Tü!Tü! und ÖffÖff wollen die Welt bekehren
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Tü!Tü! und ÖffÖff wollen die Welt bekehren
Tü!Tü! und ÖffÖff wollen die Welt bekehren Lehm und Kräuter statt Luxus und Karriere – ein Einsiedlerpaar lebt abseits der Zivilisation bei Bautzen. 6.11.2002 Bautzen. Wer meint, er brauche Strom und Telefon, einen Job und etwas Geld, hat sich offenbar geirrt. Alles Zivilisationsquatsch. Alles unnütz. Macht nur Stress und tötet die Liebe. Fragen Sie TüTü! Fragen Sie ÖffÖff! Zwei Menschen, die sich für eine Einsiedelei entschieden haben, die von einem Gehöft in der Nähe von Bautzen aus den Rest der Welt zur Umkehr bewegen wollen. Ein Leben wie Diogenes in der Tonne. Acht Wochen vor dem Abi warf Brigitte alles hin. Sie ließ die Schule Schule sein, pfiff auf den Kirchenchor, und die Mädchenpartys, verließ die AikidoGruppe und den Klavierunterricht. Sie verschenkte ihr Geld, schickte ihren Ausweis an den Bundespräsidenten und nannte sich TüTü!. „Ich brauche keinen Laufpass für die bürgerliche Gesellschaft, ich suche nach dem konsequenten Leben“, sagt TüTü!. Mit dem Bildungsbürgerwissen, das man ihr in einem Dorf bei Stuttgart beibringen wollte, habe sie ohnehin in keinem Wald überleben können. Heute kann sie das. TüTü!, die in zwei Wochen 29 Jahre wird, lebt von Kräutern und Beeren, von Äpfeln und Walnüssen, die in ihrem Garten wachsen. Sie wäscht sich mit kaltem Wasser aus einer alten Pumpe, trocknet sich die Haare mit einer selbst gestrickten Mütze. Ihre Bettstatt ist ein Iglu aus Decken, auf einer Leine hängen Strickjacken und eine dicke, handgefilzte Kutte. Fast, wie bei Pipi Langstrumpf. Die Wolle geben ihr ab und zu Nachbarn in dem entlegenen Dörfchen Pommritz, an dessen Rand das Häuschen steht. Adresse: „Friedensgarten 5c“. Einen Holzofen gibt’s dort nur im Gemeinschaftszimmer, wo ab und zu Gäste einkehren. „Wir wärmen uns mit Kerzen und Körperwärme“, sagt TüTü!, die auch strengen Minusgraden mit Liebe trotzen muss. Doch das alte, windschiefe Fachwerkhaus mit dem bröckelnden Putz, in dem 20 Jahre lang keiner mehr wohnen wollte, ist TüTü! zuviel Luxus. So hat sie mit ihrem Lebensgefährten ÖffÖff ein paar Weidenzweige zusammen gebunden, sie mit Lehm verkleistert und mit Decken behangen. Ein altes Rohr dient als Heizung, immerhin gibt’s Holzfußboden. Und Räder, falls man mal umziehen muss. Diese Hütte, findet die junge Frau, sei gerade Recht. Eigentlich ist ÖffÖff an allem Schuld. Jürgen, 38 Jahre, Absolvent eines Theologie- und Philosophiestudiums, fand die Priester und Denker nicht radikal genug und gründete seine Schenker-Bewegung. Statt auf Geld gebaut solle das Leben mit kleinen Gaben funktionieren. ÖffÖff ging auf Pilgertour und saß mit Transparenten in Fußgängerzonen. Auch zum Katholikentag in Karlsruhe, 1992. „Wer will verantwortlich leben? Gespräch erwünscht“ hatte ÖffÖff auf einen Zettel geschrieben. TüTü! wollte. Die Liebesgeschichte der Wahrheitssucher und Waldmenschen begann. Sie eröffneten in Dargelütz bei Parchim ein „Haus der Gastfreundschaft“ für Obdachlose, Alkoholiker und gestrandete Seelen, ein Reihenhaus, das ihnen ein Freund mit „moralischem Nutzungsrecht“ überlassen hat. Dort arbeitet ÖffÖff nach wie vor, dort erfuhren sie auch, dass das ökologische „Lebensgut Pommritz“ neue Siedler für einen leeres Haus suchte. Der ideale Ort für ihre moderne Robinsonade. Im Treppenhaus hängen nun die „Schenker-Essentials in Kürze“. Regel Eins: „Mensch wird nur glücklich, wenn er seinem Gewissen folgt.“ Der Rest in Kürze: Gewaltfreiheit statt Ausbeutung, Liebe statt Konkurrenzkampf, Frieden statt Herrschaft. Für ÖffÖff eine Lebensaufgabe. Wenn sich bis zu seinem 50. Geburtstag nicht Milliarden von Menschen bekehren, will er sich zu Tode fasten. ÖffÖff als Mahatma Gandhi. Der Freundeskreis zur Förderung des Schenkens hat sogar eine Internetseite eingerichtet, um die Botschaften in der Welt zu verbreiten. Eine Welt aus Wolle und Lehm. „Na und?“, sagt TüTü! und sägt weiter Holz. „Die Menschen müssen nur beginnen, sich zu beschenken.“