Die Freestyle Battle 2014
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Die Freestyle Battle 2014
Die Freestyle Battle 2014 Computergestütztes Schach mit Houdini & Co. von Arno Nickel Seit dem 4. Februar läuft auf dem InfinityChess Server die Freestyle Battle 2014, das wohl stärkste Computerschach-Turnier, das je stattgefunden hat. 30 eingeladene Spieler aus dem Bereich des Freestyle-Schachs, des reinen Computerschachs und des Fernschachs bestreiten ein Rundenturnier mit langen Partien (90m+15s). Es steht den Teilnehmern frei, welche Hilfsmittel sie benutzen, auf welcher Hardware sie spielen und welche Schachprogramme sie einsetzen. Der 1. Preis ist mit 5.500 US Dollar dotiert, der gesamte Preisfonds beträgt 20.000 US Dollar. Mittlerweile sind 18 von 29 Runden gespielt, und es führt der Engländer Anson Williams (Nickname "Intagrand") nach Wertung vor dem punktgleichen Filipino Alvin Alcala (Nickname "Maximus"). 29 Runden jeder gegen jeden Das Turnierformat erinnert ein wenig an längst vergangene Zeiten, als man sich im klassischen Turnierschach noch den Luxus gigantischer Rundenturniere leistete. Karlsbad 1911 hatte 26 Teilnehmer, New York 1889 wurde mit 20 Teilnehmern doppelrundig ausgetragen und dauerte mehr als zwei Monate. Ein Online-Turnier wie die Freestyle Battle 2014 ist mit solchen lokalen Veranstaltungen natürlich nicht wirklich zu vergleichen. Die Saalmiete und die Hotelkosten entfallen, die Spieler gehen ihrer Arbeit oder ihren üblichen Beschäftigungen nach und treffen sich nur dienstags, donnerstags und samstags zu ihren Partien. Für einen Spieler in St.Petersburg ist es dann schon recht spät, 23 Uhr, während der BigBen in London erst sieben Uhr abends schlägt, und der New Yorker Schachspieler um zwei Uhr nachmittags vielleicht gerade zu Mittag gegessen hat. Trotz der phantastischen Möglichkeiten des Online-Schachs im Internet sind Verpflichtungen wie die Teilnahme an einem Mammut-Turnier mit 29 Spieltagen allerdings nicht jedermann möglich oder sogar abschreckend, weshalb dieses Format, das sich der Turnier-Sponsor aus Abu Dhabi wünschte, sicherlich nicht für offizielle Qualifikationsturniere in Frage kommen wird. Doch greifen wir nicht zu weit vor. Worum geht es eigentlich beim Freestyle-Schach und wie läuft so ein Turnier ab? Die Seele des Freestyle-Schachs Eine der spannendsten Fragen in Bezug auf Computerschach lautet: Können Menschen den tiefen Berechnungen der Engines noch etwas Substantielles hinzufügen oder gar entgegensetzen? Oder, bezogen auf das Freestyle-Schach: Ist das Gespann Computer/Mensch, der sogenannte "Zentaur", im Wettkampf wirklich stärker als der auf sich allein gestellte Computer? Vor einigen Jahren, 2005-2008, im Rahmen der preisdotierten PAL/CSS-Freestyle-Turniere auf dem ChessBase Server, wurde diese Frage heiß diskutiert und mit einem "ja, aber..." beantwortet. Die repräsentativen Ergebnisse sprachen für die Zentauren trotz einzelner spektakulärer Erfolge der Maschinen, wobei der Aspekt der Vorbereitung eine wesentliche Rolle spielte, denn die Überlegenheit zeigte sich stärker in Rundenturnieren als in OpenTurnieren, wo die Paarungen erst kurzfristig feststanden. Gezielte Eröffnungswahl, Zeitmanagement, strukturelles Wissen, Positionsgefühl und tiefe Vorausanalyse kritischer Varianten (das In-die-Varianten-Hineingehen) waren die Eckpfeiler der Zentauren-Strategien, wenngleich man den Computern eine relativ hohe Remisquote zubilligen musste, zumal wenn sie mit Weiß spielten. Logo des 1. PAL/CSS Freestyle Turniers 2005 Heute, nachdem die Computerentwicklung weiter rasant vorangeschritten ist und eine neue Generation von Schachprogrammen die Schachwelt insgesamt verändert hat, scheint man die Frage nach dem menschlichen Anteil nicht mehr so klar positiv beantworten zu können. Bei zahlreichen Schachkommentaren und im Falle von Video-Livestreams zu Turnieren, wo Engines mitlaufen (meistens Houdini), entsteht zuweilen der Eindruck, dass die Schachprogramme im Besitz der absoluten Wahrheit seien. Was soll der Mensch da noch ausrichten? In Wirklichkeit täuscht dieser Eindruck in hohem Maße, wie jeder weiß, der einmal versucht hat, Stellungen mit Computerhilfe zu analysieren, wo sich jeweils mehrere scheinbar gleichwertige Kandidatenzüge anbieten. Ähnlich wie im Fernschach, nur unter völlig anderen Zeitbedingungen, geht es beim Freestyle darum, die Feinheiten einer Stellung tiefer auszuloten, als dies dem Turnierspieler am Brett möglich ist. Das kann eine Engine, verglichen mit einem Menschen, je nach Stellung zum großen Teil auch allein schaffen, abhängig u.a. davon, auf welcher Hardware sie läuft, mit welchem Eröffnungsbuch sie ausgestattet ist und wie ihre Parameter eingestellt sind, aber sie wird erfahrungsgemäß immer wieder in Situationen kommen, in denen ein Mensch den Analyseprozess vorteilhaft beeinflussen kann, und zwar in folgender Weise: - Steuerung des Zeitfaktors - Vertieftes Analysieren kritischer Varianten - Wahl des Analysesmodus (Ein- oder Mehrvariantenmodus) - Parallelvergleiche verschiedener Programme - Auswahl zwischen gleichwertigen Enginezügen - Einsatz strukturellen Schachwissens. Alle diese Punkte spielen im Wettkampf zweier hochgerüsteter Freestyler eine hervorragende Rolle und können zu hochinteressanten Partien führen, die das Auge des Betrachters wegen ihrer einzigartigen Vollkommenheit erfreuen. Ob dies im Einzelfall gelingt, ist jedes Mal wieder eine offene Frage, denn nicht jede Eröffnungsvariante führt zu reizvollen Stellungen und nicht jeder menschliche Eingriff bei der Steuerung von Computeranalysen ist sinnvoll oder erfolgreich. Spannend sind solche Wettkämpfe jedoch allmal, nicht zuletzt wegen der vielen Unwägbarkeiten, zu denen auch technische Faktoren wie zum Beispiel Engine-Bugs und ganz besonders der Zeitnotfaktor zählen. Freestyle Chess Champion Anson Williams Zwischenstand (nach 18 Runden) 1.Anson Williams (Intagrand / England) 13 (106,5) 2.Alvin Alcala 13(99,75) (Maximus / Philippinen) 3.Uwe Märtens (Regina-H.Milch / Deutschland) 12 4.Patrik Schoupal (EtaoinShrdlu / Tschechien) 11,5 (92,5) 5. Roland del Rio (Thomas_A_Anderson / Deutschland) 11,5 (88,25) 6. Mark Sabu (Deepthroat / USA) 11 (92) 7.Werner Bergmans (MIG29 / Niederlande) 11 (90) 8.Dr. Michael Glatthaar (Donkasand / Südafrika) 10,5 (98) 9. Juan Molina (Ozymandias / Spanien) 10,5 (97,25)(90) 10.Igor Dolgov (Idol99 / Russland) 10,5 (89) 11.Bojan Fajs (Jobboy / Slowenien) 10,5 (83) Zur vollständigen Tabelle geht"s hier (siehe "standings"). Die ersten Vier waren schon in früheren Jahren sehr erfolgreich im Freestyle, doch sind auch die meisten anderen keine Unbekannten in der Freestyleszene. Neu sind Roland del Rio und Bojan Fajs, die ebenso wie Igor Dolgov aktive Fernschachspieler und Titelträger sind. Anson Williams wurde 2007 Freestyle Champion beim PAL/CSS-Turnier auf dem ChessBase Server und gewann das Advanced Chess Turnier in Benidorm. Alvin Alcala gewann den Freestyle Cup auf dem FICGS Server in den Jahren 2011 und 2013. Uwe Märtens wurde Zweiter beim 8. PAL/CSS-Freestyle-Turnier 2008. Patrik Schoupal wurde Dritter beim 5. PAL/CSS-Freestyle-Turnier 2007. Zentauren gegen Engines pur Bei der Freestyle Battle 2014 ist es den Teilnehmern pro Runde freigestellt, ob sie als Zentauren spielen, was technisch gesehen bedeutet, die Züge manuell einzugeben, oder ob sie eine beliebige UCI-Engine automatisch spielen lassen (natürlich mit einem eigens vorbereiteten Eröffnungsbuch). Von den 30 Teilnehmern spielen 16 konstant als Zentauren; 9 weitere spielen überwiegend als Zentauren, haben aber in wenigen Fällen (aus Termingründen) eine Engine laufen lassen; 3 Computer-Spieler haben sich in wenigen Fällen auch mal als Zentauren versucht, und nur 2 Spieler lassen ausschließlich ihre Engines laufen. Grob gesagt, besteht das Feld also zu 83% aus Zentauren und zu 17% aus reinen EngineSpielern. Die Engine-Spieler treffen überwiegend auf Zentauren, so dass immerhin ein Drittel aller Partien zwischen diesen beiden Gruppen stattfinden. Nur 10 von 265 Partien fanden ausschließlich zwischen Computerprogrammen statt. Im internen Vergleich, der für die Preisverteilung allerdings keine Rolle spielt, liegen die Zentauren gegen die Engines nach 18 Runden mit 55 zu 43 vorn: +26 / =58 / -14, was durchschnittlich etwa einem Pluspunkt auf 10 Partien entspricht (5,5 : 4,5). Von diesen 98 Partien hatten die Zentauren 53 mal Weiß und 45 mal Schwarz, also einen gewissen Vorteil, der sich durch die zufällige Abfolge der Begegnungen ergab und sich später aber wieder ausgleichen kann. Die Farbverteilung ist aber in anderer Hinsicht ein wichtiger Faktor, denn die Überlegenheit der Zentauren beruht stark auf den weißen Steinen, von den 26 ZentaurSiegen gegen Engines wurden 20 mit Weiß errungen. Bei den Engines sind es 10 Weißsiege gegenüber 4 Schwarzsiegen. Praktisch bedeutet dies, dass Zentauren dem gegenwärtigen Trend entsprechend mit Weiß eine 65 % Gewinnchance haben, aber mit Schwarz nur 45,5%. Dies kann man so interpretieren, dass der Vorteil von Zentauren sich vor allem in der Verwertung von Eröffnungsvorteilen bemerkbar, dass er aber nahezu verschwindet, wenn keine Eröffnungsvorteile geltend gemacht werden können. Beliebteste Engines: Stockfish, Houdini und Komodo Um welche Programme handelt es sich nun, und wie sind ihre Anteile am Gesamtergebnis? Hier ist zunächst eine Umfrage bei den Teilnehmern vor und während des Turnieres interessant. 21 der 30 Teilnehmer gaben an, dass sie folgende Engines benutzen, sei es zur Analyse oder unmittelbar für den Wettkampf: Stockfish 18, Houdini 14, Komodo 12, andere 5. Befragt nach der absoluten Vorliebe schneidet Stockfish ebenfalls vor Houdini am besten ab, wobei nicht alle einen einzigen Favoriten haben. Deutlich wird auch, dass Komodo fast nur als dritte Option eingesetzt wird. Eine typische Charakteristik lautet: Stockfish wegen der Rechentiefe und als vermeintlich taktisch stärkste Engine, Houdini als ausgewogenste und positionell zuverlässigste Engine und Komodo als Engine mit dem meisten Endspielwissen. Von der Zahl der Einsätze als Engine pur hat Stockfishin zahlreichen verschiedenen Versionen klar die Nase vorn, denn 49 der 98 Turnierpartien gegen Zentauren wurden von der Open source-Engine bestritten. 8 Siegen stehen 15 Niederlagen gegenüber bei 26 Remis. Houdini 4 kam 13mal zum Einsatz: +1 / =7 / -5 und Komodo 5mal: +1 / =3 / -1. "Cryptic" am erfolgreichsten gegen Zentauren Den zweitgrößten Anteil mit 30 von 98 Turnierpartien gegen Zentauren hat allerdings eine Privatengine namens Deep Cryptic Cyclone 2.7 bzw. Cryptic Heroes 1.1, die von zwei Teilnehmern aus Abu Dhabi durchgehend auf recht leistungsstarker Hardware eingesetzt wird. Es handelt sich hierbei um eine privat gesponserte Engine von Zorchamp, dem zweiten Freestyle Champion, der 2006 diesen Titel errang und mit der Freestyle Battle 2014 erstmals seit vielen Jahren wieder an Wettbewerben teilnimmt. Diese Engine, deren Entwickler namentlich nicht bekannt sind, die aber ähnlich wie Houdini und Stockfish letztlich an frühere Versionen von Rybka und Fruit anzuknüpfen scheint, hat gegenüber Zentauren eine ausgeglichene Bilanz mit +4 / =22 / -4. In reinen Engine-Turnieren auf dem InfinityChess Server ist Cryptic regelmäßig in der Spitzengruppe zu sehen, was entscheidend an der überlegenen Hardware von zwei Xeon Prozessoren mit je 20 oder 16 Kernen liegen dürfte. Bei Verbesserungen der verwendeten Eröffnungsbücher könnten die Stärken der Engine und der Hardware vermutlich noch deutlich wirkungsvoller zum Einsatz kommen. Zentaur Statue von 1892 in den Tuilerien, Paris (Foto von Marie-Lan Nguyen) Die Stärken und Schwächen von Zentauren und Engines pur Als Gründe für Siege und Niederlagen in der Auseinandersetzung zwischen Zentauren und Engines fallen ins Auge: 1. Zentauren sind flexibler und zielsicherer in der Auswahl aussichtsreicher Mittelspiel- und Endspielstrategien, wobei die Auswahl häufig schon in der Eröffnung ansetzt. 2. Zentauren können durch Verwendung verschiedener einander ergänzender und teilweise widerstrebender Engines erfolgreiche Analysepfade diskursiv aufspüren. (Dieses Moment hat es früher schon einmal gegeben, verschwand jedoch etwas in der Blütezeit der Rybka-Ära, ca. 2007-2010, als diese Engine weitgehend dominierte.) 3. Zentauren können durch Kenntnis der gegnerischen Engine (und sei es nur anhand ihrer veröffentlichten Bewertungen) gezielt auf deren vermeintliche Schwachpunkte spielen. 4. Zentauren können durch Einsatz mehrerer Computersysteme, falls verfügbar, Hardwarevorteile erlangen. 5. Zentauren können durch den arbeitsteiligen Einsatz von Helfern den Analyseprozess effektivieren. Allerdings sind Helferteams nicht leicht zu organisieren. Die interne Abstimmung kostet Zeit und erfordert ein gut eingespieltes und harmonierendes Team. 6. Zentauren verbrauchen durchschnittlich mehr Zeit durch Bedienungs- und Analyseabläufe, was sich nachteilig auswirken und zum Risikofaktor werden kann. 7. Zentauren können im menschlichen Sinne irren und Fehlleistungen (wie u.a. Bedienungsfehler, Fehlinterpretationen u.a.m.) begehen. 8. Auf sich allein gestellte Engines verbrauchen keine Bedienerzeit und kommen deshalb aus dem Eröffnungsbuch mit einem Zeitgewinn heraus durch die Zeitzugabe von 15 Sekunden pro gespieltem Zug. Bei einem sehr guten und effizientem Buch kann dies zu einem starken Faktor im weiteren Partieverlauf werden. 9. Auf sich allein gestellte Engines nutzen die gegnerische Bedenkzeit voll aus, um weiterzuanalysieren und mögliche bzw. erzwungene Antworten vorwegzunehmen (sogenanntes "Pondern"). Erfolgt der erwartete Zug, können sie wiederum blitzartig mit einem bereits tief analysierten Zug antworten. 10. Auf sich allein gestellte Engines können je nach Brettstellung von einem höheren Maß an Objektivität profitieren, weil ihre Analyseprozesse ungestört, d.h. ohne menschliche Eingriffe ablaufen und dadurch manchmal Schlüsselzüge gefunden werden, die von den Zentauren entweder unterschützt oder sogar übersehen wurden. Dabei kann die verwendete Hardware zum ausschlaggebenden Faktor werden. Hardware Allgemein betrachtet, ist eine überlegene Hardware natürlich immer von Vorteil und besonders dann, wenn in kritischen Stellungen, zumal in Zeitnot, die reine Rechentiefe gefordert ist. Allerdings zeigt sich, dass viele Stellungen, die früher auf langsamerer Hardware von den Engines bei Zeitknappheit nicht sauber abgearbeitet wurden (speziell im Endspiel), heute von Standard-Quadrechnern oft sicher behandelt werden (zumal bei Tablebase-Anbindung), so dass die überlegene Hardware des Gegners nicht mehr so leicht wie früher zum Zuge kommt. Das heißt, der technische Fortschritt hat - bezogen auf die beiderseitigen Chancen im Freestyle-Schach - einen tendenziell nivellierenden Einfluss, was sich in der steigenden Remisquote von rund 67% in diesem Turnier bemerkbar macht. Die Remisquote in dem ungleichen Kampf Zentauren gegen Engines liegt mit 59% etwas darunter, aber im Kampf der Zentauren untereinander derzeit bei 72,5%, was bei 30 Teilnehmern auf eine sehr hohe Leistungsdichte hindeutet. Während ein Intel-Quadcore des Typs Q6600 (mit 2 Core-2-Duo-Kernen) in den Jahren 2007/2008 noch einen gehobenen Standard im Freestyle-Schach darstellte, ist er bald darauf abgelöst worden durch den neuen Prozessortyp der Core-i-Serie. Der i7-core mit einem Prozessor und 4 oder 6 Kernen stellt heute den häufigsten Prozessor-Typ im Freestyle dar. Unter den Teilnehmern der Freestyle Battle2014, die zumeist zwei PC"s für Analysen im Einsatz haben, sind etwa 18 Quadcores (davon 10 der i7-Serie) im Einsatz und desweiteren neun 6-Core-PC"s ebenfalls der i7-Serie. Während früher Systeme mit noch mehr Prozessor-Kernen die absolute Ausnahme bildeten, sind in der Freestyle Battle nach Angaben der Teilnehmer außerdem fünf 8-Core -Rechner (AMD und Xeon), drei 12-Core-Rechner, sechs 16-Core-Rechner und etwa sechs 24-CoreRechner im Einsatz. Das bisherige Highlight, soweit bekannt, ist Zorchamps Rechner mit 2 Xeon Prozessoren à 20 Kernen. Einen krassen Fall, wo ein Zentaur trotz großer Rechenpower einen Gewinn verpasste, zeigt die folgende Stellung: Zentaur-Partie Takker - Erdo, Runde 9, 22.2.2014 Schwarz am Zuge spielte hier 34...Ta4, und nach Abtausch von Dame und Turm auf g7 durch 35.Dxg7+ Dxg7 36.Txg7 Kxg7 sowie weiterer Vereinfachung durch 37.Sxc7 Kf6 38.Se6 Lxe6 39.dxe6 Txa3 40.Txa3 entstand ein ausgeglichenes Turmendspiel. Statt dessen war 34...Dh4+!? mit Fortsetzung des Angriffs am Königsflügel und Vermeidung von Vereinfachungen eine beachtenswerte Alternative, die aber von verschiedenen Engines ebenso wie der Partiezug mit 0.00 oder geringem Wert angezeigt wurden, also als remis. Der mit den schwarzen Steinen spielende Erdogan Günes ("Erdo") glaubte den Engines hier zu sehr und konzentrierte sich auf das nach 34...Ta4 entstehende Endspiel. Kurioserweise war es sein Gegner, William Fuller ("Takker"), seit kurzem Fernschach-IM, der während des dreieinhalb minütigem Überlegens von Schwarz durch eine KomodoAnalyse auf die Stärke des Zuges 34...Dh4+!? aufmerksam wurde und dies nach der Partie mitteilte. Wie nachträgliche Tests zeigen, sind sowohl Stockfish DD als auch Houdini 4 bis Tiefe 30 relativ ahnungslos, dass Schwarz nach 34...Dh4+ 35.Ke2 Tg3 36.Sxc7 auf Gewinn steht, denn die Gewinnfortsetzung, die in einem Turmopfer besteht, das sich erst nach rund weiteren 10 Zügen amortisiert, wird aus Bewertungsgründen zunächst nicht gebührend vertieft. Es dauerte bei Houdini 4 Pro x64B auf einem i7-960-Quadrechner 80 Minuten, bis im Einvariantenmodus erstmals 34...Dh4+ mit minimal positiver Tendenz (-0.07/Tiefe 32) angezeigt wurde, also mit dem ersten Indiz, dass es sich vielleicht doch nicht um eine Remisstellung handelt. Nach 100 Minuten war die Bewertung auf -0.55 (Tiefe 32) hochgeklettert. Hier wurde der Versuch abgebrochen. Deutlich schneller fiel der Groschen bei Stockfish DD auf demselben Rechner in Tiefe 35 nach drei Minuten. Geht man in die Variante 34...Dh4+ bis zu den naheliegenden Zügen 35.Ke2 Tg3 36.Sxc7 hinein und lässt Stockfish DD munter weiterrechnen, dauert es nur ca. ein halbe Minute, bis die Engine 36...h2!! (das stille Turmopfer auf a8) als gewinnverdächtige Variante ausweist (1.14 in Tiefe 29), und eine halbe Minute später klettert die Bewertung bereits auf -2.18 mit einer relativ stabilen Variante, die schon ziemlich wasserdicht ist: 36...h2!! 37.Txg3 fxg3 38.Sxa8 Kf7! 39.De1 Lh3, und egal, was Weiß jetzt noch anstellt, das schwarze Freibauernduo macht ihm den Garaus, zum Beispiel: 40.Sc7 Lg2 41.Se6 Lxh1 42.Dxh1 Dh6! (Unterbindung von Gegenspiel.) 43.Kf1 Dh3+ 44.Ke2 g2 45.Dc1 Dh4 und Schwarz greift bereits nach seiner zweiten Dame. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Komodo Engine (Version 6 tcecr) auf dem Versuchs-Quadrechner in Tiefe 29 nach rund 7 Minuten erstmals auf die Gewinnmöglichkeit 34...Dh4+ aufmerksam macht und damit in diesem Fall taktisch besser agiert als Houdini 4. Das gilt aber noch viel mehr für die etwas aus der Mode geratene Rybka 4 Engine, die schon nach 5 Minuten (in Tiefe 21) den richtigen Pfad mit dem stillen Turmopfer 26...h2 anzeigt. Auch Deep Fritz 14 schwenkte in unserer Testreihe nach 11 Minuten in Tiefe 26 von 34...Ta4 auf 34...Dh4+ um. Die Lösungszeiten können in einer laufenden Partie durchaus noch kürzer sein, wenn die Hashtables bereits mit vielen Varianten und Bewertungen gefüllt sind, was bei William Fuller alias Takker sicherlich der Fall gewesen ist. Großmeister Christopher Lutz hat die plausibelsten Varianten nach 34...Dh4+ ausführlich in seinem Rundenbericht dargelegt. Seine Partieanalysen und Kommentare zu allen Runden stehen auf der Turnierwebsite (wo u.a. auch das Regelwerk zu finden ist) und können dort online nachgespielt werden. Außerdem stehen alle Partien registrierten Besuchern des InfinityChess Webportals zum Download zur Verfügung. Pro Runde sollen ab sofort ausgewählte Partien per Live-Video übertragen werden (dienstags, donnerstags und samstags ab 20 Uhr CET). Wie geht es weiter mit dem Freestyle? InfinityChess will es nicht bei dem gegenwärtigen Rundenturnier belassen, sondern sieht dieses vielmehr als Test für die Durchführung weiterer Preisgeld-Turniere. Für Juni 2014 ist bereits ein Freestyle-Open über 13 Runden im Gespräch sowie der Plan für eine FreestyleWeltmeisterschaft. Diese würde in der äußeren Form ähnlich wie eine klassische Weltmeisterschaft als Duell zweier Spieler mit einem vorgeschalteten Kandidatenturnier stattfinden, aber diesmal nicht nur im virtuellen Raum des Internets, sondern an einem konkreten Ort . Bei entsprechenden Preisgeldern dürfte sich dann auch mancher Schachprofi fürs Freestyle interessieren. Im Unterschied zu früheren Jahren, in denen die wenig computergeschulten Schachmeister in der jungen Disziplin des Freestyle nur selten Lorbeeren ernten konnten, haben sie in den letzten Jahren, besonders seit dem Auftauchen von Houdini, die Techniken und Besonderheiten im Umgang mit Hardware und Software gelernt und können sich nun - mit etwas Training - berechtigte Hoffnungen auf Preisgelder machen. Es ist dem Freestyle sehr zu wünschen, dass es sich auf diesem Wege nach Jahren der Stagnation doch noch als "Formel 1 des Schachs" fest im Turnierkalender etabliert. Turnierleiter und Organisator Arno Nickel (ICCF GM)