Wenn der Paketmann zwei Mal klingelt

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Wenn der Paketmann zwei Mal klingelt
Journalistenwettbewerb:
Gewinnerbeitrag
„Was wäre die Welt
ohne Paketlogistik?“
Wenn der Paketmann zwei Mal klingelt
Lars Döring arbeitet in Potsdam als Paketzusteller, er ist das letzte und
erste Glied in der Kette der Logistik. Doch seine Arbeit wird oft unterschätzt.
Entweder sieht der Kunde nur den Zettel im Briefkasten „Paket bei Schmid“ oder man unterschreibt nur mal schnell auf dem kleinen Display, um den Empfang des Pakets zu bestätigen.
Dann ist der Bote auch schon wieder weg.
Lars Döring ist so einer. Der 30-jährige Brandenburger arbeitet seit elf Jahren als Paketzusteller für den Paketdienst Dynamic Parcel Distribution, besser bekannt unter dem Kürzel DPD. Er
arbeitet im Depot 114 in Wustermark, nur zehn Kilometer von der Berliner Stadtgrenze entfernt.
Von hier aus wird der gesamte westliche Teil Brandenburgs beliefert. Mit Zustellern wie Lars
Döring nimmt die Reise der Pakete quer durch Deutschland ihren Anfang oder ihr Ende. Er muss
die Kunden zufriedenstellen, pünktlich sein und gut gelaunt das Paket ausliefern – auch wenn
vielleicht der vorherige Kunde unfreundlich war. Für die Kunden ist er das Gesicht der Paketlogistik. Doch viele haben keine Vorstellung von dem Stress der Paketzusteller, meint Döring. „Für
die meisten sind wir nur der blöde Paketbote“.
Döring ist für Potsdam zuständig. Was für Touristen schönes Sightseeing bedeutet, ist für die
Paketboten purer Stress. Schuld daran sind besonders die engen Gassen in der Innenstadt, die
schnell blockiert sind. „Nicht jeder kann da unter Zeitdruck die Nerven behalten“, erzählt Döring. Überhaupt sind Paketzusteller immer im Weg. Sie parken in zweiter Reihe oder am Fußgängerüberweg, versperren die Straße.
Doch Lars Döring kann sich nicht beschweren. Die meisten Kunden kennt er schon seit Jahren,
80 Prozent sind Stammkunden. Er ist nicht mehr nur der blöde Paketbote. Im Gegenteil, der
charmante 30-Jährige kommt gut an, manchmal wird ihm das fast zu viel, erzählt er kokett.
„Sunnyboy, Traum aller Schwiegermütter und was die Leute so sagen – na ja, besser so als andersrum“. Nur wenn ihn ältere Frauen gleich antaschten, sei das etwas anstrengend, erzählt er.
Der Arbeitstag beginnt morgens um halb sechs in der Umschlagshalle des Depots in Wustermark. Die Pakete werden gescannt, nach Postleitzahlen sortiert und beim Verladen in die Transporter erneut gescannt – so wird sichergestellt, dass kein Paket verloren gegangen ist. Der
Fahrer kann so lange das Depot nicht verlassen, bis der Computer anzeigt, dass die Pakete vollständig sind. Die kleinen Geräte, Scanner genannt, auf denen auch die Kunden unterschreiben,
sind das Herzstück der Logistik. „Ohne Scanner geht hier gar nichts, das ist unser Übergabedokument und auch wichtig für die Haftung“, erklärt Depotleiter Erhard Wils. Durch die Scanner
wird der gesamte Weg vom Versender, beispielsweise in Süddeutschland, bis zur Auslieferung
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in Potsdam dokumentiert. Inklusive der Unterschrift des Empfängers kann der Kunde den Weg
seines Pakets im Internet einsehen und verfolgen.
Schon im Depot muss der Fahrer die Pakete gut sortieren, jeder unnötige Arbeitsgriff kostet
später Zeit. „Heute habe ich 110 Pakete, wenn ich bei jedem Paket 1 Minute suche, verliere ich
zwei Stunden“, erklärt Döring. Er weiß, wie schwer die ersten Wochen für Anfänger sind. „Die
finden gar nichts, aber irgendwann erkennt man jedes einzelne Paket und weiß oft schon, zu
welchem Kunden es gehört.“ So wie das für eine Krankenversicherung. „Kein Mensch hat rotes
Paketband, nur die hier“. Lars Döring hat an diesem Morgen seine Pakete schnell zusammen,
noch ein Schluck Kaffee und es kann losgehen. Um 8.30 Uhr verlässt er das Depot. Die optimale Route muss sich jeder Fahrer selbst zusammenstellen und auf den Scanner übertragen, der
dann die Pakete in die richtige Reihenfolge sortiert.
9 Uhr, Potsdam Innenstadt. Der Scanner piepst, die Erinnerung für die Expressauslieferung,
die bis 10 Uhr beim Kunden sein muss. „10 Uhr heißt aber eher 9.30 Uhr, zehn nach geht gar
nicht“, erklärt Döring. Doch der Kunde mit dem Expresspaket ist nicht zu hause, Lars Döring
muss das Päckchen wieder mitnehmen.
10 Uhr, Fußgängerzone. Lars Döring kommt langsam ins Schwitzen, kurze Zeit später zieht er
am Steuer den Pulli aus. Den Rest des Tages trägt er nur noch sein T-Shirt, während die Passanten noch im Wintermantel flanieren. Dem Paketboten zu folgen ist fast unmöglich. Kleine schnelle Schritte, jeder Handgriff sitzt. 10 Sekunden bis 1 Minute braucht Döring für eine Auslieferung
– die Stoppuhr bestätigt das.
„Hallo, Tschüssi, schönes Wochenende“ – das muss reichen. Lars Döring ist gerne freundlich,
aber Zeit für Smalltalk hat der Paketzusteller nicht. Ein Mal hat er einen Schrittmesser am Fußgelenk getragen. Das Resultat, 14 Kilometer an einem Tag, hat selbst ihn überrascht.
Lars Döring ist 1,75 Meter groß und durchtrainiert. Betont locker hievt er ein großes Paket
auf seine Schulter. Früher mussten die Pakete nur bis zur ersten abschließbaren Tür gebracht
werden. „Doch da jeder der beste Paketdienst sein will, tragen die Fahrer die Pakete jetzt so
weit wie der Kunde will“. Da hilft es, dass er sich mit seinen Kunden gut versteht. Die meisten
lassen ihn die Lieferung nicht unnötig weit tragen. Auch dass man sich in Potsdam eher kennt
als in der Großstadt, hilft Döring, seinen Job entspannter zu machen. In elf Jahren hat er noch
nie fürs Falschparken bezahlen müssen, Ordnungsamt und Polizei sind nachsichtig mit den Fahrern. „In Berlin muss es ganz schlimm sein mit den Knöllchen“, weiß Döring von Kollegen. Eine
gehörige Portion Berlin-Ressentiments gehört für einen gebürtigen Brandenburger eben dazu:
Berliner können nicht richtig Auto fahren, sind ungeduldig und hupen sofort, wenn sein Transporter enge Gassen blockiert. Rechts vor links sei auch nicht die Stärke der Hauptstädter, erzählt
Döring, als ihm ein Berliner im roten PKW gerade die Vorfahrt nehmen will. Der Zusteller bleibt
entspannt.
Lars Döring kann und will nicht verbergen, dass er seine Arbeit gerne und gut macht. Einen
anderen Job kann er sich nicht vorstellen. Doch eigentlich hat er etwas ganz anderes gelernt. Er
ist ausgebildeter Wasserinstallateur. Nach dem Zivildienst fing er bei DPD als Paketzusteller an.
Damals gab es keine Jobs in seinem Ausbildungsberuf und auf das unsichere Saisongeschäft
auf dem Bau wollte er sich nicht verlassen. „Hier kommt das Geld immer pünktlich“, lobt Döring.
Viel ist es jedoch nicht, was er verdient. Denn man braucht keine Ausbildung, nur einen Führer-
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schein „und muss sonst nix auf dem Kasten haben“, wie Döring sagt. Dennoch ist nicht jeder
für diesen Job geschaffen. „Man darf nicht aggressiv sein. Man muss den Stress im Straßenverkehr locker nehmen und muss gut mit Menschen können“, erzählt Döring.
Frauen als Paketboten sind selten, im Depot 114 liefern nur Männer aus. Aus gutem Grund,
findet Lars Döring. „Das ist ja schon körperliche Arbeit, das packen Frauen nicht so“, erzählt er.
Denn während Männer bis zu 31 Kilo schwere Pakete tragen, dürfen Frauen nur 20 Kilo schwer
tragen.
Vor sechs Jahren hat sich Lars Döring als Transportunternehmer selbstständig gemacht. Jetzt
sind vier weitere Fahrer bei ihm angestellt. Selber nicht mehr zu fahren, kann er sich trotzdem
nicht leisten. Auf den Stundenlohn gerechnet zahle es sich zwar nicht aus, aber am Ende des
Jahres bleibe doch mehr Geld auf dem Konto. Geld, das er und seine Freundin für das vier Monate alte Baby gut gebrauchen können. Stolz zeigt der junge Vater, auf seinem Handy, ein Bild
des Kleinen.
12 Uhr, der Paketzusteller hält vor einem Friseur. Es muss schnell gehen, er steht auf den Straßenbahnschienen, jeden Moment könnte die Bahn kommen. Ein Auto hält an, der Fahrer winkt
Döring zu. Der Kunde erwartet heute ein Päckchen und hat „seinen“ Paketboten auf der Straße
erkannt. Praktisch: Jetzt muss Döring das Päckchen nicht mehr ausliefern. Die Erwartungshaltung der Kunden ist jedoch meistens eine andere. Wenn der Kunde kurz Brötchen kaufen war
und sein Paket verpasst hat, ruft er im Depot an. „Ihr könnt den doch noch mal schnell zurückschicken“, hört Depotleiter Erhard Wils immer wieder. „Einfach“ noch mal eben vorbeifahren
bedeutet aber nicht nur mehr Zeit für den Fahrtweg, sondern bringt auch die gesamte Route
des Fahrers durcheinander. „Es lohnt sich übrigens, nett zu seinem Paketboten zu sein“, verrät
Döring, mit einem verschmitzten Lächeln. Denn für nette Stammkunden fährt er auch mal einen
Umweg und macht dafür später Feierabend.
Das boomende Internetgeschäft spüren auch die Paketdienste. Doch entscheidend für die
Branche ist die Entwicklung der sogenannten „Just in Time“-Produktion. Es wird weniger gelagert
und immer nur nach Bedarf bestellt. Der Kunde wählt seine Schrauben, Möbel oder Schuhe,
der Händler verspricht die Ware für den nächsten Tag. Paketlieferung innerhalb von 24 Stunden
ist mittlerweile Standard im Logistikgeschäft. Möglich machen das die Paketdienste und deren
Fahrer.
13 Uhr im holländischen Viertel, ein Paketbote von der gelben Konkurrenz biegt um die Ecke,
die Fahrer grüßen sich. Lars Döring erzählt, dass sich alle Zusteller untereinander, ähnlich wie
Motorradfahrer, grüßen. „Am Ende sitzen wir dann doch alle im selben Boot“, so Döring. Aber es
gibt auch Hierarchien, Briefzusteller werden zum Beispiel „auf keinen Fall“ einfach so gegrüßt.
Eine halbe Stunde später fährt Lars Döring zum letzten Kunden. Er kommt mit zwei großen
Säcken voller Schuhkartons zurück zum Transporter und wünscht dem Händler noch schnell „ein
schicket Wochenende“. Die Schuhe müssen jetzt schnell ins Depot, denn noch am Nachmittag
werden sie weiter Richtung Empfänger in Hamburg transportiert. Mit einem letzten Blick durch
den Kofferraum prüft Lars Döring, ob er auch wirklich kein Paket vergessen hat. Döring ist auch
kurz vor Feierabend noch latent unter Zeitdruck. Nie sieht er einen leeren Kofferraum als Ergebnis seiner Arbeit. Immer wartet schon das nächste Paket.
River Tucker

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