Allein unter harten Jungs

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Allein unter harten Jungs
ZUM WOCHENENDE
Samstag, 20. Juli 2013
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Seit Oktober 2012 ist Nicole-Nadine Wörner aus Rot am See die erste und bisher
einzige Frau im Arbeitswesen des geschlossenen Vollzugs der Justizvollzugsanstalt Heilbronn.
Ganz allein unter harten Jungs
35-jährige Oberwerksmeisterin bringt Gefangenen das Schuhmacher-Handwerk bei
L
eise tippt die zierliche
Blondine mit den akkurat
manikürten Fingern auf
ihrer Computertastatur.
Den Blick bewegt sie dabei immer abwechselnd auf den
Bildschirm und knapp darüber auf
die Glasscheibe vor ihr. Dahinter
liegt eine Werkstatt, in der ihre Mitarbeiter werkeln, an Drehbänken,
Arbeitstischen und im Werkzeugmagazin. Abgetrennt durch eine Sicherheitstür. Denn Nicole-Nadine Wörner arbeitet nicht im Büro eines
Handwerksbetriebes, die 35-Jährige
ist Oberwerksmeisterin in der
Schuhmacherei der Justizvollzugsanstalt Heilbronn. Ihren Arbeitsplatz teilt sie sich täglich mit elf Gefangenen.
Wer Nicole Wörner auf der Straße
trifft, würde das wohl kaum vermuten: Sie trägt sorgfältig gestyltes
blondes Haar. Keine ihrer langen
blonden Strähnen erlaubt sich, unkontrolliert ins Gesicht zu hängen.
Ein Glitzersteinchen ziert einen ihrer Schneidezähne. Künstliche Fingernägel, Jeans, enge Sweatjacke.
Nur die Form ihrer Hände verrät,
was die gelernte Sattlermeisterin
täglich zu tun hat. Die Finger wirken kurz und ungewöhnlich kräftig.
Eben wie die einer Handwerkerin.
Einer Handwerkerin, die sich unter
Männern durchsetzen kann.
Mit Männerdomänen kennt sich
die gebürtige Morsteinerin aus. In
Crailsheim machte sie ihren Sattler-
hier ein gemeinsames Arbeiten geben – wie in der freien Wirtschaft.“
Und wie dort dürfen die Mitarbeiter
auch mitbestimmen. In die Designs
für die robusten Lkw-Planentaschen der Gefängnis-Eigenmarke
Jailers versucht Nicole Wörner ihre
Mitarbeiter einzubeziehen. So steht
im obersten Regal des Magazins der
knapp 300 Quadratmeter großen
Werkstatt zum Beispiel ein schwarzer Shopper, verziert mit einem gelben Schrägstreifen – die Idee eines
Gefangenen. „Ich nehme die Gefangenen ernst. Dann sind sie motivierter.“
Neben dem Bearbeiten von Bestellungen und Schreiben von Rechnungen, ist das Nicole Wörners
größte Herausforderung: die Gefangenen immer wieder zu motivieren.
Im Durchschnitt sind Häftlinge
sechs Monate bei ihr, viele haben
Kurzstrafen und keinen Bezug zum
Arbeiten in einer Werkstatt, zum Arbeiten überhaupt. „Die Aufgabe ist
vor allem, die Gefangenen zu beschäftigen.“ Doch für Nicole Wörner hört der Job da nicht auf. Sie will
den Häftlingen etwas vermitteln,
womit sie auch nach der Entlassung
etwas anfangen können: „Wir müssen rausfiltern, wo ihre Stärken und
Schwächen sind. Viele hatten vorher keine Ausbildung, keinen geregelten Tagesablauf.“
Manches, sagt Nicole Wörner,
könne sie unter diesem Hintergrund nachvollziehen. „Ich komme
Mit Männerdomänen
kennt sich Nicole
Wörner aus
Vorbilder sind
wichtig im Leben
und in der Erziehung
meister. Danach lernte sie im
Schwarzwald sieben Jahre lang die
hohe Kunst des Geschirrbaus, polsterte anschließend für einen Wohnmobilhersteller – allein unter männlichen Kollegen. „Irgendwann kam
aber die Zeit, in der ich wieder nach
Hause wollte.“ Ein Bekannter erzählte ihr, dass die JVA einen Sattler
sucht. Zwei Jahre musste Nicole
Wörner eine Zusatzausbildung machen. Seit Oktober 2012 ist sie nun
die erste und bisher einzige Frau im
Arbeitswesen des geschlossenen
Vollzugs der JVA Heilbronn. Sie
bringt den harten Jungs bei, wie sie
Taschen aus Lkw-Plane herstellen,
Hundeleinen fachmännisch verlei-
aus einem guten Elternhaus, habe
Vorbilder. Wenn man in einer anderen Situation wäre, würde man vielleicht anders reagieren.“ Dieses
gute Elternhaus will sie deshalb
auch vorleben, wenn sie mal eigene
Kinder hat. Eine Lektion kann sie ihnen besonders gut beibringen,
glaubt sie: Toleranz. „Ich kann ihnen immerhin immer auch die andere Seite zeigen.“ ANIKA GALISCH
Vollzugliches Arbeitswesen
Der Landesbetrieb Vollzugliches Arbeitswesen (VAW) hat in Baden-Württemberg
17 Niederlassungen. Im Mittelpunkt der
Arbeit steht die gesellschaftliche Wiedereingliederung des Gefangenen durch eine
sinnvolle und wirtschaftlich ergiebige Beschäftigung. Nach den gesetzlichen Vorgaben dienen Arbeit und Ausbildung während der Gefangenschaft dazu, die Fähigkeiten für ein späteres Arbeitsleben zu vermitteln oder zu erhalten.
Hinter Sicherheitsglas: Von ihrem Büro
aus hat Nicole Wörner Überblick über
die Werkstatt und die Gefangenen.
Nicole-Nadine Wörner vor einem Regal mit Schablonen für die Taschenproduktion. Gemeinsam mit den Gefangenen entwirft
Fotos: Anika Galisch
die Oberwerksmeisterin die Designs. Online oder im Gitterlädle werden die Taschen dann verkauft.
men oder Schlüsselanhänger entwerfen.
Probleme mit fehlendem Respekt hatte sie dabei noch nicht. „Ich
werde vielleicht sogar mehr respektiert als ein Mann.“ Das bestätigt
auch ihr Kollege Helmut Fietz, stellvertretender technischer Leiter des
Vollzuglichen Arbeitswesens in Heilbronn. „Frauen wirken deeskalierend. Der Lärmpegel wird niedriger
und die Hemmschwelle höher. Es
ist aber natürlich auch ihre Art, mit
den Leuten zu reden und die hohe
Fachkompetenz.“
Auch Häftling Jan (Name geändert) aus Polen, der insgesamt sieben Jahre sitzt und einer der alten
Hasen in der Werkstatt ist, gibt zu:
„Hier ist sie meine Chefin. Ich habe
von ihr viel gelernt.“ Mit Stanzen
und Nähen hatte er vorher nicht
viel am Hut. Nun sitzt er an einer
Nähmaschine in einem Nebenraum
und vernäht die widerspenstigen
Einzelteile zu einer geräumigen Tasche. Stolz zeigt er das Ergebnis.
„Davon habe ich heute schon mehrere gemacht.“ Was der Unterschied
zu einem männlichen Chef ist? „Zur
Chefin gehen wir zum Ausheulen“,
sagt er mit einem Zwinkern. Auch
Nicole Wörner weiß: „Ich bin schon
manchmal auch ein Mutterersatz.“
Angemacht wird die hübsche
Blondine bei dieser Rollenvertei-
lung selten. „Bisher habe ich noch
keine Probleme gehabt. Und wenn,
dann blocke ich das immer sofort
ab.“ Für die Hohenloherin ist klar:
„Man muss immer wissen, warum
man hier ist und auf welcher Seite
man steht.“ Gesunde Skepsis ist
Pflicht. Kontrolle gehört dazu.
Jeder Gefangene muss am Abend
Hammer, Schere oder andere Werkzeuge an die nummerierten Haken
am großen Holzbrett im Magazin
hängen. Fehlt etwas, ist anhand der
Nummer nachvollziehbar, wer
seine Ausstattung nicht abgeliefert
hat. Nichts darf wegkommen. Jede
Kleinigkeit kann zur Waffe werden.
Wie gefährlich ihr Job ist, wird Nicole Wörner vor allem klar, wenn sie
Neuzugänge bekommt. Verurteilungen wegen Mordes, Betruges, Sexualdelikten – alles ist dabei. „Ich will
schon wissen, warum die Männer
hier sind. Das ist auch zu meiner eigenen Sicherheit. Wenn einer wegen
Vergewaltigung
verurteilt
wurde, schaue ich schon, wie nahe
ich ihm kommen kann und will.“
Sorgen machen sich darüber aber
vor allem Nicole Wörners Freunde
und Familie. „Mein Partner hat
mehr Zweifel als ich. Mein Umfeld
macht sich bis heute noch mehr Gedanken, als ich es selbst tue.“
Keine Vorurteile zu haben – darauf legt die Hobbyreiterin, die in
Rot am See wohnt, wert. „Jeder ist
gleich. Es muss schließlich auch
Lkw-Plane in verschiedenen Farben
dient als Material für die Produktion
der hauseigenen Taschenkollektion.
Nur etwas für Geübte: Ein Häftling
näht an der Maschine derbe Zuschnitte
aus Lkw-Plane zur Tasche zusammen.
Jailers-Labels an der Wand der Werkstatt. Unter dieser Marke werden in der
JVA Taschen aus Lkw-Plane produziert.
Gesunde Skepsis ist
Pflicht, Kontrolle
gehört dazu
Online und im Gitterlädle
Die JVA Heilbronn verkauft – wie andere Justizvollzugsanstalten in Baden-Württemberg – vieles, das in den insgesamt 13
Betrieben der Strafanstalt entsteht unter
www.vaw-baden-wuerttemberg.de. Jeden
Freitagnachmittag (10 bis 16.30 Uhr) ist in
Heilbronn außerdem das hauseigene Gitterlädle geöffnet.
Auf einer Produktionsfläche von 3150
Quadratmetern arbeiten etwa 300 Gefangene und 33 Angestellte. Hergestellt werden in Heilbronn zum Beispiel Umhängetaschen aus Lkw-Plane, die unter der Marke
Jailers verkauft werden, außerdem Schuhe,
Backwaren oder eigens produzierter Wein.
Die JVA verfügt auch über eine Autowerkstatt und ein eigenes Weingut.
Hinter dieser Tür kümmert sich Nicole
Wörner in der Schuhmacherei täglich
um etwa elf Gefangene.

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