Interview zum Thema Mobbing - Schulsozialarbeit Wettingen
Transcription
Interview zum Thema Mobbing - Schulsozialarbeit Wettingen
Interview zum Thema Mobbing Frau Monika Peter ist seit 8 Jahren Schulsozialarbeiterin in Wettingen. Vorher unterrichtete sie an der Sekundarschule und arbeitete parallel dazu bei der Jugendarbeit. Nun ist sie erfahrene Schulsozialarbeiterin. 1. Wie würden Sie typische Fälle von Mobbing näher beschreiben? Bei Mobbing wird ein Schüler ausgegrenzt, er fühlt sich in der Klasse nicht mehr wohl. Dabei gibt es eine Gruppe, die sich gegen den einzelnen zusammengeschlossen hat. Mobbing ist ein systematisches Ausgrenzen, hatte vielleicht einen schleichenden Anfang und nimmt immer massivere Formen an. 2. Wie grenzen sie den Begriff zu verwandten Erscheinungen ab? … Gewaltbereite Kinder können auch etwas mit Mobbing zu tun haben. Es kann sein, dass sie die unbeliebten Kinder, noch verstärkter attackieren, weil sie schon "sogenannt einfache Opfer" sind. Typisch für Mobbing ist, dass es im oft Versteckten abläuft: Es ist nicht auffällig zu Beginn, bis dass es gemeldet wird. Dies kann von einer Drittperson oder vom Betroffenen zur Schulsozialarbeit gelangen. Opfer trauen sich oft nicht, weil sie sonst wieder als "Petzer“ noch stärker in die Mobbing-Dynamik geraten könnten. 3. Wie oft sind Sie in Ihrem Arbeitsbereich schon mit Mobbingfällen in Berührung gekommen? Wie häufig treten Fälle in Ihrem Arbeitsfeld auf? Relativ viel, besonders mit Vorstufen von Mobbing. Die Schüler kommen bei uns oft schon im frühen Mobbingstadium zur Schulsozialarbeit. Sie sind auf das Gesprächsangebot sensibilisiert und wissen, dass sie dort Hilfe bekommen. Solche Fälle können schnell behoben werden, weil die Lage noch nicht verhärtet ist. Komplexere Mobbingfälle kommen an der Schule ein bis zwei mal pro Jahr (ca. 500 Schüler) vor. Dann werden Lösungen in Einzel- und Gruppengesprächen gesucht. Beispiel: Eine Mädchengruppe hatte ein einzelnes Mädchen immer wieder ausgegrenzt. Verschiedenes wurde probiert. Schlussendlich wurde das Opfer in eine andere Klasse versetzt. Glücklicherweise freute sich die neue Klasse auf das Mädchen und alle Beteiligten hatten die Chance eines Neustartes. Der alten Schulklasse sagte der Schulleiter ausdrücklich, er wolle nichts mehr hören. Es ist wichtig, dass Lehrperson, Schulleitung, Schulsozialarbeit und Eltern gut miteinander vernetzt sind. Der Fall konnte so gelöst werden. Es bestehen heute keine Probleme mehr. 4. Wie wurden die Fälle entdeckt? Meistens kommen die Opfer von selber, manchmal melden es die Mitschüler oder die Lehrperson. Manchmal unternimmt das Opfer selbst etwas, bevor es zu uns kommt. Manchmal werden die Opfer auch von Kollegen geschickt. In der Regel reden wir von einer niedrigen Eskalationsstufe, da die Schüler es früh melden. Wir haben den Vorteil, dass die Schulsozialarbeit seit Jahren etabliert ist. Deshalb sind die Schüler sensibilisiert und sie warten nicht, bis es eskaliert, sondern kommen schon bei kleinen Anliegen. Gute Lösungen können schon nach wenigen Gesprächen eintreten. 5. Welche Rolle spielten dabei Lehrpersonen, Schulleitung, Eltern, weitere Dritte? Häufig merken es Lehrpersonen nicht sofort. Das Mobbing findet heimlich, in der Pause, im Gang statt, wenn es die Lehrperson nicht sieht. Im Schulzimmer kommt es weniger vor. Wichtig ist, dass, wenn die Lehrpersonen davon erfahren, sie vermehrt Aufsichten und Kontrollen in Gängen oder Pausen halten. Die Führungsaufgabe muss verstärkt werden und die Schüler/innen sollen wissen, dass die Schule ein solches Verhalten nicht akzeptiert. Eltern melden sich hin und wieder telefonisch, wenn sie merken, dass es dem Kind in der Schule nicht gut geht. Sie fordern Massnahmen. Die Eltern merken es daran, dass das Kind nicht mehr zur Schule gehen will und es von diversen Vorfällen berichtet. Die Schulleitung kommt bei schwierigeren Fällen ins Geschehen, dies sind dann disziplinarische Eingriffe. Die Schule gibt dann klar zu verstehen, dass das Verhalten nicht geduldet wird; sie müssen sofort damit aufhören, sonst gibt es Konsequenzen. Einmal luden wir die Eltern von drei Jungs ein, die frech zu einem anderen Jungen waren, weil sie ihn aus der Klasse mobben wollten. Für die Eltern ist diese Situation nicht einfach. Sie verteidigen ihr Kind und wollen es vor Angriffen bewahren. Schulsozialarbeit und Schulleitung moderierten das Gespräch. Alle konnten ihre Sicht darlegen und Wünsche äussern. Schliesslich gelang es Vereinbarungen zu treffen; ein Vertrag wurde von beiden Seiten unterschrieben, mit dem das Mobbing unterbunden wurde. Die Mitschüler und Kollegen haben grossen Einfluss, auch wenn sie aus anderen Schulhäusern stammen. Zur Veranschaulichung ein Beispiel: Einem Jungen wurde von seinen Kameraden nachgesagt: „Du bist xy“. Bald darauf musst er sich die gleiche Beschimpfung von Schülern eines anderen Schulhauses anhören, obwohl sie ihn nicht kannten. Der Schüler war ihnen hilflos ausgeliefert. 6. Welche Erfolge konnten mit welchen Massnahmen erzielt werden? Es gibt eine Menge verschiedener Lösungsansätze. Einer ist ein Gespräch mit dem Opfer zum Thema Verhaltensänderung. Man bespricht gemeinsam, was die Person selbst machen oder verändern kann. Häufig geht es auch um innere unbewusste Muster, welche dann mit therapeutischen Ansätzen aufgelöst werden können. Eine bei uns übliche Form ist der Helferclub. Im Gespräch mit dem Opfer frage ich nach Mitschülern, zu denen er/sie Vertrauen hat. Wir suchen gemeinsam vier oder fünf Schüler aus, die zu Helfern werden sollen. Im Gruppengespräch, fragen wir uns, wie sie das Opfer unterstützen können und was sie machen können, um zu helfen. Über den Helferklub weiss der Rest der Klasse vorerst nicht Bescheid, aber das Ziel ist, dass sich die Massnahmen still und automatisch in der Klasse verbreiten. Das Klassengespräch wird nur mit Einverständnis des Opfers geführt. In diesem sprechen wir gemeinsam über die Situation und suchen nach Lösungen. Disziplinarische Massnahmen treten erst ein, wenn andere Massnahmen nichts genützt haben. Dann wird der Fall mit der Schulleitung koordiniert. Es unterliegt der Schulsozialarbeit nicht, disziplinarische Massnahmen zu treffen, deshalb ist eine gute Zusammenarbeit in schwierigen Fällen mit der Schulleitung von Bedeutung. Alles sind individuelle Fälle und müssen so behandelt werden. Deshalb gibt es kein Einheitsrezept und die Lösungsansätze sind von Fall zu Fall unterschiedlich. 7. Wie definieren Sie typische oder untypische Opfer? Das kann man nicht so einfach benennen. Sogenannte Gegenbeispiele gibt es immer wieder. Aber häufig sind diejenigen Opfer, die durch spezielle Interessen auffallen. Es trifft diejenigen, die sich absondern vom Mainstream. Das können spezielle Hobbies sein, bei Jungs beispielsweise nicht Fussball zu spielen. Opfer sind oft auch Menschen, die sich anders verhalten. So kann es sehr soziale Schüler treffen, mit hoher Sozialkompetenz oder eher Altkluge, welche sich mit dem Lehrer verbünden. In der Primarschule stelle ich fest, dass es eine Rangliste nach körperlicher Stärke und Schwäche gibt. Der Schwächere kann "Opfer" werden. „Opfer und Täter“ können ihre Rollen über die Jahre bahalten oder verändern. Es gab einen Fall, als eine Gruppe schwächerer Mädchen aus verschiedenen Primarklassen in eine Oberstufenklasse kamen. Die Angst davor, dieselbe Erfahrung nochmals erleben zu müssen, führte zu einem Seilziehen um die Rangordnung. So sind Opfer nicht nur Opfer und Täter nicht nur Täter. Es geht um die Interaktionen. Ein anderes Kind hatte in der Primarschule einen speziellen Status. Die Klasse konnte damit umgehen und es wurde in Ruhe gelassen. Beim Wechsel in die Oberstufe kam das Kind in eine neue Klasse und zu Mitschülern, welche die Vergangenheit nicht kannten. Als die Ausgrenzung wieder begann, meldeten sich die Eltern und wir konnten unterstützend eingreifen. Wir haben von mehreren Fällen gesprochen, wo Mobbing bei neuer Klassenzusammensetzung begann. Mobbing kann aber durch einen peinlichen Vorfall, durch Gerüchte, die mündlich oder im Internet verbreitet werden, in Chaträumen durch Hetzen oder durch Eifersucht entstehen. In der Regel ist der Montagmorgen für Opfer ein Stress. Gerüchte und Verleumdungen vom Wochenende und aus dem Chat suchen Bestätigung in der Alltagswelt. 8. Kann man etwas über den Initianten -Typen sagen? Ihr Wohlbefinden ist auch nicht immer hoch. Tendenziell kann man sagen; sie wollen vermeiden, selbst Opfer zu werden. Aus diesem Grund suchen sie Verbündete und haben dann Rückhalt im Interagieren. 9. Was würden Sie selbst als Lehrperson bei Mobbing in Ihrer Klasse unternehmen? Als Lehrer soll man das Verhalten klar ansprechen und sagen, dass es absolut nicht geduldet ist. Nachher kann man mit Gruppen- oder Klassengesprächen weiterfahren. Ein anderer Weg ist, dass man die Klasse auffordert eine Lösung zu finden und einen Vorschlag von ihnen erwartet. Für die Lehrperson kann es eine Falle sein, wenn das Opfer von ihr zu stark beschützt wird. Der Rest der Klasse empfindet dann die Lehrperson als parteiisch. Um das zu vermeiden, muss man eine Aussenrolle behalten. Falls man sich dennoch selbst darin verstrickt oder die Massnahmen die Situation verschärft haben, ist es sinnvoll, die Situation mit einer aussenstehenden Fachperson zu besprochen, um Lösungen für sich und die Klasse zu finden 10. Haben Sie auch Mobbing in Lehrerkollegien festgestellt? Nicht direkt. Meinungsverschiedenheiten kommen auch unter Lehrpersonen vor. Auch in diesen Fällen hat die Schulleitung oder Schulsozialarbeit schon Hilfe angeboten. Interview von Nicole … und Horst Meyer, Studenten PH FHNW Dez. 2010