2015-04-09 DE Wohnungen

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2015-04-09 DE Wohnungen
Darmstädter Echo 09.04.2015
Wohnungen für Flüchtlinge verzweifelt
gesucht
Zuwanderung – Unterkünfte für Flüchtlinge fehlen, weil der Markt in
Südhessen angespannt ist
Gießen ist in Hessen die erste Station für Flüchtlinge .
Archivfoto: dpa
Unterkünfte für Flüchtlinge zu finden, wird für Kreise und Kommunen immer
schwieriger. Vor allem im teuren, dicht besiedelten Südhessen. Im Kreis
Groß-Gerau zum Beispiel ist die Lage dramatisch.
KREIS GROSS-GERAU.
Donnerstag ist Anreisetag im Kreis Groß-Gerau. Dann kommen Flüchtlinge aus der
hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen hier an. Zurzeit seien es zwischen 30
und 50 Menschen pro Woche, sagt Wolfgang Bauer-Schneider, Geschäftsführer der
Neuen Wohnraumhilfe Darmstadt, die im Auftrag des Kreises Unterkünfte aquiriert.
Noch im November seien es durchschnittlich 15 pro Woche gewesen.
Um die Neuankömmlinge unterzubringen, mietet der Kreis Groß-Gerau Gebäude an.
Dazu gehören etwa zwei Hotels in Mörfelden-Walldorf und Kelsterbach. Solche
Sammelunterkünfte sind aber keine Dauerlösung, es werden Wohnungen gebraucht.
Beides ist problematisch. Der Wohnungsmarkt im Kreis Groß-Gerau sei angespannt
wie kaum irgendwo sonst in Hessen, sagt Ulrike Cramer, Fachbereichsleiterin für
soziale Sicherung, Jugend und Schule beim Kreis. Ein Gutachten des Instituts für
Wohnen und Umwelt (IWU) kam 2013 zum Schluss, dass der Kreis „hessenweit den
höchsten Bevölkerungszuwachs“ ausweist.
„Die Flüchtlinge sind der kleinere Teil der Zuwanderung“, betont Cramer. Die meisten
Zuwanderer sind zum Beispiel Berufseinsteiger oder Menschen, die sich die Mieten in
den nahen Großstädten Frankfurt, Darmstadt, Mainz und Wiesbaden nicht mehr
leisten können. „Für sie ist der Kreis Groß-Gerau praktisch Stadtrandlage.“ Das
Problem ist: „Es fehlt an Wohnungen.“ Bauer-Schneider bestätigt: „In Südhessen ist
bezahlbarer Wohnraum knapp. Wir finden kaum noch annehmbare Wohnungen zu
annehmbaren Preisen.“
Annehmbar bedeutet: Es gelten dieselben Miet-Obergrenzen wie für Hartz-IVEmpfänger. Cramer kann keine Summe nennen, denn je nach Lage oder Größe der
Wohnung ist es unterschiedlich, was als angemessen gilt. Dass es nicht um große
Summen geht, zeigt die Pauschale, die der Kreis vom Land bekommt: 652,20 Euro
pro Flüchtling und Monat. Davon sollen außer der Unterkunft auch Lebensunterhalt,
Krankenhilfe und Betreuung finanziert werden.
Wie dringlich die Situation bei der Unterbringung von Flüchtlingen ist, lässt sich an
einigen Zahlen ablesen. 2014 hatte das Land Hessen dem Kreis Groß-Gerau 700
Asylbewerber zugewiesen. Kriterium dafür ist die Bevölkerungszahl und die Zahl der
Migranten, die bereits in einem Kreis oder einer Kommune leben. In diesem Jahr
rechnet der Kreis mit mindestens 1500 weiteren Flüchtlingen. Wenn man
berücksichtigt, dass einige jetzt belegte Unterkünfte auch wieder frei werden,
werden für die Erstaufnahme im laufenden Jahr 1400 Plätze gebraucht, rechnet
Cramer vor. Tatsächlich werden bis Jahresende aber nur 800 Plätze vorhanden sein.
Außerdem: Wie viele weitere Wohnungen gebraucht werden, weil die Familien
anerkannter Asylbewerber nachkommen, weiß niemand.
Kreis Groß-Gerau lässt Experten aquirieren
Wie der Wohnraummangel beseitigt werden kann, ist offen. In Mörfelden-Walldorf
etwa entscheiden die Stadtverordneten demnächst über den Bau von Containern, um
schnell reagieren zu können. Um effektiv Wohnraum zu finden, arbeitet der Kreis seit
Jahresbeginn mit der Neuen Wohnraumhilfe zusammen – nach Auskunft von BauerSchneider eine bisher einzigartige Form der Kooperation zwischen einer Behörde und
einem gemeinnützigen Unternehmen. Der Vertrag läuft bis 2017, die Wohnraumhilfe
bietet Verwaltung, Hausmeisterservice, sie sorgt für die Erstausstattung der
Flüchtlinge und sie aquiriert Wohnungen. „Das sind unsere Scouts am
Immobilienmarkt“, erläutert Cramer.
Bauer-Schneider und sein sechsköpfiges Team halten Ausschau nach Hotels,
Pensionen, Monteurs-Unterkünften, die der Kreis anmieten kann. Wenn es um
dauerhaftes Wohnen geht, tritt die Wohnraumhilfe selbst als Vermieter auf, das
Unternehmen arbeitet dabei mit Wohnungsunternehmen wie der Nassauischen
Heimstätte oder der Gewobau zusammen.
Bei Bürgerversammlungen versuchen die Aquise-Experten, Privatvermieter zu
gewinnen, sie checken auch die Angebote auf Plattformen wie Immoscout. Da
kommt es schon mal vor, dass ein Mitarbeiter 600 Angebote anschaut, von denen
am Ende eines oder zwei übrig bleiben.
Eine zeitaufwendige Arbeit, von der die Wohnraumhilfe die Kreisverwaltung entlastet.
Müsste die Behörde das selbst leisten, wären zusätzliche Mitarbeiter nötig, meint
Fachbereichsleiterin Cramer. Für sie ist klar: Es muss neuer Wohnraum geschaffen
werden. Nicht nur für Asylbewerber, sondern auch für andere Menschen, deren
Einkommen nicht mehr ausreichen für die hohen Mieten.
Aber da gibt es gleich die nächste Hürde. Der Kreis Groß-Gerau und die meisten
seiner Kommunen sind unter dem Schutzschirm des Landes, also zum Sparen
gezwungen. Der Bau von Sozialwohnungen setzt aber kommunale Zuschüsse voraus.
Das Regierungspräsidium Darmstadt als Aufsichtsbehörde habe eine
zweckgebundene Darlehensaufnahme abgelehnt, sagt Cramer. Die Förderung von
sozialem Wohnungsbau ist nämlich keine Pflichtleistung der Kommunen. Das müsse
dringend geändert werden, findet Cramer.
Trotz aller Schwierigkeiten: Zuwanderung löst auch Probleme. Eine Analyse über
bezahlbaren Wohnraum im Kreis Groß-Gerau vom Herbst 2014 kommt zum Schluss:
Ohne Zuwanderung würde der Anteil der erwerbsfähigen Bevölkerung schon bis 2018
um zehn Prozent sinken.
Darmstadt setzt auf dezentral
DARMSTADT.
Auch in Darmstadt ist Wohnraum für Flüchtlinge Mangelware. „Wir haben
bezahlbaren Wohnraum, aber nicht ausreichend“, sagt Stadträtin Barbara Akdeniz
(Grüne).
Die Lage ist dennoch etwas entspannter als in anderen Kommunen in Südhessen.
Darmstadt hat nämlich nach Angaben von Akdeniz in den vergangenen Jahren mehr
Flüchtlinge aufgenommen als es musste und bekommt
deshalb weniger Neuzuweisungen.
Auf dem Wohnungsmarkt gebe es außerdem auch Sozialwohnungen, weil die
Stadt auslaufende Sozialbindungen ersetzt.
170 Flüchtlinge soll Darmstadt 2015 durchschnittlich pro Quartal aufnehmen, 2014
waren es zwischen 100 und 120. Sie werden bisher in kleinen Wohneinheiten
dezentral
untergebracht. Akdeniz: „Wir haben die Hoffnung, dass das so bleibt.“
Im Kreis Darmstadt-Dieburg werden in diesem Jahr 1300 Flüchtlinge erwartet,
fast doppelt so viele wie im vergangenen Jahr. Auch hier ist die Unterbringung der
Asylbewerber ein Thema. Bisher habe man es oft geschafft, die Menschen in kleinen
Einheiten unterzubringen, sagt Rosemarie Lück (SPD), Sozialdezernentin des Kreises.
„Das wird jetzt schwieriger.“