Kindeswohl – Was heisst dies im Zusammenhang mit

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Kindeswohl – Was heisst dies im Zusammenhang mit
Deborah Riesen
Kindeswohl – Was heisst dies im
Zusammenhang mit weiblicher
Genitalverstümmelung und männlicher
Beschneidung?
Bachelor-Thesis zum Erwerb
des Bachelor-Diploms
Berner Fachhochschule
Fachbereich Soziale Arbeit
1
Abstract
In der Schweiz sind über 10‘000 Mädchen und Frauen von einer Genitalverstümmelung
betroffen oder davon bedroht, weltweit sind es bis zu 150 Millionen Mädchen und Frauen.
Die weibliche Genitalverstümmelung ist ein äusserst schmerzhafter und traumatischer
Eingriff, welcher in vielen Fällen lebenslange Folgen mit sich bringt. Von der
Staatengemeinschaft
Genitalverstümmelung
als
Menschenrechtsverletzung
seit
dem
1.
Juli
2012
eingestuft,
als
expliziter
ist
die
weibliche
Straftatbestand
im
Schweizerischen Strafgesetzbuch verankert.
Die männliche Beschneidung ist bis anhin in der Schweiz kaum thematisiert worden, auch
wird über die Anzahl der vorgenommenen männlichen Beschneidungen keine Statistik
geführt, wobei die Weltgesundheitsorganisation davon ausgeht, dass ungefähr 30% der
männlichen Bevölkerung beschnitten ist. Obwohl die Folgen nicht mit denen der weiblichen
Genitalverstümmelung vergleichbar sind, stellt die Knabenbeschneidung einen Eingriff in die
körperliche und seelische Integrität eines Kindes dar. Es stellt sich die Frage, ob Eltern
überhaupt anstelle ihres Sohnes in dessen Beschneidung einwilligen können. Denn seit
Inkrafttreten
der
UNO
Kinderrechtskonvention
gilt
das
Kind
als
eigenständiges
Rechtssubjekt, welches in für ihn wichtigen Belangen (mit)entscheiden darf. Auf der einen
Seite stehen also die Eltern mit ihren Rechten und Pflichten im Rahmen der Erziehung und
auf der anderen Seite das Kind als Rechtssubjekt sowie das Wohl des Kindes als oberste
Maxime
des
gesamten
Kindesrechts.
Die
Grenzen
der
elterlichen
Entscheidungskompetenzen liegen in der Gefährdung des Kindeswohls. Bedeutend ist somit
die Frage, ob die Knabenbeschneidung in dessen Wohl liegt.
Bei der weiblichen Genitalverstümmelung ist eindeutig erkennbar, dass dies keineswegs mit
dem Wohl eines Kindes zu vereinen ist. Bei der Knabenbeschneidung ist entscheidend, ob
die körperliche Unversehrtheit oder die kulturelle sowie religiöse Zugehörigkeit höher
bewertet und damit als vorrangig eingestuft wird.
In der Diskussion über Elternrechte und -pflichten und Kinderrechte darf allerdings nicht
vergessen werden, dass das Ziel aller Interventionen die Schaffung der bestmöglichen
Voraussetzungen zum Wohlergehen des Kindes sein muss. Die Rolle der Sozialen Arbeit
besteht in diesem Zusammenhang im Schutz der Kinder als Achtung ihrer besonderen
Verletzlichkeit.
2
Kindeswohl – Was heisst dies im
Zusammenhang mit weiblicher
Genitalverstümmelung und männlicher
Beschneidung?
Bachelor-Thesis zum Erwerb
des Bachelor-Diploms in Sozialer Arbeit
Berner Fachhochschule
Fachbereich Soziale Arbeit
Vorgelegt von
Deborah Riesen
Bern, Dezember 2014
Gutachterin: Dr. iur. Marianne Schwander
3
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ......................................................................................................................... 6
2. Kind und Kindeswohl ...................................................................................................... 8
2.1 Begriffserklärung „Kind“ ............................................................................................................ 8
2.2 Begriffserklärung Kindeswohl ................................................................................................. 12
2.3 Gesetzliche Verankerungen ................................................................................................... 14
2.3.1 Internationale Ebene ........................................................................................................ 15
2.3.2 Nationale Ebene ............................................................................................................... 17
3. Rechte und Pflichten der Eltern ....................................................................................19
3.1 Rechte und Pflichten der Eltern auf internationaler Ebene ............................................... 19
3.2 Rechte und Pflichten der Eltern auf nationaler Ebene ....................................................... 21
3.3 Verhältnis Kindeswohl und Elternrechte............................................................................... 23
4. Weibliche Genitalverstümmelung .................................................................................25
4.1 Begriffserklärung ...................................................................................................................... 25
4.2 Verbreitung................................................................................................................................ 26
4.3 Formen ...................................................................................................................................... 27
4.4 Begründungen .......................................................................................................................... 28
4.5 Folgen ........................................................................................................................................ 29
4.5.1 Physische Folgen ............................................................................................................. 29
4.5.2 Psychische Folgen ........................................................................................................... 30
4.5.3 Sexuelle Folgen ................................................................................................................ 31
4.5.4 Soziale und gesellschaftliche Folgen ............................................................................ 31
4.6 Rechtliche Verankerungen ..................................................................................................... 32
4.6.1 Internationale Ebene ........................................................................................................ 32
4.6.2 Nationale Ebene ............................................................................................................... 34
4.7 Fazit............................................................................................................................................ 36
4
5. Männliche Beschneidung ..............................................................................................38
5.1 Begriffserklärung ...................................................................................................................... 38
5.2 Verbreitung................................................................................................................................ 39
5.3 Formen ...................................................................................................................................... 40
5.4 Begründungen .......................................................................................................................... 41
5.5 Folgen ........................................................................................................................................ 44
5.5.1 Physische Folgen ............................................................................................................. 44
5.5.2 Psychische Folgen ........................................................................................................... 46
5.5.3 Sexuelle Folgen ................................................................................................................ 46
5.5.4 Auswirkungen auf die Gesundheit der Frau ................................................................. 47
5.6 Rechtliche Verankerung .......................................................................................................... 48
5.6.1 Internationale Ebene ........................................................................................................ 48
5.6.2 Nationale Ebene ............................................................................................................... 51
5.7 Fazit............................................................................................................................................ 54
6. Rolle der Sozialen Arbeit ...............................................................................................57
7. Abkürzungsverzeichnis .................................................................................................59
8. Literaturverzeichnis .......................................................................................................60
8.1 Bibliografie................................................................................................................................. 60
8.2. Internetquellen ......................................................................................................................... 62
8.3. Materialien ................................................................................................................................ 62
5
1. Einleitung
Die vorliegende Diplomarbeit befasst sich mit dem Thema Kindeswohl im Zusammenhang
mit weiblicher Genitalverstümmelung und männlicher Beschneidung. Um dieses komplexe
Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu bearbeiten, sollen sowohl rechtliche, kulturelle,
religiöse, psychologische sowie medizinische Aspekte einbezogen werden. Zwecks
Einschränkung liegt der Schwerpunkt allerdings auf dem rechtlichen Gesichtspunkt. Auch
bezieht sich die Fragestellung auf die Situation in der Schweiz.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht von 100 bis 150 Millionen von der
weiblichen Genitalverstümmelung betroffenen Mädchen und Frauen. Somit wird alle zwölf
Sekunden ein Mädchen beschnitten (Schnüll, 2003, S. 26). Aufgrund der weltweiten
Migration leben auch in Europa betroffene Frauen und Mädchen. Das Schweizerische
Komitee für UNICEF (United Nations Children’s Fund) geht davon aus, dass in der Schweiz
über 10‘000 Mädchen und Frauen genital beschnitten oder davon bedroht sind (2013).
Der Eingriff ist für die Betroffenen eine Tortur, mit welcher ein Leben lang schwerwiegende
physische, psychische, sexuelle sowie gesellschaftliche Folgen verbunden sind. Als
Ausdruck der tief verwurzelten Ungleichheit und Machtverhältnisse zwischen den
Geschlechtern,
ist
die
weibliche
Genitalverstümmelung
als
eine
grobe
Menschenrechtsverletzung einzustufen (Derungs et al., 2009, S. 9).
Durch Menschenrechtsbewegungen und Erfahrungsberichte von Betroffenen wurde unsere
Gesellschaft zunehmend auf die grausame Praktik der weiblichen Genitalverstümmelung
aufmerksam gemacht.
Bisher kaum diskutiert wurde dagegen die männliche Beschneidung. Laut Schätzungen der
Weltgesundheitsorganisation sind ungefähr 30% der männlichen Weltbevölkerung davon
betroffen, was 665 Millionen beschnittenen Männern entspricht (World Health Organisation,
2007, S. 1). Zwar sind damit nicht dieselben gravierenden Auswirkungen wie mit der
weiblichen
Genitalverstümmelung
verbunden,
doch
stellt
die
Knabenbeschneidung
gleichwohl einen Eingriff in die Unversehrtheit eines Kindes dar.
Zumal Kinder laut der UNO (United Nations Organization) Kinderrechtskonvention als
eigenständige
Rechtssubjekte
gelten
und
bei
sie
betreffenden
Entscheidungen
mitbestimmen dürfen. Gleichzeitig sind Eltern berechtigt und verpflichtet, stellvertretend für
ihr Kind wichtige Entscheidungen zu fällen. Dabei ist allerdings das Kindeswohl als Leitlinie
des Erziehungsrechtes zu verstehen. Alle Interventionen der Erziehung müssen dadurch auf
die bestmöglichen Voraussetzungen zum Wohlergehen des Kindes ausgerichtet werden
(Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Bern, 2012, S. 1).
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In der vorliegenden Diplomarbeit soll die Fragestellungen „Kindeswohl – Was heisst dies im
Zusammenhang mit weiblicher Genitalverstümmelung und männlicher Beschneidung?“
bearbeitet werden. Von Interesse ist hierbei das Spannungsverhältnis zwischen den Rechten
und Pflichten der
Eltern
und den Kinderrechten. Wo liegen die Grenzen
der
Entscheidungskompetenzen der Eltern im Rahmen der Erziehung, wenn es um die
körperliche und seelische Unversehrtheit eines Kindes geht?
Um dieser Fragestellung nachzugehen, soll in einem ersten Teil eine Begriffserklärung von
„Kind“ und „Kindeswohl“ dargelegt sowie die gesetzliche Verankerung der Kinderrechte
vorgestellt werden. Anschliessend wird in Kapitel 3 auf die Rechte und Pflichten von Eltern
eingegangen. Dabei wird auch das Verhältnis vom Kindeswohl und den Rechten von Kindern
einerseits
und
den
Elternrechten
andererseits
geklärt.
In
Kapitel
4
folgt
eine
Auseinandersetzung mit der weiblichen Genitalverstümmelung. Nach Klärung des Begriffs,
der Verbreitung, Formen, Begründungen und Folgen soll die rechtliche Verankerung
dargelegt werden. Am Ende des Kapitels wird ein Fazit in Bezug auf das Kindeswohl
gezogen. Analog zum Aufbau der weiblichen Genitalverstümmelung in Kapitel 4 wird die
männliche Beschneidung in Kapitel 5 thematisiert. Abgeschlossen wird die Diplomarbeit mit
einem kurzen Blick auf die Rolle der Sozialen Arbeit im Zusammenhang mit der weiblichen
Genitalverstümmelung und der männlichen Beschneidung. Dabei wird ausschliesslich die
Bedeutung der Sozialen Arbeit in Hinsicht des Kindeswohls angeschaut.
7
2. Kind und Kindeswohl
Das zweite Kapitel dieser Diplomarbeit befasst sich mit den Begriffen „Kind“ und
„Kindeswohl“ sowie ihren gesetzlichen Regelungen. In einem ersten Teil wird untersucht, wie
der Begriff „Kind“ im Schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB) definiert und geregelt wird und
welche Bestimmungen bei medizinischen Eingriffen in den Richtlinien der Schweizerischen
Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) zu finden sind. In einem nächsten
Teil soll auf den Begriff „Kindeswohl“ eingegangen werden. Dazu werden unterschiedliche
Definitionen betrachtet. Abgeschlossen wird das Kapitel mit den Rechten von Kindern auf
internationaler und nationaler Ebene.
2.1 Begriffserklärung „Kind“
In der Schweiz wird im Zivilgesetzbuch geregelt, bis wann eine Person rechtlich als Kind gilt
und welche Auswirkungen damit auf die Rechtsfähigkeit, die Urteilsfähigkeit und die
Handlungsfähigkeit verbunden sind. Das Zivilgesetzbuch bestimmt auch, in welchen
Bereichen Eltern stellvertretend für ihr Kind Entscheidungen fällen dürfen. Gerade in Bezug
auf medizinische Eingriffe sind zudem die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der
Medizinischen Wissenschaften relevant.
Im ersten Teil des Zivilgesetzbuchs, dem Personenrecht, ist in Art. 11 Abs. 1 geregelt, dass
jede Person rechtsfähig ist. Rechtsfähigkeit bedeutet, Trägerin oder Träger von Rechten und
Pflichten sein zu können und steht einer Person laut Art. 11 Abs. 1 ZGB unabhängig von
einem bestimmten Alter zu. Kinder können also, genau wie Erwachsene, als Trägerin oder
Träger von Rechten und Pflichten angeschaut werden.
Art. 12 bis Art. 19 ZGB beziehen sich auf die Handlungsfähigkeit einer Person.
Handlungsfähig zu sein meint die Fähigkeit, durch Handlungen Rechte und Pflichten
begründen zu können. Nach Art. 13 ZGB gilt eine Person als handlungsfähig, wenn sie
volljährig und urteilsfähig ist. Handlungsfähigkeit ist somit an zwei Bedingungen geknüpft.
Die Volljährigkeit wird mit Zurücklegung des 18. Lebensjahres definiert (Art. 14 ZGB).
Urteilsfähigkeit wird in Art. 16 ZGB umschrieben: „Urteilsfähig im Sinne des Gesetzes ist jede
Person, der nicht wegen ihres Kindesalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer
Störung, Rausch oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt vernunftgemäss zu
handeln.“ Um durch Handlungen Rechte und Pflichten begründen zu können, muss eine
Person also einerseits volljährig und andererseits urteilsfähig sein.
Für Kinder bedeuten Art. 11 bis Art. 19 ZGB, dass sie zwar vollumfänglich rechtsfähig sind,
nicht aber in vollem Masse handlungsfähig sein können, da sie die Voraussetzung der
Volljährigkeit nicht erfüllen. Die Urteilsfähigkeit muss je nach Situation und Alter bestimmt
werden. Wenn Kinder aufgrund ihres Alters oder der Situation urteilsunfähig sind, gelten sie
8
nach dem Zivilgesetzbuch als nicht handlungsfähig. Sobald ein Kind aber urteilsfähig ist, wird
es als beschränkt handlungsfähig betrachtet. Grundsätzlich wird von der Urteilsfähigkeit
ausgegangen. Der Fall von beschränkter Handlungsfähigkeit wird in Art. 19 ff. ZGB geregelt
(Schwander, 2014, S. 25 ff.).
Art. 19 Abs. 1 ZGB bestimmt, dass urteilsfähige handlungsunfähige Personen, also
urteilsfähige Kinder, nur mit der Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters Verpflichtungen
eingehen und Rechte aufgeben können. In Art. 19 Abs. 2 ZGB ist festgehalten, dass
urteilsfähige Kinder ohne die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters unentgeltliche Vorteile
erlangen oder geringfügige Angelegenheiten des täglichen Lebens besorgen können. Kinder
können somit ohne Einwilligung der Eltern ein Geschenk bekommen oder kleine Dinge
kaufen. Aus Art. 19 Abs. 3 ZGB ist zudem zu entnehmen, dass urteilsfähige Kinder bei
unerlaubten Handlungen schadenersatzpflichtig sind. Urteilsfähige Kinder brauchen also
grundsätzlich die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters, üblicherweise der Eltern, um
Rechtsgeschäfte zu tätigen oder ihre Rechte aufzugeben.
Art. 19a Abs. 1 ZGB legt die Art der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters fest. Demnach
kann die Zustimmung entweder ausdrücklich, stillschweigend oder im Nachhinein erfolgen.
In Art. 19b ZGB ist der Fall der fehlenden Zustimmung bestimmt. Art. 19b Abs. 1 ZGB hält
fest, dass die involvierten Parteien die vollzogenen Leistungen zurückfordern können, wenn
der gesetzliche Vertreter nicht in das Rechtsgeschäft eingewilligt hat. In Art. 19, Art. 19a und
Art. 19b ZGB wird also geregelt, dass urteilsfähige Kinder für Rechtsgeschäfte grundsätzlich
die Zustimmung der Eltern brauchen, wie diese Zustimmung erfolgen muss und was bei
fehlender Zustimmung geschieht.
Art. 19c ZGB bezieht sich dagegen auf die höchstpersönlichen Rechte von Minderjährigen.
Art. 19c Abs. 1 ZGB ermächtigt urteilsfähige Kinder, Rechte, die ihnen um ihrer
Persönlichkeit
willen
zustehen,
selbständig
auszuüben.
Bei
diesen
sogenannten
höchstpersönlichen Rechten brauchen die urteilsfähigen Kinder die Zustimmung der Eltern
nicht. Beispiele für höchstpersönliche Rechte sind die Persönlichkeitsrechte aus Art. 27 ff.
ZGB, wie das Recht auf Leben, das Recht auf körperliche Unversehrtheit, aber auch die
persönlichkeitsnahen Grundrechte wie die persönliche Freiheit oder die Religionsfreiheit
(Schwander, 2014, S. 26).
Art. 19c Abs. 2 ZGB betreffen die höchstpersönlichen Rechte von urteilsunfähigen Personen.
Demnach handelt der gesetzliche Vertreter für die urteilsunfähige Person. Ausgenommen
sind Rechte, „die so eng mit der Persönlichkeit verbunden sind, dass jede Vertretung
ausgeschlossen ist“ (Art. 19c Abs. 2 ZGB). Bei urteilsunfähigen Personen wird bei den
höchstpersönlichen Rechten zwischen den absolut und den relativ höchstpersönlichen
Rechten unterschieden (Schwander, 2014, S. 26).
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Bei absolut höchstpersönlichen Rechten kann bei urteilsunfähigen Personen weder die
gesetzliche Vertretung noch die urteilsunfähige Person selbst das Recht ausüben. Bei relativ
höchstpersönlichen Rechten kann jedoch die gesetzliche Vertretung an Stelle der nicht
urteilsfähigen Person handeln (Schwander, 2014, S. 26). Es ist nicht immer eindeutig zu
bestimmen, ob ein höchstpersönliches Recht als absolut oder relativ einzustufen ist
(Schwander, 2014, S. 26 f.). Da medizinisch indizierte Behandlungen als relativ
höchstpersönliche
Rechte
gelten,
können
Eltern
oder
der
gesetzliche
Vertreter
stellvertretend für das urteilsunfähige Kind in eine medizinisch indizierte Behandlung
einwilligen (Schwander, 2014, S. 27). Laut Genna fallen allerdings nicht alle medizinischen
Eingriffe unter die relativ höchstpersönlichen Rechte. Sobald ein Eingriff in die körperliche
Unversehrtheit nämlich besonders schwerwiegend oder irreversible ist, gilt dieser nach
Genna als absolut höchstpersönliches Recht (Schwander, 2014, S. 27). Öfters wird nun auch
die Meinung vertreten, dass Eingriffe ohne zeitliche Dringlichkeit zu den absolut
höchstpersönlichen Rechten gehören. In diesen Fällen der absolut höchstpersönlichen
Rechte können weder die Eltern noch das urteilsunfähige Kind in den Eingriff einwilligen,
sondern erst das urteilsfähige Kind nach Art. 19c Abs. 1 ZGB (Schwander, 2014, S. 27).
Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften hält in ihren Richtlinien
fest, dass bei einer nicht urteilsfähigen Patientin oder einem nicht urteilsfähigen Patienten
der gesetzliche Vertreter die Einwilligung in die Behandlung und Betreuung gibt. Dabei muss
der gesetzliche Vertreter die wohlverstandenen Interessen der betroffenen Person achten
und darf einen Eingriff nicht verweigern, welcher aus medizinischer Sicht notwendig ist
(Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften, 2006, S. 3). Bei einem Kind
müssen also die Eltern medizinisch notwendige Eingriffe durchführen lassen. Als
wohlverstanden gelten Interessen dann, wenn sie „aufgrund allgemeiner, objektiver
Wertungen, […] gegeben […]“ und „an das objektive Kriterium des Heilungs- und
Linderungszweckes
gebunden
sind“
(Schweizerische
Akademie
der
Medizinischen
Wissenschaften, 2006, S. 19). Damit eine Behandlung das objektive Kriterium des Heilungsund Linderungszweckes erfüllt, muss sie medizinisch indiziert sein (Schweizerische
Akademie der Medizinischen Wissenschaften, 2006, S. 19). Des Weiteren kann der
gesetzliche Vertreter einer nicht urteilsfähigen Person nur in medizinisch indizierte Eingriffe
einwilligen (Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften, 2006, S. 8).
Abschliessend sollen an dieser Stelle nochmals die wichtigsten Erkenntnisse in Bezug auf
die rechtliche Regelung eines Kindes festgehalten werden. Laut dem Schweizerischen
Zivilgesetzbuch ist ein Kind, wie jeder Mensch, rechtsfähig (Art. 11 Abs. 1).
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Im Gegensatz zur Rechtsfähigkeit ist die Handlungsfähigkeit an zwei Bedingungen geknüpft
(Art. 13 ZGB); Volljährigkeit und Urteilsfähigkeit. Das Kriterium der Volljährigkeit erfüllen
Kinder aufgrund ihres Alters nicht. Bei der Urteilsfähigkeit sieht es dagegen anders aus. Die
Urteilsfähigkeit muss je nach Situation und im Zusammenhang mit dem Alter des Kindes
beurteilt werden. Grundsätzlich geht man jedoch von der Urteilsfähigkeit aus. In diesem Fall
ist ein Kind beschränkt handlungsfähig, da es zwar die Bedingung der Urteilsfähigkeit, nicht
jedoch das Kriterium der Volljährigkeit erfüllt.
Urteilsfähige Kinder müssen grundsätzlich die Zustimmung ihrer Eltern oder des
gesetzlichen Vertreters einholen (Art. 19 Abs. 1 ZGB). Die Zustimmung ist für urteilsfähige
Kinder jedoch nicht notwendig, sobald es sich um ein höchstpersönliches Recht handelt (Art.
19c Abs. 1 ZGB). Bei urteilsunfähigen Kindern ist dagegen entscheidend, ob das
höchstpersönliche Recht ein relativ oder absolut höchstpersönliches Recht ist. Bei einem
relativ höchstpersönlichen Recht können die Eltern oder der gesetzliche Vertreter für das
Kind Entscheidungen fällen (Art. 19c Abs. 2 ZGB). Sobald es sich jedoch um ein absolut
höchstpersönliches Recht handelt, kann weder der gesetzliche Vertreter noch das
urteilsunfähige Kind eine Entscheidung treffen (Art. 19c Abs. 2 ZGB). Bei medizinisch
indizierten Behandlungen können die Eltern für ihr urteilsunfähiges Kind einwilligen, da es
sich hierbei um ein relativ höchstpersönliches Recht handelt. Sobald ein medizinischer
Eingriff besonders schwerwiegend, irreversible oder zeitlich nicht dringend ist, gehört er zu
den absolut höchstpersönlichen Rechten. Bei Eingriffen der absolut höchstpersönlichen
Rechte kann erst das urteilsfähige Kind selbst in den Eingriff einwilligen.
Weitere Grundsätze zu medizinischen Behandlungen bei urteilsunfähigen Kindern finden
sich in den Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften.
Demnach müssen die Eltern bei der Einwilligung einer medizinischen Behandlung die
wohlverstandenen Interessen ihres Kindes achten und können nur einem medizinisch
notwendigen Eingriff zustimmen. Dem Schweizerischen Zivilgesetzbuch und den Richtlinien
der Akademie der Medizinischen Wissenschaften ist also zu entnehmen, dass in medizinisch
nicht indizierte Eingriffe nur das urteilsfähige Kind selbst einwilligen kann.
Diese Bestimmungen verdeutlichen, dass Eltern grundsätzlich in vielen Bereichen für ihr
Kind Entscheidungen treffen sollen und dürfen. Doch gerade bei Rechten, welche die
Persönlichkeit und körperliche Unversehrtheit betreffen, wird den Kindern selbst eine grosse
Verantwortung und Kompetenz zugesprochen.
11
2.2 Begriffserklärung Kindeswohl
Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) Bern definiert das Kindeswohl als
Leitmotiv bei allen wesentlichen Fragen zu Betreuung, Erziehung und Bildung des Kindes
(2012, S. 1). Es sei der Inbegriff aller begünstigenden Lebensumstände, um dem Kind zu
einer
guten
und
gesunden
Entwicklung
zu
verhelfen
(Kindes-
und
Erwachsenenschutzbehörde Bern, 2012, S. 1). Wichtige Elemente des Kindeswohls
bestehen laut der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Bern aus einer ausreichenden
Ernährung, wettergerechten Kleidung und einem Dach über dem Kopf. Genauso wichtig
seien aber auch der Schutz vor körperlicher und seelischer Gewalt, liebevolle Zuwendung,
Lob und Anerkennung, Respekt und Achtung, Verbindlichkeit in den Beziehungen und eine
sichere Lebensorientierung (Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Bern, 2012, S. 1). In
der Begriffserklärung werden einerseits physische und andererseits psychische und soziale
Bedürfnisse genannt. Laut der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Bern drücke sich
das Kindeswohl darin aus, „dass in einem Familiensystem aufgrund der gegebenen
Ressourcen jene Betreuungsentscheidungen getroffen werden, welche dem Kind die
bestmöglichen Voraussetzungen zu seinem Wohlergehen bieten“ (2012, S. 1). Beim
Kindeswohl geht es demnach darum, dem Kind die bestmöglichen Bedingungen zu
gewähren. Das Ziel ist in diesem Zusammenhang das Wohlergehen des Kindes. Dabei
werden die gegebenen Ressourcen einer Familie berücksichtigt.
Laut dem Leitfaden Kindesschutz (Hauri & Zingaro, 2013, S. 9) setzt sich die Gewährleistung
des Kindeswohls aus einem „günstigen Verhältnis zwischen den Rechten des Kindes, dem
nach fachlicher Einschätzung wohlverstandenen Bedarf und den subjektiven Bedürfnissen
des Kindes einerseits und seinen tatsächliche Lebensbedingungen andererseits“ zusammen.
Zusätzlich zu den genannten Bedürfnissen der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde
Bern werden bei Hauri & Zingaro die Persönlichkeit und dem Entwicklungsstand des Kindes
angemessenen Erfahrungen sowie Grenzen und Strukturen zu den Grundbedürfnissen des
Kindes gezählt. Bei Dettenborn (2014, S. 52 ff.) werden diese Grundbedürfnisse durch die
Möglichkeit der Umwelterkundung und das Gefühl der Zugehörigkeit, die Sicherstellung von
Wissen und Bildung sowie die Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung eines Kindes
erweitert.
Der Begriff „Kindeswohl“ ist sehr vielschichtig und muss auf die individuelle Situation eines
Kindes abgestimmt werden. Diese Tatsache wird auch im Merkblatt der Kindes- und
Erwachsenenschutzbehörde Bern (2012, S. 1) betont. Darin wird nämlich darauf
hingewiesen, dass beim Kindeswohl entscheidend sei, was für ein Kind aufgrund seiner
individuellen Fähigkeiten und Eigenschaften in der gegebenen Situation das Beste ist.
12
Hierbei müssen die für die gute und gesunde Entwicklung des Kindes dienlichsten
Bedingungen beachtet werden (Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Bern, 2012, S.1).
Für die Praxis schlägt Maywald (2007, S. 26) folgende Definition vor: „Ein am Wohl des
Kindes ausgerichtetes Handeln ist dasjenige, welches die an den Grundrechten und
Grundbedürfnissen
von
Kindern
orientierte,
für
das
Kind
jeweils
günstigste
Handlungsalternative wählt“. Zentral sind bei dieser Definition die Grundrechte und
Grundbedürfnisse eines Kindes. Die Erziehung sollte sich nach diesen Prinzipien richten, um
das Wohl des Kindes zu berücksichtigen.
Sobald das Wohl eines Kindes nicht gewährleistet werden kann, besteht eine
Kindeswohlgefährdung. Hauri & Zingaro definieren eine Kindeswohlgefährdung nach
Hegnauer (1999) als ernstliche Möglichkeit einer Beeinträchtigung des körperlichen,
sittlichen, geistigen oder psychischen Wohl des Kindes (2013, S. 9). Dabei sei es nicht
erforderlich, dass sich diese Möglichkeit schon verwirklicht habe (Hauri & Zingaro, 2013, S.
9). Um von einer Kindeswohlgefährdung zu sprechen, reicht eine potenzielle Gefährdung
aus. Vernachlässigung, körperliche, psychische oder sexuelle Gewalt sowie die Gefährdung
als Folge von Erwachsenenkonflikten sind mögliche Formen einer Kindeswohlgefährdung
(Hauri & Zingaro, 2013, S. 10).
Hauri & Zingaro betonen, dass die Einschätzung, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt,
das
Ergebnis
einer
Gesamteinschätzung
und
nicht
mit
einem
abschliessenden
Kriterienkatalog zu beantworten sei (2013, S. 10). Dieser Umstand wird auch von der
Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Bern genannt. Deshalb sei jeder Einzelfall
spezifisch zu prüfen und zu beurteilen (Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Bern, 2012,
S. 1).
Rechtlich gesehen ist der Begriff „Kindeswohl“ eine zentrale Norm und die oberste Maxime
des gesamten Kindesrechts sowie Leitlinie für die Ausübung der elterlichen Sorge (Maywald,
2007, S. 14). Trotzdem wird der Begriff an keiner Stelle irgendeines Gesetzes definiert. Es
handelt sich deshalb um einen sogenannten unbestimmten Rechtsbegriff (Maywald, 2007, S.
14). Historisch ist eine interessante Entwicklung des Begriffs auszumachen: Mit dem
Aufkommen von staatlichen Kindesschutzeinrichtungen wurde das Kindeswohl gegen Ende
des 19. Jahrhunderts zu einem bedeutenden Begriff in den europäischen Gesetzestexten.
Eine Kindeswohlverletzung wurde jedoch als Pflichtverletzung der Eltern und nicht als
Verletzung der persönlichen Rechte eines Kindes betrachtet (Wyttenbach, 2003, S. 39). Das
Kindesschutzinstrumentarium in der Schweiz nahm im europäischen Vergleich eine
fortschrittliche Rolle ein. Trotzdem reichte die Macht der Eltern, über das Wohl ihres Kindes
zu entscheiden, deutlich weiter als heute. Sie stiess erst dann an eine Grenze, wenn die
13
Misshandlungen
oder
Vernachlässigungen
durch
die
Eltern
nach
damaliger
Erziehungsauffassung nicht mehr zu tolerieren waren (Wyttenbach, 2003, S. 39). Im älteren
traditionellen Kindesschutz wurde vor allem das Ziel der Verhinderung und Beseitigung eines
Negativzustandes verfolgt. Die Meinung, die Eltern wüssten aufgrund ihrer Nähe zum Kind
am besten, was für dieses gut sei, war weit verbreitet (Wyttenbach, 2003, S. 39).
In der UNO-Kinderrechtskonvention von 1989 wurde nebst dem Grundsatz der Verhinderung
und
Beseitigung
eines
negativen
Zustandes
die
Ermöglichung
guter
Entwicklungsbedingungen für ein Kind und somit die Herstellung eines positiven Zustandes
als neues Ziel definiert (Wyttenbach, 2003, S. 39 f.). Dadurch wurde der Rechtsanspruch
eines Kindes gegenüber dem Staat und sein Anrecht auf Schutz vor Misshandlung und
sexueller Ausbeutung betont (Wyttenbach, 2003, S. 40).
Heutzutage ist zudem, wie bereits bei der Bedürfnisdefinition von Dettenborn enthalten, die
Selbstbestimmung des Kindes von zentraler Bedeutung. Mit der Selbstbestimmung hängt die
Tatsache zusammen, dass Kinder und Jugendliche durch die zunehmende Urteilsfähigkeit
und Reife in der Lage sind, ihr eigenes Wohl zu definieren. Umso persönlichkeitsnaher eine
Lebensfrage ist, desto grösser sollte das Mitbestimmungsrecht der urteilsfähigen Kinder und
Jugendlichen sein (Wyttenbach, 2003, S. 43).
Der Begriff „Kindeswohl“ lässt sich nicht allgemeingültig festlegen. Bei der Bestimmung muss
die individuelle Situation des Kindes einbezogen und die bestmöglichen Voraussetzungen für
sein Wohlergehen angeschaut werden. In diesem Zusammenhang ist die Selbst- und
Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen zentral. Als Leitlinie für das Wohl des Kindes
dienen sowohl die Kindesbedürfnisse als auch die Kinderrechte. Welche Rechte Kindern
zustehen und wie das Kindeswohl rechtlich verankert ist, wird im nachfolgenden Unterkapitel
(2.3) erläutert.
2.3 Gesetzliche Verankerungen
Wie bereits bei der Begriffserklärung erwähnt, gilt der Begriff „Kindeswohl“ als oberste
Maxime des gesamten Kindesrechts sowie als Leitlinie für die Ausübung der elterlichen
Sorge. In diesem Kapitel soll die gesetzliche Verankerung des Kindeswohls und der Rechte
von Kindern genauer untersucht werden. Unterschieden wird hierbei zwischen der
internationalen und der nationalen Ebene. Entscheidend sind diverse internationale
Rechtsquellen
wie
die
Allgemeine
Erklärung
der
Menschenrechte
(AEMR),
die
Kinderrechtskonvention (KRK), der Internationale Pakt über bürgerliche und politische
Rechte (IPbpR) und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie auf
nationaler Ebene die Bundesverfassung (BV) und das Schweizerische Zivilgesetzbuch
(ZGB).
14
2.3.1 Internationale Ebene
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte trat 1948 in Kraft. Obwohl sie rechtlich nicht
verbindlich ist und dadurch eigentlich nur Beispielcharakter hat, sollte sie grundsätzlich
umgesetzt werden. Art. 3 AEMR hält das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit jeder
Person fest. Somit wird jeder Person, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft und
ihrem Alter, das Recht auf ein Leben in Freiheit und Sicherheit zugesichert. Art. 5 AEMR
bestimmt, dass niemand gefoltert oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender
Behandlung unterworfen werden darf.
Das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, der jeder Person und ihrer Familie
Gesundheit und Wohlergehen gewährleistet, ist in Art. 25 Abs. 1 AEMR verankert. In Art. 25
Abs. 2 AEMR wird ausdrücklich erwähnt, dass Müttern und Kindern besondere Fürsorge und
Unterstützung zusteht. Art. 26 AEMR regelt das Recht auf Bildung, Erziehungsziele und
Elternrecht. Art. 26 Abs. 1 AEMR besagt, dass jeder Mensch ein Anrecht auf Bildung hat. In
Art. 26 Abs. 2 AEMR wird zudem gefordert, dass „die Ausbildung die volle Entfaltung der
menschlichen Persönlichkeit und die Stärkung der Achtung der Menschenrechte und
Grundfreiheiten zum Ziele haben soll“. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
sind Kinder nicht explizit erwähnt, da die Artikel für alle Menschen gültig sind, treffen sie
jedoch auf Kinder genauso zu.
Anders sieht es bei der Kinderrechtskonvention aus: Die Artikel der Kinderrechtskonvention
sind explizit auf die Situation von Kindern abgestimmt. Die Kinderrechtskonvention wurde
von der Schweiz 1997 ratifiziert und ist im Zusammenhang mit dem Kindeswohl eine
bedeutende Gesetzesquelle. Art. 3 Abs. 1 KRK schreibt vor, dass „bei allen Massnahmen,
die Kinder betreffen […], das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt ist, der vorrangig zu
berücksichtigen ist“. Dieser Artikel stellt das Kindeswohl also in den Mittelpunkt aller
Massnahmen. Art. 6 Abs. 2 KRK führt fort und fordert von den Vertragsstaaten die
Gewährleistung des Überlebens und der Entwicklung des Kindes in grösstmöglichen
Umfang. In Art. 12 Abs. 1 KRK wird dem Kind zugesichert, seine Meinung frei bilden und
diese „in allen das Kind berührenden Angelegenheiten“ äussern zu können. Ebenfalls sind
die Vertragsstaaten verpflichtet, die Meinung des Kindes entsprechend seines Alters und
seiner Reife zu berücksichtigen.
Art. 14 Abs. 1 KRK sieht das Recht des Kindes auf Gedanken-, Gewissens- und
Religionsfreiheit vor. Demnach müssen die Vertragsstaaten das Recht des Kindes auf seine
Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit achten. Art. 18 Abs. 1 KRK bezieht sich auf die
Erziehung und Entwicklung des Kindes und stellt sicher, dass dabei das Wohl des Kindes
das Grundanliegen der Eltern oder gegebenenfalls des Vormundes sein muss. Art. 3, 6, 12,
14 und 18 der Kinderrechtskonvention betonen die Wichtigkeit des Kindeswohls und das
15
Recht des Kindes auf Mitsprache sowie die Berücksichtigung seiner eigenen Meinung und
Religion.
In Art. 19 KRK ist festgehalten, dass die Vertragsstaaten alle Massnahmen zu treffen haben,
„um
das
Kind
vor
jeder
Form
körperlicher
oder
geistiger
Gewaltanwendung,
Schadenszufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor
schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschliesslich des sexuellen Missbrauchs zu
schützen […]“. Das erreichbare Höchstmass an Gesundheit ist in Art. 24 Abs. 1 KRK
verankert. Art. 24 Abs. 2 KRK führt dies weiter aus und verpflichtet die Vertragsstaaten zur
Umsetzung von geeigneten Massnahmen, die die Säuglings- und Kindersterblichkeit
verringern und sicherstellen, dass „allen Teilen der Gesellschaft, insbesondere Eltern und
Kindern, Grundkenntnisse über die Gesundheit […] des Kindes, […] vermittelt werden“. In
Art. 24 Abs. 3 KRK sind zudem Massnahmen zur Abschaffung von überlieferten Bräuchen
festgehalten, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind. Wie bereits in der
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beinhaltet die Kinderrechtskonvention ein
Verbot von Folter sowie grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder
Strafe. Dies ist in der KRK in Art. 37 verankert und dabei explizit auf Kinder bezogen.
Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) ist in der Schweiz
1992 in Kraft getreten und stützt sich auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von
1948. Art. 24 Abs. 1 IPbpR beinhaltet das Recht jedes Kindes „auf diejenigen
Schutzmassnahmen durch seine Familie, die Gesellschaft und den Staat, die seine
Rechtsstellung als Minderjähriger erfordert“. Damit werden sowohl die Familie, die
Gesellschaft und der Staat dazu verpflichtet, Kindern und Jugendlichen einen besonderen
Schutz zukommen zu lassen.
Die Europäische Menschenrechtskonvention trat in der Schweiz 1974 in Kraft. Sie ist als
Ausbau der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu verstehen und enthält dadurch
inhaltlich abgeleitete und sehr ähnliche Gesetzesartikel wie die Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte. Im Gegensatz zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist die
Europäische Menschenrechtskonvention rechtlich jedoch einforderbar. In Art. 3 EMRK ist,
wie in Art. 5 AEMR, das Verbot von Folter festgehalten. Art. 5 EMRK impliziert, analog zu
Art. 3 der AEMR, das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person. Damit kann das
Verbot der Folter sowie das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit rechtlich eingefordert
werden. Auch hierbei gilt, dass diese Artikel zwar nicht explizit auf Kinder zugeschnitten sind,
für diese jedoch, wie für alle Menschen, gelten.
16
Diese internationalen Gesetzesquellen betonen das Kind als Rechtssubjekt, dessen
Wohlergehen von grösster Bedeutung ist. Um dieses Wohlergehen zu gewährleisten, steht
dem Kind ein besonderer Schutz zu.
2.3.2 Nationale Ebene
Das Kindeswohl ist in der Schweiz in der Bundesverfassung und im Zivilgesetzbuch geregelt.
In der Schweizerischen Bundesverfassung sind Art. 10 Abs. 2 sowie Art. 11 für das
Kindeswohl von Bedeutung. Art. 10 BV bezieht sich auf das Recht auf Leben und auf
persönliche Freiheit. Art. 10 Abs. 2 BV lautet: „Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche
Freiheit,
insbesondere
auf
körperliche
und
geistige
Unversehrtheit
und
auf
Bewegungsfreiheit.“ Art. 10 Abs. 2 BV sichert somit allen Menschen in der Schweiz, also
auch Kindern, das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit zu. Art. 11 BV bezieht
sich explizit auf die Situation von Kindern und Jugendlichen. Art. 11 Abs. 1 BV fordert den
Anspruch von Kindern und Jugendlichen auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf
Förderung ihrer Entwicklung. In der Schweizerischen Bundesverfassung ist somit
ausdrücklich erwähnt, dass Kindern und Jugendlichen einen besonderen Schutz ihrer
Unversehrtheit zusteht. Art. 11 Abs. 2 BV besagt, dass Kinder und Jugendliche ihre Rechte
im Rahmen ihrer Urteilsfähigkeit ausüben. Die Urteilsfähigkeit spielt somit bei der Ausübung
von eigenen Rechten von Kindern und Jugendlichen eine wesentliche Rolle. Diese Tatsache
wurde bereits im Kapitel 2.1 im Zusammenhang mit den Artikeln rund um die
Handlungsfähigkeit im Schweizerischen Zivilgesetzbuch betont.
Das Schweizerische Zivilgesetzbuch verpflichtet Eltern und Kinder in Art. 272 zu
gegenseitigem Beistand, Rücksicht und Achtung. Dabei steht das Kindeswohl aber an
oberster Stelle (Schwander, 2014, S. 30). Art. 301 Abs. 1 ZGB schreibt zudem vor, dass „die
Eltern im Blick auf das Wohl des Kindes seine Pflege und Erziehung leiten […]“. Die
Erziehung ist also nach dem Wohl des Kindes auszurichten. Art. 302 Abs. 1 ZGB fordert,
dass „die Eltern das Kind ihren Verhältnissen entsprechend zu erziehen und seine
körperliche, geistliche und sittliche Entfaltung zu fördern und zu schützen“ haben. Bei der
Erziehung müssen die Eltern somit auf die Individualität ihres Kindes eingehen und dieses
dementsprechend fördern und schützen. Laut Art. 302 Abs. 2 ZGB müssen die Eltern die
Ausbildung des Kindes seinen Fähigkeiten und Neigungen anpassen. Dabei soll
insbesondere auf körperlich oder geistig schwächere Kinder eingegangen werden. Ebenso
sind Eltern nach Art. 302 Abs. 2 verpflichtet, dem Kind eine allgemeine und berufliche
Ausbildung zu ermöglichen. Die Zusammenarbeit der Eltern mit der Schule und involvierten
Behörden wird in Art. 302 Abs. 3 ZGB festgesetzt.
17
Bestimmungen zum Kindesschutz sind in Art. 307 ZGB vorgeschrieben. Art. 307 Abs. 1 ZGB
regelt den Fall einer Kindeswohlgefährdung. Bei einer Gefährdung müssen die Eltern von
sich aus für Abhilfe sorgen. Ist dies nicht möglich, trifft die Vormundschaftsbehörde
Massnahmen zum Schutz des Kindes.
Auch in den unterschiedlichen schweizerischen Gesetzesartikeln wird das Kind als ein
Rechtssubjekt mit einem besonderen Anspruch auf Schutz beschrieben. Dem Kind steht
Unversehrtheit sowie eine individuelle Entfaltung und Entwicklung zu. Das Wohlergehen des
Kindes gilt als Maxime der gesamten Erziehung. Besteht die Möglichkeit einer Gefährdung
des Kindeswohls, sind konkrete Massnahmen zu deren Beseitigung bestimmt.
18
3. Rechte und Pflichten der Eltern
Im Zusammenhang mit der Erziehung ihres Kindes üben Eltern im Rahmen des Gesetzes
sowohl Rechte als auch Pflichten aus. Diese sollen in diesem Kapitel vorgestellt werden. In
einem ersten Teil folgt eine Auseinandersetzung mit Rechten und Pflichten der Eltern auf
internationaler Ebene. Relevant sind hierbei die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte,
die Kinderrechtskonvention, der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte
sowie die Europäische Menschenrechtskonvention. Auf nationaler Ebene ist kein explizites
Erziehungsrecht der Eltern verankert, es lässt sich jedoch aus diversen Artikeln der
Schweizerischen Bundesverfassung und des Schweizerischen Zivilgesetzbuches ableiten
(Schwander, 2014, S. 28). Ebenfalls Regelungen zu den Rechten und Pflichten von Eltern
finden sich auf nationaler Ebene im Strafgesetzbuch. Nach der Auseinandersetzung mit den
unterschiedlichen Gesetzen in Bezug auf Rechte und Pflichten der Eltern, soll im letzten Teil
dieses Kapitels angeschaut werden, in welchem Verhältnis die Rechte der Eltern zu
denjenigen des Kindes stehen.
3.1 Rechte und Pflichten der Eltern auf internationaler Ebene
In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte bestimmt Art. 12 den Schutz vor
willkürlichen Eingriffen in das Privatleben und die Familie. Art. 16 AEMR garantiert zudem
die Ehefreiheit und den Schutz der Familie. Art. 16 Abs. 3 AEMR sieht die Familie als
grundlegende Einheit der Gesellschaft. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
würdigt somit die Familie als schützenswerte Einheit.
Art. 18 AEMR bezieht sich auf die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses
Recht umfasst „die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung allein oder in
Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder privat, durch Lehre, Ausübung,
Gottesdienst und Vollziehung von Riten zu bekunden“. Dieser Artikel beinhaltet grundsätzlich
das Recht einer Person, die Religion selbst zu bestimmen und zu praktizieren. Genaueres im
Zusammenhang mit dem Erziehungsrecht findet sich in der Bundesverfassung und wird bei
der nationalen Ebene der elterlichen Rechte und Pflichten aufgeführt.
Abschliessend ist in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte Art. 26 relevant. Dieser
Artikel beinhaltet das Recht auf Bildung, Erziehungsziele und Elternrecht. Art. 26 Abs. 3
AEMR sieht das Recht der Eltern zur Bestimmung der Bildung ihrer Kinder vor. Eltern haben
dadurch das Recht, Entscheidungen im Zusammenhang mit der Bildung ihres Kindes zu
treffen.
In der Kinderrechtskonvention sind im Zusammenhang mit den Rechten und Pflichten von
Eltern Art. 5, Art. 14, Art. 18 sowie Art. 27 KRK relevant. Art. 5 KRK verlangt, dass „die
Vertragsstaaten die Aufgaben, Rechte und Pflichten der Eltern oder gegebenenfalls, […]
19
anderer für das Kind gesetzlich verantwortlicher Personen, achten, das Kind bei der
Ausübung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte in einer seiner Entwicklung
entsprechenden Weise angemessen zu leiten und zu führen“. Dieser Artikel enthält für die
Eltern sowohl eine Verpflichtung als auch ein Recht. Einerseits fordert Art. 5 KRK von den
Eltern, dass sie ihr Kind bei der Ausübung seiner Rechte leiten und führen. Diese
Unterstützung muss zudem der Entwicklung des Kindes angemessen werden. Andererseits
müssen die Vertragsstaaten die in diesem Zusammenhang entstehenden Aufgaben, Rechte
und Pflichten der Eltern achten. In Art. 14 Abs. 2 KRK wird die Achtung der elterlichen
Rechte und Pflichten bei der Leitung der Ausübung, der in Art. 14 Abs. 1 KRK festgehaltenen
Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit des Kindes, zugesichert. Die Eltern haben
somit nach der Kinderrechtskonvention ein Anrecht auf Achtung ihrer Rechte und Pflichten
im Rahmen der Erziehung. Voraussetzung dafür ist, dass die Rechte des Kindes sowie sein
Wohl im Zentrum stehen.
In Art. 18 Abs. 1 KRK ist die Zuständigkeit der Erziehung geregelt. Daraus ist zu entnehmen,
dass in erster Linie beide Elternteile gemeinsam für die Erziehung und Entwicklung des
Kindes verantwortlich sind. Das Grundanliegen der Eltern muss sich aus dem Wohl des
Kindes ergeben. Soweit möglich sind beide Eltern in der Erziehung und bei der Entwicklung
des Kindes beteiligt. Das Kindeswohl wird hierbei als massgebliche Maxime angeschaut.
Art. 27 Abs. 2 KRK bezieht sich auf die Lebensbedingungen des Kindes innerhalb der
Erziehung. Demnach sind die Eltern verpflichtet, „im Rahmen ihrer Fähigkeiten und
finanziellen
Möglichkeiten
die
für
die
Entwicklung
des
Kindes
notwendigen
Lebensbedingungen sicherzustellen“. Nach Art. 27 Abs. 3 KRK müssen die Vertragsstaaten
nach Möglichkeit geeignete Massnahmen zur Verfügung stellen, um die Eltern bei der
Umsetzung der in Art. 27 Abs. 2 KRK festgehaltenen Pflicht zu unterstützen. Die Eltern
werden durch die Kinderrechtskonvention dazu verpflichtet, die für die Entwicklung ihres
Kindes
bestmöglichen
Lebensbedingungen
zu
schaffen.
Dies
geschieht
unter
Berücksichtigung der Fähigkeiten und finanziellen Möglichkeiten der Eltern. Dabei sollen die
Eltern durch den Staat mit geeigneten Massnahmen unterstützt werden.
Im Internationalen Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte wird in Art. 23 Abs. 1
nochmals den Wert der Familie in der Gesellschaft betont. Die Familie ist als die natürliche
Kernzelle der Gesellschaft zu betrachten. Dadurch steht ihr einen besonderen Schutz durch
die Gesellschaft und den Staat zu.
Wie bereits bei den Rechten der Kinder (Kapitel 2.3.1) erwähnt, sind die Gesetzesartikel der
Europäischen Menschenrechtskonvention teilweise fast identisch mit denjenigen der
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Ähnlich wie Art. 12 (Schutz der Freiheitssphäre
20
des Einzelnen) und Art. 16 (Ehefreiheit und Schutz der Familie) AEMR ist in der
Europäischen Menschenrechtskonvention Art. 8 geregelt. Art. 8 EMRK sieht nämlich das
Recht jeder Person auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens vor. Dadurch steht der
Familie erneut einen expliziten Schutz zu.
Art. 9 EMRK beinhaltet, analog zu Art. 18 AEMR, das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und
Religionsfreiheit. Art. 9 Abs. 2 EMRK führt weiter aus: „Die Freiheit, seine Religion oder
Weltanschauung zu bekennen, darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich
vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die öffentliche
Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder zum Schutz
der Rechte und Freiheiten anderer“. Daraus lässt sich erkennen, dass die Religion einer
Person als schützenswert erachtet wird, unter gewissen Umständen aber eingeschränkt
werden kann.
Die internationalen Gesetzesquellen sehen die Familie als besondere Einheit der
Gesellschaft. Die Familie ist deshalb durch die Gesellschaft und den Staat zu schützen.
Eltern werden in der Erziehung ihrer Kinder in vielen Bereichen Entscheidungs- und
Bestimmungskompetenzen zugesprochen. Sie sollen ihre Kinder führen und leiten. Dabei
müssen jedoch das Wohl und die bestmögliche Entwicklung des Kindes im Zentrum stehen.
3.2 Rechte und Pflichten der Eltern auf nationaler Ebene
In der Schweiz sind die Rechte und Pflichten von Eltern sowohl in der Bundesverfassung als
auch im Zivilgesetzbuch und im Strafgesetzbuch verankert.
In der Bundesverfassung lässt sich das Erziehungsrecht von unterschiedlichen Artikeln
ableiten, es ist jedoch in keinem Artikel explizit ausgemacht. Art. 13 BV sieht das Anrecht auf
Achtung auf das Privat- und Familienleben jeder Person vor. Ebenfalls ein Schutz des
Familienlebens enthält Art. 14 BV. Dieser Artikel sichert die Gewährleistung des Rechtes auf
Ehe und Familie. Wie bereits in der AEMR und der EMRK betont die Bundesverfassung also
das Anrecht der Familie auf Schutz durch den Staat und misst ihr hierbei eine besondere
Bedeutung zu.
Art. 15 BV bezieht sich dagegen auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Diese wird in Art.
15 Abs. 1 BV gewährleistet. Art. 15 Abs. 2 BV betont das Recht jeder Person der freien Wahl
ihrer Religion und weltanschaulichen Überzeugung. In Art. 15 Abs. 3 BV ist festgehalten,
dass jede Person einer Religionsgemeinschaft beitreten und angehören darf. Eine
konkretere Regelung der Religionsfreiheit im Zusammenhang mit dem Erziehungsrecht
findet sich in Art. 303 ZGB und wird nachfolgend erläutert.
Im Zivilgesetzbuch lässt sich Art. 272 nicht nur unter dem Aspekt des Kindeswohls
betrachten, sondern bezieht sich inhaltlich auch auf die Rechte und Pflichten von Eltern.
21
Diese schulden ihrem Kind nach Art. 272 ZGB Beistand, Rücksicht und Achtung. Da Art. 272
ZGB dies jedoch von den Eltern und Kindern gegenseitig verlangt, ergibt sich daraus auch
ein Recht der Eltern auf Beistand, Rücksicht und Achtung ihrer Kinder. Dadurch wird erneut
der Wert und die Besonderheit der Familie betont.
In Art. 296 ff. ZGB wird die elterliche Sorge geregelt. Art. 296 Abs. 1 ZGB setzt voraus, dass
Kinder bis zu ihrer Volljährigkeit unter elterlicher Sorge stehen. Die Auswirkungen der
elterlichen Sorge werden in Art. 301 ff. ZGB geregelt. Art. 301 Abs. 1 ZGB sichert den Eltern
das Recht zu, für ihr Kind notwendige Entscheidungen zu treffen. Dazu sei die
Handlungsfähigkeit des Kindes zu berücksichtigen. Eltern können demnach stellvertretend
für ihr Kind Entscheidungen treffen, sollen hierbei allerdings, sofern möglich, das Kind
mitbestimmen lassen (vgl. Kapitel 2.1). In Art. 301 Abs. 2 ZGB wird ausserdem bestimmt,
dass das Kind den Eltern Gehorsam schuldet. Art. 301 Abs. 2 ZGB enthält aber auch eine
Pflicht für die Eltern. Diese sollen dem Kind nämlich „die seiner Reife entsprechende Freiheit
der Lebensgestaltung gewähren und in wichtigen Angelegenheiten, […], auf seine Meinung
Rücksicht nehmen“. Kinder müssen somit grundsätzlich Entscheidungen und Bestimmungen
ihrer Eltern akzeptieren, dabei sollen die Eltern jedoch angemessene Freiheiten und die
Meinung des Kindes berücksichtigen. Erziehung ist demnach als Spannungsfeld zwischen
den Entscheidungen der Eltern und den Freiheiten des Kindes zu verstehen. Dadurch geht
es in vielen Situationen um ein Abwägen dieser beiden Interessenslagen. Art. 301 Abs. 3
ZGB beinhaltet die gesetzliche Regelung, dass das Kind ohne die Einwilligung der Eltern die
Hausgemeinschaft nicht verlassen darf.
In Art. 302 ZGB sind vor allem Bestimmungen zum Kindeswohl zu finden. Eltern müssen ihr
Kind nach Art. 302 Abs. 1 ZGB seinen Verhältnissen entsprechend erziehen und seine
körperliche, geistige und sittliche Entfaltung fördern und schützen. Zudem sieht Art. 302 Abs.
2 ZGB vor, dass die Eltern dem Kind eine angemessene und auf das Kind abgestimmte
allgemeine und berufliche Ausbildung verschaffen. Bei der Erziehung sollen Eltern auf die
Individualität des Kindes eingehen und das Kind bei seiner einzigartigen Entwicklung
unterstützen sowie eine passende Ausbildung ermöglichen. Damit wiederspiegelt Art. 302
ZGB inhaltlich den Kern des Kindeswohls (vgl. Kapitel 2.2).
Art. 303 ZGB regelt die religiöse Erziehung. In Art. 303 Abs. 1 ZGB ist festgehalten, dass die
Eltern über die religiöse Erziehung des Kindes verfügen. Art. 303 Abs. 3 ZGB stellt allerdings
sicher, dass ein Kind nach dem Zurücklegen des 16. Lebensjahres selbständig über seine
religiöse Zugehörigkeit entscheiden darf. Solange ein Kind unter 16 Jahre alt ist, liegt die
Entscheidung über die religiöse Zugehörigkeit also bei den Eltern. Die allgemeinen
Grundsätze über die Erziehung in Art. 301 Abs.1 und 2 ZGB und Art. 302 Abs. 1 ZGB gelten
jedoch auch für die religiöse Erziehung. Somit liegt die Grenze der religiösen Erziehung bei
der Gefährdung des Kindeswohls (Schwenzer, 2010, S. 1603).
22
Im Strafgesetzbuch ist in Art. 219 die Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht
geregelt. So hält Art. 219 Abs. 1 StGB fest: „Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht
gegenüber einer minderjährigen Person verletzt oder vernachlässigt und sie dadurch in ihrer
körperlichen oder seelischen Entwicklung gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei
Jahren oder Geldstrafe bestraft“. Hiermit werden die Folgen bestimmt, wenn Eltern der
Fürsorge- und Erziehungspflicht nicht nachkommen.
Der schweizerische Gesetzgeber gesteht der Familie ebenfalls einen besonderen Wert zu
und enthält deshalb den Schutz des Familienlebens. Die Eltern werden berechtigt,
notwendige Entscheidungen für ihre Kinder zu treffen. Dabei soll die Handlungsfähigkeit des
Kindes einbezogen und die eigene Meinung berücksichtigt werden. Die Eltern werden
verpflichtet, das Kind bei seiner individuellen Entwicklung und Entfaltung zu unterstützen.
3.3 Verhältnis Kindeswohl und Elternrechte
Bisher wurden sowohl das Kindeswohl sowie die Rechte der Kinder als auch die Rechte und
Pflichten der Eltern angeschaut. Von Interesse ist nun das Verhältnis dieser beiden Seiten.
Wie stehen die Elternrechte zu denjenigen des Kindes? Diese Frage stellt sich besonders in
Situationen, in welchen sich diese Ebenen möglicherweise widersprechen.
Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass das Kindeswohl und die eigene Handlungsfähigkeit
des Kindes das elterliche Entscheidungsrecht eingrenzen. Der Persönlichkeitsschutz ist auf
beiden Seiten zu wahren (Baviera, 2003, S. 143). Sobald sich diese beiden Bereiche
berühren, eröffnet sich ein Spannungsfeld, in welchem die Erziehung und Entwicklung
stattfindet (Baviera, 2003, S. 143). Kinder werden zunehmend mehr Selbstentfaltung und
eine eigene Rechtspersönlichkeit zugesprochen und als Rechtssubjekte wahrgenommen,
welche in wichtigen Belangen mitentscheiden dürfen (Baviera, 2003, S. 143). Der Wandel
des Begriffs der elterlichen Gewalt zur elterlichen Sorge löst in einem gewissen Masse die
Hierarchie der Beziehung der Eltern und Kinder auf. Dadurch wird verdeutlicht, dass Kinder
nicht mehr einfach untergeordnet sind, sondern mitentscheiden dürfen oder zumindest ein
Anrecht auf die Berücksichtigung ihrer Meinung haben (Baviera, 2003, S. 143). Wenn es
jedoch zu keiner Übereinstimmung zwischen den Eltern und dem Kind kommt, entscheiden
grundsätzlich die Eltern. Durch den Schutz der Familie wird dieser nämlich ein grosser
privater Gestaltungsraum eingeräumt (Baviera, 2003, S. 144). Eine Grenze für dieses Prinzip
bildet jedoch die Gefährdung des Kindeswohls. Sobald das elterliche Verhalten dem Kind
nämlich schadet, geht das Kindeswohl der elterlichen Selbstbestimmung vor (Baviera, 2003,
S. 145). In diesem Fall überwiegt das Interesse, das Kind zu schützen. Dieses Recht wird
demjenigen der Familie auf Schutz vor staatlichen Interventionen übergeordnet (Baviera,
23
2003, S. 144). Wenn sich jedoch gleichwertige Interessen ohne Gefährdung des Kindes
gegenüberstehen, ist eine Interessensabwägung vorzunehmen (Baviera, 2003, S. 145).
Solange es um die Wahrung der wirklichen Interessen des Kindes geht, zeigt sich die
Tendenz zum Vorrang der Kinderrechte vor den Elternrechten (Baviera, 2003, S. 146).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Familie bei der Erziehung vor staatlichen
Eingriffen geschützt wird und grundsätzlich die Eltern Entscheidungen treffen dürfen. Das
Kind wird den Eltern allerdings nicht untergeordnet und soll bei wichtigen Entscheidungen
mitberücksichtig werden. Sobald es zu einer Gefährdung des Kindeswohls kommt,
überwiegen die Rechte des Kindes gegenüber denjenigen der Eltern und der Staat darf
eingreifen.
24
4. Weibliche Genitalverstümmelung
Nachdem bisher grundlegende gesetzliche Bestimmungen zu Kindern- und Elternrechte
angeschaut wurden, widmet sich das folgende Kapitel der weiblichen Genitalverstümmelung.
In einem ersten Schritt wird der Begriff der weiblichen Genitalverstümmelung genauer
betrachtet.
Dazu
wird
der
Begriff
definiert
und
erläutert.
Die
Verwendung
der
unterschiedlichen Begriffsbezeichnungen sollen diskutiert und einander gegenübergestellt
werden. Anschliessend wird die Verbreitung der weiblichen Genitalverstümmelung
thematisiert und die verschiedenen Formen aufgeführt. In einem nächsten Teil wird auf die
Begründung sowie die verschiedenen Folgen der weiblichen Genitalbeschneidung
eingegangen. Abschliessend wird die rechtliche Situation, sowohl national als auch
international, vorgestellt und ein Fazit in Bezug auf das Kindeswohl gezogen.
4.1 Begriffserklärung
Die Weltgesundheitsorganisation definiert die weibliche Genitalverstümmelung als „alle
Verfahren, welche die partielle oder totale Entfernung oder sonstige Verletzung der äusseren
weiblichen Genitalien aus kulturellen, religiösen oder anderen nicht therapeutischen Gründen
beinhalten“ (Cottier, 2008, S. 9).
Zunächst wurde dafür der Begriff „ weibliche Beschneidung“ oder „Female Circumcision, FC“
verwendet. Dieser Ausdruck wurde jedoch seit den 80er Jahren zunehmend verdrängt, da
man darin eine Verniedlichung und Verharmlosung des Eingriffes enthalten sah (Trechsel &
Schlauri, 2004, S. 4). Afrikanische Aktivistinnen wollten mit einem neuen Begriff zum
Ausdruck bringen, dass die weibliche Genitalbeschneidung nicht vergleichbar mit der
Beschneidung eines Mannes sei (Richter & Schnüll, 2003, S. 16). Es wurde argumentiert,
dass bei einer medizinisch nicht notwendigen Amputation von beispielsweise einem Ohr
oder der Nase automatisch von einer Verstümmelung die Rede wäre (Richter & Schnüll,
2003, S. 16). So wurde 1990 bei einer Konferenz der WHO der Begriff Female Genital
Mutilation (FGM), also weibliche Genitalverstümmelung, eingeführt, welcher seither
international verwendet wird (Trechsel & Schlauri, 2004, S. 4). Die UN-Organisationen
(United Nations) WHO, UNICEF und UNFPA (United Nations Development Fund) haben sich
gemeinsam zu diesem Begriff geäussert und ihn anschliessend so angewendet (Cottier,
2008, S. 9).
Heutzutage wird der Begriff FGM jedoch in Frage gestellt. Viele Betroffene fühlen sich
beleidigt, da sie nicht als verstümmelt bezeichnet werden möchten (Rust, 2007, S. 21). Auch
birgt der Begriff „Verstümmelung“ die Gefahr einer Reduzierung der Frauen auf ihr Genital
(Rust, 2007, S. 21 f.). Mögliche andere Begriffe sind „Female Genital Surgery, FGS“
25
(„weibliche
Genitaloperation“)
oder
„Female
Genital
Cutting,
(„weibliches
FGC“
Genitalschneiden“). Diese Begriffe lassen sich jedoch schwer übersetzen (Trechsel &
Schlauri,
2004,
S.
4).
Eine
weitere
Alternativbezeichnung
wäre
„weibliche
Genitalverschneidung“. Hierbei ist allerdings die englische Übersetzung eher umständlich
(Trechsel & Schlauri, 2004, S. 4).
In der vorliegenden Diplomarbeit werden die Begriffe „weibliche Genitalverstümmelung“
sowie „weibliche Genitalbeschneidung“ synonym verwendet. Gerade im Umgang mit
Betroffenen
ist
es jedoch
besonders
bedeutsam,
rücksichtsvolle
und
schonende
Umschreibungen zu gebrauchen und die beschnittenen Mädchen und Frauen nicht als
„verstümmelt“ zu bezeichnen, da dieser Ausdruck verletzend und entwürdigend sein kann.
4.2 Verbreitung
Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation sind heute weltweit zwischen 100 und
150 Millionen Mädchen und Frauen von der weiblichen Genitalverstümmelung betroffen.
Täglich werden weitere 8‘000 Mädchen genital beschnitten, jede Stunde über 300 und alle
zwölf Sekunden ein Mädchen (Schnüll, 2003, S. 26).
Weibliche Genitalverstümmelung ist in 28 afrikanischen Ländern, im Süden der Arabischen
Halbinsel und in einigen asiatischen Ländern verbreitet (Schnüll, 2003, S. 26). In Afrika
kommt die weibliche Genitalbeschneidung überwiegend in den Ländern rund um den
Äquator vor. In Ägypten, Somalia, Djibouti und Guinea ist über 95% der weiblichen
Bevölkerung an ihren Genitalien beschnitten. Auf der Arabischen Halbinsel und in Asien wird
die weibliche Genitalverstümmelung bei einigen ethnischen Gruppen im Jemen, Irak und Iran
sowie in Indien und Pakistan praktiziert (Schnüll, 2003, S. 26). Auch existieren Berichte über
die Durchführung von weiblicher Genitalverstümmelung in Bahrain, Israel, Oman,
Vereinigten Arabischen Emiraten, Malaysia und Indonesien (Schnüll, 2003, S. 26). In
Gesellschaften, in denen weibliche Genitalbeschneidungen praktiziert werden, sind
grundsätzlich alle Mädchen davon betroffen (Schnüll, 2003, S. 26). Dies erklärt auch,
weshalb der Brauch normalerweise von niemandem hinterfragt wird, da keine Vergleiche zu
unversehrten Frauen vorliegen und die Beschneidung als vollkommen üblich betrachtet wird
(Schnüll, 2003, S. 26).
Die weibliche Genitalverstümmelung beschränkt sich nicht auf die Anhängerinnen einer
bestimmten Religion, somit sind sowohl Christinnen, Musliminnen, Jüdinnen und Angehörige
anderer Religionen betroffen (Schnüll, 2003, S. 26). Auch in Europa und Nordamerika
wurden seit dem Mittelalter immer wieder Operationen an den äusseren weiblichen
Genitalien
als
vermeintliches
Mittel
gegen
nervöse
Erkrankungen,
Hysterie
und
26
Selbstbefriedigung durchgeführt. Der letzte bekannt gewordene Eingriff wurde 1953 in den
Vereinigten Staaten von Amerika bei einem zwölfjährigen Mädchen praktiziert (Schnüll,
2003, S. 26). Durch die Zuwanderung sind zunehmend auch Europa, Nordamerika und
Australien von der weiblichen Genitalverstümmelung direkt betroffen. In der Schweiz sind
schätzungsweise 10‘700 Mädchen und Frauen genital beschnitten oder davon bedroht
(Schweizerisches Komitee für UNICEF, 2013).
4.3 Formen
Die WHO unterscheidet bei der weiblichen Genitalverstümmelung zwischen vier Typen. In
der Praxis kommen jedoch auch Zwischenformen und Variationen vor (Cottier, 2008, S. 9).
- Typ I (Inzision) meint die Einschneidung oder Entfernung der Klitorisvorhaut. Die Inzision
gilt als die mildeste Form der weiblichen Genitalbeschneidung (Cottier, 2008, S. 9).
- Beim Typ II (Exzision) werden die Klitoris und die kleinen Schamlippen teilweise oder
vollständig entfernt (Cottier, 2008, S. 9).
- Typ III (Infibulation) stellt die gravierendste Form der weiblichen Genitalbeschneidung dar
und macht ungefähr 15% aller Beschneidungen aus (Cottier, 2008, S. 9). Die Infibulation
bedeutet die Entfernung der Klitoris sowie der kleinen und grossen Schamlippen.
Anschliessend wird die Wunde zugenäht und lediglich eine winzige Öffnung gelassen, damit
Urin und das Menstruationsblut herausfliessen können (Cottier, 2008, S. 9).
- Typ IV beinhaltet diverse, nicht klassifizierbare Praktiken. Unter Typ IV fallen alle Formen
der weiblichen Genitalbeschneidungen, die nicht einem der vorangehenden Typen
zugeordnet werden können (Cottier, 2008, S. 9). Vor allem bezieht sich der Typ IV auf
Punktionen, Piercings, Einschneiden und Einreissen der Klitoris, aber auch auf die
Ausziehung und die Verlängerung der Klitoris und der Schamlippen. Ebenfalls dazu gehören
das Einreissen des Umgebungsgewebes, Schnitte in die Vagina sowie die Einführung
ätzender Substanzen oder Kräuter, um die Vagina zu verengen (Cottier, 2008, S. 9).
Bei einer Frau, bei welcher eine Infibulation durchgeführt wurde, muss die verschlossene
und vernarbte Vagina für den Geschlechtsverkehr wieder geöffnet werden. Dieser Vorgang
wird Defibulation genannt (Schnüll, 2003, S. 28 f.). Vom Mann wird zwar erwartet, dass ihm
dies durch Penetration der kleinen Öffnung gelingt, was jedoch fast unmöglich ist. In vielen
Fällen benutzt der Mann deshalb ein Messer oder ein ähnlich scharfes Werkzeug um die
kleine Öffnung zu erweitern. Dadurch erleidet die Frau zusätzliche Verletzungen im
Genitalbereich und Schmerzen. Manchmal wird auch eine Beschneiderin, eine Ärztin oder
ein Arzt konsultiert oder ein Krankenhaus aufgesucht (Schnüll, 2003, S. 28 f.) Bei einer
Geburt ist eine Defibulation für den Geburtsvorgang erneut notwendig. Nach der Geburt wird
die Vagina in den meisten Fällen wieder bis auf eine winzige Öffnung verschlossen (Schnüll,
2003, S. 28 f.). Dazu wird eine Reinfibulation vorgenommen und die Narbenränder
27
abgeschält und von neuem zugenäht. Manchmal lassen sich auch Witwen oder geschiedene
Frauen reinfibulieren, da sie dadurch wieder als Jungfrauen angesehen und somit ihre
Heiratschancen erhöht werden (Schnüll, 2003, S. 28 f.).
4.4 Begründungen
Die Begründungen für die Ausübung der weiblichen Genitalverstümmelung sind sehr
unterschiedlich und vielseitig. Eltern lassen ihre Töchter oftmals in guter Absicht
beschneiden, da eine unbeschnittene Frau als heiratsunfähig gilt und von der Gemeinschaft
diskriminiert und ausgestossen wird (Derungs et al., 2009, S. 9).
Entgegen der verbreiteten Annahme, die weibliche Genitalverstümmelung sei religiös
verankert, ist diese nicht an eine bestimmte Religion gebunden. Denn sowohl bei
ägyptischen Christen, als auch beim äthiopischen Volksstamm der Falaschas, welcher nach
jüdischen Traditionen lebt, werden Mädchen genital beschnitten (Hermann, 2000, S. 16).
Und obwohl die weibliche Genitalverstümmelung im islamischen Bereich weit verbreitet ist,
hat sie in ihren Ursprüngen nichts mit dem Islam zu tun (Hermann, 2000, S. 16). Weder im
Koran noch in der Tora oder der Bibel ist die weibliche Genitalverstümmelung festgehalten.
Zudem wurden bereits zu Pharaonenzeiten in Ägypten sowie im alten Israel Mädchen genital
beschnitten (Hermann, 2000, S.16).
Eine der Hauptbegründungen für die Genitalbeschneidung bei Mädchen und Frauen wird der
Tradition zugeschrieben. In manchen Gesellschaften gilt die Genitalverstümmelung als
Initiationsritus, durch welchen das Geschlecht endgültig festgelegt wird (Schnüll, 2003, S.
26). Einige Völker gehen nämlich von einer Doppelgeschlechtlichkeit der äusseren
Genitalien aus und sind davon überzeugt, dass sich der männliche Anteil der Seele bei einer
Frau in der Klitoris und der weibliche Teil der Seele bei einem Mann in der Vorhaut befinden.
Die Entfernung der Klitoris symbolisiert demnach die Festlegung des Geschlechtes, die
soziale Rollenfindung sowie die Heiratsfähigkeit der jungen Frauen (Schnüll, 2003, S. 26).
Die Beschneidung gilt nicht zur als Zeichen der Heiratsfähigkeit, sondern ist oftmals auch
eine Voraussetzung für die Ehe. Die Frauen sollen ihre Rolle als zukünftige Ehefrau und
Mutter gut wahrnehmen (Derungs et al., 2009, S. 9). Ein kontrolliertes Sexualverhalten ist in
vielen Bevölkerungsgruppen ein unabdingbarer Teil davon. Die Beschneidung der weiblichen
Genitalien wird als Garantie dafür gesehen, dass die Frau jungfräulich in die Ehe geht und in
der Ehe treu bleibt (Derungs et al., 2009, S. 9).
In manchen Bevölkerungsgruppen ist zudem die Ansicht verbreitet, dass durch die
Beschneidung die Fruchtbarkeit einer Frau erhöht werde (Derungs et. al., 2009, S. 9). Da
jedoch genau das Gegenteil der Fall sein kann, beruht dieses Argument auf medizinischer
28
Unkenntnis. In vielen afrikanischen Gesellschaften herrscht die Meinung, dass die weiblichen
Genitalien ein männliches Element seien und nicht dem Schönheitsideal entsprechen. Sie
gelten als hässlich und unrein (Derungs et al., 2009, S. 9).
Terre des Femmes hält in ihrer Begleitbroschüre „Schnitt ins Leben“ (Derungs et al., 2009, S.
9) fest, dass die wichtigsten Gründe für die weibliche Genitalbeschneidung in Unwissenheit
und dem tieferen Status von Frauen liegen. Es herrsche Unkenntnis über die
gesundheitlichen Folgen, die Menschenrechte sowie die gesetzlichen Regelungen (Derungs
et al., 2009, S. 9). Die Kontrolle der weiblichen Sexualität drücke die tief verwurzelte
Ungleichheit und Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern aus (Derungs et al., 2009,
S. 9).
4.5 Folgen
Die weibliche Genitalverstümmelung ist für die betroffenen Mädchen und Frauen mit einer
Vielzahl von physischen, psychischen, sexuellen und sozialen Folgen verbunden (Peller,
2002, S. 117 f.). Bei den aufgeführten Folgen handelt es sich lediglich um mögliche und
vorstellbare Folgen einer Beschneidung. Welche Folgen aber tatsächlich auftreten, können
von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sein. Zu betonen ist in diesem Zusammenhang jedoch
die Tatsache, dass, unabhängig von der Schwere des Eingriffes, ein Teil eines gesunden
Organes weggeschnitten wird und dies nicht wieder rückgängig zu machen ist. Die
Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass jedes vierte Mädchen oder jede vierte
Frau an den direkten oder langfristigen Folgen der weiblichen Genitalverstümmelung stirbt
(Derungs et al., 2009, S. 5).
4.5.1 Physische Folgen
Unmittelbar mit einer Beschneidung sind ein extrem starker Schmerz, Blutungen und ein
Schock verbunden (Derungs et al., 2009, S. 5). Da die Eingriffe meistens unter sehr
unhygienischen Bedingungen durchgeführt werden, leiden die Betroffenen nach der
Beschneidung
häufig
an
Fieber,
Entzündungen,
Infektionen,
Blutvergiftungen
und
Wundstarrkrampf (Derungs et al, 2009, S. 5). Wenn die Werkzeuge für die Beschneidung bei
mehreren Mädchen verwendet werden, besteht die Gefahr einer Übertragung von HIV
(Humane Immundefizienz-Virus) oder Hepatitis (Derungs et al., 2009, S. 5).
Oftmals wird zudem das angrenzende Gewebe, wie Harnröhre, Damm, Scheide und Anus
verletzt. In vielen Fällen leiden die Betroffenen an Harnverhalten und Inkontinenz (Peller,
2002, S. 117). Später und chronisch führt eine Beschneidung oftmals zu Fieber, Schmerzen,
Infektionen, Sekundärblutungen sowie Blutarmut. Auch Verwachsungen, Abszesse und
Zysten sind häufige Folgen der weiblichen Genitalverstümmelung (Peller, 2002, S. 117).
29
Bei der Infibulation dauert das Urinieren aufgrund der kleinen verbleibenden Öffnung
meistens zehn Minuten oder länger (Derungs et al., 2009, S. 5). Durch Angst vor Schmerzen
versuchen viele Betroffene den Urin zurückzubehalten und wenig zu trinken. Zusammen mit
den Verletzungen der Harnröhre führt dies in vielen Fällen zu dauerhaften Infektionen im
Harnbereich und Unterleib, welche sich zu bleibenden Nierenschäden entwickeln können
(Derungs et al., 2009, S. 5). Besonders die Menstruation ist für die infibulierten Frauen
zudem sehr unangenehm. Diese dauert oftmals bis zu 15 Tagen und ist mit vielen
Schmerzen verbunden. Da das Menstruationsblut nur langsam austreten kann und somit
länger im Körper bleibt, entsteht ein unangenehmer Geruch. Viele Frauen meiden in dieser
Zeit aus Scham die Öffentlichkeit (Derungs et al., 2009, S. 5). Auch birgt die Anstauung der
Menstruationsblutung die Gefahr von Unfruchtbarkeit (Derungs et al., 2009, S. 5).
Durch die Defibulation ist der Geschlechtsverkehr besonders für Frauen, welche infibuliert
wurden, mit starken Schmerzen verbunden. Aber auch bei den anderen möglichen Formen
der Beschneidung ist der Geschlechtsverkehr vielfach schmerzhaft (Derungs et al., 2009, S.
5). Die Geburt bedeutet für die Betroffenen ebenfalls Komplikationen und Qualen (Derungs
et al., 2009, S. 5). Der Austreibungsvorgang dauert aufgrund der Vernarbung nämlich länger
und das Risiko eines Dammrisses ist erhöht. Durch die verminderte Elastizität des
vernarbten Gewebes kann es zu einem Geburtsstillstand kommen, welcher eine
ausreichende Sauerstoffversorgung verunmöglicht und zum Tod des Säuglings führen kann
(Derungs et al., 2009, S. 5). Nach der Geburt wird zudem oft eine Reinfibulation durchgeführt
(Trechsel & Schlauri, 2004, S. 5). Die Wunde wird erneut bis auf eine minime Öffnung
zugenäht und die betroffenen Frauen müssen den Leidensvorgang nochmals über sich
ergehen lassen (Trechsel & Schlauri, 2004, S. 5 f.). Gerade durch die hohe Geburtenrate in
vielen afrikanischen Gebieten, erleidet eine grosse Anzahl der Betroffenen den qualvollen
Kreislauf von „zunähen, erweitern und öffnen“ immer und immer wieder (Trechsel & Schlauri,
2004, S. 5 f.).
4.5.2 Psychische Folgen
Durch die weibliche Genitalverstümmelung werden nebst dem Körper auch die
Persönlichkeit und das Selbstwertgefühl der betroffenen Mädchen und Frauen verletzt
(Derungs et al., 2009, S. 6). Die WHO nimmt an, dass eine weibliche Genitalverstümmelung
ähnliche psychische Auswirkungen wie eine Vergewaltigung oder Folter hat (Derungs et al.,
2009,
S.
6).
Dazu
gehören
Angstreaktionen,
Konzentrationsschwäche,
gestörtes
Essverhalten oder Depressionen (Derungs et al., 2009, S. 6).
Auch kann die Mutter-Kind-Bindung
durch eine frühe Genitalbeschneidung
stark
beeinträchtigt werden. Denn durch die erlebte psychische Verletzung wird der erste
30
Entwicklungsschritt der Vertrauensbildung gegenüber der Mutter verhindert (Hammond &
Kimmel, 1999, S. 249). Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass der Still-Rhythmus bei
beschnittenen weiblichen Säuglingen negativ beeinflusst wird. So haben Mädchen, die nach
der Beschneidung von ihren Müttern gestillt wurden, sogar den Augenkontakt vermieden
(Hammond & Kimmel, 1999, S. 249). Viele Mädchen erleben in Zusammenhang mit ihrer
genitalen Beschneidung ein Trauma. Der Umgang damit kann sehr unterschiedlich sein.
Nach Toubia wird das Trauma jedoch oftmals, gleich wie die anderen psychischen Folgen,
eher unterschwellig gespürt (Hammond, 2003, S. 281). Gründe dafür sind Verleugnung,
Resignation und Akzeptanz gesellschaftlicher Normen (Hammond, 2003, S. 281). Miller
vertritt die These, dass beschnittene Mädchen ihre Gefühle unterdrücken, weil sie keine
Chance haben, sich zu wehren. Dadurch wird ihr Bewusstsein ausgeschaltet und sie
idealisieren die Beschneidung, um den Eingriff als harmlos und notwendig rechtfertigen zu
können (Hammond, 2003, S. 281).
Weitere mögliche Folgen der Genitalbeschneidung sind Vertrauensverlust, Aggressionen,
Persönlichkeitsveränderungen oder Phobien. Um all dies zu bewältigen greifen manche der
Frauen auf Alkohol und Drogen zurück (Peller, 2002, S. 118). In einzelnen Fällen kann eine
Beschneidung sogar einen Suizid oder zumindest Suizidgedanken auslösen (Peller, 2002, S.
118).
4.5.3 Sexuelle Folgen
Durch die Entfernung der Klitoris wird die sexuelle Empfindungsfähigkeit stark eingeschränkt.
Für die betroffenen Frauen kann eine Beschneidung zu sexueller Unlust und Frustration
führen (Peller, 2002, S. 117). Zudem ist die Penetration in vielen Fällen undurchführbar.
Dadurch wird, wie bereits bei den physischen Folgen erwähnt, die Öffnung oft schmerzvoll
erweitert. Durch den Geschlechtsverkehr kommt es zudem zu Verletzungen der Vulva und
des umliegenden Gewebes (Peller, 2002, S: 117). Bei beschnittenen Frauen ist bei
Partnerwechseln und Prostitution das Übertragungsrisiko von Geschlechtskrankheiten wie
HIV und Hepatitis B erhöht (Peller, 2002, S. 117 f.).
4.5.4 Soziale und gesellschaftliche Folgen
Aufgrund der Konzentrationsstörungen und der starken psychischen Belastung einer
weiblichen Genitalverstümmelung fallen manche Betroffenen in der Schule negativ auf oder
brechen diese frühzeitig ab (Derungs et al., 2009, S. 6). Dies hat natürlich weitreichende
Konsequenzen für ihre berufliche Zukunft. Durch die mögliche Unfruchtbarkeit erlebt eine
grosse Anzahl der betroffenen Frauen gesellschaftliche Missachtung. Für viele Männer in
afrikanischen Ländern ist dies ein Scheidungsgrund, da Kinderreichtum als wichtiges Ideal
angesehen wird (Derungs et al., 2009, S. 9).
31
Die weibliche Genitalverstümmelung beinhaltet auch für die Gesellschaft negative Folgen.
Denn erhöhte Mütter- und Kindersterblichkeit, Unfruchtbarkeit, Arbeitsunfähigkeit und
Krankheit hemmen die Entwicklung der gesamten Gesellschaft (Derungs et al., 2009, S. 6).
An dieser Stelle soll nochmals betont werden, dass Mädchen und Frauen durch die
Genitalverstümmelung eine Vielzahl sowohl körperlicher als auch seelischer Schmerzen
erleiden und die weibliche Genitalverstümmelung eine unwahrscheinlich grausame und
lebensgefährliche Praktik darstellt.
4.6 Rechtliche Verankerungen
Sowohl
auf
internationaler
als
auch
auf
nationaler
Ebene
findet
sich
diverse
Gesetzesartikeln, welche sich direkt oder indirekt gegen die weibliche Genitalverstümmelung
aussprechen. Im Folgenden sollen die internationalen und anschliessend die nationalen
Rechtsquellen vorgestellt werden.
4.6.1 Internationale Ebene
Die weibliche Genitalverstümmelung stellt eindeutig eine Verletzung grundlegender
Menschenrechte dar und missachtet eine Vielzahl bedeutender Menschenrechtsinstrumente.
Relevant sind bei der weiblichen Genitalbeschneidung die Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte, die Kinderrechtskonvention, der Internationale Pakt über bürgerliche und
politische Rechte, die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau
(CEDAW),
die
Europäische
Menschenrechtskonvention
sowie
verschiedene
länderspezifische Verbote.
In Bezug auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verstösst die weibliche
Genitalverstümmelung gegen das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit (Art. 3) und das
Recht, frei von Folter zu leben und keiner grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden
Behandlungen oder Strafen unterworfen zu werden (Art. 5). Weibliche Genitalverstümmelung
gefährdet das Leben, die Freiheit und Sicherheit von Mädchen und Frauen und stellt Folter
sowie grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung dar. Ebenso verletzt die
weibliche Genitalverstümmelung Art. 25 Abs. 1 AEMR, wonach jeder Person ein
angemessener Lebensstandard zur Gewährung von Gesundheit und Wohlergehen zusteht.
Es ist offensichtlich, dass die weibliche Genitalverstümmelung sowohl die Gesundheit als
auch das Wohlergehen der Betroffenen missachtet. Die besondere Fürsorge und
Unterstützung von Müttern und Kindern (Art. 25 Abs. 2 AEMR) kann durch die Praktik der
weiblichen Genitalverstümmelung nicht erfüllt werden.
32
Die
weibliche
Genitalverstümmelung
verletzt
zudem
viele
Bestimmungen
der
Kinderrechtskonvention. Sie verstösst gegen Art. 3 Abs. 1 KRK, wonach das Kindeswohl bei
allen Massnahmen vorrangig zu berücksichtigen ist. Ebenso verletzt die weibliche
Genitalbeschneidung Art. 6 Abs. 2 KRK, welcher von den Vertragsstaaten die
Gewährleistung des Überlebens und der Entwicklung des Kindes in grösstmöglichem
Umfang fordert. Durch die Beschneidung von Mädchen werden diese zudem in ihrem Recht
verletzt, ihre Meinung frei bilden und diese in persönlichen Angelegenheiten äussern zu
können (Art. 12 Abs. 1 KRK). Die weibliche Genitalverstümmelung verstösst ebenso gegen
Art. 18 Abs. 1 KRK, wonach bei der Erziehung und Entwicklung des Kindes das Kindeswohl
das Grundanliegen sein muss. Wenn Staaten die weibliche Genitalverstümmelung nicht
bekämpfen, missachten sie Art. 19 KRK, da sie somit nicht alle Massnahmen treffen, um das
Kind vor körperlicher und geistiger Gewaltanwendung oder Schadenszufügung zu schützen.
Genauso verletzt wird Art. 24 Abs. 2 und Abs. 3 KRK, worin enthalten ist, dass die
Vertragsstaaten
geeignete
Massnahmen
zur
Verringerung
von
Säuglings-
und
Kindersterblichkeit umsetzen und sicherstellen, dass der Gesellschaft Grundkenntnisse über
die Gesundheit des Kindes vermittelt (Art. 24 Abs. 2 KRK) sowie für die Gesundheit des
Kindes überlieferte Bräuche abgeschafft werden (Art. 24 Abs. 3 KRK). Ein Staat hätte also
die Aufgaben, sich gegen die weibliche Genitalverstümmelung einzusetzen, um dadurch die
Säuglings- und Kindersterblichkeit zu verringern und die Gesellschaft über die Folgen der
weiblichen Genitalverstümmelung aufzuklären (Art. 24 Abs. 2 KRK) sowie den Brauch
abzuschaffen, da er die Gesundheit von Mädchen schädigt (Art. 24 Abs. 3 KRK). Und auch
Art. 37 KRK, das Verbot der Folter und grausamer und unmenschlicher Behandlung bei
Kindern, wird durch die weibliche Genitalverstümmelung missachtet.
In Bezug auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte wird durch die
weibliche Genitalverstümmelung Art. 24 Abs. 1 verletzt. Denn durch die Beschneidung ihrer
Genitalien können den Mädchen nicht die nötigen Schutzmassnahmen gewährt werden,
welche sie aufgrund ihrer Verletzlichkeit benötigen würden.
Des Weiteren verletzt weibliche Genitalverstümmelung die Konvention zur Beseitigung jeder
Form von Diskriminierung der Frau von 1979. Darin ist die Bekämpfung von Bräuchen und
Praktiken festgehalten, die eine Diskriminierung der Frau darstellen und für die Gesundheit
der Kinder schädlich sind. Die weibliche Genitalverstümmelung ist eindeutig als
Diskriminierung an Frauen und als Schädigung der Gesundheit von Kindern zu verstehen.
Im Zusammenhang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention werden durch die
weibliche Genitalverstümmelung das Verbot der Folter und grausamer und unmenschlicher
Behandlung (Art. 3) sowie das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit (Art. 5) verletzt.
33
In etwa der Hälfte der 28 FGM-praktizierenden afrikanischen Staaten ist die weibliche
Genitalverstümmelung eigentlich gesetzlich verboten. So besteht beispielsweise ein Verbot
in Ägypten (2007), Benin (2005), Äthiopien und Burkina Faso (1997), Djibouti (1995),
Elfenbeinküste (1998), Eritrea (2007), Guinea (1989), Senegal (1999), Tansania und Togo.
Gerade in ländlichen Regionen wird der Brauch der weiblichen Genitalverstümmelung jedoch
weiterhin praktiziert. Problematisch ist auch, dass die gesetzlichen Verbote keine
landesweiten Aufklärungskampagnen zur Folge hatten (Derungs et al., 2009, S. 13). In
einigen europäischen Ländern, wie auch in der Schweiz, gibt es Strafgesetze, die weibliche
Genitalverstümmelung ausdrücklich unter Strafe stellen (Derungs et al., 2009, S. 13).
Auf internationaler Ebene sprechen sich diverse Gesetzesartikel ganz klar gegen die
weibliche Genitalverstümmelung aus. Es ist eindeutig, dass durch die Praxis der
Genitalbeschneidung an Mädchen und Frauen grundlegende Menschenrechte grob verletzt
werden. Auch in vielen betroffenen Ländern sind Gesetze vorhanden, welche die weibliche
Genitalverstümmelung verbieten. Dass ein gesetzlich verankertes Verbot zwar ein wichtiger
Schritt, nicht jedoch eine Garantie für das Ende der Praxis bedeutet, verdeutlicht die
Tatsache, dass trotz all dieser Gesetzesartikel so viele Mädchen und Frauen weiterhin von
der Genitalbeschneidung betroffen und bedroht sind. Die Gesetze müssen deshalb
unbedingt mit landesweiten Aufklärungskampagnen verbunden werden.
4.6.2 Nationale Ebene
Auf nationaler Ebene sind die Bundesverfassung, das Zivilgesetzbucht und das
Strafgesetzbuch
im
Zusammenhang
mit
der
weiblichen
Genitalbeschneidung
von
Bedeutung.
Im Rahmen der weiblichen Genitalverstümmelung sind in der Bundesverfassung sowohl Art.
10 Abs. 2, Art. 11 Abs. 1 und Abs. 2 betroffen. Art. 10 Abs. 2 BV bestimmt das Recht auf
persönliche Freiheit, körperliche und geistige Unversehrtheit. Die Genitalbeschneidung
verletzt eindeutig sowohl die körperliche als auch die geistige Unversehrtheit der betroffenen
Mädchen und Frauen. In Art. 11 Abs. 1 BV wird der besondere Schutzanspruch der
Unversehrtheit von Kindern und Jugendlichen betont, welcher durch die weibliche
Genitalverstümmelung ebenfalls klar verletzt wird. Durch Art. 11 Abs. 2 BV werden Kinder
und Jugendliche berechtigt, im Rahmen ihrer Urteilsfähigkeit eigene Rechte auszuüben, was
durch die Genitalbeschneidung bei Mädchen missachtet wird.
Im Zivilgesetzbuch können bei der weiblichen Genitalverstümmelung Art. 301 Abs. 1 und Art.
302 Abs. 1 angewendet werden. Nach Art. 301 Abs. 1 ZGB muss sich die Pflege und
Erziehung eines Kindes nach dessen Wohl ausrichten. Die Genitalverstümmelung an
Mädchen widersetzt sich dieser Bestimmung unausweichlich. Durch die weibliche
34
Genitalverstümmelung wird die körperliche und geistliche Entfaltung des Kindes verletzt,
welche in Art. 302 Abs. 1 ZGB vorgeschrieben wird. Diese Artikel der Bundesverfassung und
des Zivilgesetzbuches zeigen deutlich, dass die weibliche Genitalverstümmelung in den
Gesetzestexten der Schweiz in keiner Weise geduldet wird und eindeutig verboten ist.
Dieser Tatsache kommt das Strafgesetzbuch (StGB) nach. Am 1. Juli 2012 trat mit Art. 124
ein Gesetz in Kraft, welches sich explizit auf die weibliche Genitalverstümmelung bezieht.
Anhin galt bei der weiblichen Genitalverstümmelung der Tatbestand einer einfachen oder
schweren Körperverletzung, welcher in Art. 123 StGB, beziehungsweise 122 StGB, geregelt
ist. Weibliche Genitalverstümmelung wurde also, je nach Schweregrad des Eingriffes,
unterschiedlich beurteilt (Murer Mikolásek & Jositsch, 2011, S. 1284). Entweder nach Art.
123 StGB als Vergehen oder nach Art. 122 StGB als Verbrechen. Dies hatte sowohl einen
Einfluss auf die Dauer der Maximalstrafe, die Strafbarkeit von Vorbereitungshandlungen, auf
die Einwilligung in den Eingriff und die Verjährung. Auch wird eine einfache Körperverletzung
nur auf Antrag hin verfolgt, wobei es sich bei einer schweren Körperverletzung um ein
Offizialdelikt handelt (Murer Mikolásek & Jositsch, 2011, S. 1284). Diese Rechtslage war
einerseits problematisch, da dadurch für die Klärung des Sachverhalts detaillierte und
zugleich unwürdige Untersuchungen im Intimbereich notwendig waren, andererseits borg sie
die Gefahr, mildere Formen durch den Tatbestand einer einfachen Körperverletzung zu
verharmlosen und konnte dem Umstand nicht gerecht werden, dass jede Art der weiblichen
Genitalbeschneidung
eine
grobe
Verletzung
der
Menschenrechte
darstellt.
Umso
notwendiger wurde eine klare Gesetzgebung, welche unabhängig von den Umständen des
Einzelfalles sämtliche weibliche Genitalverstümmelungen als Verbrechen einstuft (Murer
Mikolásek & Jositsch, 2011, S. 1284).
Art. 124 StGB bezieht sich deshalb explizit auf die „Verstümmelung weiblicher Genitalien“.
Art. 124 Abs. 1 StGB lautet folgendermassen: „Wer die Genitalien einer weiblichen Person
verstümmelt, in ihrer natürlichen Funktion erheblich und dauerhaft beeinträchtigt oder sie in
anderer Weise schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe nicht
unter 180 Tagessätzen bestraft“. Art. 124 Abs. 2 StGB nimmt sich der Problematik an, dass
viele Beschneidungen im Ausland durchgeführt werden. Laut Art. 124 Abs. 2 StGB werden
nämlich auch Personen bestraft, die die „Tat im Ausland begehen, sich in der Schweiz
befinden und nicht ausgeliefert werden“. Durch Art. 124 StGB fallen sämtliche Formen der
weiblichen Genitalverstümmelung unter denselben Tatbestand, werden als Verbrechen
angesehen und gelten als Offizialdelikte. Die Verjährung beträgt in Art. 124 StGB, wie bei
einer schweren Körperverletzung nach Art. 122 StGB, 15 Jahre. Wenn ein Mädchen unter 15
Jahren beschnitten wird, kommt ein besonderer Schutz zur Anwendung und die Verjährung
dauert mindestens bis zum 25. Lebensjahr der Betroffenen (Murer Mikolásek & Jositsch,
35
2011, S. 1284). Art. 124 StGB ermöglicht eine konsequente Bekämpfung der weiblichen
Genitalverstümmelung und betont das schreckliche Ausmass dieser Praxis, indem alle
Beschädigungen an den weiblichen
Genitalien unter denselben Tatbestand fallen.
Besonders wichtig ist, dass durch Art. 124 Abs. 2 StGB auch Beschneidungen, die im
Ausland praktiziert werden, einbezogen werden.
4.7 Fazit
An
dieser
Stelle
sollen
nochmals
die
wichtigsten
Fakten
zur
weiblichen
Genitalverstümmelung zusammengefasst und abschliessend ein Fazit in Bezug auf das
Kindeswohl gezogen werden.
Unabhängig von einer bestimmten Religionszugehörigkeit sind auf der ganzen Welt
zwischen 100 und 150 Millionen Mädchen und Frauen beschnitten. Zwar ist die weibliche
Genitalverstümmelung vor allem in afrikanischen und einigen asiatischen Ländern verbreitet,
doch durch die Zuwanderung sind zunehmend Europa, Nordamerika und Australien direkt
betroffen. In der Schweiz sind schätzungsweise 10‘700 Mädchen und Frauen genital
beschnitten oder davon bedroht.
Die WHO nennt vier Typen der Genitalverstümmelung. Diese gehen vom Einschneiden der
Klitoris als mildeste Form bis zur Infibulation, bei welcher die Klitoris sowie die kleinen und
grossen Schamlippen entfernt werden.
Tradition gilt als eine der Begründungen der weiblichen Genitalverstümmelung. Weitere
Begründungen
liegen in
der
angeblichen
Steigerung
der
Fruchtbarkeit
und
der
Heiratsfähigkeit. Durch die weibliche Genitalverstümmelung sollen die Frauen jungfräulich in
die Ehe gehen und in der Ehe treu bleiben. Bei manchen Völkern gelten die weiblichen
Genitalien
als
hässlich
und
unrein.
Festzuhalten
ist,
dass
die
weibliche
Genitalverstümmelung als Ausdruck für die Ungleichheit und Machtverhältnisse zwischen
den Geschlechtern steht.
Die Genitalbeschneidung bedeutet für die betroffenen Mädchen und Frauen starke
Schmerzen, Infektionen, Verletzungen des angrenzenden Gewebes, eine qualvolle
Menstruation
sowie
Gefahr
für
Mutter
und
Kind
bei
der
Geburt.
Durch
die
Genitalverstümmelung wird die Persönlichkeit der Mädchen und Frauen verletzt, ähnlich wie
eine Vergewaltigung oder Folter löst sie in vielen Fällen Angstreaktionen, Depressionen,
Vertrauensverlust
und
ein
Trauma
aus.
Ebenso
wird
oftmals
die
sexuelle
Empfindungsfähigkeit eingeschränkt, der Geschlechtsverkehr kann schmerzhaft sein und zu
Verletzungen der Vulva und des umliegenden Gewebes führen. Zudem wird die Entwicklung
36
der
gesamten
Gesellschaft
durch
eine
erhöhte
Mütter-
und
Kindersterblichkeit,
Unfruchtbarkeit, Krankheit und Arbeitsunfähigkeit eingeschränkt.
Die Auseinandersetzung mit Rechtsquellen auf internationaler Ebene verdeutlicht, dass die
weibliche Genitalverstümmelung eindeutig eine Menschenrechtsverletzung ist. Sie verstösst
gegen
diverse
Artikel
der
Allgemeinen
Erklärung
der
Menschenrechte,
der
Kinderrechtskonvention, des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte,
der Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau sowie der
Europäischen Menschenrechtskonvention. Die weibliche Genitalverstümmelung gefährdet
das Leben, Sicherheit, die Gesundheit und das Wohlergehen von Mädchen und Frauen und
ist als grausame und unmenschliche Behandlung einzustufen. Durch die weibliche
Genitalbeschneidung wird die Entwicklung von Mädchen behindert sowie ihr Recht auf
Meinungsbildung und Schutz vor Gewaltanwendung missachtet.
Dieser Tatsache wird Art. 124 StGB gerecht, wodurch der weiblichen Genitalverstümmelung
im Schweizerischen Gesetz ein expliziter Artikel zukommt. Dadurch wird weibliche
Genitalverstümmelung in jedem Fall als Verbrechen bestimmt und mit einer Freiheitsstrafe
bis zu zehn Jahren oder einer hohen Geldstrafe belangt. Der Artikel kann auch dann
angewendet werden, wenn der Eingriff im Ausland von in der Schweiz wohnhaften Personen
begangen wird.
Abschliessend soll ein Blick auf die Definitionen des Begriffs „Kindeswohl“ (vgl. Kapitel 2.2)
geworfen werden. Demnach wird das Kindeswohl als Inbegriff aller begünstigenden
Lebensumstände verstanden, welche auf eine gute und gesunde Entwicklung des Kindes
ausgerichtet sind. Dabei muss das Handeln am Wohl des Kindes sowie seinen Grundrechten
und Grundbedürfnissen orientieren. Die weibliche Genitalverstümmelung behindert in
jeglicher Hinsicht eine gute und gesunde Entwicklung eines Mädchens, missachtet seine
Grundrechte sowie Grundbedürfnisse und ist in keinster Weise mit dessen Wohl zu
vereinbaren. Mädchen auf der ganzen Welt müssen vor dieser grausamen und brutalen
Praxis geschützt werden. Notwendig sind deshalb einerseits eine eindeutige und
konsequente Gesetzeslage und andererseits weit verbreitete Aufklärungskampagnen und
die Stärkung der Frauen, um dieses auf Ungleichheit und Machtverhältnissen beruhende
Verbrechen zu bekämpfen.
37
5. Männliche Beschneidung
Im Gegensatz zur weiblichen Genitalverstümmelung ist die Diskussion über die
Knabenbeschneidung relativ neu. Eine mögliche Begründung dafür ist sicherlich die
weitverbreitete Annahme, dass die meisten Beschneidung bei Jungen in Form eines
medizinischen Eingriffes und unter klinisch sicheren und hygienischen Bedingungen
praktiziert werden. Eine weitere Erklärung ist, dass die männliche Beschneidung eng mit der
islamischen und jüdischen Religion verknüpft ist. Eine Kritik an der Praxis der
Knabenbeschneidung wird deshalb wohl häufig als Eingriff in die Religionsfreiheit von
Menschen wahrgenommen und man übt sich eher in Zurückhaltung.
In der vorliegenden Diplomarbeit wird jedoch genau diese Art von Beschneidung
thematisiert. Wenn von Knabenbeschneidung die Rede ist, sind Eingriffe aus medizinischen
Gründen ausgeschlossen. Es geht im Folgenden nur um nicht medizinisch indizierte
Beschneidungen. Der Aufbau des Kapitels ist identisch zu demjenigen der weiblichen
Genitalverstümmelung: In einem ersten Teil werden verschiedene Begriffserklärungen
vorgestellt. Anschliessend wird die Verbreitung der männlichen Beschneidung erläutert.
Daraufhin werden unterschiedliche Formen und danach die Begründungen vorgestellt. In
einem nächsten Teil sollen die Folgen der männlichen Beschneidung sowie die rechtliche
Verankerung auf internationaler und nationaler Ebene thematisiert werden. Abgeschlossen
wird das Kapitel mit einem Fazit in Bezug auf das Kindeswohl.
5.1 Begriffserklärung
Die männliche Beschneidung gilt als eine der ältesten und am häufigsten praktizierten
chirurgischen Eingriffe weltweit (Schwander, 2014, S. 6) und meint die totale oder teilweise
Entfernung der Vorhaut des Gliedes (Moll, 2014, S. 52). Dabei werden die Begriffe
„männliche Beschneidung“, „Knabenbeschneidung“ und „Zirkumzision“ synonym verwendet
(Godenzi & Wohlers, 2014, S. 1). Abgeleitet wird „Zirkumzision“ vom lateinischen Begriff
„circumcisio“, was so viel wie „Rundumschnitt“ meint (Schlauri & Trechsel, 2004, S. 4).
Im Judentum spricht man im Rahmen der Knabenbeschneidung von der „Brit Mila“.
Übersetzt bedeutet dies der Bund der Beschneidung (Brämer, 2010, S. 100). Die Juden
sprechen absichtlich nicht nur von „Brit“ (Beschneidung) um den dadurch eingegangen Bund
zu Gott zu betonen (Brämer, 2010, S. 100). Im Islam wird die Tradition der Beschneidung
„chitan“, „khitan“ oder „sünnet“ genannt, was auf Arabisch „Reinheit“ bedeutet (Spielberg,
2012, S. 18).
38
Bei der männlichen Beschneidung kann zwischen der medizinisch indizierten und der
rituellen
Beschneidung
unterschieden
werden.
Medizinisch
notwendig
wird
eine
Beschneidung dann, wenn ein Junge an einer Vorhautverengung (Phimose) leidet (Moll,
2014, S. 52).
5.2 Verbreitung
Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass ungefähr 30% der männlichen
Weltbevölkerung genital beschnitten sei (World Health Organisation, 2007, S. 1). Dies
entspricht schätzungsweise 665 Millionen beschnittene Männer (World Health Organisation,
2007, S. 1).
In afrikanischen Ländern, besonders in Nord- und Westafrika, ist die männliche
Beschneidung sehr weit verbreitet. In Mosambik sind beispielsweise 60%, in Äthiopien über
70% und in Angola sowie Madagaskar über 80% der Männer beschnitten (World Health
Organisation, 2007, S. 1). Laut Drain et al. sowie Hull et al. wird die Beschneidung im
Mittleren Osten, in Zentralasien, Bangladesch, Indonesien und Pakistan bei der grossen
Mehrheit der männlichen Bevölkerung praktiziert (World Health Organisation, 2007, S. 1).
Nach Schätzungen des US Departments of State sind in Indien 120 Millionen Männer
beschnitten (World Health Organisation, 2007, S. 1).
In den USA werden schätzungsweise 60% der neugeborenen Jungen beschnitten
(Hammond, 2003, S. 270). In der Regel wird dieser Eingriff auf Wunsch der Eltern
durchgeführt (Hammond, 2003, S. 270). In nahezu keinem Fall wird die Beschneidung
hierbei aus medizinischen Gründen praktiziert. Jährlich werden so über 1,5 Millionen
männliche Säuglinge in den Vereinigten Staaten von Amerika an der Vorhaut beschnitten
(Hammond, 2003, S. 270). Pro Tag bedeutet dies über 3‘300 Beschneidungen bei einem
Knaben oder alle 26 Sekunden ein Knabe alleine in den Vereinigten Staaten von Amerika
(Hammond, 2003, S. 270).
In der Schweiz gibt es zu der Zahl der Beschneidungen derzeit keine offiziellen Angaben.
Die bestehende Statistik zur Knabenbeschneidung erfasst nur diejenigen Beschneidungen,
welche stationär durchgeführt wurden. Die meisten Beschneidungen werden jedoch
ambulant praktiziert (Interpellation Fehr 12.3920, 2012).
Der Chefarzt der Kinderchirurgie am Luzerner Kantonsspital spricht im Zusammenhang mit
der Vorhautbeschneidung vom am häufigsten durchgeführten Eingriff in der Kinderchirurgie
(Neue Zürcher Zeitung, 2012). Am Luzerner Kinderspital seien 2011 275 Jungen beschnitten
worden. Bei 28 dieser Jungen wurde der Eingriff aus kulturellen Gründen praktiziert, die
restlichen Beschneidungen waren medizinisch indiziert (Neue Zürcher Zeitung, 2012). Im
39
Ostschweizer Kinderspital in St. Gallen sowie im Zürcher Kinderspital kommt es
schätzungsweise auf eine bis zwei kulturelle Beschneidungen monatlich (Tagblatt Online,
2012). In Lausanne werden ungefähr 500-530 Beschneidungen jährlich durchgeführt, wovon
etwa 50-100 kulturell bedingt sind (Tribune de Genève, 2012). Diese Zahlen deuten darauf
hin, dass vergleichsweise ein kleiner Teil der neugeborenen Jungen in der Schweiz aus
medizinisch nicht indizierten Gründen beschnitten wird. Allerdings ist weitgehend unbekannt,
wann im Zusammenhang mit der Knabenbeschneidung von einer medizinischen Indikation
gesprochen wird (Hiltbrunner & Egbuna-Joss, 2013, S. 2). In manchen Fällen werden auch
sogenannte präventive Eingriffe zu den medizinisch indizierten Beschneidungen gezählt
(Hiltbrunner & Egbuna-Joss, 2013, S. 2).
5.3 Formen
Historisch und bis heute gibt es verschiedene Formen der Genitalbeschneidung oder
Genitalverstümmelung bei Männern. So meint die Inzision den Einschnitt der Vorhaut
(Hammond, 2003, S. 269). Daneben existiert die Infibulation, bei welcher die Vorhaut zur
Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit zugenäht wird (Hammond, 2003, S. 269). Bei der
Hemizison handelt es sich um eine Entfernung der Rückseite der Vorhaut und bei der
Subinzision um einen Einschnitt der Harnröhre an der Unterseite des Penis (Hammond,
2003, S. 269). Die Superinzision bezieht sich auf das Aufschneiden der Vorhaut, wodurch
die Eichel zwar entblösst, die Vorhaut jedoch nicht entfernt wird (Hammond, 2003, S. 269).
Wo und in welchem Umfang diese Formen stattfinden, erläutert Hammond jedoch nicht
weiter. Genauere Informationen hierzu sind in „Heilige Körperverletzungen“ von Tutsch
(2014, S. 20 ff.) zu finden. Demnach wurde den jungen Männern auf manchen pazifischen
Inseln und bei den Ureinwohnern Australiens die Harnröhre gespalten und in einigen
indonesischen Stämmen wurden Metall- oder Bambusstücke in den Penis eingesetzt
(Tutsch, 2014, S. 20)). In vielen Gegenden in Ost- und Südafrika, in Teilen Australiens und
Ozeaniens wurde sogar die Entfernung des Hodens praktiziert (Tutsch, 2014, S. 20). Die
meisten dieser Rituale sind mittlerweile jedoch, im Gegensatz zur männlichen Beschneidung
im Sinne der Vorhautbeschneidung, ausgestorben (Tutsch, 2014, S. 21).
In der vorliegenden Arbeit wird lediglich die Zirkumzision thematisiert, welche die komplette
oder partielle Entfernung der Penisvorhaut meint. Zwar gibt es weltweit eine Vielzahl von
Verfahren, um eine Beschneidung durchzuführen, technisch können jedoch zwei
verschiedene Verfahren unterschieden werden: Die chirurgische Zirkumzision und die
Zirkumzision mit einem speziell dafür konstruierten Hilfsmittel (Schäfer & Stehr, 2014, S. 113
f.). Bei der chirurgischen Beschneidung werden eventuell vorhandene Verklebungen gelöst
und die Vorhaut abgeklemmt. Anschliessend wird mit einem Skalpell oder einer Schere das
äussere sowie das innere Blatt der Vorhaut entfernt (Schäfer & Stehr, 2014, S. 113 f.).
40
Zudem wird das Vorhautbändchen durchtrennt. Die dadurch entstandene Blutung wird durch
elektrische Verödung gestoppt. Die weitere Blutung der Wundfläche wird üblicherweise
mittels Verödung durch Strom vorgenommen (Schäfer & Stehr, 2014, S. 114). Abschliessend
werden die Vorhautblätter vernäht und ein Verband angebracht. Die chirurgische Methode
kann in jedem Alter angewendet werden (Schäfer & Stehr, 2014, S. 114). Ein Beispiel für
eine Beschneidung mit einem speziell dafür angefertigtem Hilfsmittel ist die PlastibellMethode. Dabei wird ein Plastikring unter die Vorhaut geschoben und ein eng anliegender
Faden über der Vorhaut verknotet. Dadurch wird die Blutzufuhr gestoppt und die Vorhaut
stirbt ab (Schäfer & Stehr, 2014, S. 114). Diese Methode wird vor allem in den Vereinigten
Staaten von Amerika im Säuglings- und Neugeborenenalter durchgeführt und findet ohne
Narkose statt (Schäfer & Stehr, 2014, S. 115).
5.4 Begründungen
Im Gegensatz zur weiblichen Genitalverstümmelung ist die männliche Beschneidung in
vielen Fällen religiös bedingt. Vor allem im Judentum sowie im Islam wird die
Knabenbeschneidung sehr häufig praktiziert.
Im Judentum findet zur Feier der Geburt eines Kindes üblicherweise ein Weihe- oder
Dankgottesdienst in einer Synagoge statt (Spielberg, 2012, S. 46). Bei diesem Gottesdient
wird der männliche Säugling beschnitten. Normalerweise erfolgt dieses Ritual am achten Tag
nach der Geburt des Jungen (Paffenholz, 2011, S. 146). Die Beschneidung muss nicht
zwangsläufig in einer Synagoge vollzogen werden und findet heutzutage auch oft in einem
Krankenhaus oder bei der Familie zu Hause statt (Paffenholz, 2011, S. 146). Praktiziert wird
die Beschneidung von einer männlichen jüdischen Person, welche im Hebräischen „Mohel“
genannt wird (Bräucher, 2003, S. 100). Der Beschneider hat in der Regel medizinische
Kenntnisse vorzuweisen. Als Hauptgrund für die Wahl des „Mohels“ gilt jedoch dessen,
aufgrund seiner Frömmigkeit, in der Gemeinschaft gewonnenes Vertrauen (Bräucher, 2003,
S. 100 f.). Der Eingriff selbst wird relativ schnell ausgeführt, um dem Jungen Schmerzen zu
ersparen (Brämer, 2010, S. 101). Dazu hält der Pate den Jungen auf seinem Schoss und der
„Mohel“ trennt mit dem Beschneidungsmesser den oberen Teil der Vorhaut ab. Danach legt
er die Eichel frei und versorgt die Wunde (Brämer, 2010, S. 101). Anschliessend findet ein
festliches Mahl statt, um den freudigen Anlass des Tages zu betonen (Brämer, 2010, S.
101). Die Beschneidung des männlichen Gliedes gilt im Judentum als ältestes Ritual
(Brämer, 2010, S. 100). Kollektiv steht sie als Symbol der besonderen Gemeinschaft Israels
mit Gott und für das männliche Individuum als Ausdruck der religiösen Zugehörigkeit
(Brämer, 2010, S. 100). Im Judentum wird die Zugehörigkeit zu Gott nämlich nicht nur durch
die Seele, sondern auch den Körper definiert. Die Beschneidung kann somit als äusseres
Merkmal für die Verbindung zu Gott betrachtet werden (Spielberg, 2012, S. 46). Abgeleitet
41
wird die Pflicht der Beschneidung aus dem Genesis 17, 10-14 (Brämer, 2010, S. 100). Darin
steht: „Das ist mein Bund, den ihr bewahren sollt, zwischen mir und dir und deinem Samen
nach dir: Beschnitten werde bei euch jegliches Männliche. Und ihr sollt beschnitten werden
an eurem Gliede der Vorhaut, und das sei zum Zeichen des Bundes zwischen mir und euch.
[…] Und ein vorhäutiger Mann, der sich nicht beschneiden lässt am Gliede seiner Vorhaut,
diese Seele werde ausgerottet aus ihrem Volke, meinen Bund hat er gebrochen“ (Brämer,
2010, S. 100). Deshalb spricht man im Judentum, wie bereits erwähnt, nicht nur von „Mila“,
der Beschneidung, sondern von „Brit Mila“, dem Bund der Beschneidung (Brämer, 2010, S.
100). Hygienische oder medizinische Erklärungen für die Knabenbeschneidung werden im
Judentum nicht angeführt (Paffenholz, 2011, S. 148).
Die Tatsache, dass jüdische Familien in Zeiten religiöser Verfolgung grosse Gefahren auf
sich genommen haben, um ihre männlichen Nachkommen beschneiden zu lassen, zeigt den
Stellenwert der Knabenbeschneidung im Judentum (Brämer, 2010, S. 101). Und trotz
radikaler
Religionsreformer,
welche
im
19.
Jahrhundert
die
Beschneidung
als
unzeitgemässes Ritual bezeichneten, wurde sie bis heute bewahrt (Brämer, 2010, S. 101).
Selbst moderne Juden sprechen sich für die Beschneidung aus. Für sie hat die
Beschneidung zwar keine religiöse Bedeutung mehr, dient jedoch weiterhin als äusseres
Merkmal der männlich-jüdischen Identität (Brämer, 2010, S. 101).
Im Gegensatz zur jüdischen Tora wird die Knabenbeschneidung im Koran nicht explizit
erwähnt. Sie wurde bereits vor dem Islam praktiziert und von den Muslimen übernommen.
Allerdings wurde die Beschneidung im Rahmen der Sunna überliefert (Weiss, 2003, S. 56).
Als mündliche Überlieferung vom Leben, Wirken und den Aussprüchen des Propheten
Mohammed ist die Sunna für viele Muslime die zweite Glaubensquelle nach dem Koran
(Weiss, 2003, S. 175). Dadurch hat die Beschneidung im Islam einen sehr hohen Stellenwart
und kann sogar als bedeutsamste Zeremonie im Laufe der Kindheit betrachtet werden
(Weiss, 2003, S. 56). In der Praxis wird sie von den Muslimen als unverzichtbares Ritual der
Reinigung und Initiation angesehen. Zudem steht sie, analog zur Beschneidung im
Judentum, als unauslöschliches Symbol der Religionszugehörigkeit (Weiss, 2003, S. 56).
Anders als im Judentum ist der Zeitpunkt der Knabenbeschneidung im Islam allerdings sehr
schwankend (Weiss, 2003, S. 56). In vielen Fällen findet sie zwischen dem siebten und dem
vierzigsten Tag nach der Geburt eines Jungen statt, oft aber auch im siebten Lebensjahr.
Manchmal findet die Beschneidung erst zu Beginn der Geschlechtsreife statt (Weiss, 2003,
S. 56). Die dazugehörige Zeremonie wird je nach Land sehr unterschiedlich gehandhabt.
Weit verbreitet ist allerdings der Brauch, den Jungen am Vorabend der Beschneidung in ein
prachtvolles Gewand zu kleiden und ihn feierlich durch die Strassen des Dorfes zu führen
(Weiss, 2003, S. 56). Zudem wird der Knabe üblicherweise reichlich beschenkt und zu
42
seinen Ehren ein Festessen veranstaltet, um ihn für das Erdulden der schmerzhaften
Prozedur zu belohnen (Weiss, 2003, S. 56).
Neben religiösen Motiven wird die Knabenbeschneidung häufig mit hygienischen Vorteilen
begründet. Eine effektive Genitalhygiene ist heutzutage jedoch auch ohne eine Entfernung
der Vorhaut problemlos möglich (Franz, 2014, S. 155).
Oft genannt werden zudem gesundheitliche Vorteile der männlichen Bescheidung. Diese
werden besonders in den Vereinigten Staaten von Amerika bis heute angeführt. Zwischen
1900 und 1935 veröffentlichten Ärzte immer wieder Berichte, wonach die Beschneidung
eines Mannes seine sexuelle Leistungsfähigkeit und Kontrolle steigern und Syphilis
eindämmen würde (Denniston et al., 2009, S. 6 f.). Der Arzt John Harvey Kellogg setzte sich
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für die Verbreitung der Knabenbeschneidung in
den Vereinigten Staaten von Amerika ein. Begründet wurde diese Massnahme mit
sexualhygienischen Argumenten (Franz, 2014, S. 155). Für Kellogg diente die Beschneidung
jedoch auch als effektives Mittel zur Verhinderung der Masturbation. Denn Kellogg vertrat die
Meinung, dass Masturbation als Ursache für zahlreiche Krankheiten verantwortlich wäre.
Somit empfahl er die Beschneidung von Knaben ohne Schmerzbetäubung (Franz, 2014, S.
155).
Auch heutzutage werden immer wieder Studien zu den gesundheitlichen Folgen der
Beschneidung veröffentlicht. Die Zahlen und Ergebnisse diesbezüglich sind jedoch sehr
unterschiedlich und widersprüchlich. Laut einer Studie der American Academy of Pediatrics
(AAP) sollen beschnittene Jungen drei- bis zehnmal weniger an Harnwegsinfekten leiden als
unbeschnittene Jungen (Kupferschmied, 2014, S. 96). Wenn man jedoch die Zahlen der
möglichen
Komplikationen
Harnwegsinfekten
einer
vergleicht,
Beschneidung
lässt
sich
mit
festhalten,
denjenigen
der
verhinderten
dass
eine
verhinderte
auf
Harnwegsinfektion 2,2 Komplikationen im Zusammenhang mit einer Beschneidung kommen
(Kupferschmied, 2014, S. 96). Auch wird in der Studie nicht zwischen dem Nutzen der
Beschneidung in Bezug auf die Prävention von Harnwegsinfektionen gegenüber der
Möglichkeit
abgewogen,
die
Harnwegsinfektionen
mit
Antibiotika
zu
behandeln
(Kupferschmied, 2014, S. 97).
Weitere Studien gehen davon aus, dass durch die Genitalbeschneidung bei Männern das
Risiko für Chlamydieninfektionen, Gonorrhoe (Tripper), Infektionen mit Herpes-Simplex-Viren
(HSV) und Humanen Papillomviren (HPV) verringert werden kann. HPV verursachen neben
Feig- und Genitalwarzen vor allem den Gebärmutterhalskrebs bei Frauen (Schäfer & Stehr,
2014, S. 119). Für die Übertragung von Syphilis im Zusammenhang mit der männlichen
Beschneidung existieren widersprüchliche Daten. Zwar haben unbeschnittene Männer
womöglich ein erhöhtes Risiko, an Syphilis zu erkranken, doch auch in diesem
43
Zusammenhang ist die Studienlage nicht eindeutig (Schäfer & Stehr, 2014, S. 119). Bei
Gonorrhoe und Chlamydieninfektionen scheint die Ansteckungsgefahr bei unbeschnittenen
Männern allerdings sogar niedriger zu sein (Schäfer & Stehr, 2014, S. 119). Eine Studie der
Weltgesundheitsorganisation spricht von einer Reduktion der HIV-Ansteckungsgefahr bei
beschnittenen Männern von ungefähr 60% und empfiehlt in Gebieten mit hohen HIVAnsteckungen die Genitalbeschneidung von Männern als HIV-Prävention (World Health
Organisation, 2012). Diese Empfehlung der WHO bezieht sich allerdings nur auf erwachsene
Männer im Zusammenspiel mit anderen präventiven Massnahmen, insbesondere der
Verwendung von Kondomen (Schäfer & Stehr, 2014, S. 119). Somit gibt es keinerlei
Hinweise auf einen Nutzen präventiver Beschneidungen im Zusammenhang mit HIV in den
Vereinigten Staaten von Amerika, in Australien oder in Europa, wo das Infektionsrisiko
wesentlich geringer ist (Schäfer & Stehr, 2014, S. 119 f.). Grundsätzlich ist zu betonen, dass
eine präventive Massnahme eine schwere Erkrankung sicher verhindern und ihr Nutzen in
einem positiven Verhältnis zu ihren Nebenwirkungen stehen muss. Sie ist zudem nur dann
sinnvoll, wenn es keine milderen Methoden gibt, um dasselbe Ziel zu erreichen (Schäfer &
Stehr, 2014, S. 118 f.).
5.5 Folgen
Im vorherigen Kapitel (5.4) wurden die unterschiedlichen Begründungen zur männlichen
Beschneidung thematisiert. Dabei wurden religiöse sowie hygienische und gesundheitliche
Begründungen genannt. Abschliessend wurde erwähnt, dass bei präventiven Massnahmen
der Nutzen in einem positiven Verhältnis zu den Nebenwirkungen stehen muss. Im
folgenden Kapitel sollen nun sowohl der Nutzen als auch die negativen Folgen der
Beschneidungen dargestellt werden. Dabei wird zwischen den physischen, psychischen und
sexuellen Folgen sowie den Auswirkungen auf die Gesundheit der Frau unterschieden.
Gerade bei den physischen Folgen werden gewisse Aspekte, welche bereits bei den
Begründungen erwähnt wurden, erneut kurz angeschnitten.
5.5.1 Physische Folgen
Grundlegend ist zu betonen, dass die männlichen und weiblichen Genitalien aus demselben
embryonalen Gewebe entstehen und einige anatomische Gemeinsamkeiten haben. Diese
Tatsache wird oftmals in der Beschneidungsdebatte nicht in Betracht gezogen (Hammond,
2003, S. 276). Somit dient die Vorhaut als Schutz der Eichel in Form eines inneren Organes.
Die Vorhaut ist also in keiner Weise eine verkümmerte oder überflüssige Haut (Hammond,
2003, S. 276).
Im August 2013 wurde eine dänische Studie veröffentlicht, welche im Zusammenhang mit
der Zirkumzision von einer Komplikationsrate von 5.1% spricht (Von Loewenich, 2014, S. 76
44
f.). Die Komplikationen können von ästhetisch unbefriedigenden Ergebnissen bis hin zu
einem Penisverlust gehen oder sogar zum Tod des Jungen führen (Hammond, 2003, S.
270). In einer Studie der NOHARMM (National Organization to Halt the Abuse and Routine
Mutilation of Males) im Jahr 2001 wurden beschnittene Männer zu den Folgen ihrer
Beschneidung befragt. Dabei waren bei 33 Prozent sichtbare Narben vorhanden und 27
Prozent litten an Erektionsproblemen, da sie durch die fehlende Vorhaut nicht über
ausreichend Haut für eine problemlose Erektion verfügen (Hammond, 2003, S. 277). 16
Prozent der befragten Männer gaben eine Biegung des Gliedes an, da die Haut
ungleichmässig weggeschnitten wurde. Weitere 17 Prozent hatten Schmerzen und
Blutungen bei einer Erektion oder Berührung (Hammond, 2003, S. 277). 20 Prozent klagten
über sonstige Probleme wie Deformation der Eichel oder wiederkehrende unspezifische
Harnröhrenentzündungen (Hammond, 2003, S. 277).
Eine Beschneidung verursacht erhebliche Schmerzen. Heutzutage gibt es keinen Zweifel
mehr daran, dass auch Neugeborene und kleine Säuglinge Schmerzen empfinden
(Kupferschmied, 2014, S.98). Dennoch wurden und werden zahllose Neugeborene, vor
allem in Religionsgemeinschaften, ohne Betäubung beschnitten (Von Loewenich, 2014, S.
99). Nach neuster Anschauung ist eine Vollnarkose die beste Art der Schmerzbekämpfung,
dies bedeutet allerdings, dass man mit dem Eingriff warten sollte, bis ein Kind älter ist (Von
Loewenich, 2014, S. 101). Nicht nur der Eingriff selbst, sondern auch die Tage nach der
Prozedur, vor allem der dritte postoperative Tag, sind schmerzhaft (Von Loewenich, S. 77).
Unschlüssig ist man sich darüber, welche Funktion die männliche Beschneidung bei der
Prävention in Bezug auf sexuell übertragbare Krankheiten hat (vgl. Kapitel 5.4). Aus
medizinischer Sicht kann einer Routinebeschneidung jedoch kein präventiver Charakter
zugesprochen werden (Schäfer & Stehr, 2014, S. 120). Für alle sexuell übertragbaren
Krankheiten gibt es präventive Massnahmen, die deutlich einfacher und sicherer sind. Dazu
gehören die Benutzung von Kondomen und die Impfung zur Vermeidung der HPV-Infektion
(Schäfer & Stehr, 2014, S. 120 f.). Vor allem aber ist es nicht notwendig, die Beschneidung
zur Vorbeugung von sexuell übertragbaren Krankheiten in einem Alter durchzuführen, in dem
der Junge noch nicht sexuell aktiv ist und noch nicht selbst über die von ihm bevorzugte Art
der Prävention bestimmen kann (Schäfer & Stehr, 2014, S. 121).
Zu den Todesfällen im Zusammenhang mit einer Beschneidung gibt es keine verlässlichen
Zahlen (Schäfer & Stehr, 2014, S. 117). Gerade in Ländern mit mangelhafter medizinischer
Versorgung und Beschneidungen unter schlechten hygienischen Bedingungen häufen sich
Berichte über Todesfälle (Schäfer & Stehr, 2014, S. 117 f.). Aus Europa oder den
45
Vereinigten Staaten von Amerika liegen allerdings keine Daten vor. Es bleibt festzustellen,
dass in Bezug auf die Todesfälle durch Beschneidungen eine grosse Unsicherheit besteht.
Dennoch kann es auch unter optimalen medizinischen Bedingungen zu Todesfällen kommen
(Schäfer & Stehr, 2014, S. 118).
5.5.2 Psychische Folgen
Im Kindesalter beschnittene Männer sind oftmals nicht über die Funktionen der Vorhaut oder
die Folgen der Beschneidung informiert (Hammond, 2003, S. 280). Problematisch ist
einerseits, dass diese Männer häufig gar nicht wissen, wie ein unbeschnittener Penis
aussieht und sich andererseits nicht erkundigen, da der Ausdruck von Gefühlen ein
kulturelles Tabu ist. Dadurch sind viele Betroffene gehemmt, Fragen zum Thema Penis zu
stellen oder intime Details preiszugeben, die ihre Männlichkeit anzweifeln könnten
(Hammond, 2003, S. 280). Sobald beschnittene Jungen oder Männer jedoch realisieren,
dass ihnen ein Teil ihres Körpers entfernt wurde, kann dies Trauer über den Verlust des
Körperbildes und/oder die Funktion auslösen (Hammond, 2003, S. 280). Manche Betroffene
leiden auch an Angststörungen, Depressionen und sexuellen Problemen (Hammond, 2003,
S. 280).
Entwicklungs- und Neuropsychologen sind überzeugt davon, dass eine aussergewöhnliche
Belastung durch Stresshormone psychobiologische Folgen hat und zu einer Veränderung
der Entwicklung und Funktion des Gehirns führen kann. Eine Säuglingsbeschneidung ist
durchaus als eine solche aussergewöhnliche Belastung einzustufen (Hammond, 2003, S.
279). Ähnlich wie beschnittene Mädchen können nämlich auch beschnittene Jungen an einer
Art Trauma leiden. In vielen Fällen wird demzufolge die Tatsache, dass eine Beschneidung
schädlich ist, geleugnet (Hammond, 2003, S. 282). Einige beschnittene Männer reagieren
skeptisch auf die Aussagen anderer beschnittener Männer, welche im Zusammenhang mit
ihrer Beschneidung von schädlichen Auswirkungen sprechen. Ein Grossteil der Betroffenen
weist Gespräche über die Beschneidung grundsätzlich zurück, andere reden nur scherzhaft
darüber. Manche Männer spielen den Eingriff herunter und einige werden wütend, wenn
jemand die männliche Beschneidung kritisiert (Hammond, 2003, S. 282).
5.5.3 Sexuelle Folgen
Die Aufgabe der Vorhaut besteht in der Erhaltung der sexuellen Sensibilität der Eichel sowie
der Lieferung der nötigen Haut für eine vollständige und angenehme Erektion (Hammond,
2003, S. 276). Zudem fängt die Vorhaut die natürliche Gleitflüssigkeit des männlichen
Gliedes auf und verteilt diese beim Zurückziehen über die Eichel. Dadurch wird die Reibung
während des Geschlechtsverkehrs verringert. Bei einem beschnittenen Penis können diese
Funktionen nicht mehr erfüllt werden (Hammond, 2003, S. 276). Zudem hat die Vorhaut eine
46
entscheidende Bedeutung für die Empfindsamkeit eines Penis, da wichtige Nerven in der
Vorhaut eines Mannes verlaufen (Hammond, 2003, S. 277). Bei einer korrekt durchgeführten
Beschneidung werden bis zu 50 Prozent der sich am Penis befindlichen Haut
weggeschnitten. Die Entfernung der Vorhaut hat einen spürbaren Sensibilitätsverlust zur
Folge (Schäfer & Stehr, 2014, S. 116)
In der Studie von NOHARMM aus dem Jahre 2001 fand das erste Mal eine Befragung von
Männern über die Folgen ihrer Beschneidung auf ihr Lustempfinden und ihr sexuelles
Wohlbefinden statt. Beschnittene Männer gaben im Vergleich zu unbeschnittenen Männern
eine grössere Unzufriedenheit ihres Orgasmus an (Hammond, 2003, S. 278). Als
Auswirkungen wurden bei 61 Prozent der Männer fortschreitende sensorische Defizite in der
verbleibenden Vorhaut und der Eichel, eine sexuelle Dysfunktion im Sinne von
Ejakulationsschwierigkeiten und Erektionsproblemen sowie Orgasmusprobleme genannt. 40
Prozent gaben diesbezüglich zur Kenntnis, dass ein Orgasmus nur mit einer „über das Mass
hinausgehenden Stimulation“ möglich wäre (Hammond, 2003, S. 278). Ein Grossteil der
Befragten empfand die Stimulation durch den vaginalen Verkehr als unzureichend. Das
Fehlen von hochsensiblen Rezeptoren und der Verlust der erogenen Beweglichkeit der
Vorhaut
erfordern
oft
eine
übermässig
intensive
Stimulation
der
verbleibenden
Penisnervenenden um Lust und einen Orgasmus zu erreichen (Hammond, 2003, S. 278).
Denn dadurch, dass die Vorhaut die Eichel nicht mehr schützt, ist diese ständig freigelegt.
Dies führt oftmals zu einer Verhornung der Eichel, was wiederum eine Densibilisierung zur
Folge hat (Hammond, 2003, S. 278).
5.5.4 Auswirkungen auf die Gesundheit der Frau
Bei einem unbeschnittenen Penis wird die Reibung durch die Produktion der eigenen
Gleitflüssigkeit reduziert. Durch einen trockenen, beschnittenen Penis kann es beim
Geschlechtsverkehr zu Hautschürfungen, Schmerzen und Blutungen in der Vagina kommen
(Hammond, 2003, S. 282). Wenn eine Frau älter wird, stellt sie weniger Vaginalflüssigkeit
her, somit wird der Nutzen der Vorhaut gerade mit zunehmendem Alter wichtiger (Hammond,
2003, S. 282).
Beim Geschlechtsverkehr gleitet der Schaft eines unbeschnittenen Penis in seiner
beweglichen Hautummantelung, diese wird durch die Muskeln der Vagina fixiert. Die Frau
wird beim Geschlechtsverkehr nicht nur durch Reibung stimuliert, sondern auch durch
Bewegungsdruck.
Wenn
die
Vorhaut
eines
Mannes
fehlt,
kommt
es
beim
Geschlechtsverkehr jedoch oft nur zu einer Reibung (Hammond, 2003, S. 282).
Viele beschnittene Männer neigen zu schnellen und übertriebenen Stossbewegungen beim
Geschlechtsakt um die Desensibilisierung ihrer Eichel zu kompensieren. Durch die
47
Trockenheit der Genitalien der Männer oder ihrer Partnerin kann dies zu abgeriebener Haut,
Schmerzen oder Blutungen führen. Aufgrund dieser Faktoren kann die sexuelle Befriedigung
beider Partner vermindert werden (Hammond, 2003, S. 279). Die möglichen psychischen
Schwierigkeiten im Zusammenhang mit einer Beschneidung können zudem die Intimität in
der Partnerschaft vermindern (Hammond, 2003, S. 283).
All diese Folgen auf unterschiedlichen Ebenen zeigen, dass die männliche Beschneidung
keineswegs ein kleiner und harmloser Eingriff ist. Zwar kann die Beschneidung in vielen
Fällen unkompliziert durchgeführt werden und allenfalls kaum negative Auswirkungen mit
sich ziehen, doch sollte man sich der Vielzahl dieser potentiellen Risiken bei der Diskussion
um die männliche Beschneidung bewusst sein.
5.6 Rechtliche Verankerung
Im Zusammenhang mit der männlichen Beschneidung spielen sowohl auf internationaler als
auch auf nationaler Ebene diverse Gesetzesartikel eine zentrale Rolle. Auf internationaler
Ebene
sind
einerseits
die
Allgemeine
Erklärung
der
Menschenrechte,
die
Kinderrechtskonvention, der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte
sowie die Europäische Menschenrechtskonvention von Interesse und andererseits das
Kölner Urteil vom Mai 2012, welches eine grosse Debatte und kurzzeitig einen Einfluss auf
die Beschneidungssituation in der Schweiz auslöste. Auf nationaler Rechtsebene finden sich
bedeutende Artikel in der Bundesverfassung, im Zivilgesetzbuch und im Strafgesetzbuch. All
diese Rechtsquellen sollen nun vorgestellt und diskutiert werden.
5.6.1 Internationale Ebene
Laut der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist das Privatleben und die Familie vor
willkürlichen Eingriffen zu schützen (Art. 12), die Familie als grundlegende Einheit der
Gesellschaft mit einem Schutzanspruch zu sehen (Art. 16 Abs. 3) und die Gedanken-,
Gewissens- und Religionsfreiheit und damit die Ausübung einer Religion zu achten (Art. 18).
Mit den Artikeln der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte kann eher dafür plädiert
werden, die Entscheidung über die Knabenbeschneidung den Eltern zu überlassen und sie
somit als Familie vor staatlichen Eingriffen zu schützen und bei religiösen Beschneidungen
die Ausübung ihrer Religion zu gewähren. Nochmals zu erwähnen ist in diesem
Zusammenhang allerdings, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte rechtlich
nicht verbindlich ist.
Die Kinderrechtskonvention bestimmt, dass bei allen Massnahmen, die ein Kind betreffen,
das Kindeswohl vorrangig zu behandeln sei (Art. 3 Abs. 1). Entscheidend ist bei Art. 3 Abs. 1
KRK, welche Aspekte des Kindeswohls prioritär betrachtet werden. Ein entscheidender
48
Unterschied ergibt sich hier beispielsweise je nachdem, ob die kulturelle und religiöse
Zugehörigkeit oder die körperliche Unversehrtheit eines Kindes höher gewichtet werden.
Die Eltern sind verpflichtet, das Kind bei der Ausübung seiner Rechte zu leiten und zu führen
(Art. 5). Der Artikel kann jedoch ebenfalls unterschiedlich ausgelegt werden, abhängig
davon, auf welches Recht des Kindes er bezogen wird. Wenn damit die freie
Meinungsbildung und Äusserung des Kindes in allen Angelegenheit, in welchen das Kind
berührt wird (Art. 12 Abs. 1 KRK), gemeint ist, würde dies eher gegen die Entscheidung der
Eltern betreffend der Knabenbeschneidung sprechen. Wenn es sich damit allerdings auf das
Recht der Religionsfreiheit des Kindes (Art. 14 Abs. 1) bezieht, könnte argumentiert werden,
dass die Eltern anstelle des Jungen in die Beschneidung einwilligen können.
Art. 6 Abs. 2 KRK fordert von den Vertragsstaaten Gewährleistung des Überlebens in
grösstmöglichen Umfang. Dies würde eher gegen die Knabenbeschneidung sprechen, da
diese, wenn auch in sehr seltenen Fällen, das Überleben eines Jungen gefährden können.
Gerade in Ländern, in denen die Beschneidungen jedoch unter unhygienischen
Bedingungen durchgeführt werden, kann Art. 6 Abs. 2 KRK im Zusammenhang mit der
Knabenbeschneidung aufgeführt werden.
Das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 14 Abs. 1) und die Achtung
der damit verbundenen elterlichen Leitung bei der Ausübung (Art. 14 Abs. 2) würde wieder
eher dafür sprechen, dass die Knabenbeschneidung aus religiösen Gründen praktiziert
werden darf.
Das Wohl des Kindes als Grundanliegen der Eltern (Art. 18 Abs. 1) kann, wie bei Art. 3 Abs.
1 KRK, je nach vorrangigen Aspekten des Kindeswohls, unterschiedlich ausgelegt werden.
In Art. 19 KRK wird allerdings festgelegt, dass die Vertragsstaaten alle Massnahmen zu
treffen haben, um das Kind vor jeder Form von körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung
und Schadenszufügung zu schützen. Wie den Kapiteln 5.5.1 und 5.5.2 über die physischen
und psychischen Folgen zu entnehmen ist, kann es bei der Knabenbeschneidung zumindest
zu einer Schadenszufügung kommen.
Art. 24 Abs. 1 KRK fordert das Recht des Kindes auf das erreichbare Höchstmass an
Gesundheit. Die Knabenbeschneidung aus medizinisch nicht indizierten Gründen kann
jedoch die Gesundheit eines Jungen schädigen und, wenn auch in wenigen Fällen, zu
dessen Tode führen. Dies wiederum würde gegen Art. 24 Abs. 2 KRK verstossen, wonach
die Vertragsstaaten geeignete Massnahmen treffen müssen, um die Säuglings- und
Kindersterblichkeit zu verringern. Relevant ist möglicherweise auch Art. 24 Abs. 3 KRK,
wonach die Vertragsstaaten alle wirksamen und geeigneten Massnahmen treffen müssen,
um überlieferte und für die Gesundheit des Kindes schädliche Bräuche abzuschaffen. Denn
je nach Folgen des Eingriffes handelt es sich bei der Knabenbeschneidung um einen
Brauch, der für die Gesundheit des Kindes schädlich sein kann.
49
Die Artikel der Kinderrechtskonvention stellen die Gesundheit und Mitbestimmung des
Jungen in den Mittelpunkt und können damit eher als Argumente gegen ein Recht der Eltern
über die Beschneidung ihres Sohnes gesehen werden. Einzig das Recht auf Religionsfreiheit
und die Gewichtung des Kindeswohls können, je nach Auslegung, als Argumente für
Einwilligung der Eltern in die Knabenbeschneidung ihres Sohnes herangezogen werden.
Im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte wird die Familie als natürliche
Kernzelle der Gesellschaft beschrieben und ihr besonderer Schutz durch die Gesellschaft
und den Staat festgehalten (Art. 23 Abs. 1). Dieser Artikel spricht sich dafür aus, dass die
Eltern wichtige Entscheidungen für ihr Kind übernehmen können und sich der Staat mit
Eingriffen zurückhält. Dem gegenübergestellt werden kann Art. 24 Abs. 1 IPbpR, wonach ein
Kind das Recht auf Schutzmassnahmen durch Familie, Gesellschaft und Staat hat. Hiermit
könnte argumentiert werden, dass der Staat einen Jungen vor der Beschneidung zu
schützen hat und dieser Aspekt gegenüber dem Schutz der Familie vor staatlichen Eingriffen
überwiegt.
Die Europäische Menschenrechtskonvention achtet sowohl das Recht auf Privat- und
Familienleben (Art. 8) sowie auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 9). Beide
Artikel tendieren zu der Entscheidungskompetenz der Eltern in Bezug auf
die
Knabenbeschneidung. Allerdings hält Art. 9 Abs. 2 EMRK fest, dass die Religionsfreiheit
eingeschränkt werden kann, wenn sie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer
notwendig ist. Bei der Knabenbeschneidung könnte die Religionsfreiheit der Eltern also zum
Schutz der Unversehrtheit ihres Sohnes eingeschränkt werden.
Diese verschiedenen Rechtsquellen zeigen auf, wie komplex und vielschichtige die
Diskussion um die Knabenbeschneidung ist. Manche Artikel sprechen sich für den Schutz
der Familie vor staatlichen Eingriffen aus oder betonen das Recht auf Religionsfreiheit,
andere sprechen sich für den grösstmöglichen gesundheitlichen Schutz eines Kindes sowie
dessen Mitbestimmung bei Angelegenheiten, die das Kind betreffen, aus. Je nach Auslegung
und Priorisierung der Artikel können sehr unterschiedliche Schlüsse in Bezug auf die
Knabenbeschneidung getroffen werden.
Im Urteil des Landesgerichts Köln vom Mai 2012 und der nachfolgenden gesetzlichen
Regelung wird diese Problematik wiederspiegelt. In diesem Urteil vom 7. Mai 2012 wurde
nämlich beschlossen, dass die religiös motivierte Beschneidung eines vierjährigen Jungen,
welche im Krankenhaus durchgeführt und von den sorgeberechtigten Eltern zugestimmt
wurde,
nach
deutschem
Strafgesetzbuch
als
eine
rechtswidrige
Körperverletzung
50
einzustufen sei (Schwander, 2014, S. 10). Die Einwilligung der Eltern wurde als nicht
beachtenswert angeschaut mit der Begründung, dass die Beschneidung laut Kinderrecht
nicht dem Kindeswohl diene. Diese Entscheidung hat für besonderes Aufsehen gesorgt und
eine grosse Rechtsunsicherheit ausgelöst (Schwander, 2014, S. 10). Um der verursachten
Rechtsunsicherheit entgegenzuhalten, hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung
dazu aufgefordert, einen Gesetzesentwurf zu verfassen, welcher die medizinisch
fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässt
(Schwander, 2014, S. 10). Im Dezember 2012 ist § 1631d des Bürgerlichen Gesetzbuches
(BGB) in Kraft getreten. § 1631d Abs. 1 BGB bestimmt: „Die Personensorge umfasst auch
das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und
urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen
Kunst durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter
Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird.“ Dieser Paragraph erlaubt
die medizinisch nicht indizierte Beschneidung bei urteilsunfähigen Knaben im Rahmen eines
Eingriffes, welcher der ärztlichen Kunst entspricht. Eine Ausnahme bildet der Fall, dass das
Kindeswohl, trotz dem Zwecke der Beschneidung, gefährdet ist. § 1631d Abs. 2 BGB lockert
den ersten Absatz und regelt: „In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes
dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen
gemäss Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein,
für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.“ Demnach muss eine
Beschneidung, sofern sie innerhalb von den ersten sechs Monaten praktiziert wird, nicht
zwangsläufig von einem Arzt vorgenommen werden. Auch eine Person aus der
Religionsgesellschaft darf einen Jungen beschneiden, sofern sie dafür ausgebildet wurde.
Der Ausdruck der „vergleichbaren Befähigung“ wird allerdings nicht weiter erläutert und ist
somit ebenfalls unklar. Die durch das Urteil vom Landesgericht Köln vorgenommene
Priorisierung der Rechte des Kindes gegenüber denjenigen der Eltern wurde durch das
Gesetz über den Umfang der Personensorge (§ 1631 d BGB) eliminiert.
Die Auseinandersetzung mit den internationalen Rechtsquellen hat gezeigt, dass die
Knabenbeschneidung sehr unterschiedlich auszulegen und zu bewerten ist. Mit der
gesetzlichen Regelung in § 1631d BGB nimmt der Deutsche Bundestag in der Diskussion
um die religiös motivierte Knabenbeschneidung allerdings eine klare Stellung, im Sinne einer
Zentrierung des Elternrechts, ein.
5.6.2 Nationale Ebene
Das Kölner Urteil vom Mai 2012 ging auch an der Schweiz nicht spurlos vorbei. Im Zürcher
Kinderspital wurden für den Zeitraum von drei Wochen keine Knabenbeschneidungen aus
religiösen Gründen mehr durchgeführt. Dieser Beschneidungs-Stopp wurde anschliessend
jedoch wieder aufgelöst. Im Gegensatz zur weiblichen Genitalbeschneidung ist die
51
Knabenbeschneidung in der Schweiz nicht in einem expliziten Gesetzesartikel geregelt. Es
finden sich aber sowohl in der Schweizerischen Bundesverfassung, im Schweizerischen
Zivilgesetzbuch als auch im Schweizerischen Strafgesetzbuch Artikel, welche im
Zusammenhang mit der Knabenbeschneidung von Bedeutung sind.
In der Bundesverfassung ist festgehalten, dass jeder Mensch das Recht auf körperliche und
geistige Unversehrtheit hat (Art. 10 Abs. 2). Kindern und Jugendlichen wird ein besonderer
Schutz zugesprochen (Art. 11 Abs. 1). Es ist also in der Bundesverfassung verankert, dass
die Unversehrtheit von Kindern besonders zu schützen ist. Die Knabenbeschneidung stellt
einen Eingriff in die körperliche und geistige Unversehrtheit dar. Somit kann mit Art. 11 Abs.
1 BV argumentiert werden, dass Knaben davor zu schützen seien. In der Bundesverfassung
ist zudem vorgeschrieben, dass Kinder im Rahmen ihrer Urteilsfähigkeit Rechte ausüben
(Art. 11 Abs. 2). Daraus lässt sich ableiten, dass bei einer Beschneidung auf die
Urteilsfähigkeit
eines
Jungen
Rücksicht
zu
nehmen
ist.
Zugleich
schützt
die
Bundesverfassung aber auch das Familienleben (Art. 13 & 14) sowie die Glaubens- und
Gewissenfreiheit (Art. 15 Abs. 1), namentlich die freie Wahl (Art. 15 Abs. 2) und
Zugehörigkeit (Art. 15 Abs. 3) einer Religion. Die Bundesverfassung sieht zwar einerseits
den expliziten Schutz von Kindern in Bezug auf ihre körperliche und geistige Unversehrtheit
vor und betont, dass ihr Urteil, wenn möglich, einzubeziehen sei, gleichzeitig wird die Familie
und Religion geschützt. Hier treffen im Zusammenhang mit der Knabenbeschneidung erneut
konkurrierende Gesichtspunkte aufeinander. Bei einer Abwägung dieser verschiedenen
Gesichtspunkte sprechen allerdings die Betonung der Unversehrtheit und der besondere
Schutz von Kindern dafür, dass Eltern nicht in die Beschneidung ihres Sohnes einwilligen
können. Gestützt wird dies durch die Achtung der Urteilsfähigkeit eines Kindes.
Mehr zur Urteilsfähigkeit von Kindern findet sich im Zivilgesetzbuch. Da es sich bei der
Knabenbeschneidung um ein höchstpersönliches Recht handelt, ist Art. 19c ZGB
heranzuziehen. Für die Knabenbeschneidung bedeutet Art. 19c ZGB, dass die Eltern für
ihren urteilsfähigen Jungen nicht in die Beschneidung einwilligen können und nur der Junge
selbst über den Eingriff bestimmen darf (Art. 19c Abs. 1). Bei einem urteilsunfähigen Jungen
ist entscheidend, ob die Knabenbeschneidung als relativ oder absolut höchstpersönliches
Recht eingestuft wird. Wenn die Beschneidung als relativ höchstpersönliches Recht
betrachtet wird, dürfen die Eltern für ihren urteilsunfähigen Sohn in die Beschneidung
einwilligen. Wenn die Beschneidung jedoch zu den absolut höchstpersönlichen Rechten
gezählt wird, dürfen weder die Eltern noch der urteilsunfähige Junge in den Eingriff
einwilligen (Art. 19c Abs. 2). In diesem Fall kann der Junge erst beschnitten werden, wenn er
in Bezug auf die Beschneidung urteilsfähig ist und seine Einwilligung gibt. Dass diese
52
Unterscheidung in relativ und absolut höchstpersönliche Rechte nicht ganz eindeutig ist,
wurde bereits in Kapitel 2.1 thematisiert. Trotzdem sprechen Gründe, wie Irreversibilität und
keine zeitliche Dringlichkeit dafür, die Knabenbeschneidung als absolut höchstpersönliches
Recht einzustufen.
Durch die im Zivilrecht festgelegte elterliche Sorge (Art. 269 Abs. 1) dürfen Eltern für ihren
Sohn notwendige Entscheidungen treffen, bei welchen die Handlungsfähigkeit des Kindes
allerdings berücksichtigt werden muss (Art. 301 Abs. 1). Der Sohn schuldet den Eltern zwar
Gehorsam, dabei müssen die Eltern jedoch die Meinung des Sohnes einbeziehen (Art. 301
Abs. 2). Daraus lässt sich schliessen, dass bei der Knabenbeschneidung die Meinung des
Sohnes einzuholen und zu berücksichtigen ist. Die bisher genannten Artikel des
Zivilgesetzbuches legen nahe, dass die Eltern nicht an Stelle ihres Sohnes und ohne dessen
Einwilligung der Knabenbeschneidung zustimmen können.
Die Bestimmungen zum Kindeswohl (Art. 302 Abs. 1) können dagegen wieder sehr
unterschiedlich ausgelegt werden. Darin ist festgehalten, dass die Eltern die körperliche,
geistige und sittliche Entfaltung fördern und schützen müssen. Es kann argumentiert werden,
dass der Schutz der körperlichen und geistigen Entfaltung sich auf die Unversehrtheit des
Jungen bezieht, welche durch die Beschneidung gefährdet werden kann und die Eltern somit
nicht in den Eingriff einwilligen dürfen. Der Artikel kann auch nach der sittlichen Entfaltung
ausgelegt werden, wonach beispielsweise ein jüdischer Junge, mit dem Ziel der Förderung
seiner sittlichen Entfaltung, beschnitten werden dürfte.
In Art. 303 Abs. 1 ZGB ist zudem festgelegt, dass die Eltern über die religiöse Erziehung des
Kindes verfügen. Wenn diese unterschiedlichen Artikel einander gegenübergestellt werden,
überwiegt jedoch der Gesichtspunkt der absolut höchstpersönlichen Rechte, wonach
niemand,
ausser
der
betroffenen
Person
selbst,
in
einen
Eingriff
wie
die
Knabenbeschneidung einwilligen kann. Dafür spricht auch, dass die Handlungsfähigkeit und
die Meinung des Kindes bei der elterlichen Sorge einzubeziehen sind. Demnach dürften die
Eltern über die religiöse Erziehung verfügen, bis die körperliche Unversehrtheit des Kindes
betroffen ist. Die Grenze der religiösen Erziehung wird durch das Kindeswohl bestimmt (vgl.
Kapitel 3.2).
Laut dem Schweizerischen Strafgesetzbuch kann die Beschneidung eines Jungen und somit
der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit nach Art. 123 Ziffer 1 als einfache
Körperverletzung eingeordnet werden. Eine einfache Körperverletzung ist grundsätzlich ein
Antragsdelikt und wird erst auf eine Anzeige hin verfolgt (Schwander, 2014, S. 32). Art. 123
Ziffer 2 StGB benennt jedoch Ausnahmen, in welchen der Tatbestand einer einfachen
Körperverletzung als Offizialdelikt verfolgt wird. Anwendbar ist bei der Knabenbeschneidung
unter Umständen Art. 123 Ziffer 2 Abs. 3 StGB, wonach eine einfache Körperverletzung als
53
Offizialdelikt gilt, wenn der Täter die Tat an einer Person begeht, die unter seiner Obhut steht
oder für die er zu sorgen hat (Schwander, 2014, S. 32). Die Beschneidung eines Jungen wird
somit zwar als einfache Körperverletzung eingestuft, kann jedoch trotzdem von Amtes
wegen verfolgt werden, wenn die Eltern ihren Sohn beschneiden lassen.
Sobald durch die Beschneidung allerdings lebensgefährliche Komplikationen auftreten, gilt
der Eingriff nach Art. 122 Abs. 1 StGB als schwere Körperverletzung (Schwander, 2014, S.
32). Wenn ein Tatbestand des Schweizerischen Strafgesetzbuches erfüllt ist, besteht die
Möglichkeit einer Rechtfertigung durch Einwilligung (Schwander, 2014, S. 33). Für die
Einwilligung in eine einfache Körperverletzung sind die Gründe nicht relevant, in eine
schwere Körperverletzung kann dagegen nur eingewilligt werden, wenn der Eingriff
medizinisch indiziert ist oder einen sittlichen Wert, wie beispielsweise bei einer
Organspende, hat. Zudem muss die betroffene Person die Bedeutung und Tragweite des
Eingriffes verstehen und abschätzen können (Schwander, 2014, S. 33). In eine
Knabenbeschneidung im Rahmen einer einfachen Körperverletzung kann somit unabhängig
des Zweckes eingewilligt werden. Wenn es dabei jedoch um eine schwere Körperverletzung
handelt, kann nur eingewilligt werden, wenn die Beschneidung medizinisch indiziert ist
(Schwander, 2014, S. 33). Das Strafrecht knüpft an die Vorgaben von Bundesverfassung
und Zivilgesetzbuch an (Wohlers & Godenzi, 2014, S. 46). Deshalb gelten dieselben
Einwilligungsvoraussetzungen wie durch Art. 19c des Zivilgesetzbuches dargestellt und nur
der Junge selbst darf in seine Beschneidung einwilligen.
Auf nationaler Ebene lässt sich in Bezug auf die Knabenbeschneidung festhalten, dass der
Familie ein Schutz zusteht und die Eltern im Rahmen der elterlichen Sorge Entscheidungen
für ihren Sohn treffen dürfen. Gleichzeitig wird die Selbstbestimmung und Rücksicht auf die
Meinung des Jungen betont. Alleine der urteilsfähige Junge kann in seine Beschneidung
einwilligen. Bei einem urteilsunfähigen Jungen spricht vieles dafür, die Beschneidung als
absolut höchstpersönliches Recht einzustufen, wodurch erst in die Beschneidung eingewilligt
werden kann, wenn der Junge in Bezug auf den Eingriff urteilsfähig ist. Trotzdem soll an
dieser Stelle betont werden, dass auch auf nationaler Ebene die Auslegung und Gewichtung
der Artikel zu einem unterschiedlichen Ergebnis führen können.
5.7 Fazit
Mit einer Zusammenfassung sowie einem Fazit in Bezug auf das Kindeswohl soll das Kapitel
zur männlichen Beschneidung abgeschlossen werden.
Laut der Weltgesundheitsorganisation ist fast jeder dritte Mann der Welt beschnitten. Somit
sind schätzungsweise 665 Millionen Männer von der männlichen Beschneidung betroffen.
Weit verbreitet ist die männliche Beschneidung besonders in Nord- und Westafrika, in
einigen asiatischen Ländern sowie in den Vereinigten Staaten von Amerika, wo etwa 60%
54
der männlichen Neugeborenen beschnitten werden. In der Schweiz gibt es keine offizielle
Statistik zu der Zahl der vorgenommenen Beschneidungen.
Die männliche Beschneidung wird religiös sowie gesundheitlich oder hygienisch begründet.
Im Judentum steht die Beschneidung als Symbol der besonderen Gemeinschaft Israels mit
Gott und als Ausdruck der religiösen Zugehörigkeit. Die Knabenbeschneidung ist in der Tora
verankert und gilt für die männlichen Juden als Pflicht. Im Islam ist die Knabenbeschneidung
zwar nicht im Koran festgehalten, wurde jedoch im Rahmen der Sunna überliefert. Ihr wird
somit ein hoher Stellenwert zugesprochen und sie gilt bei den Muslimen als unverzichtbares
Ritual
der
Reinigung
Religionszugehörigkeit.
und
Initiation
Gesundheitliche
sowie
und
als
unauslöschliches
präventive
Begründungen
Symbol
werden
der
im
Zusammenhang mit einer Verminderung von Harnwegsinfekten, Chlamydieninfektionen,
Gonorrhoe, Infektionen mit Herpes-Simplex-Viren, Syphilis und Humanen Papillomviren
genannt. Laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation kann durch die Zirkumzision das
HIV-Ansteckungsrisiko um 60% gesenkt werden, weshalb die Weltgesundheitsorganisation
die Beschneidung von Männern in Gebieten mit einem hohen Risiko von HIV-Ansteckungen
empfiehlt. Aus medizinischer Sicht können diese Ergebnisse jedoch nicht als Argument für
eine präventive Routinebeschneidungen von Knaben angebracht werden, da es für alle
sexuell übertragbaren Krankheiten mildere präventive Massnahmen gibt. Zudem ergibt sich
daraus keine Notwendigkeit, die Beschneidung in einem Alter durchzuführen, in dem der
Junge noch nicht sexuell aktiv ist.
Entgegen der weitverbreiteten Annahme, die männliche Beschneidung sei ein kurzer und
harmloser Eingriff, sind auch damit diverse Folgen, wenn auch nicht vergleichbar mit
denjenigen der weiblichen Genitalverstümmelung, verbunden. Etwa bei jeder 20.
Beschneidung kommt es zu Komplikationen, diese reichen von ästhetisch unbefriedigenden
Ergebnissen bis hin zum Tod des Jungen. Laut einer Studie der NOHARMM können
beschnittene Männer an sichtbaren Narben, Erektionsproblemen, Schmerzen und Blutungen
leiden. Bei manchen beschnittenen Jungen und Männern löst das Bewusstsein über den
Eingriff Trauer, Angststörungen, Depressionen und sexuelle Probleme aus. Obwohl die
Knabenbeschneidung in vielen Fällen unkompliziert durchgeführt werden kann, verdeutlicht
die Vielzahl dieser potenziellen Risiken, dass von keinem harmlosen Eingriff die Rede sein
kann.
Die Rechtslage auf internationalen Ebene ist bei der männlichen Beschneidung, im
Gegensatz zur weiblichen Genitalverstümmelung, nicht eindeutig. Es finden sich diverse
Gesetzesartikel, welche den Schutz der Familie oder die Religionsfreiheit festhalten.
55
Gleichzeitig gilt das Kind als Rechtssubjekt, dessen Meinung zu berücksichtigen ist und ein
Anrecht auf Gewährleistung des Überlebens in grösstmöglichem Umfang sowie Schutz vor
Schadenszufügung hat. Das Urteil des Landesgerichts Köln von 2012 verdeutlicht die
Schwierigkeit des Abwägens der unterschiedlichen Gesetzesartikel in Bezug auf die
Knabenbeschneidung.
In der Schweizerischen Bundesverfassung ist explizit ein besonderer Schutz der
körperlichen und geistigen Unversehrtheit von Kindern und Jugendlichen verankert. Zwar
wird auch hier der Schutz der Familie und Religion erwähnt, doch ist die Unversehrtheit der
Kinder demgegenüber höher zu gewichten. Laut dem Schweizerischen Zivilgesetzbuch darf
nur ein urteilsunfähiger Junge selbst über einen Eingriff im Rahmen einer Beschneidung
bestimmen. Wenn die Knabenbeschneidung zu den absolut höchstpersönlichen Rechten
gezählt wird, wofür die Irreversibilität und die fehlende zeitliche Dringlichkeit sprechen, darf
bei einem urteilsunfähigen Jungen nur der Betroffene selbst zu gegebener Urteilsfähigkeit
zustimmen. Die Eltern werden im Rahmen des Kindeswohls dazu verpflichtet, die
körperliche, geistige und sittliche Entfaltung zu fördern und zu schützen. Diese Bestimmung
kann unterschiedlich ausgelegt werden. Die verankerte religiöse Erziehung der Eltern wird
durch das Wohl des Kindes eingeschränkt. Grundsätzlich erfüllt die Knabenbeschneidung,
laut dem Strafgesetzbuch, den Tatbestand einer einfachen Körperverletzung, in welche
jedoch eingewilligt werden kann. Die Einwilligungsvoraussetzungen sind hierbei allerdings
analog zu denjenigen des Zivilgesetzbuches.
Zwar
lässt
sich
abschliessend
nicht
eindeutig
eine
handfeste
Antwort
auf
die
Knabenbeschneidung im Zusammenhang mit dem Kindeswohl geben. Die Summe der
potenziellen Risiken und des nicht klar nachweisbaren und notwendigen präventiven
Charakters der Beschneidung sowie die Stellung des Kindes als Rechtssubjekt mit einer zu
berücksichtigenden Meinung, sprechen allerdings dafür, dass in einen den eigenen Körper
und die Psyche betreffenden Eingriff niemand, ausser der urteilsfähige Junge selbst,
einwilligen kann. Die körperliche und psychische Unversehrtheit eines Kindes ist meiner
Meinung nach im Rahmen des Kindeswohls als absolut grundlegend und vorrangig zu
behandeln.
Als Ausdruck der Respektierung
des Kindes als eigenständige und
ernstzunehmende Persönlichkeit, sollte einem Jungen deshalb vermittelt werden, dass nur er
selbst darüber bestimmten darf, was mit seinem Körper geschieht. Die Konsequenz dieser
Schlussfolgerung liegt meines Erachtens nicht darin, die Beschneidung von urteilsunfähigen
Jungen gesetzlich zu verbieten. Es geht jedoch darum, die Rechtmässigkeit von Eingriffen in
die Unversehrtheit eines Kindes ohne dessen Einwilligung in der Gesellschaft zu diskutieren
und zu hinterfragen.
56
6. Rolle der Sozialen Arbeit
Abschliessend soll ein kurzer Blick auf die Rolle der Sozialen Arbeit in Bezug auf die
weibliche und männliche Beschneidung, jedoch lediglich im Zusammenhang mit dem
Kindeswohl, geworfen werden. Dabei werden Professionelle der Sozialen Arbeit vor allem
dann mit der der weiblichen Genitalverstümmelung und der männlichen Beschneidung von
Kindern konfrontiert, wenn es um eine Gefährdung des Kindeswohls geht. In einem solchen
Fall kann es sinnvoll sein, die Unterstützung von interkulturell ausgebildeten Fachpersonen
aufzusuchen (Cottier, 2008, S. 34). Es kann jedoch auch das übliche Vorgehen bei Verdacht
auf eine Kindeswohlgefährdung eingeschlagen werden und insbesondere bei Vorliegen
eines konkreten Gefährdungsverdachts eine Meldung an die Kindesschutzbehörde gemacht
werden (Cottier, 2008, S. 34).
In diesem Zusammenhang ist die Bedeutung des Amts- und Berufsgeheimnisses relevant.
Eine Geheimnisverletzung ist dann nicht strafbar, wenn ein Rechtfertigungsgrund im Sinne
einer Entbindung des Amts- oder Berufsgeheimnis durch die vorgesetzte Behörde vorliegt
oder die betroffene Person ihre Einwilligung erteilt. Nicht erforderlich ist eine Entbindung
dann, wenn eine gesetzliche Meldepflicht oder zumindest ein Melderecht bestimmt ist
(Cottier, 2008, S. 34). Die Meldepflicht richtet sich an Personen, die in einer amtlichen
Tätigkeit von einer Kindeswohlgefährdung erfahren (Hauri & Zingaro, 2013, S. 25).
Professionelle der Sozialen Arbeit sind also bei einem Verdacht auf eine Gefährdung des
Kindeswohls dazu verpflichtet, eine Meldung an die Kindesschutzbehörde zu machen.
Dabei gilt der Grundsatz, dass in erster Linie die Eltern für das Wohlergehen ihres Kindes
und die Rahmenbedingungen für seine optimale körperliche, geistige, psychische oder
soziale
Entwicklung
verantwortlich
sind
(Hauri
&
Zingaro,
2013,
S.
19).
Die
Kindesschutzbehörde darf jedoch bereits aktiv werden, wenn die Beeinträchtigung
wahrscheinlich und nicht erst verwirklicht ist (Hauri & Zingaro, 2013, S. 19). Der Grundsatz
der Subsidiarität hält fest, dass Kindesschutzmassnahmen nur dann ergriffen werden, wenn
die Eltern bei einer Kindeswohlgefährdung nicht selbst für Abhilfe sorgen oder dazu nicht in
der Lage sind. Gleichzeitig ist auch das Prinzip der Verhältnismässigkeit zu beachten:
Demnach muss jeder Eingriff in die elterlichen Kompetenzen zur Abwendung oder Milderung
der Gefährdung notwendig und geeignet sein (Hauri & Zingaro, 2013, S. 19 f.).
Im Bereich des Kindesschutzes können geeignete Massnahmen nach Art. 307 Abs. 3 ZGB
ausgeübt werden. Die Ermahnung dient als Erinnerung der Eltern an ihre jeweiligen
Pflichten. Eine Weisung enthält dagegen bereits eine verbindliche Anordnung. Eine weitere
Möglichkeit ist die Bezeichnung einer geeigneten Person oder Stelle als Erziehungsaufsicht
(Hauri & Zingaro, 2013, S. 20 f.). Ebenfalls möglich ist die Errichtung einer Beistandschaft
57
nach Art. 308 ZGB. Dabei kann die Beiständin oder der Beistand den Eltern mit Rat und Tat
zur Seite stehen (Art. 308 Abs. 1 ZGB), es kann aber auch zu einer Übertragung von
zusätzlichen spezifischen Befugnissen (Art. 308 Abs. 2 ZGB) oder Beschränkung der
elterlichen Sorge (Art. 308 Abs. 3 ZGB) kommen. In besonders schwerwiegenden Fällen
kann die elterliche Obhut nach Art. 310 ZGB aufgehoben oder nach Art. 311 ZGB und Art.
312 ZGB entzogen werden (Hauri & Zingaro, 2013, S. 21 ff.).
Gesetzliche Bestimmungen alleine reichen jedoch nicht aus, um den Schutz von Kindern zu
gewährleisten. Wichtige Schritte zu einem wirksamen Kindesschutz konnten durch die
interdisziplinäre Zusammensetzung und eine Professionalisierung der Kindesschutzbehörde
vorgenommen werden (Häfeli, 2003, S. 140). Besonders bedeutend sind jedoch auch
Prävention und Öffentlichkeitsarbeit. Dabei geht es einerseits darum, Kinder und Eltern über
ihre Rechte und die gesetzlichen Bestimmungen zu informieren. Genauso müssen
Fachpersonen und Betroffene über die Risiken und die Folgen der Genitalbeschneidung bei
Kindern aufgeklärt werden. Andererseits muss die Gefährdung von Kindern im familiären
Umfeld durch Öffentlichkeitsarbeit enttabuisiert werden (Häfeli, 2003, S. 140).
Bei allen Massnahmen sollten sich die Beteiligten darüber bewusst sein, dass es immer
darum gehen muss, das Wohl des Kindes ins Zentrum zu stellen, damit der ihm zustehende
Schutz gewährt werden kann.
58
7. Abkürzungsverzeichnis
AAP
American Academy of Pediatrics
Abs.
Absatz
AEMR
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (vom 10. Dezember 1948)
Art.
Artikel
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch (vom 18. August 1896)
BV
Schweizerische Bundesverfassung (vom 18. April 1999, SR; 101)
Bzw.
Beziehungsweise
CEDAW
Convention on the Elimination of all Forms of Discrimination against Women
(Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau) (vom 1.
März 1980)
EMRK
Europäische Menschenrechtskonvention (vom 4. November 1950)
FC
Female Circumcision (Weibliche Beschneidung)
FGM
Female Genital Mutilation (Weibliche Genitalverstümmelung)
FGM/C
Female Genital Mutilation/ Cutting (Weibliche Genitalverstümmelung/
Beschneidung)
FGS
Female Genital Surgery (Weibliche Genitaloperation)
HIV
Human Immunodeficiency Virus/ Humane Immundefizienz-Virus
HPV
Humanen Papillomviren
HSV
Herpes-Simplex-Viren
IPbpR
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (vom 16.
Dezember 1966)
KRK
Kinderrechtskonvention (vom 20. November 1989)
NOHARMM
National Organization to Halt the Abuse and Routine Mutilation of Males
SAMW
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften
StGB
Schweizerisches Strafgesetzbuch (vom 21. Dezember 1937; SR 311.0)
UN
United Nations
UNFPA
United Nation Development Fund
UNICEF
United Nation Children’s Fund
UNO
United Nations Organization (Organisation der Vereinten Nationen)
WHO
World Health Organization (Weltgesundheitsorganisation)
ZGB
Schweizerisches Zivilgesetzbuch (vom 10. Dezember 1907, SR; 210)
59
8. Literaturverzeichnis
8.1 Bibliografie
- Baviera, V. (2003). Elternrechte und Kindeswohl. In: Kindeswohl. Eine interdisziplinäre
Sicht. Le bien de l’enfant. Une approche interdisciplinaire. Hrsg.: Kaufmann, C. & Ziegler, F.
Zürich/ Chur: Verlag Rüegger
- Brämer, A. (2010). Judentum. Die 101 wichtigsten Fragen. München: Verlag C. H. Beck
- Cottier, M. (2008). Zivilrechtlicher Kindsschutz und Prävention von genitaler
Mädchenbeschneidung in der Schweiz. Hrsg.: Schweizerisches Komitee für UNICEF. Zürich:
Selbstverlag
- Denniston, G. et al. (2009). Circumcision and Human Right. USA: Springer
- Derungs, F. et al. (2011). Schnitt ins Leben. Weibliche Genitalverstümmelung – auch in der
Schweiz. Begleitbroschüre zur Ausstellung von Terre des Femmes Schweiz. Hrsg.: Terre
des Femmes Schweiz. Bern: Selbstverlag
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- Tribune de Genève. (2012). La circonsion rituelle est mise à mal en Suisse. Tribune de
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