Der Glaube, dass Lebendiges aus dem Nichts, also spontan

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Der Glaube, dass Lebendiges aus dem Nichts, also spontan
Beate Fricke
Schaumgeburten
Zur Topologie der creatio ex nihilo bei Albrecht Dürer
und ihre Vorgeschichte
Der Glaube, dass Lebendiges aus dem Nichts, also spontan entstehen kann, ist erst
nach der Mitte des 19. Jahrhunderts von Louis Pasteur begraben worden.1 Bis zu
diesem Moment spielte die Auffassung von einem wirkmächtigen Gott oder einer
natura naturans eine zentrale Rolle für das Selbstverständnis der Menschen, nicht
nur der schöpferisch Tätigen.2 Nicht so in der Kunst: Hier lebt die Vorstellung
an einen wahrhaft originären Künstler im Rahmen der Genie-Debatten bis ins
20. Jahrhundert weiter.3 Welche Bedeutung hatte diese Analogie der Entstehung
von Leben und der Entstehung von Ideen in Wissenschaft und Kunst? Für wen
1
Latour, Bruno: »Von der Fabrikation zur Realität. Pasteur und sein Milchsäureferment«,
in: Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft, übers. von Gustav
Rossler, Frankfurt/M. 2000, S. 151ff. Zur Gedankenfigur des Wissenschaftlers als Fetischisten
versus Künstler vgl. ebd., S. 164f.
2 Zentral hierfür ist Blumenberg, Hans: »Nachahmung der Natur. Zur Vorgeschichte der
Idee des schöpferischen Menschen«, in: Studium Generale, 1957, 10, S. 266–283, hier zit. n.
ders.: Ästhetische und metaphorologische Schriften, Auswahl und Nachwort von Anselm Haverkamp,
Frankfurt/M. 2001, S. 9–46. Für einen Überblick vgl. von Hofsten, Nils: »Ideas of Creation and
Spontaneous Generation prior to Darwin«, in: Isis, 1936, 25, S. 80–94. Nicht berühren werde
ich die Dichotomie vom Ausstellen und Verbergen der Geschlechtlichkeit und ihre Bedeutung
für die Geschichte der Sexualität im Sinne Foucaults. Vgl. Steinberg, Leo: The Sexuality of Christ
in Renaissance Art and Modern Oblivion, New York 1983; Davidson, Arnold I.: »Sex and the
Emergence of Sexuality«, in: Critical Inquiry, Herbst 1987, 14, S. 16–48. Carolyn Merchant hat
in The Death of Nature entgegen Foucault argumentiert, dass auch die Vorstellungen von Makround Mikrokosmos mit den Unterschieden der Geschlechter verbunden worden sind, vgl. Merchant, Carolyn: The Death of Nature. Women, ecology and the scientific revolution, New York 1980,
und Crowther-Heyck, Kathleen: »Be Fruitful and Multiply: Genesis and Generation in Reformation Germany«, in: Renaissance Quarterly, 2002, 55, S. 904–935, bes. S. 920.
3 Vgl. Emison, Patricia A.: Creating the ›Divine‹ Artist. From Dante to Michelangelo, Leiden u.a.
2004.
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und wofür war der Glaube an die Zeugung aus dem Nichts eigentlich so wichtig?
Diese Fragen führen zur zentralen Überlegung dieses Beitrages: Gibt es eine Topologie der creatio ex nihilo?
Hierfür wird zunächst der Topos der creatio ex nihilo in der Exegese der Kirchenväter vorgestellt (I.). Das erste Bildbeispiel, die Inszenierung einer Marienfigur als jungfräulich empfangene, schaumgeborene Perle in einem fatimidischen
Kapitellfragment aus Bergkristall, führt vor Augen, wie im 13. Jahrhundert Referenzen auf diese literarische und exegetische Tradition in der Schatzkunst umgesetzt wurden (II.). Für die Diskussion der komplementär gewählten Bildbeispiele,
die am Ausgang des Mittelalters entstanden sind, steht weniger die Auslegung des
Wortlautes als vielmehr die Frage im Vordergrund, ob für die Visualisierung von
bis dato Undargestelltem bzw. von wunderbaren Kreaturen eigene Darstellungsmodi oder spezifische Orte gewählt oder einschlägige Orte neu definiert wurden.
Das hierfür relevante Verhältnis von idea und forma hat sich im Hinblick auf den
künstlerischen Schöpfungsakt seit dem 13. Jahrhundert entscheidend verändert,
wie sich am Beispiel von Dürers Selbstaussagen zum Schaffensprozess demonstrieren lässt (III.). Die Analyse der Wellenlinie, der Inszenierung ihres Umschlagens
am Ufer und ihrer Topologie am Beispiel zweier Blätter von Albrecht Dürer,
dem Meerwunder (IV.) und der Nemesis (V.), legt dar, wie Kreaturen von Dürer
im Bild umgesetzt wurden, die nicht in der Wirklichkeit existieren und seit der
Antike nur ausgesprochen selten dargestellt wurden. Dürer musste oder konnte
in diesen Fällen aus dem Nichts schöpfen und neue Darstellungsmodi erfinden.
Dabei geht es nicht darum, die Identität von Dürers Kreaturen neu zu diskutieren, sondern es wird nach dem Ort und den Bildmodi gefragt, die Dürer für seine
Neuschöpfungen wählte. Die These ist, dass die Zone des Liminalen wie beispielsweise das Ufer, also Grenzen, an denen sich zwei Elemente begegnen, für
eine solche Neuschöpfung ein besonders geeigneter Topos ist. Das Kräuseln der
Oberfläche, Wellen und Wolkenbänder erweisen sich als implizite Referenzen
auf den Schöpfungsakt. Den Abschluss bildet ein Ausblick auf die Rezeption der
Nemesis in der Frühen Neuzeit.
I.
Der Ausdruck creatio ex nihilo klingt, zumindest für Theologen, in erster Linie
nach Martin Luther, der seine berühmte Genesis-Schrift so betitelte. Seit wann
jedoch entfaltete der Ausdruck creatio ex nihilo im Nachdenken über die Entstehung von Leben bzw. Lebendigkeit seine Wirksamkeit? Er kommt bereits in der
Makkabäer-Geschichte vor (2 Mak 7,28) und spielt in der hellenistisch-jüdischen
Theologie (Philo) ebenso eine Rolle wie im rabbinischen Judentum und bei frühen christlichen Autoren (Aristides). Dabei handelt es sich nicht um eine For34
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mulierung eines ontologischen Prinzips, das im expliziten Gegensatz zu antiken
Schöpfungsideen stünde,4 sondern um eine kosmologische Vorstellung.
Seit Augustinus war für Christen die creatio ex nihilo in Entstehungsgeschichten zum Topos geworden. Meistens war sie negativ konnotiert: Von Fröschen
und Fliegen etc. glaubte man, sie wären erst nach der Sintflut aus dem Nichts
entstanden, bevorzugt im feuchten Schlamm. Es habe für sie keine göttliche Idee
gegeben, nach deren Vorbild ihnen eine irdische Form verliehen worden sei.
Ihre Entstehung, mal mit mehr, mal mit weniger teuflischer Beihilfe, und damit
auch die Herkunft ihrer »Idee« blieb den Gelehrten jedoch lange Zeit ein Rätsel.5
Der Heilige Basilius betonte den schöpferischen Eigenanteil der Natur, indem er
Erde und Wasser zwar als von Gott geschaffen beschrieb, dann aber deren eigene
Fruchtbarkeit hervorhob.6 Im Schlamm und in den Mooren bleibe das Wasser
nicht rein, sondern bringe Frösche, Ziegen und Fliegen hervor. Besonders bei
schlechtem Wetter entstünden Grashüpfer und allerlei winzige Insekten, so war
er sich gewiss.7 Für Augustinus waren diese Erklärungen ihrer Entstehung aus
den Grauzonen des Nichts bereits suspekt: Er betonte die Rolle der Veinigung
der beiden Geschlechter bei der Belebung von Erde und Gewässern. Interessanterweise verband er dabei die gegensätzlichen Konzepte von Sexualität und generatio spontanea, indem er die Unterschiede der göttlichen und der natürlichen
Urheberschaft hervorhob. Die göttliche Schöpferkraft zeuge originell, die natürliche Vereinigung folge hingegen der göttlichen Vorsehung: Zwar auf mimetische Weise, aber eigentlich dem unoriginellen Triebprinzip folgend, bevölkere
die Natur Land und Wasser mit weiteren, dem Urpaar gleichenden Tieren und
Menschen.
In den Schöpfungsgeschichten von der Entstehung der Welt und ihrer Bewohner ereignen sich originelle Zeugungen vor allem an Orten, die man nicht
bis ins Letzte durchdringen kann: an den Grenzen der wahrgenommenen Welt.
May, Gerhard: Schöpfung aus dem Nichts. Die Entstehung der Lehre von der ›creatio ex nihilo‹,
Berlin-New York 1978, bes. S. 1–39.
5 Bei der systematischen Erfassung der Natur in den ersten Enzyklopädien und Naturgeschichten der Neuzeit entstand die Kategorie der Paradoxa. Zu ihnen zählen noch bis Scheuchzer Fabelwesen, halb Mensch halb Tier, Mischwesen wie die skythischen Lämmer (halb Tier,
halb Pflanze) werden mit der systematischen Erforschung der Natur an den Rand des bekannten
Kosmos gedrängt. Zu den beiden Wunderbegriffen Scheuchzers vgl. Michel, Paul: »FroschRegen. Metereologie – Exegese – Ikonographie«, in: Daphnis, 1998, 27, S. 203–229.
6 Basilius: Homilien über das Hexameron (Homiliae in Hexameron), 7. Homilie: »Auch das Meer
öffnete seinen Schoß zur Erzeugung aller Arten von schwimmenden Tieren; nicht einmal das
Wasser in Tümpeln und Sümpfen blieb müßig und teilnahmslos bei der Vollendung der Schöpfung: Frösche, Schnaken und Mücken schlüpften ja in Masse daraus hervor. Was nämlich jetzt
noch zu sehen ist, ist ein Beweis für das Vergangene. So hatte es jedes Wasser eilig, dem schöpferischen Befehl nachzukommen« (Des heiligen Kirchenlehrers Basilius des Großen ausgewählte Schriften, übers. von Anton Stegmann, Kempten-München 1925, Bd. 2, S. 110).
7 Vgl. Michel, Frosch-Regen (wie Anm. 5).
4
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Dabei handelt es sich um Orte, an denen sich teuflische Mächte verbergen, dort
hausen oder kreativ werden können: so z.B. im Schlamm, im Nebel oder eben
im Meer. Das Meer, das nicht nur von Pausanias aufgrund seiner salzigen Natur
eigentlich als lebensfeindlich beurteilt wurde, spielt in der Geschichte der Genesisvorstellungen eine erstaunlich fruchtbare Rolle.8 Besonders bizarre Blüten trieb
etwa das Nachdenken über die Entstehungsgeschichte der Weißwangengans. Sie
ist ein Zugvogel, von dem man bereits vor der Jahrtausendwende und noch bis ins
17. Jahrhundert glaubte, dass er aus faulendem Tannenholz entsteht, das im Meer
herumschwimmt. Junge Weißwangengänse wären zunächst fest mit dem Holzbrocken verwachsen und würden, um freier wachsen zu können, von einer Muschel umhüllt. In ihr verschlossen wüchsen den Weißwangengänsen die Federn,
mit denen sie sich dann aus dem Wasser in die Lüfte schwingen.9 Darüber hinaus
spuckte das Meer in zahlreichen mittelalterlichen Mirakelberichten nicht nur eine
Reihe von Marienbildern auf wunderbare Weise ans Land,10 sondern bereits in
der Antike entstiegen Venus und zahlreiche ihrer Nachfahren seinen Fluten und
galten als »Schaumgeborene«, so der Wortlaut im Geburtsmythos von Venus.
Die antike Erzählung von der Geburt der Venus liest sich wie eine postmoderne Mogelpackung, bei der eine Schachtel in der nächsten verborgen liegt,
eine Zeugung aus sich heraus die nächste bedingt: Gaia, die Erde, gebar aus sich
heraus Himmel und Meer (d.h. Uranos und Pontos, die Salzflut). Vom Himmel
schwanger, erzeugte sie den Ozean, und bevölkerte ihn sogleich mit den Titanen
und Titanninen, zuletzt mit Kronos. Dieser Titan spielt dann eine Heldenrolle als
Vatermörder, denn Uranos drängte die Titanen immer wieder in den Leib der
Erde zurück. Um den Dauerschmerzen seiner Mutter durch diese gewaltsamen
Wiedereinleibungen ein Ende zu setzen, bewaffnete sich ihr Sohn Kronos mit
dem von Gaia hierfür erzeugten Stahl und entmannte den eigenen Vater, wäh-
8 Pausanias: Beschreibung Griechenlands, II, 32, 8: »Denn Poseidon soll ihnen gezürnt und ihr
Land unfruchtbar gemacht haben, indem das Meerwasser bis zu den Samen und den Wurzeln
der Pflanzen gelangte, bis er ihren Opfern und Gebeten nachgab und das Meer nicht mehr ins
Land ließ« (Pausanias: Beschreibung Griechenlands, Auswahl, Übers. und Nachwort von Jacques
Laager, Zürich 1998, S. 146).
9 Dank an Dieter Bitterli. Die wichtigste Literatur zur Legende von der Barnikelgans (eigentlich Nonnen- oder Weißwangengans; engl. barnacle goose) ist noch immer: Heron-Allen, Edward: Barnacles in Nature and Myth, London 1928; Müller, Friedrich Max: Lectures on the Science
of Language, 2 Bde., 7. Ausg., London 1873 (1861/1864), hier Bd. 2, S. 583–604, sowie Arm­
strong, Edward Allworthy: The Folklore of Birds. An Enquiry into the Origin and Distribution of Some
Magico-Religious Traditions, 2. Ausg., New York 1970 (1958); Donoghue, Daniel: »An Answer
for Exeter Book Riddle 74«, in: Baker, Peter Stuart/Howe, Nicholas (Hg.): Words and Works.
Studies in Medieval English Language and Literature in Honour of Fred C. Robinson, Toronto 1998,
S. 45–58, sowie demnächst die Habilitationsschrift von Dieter Bitterli.
10 Bacci, Michele: »Portolano sacro: santuario e immagini sacre lungo le rotte di navigazione
del Mediterraneo tra tardo medioevo e prima età moderna«, in: Thunø, Erik/Wolf, Gerhard
(Hg.): The Miraculous Image. In the Late Middle Ages and Renaissance, Rom 2004, S. 223–248.
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rend dieser mit seiner Mutter schlief. Die blutigen Tropfen aus dem abgetrennten
Glied des Vaters fielen zunächst dorthin, wo sie hingehören: geradewegs in den
mütterlichen Schoß und brachten so außer den Giganten noch eine Reihe weiterer eindrucksvoller Kreaturen hervor. Die letzten Tropfen aber ergossen sich in
die tosende Salzflut, in das Meer, und erzeugten Aphrodite:
»[…] ein weißer Ring von Schaum sich hob um das göttliche Fleisch: Da
entwuchs ihm alsbald die Jungfrau. Zunächst zur heiligen Insel Kythera
wandte sie sich und kam dann zum meerumflossenen Kypros. Hier, wo der
Flut entstiegen die ehrfurchtgebietende, schöne Himmlische, bettete Gras
ihren leichten Tritt. Aphrodite, schaumentsprossene Göttin, bekränzt mit
den Blüten Kytheras, heißt sie bei den Göttern und Menschen, sie, die aus
Aphros, dem Schaum wuchs.«11
Die Vorstellung der creatio ex nihilo verfügt jedoch nicht nur als heidnischmythisches oder teuflisches Geschehen über eine bedeutende Präsenz in Ursprungsgeschichten. Im Gegenteil, gerade die Derivate aus den Empfängnisgeschichten von Jesus und Maria, den beiden reinen Früchten des Heiligen Geistes,
nehmen in den Ursprungserzählungen einen prominenten Platz ein. Bereits
Anna, die Mutter Mariae, empfing ihre Tochter unbefleckt, so wurde es im vierten Jahrhundert als christliche Doktrin festgelegt, Maria empfing wiederum unbefleckt den Gottessohn. Schon im Hochmittelalter interpretiert man Maria als
neue, christliche Venus: Neben ihrem himmlischen Ursprung und ihrer ungewöhnlichen Zeugungsgeschichte sind die Vergleichsmomente ihre Reinheit und
Schönheit.12 Diese Verschränkung der heidnischen und christlichen Entstehungsgeschichten kommt in der Exegese und in Marienlobgedichten immer wieder
zum Ausdruck: Maria ist die göttliche Frucht des Heiligen Geistes, ihre Empfängnis war ein geistiger Akt. Die entscheidende Analogie zwischen natürlicher
und göttlicher Fruchtbarkeit besteht darin, dass beide im Akt der Zeugung und in
ihren hervorgebrachten Geschöpfen auf eine Idee, eine geistige Vorstellung, nach
der geschaffen oder gezeugt wird, verweisen.
Hesiodus, Theogonia, 188f. (Hesiod: Theogonie. Werke und Tage, hg. und übers. von Albert
von Schirnding, München 1991, S. 21).
12 Vgl. z.B. Hinz, Berthold: »Statuenliebe. Antiker Skandal und mittelalterliches Trauma«, in:
Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft, 1989, 22, S. 135–143, hier S. 139.
11
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abb. 1: »Maria im Glas«, 13. Jh., Venedig, San Marco, Schatzkammer.
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II.
Das Objekt, mit dem ich meine Überlegungen zur Topologie himmlischer und
irdischer Schöpfungsakte beginnen möchte, nimmt in seiner einzigartigen Gestaltung Bezug auf diese Analogie (Abb. 1). Das Objekt sieht auf den ersten Blick
ziemlich zusammengebastelt aus: Eine Vase aus Bergkristall ruht auf einer Krone
von Leo VI. aus dem Domschatz von San Marco in Venedig.13 In die fatimidische
Kristallvase, die an eine geöffnete Muschel erinnert, wurde – wie eine Perle – eine
kleine goldene Statuette der Gottesmutter gesetzt. Sie steht im Gestus der Orantin und trägt einen Perlennimbus. Die Perlen und die Figur rekurrieren auf den
Topos »der leuchtenden Logos-Perle im Fleisch der Muschel« bei Clemens von
Alexandrien. Friedrich Ohly hat gezeigt, dass Perlen bei Clemens als Bild für die
Inkarnation, die unbefleckte Empfängnis stehen.14 Perlen, in der Muschel empfangen und herangewachsen, wären vollkommene Früchte aus der Vereinigung
der Höhe mit der Tiefe, d.h. von Himmel und Meer.15 Die Allusionen werden
in der Maria im Glas gegeneinander ausgespielt. Maria verweist zum einen auf
Venus und deren Schaumgeburt am zypriotischen Strand.16 Zum anderen verweisen der Glanz und die durchsichtige schimmernde Materialität des Kristallglases
auf Jesus, der von Clemens von Alexandrien wie folgt beschrieben wird:
»Eine Perle ist auch der durchleuchtende und reinste Jesus, den die Jungfrau
aus dem göttlichen Blitze geboren hat. Denn wie die Perle, in Fleisch und
Muschel und Feuchtigkeit geboren, ein Körper ist, feucht und durchscheinend von Licht und voll von Pneuma, so ist auch der fleischgewordene
Gott-Logos geistiges Licht, hindurch scheinend durch (Licht und) feuchten
Körper.«17
13
Für eine umfassende Bibliographie zu diesem Objekt vgl. Hahnloser, Hans R./Polacco,
Renato (Hg.): Il tesoro di San Marco, 2 Bde., Venedig 1994, sowie den Aufsatz von Frazer, Margaret English: »Smalti e oreficeria bizantina«, ebd. Zur Herkunft der Kristallvase ausführlich
Alcouffe, Daniel: »Saggio di cronologia dei vasi antichi del tesoro di San Marco«, in: Polacco,
Renato (Hg.): Storia dell’arte marciana, Venedig 1998, S. 289–296.
14 Ohly, Friedrich: Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt 1977, S. 296, die
Belege bei Casel, Odo: »Die Perle als religiöses Symbol«, in: Benediktinische Monatsschrift, 1924,
6, S. 321–327.
15 Die Perlen des venezianischen Schatzstückes könnten auch als Referenz auf die Geschichte
von Adam interpretiert werden, der eine Perle im Schenkel trägt; vgl. Ohly, Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung (wie Anm. 14), S. 294.
16 Ebd., S. 276.
17 Clemens Alexandrinus: Niketas-Katene, hg. v. Otto Stählin und Ursula Trell, 3. Aufl., Berlin
1972 (Die griechischen Schriftsteller, 12), Bd. 1, S. 228, 5ff. Er bezieht sich hier auf das Gleichnis von der Perle im Matthäusevangelium (Mt 13,45–50): »Iterum simile est regnum caelorum
homini negotiatori quaerenti bonas margaritas. Inventa autem una pretiosa margarita, abiit, et
vendidit omnia quae habuit, et emit eam. Iterum simile est regnum caelorum sagenae missae in
mare, et ex omni genere piscium congreganti. Quam cum impleta esset, educentes, et secus littus
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Auch Form und Material tragen zur doppelten Referenz auf Maria als vasa
sacra bei: Sie ist einerseits die Gebärmutter, die Matrix, gewesen für ihren leiblichen, jedoch unbefleckt empfangenen Sohn. Andererseits verhält sie sich zu ihm
wie die undarstellbare geistige Idee zur leiblichen Form im aristotelischen Sinn.
Umgekehrt verweist die Materialität der Vase, die als ›Kristall gewordener‹ Gottlogos Licht zu verstrahlen scheint, mit ihrer Transparenz auf Christus als Weltenherrscher.18 Diese doppelten Andeutungen, also die Verweise in zwei entgegengesetzte Richtungen, können auf eine ganze Reihe von Topoi bezogen werden:
So rekurrieren sie auf den Mythos von der Heiligen Hochzeit zwischen Himmel
und Erde, auf die Liebenden des Hohenliedes im Alten Testament und auf das
Gleichnis von den Perlen bei Matthäus (»elegerunt bonos in vasa«, Mt 13, 45f.).
Die Aufzählung verdeutlicht, dass dieses Spiel des Deutens und Bedeutens unendlich fortgesetzt werden könnte. Bezieht man außerdem die große, perlenbesetzte
Votivkrone des byzantinischen Herrschers Leo VI. mit ein, eröffnet sich eine
›irdische‹ Bedeutungsschicht: Wir als Betrachter erblicken in einem Gefäß aus
›versteinertem‹ Licht die goldene Figur Mariens, die bereits im Himmel regiert,
während auf der untersten Ebene Christus in seiner irdischen Gestalt neben einem
byzantinischen Herrscher zu sehen ist.19
All diese Fundstücke sind Teil der Beute des für die Venezianer so einträglichen vierten Kreuzzuges. Sie sind nach 1209 zusammengeschmiedet worden und
werden von den Federn der Rad schlagenden vergoldeten Pfauen in der Schwebe
gehalten.20 Ihre Heterogenität schließt sich nicht über eine Idee zusammen, son-
sedentes, elgerunt bonos in vasa, malos autem foras miserunt. Sic erit in consummattione saeculi:
exibunt angeli, et separabunt malos de medio justorum. Et mittent eos in caminum ignis; ibi erit
fletus et stridor dentium.«
18 Die goldene Maria in der leuchtenden Kristallvase lässt sich auch mit den zwei Naturen
Christi in Verbindung bringen. In Worte gefasst hat das ein Prediger gegen die Häretiker über
die Jungfrauengeburt Marias: »Die Perle ist ein Stein aus Fleisch geboren, denn aus dem Schaltier kommt sie hervor. Wer kann da länger der Tatsache Glauben versagen, dass auch Gott aus
einem Leibe als Mensch geboren wurde. […] Dieser Edelstein hat an zwei Naturen teil, um auf
Christus zu weisen, der als Wort Gottes aus Maria als Mensch geboren wurde […] Kein Leib
wurde einem anderen Leib verbunden, sondern der Mensch mit der Gottheit vereint.« Vgl.
Sancti Patris Nostris Ephraem Syri opera omnia quae extant Graece, Syriace, Latine in sex tomos distributa, Rom 1743, Bd. 2, S. 259–279, hier S. 263–264; kritische Ausgabe und Übersetzung: Ephraem: Hymni de virginitate. Des Heiligen Ephraem des Syrers Hymnen De virginitate, hg. und übers.
von Edmund Beck, 2 Bde., Louvain 1962.
19 Weiter zu verfolgen wäre hier auch die Rezeption dieser Vorstellung in den jüngeren Hymnen des Marienlobs, für Beispiele vgl. Ohly, Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung (wie
Anm. 14), S. 308. Schließlich sei noch auf die Allusion der Marienfigur auf die sophia aufmerksam gemacht. Sophia ist die Königin aller Tugenden und die wichtigste Tugend des weltlichen
Herrschers. Sie thront im Rundtempel der Weisheit und erinnert auf diese Weise an die Wiedereroberung Jerusalems (vgl. die betende Maria im »persischen« Glastempel).
20 Vgl. Cassanelli, Roberto: »Furti d’arte: il Tesoro di San Marco da Bisanzio a Venezia«, in:
ders. (Hg.): Il mediterraneo e l’arte nel medioevo, Mailand 2000, S. 219–235.
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dern erzeugt ein Beziehungsgeflecht verschiedener Bedeutungsebenen. In der
Zusammenschau schließen sich die darin involvierten Ideen zum Teil sogar aus.
Die Herkunft der einzelnen Bestandteile, ihre Materialität, die Bruchstellen
und die Ziernähte, die Geste der Figuren sowie die Spiegelungen des Betrachterblickes im Glas der orientalischen Kristallarbeit fordern zu möglichen Interpretationen auf und lenken zugleich von ihnen ab. Bei der Zusammenfügung und bei
der Betrachtung des Objektes bediente sich der Goldschmied wie der Betrachter
der konventionellen Auffassung vom Bild als ikonischem Zeichen und versuchte,
Ideen aus diesem ›herauszulesen‹. Wichtig für den nächsten Punkt ist Folgendes:
Die angesprochenen Ideen sind im Diesseits unsichtbar und können nur über die
sichtbaren Formen erahnt werden. Der Betrachter kann sich aber keine konkrete
Form vor Augen stellen, die alle diese Ideen zugleich sichtbar werden ließe. Der
Urheber des Objekts war gar nicht darum bemüht, dass sich diese Verweise zu
einer lesbaren, auf einen höheren Sinn anspielenden Bedeutung schließen: Das
Schatzstück aus Venedig bleibt sichtbar polyvalent.
III.
Die Wahl fiel auf dieses Komposit-Objekt, um einerseits an einem mittelalterlichen Beispiel auf das Bedeutungsgeflecht der Maria als neue Venus hinzuweisen
und um anderseits auf das Verhältnis von idea und forma als künstlerisches Problem
aufmerksam zu machen, das für die weiteren Ausführungen von zentraler Bedeutung ist. Die Maria im Glas ist etwa zeitgenössisch zu Thomas von Aquins Versuch
entstanden, die beiden wichtigsten antiken idea-Vorstellungen (von Platon und
Aristoteles) in der christlichen Auffassung zu verankern. In seiner Summa erklärt
Thomas von Aquin im Paragraphen Über die Ideen – De Ideis, dass der Künstler,
wenn er eine Idee hat, dabei eigentlich nur seiner gottähnlichen Natur folge und
die göttliche Idee nachahme. Er greift dabei auf das aristotelische Beispiel des
Architekten zurück, das schon von Plotin in diesem Zusammenhang aufgegriffen
worden war.21 Der artifex bemühe sich, der Idee, die er in seinem Kopf (durch
den Geist) empfangen hat (quam mente concepit), eine möglichst ähnliche Form in
der Wirklichkeit zu geben.22 So existiere das Haus bereits im Geiste des Baumeis21 Plotin: Enneaden, V. 8. 6.1–18; vgl. Lee, Jonathan Scott: » ›…if one had the power to look
at the god in oneself‹ – Metaphysics as Hermeneutics in the Aesthetics of Plotinus«, in: de Giro­
lami Cheney, Liana/Hendrix, John: Neoplatonic Aesthetics. Music, Literature, and the Visual Arts,
New York 2004, S. 79–87, hier S. 82, hier auch ausführliche Überlegungen zur Bedeutung
dieser Vorstellung für die (spät)antike Bildtheorie. Es müsste noch genauer ausgeführt werden,
inwiefern man nicht eher einen scholastischen Neoplatonismus von einem neuzeitlichen Neoplotinismus unterscheiden könnte, vgl. auch: Alexandrakis, Aphrodite: »Plotinus, Marsilio Ficino
and Renaissance Art«, ebd., S. 187–195.
22 Thomas von Aquin: Summa Theologiae, 1, qu. 15, art. 1: »In quibusdam enim agentibus
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ters als Idee, bevor es konkrete Form annimmt. Thomas von Aquin fährt fort (ich
zitiere die Übersetzung von Panofsky):
»Da nun die Welt nicht durch Zufall entstanden ist, vielmehr von Gott als
einem geistig Wirkenden geschaffen wurde, muss notwendigerweise im
göttlichen Geiste eine Form vorhanden sein, nach deren Muster die Welt
geschaffen ist. Und darin besteht das begriffliche Wesen der Idee.«23
Wenn der venezianische Goldschmied die kostbaren, in Konstantinopel zusammengeklaubten disparaten Beutestücke zu einem Objekt zusammenfügt, so
folgt er vermutlich einer geistigen Idee. Für den Betrachter lässt sich diese Idee
über die Anspielungen auf Maria als unbefleckt Empfangene, als neue Aphrodite erschließen. Wir haben Teil an der geistigen Idee, indem wir die Form als
Verweis auf die Idee verstehen. Maria thront vor unseren Augen im Tempel der
Weisheit. Sie ist die unschuldige Frucht der Vereinigung von himmlischem Geist
und irdischem Fleisch. Ihr Abbild und Glanz berühren als Bild im Geiste und erfassen den Betrachter als Strahl, einerseits als idea, andererseits als forma. Das Komposit-Objekt der Maria im Glas vermittelt eine – nur erahnbare – Idee von Marias
Erscheinung im Jenseits. Das gelingt ihr durch die Diskrepanz zwischen Form und
Idee. Sie gibt nicht vor, ein formal geschlossener Gegegenstand zu sein, sondern
betont durch die gezackte Wellenlinie der gebrochenen Kante ihre Faktizität aus
einem Fragment. Thomas von Aquin übernimmt dabei die für das ganze Mittelalter verbindliche Auffassung des Verhältnisses von Form und Idee, die Augustinus formuliert hatte. Nach Augustinus sind die Ideen »beständige und unveränderliche Urformen oder Urprinzipien der Dinge, die selbst nicht geformt worden
sind. Sie sind daher ewig, verharren in einem und demselben Zustand und liegen
im göttlichen Geiste beschlossen; und während sie selber nicht entstehen und vergehen, ist, wie es heißt, alles Entstehende und Vergehende nach ihnen geformt.«24
Augustinus überträgt dabei die aristotelische Idee von der Ursache, die sich in ihre
praeexistit forma rei fiendae secundum esse naturale, sicut in his quae agunt per naturam; sicut
homo generat hominem, et ignis ignem. In quibusdam vero secundum esse intelligibile, ut in his
quae agunt per intellectum; sicut similitudo domus praeexistit in mente aedificatoris. Et haec potest dici idea domus: quia artifex intendit domum assimilare formae quam mente concepit. Quia
igitur mundus non est casu factus, sed est factus a Deo per intellectum agente, ut infra patebit,
necesse est quod in mente divina sit forma, ad similitudinem cuius mundus est factus. Et in hoc
consistit ratio ideae.«
23 Panofsky, Erwin: Idea. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie, 2. verb. Aufl.,
Berlin 1960 (1924), S. 21.
24 Panofsky hatte darauf hingewiesen, dass Augustinus Ciceros intelligentia nur durch das Wort
divina ergänzen musste, um eine ›christliche‹ Definition des Ideebegriffs zu gewinnen, ein Zusatz, den dann die Renaissance (Melanchthon und Dürer) wieder gestrichen hat. Panofsky, Idea
(wie Anm. 23), S. 83, Anm. 73.
42
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Folgen und Hervorbringungen einschreibt, abgebildet wird oder mit der ihr zugrunde liegenden Idee, ihrer Ursache, verschmilzt.25
Welche Veränderungen aber vollziehen sich in der Renaissance im Verhältnis von Form und Idee? Dürer beschreibt den Schöpfungsakt in seinen Schriften
mehrfach als »ausgiessen inwendiger Figuren«. In einem Fragment aus dem Jahr
1512 äußert er sich folgendermaßen über die Ideen:
»Dan ein guter maler ist jnwendig voller figur. Vnd obs müglich wer, daz er
ewiglich lebte, so het er aws den jnneren ideen, do van Plato schreibt, albeg
etwas news durch dy werk aws zw gissen.«26
Panofsky hat unsere Aufmerksamkeit auf drei zentrale Punkte dieser Überlegung Dürers gerichtet: Erstens ist die Idee bei Dürer nicht das Ergebnis äußerer Erfahrung, sondern der Künstler trägt sie bereits in sich; eine Vorstellung,
die deutliche Züge der mittelalterlichen Idea-Vorstellungen aufweist. Zweitens
ist die Idee hier in erster Linie als eine innere Vorstellung gedacht. Und drittens
ist, während bei anderen Autoren die Ideen objektive Gültigkeit und Schönheit
garantieren, für Dürer ihr wesentliches Merkmal ihre Unerschöpflichkeit und
Originalität. Diese verleihen dem Künstler die Gabe, »allweg etwas Neues« aus
seinem Geiste heraus zu gießen. Dürer formuliert hier eigentlich eine These über
Konstanz (idea) und Variation (figura). Der gute Maler kann aus einer begrenzten
Anzahl ideae im Sinne Platons unendlich viele verschiedene figurae entwerfen. Der
Schöpfungsakt ex nihilo bedeutet bei Dürer ein Problem von Konstanz und Varianz der figurae.
25 Aristoteles: Metaphysik, V, 2: »Ursache wird in einer Bedeutung der immanente Stoff genannt, woraus etwas wird; so ist das Erz der Bildsäule, das Silber der Schale Ursache und ebenso
die allgemeineren Gattungen von dieser; in einer anderen Bedeutung heißt Ursache die Form
und das Musterbild – dies ist der Begriff des Soseins – sowie die Gattungen davon […] Ferner heißt Ursache dasjenige, wovon her die Veränderung oder die Ruhe ihren ersten Fanfang
nimmt; so ist z.B. der Beratende Ursache, oder der Vater Ursache des Kindes […] In so vielen
Bedeutungen werden ungefähr die Ursachen genannt. Da sie in mehreren Bedeutungen vorliegen, ergibt sich, dass dasselbe Ding mehrere Ursachen haben kann, und zwar nicht im akzidentiellen Sinne. So ist z.B. von der Bildsäule sowohl die Bildnerkunst als auch das Erz Ursache, in
keiner Beziehung, als insofern sie Bildsäule ist; aber nicht in derselben Weise, sondern das eine
als Stoff, das andere als Ursprung der Bewegung.« (Aristoteles: Metaphysik, erster Halbband, Bücher I–VI, Neubearbeitung der Übersetzung von Hermann Bonitz. Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Horst Seidl, Hamburg 1989, S. 179–181).
26 Diese Passage findet sich auf einem Blatt, das im British Museum in London aufbewahrt
wird, cod. 5230, fol. 20b. Es stellt den Entwurf eines Fragments dar, das in der vierten Version
(cod. 5229, fol. 64) mit 1512 datiert ist. Ich zitiere hier die dritte Version, die von Dürer nicht
mehr durchgestrichen wurde, in der jedoch die entsprechende Passage aus dem ersten Entwurf
unverändert übernommen wurde. Dürer, Albrecht: Schriftlicher Nachlass, hg. v. Hans Rupprich,
Berlin 1966–1969, 3 Bde., hier Bd. 2, S. 113.
43
Beate Fricke
In der wechselvollen Geschichte der Konzepte, die mit der idea in der Philosophie verbunden werden, ist es Plotin, der gleich einer Wellenbewegung Gegensätzliches verschmolzen und in einer neuen Form ausgegossen hat. Im SonnenGleichnis hatte Platon die Sonne zur Idee des Gut-Schönen in Bezug gesetzt.27
»So wie das Sehen und das Gesehenwerden des Sonnenlichtes als ihres Mediums bedürfen; und so wie das Licht das Auge und das Wahrnehmbare
hervorbringt, ist die Idee der Mittler zwischen Erkennen und Erkennbarem,
ja, sie bringt diese allererst ins Spiel und als Wahres und Schönes hervor.«28
Der Ort dieser Vermittlung und des durch sie gestifteten Erkenntnisaktes
ist bei Plotin der Meereshorizont. Hier steht das Morgenlicht der Sonne für den
Aufgang des göttlichen Geistes. Die fruchtbare Berührung von Himmel und Erde
und ihre Paraphrasen als Zeugungsakte (im Fluss und im Fließen) umschreibt Plotin im Anschluss an diese Stelle noch mehrfach, nicht zuletzt mit deutlich erotischem Unterton und mit Bezug auf den Geburtsmythos der Aphrodite.29
Panofsky macht in seiner Begriffsgeschichte der Idea auf einen Zug der Dürerschen Schöpfungsvorstellung von künstlerischen Ideen aufmerksam, den er romantisch nennt:
»Die Lehre von den ›Ideen‹, die hier beinahe den Charakter von Eingebungen gewinnen, tritt in den Dienst jener romantischen Genieauffassung,
die nicht in Richtigkeit und Schönheit, sondern in einer unendlichen, stets
Vgl. Platon: Politeia, 506b–509b.
Böhme, Hartmut: »Das Licht als Medium der Kunst – Über Erfahrungsarmut und ästhetisches Gegenlicht in der technischen Zivilisation«, in: Schwarz, Michael (Hg.): Licht, Farbe,
Raum, Braunschweig 1997, S. 111–137. Vgl. Plotin: Enneaden, V, 5, 7/8 und I, 6, 43.
29 Vgl. Plotin: Enneaden, VI, 9, 9, 63–65: »Aus dieser wirkenden Kraft entstehen in ruhiger
Berührung mit Jenem die Götter, jenes erzeugt die Schönheit, erzeugt die Gerechtigkeit und
die Tugend. Von ihm wird die Seele schwanger, sie wird befruchtet von Gott. Jenes ist ihr Urgrund und Ziel, Urgrund, weil sie von dort, und Ziel, weil das Gute dort ist. Dort einmal angelangt, wieder sie das wird, was sie eigentlich war. […] Dass aber dort oben das Gute ist, das
erweist auch das Verlangen, welches der Seele eingeboren ist, weshalb denn auch in Gemälden
und Sagen Eros mit den Psychen verbunden erscheint. Denn da die Seele etwas anderes ist als
Gott, aber aus Gott stammt, verlangt sie nach ihm mit Notwendigkeit. Solange sie droben ist, ist
sie erfüllt vom himmlischen Eros, denn sie ist dort oben eine himmlische Aphrodite, hier unten
aber wird sie, gleichsam zur Hure entartet, zur Jedermanns-Aphrodite. (65) In der Tat ist jede
Seele eine Aphrodite; das ist auch der verborgene Sinn der Aphroditegeburt und des Eros, der
mit ihr geworden ist. So verlangt also die Seele, solange sie sich in ihrem wesensgemäßen Zustande befindet, nach Gott und will mit ihm eins werden, mit einem edlen Verlangen, wie eine
edle Jungfrau ihren Vater liebt.« (Plotin: Ausgewählte Schriften, in der Übersetzung von Richard
Harder, teilweise überarbeitet von Willy Theiler und Rudolf Beutler, hg. v. Walter Marg, Stuttgart 1973, S. 160).
27
28
44
Schaumgeburten
Einzigartiges und noch nie Dagewesenes schaffenden Fülle das Kennzeichen
des wahren Künstlertums erblickt.«30
Es handelt sich bei Dürers Auffassung von Schöpfertum keineswegs um eine
vorzeitige – romantische – Genieauffassung.31 Vielmehr erscheint mir die Engführung von irdischer und himmlischer Sphäre bei Dürer als Verweis auf den Entstehungsort für neue Formen bzw. als Ort der vis imaginativa. Diese Kraft bringt
neue Ideen hervor, nicht nur Schaumgeburten, sondern auch Eros und Leibesfrucht: Im Fluten und Wogen von Meer und Wolken ist der Ort, an der sich die
Vorstellungskraft entfalten kann. Das kann sie nur an einem Ort, der zugleich eine
elementare Grenze darstellt, die Grenze, an der sich Wasser und Luft begegnen,
berühren und austauschen.32
IV.
Weniger aus den Fluten empor als vielmehr auf der Wasseroberfläche dahin gleiten bei Dürers Meerwunder scheinbar schwerelos zwei Wesen (Abb. 2).33 Sie bewegen sich auf den Betrachter zu, der sich an einem mit Gras bewachsenen Ufer
befindet. Die geblähten Segel eines Zweimasters im Mittelgrund lassen den Betrachter die Szene in einer Bucht zum offenen Meer vermuten; es bleibt jedoch
unklar, ob es sich nicht auch um die Ufer eines Stromes oder eines Sees handelt.
Panofsky, Idea (wie Anm. 23), S. 21.
Zur kunstfördernden Kraft der Liebe als aristotelische Idee vgl. Pfisterer, Ulrich: »Künstlerliebe. Der Narcissus-Mythos bei Leon Battista Alberti und die Aristoteles-Lektüre der Frührenaissance«, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 2001, 64, S. 305–330.
32 Diese Nähe von Eros, Empfängnis und Geburt in Leben und Kunst fasste Paracelsus in De
virtute imaginativa prägnant zusammen: »Darumb so ein frau ein (kint) gebere, das also seltsam
würd sein, so gedenken, das die imaginatio, wie gemelt, getan hab.« Er stellt eine eindeutige
Analogie im künstlerischen Prozess von Anschauung, Idee und imaginatio in Bezug auf ihre
Frucht, die Malerei her. Der verlaufe wie die Zeugung und Geburt eines besonderen Kindes
(Missgeburt?). Es handelt sich hierbei um einen in der Frühen Neuzeit gängigen Topos, der bevorzugt im neuplatonischen Kontext diskutiert wird, da dort das Gestirn und die Imagination
analog sind (Mikro/Makrokosmos). Beide, Gestirn und weibliche Imagination, jeder in seiner
Welt, lösen das für den Neuplatoniker entscheidende Problem, wie aus geistigen Formen körperliche werden: nämlich durch die impressio. Der für die Neuplatoniker entscheidende Text ist
die Rede der Diotima in Platons Symposion. Vgl. Bergengruen, Maximilian: Nachfolge Christi –
Nachahmung der Natur. Himmlische und natürliche Magie bei Paracelsus, im Paracelsismus und in der
Barockliteratur (Scheffler, Zesen, Grimmelshausen), Hamburg 2007, hier S. 161–170. Für die Überlassung der Datei der im Druck befindlichen Habilitationsschrift danke ich dem Autor.
33 Albrecht Dürer: Das Meerwunder, um 1498 entstanden, Kupferstich, 255 x 192 mm, Meder
66. Für eine ausführliche Bibliographie zu diesem Blatt vgl. Schoch, Rainer: »Das Meerwunder«, in: Albrecht Dürer. Das Druckgraphische Werk, 3 Bde., Bd. 1: Kupferstich, Eisenradierung und
Kaltnadelblätter, bearb. von Rainer Schoch, Matthias Mende und Anna Scherbaum, München
u.a. 2001, S. 73f.
30
31
45
Beate Fricke
abb. 2: Albrecht Dürer, »Meerwunder«, 1498, Kupferstich.
46
Schaumgeburten
Drei Wellenbänder kräuseln die Wasseroberfläche entgegen der Richtung, aus
der die beiden zu kommen scheinen. Sind die Umbrüche der Wellen entlang
ihrer Körper noch durch das nahe Ufer zu erklären, so wirken die Bugwellen,
die ihnen vorausschlagen, seltsam unmotiviert. Das Kompositwesen, ein bärtiger
Meermann, halb Mensch, halb schuppenbesetzter Fischleib mit einem Satyrengeschlecht, trägt eine nackte junge Frau davon. Ihre linke Hand betont das langhaarige Glied mehr, als dass sie es mit ihrem Tuch bedeckt, seine Flosse weist direkt
zur Dürer-Signatur. Der Fischmann hat sie soeben vom anderen Ufer entführt,
etwas bedrückt blickt sie zu ihren drei Badegenossinnen zurück. Am anderen
Ufer liegt die Badestätte vor einem Hügel. Die Idylle wird gekrönt von einer
befestigten Burg, ein Dorf liegt am Fuß des Hügels von Mauern geschützt, ein
weiteres erspäht der Betrachter etwas entfernt im Mittelgrund. Am Ufer sind
neben den Badenden ein schlafender Wächter und ein mit erhobenen Armen
protestierender Turbanträger zurückgeblieben. Vor seinen Augen hat ihm das
Meerwunder die Frau entführt.
Das Fabelwesen blickt nach rechts, dem Wind entgegen, wie die vollen
Segel des Schiffes im Bildmittelgrund an der rechten Bildkante vermuten lassen.
Auf seiner Stirn entspringt ein Geweih, den hohlen Panzer einer Meeresschildkröte führt er in seiner Linken als Schild, die Rechte umfasst mit ruhigem Griff
seine Beute am linken Oberarm. Ihren prachtvollen Körper schmückt lediglich
ein aufwendiger Kopfputz. Die Enden der eingeflochtenen Bänder betonen die
Körperkontur ihrer Büste. Wie eine Venus lagert die Schöne in eleganter Pose
halb aufgerichtet auf ihrem Tuch, ihre Haut berührt das Seeungeheuer höchstens an dessen Flossen. Das Tuch wiederholt in den Stoff­falten die gekräuselten
Kämme der Wellen. Auch der schützende Stoff liegt auf dem Wasser und taucht
mit seinem Ende nicht hinein, er schwimmt wie zurecht­drapiert auf der Oberfläche. Auf diese Weise betont Dürer die beiden Ebenen des Realen und des
Imaginären, die sich an dieser Kante begegnen: Die vom Wind bewegte Wasseroberfläche, auf der sich das dramatische Geschehen ereignet und der für den Blick
des Betrachters dadurch undurchdringlichen Tiefe der Wassermasse. Während
die geraubte Dame zur Welt der Oberfläche gehört, ist der Meermann aus den
Fluten aufgetaucht. In diesen zwei Wesen begegen sich zwei letztlich unvereinbare Welten: Imagination und reale Wirklichkeit treffen aufeinander, ja kommen
aufeinander zu liegen. In den beiden erblicken wir die doppelte Begegnung des
eigentlich Heterogenen: Ein zusammengesetztes Wundertier trägt das Ideal weiblicher Form von dannen. Nur Dürers Grabstichel vermag das ungleiche Paar auf
der Flucht durch die Fluten vereinen.
Man hat sie in der Literatur vergeblich als Amymone mit einem Triton, mit
Perimela und Achelous oder auch mit Glaucos und Skylla zu identifizieren versucht. Vorbilder für einzelne formale Details des Blattes gibt es nicht nur in der
Antike: Es sei hier auf eine illustrierte Handschrift von Megenbergs Buch der
47
Beate Fricke
abb. 3: Konrad Megenberg, »Buch der Natur«,
Hagenau 1443–1451, Cod. pal. germ. 300, fol. 169v,
Universitätsbibliothek Heidelberg.
Natur verwiesen, eine Übertragung des Liber de natura rerum von Thomas von
Cantimpre (Abb. 3). Hier verbirgt sich in der Flut ein außerordentlicher Reichtum phantastischer Kreaturen. Es soll hier nicht weiter auf die bisherigen Versuche, sie mit mythischen Frauenrauben zu identifizieren, eingegangen werden,
vielmehr soll die Rede vom ufernahen Gewässer sein, dem Wellenschlag als Ort
der vis imaginativa. Während bei Megenberg der Blick des Betrachters die Meeresoberfläche durchdringen kann und sich ihm dadurch die phantastischen Wesen
als Bewohner einer sonst verborgenen Welt zeigen, verläuft die Grenze zweier
Wirklichkeiten im Bild und die Inszenierung ihrer Begegnung bei Dürer anders.
Sie ›fällt ins Wasser‹: Während die obere Hälfte des Bildes eine genaue Schilderung eines tatsächlichen natürlichen Ortes sein kann, haben die beiden Wesen,
und damit auch der Betrachter am anderen Ufer, die reale Natur verlassen, er bewegt sich in unmittelbarer Nähe zur Zone des Wellenschlags. Hier können Fabelwesen schwerelos auf Wellen gleiten, venusgleiche Schönheiten am helllichten
Tag davongetragen werden und die beiden erwartet am nahen Ufer eine ungewisse, wenn auch sicherlich phantastische Welt.34
34
Mit liegenden Frauenakten am Ufer bzw. im Wasser in Ufernähe hat sich Dürer vermutlich
durch Kupferstiche von Raimondi oder aus seiner Werkstatt auseinandergesetzt, die Werken
von Raphael folgen. Drei mögliche Vorbilder seien hier erwähnt: (1) Auf dem sogenannten
Traum Raphaels liegen zwei schlafende Frauenakte am Ufer, während neben ihnen die »Geburten der Phantasie« gerade dem Wasser entsteigen. Der Stich wurde ca. 1508 von Marcantonio
48
Schaumgeburten
V.
Eine vergleichbare Aufteilung der Kupferplatte in eine naturnahe und eine irreale
Darstellungswelt, getrennt durch ein wellenartiges Wolkenband, begegnet uns
auf einem der bekanntesten Blätter von Dürer wieder: der Nemesis (Abb. 4).35
Seit Hausmann, also bereits seit 1861, kennt man die Identität der Frauengestalt,
die auf der Kugel schwebt.36 Während man einst in Anlehnung an das wenige
Jahre ältere Kleine Glück (Abb. 5) vom Großen Glück oder von einer Fortuna gesprochen hatte, ist durch die Tagebucheinträge Dürers auf der Niederländischen
Reise klar geworden, dass wir vor uns die griechische Göttin der Vergeltung
sehen. Anne-Marie Bonnet hat das raffinierte Spiel mit der Polyvalenz der Aktfigur als Fortuna (Kugel), Fama (Pokal), Temperantia (Zügel), Virgo et Victrix, Nemesis, Rhamnusia37 und Venus ausführlich geschildert.38 Venus ist hierbei nicht nur
aufgrund der Nacktheit gemeint, sondern im nordalpinen Verständnis als »Frau
Venus«, die ihre Buhler narrt. Eine Replik Niklaus Manuels überführt sie wieder
in Frau Venus (Abb. 6), die jedoch niemals nackt dargestellt ist. Es gab keine
bildliche Tradition, auf die sich Dürer für seine Nemesis stützen konnte, da sie
dem lateinischen Mittelalter weitgehend unbekannt war. Mit scheinbar festem
Schritt schwebt sie auf der glatten, sich drehenden Kugel voran. Bis auf ein Tuch
unbekleidet, steht sie aufrecht, im Profil nach rechts gewandt, und blickt konzentriert voraus.39 Das linke Ende ihres Tuchs flattert im Wind und verdeutlicht
die Richtung ihrer Bewegung nach rechts. In ihrer erhobenen Rechten trägt sie
gestochen, Bartsch 359 (274), (2) ein vergleichbares Rasenstück findet sich auf dem Stich mit
Triton, eine Nymphe tragend, Bartsch 229–I (185). Dem Meerwunder am nächsten im Hinblick auf den Wellenschlag steht das Blatt (3) Venus auf einem Delphin liegend von Agostino
Musi/gen. Veneziano, Bartsch 239 (192).
35 Albrecht Dürer, Die Nemesis (Das große Glück), um 1501 entstanden, Kupferstich, 335 x 260
mm, Meder 72, für eine ausführliche Bibliographie zu diesem Blatt vgl. Schoch, Rainer: »Die
Nemesis«, in: Albrecht Dürer (wie Anm. 33), S. 95–99.
36 Hausmann, Bernhard: Albrecht Dürer’s Kupferstiche, Radierungen, Holzschnitte und Zeichnungen, unter besonderer Berücksichtigung der dazu verwandten Papiere und deren Wasserzeichen, Hannover
1861.
37 Den Humanisten war sie auch als Rhamnusia geläufig, so genannt nach ihrem attischen
Heiligtum. Sebastian Brant schreibt ihr die in Deutschland wütende Syphillis 1496 als Frucht
ihres Zorns zu, er setzt sie mit Fortuna gleich: »Rhamnusia, die geheyssen wirt das geluck von
den poeten, spylt in der welt und ist erzurnet uber uns. O du Teutsche und bruderliche tugent
und ir lebendtigen hertzen thut nit Torlich. Last den andern nit den zugel, gewalt und reychtumb […]« Vgl. Schoch, Nemesis (wie Anm. 35), S. 95–99.
38 Vgl. Bonnet, Anne-Marie: ›Akt‹ bei Dürer, Köln 2001, S. 145, 146, 153.
39 Für die Nemesis haben die Kunsthistoriker prominente Vorbilder und Maßverhältnisse ausgemacht, vgl. Schauerte, Thomas u.a. (Hg.): Albrecht Dürer – das große Glück: Kunst im Zeichen
des geistigen Aufbruchs, Ausstellungskatalog Kulturgeschichtliches Museum Osnabrück 2003, mit
ausführlicher Bibliographie, sowie Koerner, Joseph Leo: »Albrecht Dürer: A Sixteenth-Century
Influenza«, in: Bartrum, Giulia (Hg.): Albrecht Dürer and His Legacy. The Graphic Work of a Renaissance Artist, London 2002, S. 18–38, mit ausführlichen Referenzen.
49
Beate Fricke
abb. 4: Albrecht Dürer, »Nemesis« oder »Das groSSe Glück«, um 1501, Kupferstich,
Frankfurt, Städel Museum, Graphische Sammlung.
50
Schaumgeburten
Links: abb. 5: Albrecht Dürer, »Das kleine Glück«, 1495/96, Kupferstich, Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi.
Rechts: Abb. 6: Niklaus Manuel, »Frau Venus«, um 1512, Federzeichnung, Kupferstichkabinett, Kunstmuseum Basel,
Amerbach-Kabinett.
einen gotischen Birnpokal, in der Linken ein zusammengerafftes Zaumzeug. Ein
Riemen hängt nach unten, erstreckt sich zwischen ihren Beinen über die Kugel
und windet sich zwischen dem anderen Tuchende, das bis zum Unterschenkel
ihren Körper hinterfängt. Das Tuch ist nur über der rechten Schulter geknotet,
es legt sich in Falten verschlungen vor das Band der Wolken und vor das Riemenende. Obwohl sie sich auf der rollenden Kugel bewegt, ruht sie zugleich auf ihr
und bildet mit dieser Kante zwischen himmlischem Wolkenband und irdischem
Lufthauch eine Einheit. Das gekräuselte Band der Wolken gleicht in Struktur
und Bewegung, d.h. genauer hinsichtlich seiner Abfolge der Strichlagen und im
Konturverlauf dem Wellenschlag in Dürers Stich des Meerwunders. Lediglich
die sachten Wellen, aufgebaut durch die bisweilen sogar gegenläufig eingesetzten
gewellten Schraffuren, sind in dem jüngeren Blatt dem geraden Strich gewichen,
der die dichten Lagen der Wolkenschwaden gegenüber den gebauschten Konturen ausbildet. Diese paradoxe Verbindung aus Ruhe und Bewegung, aus dichtem
51
Beate Fricke
Wolkenband und durchsichtigem Lufthauch lässt die Figur zu einem ähnlichen
Grenzgänger wie das Paar im Meerwunder werden, nur das die verschiedenen
Elemente in einer Figur, bzw. an einer imaginären Grenze zu einer Einheit zusammengefasst sind.
Unterhalb dieser Grenze blickt der Betrachter von einem hohen Standpunkt
in eine mit großer Sorgfalt und reichen Details dargestellte Tallandschaft herab.
In diesem Tal wiederholt ein Fluss die Bewegung des Wolkenbandes, daneben
erblickt man eine Kapelle, eine Ortschaft (wohl Klausen in Südtirol),40 kleinere
bewachsene Anhöhen, ein Holzlager. In der linken vorderen Bildecke bleibt
der Blick an einem glatt abgeschlagenen Baumstumpf hängen, in der rechten
am cartellino mit der Dürersignatur. Der Blick auf das Dürer-Blatt ist jedoch ein
gespaltener: Zum einen mäandert er entlang der doppelten Wellenlinie in der
Landschaft der unteren Bildhälfte umher, und der Betrachter blickt auf den Einschnitt des Tals in der Gebirgslandschaft wie in eine Vertiefung, die der göttliche
Stichel in die Erdlandschaft gezeichnet hat. Zum anderen wird der Blick von der
Wolkendecke begrenzt, die in die plane, ungestaltete weiße Ebene der unberührten Platte übergeht, auf die der Betrachter wie aus einem anderen Winkel, ohne
Hebung oder Senkung der Perspektive, mit geradem Blick schaut.41 Die schwebende, ruhig auf der Kugel entlanggleitende Rachegöttin gehört zu einer zweiten
Bildebene, zu einer himmlischen Sphäre, und lässt an ihrer Grenze das Wolkenband zum Wellensaum werden. Wie durch einen immer wiederkehrenden Wellenschlag wirkt die obere Bildhälfte wie freigewischt. Die Sphäre der Nemesis
bricht gleich einer Welle in die irdische Welt hinein. Als Ort der vis imaginativa
wird sie zu einer Uferzone des Imaginären. Diesem Vermögen des Betrachters,
mehr als eine Wirklichkeit im Bild zu imaginieren, entspricht auf der formalen
Ebene die Welle bzw. das Wolkenband, die beide das Prinzip des Zusammenbringens, des Verschmelzens von Heterogenität visualisieren.42
Vgl. Schoch, Nemesis (wie Anm. 35), S. 95–99.
Besonders Bonnet und Thürlemann haben auf die Konsequenzen der Ambivalenz des Blickens in der Nemesis hingewiesen, vgl. Thürlemann, Felix: »Im Schlepptau des großen Glücks.
Die doppelte Mimesis bei Albrecht Dürer«, in: Greber, Erika (Hg.): Manier – Manieren – Manierismen, Tübingen 2003, S. 17–39 und Bonnet, Der ›Akt‹ bei Dürer (wie Anm. 38), S. 145ff.
42 Für Dürer kam dabei wie schon für Aristoteles bei der auf diese Weise entstehenden Zweiheit, Dreiheit bzw. Polyvalenz dem beharrenden Moment eine entscheidende Bedeutung zu;
vgl. Aristoteles: Physik, I, 9: »Denn das beharrende Moment ist Mitursache des Werdenden
zusammen mit der Gestaltung, so wie eine Mutter; hingegen, die eine Seite des Gegensatzes
möchte oft, wenn man die Vernunft streng auf das Mangelhafte an ihr richtet, so erscheinen, als
ob sie ganz und gar nicht sei. Wenn es doch etwas Göttliches und Gutes und Erstrebenswertes
gibt, so sagen wir, dass das eine das Gegenteil dazu ist, ein anderes ist aber das, welches von der
Art ist, nach diesem zu streben und zu greifen, soweit es dazu von sich aus in der Lage ist.« (Aristoteles’ Physik. Vorlesung über die Natur, Erster Halbband, Bücher I–IV, übers., mit einer Einleitung und Anmerkungen hg. v. Hans Günter Zekl, Hamburg 1987, S. 47).
40
41
52
Schaumgeburten
Was aber bedeutete es andererseits, Venus als Vorbild zu translozieren, bzw.
in Fortuna oder Nemesis zu transformieren? Warum geht Dürer scheinbar unoriginell vor, indem er sich der ›klassischen‹ Figur des weiblichen Aktes bedient, ihre
›Form‹ aber mit neuen Deutungen und Ideen erfüllt? Es geht Dürer offensichtlich
um genesis. Und zwar um genesis im doppelten Sinne: Zum einen um das Entstehen der Figuren, der immer wieder neuen forma aus der idea, und zum anderen
um die physische Geburt dieser metaphysischen Vorstellungen. Venus steht für
die Fruchtbarkeit schlechthin und nicht zuletzt für die Genese neuer, von ihrer
Schönheit infizierter Bildschöpfungen. Venus und ihr Eros werden als Chiffre für
das Gebären von Schönheit, von idealer Form vor Augen gestellt. Albrecht Dürer
spielt mit den Erwartungen des Betrachters an eine konventionelle Form ebenso
wankelmütig wie »Frau Venus« mit den Erwartungen ihrer Freier. Der malerische
Akt wird auf diese Weise als Reaktion auf die mythische Kastrationsgeschichte
lesbar: Bei Hesiod wird Venus im Meer als blutige Frucht des abgeschlagenen
Gliedes in vitro, d.h. durch die Blutstropfen im Meer und mit ihm als Matrix gezeugt.43 Der Tropfen der geistigen Idee lässt im Maler eine neue Figur entstehen,
die er im Malakt aus ihrem inwendigen Dasein befreit und sie ›gebiert‹, indem er
ihr eine Form verleiht. Der Maler bringt dabei etwas kategorial Anderes hervor.
Im Mythos entsteht Venus aus Schaum und entsteigt bei Zypern den Fluten. Die
genesis umschreibt in beiden Fällen eben nicht den Prozess, wie eine Idee eine
Idee erzeugt, sondern wie eine Idee Gestalt annimmt, d.h. einen Körper erhält.
Die Geburt erfolgt jeweils über eine ontologische Grenze hinweg, ihr Ort ist das
Meer. Relevant erscheint darüber hinaus das Fluten als Bewegung: Das sich stets
zurückziehende Wasser bildet immer wieder eine Welle, eine plane weiße Fläche
aus. Ich schlage vor, dieses Ausbreiten, das Stranden an der Grenze zwischen zwei
Ebenen, als Metapher für die künstlerische Arbeit zu lesen: auf der planen Fläche,
dem weißen Blatt eine neue Form, eine Gestalt zu gebären.44
Hesiodus, Theogonia (wie Anm. 11), 188–210, S. 21.
Zur gleichen Zeit etabliert sich in der Geschichte der Enzyklopädien beim Bemühen, das
Wissen systematisch und vollständig zu erfassen, eine neue Kategorie, in der sich das Wunderbare tummelte: Die Paradoxa, ein Sammelbecken für alles Unsystematisierbare, in denen sich
die Ungeheuer der Meere, die Drachen, Sirenen und andere Zwitterwesen zwischen Mensch
und Tier bzw. Tier und Pflanze wie skythische Lämmer und ähnliches zusammentrafen. Noch
Scheuchzer ließen sie rätseln, wohin man sie stecken sollte, zumal sie wie Frösche, Fliegen
und anderes Ungetier teuflischen Ursprungs nicht auf der Arche gewesen seien. Vgl. Michel,
Froschregen (wie Anm. 5). Diese Früchte der Phantasie, Fabelwesen, Götter und andere Untiere
zwiehen sich hinter die Grenzen des Darstellbaren zurück. Sie verdeutlichen in Bildern zusehends ihren übernatürlichen Daseinsort: Sie stehen wie die Nemesis auf der Himmelskante oder
man wähnt die phantastischen Kreaturen wie bei Megenburg (Abb. 3) in den Fluten unter den
Wellen verborgen.
43
44
53
Beate Fricke
Links: abb. 7: Urs Graf, »Allegorie des Kriegsglückes«, 1516/1518, Federzeichnung, Kunstmuseum Basel, Amerbach-Kabinett.
Rechts: Abb. 8: Hans Holbein d. J., Randzeichung zum »Lob der Torheit« im Exemplar, das Erasmus von Rotterdam gehörte,
Basel, Kupferstichkabinett.
VI.
Ob Wolke oder Welle, auf beiden Elementen ist Fortuna in ihrem Element, nicht
zuletzt ist die sicher durch die Wolken segelnde Nemesis als Okeanos’ Tochter
auch eine Schaumgeborene. Das anspielungsreiche Blatt von Dürer mit der Rachegöttin hat eine außerordentliche Rezeption erfahren. Wie jedoch gehen die
Nachfolger Dürers mit der Mehrdeutigkeit des Vorbildes um? Jüngere Arbeiten,
die sich von Dürers Blatt sichtbar inspirieren ließen, lassen Fortuna nicht in luftigen Gefilden schweben, und zeigen sie – wie auch Dürer – ohne Rad, sondern
greifen fast ausnahmslos die rollende Kugel auf, auf der sie die Göttin in der Regel
im Wasser dahin gleiten lassen. Die Arbeiten z.B. von Urs Graf (Abb. 7), Hans
Holbein d. J. in einer Randzeichnung zum Lob der Torheit (Abb. 8) oder von Nicoletto da Modena (Abb. 9) verdeutlichen diesen Allusionsspielraum.45 Jede dieser
45
54
Ausführlich hierzu: Juren, Vladimir/Koecyny, Lubomir: »Beiträge zur Rezeptionsgeschichte
Schaumgeburten
Links: abb. 9: Nicoletto da Modena, »Fortuna«,1500/1512, London, British Museum.
Rechts: Abb. 10: Urs Graf (zugeschrieben), »Das wilde Heer«, um 1520, Basel, Kunstmuseum.
Rezeptionen des Stiches von Dürer verflacht jedoch die Anspielungsbreite und
entscheidet sich, je nach Künstler und Arbeit, für einige ihrer Komponenten.
Nicht auf Wellen, sondern auf Wolken segeln die Kriegsgötter bei Urs Graf
(Abb. 10) und verdeutlichen, wie sich hoch in den Lüften über dem Kampfgetümmel unter ihrem Einfluss etwas zusammenbraut. Sie brausen auf der roten
Kugel durch die Sphäre und spalten die Luft: Das Wolkenband, auf dem sie – für
die Kämpfenden vermutlich unsichtbar – segeln, scheint weniger die Schlachtheere als vielmehr die Flammenmeere zu teilen. Im lodernden Gemisch von Kanonenfeuer, Rauchschwaden, sich aufbäumenden Pferden und umstürzenden
Galgen sowie Wagenrädern, auf denen noch die gebrochenen Körper von Geräderten sich winden, bleibt unklar, wer hier wen bekämpft. Dürers klare Trennung
des Nemesis-Kuperstiches«, in: Bulletin of the National Gallery in Prague, 1992, 2, S. 36–41; Andersson, Christiane/Schubiger, Benno: »Zwei unbekannte Federzeichnungen mit den frühesten Ansichten der Stadt Solothurn«, in: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte,
1990, 47, S. 8–20; von Tavel, Hans Christoph: »Dürers Nemesis und Manuels Frau Venus«, in:
Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstwissenschaft, 1976, 33 (34), S. 285–295.
55
Beate Fricke
im gewellten Band auf dem Stich der Nemesis ist hier aufgelöst, die Kriegsfurien
verschießen auch auf der Erde ihr Pulver und lassen das Kriegshorn ertönen. Aus
Venus, Occasio, Fortuna, Fama usw. ist ein Paar von Kriegsgöttern geworden: Sie
lässt die Inhalte des Füllhorns verstreuen. Nackt sind sie beide, lediglich Strumpfbänder wie eine Dirne trägt er, der mit der Lanze in der Linken und dem Feuergerät in der Rechten mit ihr Rücken an Rücken auf der Kugel die Kriegswirren
antreibt.
Der Vergleich dieser Arbeiten macht deutlich, dass die Ambivalenz des Elementes, in dem die segelnde Göttin unterwegs ist, von den zeitgenössischen Kollegen durchaus erkannt wurde: Die Werke, die direkt von der Nemesis angeregt
worden sind, stellen sie sowohl im Wasser auf ihrer Kugel schwimmend als auch
in den Lüften segelnd dar. Zieht man auch noch die Textstellen aus Dürers eigenen Schriften hinzu, in denen er sich, wie bereits erwähnt, der mehrdeutigen
Metapher des Ausgießens bedient, lässt sich schließen: Der Wellenschlag bzw.
Wolkenzug steht als Metapher für den schöpferischen Gestus, der sich in der steten Wiederholung immer wieder neu ausgießt und die »inwendigen Figuren«
ausbreitet und in neue verwandelt. Der gespaltene Blick wäre damit eine Chiffre
für die künstlerische vis imaginativa des gottähnlichen Künstlers.46 Albrecht Dürer
wiederholt mehrfach diese Wortwendung, die die künstlerische Praxis als eine
unaufhörliche Bewegung, als stete Flut umschreibt: Im großen Ästhetischen Exkurs am Ende des dritten Buches schreibt er – ganz im Sinne der mittelalterlichen
Künstlervorstellung –, dass der Künstler »[…] der wirdet durch die krafft, die Gott
dem menschen geben hat, alle tag vil newer gestalten der menschen vnd andrer
creaturen awß zu giessen vnd zu machen haben, das man for nit gesehen noch ein
andrer gedacht het.«47
Das Hervorbringen neuer Gestalten kann man zur Metapher des Ausgießens
in Analogie setzen. Was passiert jedoch mit der Idee im Kopf des Künstlers bei
ihrer Geburt, beim Ausgießen auf das Blatt? Dabei begegnen sich Wirklichkeiten
verschiedener Ordnungen, das Himmlische und das Irdische – oder das Phantastische und das Reale. Die Frucht dieser Begegnung ist die Lebendigkeit der Gestalt,
die der Künstler erzeugt, so Dürer:
46
Zur Rezeption der aristotelischen Analogie des Zeugungsaktes als männlicher Poiesis und
gestalterischen Tätigkeiten wie Bauen, Zimmern und Zeichnen in der Medizingeschichte nicht
nur im Kontext der Empfängnislehre Harveys vgl. Koschorke, Albrecht: »Inseminationen.
Empfängnislehre, Rhetorik und christliche Verkündigung«, in: Begemann, Christian/Wellbery,
David E. (Hg.): Kunst – Zeugung – Geburt: Theorien und Metaphern ästhetischer Produktion in der
Neuzeit, Freiburg i. Br. 2002, S. 89–110.
47 Albrecht Dürer: Die Lehre von der menschlichen Proportion. Der große ästhetische Exkurs am Ende
des dritten Buches, Druckfassung von 1528, London 5231, fol. 76, um 1515 datiert, zit. n. Dürer,
Schriftlicher Nachlass (wie Anm 26), hier Bd. 3, S. 291, § 11.
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Schaumgeburten
»Hieraus wird der heimliche Schatz durch das Werk und die neue Kreatur
offenbar, der ihm heimlich im Herzen verborgen ist, und die einer in seinem
Herzen in der Gestalt eines Dinges schöpft. […] Das ist die Ursache, dass ein
wohl geübter Künstler nicht zu einem jedem Bild lebendige Bilder malen
darf, denn er giesst genügsam heraus, was er lange Zeit von aussen hinein
gesammelt hat.«48
In beiden Blättern Dürers werden die Sphären des Irdischen und des Himmlischen nahe aneinander gerückt. Diese Engführung von irdischer und himmlischer Sphäre lassen sich als Verweis auf den Entstehungsort für neue Formen
betrachten.
Es liegt daher nahe, die Wahl des doppelten Blickes auf die Landschaft und
über die Wolkengrenze bei Dürer als Metapher für die Kraft des künstlerischen
Blickes zu lesen. Der gespaltene Blick ist produktiv: Der Blick gilt zum einen
der himmlischen Sphäre, in der auf einem Wolkenmeer Ideen Form annehmen
können, und zum anderen den konkreten Formen einer naturnahen Darstellung
einer Tallandschaft. Die Diskrepanz dieser Blicke erzeugt Spannung, Polyvalenz
und verweist auf Ideen, die der Bildschöpfung zugrunde liegen können.49 Diese
Mehrdeutigkeit lässt sich mit derjenigen der Maria im Glas vergleichen. Erst bei
der Zusammenschau von Himmlischem und Irdischem kann ein Betrachter die
Referenzen auf verschiedenen Bild-Wirklichkeiten im selben Bild erschließen.
Der Schaum, der beim steten Fluten und Wogen von Meer und Wolken entsteht,
kann der Idee vom Schöpfen neuer Formen in der Wellenlinie eine bedeutungsvolle Gestalt verleihen. Die Dichotomien von Himmel und Erde, von Kunst und
Natur, von Imagination und Nachahmung, die im Blatt sichtbar ausgespannt werden, erscheinen meines Erachtens im Gegensatz zur leeren Blatthälfte und der erfüllten Erdlandschaft angelegt. Die geistige Idee, die künstlerische Neuschöpfung,
geht als Frucht dieser Begegnung hervor.
Die literarischen und die künstlerischen Schaumgeburten führen den Betrachter zu einer beständig mäandernden Grenze. In den hier betrachteten Beispielen strandet er auf der formalen Ebene an einer Art imaginären Sollbruchstelle – ein gezacktes Band, eine mehrfach gebrochene Kante, eine gekräuselte
Linie verdeutlichten uns das Fluten von Wellen und Wolken an der Grenze zwischen Meer und Ufer, zwischen Himmel und Erde: Diese Grenze scheidet zwei
Wirklichkeiten. Das kräuselnde Band ist mal Wolke, mal Welle, mal gläserne
Muschelkante, jedoch immer ein Motiv, das als ein in steter Bewegung befindli48
49
Ebd., S. 296, § 57.
Der Ort über den Wolken ist kein Zufall, wie David Summers am Topos der aria und dessen Nähe zum göttlichen Spiritus an Kunstwerken und der Traktatliteratur von Petrarca bis zur
Spätrenaissance nachgewiesen hat, vgl. Summers, David: »ARIA II: The Union of Image and
Artist as an Aesthetic Ideal in Renaissance Art«, in: Artibus et Historiae, 1989, 10/20, S. 15–31.
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Beate Fricke
ches erscheint. Die Frage nach der creatio ex nihilo und der genesis von Ideen führt
zu auffallenden Analogien von geistiger, künstlerischer und natürlicher Empfängnis. Dabei wird deutlich, wie sich das Verhältnis von idea und forma gewandelt
hat und, nicht zuletzt, wie sich das Nachdenken über die Entstehung von Ideen
verändert hat und neue Ufer erfindet.
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