege für die
Physiotherapie auf.
▶ Einklemmsyndrom
●
▶ Impingement
●
▶ oberes Sprunggelenk
●
▶ Traktion
●
Key words
▶ pinch syndrome
●
▶ impingement
●
▶ upper ankle joint
●
▶ traction
●
!
eingereicht 20.10.2009
akzeptiert 29.12.2009
Bibliografie
DOI http://dx.doi.org/10.1055/
s-0029-1245508
Manuelle Therapie 2010; 14:
91 – 97 © Georg Thieme Verlag
KG Stuttgart ∙ New York ∙
ISSN 1433-2671
Korrespondenzadresse
Jochen Schomacher
Kappeliweg 9
8703 Erlenbach ZH
Schweiz
[email protected]
Das Einklemmsyndrom (Impingement-Syndrom)
stellt neben der chronischen Instabilität eine
häufige Ursache chronischer Schmerzen im oberen Sprunggelenk (OSG) und damit verbundenen Unfähigkeiten (Disability) dar [20]. Es tritt
oft bei Sportlern, aber auch in der nicht sportlichen Allgemeinbevölkerung auf [11].
Häufig gehen dem Impingement Sprunggelenkdistorsionen voraus [4], die zu 85% durch Inversionstraumen mit Verletzungen des lateralen
Bandkomplexes entstehen. Syndesmosenverletzungen kommen zu 10% und mediale Distorsionen zu 5% vor [4]. In 20 – 40% der Fälle bleiben
Schmerzen zurück. Diese führen zu einer Begrenzung oder Änderung der gewohnten Aktivität und sind meist durch chronische Instabilität
und/oder ein Impingement bedingt [4]. Bei 1 –
2% der chronischen Schmerzen nach Sprunggelenkdistorsionen ist eine arthroskopische Behandlung des Einklemmkonflikts erforderlich
[20]. Das Impingement Syndrom kann nicht nur
als Folge einer Sprunggelenkdistorsion, sondern
auch direkt durch das Trauma, bei freien Gelenkkörpern, degenerativen Gelenkerkrankungen und
anderen Pathologien entstehen [10].
Eine Suche in der Datenbank PubMed [25] im
September 2009 mit den Suchbegriffen Ankle
impingement syndrome ergab 90 Treffer. Aus
Definition
!
Beim OSG-Impingement-Syndrom handelt es sich
um einen schmerzhaften Zustand mit einer Reibung von Gelenkgewebe, die zugleich Ursache
und Wirkung einer veränderten Gelenkmechanik ist [3]. Gewöhnlich geht es mit Osteophyten
einher, die im Bereich frühzeitiger Knorpeldegeneration oder durch wiederholte direkte Verletzungen besonders bei Balletttänzern und
Fußballern entstehen [9]. Es erzeugt eine
schmerzhafte Bewegungseinschränkung durch
Wucherung von Knochen- und Weichteilgewebe
oder die Anwesenheit zusätzlicher Verknöcherungskerne [11, 18]. Die Ursache ist ein traumatisches oder wiederholtes Einklemmen knöcher-
Schomacher J. Impingement-Syndrom des oberen… Manuelle Therapie 2010; 14: 91 – 97
Heruntergeladen von: Jochen Schomacher. Urheberrechtlich geschützt.
Impingement Syndrome of the Upper Ankle Joint
Literaturstudie
b
a
d
c
e
f
Abb. 1 a Untersuchungssituation im Einbeinstand in Neutral-Null-Stellung.
b Untersuchungssituation im Einbeinstand in maximaler Dorsalflexion.
c Röntgenbild im Einbeinstand in Neutral-Null-Stellung. d Röntgenbild im
Einbeinstand in maximaler Dorsalflexion. e Vergrößerung aus Abb. 1c (OSG
im Einbeinstand in Neutral-Null-Stellung. f Vergrößerung aus Abb. 1 d (OSG
im Einbeinstand in maximaler Dorsalflexion).
ner und Weichteilstrukturen, die z. B. durch mehrfache Mikrotraumen Veränderungen wie Blutungen, Vernarbungen und
Hypertrophie hervorrufen können [18].
riores Impingement-Syndrom entsteht [3]. Die Osteophyten
liegen jedoch intrakapsulär an der Knorpel-Knochen-Grenze
ungefähr 5 – 8 mm von der Kapselinsertion entfernt [23]. Daher kann der Zug an der Gelenkkapsel nicht zu den einklemmenden knöchernen Veränderungen führen. Sie müssen folglich durch direkte Kompression zwischen Tibia und Talus
entstehen [22].
Da die Osteophyten nicht direkt miteinander in Kontakt kommen, sind sie nicht allein für den Schmerz verantwortlich [11].
Zwischen ihnen gelegene Weichteile können eingeklemmt
werden (Kissing osteophyts), sich entzündlich verändern und
den Schmerz verursachen [20]. Ist die Dorsalflexion durch
kontrakte posteriore Elemente eingeschränkt, werden die
Kompressionskräfte am vorderen Rand während der Dorsalflexion verstärkt [2]. Die Osteophyten am vorderen Rand der distalen Tibia und manchmal auch am Talushals können Furchen
in der Knorpeloberfläche erzeugen, die in der Arthroskopie
▶ Abb. 2a–d, [2]).
sichtbar sind (●
Der anteriore Gelenkraum ist mit Weichteilgewebe gefüllt, das
in den tibiotalaren Gelenkspalt hineinreicht [22]. Das Weichteilgewebe besteht aus Fettgewebe, wenig Kollagen und Blutgefäßen und ist zur Gelenkfläche hin mit Synovialmembran
überzogen [22]. Veränderungen wie eine chronische Entzündung des Weichteilgewebes werden als Schmerzursache des
Impingements verantwortlich gemacht [11, 22]. Bei normalen
Sprunggelenken verschmälert sich in 15° Dorsalflexion der anteriore tibiotalare Gelenkspalt und quetscht das Weichteilgewebe [22]. Da für das normale Gehen 5 – 10° Dorsalflexion
im OSG erforderlich sind [2], tritt der klassische anteriore Impingement-Schmerz erst bei maximaler Dorsalflexion auf.
Beschreibung
!
Das Impingement kann sowohl vorne als auch hinten am oberen Sprunggelenk auftreten [3]. Das anteriore Einklemmsyndrom
wird unterteilt in das anteriore, anterolaterale und anteromediale Impingement. Die Reihenfolge entspricht der absteigenden
Häufigkeit [23].
Besonders häufig kommt das anteriore Impingement vor, das
zu anteriorem OSG-Schmerz während der Standphase führt
[2]. Sportler, die wiederholte Dorsalflexionen durchführen
(z. B. Fußballer) sind besonders oft betroffen [3]. Pathomechanisch gleitet die Tibia weniger nach anterior und rollt mehr,
wodurch ein nachweisbares Kanten der Gelenkflächen entsteht
▶ Abb. 1a–f). Als Ursache des anterioren Impingements wer(●
den wiederholte Mikrotraumen durch Kompression zwischen
Tibia und Talus angenommen, die Mikrofrakturen des trabekulären Knochens oder periosteale Blutungen hervorrufen und
mit Knochenneubildung (knöcherne Proliferation = Osteophyten) heilen [3, 23]. Mirkofrakturen des trabekulären Knochens
können auch direkt z. B. durch den Aufprall des Fußballs beim
Schuss in Plantarflexion entstehen. Sie ergeben dann bei der
Knochenneubildung die typische Spornbildung an der Gelenkknorpel- und Knochenkante [11].
Eine ältere Theorie erklärt, dass eine forcierte Plantarflexion
durch Zug Kapselabrisse, Entzündungen und nachfolgende
knöcherne Proliferation bewirken kann, woraus dann ein ante-
Schomacher J. Impingement-Syndrom des oberen… Manuelle Therapie 2010; 14: 91 – 97
Heruntergeladen von: Jochen Schomacher. Urheberrechtlich geschützt.
92
a
b
c
d
Abb. 2 a – d Anteriores OSG-Impingement (aus [2]). a Ein knöchernes Impingement ist im Röntgenbild im Stand in Neutral-Null-Stellung nicht leicht
erkennbar. b Einfach erkennbares anteriores Impingement. c Arthroskopisch sichtbare durch den Osteophyten hervorgerufene Furchen in der ta-
laren Gelenkfläche (Pfeil). d Die Behandlung besteht aus einer arthroskopischen Resektion des Osteophyten und einer Rezession (Rückzug) der Sehne
des M. gastrocnemius.
Ein in Dorsalflexion hypomobiles OSG führt nicht nur zu einem
OSG-Impingement, sondern auch zur Mehrbelastung des Mittel- und Vorfußes mit Folgen wie Hypermobilität der Fußwurzel, plantare Faszitis, Schmerz, Entzündung und Wirkungsverlust des M. tibialis posterior und Vorfußüberlastung mit z. B.
Verschlimmerung diabetischer Vorfußgeschwüre [2].
Das seltenere anterolaterale Impingement kann durch ein relativ
kleines Inversionstrauma entstehen, in dessen Folge wiederholte
Mikrotraumata und Weichteilblutungen zu Vernarbung, Entzündung und Hypertrophie der Synovia mit anschließender Weichteileinklemmung führen können [4]. Der mechanische Einklemmdruck auf die entzündeten periligamentären Strukturen
und die Synovia können diese in reaktives hyalinisiertes Bindegewebe umwandeln, was als meniskoide Läsion bezeichnet wird
[4, 8, 11]. Differenzialdiagnostisch muss das anterolaterale Impingement von einer Sprunggelenksinstabilität und einer Subluxation der Peronealsehne unterschieden werden [23].
Als anatomische Variante existiert ein distales oder akzessorisches Bündel des Lig. tibiofibulare anterius, das beim hypermobilen OSG mit der anterolateralen Ecke des Talus in Kontakt
kommen und ein Impingement verursachen kann [11]. Es
wird auch als anteroinferiores zusätzliches Bündel des Lig. tibio-
fibulare anterius oder zusätzliches anteroinferiores tibiofibulare Band (Accessory anteroinferior tibiofibular ligament) bezeichnet [15]. Einige Autoren nennen es Bassetts Band [23].
Die Talusrolle ist auf anatomischen Präparaten in Neutral-NullStellung bzw. maximaler Dorsalflexion des Fußes in Kontakt
mit diesem Ligament. Der Kontakt wird durch manuelle Traktion aufgehoben [15]. Eine Dorsalflexion von 5 – 10° und eine
Eversion erzeugen einzeln und zusammen ein Einklemmen
zwischen der lateralen Ecke der Talusrolle und dem inferioren
Rand des Bandes [15]. Bei wenigen Patienten kann dies zum
Impingement-Syndrom führen und mit einem hörbaren
„Pop“-Geräusch bei Dorsalflexion und Eversion verbunden
sein [23].
Ein anteriores tibiotalares Ligament kann ein weiterer Grund
für ein anteriores Impingement sein. Es kommt vom anterolateralen Rand der distalen Tibia, zieht in 4 Variationen zum anterolateralen Teil des Talushalses [13] und liegt distal und anterior zum Lig. tibiofibulare anterius. In den meisten der
untersuchten 33 anatomischen Präparate war es vorhanden
[13].
Das anteromediale Impingement entsteht selten allein und meist
in Verbindung mit Inversionsverletzungen der lateralen und me-
Schomacher J. Impingement-Syndrom des oberen… Manuelle Therapie 2010; 14: 91 – 97
93
Heruntergeladen von: Jochen Schomacher. Urheberrechtlich geschützt.
Literaturstudie
Literaturstudie
Fibula
Tibia
Fuß
re Hand
li Hand
Abb. 3 a, b Manuelle Traktion des rechten OSG unter Röntgendurchleuchtung in Ruhestellung (Aufnahmen von Ola Grimsby, mit freundlicher
Genehmigung des Ola Grimsby Institute, San Diego, USA). a Der radiologi-
sche Gelenkspalt als Abstand zwischen Tibiakante (oberer Pfeil) und Talusrolle (unterer Pfeil) ist ohne Traktionszug klein. b Der radiologische Gelenkspalt ist mit Traktion Stufe II (Kaltenborn-Einteilung) größer.
dialen Kapselbandstrukturen [3, 4, 17]. Auch hier kann es zu einer anteromedialen „meniskoiden Läsion“ kommen [11]. Es entwickelt sich wahrscheinlich weniger durch Zug auf das Lig. tibiotalare anterius beim Eversionstrauma als vielmehr durch
Druck bei Inversionstraumen [11]. Osteophytenbildung an Tibia
und Talus sowie entzündliche synoviale Verdickungen sind
möglich [17]. Ein Klicken oder Springen kann bei Dorsalflexion
entstehen [23].
Die posterioren Einklemmsyndrome werden in posteriores und
posteromediales Impingement sowie Haglund-Syndrom unterteilt. Zusätzlich wird ein Syndesmosen-Sprunggelenk-Impingement-Syndrom beschrieben. Die klinische Manifestation posterolateraler Einklemmsymptome ist oft mit posteromedialen
Veränderungen in bildgebenden Verfahren verbunden [11].
Ein eigenständiges posterolaterales Impingement wird in den
Veröffentlichungen kaum erwähnt.
Das posteriore Impingement entsteht durch forcierte Plantarflexion, wobei der Talus und die umgebenden Weichteile zwischen Tibia und Kalkaneus wie eine Nuss im Nussknacker
komprimiert werden [3, 4]. Die forcierte Plantarflexion ist typisch für Balletttänzer (Vorfußstand) und Fußballspieler während des Ballschusses in Plantarflexion, der sowohl ein anteriores (siehe oben) als auch ein posteriores Impingement
bewirken kann [11]. Folgende anatomische Variationen begünstigen das posteriore Impingement: verlängertes Tuberculum laterale des Proc. posterior tali (Stieda-Prozessus), fehlende Verknöcherung des sekundären Ossifikationskerns des
Tuberculum laterale mit dem Talus (Os trigonum), das in ca.
5 % der Bevölkerung vorkommt (bzw. 7 – 14 % [16] und posterosuperiore Vergrößerung auf dem Tuber calcanei (Haglund-Ferse [14]).
Das posteriore OSG-Impingement ist keine Folge eines Os trigonum, sondern es muss ein Trauma mit Entzündung und
Schmerz als Auslöser vorausgehen [14]. Es erfolgt oft 4 – 6 Wochen nach dem ursprünglichen Sprunggelenktrauma, was eine
andauernde Belastung der posterioren Kapsel während der
Heilungsphase nach einer Kapselläsion und einen Hämarthros
als Ursache nahelegt [14]. Die Sehne und Scheide des M. flexor
hallucis longus sowie die posterioren Kapseln von OSG und
USG sind die gefährdeten Strukturen [14]. Die klinische Diagnose des posterioren Impingements ist schwierig, weil es der
Palpation schwer zugänglich ist, und viele dort liegende Strukturen wie die Achillessehne und die retrokalkaneare Bursa
ähnliche Schmerzen provozieren können [20].
Das posteromediale Impingement tritt nach schweren Inversionstraumen und eher selten auf. Es beginnt typischerweise
4 – 6 Wochen nach dem Unfall posteromedial zu schmerzen,
während vorher die lateralen Distorsionsschmerzen überwiegen [11]. Das Einklemmen findet zwischen der medialen
Wand des Talus und dem Hinterrand des medialen Malleolus
statt [3, 4, 20].
Das Haglund-Syndrom ist das am meisten posterior gelegene
OSG-Impingement. Es äußert sich mit posteriorem Fersenschmerz, sicht- und tastbarer Schwellung an der hinteren Ferse und posterosuperiorer Erhöhung auf dem Tuber calcanei
(Haglund-Deformität [14]). Der wiederholte Zug des M. triceps
surae klemmt die Achillessehne, die retrokalkaneare Bursa und
das dortige Fettgewebe ein, woraus das Haglund Syndrom mit
Achilles-Tendinitis und retrokalkanearer Bursitis entsteht [14].
Das Haglund-Syndrom kann mit einem posterioren Impingement verbunden sein [14].
Sanders und Kabir Rathur [20] beschreiben zusätzlich ein Syndesmosen-Sprunggelenk-Impingement-Syndrom. Dieses entsteht
durch Narbengewebe und Fibrosierung in der tibiofibularen
Syndesmose, abgegrenzt von den Syndesmosebändern. Das Impingement folgt meist nach einer traumatischen Bewegung in
Supination und Außenrotation des Fußes mit resultierender
Syndesmosendistorsion [20]. Als Ursache der Narbenbildung
und Fibrosierung wird eine zu frühe Mobilisation nach der
Verletzung angenommen [20].
Schomacher J. Impingement-Syndrom des oberen… Manuelle Therapie 2010; 14: 91 – 97
Heruntergeladen von: Jochen Schomacher. Urheberrechtlich geschützt.
94
Literaturstudie
!
Die Diagnose erfolgt gewöhnlich klinisch [11]. Für das anterolaterale Impingement werden 5 der folgenden 6 Befunde verlangt [7]:
▶ Chronischer anterolateraler Sprunggelenkschmerz nach einer
lateralen Distorsion;
▶ Anterolaterale Gelenkempfindlichkeit;
▶ Rezidivierende Ödeme;
▶ Anterolateraler Schmerz bei forcierter Dorsalflexion und Eversion;
▶ Schmerz bei einbeiniger Kniebeuge;
▶ Fehlende Instabilität.
Weitere Beschreibungen der klinischen Untersuchungen wurden nicht gefunden.
Bildgebende Verfahren dienen vor allem der Ausschlussdiagnose
und werden in Verbindung mit der klinischen Untersuchung interpretiert. Die Wahl des optimalen Verfahrens hängt von der Lokalisation des Impingements ab [11].
Das knöcherne Impingement ist auf seitlichen und schrägen
▶ Abb. 1c–f, ●
▶ Abb. 2a–d).
Röntgenbildern im Stand sichtbar (●
Intraossäre Veränderungen wie Knochenmarködeme, Knorpelläsionen und Weichteilveränderungen lassen sich besser mit
Kernspintomografie (Magnetic Resonance Imaging, MRI) darstellen [3, 18]. Das MRI ist vor allem bei klinisch zweifelhaften
Fällen sinnvoll [19]. Es kann besonders zwischen intra- und
extraartikulären Ursachen unterscheiden und dadurch das
weitere chirurgisch-therapeutische Vorgehen bestimmen [9].
Sensitivität (0,75 – 0,83) und Spezifität (0,75 – 1,00) sind z. B.
für das anterolaterale Impingement im MRI hoch [7].
Farooki et al. [8] hingegen bezweifeln die Sensitivität und Genauigkeit des MRI für das anterolaterale Impingement, was jedoch mit einem in ihrer Studie fehlenden Gelenkerguss bzw.
einer fehlenden MR-Arthrografie zusammenhängen mag [21].
Die Qualität des MRI wird durch die Anwesenheit eines
Gelenkergusses wesentlich besser [11, 18, 19]. Bei seinem Fehlen ist eine MR-Arthrografie zu empfehlen [21]. Diese zeigt
dann auch beim anterolateralen Impingement hohe Sensitivität (96%) und Spezifität (100%; [20]).
Die MR-Arthrografie mit einem Kontrastmittel in der Gelenkhöhle erlaubt eine genauere Darstellung intraartikulärer Pathologien und der Kapselausdehnung [4]. Die mit einer intraartikulären Injektion verbundenen Risiken der MR-Arthrografie fehlen
bei der indirekten MR-Arthrografie. Dabei wird intravenös ein
Kontrastmittel injiziert, das sich in der hoch vaskularisierten Synovialmembran ansammelt. Sie kann damit – besonders bei entzündlichen Veränderungen der Synovialmembran – besser dargestellt werden [9].
Die CT-Arthrografie hat eine exzellente Sensitivität für knöcherne und knorpelige Läsionen und liefert auch eine klare
Darstellung der Gelenkkompartimente und somit von Weichteilläsionen [10].
Zur Ultraschalldiagnostik beim anterolateralen Impingement
liegen widersprüchliche Daten vor [11].
Die Arthroskopie bestätigt die Diagnose und ermöglicht zu▶ Abb. 2a–d; [2, 3]).
gleich eine chirurgische Therapie (●
Therapie
!
Bei den meisten Patienten reicht die konservative Therapie mit
Vermeiden der symptomauslösenden Aktivität (z. B. Absatz-
erhöhung beim anterioren Impingement), nicht steroiden Entzündungshemmern und Physiotherapie aus [11]. Auch Steroidinjektionen sind möglich [19]. Die Art der Physiotherapie ist in
keiner der zitierten Publikationen beschrieben.
Misslingt die konservative Behandlung, folgt eine arthroskopische oder auch offene Resektion der einklemmenden Strukturen,
unabhängig von Ursache und Lokalisation des Impingements
[2 – 4, 9]. Die Prognose hängt weniger vom klinischen Bild als
vielmehr vom Grad der degenerativen Veränderungen ab
(Schäden am Knorpel und subchondralen Knochen; [17]).
Überlegungen zur Physiotherapie
!
Da sich keine Studien zur physiotherapeutischen Untersuchung
und Behandlung des OSG-Impingements fand, können diesbezüglich nur folgende zu überprüfende Annahmen aufgestellt
werden.
▶ Weil der Schmerz durch einen mechanischen Einklemmkonflikt entsteht und unterhalten wird, können rein schmerzlindernde (Bewegungs-) Maßnahmen nur vorübergehend bzw.
nur auf das schmerzlindernde System im Nervensystem, nicht
aber auf die mechanische Ursache wirken.
▶ Physiotherapeuten müssen folglich die Gelenkmechanik untersuchen und eventuell reversible Ursachen gezielt behandeln. Dabei gilt es klar zu erkennen, welche mechanischen
Ursachen des Einklemmkonflikts therapiert werden können.
Dazu gehören eine kapsulär oder muskulär bedingte Hypomobilität sowie eine ungenügende motorische Bewegungskontrolle. Hier kann die Physiotherapie das Bewegungsausmaß erweitern, Bewegungseinschränkungen durch Hilfsmittel wie
Absatzerhöhung beim anterioren Impingement respektieren
und/oder auf das Bewegungsmuster verändernd einwirken.
Dies ist besonders im Anfangsstadium möglich, da sich das Impingement laut der gefundenen Literatur [11] meist durch nicht
genauer beschriebene konservative Therapie erfolgreich behandeln lässt. In fortgeschrittenen Fällen müssen Physiotherapeuten ihre Grenzen erkennen und Patienten an Chirurgen verweisen.
Bewegungen, die den mechanischen Einklemmkonflikt reproduzieren bzw. verschlimmern, sind zu vermeiden. Dazu gehören insbesondere dehnende Mobilisationen des OSG in Dorsalflexion mit rotatorischen hebelnden Bewegungen. Das schließt
auch die verbreitete Selbstübung ein, bei der der Patient im
Stand das Knie über den Fuß nach vorne schiebt, um die Dorsalflexion zu vergrößern.
▶ Eine alternative Mobilisation zum Dehnen der Gelenkkapsel
ist die geradlinige translatorische Traktion im OSG [12], bei
der sich in anatomischen Präparaten kein Einklemmen fand
[15].
Die Traktion im OSG führt bei 130 N Zugkraft zu einer nachweisbaren Separation der Gelenkflächen sowohl beim MRI
als auch CT [1]. Die maximale Separation der Gelenkflächen
bei 225 N betrug bei 14 gesunden OSG 1,3 mm (Spanne:
0,35 – 2,35 mm; [6]). Die Separation vergrößerte sich mit zunehmender Traktionskraft, wobei 75 % der maximalen Separation schon bei 135 N erreicht waren [6]. Traktionskräfte über
135 N riskieren am anatomischen Präparat Ligamentschäden
[6]. Bei Arthroskopien üblicherweise nach 1-stündiger Traktion auftretende Parästhesien und vermindertes Empfinden
des Nadelstichs verschwanden innerhalb weniger Minuten
nach Aufheben der Traktion [6]. Sie stellen für die physiothe-
Schomacher J. Impingement-Syndrom des oberen… Manuelle Therapie 2010; 14: 91 – 97
Heruntergeladen von: Jochen Schomacher. Urheberrechtlich geschützt.
Diagnose
95
Literaturstudie
rapeutische Mobilisation kein Problem dar, da diese beim Auftreten solcher Symptome kurzzeitig unterbrochen und gegebenenfalls technisch verändert wird.
▶ Abb. 3a u. b zeigt die Vergrößerung des Gelenkspalts bei
●
manueller Traktion während einer Röntgendurchleuchtung.
▶ Eine Mobilisation mit (translatorischem geradlinigen) Gleiten
nach anterior beinhaltet bei dehnender Dosierung (jenseits
des 1. Bewegungswiderstands) das Risiko eines erhöhten Gelenkdrucks mit möglicher Schädigung des Gelenkknorpels
▶ Abb. 2a–d). Kaltenborn [12] empfiehlt daher aus Vor(●
sichtsgründen zuerst die translatorische geradlinige Traktionsmobilisation, die eine Kompression der Gelenkflächen vermeidet.
Mulligan beschreibt eine anteriore Gleitmobilisation von Tibia
und Fibula im Stand bei fixiertem Fuß mit gleichzeitiger aktiver Dorsalflexion des Patienten, die nachweislich eine eingeschränkte Dorsalflexion in akuten und subakuten Zuständen
nach Inversionsdistorsionen vergrößert [5]. Mulligan erklärt
diese Wirkung mit der Korrektur einer durch das Inversionstrauma verursachten anterioren Fehlstellung des Talus [5].
Bildgebende Nachweise der Fehlstellung liegen jedoch bisher
nicht vor, sodass die erfolgreiche Vergrößerung des Bewegungsausmaßes nicht als Beleg der vermuteten und korrigierten Fehlstellung des Talus dienen kann.
Kaltenborn [12] erklärt die positive Wirkung der anterioren
Gleitmobilisation durch das Widerherstellen des physiologischen
Gleitens und nicht durch Korrektur einer Fehlstellung des Talus.
Inwieweit durch Mulligans Gleitmobilisation unter Belastung der
Gelenkknorpel durch Reibung die von Bowers und Castro [2] be▶ Abb. 2a-d), ist ungeklärt.
schriebene Schäden erleiden kann (●
Vicenzino et al. [24] fanden keinen Unterschied in der Wirkung von Mulligans Gleitmobilisation mit aktiver Bewegung
unter Belastung und Entlastung.
Ausblick
!
Zur physiotherapeutischen Untersuchung und Behandlung des
OSG-Impingement fehlt Literatur. Physiotherapeuten in Kliniken, die bildgebende und arthroskopisch gesicherte Diagnosen
des OSG-Impingement stellen, könnten an ihren Patienten die
klinischen Bewegungsbefunde erheben und auf Validität und
Reliabilität sowie Sensitivität und Spezifität prüfen.
Folgende Befunde können z. B. beim anterioren Impingement
vermutet werden:
▶ Anteriorer Schmerz durch mechanisches Einklemmen bei maximaler Dorsalflexion, besonders im Stand unter Gewichtsbelastung;
▶ Verändertes Endgefühl in Dorsalflexion, das weniger elastisch,
fester bis härter als erwartet und schmerzhaft ist;
▶ Anteriorer Schmerz beim mechanischen Verlängern bei Plantarflexion;
▶ Schmerz bei Palpation im anterioren Gelenkbereich.
Das Bewegungsausmaß kann hypomobil, hypermobil und normal sein, weil je nach Gewebeveränderung das Einklemmen
früher oder später geschieht. Bei Bewegungseinschränkungen
ist ein vermindertes Gleiten der Gelenkflächen aufgrund des
erhöhten Gelenkdrucks vorstellbar. Das folglich vermehrte Rollen der Gelenkflächen führt zu deren anteriorem Kanten und
Einklemmen [12].
Auch Hypermobilitäten führen zum OSG-Impingement [4].
Hier ist z. B. ein vermehrtes Rollen der Gelenkflächen aufgrund
mangelnden Initiierens des Gleitens durch die Ligament- und
Muskelspannung zu vermuten, besonders beim posterioren
Impingement-Syndrom durch die (hypermobile) Plantarflexion.
Solche pathomechanischen Modelle sind für eine Bewegungsdiagnose erforderlich, aus der sich eine klare Bewegungstherapie
ergibt:
▶ Bei Hypomobilitäten können durch eine geradlinige translatorische dehnende Mobilisation (besonders Traktion!) in Kombination mit aktiven Übungen und Lagerungen die periartikuläre Gewebespannung und somit der Gelenkdruck vermindert
werden. Ist die physiologische Bewegungsfunktion wiederhergestellt und besteht der Impingement-Konflikt trotzdem
weiter, hat die Physiotherapie ihre Grenze erreicht.
▶ Bei Hypermobilitäten kann ihre Stabilisierung durch passive
Stützen (z. B. Schuheinlagen) und aktive Übungen versucht
werden. Erlangt der Patient dadurch einen stabileren Fuß,
ohne dass die Impingement-Symptomatik zurückgeht, sind
die physiotherapeutischen Grenzen erreicht.
▶ Bei normaler Beweglichkeit kann ein Vermeiden der einklemmenden Bewegung z. B. durch Schuhabsatzerhöhung beim anterioren Impingement versucht werden. Die Möglichkeiten
einer Bewegungstherapie sind aber in diesem Fall wahrscheinlich sehr begrenzt.
Zur Wirksamkeit schmerzlindernder physiotherapeutischer
Maßnahmen auf die tief liegenden chronischen Weichteil- und
Knochenveränderungen ist dem Autor nichts bekannt. Hier ist
weitere Forschung nötig.
Schlussfolgerungen
!
Das OSG-Impingement ist ein mechanischer Konflikt zwischen
Tibia und Talus, der durch traumatische und/oder wiederholte
endgradige rotatorische Bewegungen entsteht. Das Einklemmen führt zu knöcherner Proliferation (Osteophyten) und
schmerzhaften chronisch-entzündlichen Weichteilveränderungen. Ihre chirurgische Resektion wird als erfolgreich beschrieben, während eine klare Darstellung und Überprüfung physiotherapeutischer Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen
fehlt. Die physiotherapeutische Behandlung mit der geradlinigen translatorischen (Traktions) Mobilisation bei ursächlicher
Hypomobilität bzw. Stabilisation bei ursachlicher Hypermobilität wird zur Diskussion gestellt.
Danksagung
!
Vielen Dank an Simone Patuzzo (Verona, Italien) für das Er▶ Abb. 1c u. d.
möglichen der Röntgenaufnahmen in ●
Literatur
1 Baer TE, Stolley MP, Thedens D et al. Development of an ankle distraction device compatible with MRI and radiography. Foot & Ankle International 2006; 27: 472–474
2 Bowers AL, Castro MD. The mechanics behind the image: foot and ankle
pathology associated with gastrocnemius contracture. Seminars in
Musculoskeletal Radiology 2007; 11: 83–90
3 Cerezal L, Abascal F, Canga A et al. MR Imaging of ankle impingement
syndromes. American Journal of Roentgenology 2003; 181: 551–559
4 Cerezal L, Abascal F, Caría-Valtuille R et al. Ankle MR Arthrography:
How, Why, When. Radiologic Clinics of North America 2005; 43: 693–
707
Schomacher J. Impingement-Syndrom des oberen… Manuelle Therapie 2010; 14: 91 – 97
Heruntergeladen von: Jochen Schomacher. Urheberrechtlich geschützt.
96
5 Collins N, Teys P, Vicenzino B. The initial effects of a Mulligan’s mobilization with movement technique on dorsiflexion and pain in subacute
ankle sprains. Manual Therapy 2004; 9: 77–82
6 Dowdy PA, Watson BV, Amendola A et al. Noninvasive ankle distraction:
relationship between force, magnitude of distraction, and nerve conduction abnormalities. Arthroscopy: The Journal of Arthroscopic and
Related Surgery 1996; 12: 64–49
7 Duncan D, Mologne T, Hildebrand H et al. The usefulness of magnetic resonance imaging in the diagnosis of anterolateral impingement of the
ankle. The Journal of Foot & Ankle Surgery 2006; 45: 304–307
8 Farooki S, Yao L, Seeger LL. Anterolateral impingement of the ankle: effectiveness of MR imaging. Radiology 1998; 207: 357–360
9 Haller J, Bernt R, Seeger T et al. MR-imaging of anterior tibiotalar impingement syndrome: agreement, sensitivity and specificity of MRimaging and indirect MR-arthrography. European Journal of Radiology
2006; 58: 450–460
10 Hauger O, Moinard M, Lasalarie JC et al. Anterolateral compartment of
the ankle in the lateral impingement syndrome: appearance on CT arthrography. American Journal of Roentgenology 1999; 173: 685–690
11 Hopper M, Robinson P. Ankle impingement syndromes. Radiologic
Clinics of North America 2008; 46: 957–971
12 Kaltenborn FM. Manuelle Therapie nach Kaltenborn. Untersuchung
und Behandlung. Teil I: Extremitäten. 12. Aufl. Oslo: Norli, 2005
13 Keller K, Nasrilari M, Filler T et al. The anterior tibio-talar ligament: one
reason for anterior ankle ligament. Knee Surgery, Sports Traumatology, Arthroscopy 2009 10.1007 /s00167-009-0896-8
14 Lee JC, Calder JDF, Healy JC. Posterior impingement syndromes of the
ankle. Seminars in Musculoskeletal Radiology 2008; 12: 154–169
15 Nikolopoulos CE, Tsirikos AI, Sourmelis S et al. The accessory anteroinferior tibiofibular ligament as a cause of talar impingement. A cadaveric study. The American Journal of Sports Medicine 2004; 32:
389–395
16 Robinson P, White LM. Soft-tissue and osseous impingement syndromes of the ankle: role of imaging in diagnosis and management.
Radiographics 2002; 22: 1457–1471
17 Robinson P, White LM, Salonen D et al. Anteromedial impingement of
the ankle: using MR arthrography to assess the anteromedial recess.
American Journal of Roentgenology 2002; 178: 601–604
18 Robinson P. Impingement syndromes of the ankle. European Radiology
2007; 17: 3056–3065
19 Rubin DA, Tishkoff NW, Britton CA et al. Anterolateral soft-tissue impingement in the ankle: diagnosis using MR imaging. American Journal of
Roentgenology 1997; 169: 829–835
20 Sanders TG, Kabir Rathur S. Impingement syndromes of the ankle. Magnetic Resonance Imaging Clinics of North America 2008; 16: 29–38
21 Skib RA. Anterolateral soft-tissue impingement of the ankle, Letter to
the editor. Radiology 1998; 209: 885
22 Tol JL, van Dijk N. Etiology of the anterior ankle impingement syndrome: a descriptive anatomical study. Foot & Ankle International
2004; 25: 382–386
23 Umans HR, Cerezal L. Anterior ankle impingement syndromes. Seminars in Musculoskeletal Radiology 2008; 12: 146–153
24 Vicenzino B, Branjerdporn M, Teys P et al. Initial changes in posterior talar glide and dorsiflexion of the ankle after mobilization with movement in individuals with recurrent ankle sprain. Journal of Orthopaedic & Sports Physical Therapy 2006; 36: 464–471
25 www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed
Schomacher J. Impingement-Syndrom des oberen… Manuelle Therapie 2010; 14: 91 – 97
97
Heruntergeladen von: Jochen Schomacher. Urheberrechtlich geschützt.
Literaturstudie

Documents pareils