Der frechste Mann der Welt

Transcription

Der frechste Mann der Welt
NO
Wochenend−Ausgabe 26.März/27.März 2011
Der frechste Mann der Welt
Die Geheimnisse
Initialen mit Botschaft
Die Geschichten über Till Eulenspiegel werden 500 Jahre alt – Ausstellung zeigt ältestes Buch
Das Thema
Er nahm die Menschen
immer beim Wort, insofern kann sich Till Eulenspiegel nichts vorwerfen
lassen. Trotzdem brachte
er alle gegen sich auf
oder im besten Fall zum
Lachen. Die Geschichten
über den berühmtesten
Narren werden in diesem
Jahr 500 Jahre alt.
Till Eulenspiegels Sterbejahr 1350 ist in den Geschichten erwähnt. Das Geburtsjahr
1300 legte der Ort Kneitlingen
fest, um ein Jubiläum feiern
zu können. Denn in dieser
Stadt, 22 Kilometer südöstlich
von Braunschweig, soll Till Eulenspiegel geboren worden
sein. Schon die Taufe war ungewöhnlich. Sie geschah in einer Kirche. Doch auf dem
Rückweg nach Hause fiel die
Hebamme mit Eulenspiegel
auf dem Arm von einem Steg
in einen Bach. Eulenspiegel
wäre fast an dem dicken
Schlamm erstickt. Daraufhin
wuschen drei Frauen das Kind
in einem Kessel. Drei Mal wurde er an diesem Tag getauft: in
der Kirche, im Bach, im Kessel.
Der Pastor soll gesagt haben: „Wenn das nur gut
geht mit dem Jungen!“
Es ging immer gut bis
zum nächsten Streich. Egal,
wo er auftauchte, Eulenspiegel nahm die
Menschen
beim
S
tellen Sie sich einen
Marktplatz vor und einen Mann, der den Bäuerinnen Milch abkauft und diese in ein großes Fass schüttet.
Als die Frauen ihr Geld verlangen, sagt er, das könne er ihnen noch nicht geben, aber sie
könnten sich ihren genauen
Milchanteil wieder abschöpfen. Chaos bricht aus, die Passanten lachen. Der Mann, der
die Verwirrung gestiftet hat,
ist plötzlich auf und davon.
Es war Till Eulenspiegel.
Vor vermutlich fünfhundert
Jahren, 1511, wurden die Geschichten aus seinem mit
Streichen gespickten Leben in
einem Buch zusammengefasst. Es ist ein bedeutendes
Werk im niedersächsischen
Raum. Der schweizerische
Germanistikprofessor
Alexander
Schwarz
sagt, es sei deshalb so
auffällig, weil es nicht
in die Zeit des 16.
Jahrhunderts passte:
Es war auf Deutsch geschrieben, nicht auf Lateinisch, und es war weder
religiös noch erfüllte es sonst
einen Zweck. „Das Besondere
ist, dass es einen Sinn nicht
gibt“, sagt Schwarz.
ALEXANDER
SCHWARZ
42. Kapitel fehlt
Die 96 Kapitel zu Till Eulenspiegel heißen Historien. Allerdings:
Das 42. Kapitel fehlt, so dass es
nur 95 Kapitel gibt. Experten sehen keinen tieferen Sinn dahinter. Das Kapitel wurde wohl einfach vergessen.
Andere Medien
Ein Narr: So wird
Till
Eulenspiegel
heute dargestellt.
In den ersten Büchern trug er allerdings noch kein
Kostüm wie hier in
diesem
Holzschnitt.
Foto: dpa
Zwei Eulenspiegeleien
Bei einem Bierbrauer in Einbeck verdiente Till Eulenspiegel eine Zeitlang sein Geld. Als
der zu einer Hochzeit gehen
musste, befahl er Eulenspiegel,
Bier zu brauen, so gut er könne.
Besonders den Hopfen sollte er
gut sieden, damit das Bier den
richtigen Geschmack bekomme. Als der Brauer verschwunden war, machte sich Eulenspiegel an die Arbeit. Nun hatte
der Brauer einen Hund, der
hieß Hopf. Eulenspiegel warf
ihn ins heiße Wasser und ließ
ihn so lange darin sieden, bis
Haut und Haare und Fleisch
von ihm fielen. Später sagte Till
Eulenspiegel, er habe nur getan
wie ihn geheißen und Hopf gesotten. Entrüstet warf er dem
Brauer vor, dass er für seine
harte Arbeit nicht einmal Dank
bekomme.
„Das Besondere
ist, dass es einen
Sinn nicht gibt.“
denn Kinder könnten mehr
aufnehmen und sagt: „Sie
können in den Geschichten
Dinge entdecken, die tabuisiert werden.“
Einige Menschen soll Till
Eulenspiegel zum Lachen, viele zur Verzweiflung gebracht
haben. Erich Kästner schreibt,
dass sie ihn am liebsten verkehrt herum aufgehängt oder
wenigstens halbtot geschlagen hätten. Doch Till Eulenspiegel würde sich ins Fäustchen lachen: Heute ist
manch eine Schule
und Apotheke nach
ihm benannt.
Später
entstanden
Kurzversionen wie die
von
Erich
Kästner.
Schwarz bedauert das,
VON DOROTHEE KÖPPE
In Einbeck siedete
Eulenspiegel Hopfen
Wort und sorgte so für Katastrophen. Nahmen diese ihren
Lauf, war er oft schon weitergezogen. Ob es Till Eulenspiegel wirklich gab? „Das wissen
wir nicht“, sagt Schwarz. Vermutlich hat es jemanden gegeben, der Vorlage für die 95 Geschichten war, die dann
weitergesponnen wurden.
Experten können nur vermuten,
wer der Verfasser der Till-Eulenspiegel-Texte ist. Ein Hinweis findet sich in den Initialen, also in
den schmückenden Anfangsbuchstaben, die die Geschichten
der ersten Till-Eulenspiegel-Ausgaben aus dem 16. Jahrhundert
zieren. Nacheinander ergeben
diese viermal das Alphabet und
danach: ERMANB. Erman könnte
für Hermann stehen, das B für
Bote. Ein solcher Hermann Bote
lebte tatsächlich zu dieser Zeit in
Braunschweig und schrieb
Chroniken. Im Braunschweiger Land spielen
viele Geschichten Till Eulenspiegels und dort wurde er geboren. Doch warum erscheint der Autor nicht
auf dem Titelblatt? Professor
Alexander Schwarz: „Hatte er
Angst seinen Namen zu nennen,
weil die Texte ein bisschen frech
sind und nicht so üblich?“ Nein,
er vermute vielmehr, dass es
Bote einfach nicht so wichtig
war, namentlich zu erscheinen.
Meerkatzen
in Braunschweig
Als Bäckergeselle heuerte Till
Eulenspiegel in einer Bäckerei
in Braunschweig an. Er verstand nichts von diesem Handwerk, davon aber bemerkte
der viel beschäftigte Bäckermeister zunächst nichts. Als
Eulenspiegel in einer Nacht allein arbeiten sollte, fragte er
den Meister, was er den backen
solle. Seinetwegen Eulen und
Meerkatzen antwortete der
Meister im Scherz, denn er
hielt die Frage für dumm. Doch
Eulenspiegel buk tatsächlich
statt Brötchen die ganze Nacht
Brot in Form von Eulen und
Meerkatzen. Er habe nur getan,
wie ihm befohlen, sagte Eulenspiegel später, als der Bäcker
über das Ergebnis schimpfte. Er
musste den Teig bezahlen,
nahm aber die Teilchen mit
und verkaufte sie mit Gewinn.
Per Zufall zum Buch
Älteste Version war im Einband verklebt
Zwar hat es das Buch über Till
Eulenspiegel schon lange gegeben. Vor allem Drucke von
1515 und 1519 waren bekannt. Doch um 1970 machte
der Züricher Rechtsanwalt
und Büchersammler Peter Honegger eine Entdeckung. Im
Einband eines lateinischen
Buches aus dem 16. Jahrhundert fand er 16 zusammengeklebte Blätter, die den Buchrücken unterstützten. Das erzählt der Schweizer Germanistikprofessor
Alexander
Schwarz, der die aktuelle Ausstellung des Buches begleitet.
Honegger nahm den Einband auseinander. Schnell
entdeckte er die Worte „von
Ulenspiegel“, ein Teil des gesamten Titels „Ein kurtzweilig
Lesen von Dyl Ulenspiegel, geboren uß dem Land zu
Brunßwick, wie er seine leben
volbracht hat ...“. Ein Fachmann beseitigte den Leim.
Zum Vorschein kam der Mittelteil eines noch älteren TillEulenspiegel-Buches.
Wie auch die Bücher aus
den Jahren 1515 und 1519
musste es in der Straßburger
Druckerei von Johannes Grüninger angefertigt worden
sein. Das erkannte Honegger
an der Art der verwendeten
Letter. Er fand heraus, dass das
Buch aus dem Jahr 1510 oder
1511 stammen müsste. Auch
darauf deuteten die Letter hin,
die von Jahr zu Jahr erneuert
wurden.
Damit ist es die bis jetzt älteste Version. Sie wird in einer
Wanderausstellung gezeigt.
Ein weiteres Fragment aus diesem Jahr befindet sich verschlossen in einem Privatbesitz. (dot)
Till Eulenspiegel taucht nicht nur
in Büchern auf. Spielfilme erschienen in Frankreich (1956), in
der DDR (1956, 1975), in den
Niederlanden (1961, 1973), in
der Sowjetunion (1976), und in
Deutschland gibt es einen Trickfilm (2003). Der deutsche Bühnenautor Matthias Buck führte
Till Eulenspiegel als Theaterstück 2001 in Halle auf. Regie
führte Kay Link. Richard Strauss
löste sich vom Original und
komponierte 1895 die sinfonische Dichtung „Till Eulenspiegels lustige Streiche“. Das Buch
über Till Eulenspiegel wurde in
280 Sprachen übersetzt.
HINTERGRUND
Wanderausstellung in Schöppenstedt
Die Wanderausstellung „unFASSbar - Niet te vatten!“ beginnt an diesem Samstag, 26.
März, im Till-EulenspiegelMuseum in Schöppenstedt
bei Braunschweig, Nordstraße 4a. Sie ist dienstags bis
freitags von 14 bis 17 Uhr und
samstags, sonntags und an
Feiertagen von 11 bis 17 Uhr
geöffnet und bis zum 17. Juli
dort vor Ort.
Die Ausstellung zeigt die
erhaltenen Blätter des ungebundenen Druckes von 1510/
1511. Alle 32 Seiten können
betrachtet werden. Dabei
geht es nicht nur um Till Eulenspiegel, sondern auch um
die Welt des Buchdruckes um
1500. Gruppenführungen außerhalb der Öffnungszeiten
sind nach telefonischer Vereinbarung möglich (Tel.
05332/6158). Danach zieht
die Ausstellung weiter ins Ui-
lenspiegelmuseum Damme
nach Belgien (29. Juli bis 6.
November), und dann ins
Möllner Museum (12. November 2011 bis 5. Februar
2012). In der schleswig-holsteinischen Stadt Mölln soll
Till Eulenspiegel gestorben
sein. Zuletzt ist die Ausstellung im Museum Schloss
Bernburg (Saale) zu sehen
(19. Februar 2012 bis 17. Juni
2012).
Freya von Moltke 100
Theater im Film
Teilprothetik
Am Dienstag wäre sie 100 Jahre alt
geworden: Freya von Moltke, wie
ihr Ehemann aktiv im Widerstand
gegen Hitler.
ZEITGESCHEHEN
Für einen ersten Eindruck von
Oper, Schauspiel und Tanz am Kasseler Staatstheater gibt es kurze
Filme auf www.hna.de
KULTUR
Vor allem jüngere Menschen mit
Gelenkverschleiß brauchen nicht
unbedingt komplette neue Gelenke.
GESUNDHEIT