Journalismus über Militär und Krieg im digitalen Zeitalter

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Journalismus über Militär und Krieg im digitalen Zeitalter
II. Gesellschaftliche Entwicklungen
2. Ökonomischer und technologischer Wandel
Thomas Wiegold
Journalismus über Militär und Krieg im digitalen Zeitalter
Die „Süddeutsche Zeitung“, rechnete kürzlich ein Redakteur des Verlages vor, erreicht mit
ihren Berichten auf der SZ-Webseite und ihren kostenpflichtigen Internet- und SmartphoneApp-Angeboten mehr Leser als mit den Berichten in der gedruckten Tageszeitung. Längst
haben die Akteure, die bislang Gegenstand der Berichterstattung waren, begonnen, die
digitalen Möglichkeiten zu nutzen und sind selbst zu Medienanbietern geworden. (Reader
Sicherheitspolitik Ausgabe 1/2015)
Social Media im Militär
Wenn ab 1. Januar 2015 mehrere nordeuropäische Länder, angeführt von Schweden, rund
2.400 Soldatinnen und Soldaten für eine EU-Battlegroup stellen, haben sie ihre
Hausaufgaben in der Öffentlichkeitsarbeit längst erledigt. Wichtigstes Werkzeug der
militärischen PR-Profis ist dabei ein soziales Netzwerk, das vor allem unter Jugendlichen
beliebt ist: Instagram, eine App für Smartphones, die ursprünglich dafür gedacht war,
Schnappschüsse mit der Handy-Kamera sofort mit seinen Freunden zu teilen (und inzwischen
eine Tochterfirma des größten sozialen Netzwerks Facebook). Die Instagram-Seite eubg15 1
steht zwar neben einer traditionellen Webseite, die die schwedischen Streitkräfte – in
englischer Sprache – aufgelegt haben 2, wird aber weit öfter aktualisiert. Und dürfte auch
mehr wahrgenommen werden.
MilBlog des Autors
„Augen geradeaus!
1
2
http://instagram.com/eubg15
http://www.forsvarsmakten.se/nbg15
1
Blogs und soziale Netzwerke, die Möglichkeiten des Social Web, haben das
Kommunikationsverhalten auch im Bereich des Militärs und der Sicherheitspolitik verändert
sowie die alten Muster von Publizierenden und Publikum verschoben. Nie in der Geschichte
waren die Schwellen für einen Markteintritt so gering: Mit wenigen Klicks kann sich
jedermann – noch dazu kostenlos – eine Seite als Publikationsplattform im Internet
einrichten, zum Beispiel als Gratis-Blog bei wordpress.com. Auf der anderen Seite können
professionelle Kommunikatoren über die sozialen Kanäle des Internet Zielgruppen erreichen,
zu denen sie zuvor keinen Zugang hatten – oder ihn nur mit erheblichem Aufwand schaffen
konnten. Aber bedeutet das auch, dass die herkömmlichen Aufgaben des Journalismus
ausgedient haben?
Während die Profis zunehmend ihre Chance nutzen (wie wir noch sehen werden,
international sehr unterschiedlich), hat im Bereich der Jedermann-Publikationen das Thema
Militär und Sicherheitspolitik nach einem kurzen Höhepunkt im ersten Jahrzehnt dieses
Jahrhunderts deutlich an Schwung und Reichweite verloren. In den USA hatten vor allem in
den ersten Jahren des Irak-Krieges ab 2003 einige Blogger von sich reden gemacht, die aus
ihrem Kriegsalltag berichteten. Blogs wurden als Bestandteil der öffentlichen Meinung vom
US-Militär und vom Pentagon anerkannt, hochrangige Generale luden zu Blogger
roundtables ein, bei denen sie den Autoren in gleicher Weise wie professionellen Journalisten
der anerkannten Medien Rede und Antwort standen.
Das ist Geschichte. Ein einst hochgelobtes Blog wie Wings over Iraq 3 besteht inzwischen praktisch
nur noch aus Links auf Berichte anderer Webseiten. Vor allem aber: der Domain-Name
milblogging.com, unter dem einst eine Übersicht über die blühende Blogger-Szene unter den
Angehörigen der amerikanischen Streitkräfte zu finden war, steht inzwischen zum Verkauf.4
Pressekonferenz mit Admiral
Giampaolo Di Paola, Vorsitzender
des NATO-Military Committee im
Mai 2011 in Brüssel.
Foto: NATO Photo Gallery
Allerdings gibt es in den USA, in deutlichem Unterschied zu Deutschland, eine
ausgewachsene Kultur der außen- und sicherheitspolitischen Berichterstattung in den
traditionellen Medien, sowohl gedruckt als auch im Internet. Angefangen bei der Zeitschrift
Foreign Policy über regelmäßige Berichterstattung in den Leitmedien wie New York Times
oder Washington Post, oder selbst in Publikationen, die einen ganz anderen Schwerpunkt
haben: Das lange Porträt, das dem US-General und ISAF-Kommandeur Stanley McChristal zum
Verhängnis wurde, erschien ausgerechnet im Rolling Stone.
3
4
http://wingsoveriraq.com/
http://www.milblogging.com/
2
Sicherheitspolitische Kommunikationskultur in Deutschland
In Deutschland hatte sich dagegen eine solche alternative Publikationskultur in der
Sicherheitspolitik ohnehin gar nicht erst richtig entwickelt. Das Bundesministerium der
Verteidigung gab erst Mitte 2012 eine „Empfehlung für einen sicheren Umgang“ mit sozialen
Medien für Bundeswehrangehörige heraus 5. Die überarbeitete Form, nun Social Media
Guidelines genannt, wurde zuletzt im Januar 2014 auf der Bundeswehr-Webseite
veröffentlicht 6. Doch in den Jahren zuvor herrschte, trotz Zusicherungen aus dem
Ministerium, jeder Soldat könne natürlich auch aktiv Blogs und soziale Medien nutzen, ein
großer Graubereich.
Bundeswehrangehörige mussten immer damit rechnen, bei ihren öffentlichen Äußerungen
im Internet den Paragrafen 14 des Soldatengesetzes vorgehalten zu bekommen: „Der Soldat
hat, auch nach seinem Ausscheiden aus dem Wehrdienst, über die ihm bei oder bei
Gelegenheit seiner dienstlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Angelegenheiten
Verschwiegenheit zu bewahren.“ Darunter konnte, je nach Einschätzung eines Vorgesetzten,
so ziemlich alles fallen, was ein Soldat zum Thema Militär zu sagen hatte.
Manche Soldaten bekamen das auch praktisch zu spüren. Zum Beispiel der
Hubschrauberpilot, der in seinem CH53-Blog den so genannten Fähigkeitstransfer der CH53Helikopter vom Heer zur Luftwaffe kritisch begleitete. Mehr als einmal nahm der Offizier
Einträge von seiner Webseite mit Hinweisen, wie dem vom Januar 2012: „Es gibt zurzeit
Irritationen bezüglich dieses Blogs. Bis zur hoffentlich baldigen Klärung wurden einige
Inhalte aus dem Blog entfernt.“
Im Juni 2013 meldete sich der Autor ab ins Zivilleben: „Seit Mai bin ich kein aktiver Soldat
mehr und werde mich in der zweiten Hälfte meines Erwerbslebens umorientieren. Meine
Meinung als Staatsbürger (in Uniform) habe ich unter anderem mit diesem Blog öffentlich
vertreten. Insofern dürfte es die wenigsten überraschen, dass ich für mich in der reformierten
Bundeswehr keine Zukunft gesehen habe.“ Die Webseite ist inzwischen offline und unter der
ursprünglichen Adresse nicht mehr zu finden; allerdings sind einige Seiten – und auch der
Abschieds-Eintrag – über das Internet-Archiv archive.org noch nachzulesen 7.
Fehlende Blog- Kultur in der Bundeswehr
Die Unsicherheit im Umgang mit eigenen Publikationen dürfte der entscheidende Grund sein,
dass sich in der Bundeswehr nie wie insbesondere in den USA eine nennenswerte eigene
Blog-Kultur im militärischen Bereich herausgebildet hat. Statt dessen nutzen auch deutsche
Soldaten seit Ende des vergangenen Jahrzehnts zunehmend die Möglichkeit vor allem des
5
http://augengeradeaus.net/2012/05/wenn-­‐moglich-­‐auch-­‐mit-­‐humor-­‐die-­‐social-­‐media-­‐guidelines-­‐der-­‐
bundeswehr/ 6
http://www.bundeswehr.de/portal/a/bwde/!ut/p/c4/NYq7DoMwEAT_yIcRSgQdyBRpUqRJoDuwhU7yA52O0
OTjYxfsSlPsLMyQG_FLGwqliB4-­‐MK3ULadaTutUOLxQcJYQ3uWapzVFJ4XiolDmxiiJ1Z5YfDEHczaKLEyVNoO-­‐
V1f0rx1nUz_b5mYewwv2EPo_e5MzKQ!!/
7
https://web.archive.org/web/20130731145130/http://www.ch53blog.com/
3
sozialen Netzwerks Facebook, um über eigene Erlebnisse zu berichten. In der Regel tun sie
das allerdings, ohne dass eine größere Öffentlichkeit über ihren Freundeskreis hinaus davon
Notiz nimmt. Wenn Facebook-Seiten bekannt wurden, dann eher deshalb, weil die Autoren
schon auf anderem Wege öffentliches Interesse erregt hatten. Das gilt vor allem für
Buchautoren wie Robert Sedlatzek-Müller (Soldatenglück – Mein Leben nach dem Überleben)
oder Johannes Clair (Vier Tage im November). Ihre Facebook-Präsenz ist damit ihrem
professionellen Auftritt als Autor zuzurechnen und wird nicht als eine der unzähligen Seiten
von Privatpersonen wahrgenommen.
Pressestatement von
Bundesministerin der Verteidigung,
Ursula von der Leyen, im März 2014
bei Active Fence Turkey in
Kahramanmaras.
Foto: Bundeswehr/Müller
Neue Formate
Neben den – in Zahl und Bedeutung deutlich zurückgegangenen – MilBlogs von Soldaten hat
allerdings in den vergangenen Jahren eine andere Sorte von Blogs und Social-MediaWebseiten deutlich zugenommen, die sich mit Militär und Sicherheitspolitik befassen. Das gilt
wiederum in erster Linie für die USA: Betreiber sind in erster Linie Wissenschaftler, (nichtmilitärische) Institutionen und Zeitungen oder Zeitschriften. Als ergänzende Medien
bedienen diese Webseiten das Bedürfnis nach Informationen über diesen Bereich, ohne wie
die so genannten Fachmedien vor allem Industrie orientiert zu arbeiten.
Typische Beispiele für solche meist von mehreren Autoren betriebenen Seiten sind das Small
Wars Journal 8, das Long War Journal 9 oder das auf maritime Sicherheit fokussierte Blog
Information Dissemination 10 ebenso wie das Blog des U.S. Naval Institute 11 in den USA.
Ebenfalls in englischer Sprache, aber aus London publizieren die akademisch geprägten Kings
of War12 des Department of War Studies am King's College und das Military Balance Blog 13
des International Institute for Strategic Studies (IISS).
Journalistisch orientierte Blogs zu diesem Thema sind meist Ableger existierender Zeitungen
8
http://smallwarsjournal.com/
http://www.longwarjournal.org
10
http://www.informationdissemination.net/
11
http://blog.usni.org/
12
http://kingsofwar.org.uk/
13
https://www.iiss.org/en/militarybalanceblog
9
4
oder Zeitschriften, wie der Checkpoint der Washington Post 14 , das Blog At War der New
York Times 15 und der Danger Room 16 des Magazins WIRED.
Online- Angebote in Deutschland
Im deutschsprachigen Bereich sieht es mit ähnlich spezialisierten Angeboten dagegen recht
dünn aus. Zur Sicherheitspolitik haben weder Medien noch Institutionen etwas Ähnliches wie
das Blog des Naval Institute oder des IISS aufgelegt. Wenn solche Projekte gestartet wurden,
haben sie in der Regel ein deutlich breiteres Spektrum, zum Beispiel die Außenpolitik
insgesamt oder maritime Themen jenseits des Militärischen hinaus, wie das Blog Meer
verstehen17 des Deutschen Maritimen Instituts. Oder sie sind, wie die Webseiten der Stiftung
Wissenschaft und Politik18 und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP)19 ,
ins Internet ausgelagerte Instrumente zur Veröffentlichung. Sie dienen kaum dem Dialog mit
dem Leser, der soziale Medien auszeichnet.
Wenn man die Angebote der Streitkräfte nicht berücksichtigt, gibt es damit im eigentlichen
Bereich des Militärischen und der Sicherheitspolitik in den deutschsprachigen Ländern noch
nicht einmal eine Handvoll auf solche Themen fokussierter Webseiten. Neben dem Blog des
Autors, Augen geradeaus!20 sind Seidlers Sicherheitspolitik des Doktoranden Felix Seidler21,
das Sicherheitspolitik-Blog Frankfurter Wissenschaftler22 und das auf sicherheitspolitische
Kommunikation zentrierte Bendler-Blog 23 aktiv. Das Schweizer Blog Offiziere CH 24 legt zwar
auch einen Schwerpunkt auf Sicherheitspolitik in Europa, übernimmt aber zu einem großen
Teil englischsprachige Einträge von US-Webseiten und -Autoren.
Screenshot des Bendler Blogs
http://bendler-blog.de/
14
http://www.washingtonpost.com/news/checkpoint/
http://atwar.blogs.nytimes.com/?_r=0
16
http://www.wired.com/category/dangerroom
17
http://meerverstehen.net
18
http://www.swp-­‐berlin.org
19
https://dgap.org
20
http://augengeradeaus.net/
21
http://www.seidlers-­‐sicherheitspolitik.net
22
http://www.sicherheitspolitik-­‐blog.de
23
http://bendler-­‐blog.de/
24
http://offiziere.ch
15
5
In Deutschland wurden in den vergangenen Jahren einige weitere Versuche für
sicherheitspolitische Blogs gestartet, von ihren Autoren aber wieder aufgegeben. Eine
wichtige Rolle spielten dabei offensichtlich Zeitgründe. Ein kontinuierlicher Betrieb einer
solchen Special-Interest-Webseite ist auf Dauer nur professionell zu gewährleisten, am
ehesten mit einer Institution oder einem Verlag im Rücken. Eine Ausnahme ist die Webseite
des früheren Grünen-Bundestagsabgeordneten Winfried Nachtwei 25. Doch die gibt es nur
deshalb noch, weil der ehemalige Verteidigungspolitiker sein großes persönliches
Engagement auch nach dem Ausscheiden aus dem Parlament fortsetzte. Und auch Nachtwei
ist mit einer zwar ständig aktualisierten, aber dennoch statischen Webseite präsent, nicht im
Sinne eines sozialen Netzwerks.
Die Relevanz von Twitter
Rückgang bei militärischen Blogs, kaum spezialisierte deutsche Webseiten: Ist die rasante
Zunahme digitaler Kommunikationskanäle an Sicherheitspolitik, Militär und Konflikten
vorbeigegangen? International gesehen ist das Gegenteil der Fall. Vor allem der
Kurznachrichtendienst Twitter hat sich auf diesem Feld, wie in anderen Bereichen auch, als
das inzwischen schnellste und einflussreichste Medium durchgesetzt.
Das wird schon an dem Aufwand deutlich, den staatliche Akteure betreiben, um über Twitter
eine möglichst weite Verbreitung ihrer Nachrichten zu erreichen. Beispielhaft vorexerziert
haben das die israelischen Streitkräfte. Schon bei ihrer Operation gegen die Hamas im GazaStreifen 2012 flankierten die Israeli Defense Forces (IDF) ihr militärisches Vorgehen mit einer bis
dahin beispiellosen Social-Media-Kampagne. Der Beginn der Operation, ein Drohnenangriff auf
den militärischen Hamas-Führer Ahmed al-Jabari, wurde als Video nur wenige Stunden später
auf dem Video-Portal Youtube veröffentlicht26 . Wichtigstes Medium für die Informationspolitik
wurde jedoch in jenen Tagen der Kurznachrichtendienst, in dem die IDF in hohem Tempo ihre
Lagemeldungen in englischer Sprache veröffentlichte. Die Al-Qassam-Brigade der Hamas
versuchte – ebenfalls in englischer Sprache – mit einem eilends eröffneten Twitter-Account
dagegenzuhalten, kam aber gegen die informative Übermacht der Israelis nicht an27 .
Dass die IDF – und inzwischen auch andere Streitkräfte, staatliche Akteure, aber auch
Interessengruppen bis hin zu bewaffneten Gruppen wie den Taliban – auf Twitter als
Nachrichten-Netzwerk setzen, überrascht nicht. Denn für viele Journalisten und Redaktionen
im internationalen Nachrichtengeschäft ist der Kurznachrichtendienst inzwischen eine der
wichtigsten Informationsquellen. Das gilt sowohl für das Sammeln als auch für das Verbreiten
von Informationen: Etliche Entscheidungsträger, oft Politiker in Regierungsfunktionen, haben
Twitter als schnellsten Weg in die Öffentlichkeit entdeckt, und zudem als einen, der sie von
den Redaktionen der Medien unabhängig macht.
Ob bewusst lancierte militärische Absichten oder politische Projekte: Auch Journalisten nehmen
die Informationen auf, die auf diesem Wege verbreitet werden, zumal der Weg über einen Tweet
oft deutlich schneller ist als über eine Pressemitteilung, die durch herkömmliche Kontroll- und
25
http://nachtwei.de
http://youtu.be/P6U2ZQ0EhN4
27
Eine Zusammenstellung von Tweets beider Seiten vom 14. und 15. November 2012 findet sich unter https://storify.com/thomas_wiegold/livetweeting-­‐war-­‐israel-­‐and-­‐hamas.
26
6
Distributionskanäle laufen muss. Ein Beispiel dafür lieferte der damalige NATO-Oberbefehlshaber
James Stavridis beim Libyen-Einsatz des Bündnisses 2011. Am 21. Oktober teilte Stavridis lapidar
mit, dass er dem Nordatlantikrat empfehlen werde, die Luftangriffe auf Ziele in dem
nordafrikanischen Land zu beenden, und nutzte dafür seinen Twitter-Account und seine
Facebook-Präsenz, auf denen ihm Zehntausende folgten: „An extraordinary 24 hours in Libya. As
SACEUR, I will be recommending conclusion of this mission to the North Atlantic Council of NATO
in a few hours.” Die Nachricht war weltweit verbreitet, noch ehe die Botschafter der NATOMitgliedsstaaten im Rat offiziell davon erfahren hatten.
Unter Spitzenmilitärs war und ist der inzwischen pensionierte US-Admiral allerdings ebenso
eine Ausnahme wie die israelische Armee. So social-media-affin wie Stavridis geben sich die
traditionellen Hierarchien von Streitkräften selten, selbst wenn sie soziale Netzwerke für ihre
Zwecke nutzen: Zu viele Zuständigkeitsstufen verhindern in den meisten Fällen die schnelle
und spontane Nutzung.
Umgang mit digitalen Medien in Konflikten
Nicht-staatliche Gruppierungen tun sich damit naturgemäß leichter, und ihre Meldungen
bestimmen oft den Takt der Nachrichten aus einem Konfliktgebiet. Hochgradig professionell
machte sich der so genannte Islamische Staat die Mechanismen der zum Teil von sozialen
Netzwerken getriebenen Medienwelt zunutze: Seine gezielt produzierten und eingesetzten
Videos, von gloriosen Aufmarschbildern der Terrormiliz bis hin zu den inszenierten
Enthauptungen westlicher Geiseln, sorgten für einen Propagandaerfolg nach dem anderen.
Perception is reality, Wahrnehmung bestimmt die Realität, ist ein Punkt in Konflikten und
Krisen in aller Welt, die längst nicht mehr alleine mit Kalaschnikows und den
allgegenwärtigen RPG-7-Panzerfäusten ausgetragen werden, sondern ebenso mit Tweets und
verwackelten Handy-Videos.
Für Journalisten hat damit eine uralte Aufgabe, die schon immer zum Beruf gehörte, neue
Bedeutung bekommen: Die Verifizierung und Bewertung von Quellen. Allein die Vielzahl der
Informationen, die über die Masse der sozialen Netzwerke im Internet verfügbar ist, macht
eine Filterung schwierig. Herauszufinden, ob eine verbreitete Information zutrifft oder
schlicht falsch ist – sei es aus Unkenntnis, Irrtum oder als bewusst verbreitete PropagandaLüge –, wird zu einer zunehmend wichtigeren, aber auch schwierigeren Aufgabe.
Der müssen sich vor allem die Medien stellen, die mit bewegten Bildern arbeiten. Und das ist
ja längst nicht mehr nur das Fernsehen. Ob ZDF oder Spiegel Online, bei allen Redaktionen,
die Videos verbreiten, gehört die penible Untersuchung von Filmen aus kriegerischen
Auseinandersetzungen inzwischen zum Tagesgeschäft. Gerade aus dem syrisch-irakischen
Kriegsgebiet, aber auch aus der Ukraine landen täglich zahllose Videos auf den einschlägigen
Portalen, von denen Youtube das bekannteste, aber bei weitem nicht das einzige ist. Oft hilft
nur der sorgfältige Vergleich von Bildhintergründen mit anderen, bereits verifizierten
Veröffentlichungen weiter, um das Bildmaterial einordnen und bewerten zu können.
Auch international gibt es Rechercheverbünde und lose Zusammenschlüsse von Journalisten,
die sich über Informationen und Veröffentlichungen austauschen, um Fälschungen und
Fehler rechtzeitig zu erkennen. Ein Außenseiter wie der Brite Elliot Higgins, bekannt unter
seinem Arbeitsnamen Brown Moses, baute sich über Jahre Kompetenz in der Beurteilung von
7
offenen Quellen aus dem syrischen Bürgerkrieg auf: Obwohl weder Journalist noch
Landeskenner, wurde er zum Experten in der Identifizierung von Waffensystemen, die auf
den zahlreichen Videos aus der Konfliktregion zu sehen waren. So konnte er beispielsweise
Waffenlieferungen aus Kroatien an die syrischen Rebellen nachweisen.
Bundesverteidigungsministerin
Ursula von der Leyen vor der
Bundespressekonferenz in Berlin.
Foto: Bundeswehr/Sebastian Wilke
Mit dem im Herbst 2014 gestartete Projekt Bellingcat 28 kombinierte er seine Prinzipien der
Open Source-Faktensammlung mit den Möglichkeiten des Crowdsourcing, des Kombinierens
von Fakten, die von vielen Personen zusammengetragen werden, um so die Zahl der
Informationen, die zu einer Bewertung herangezogen werden, deutlich zu erhöhen.
Aufsehen erregendes Beispiel war im November 2014 die Sammlung der Belege dafür, dass
das BUK-Raketensystem, mit dem vermutlich der Flug MH17 über der Ukraine abgeschossen
wurde, von Russland an die Separatisten in der Ostukraine geliefert wurde29.
Journalistische Herausforderungen: Prüfen und Bewerten
Das Prüfen von Quellen und Informationen, das Bewerten von Fakten ist einer der wesentlichen
Gründe, warum Journalisten und Redaktionen auch und gerade bei explosionsartiger Vermehrung
von Informationsquellen durch die Digitalisierung ihre Funktion nicht verloren haben und auf lange
Sicht nicht verlieren werden. Allein die Menge an verfügbaren Informationen ist für einen normalen
Leser in der Regel kaum zu bewältigen, geschweige denn einzuordnen.
Die Frage ist allerdings nicht, ob diese Informationsflut kanalisiert wird, sondern durch wen.
In sozialen Netzwerken, vor allem beim Platzhirsch Facebook, treten Algorithmen und die
Empfehlungen von Freunden und Bekannten an die Stelle einer professionellen Auswahl.
Schon die Nachrichten von Freunden, auf deren Facebook-Mitteilungen man längere Zeit
nicht reagiert hat, werden einem Nutzer nicht mehr angezeigt. Und echte Nachrichten, die
nicht mit einem „Gefällt mir“ geklickt oder weitergeleitet (im Jargon der sozialen Medien:
geteilt) wurden, schon gar nicht.
Die Digitalisierung schafft damit theoretisch für jeden Nutzer, der früher Leser hieß, die
Möglichkeit, auf alle verfügbaren Informationen ungefiltert zuzugreifen, und zugleich auch
die Möglichkeit, sich von dieser Informationsflut abzuschirmen. Für Journalisten, die ihre
Zielgruppe erreichen wollen, wird es deshalb von entscheidender Bedeutung sein, in diese
28
29
https://www.bellingcat.com
https://www.bellingcat.com/wp-­‐content/uploads/2014/11/bellingcat_-­‐_bericht.pdf
8
Filterblase einzudringen. Auf Erfolg können sie nur hoffen, wenn sie zumindest die Medien
und Netzwerke nutzen, die ihre Zielgruppe auch nutzt.
Noch mal zurück zum anfangs genannten Beispiel der Süddeutschen Zeitung: Neben der Welt
der gedruckten Blätter hat sich schon längst ein digitales Nachrichten-Universum etabliert.
Die so genannten Entscheider vor allem in der Politik nähern sich diesem „Neuland“ nur
langsam an. Ihre Filterblase ist mindestens so undurchlässig wie die eines ausschließlichen
Facebook-Nutzers. Nur kleiner. Eine Herausforderung, aber auch eine Chance für den
Journalismus ist es, diese Welten zu verbinden.
Autor
Thomas Wiegold, Jahrgang 1960, ist Journalist mit dem Schwerpunkt internationale
Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, Militär und Bundeswehr und Betreiber des
sicherheitspolitischen Webblogs „Augen geradeaus!“
Literatur
Daniel Giese, Militärische Führung im Internetzeitalter: Die Bedeutung von Strategischer
Kommunikation und Social Media für Entscheidungsprozesse, ... und Empfehlungen für eine
Armee im Einsatz, Berlin 2014
Leif Kramp et. al. (Hrsg.), Journalismus in der digitalen Moderne. Einsichten – Ansichten –
Aussichten, Wiesbaden 2013.
Hans-Joachim Reeb, Innere Führung im Zeitalter der neuen Informations- und
Kommunikationsmedien. In: Uwe Hartmann, Claus von Rosen (Hrsg.): Jahrbuch Innere
Führung 2014. Drohnen, Roboter und Cyborgs – Der Soldat im Angesicht neuer
Militärtechnologien, Berlin 2014, S. 166-181
Johanna Roering, Krieg bloggen - Soldatische Kriegsberichterstattung in digitalen Medien,
Bielefeld 2012
Hinweise
http://augengeradeaus.net/
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