Rede für Bürgermeister Franz Huhn, Sehr geehrte Damen und
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Rede für Bürgermeister Franz Huhn, Sehr geehrte Damen und
Rede für Bürgermeister Franz Huhn, Gedenken an die erschossenen Luxemburger am 19.08.2012, 12 Uhr, Ruine Uhlrather Hof Es gilt das gesprochene Wort! Sehr geehrte Damen und Herren! liebe Freunde aus Luxemburg (hier die Namen einfügen) „Ich habe den Glauben an das Gute im Menschen verloren.“ Die Angehörigen der drei Menschen, die hier den Tod fanden, hätten Grund zu dieser Aussage. Denn an diesem Ort zeigte sich der Mensch als Tier. Homo homini lupus - der Mensch ist dem Menschen selbst ein Wolf. Mit diesem Satz beschrieb der englische Philosoph 2 Thomas Hobbes im 17. Jahrhundert die Zerstörungswut des Menschen gegen seine eigene Spezies. Sprung ins 20. Jahrhundert. Sprung nach Siegburg. Hier zeigt sich die blinde Rachsucht, die Mordlust, die Raserei des Wolfs. Die Menschen, die damals in seiner Gewalt sind, müssen um ihr Leben fürchten. Drei von ihnen werden ihr Leben verlieren. Ein Attentat ist der Auslöser. Luxemburger Freiheitskämpfer töten einen Nazi-Funktionär. Der Wolf tobt. Verhängt auf der Stelle, aus dem Stand, Todesurteile. Es trifft unter anderem drei junge Männer, festgehalten in 3 dieser Stadt. Camille Körner, Jean Bück, Marcel Charpantier. Sie werden aus den Gefängniszellen geholt, hierher gebracht. Schüsse fallen. Die Luxemburger sacken zusammen. Der Wolf ist satt. Nur für den Moment, nur an dieser Stelle. Wieso nur? Wie erklärt man das Unerklärbare? Nationalismus, Militarismus, Rassismus, Ablehnung der Demokratie, Führersehnsucht – die Tendenzen des schlechten Deutschlands lassen sich zurückverfolgen bis ins 19. Jahrhundert. 4 Das aber erklärt noch nicht, warum es am Ulrather Hof zu einem derart feigen Geiselmord kommen konnte. Das erklärt noch nicht, warum eine Vielzahl Unschuldiger wie Jean Bück, Marcel Charpentier und Camille Körner ihr Leben ließen, nur weil sie Menschen blieben. Es erklärt nicht ausreichend die Metamorphose der Massen vom Menschen zum Wolf. Der Kern des Unglücks liegt in Jahr 1933. Mit dem 30. Januar wurde der Staat zum Wolf. Ausgrenzung, Deportation, Konzentrationslager, millionenfacher Massenmord. Staatlich gelenkt, von oben befohlen. Der Staat schützt nicht mehr, er brandschatzt. Der Staat regelt 5 nicht, er raubt. Er eliminiert. Er stachelt seine Bürger an, den Trieben nachzugeben. Unfassbar. Doch geschehen. Mit Hilfe aus dem Westen, vor allem aus den USA, haben wir Deutschen den Weg zu den Menschen zurückgefunden. Wir Siegburger haben mittlerweile fünf Partnerstädte in ganz Europa. Franzosen, Griechen, Türken, Portugiesen und Polen kommen gern zu uns, zuletzt anlässlich einer gemeinsamen Feier Ende Juni diesen Jahres. Sie kommen regelmäßig. Mit Frankreich führten wir Krieg, mit Frankreich führen wir eine fast 50-jährige lebendige Partnerschaft mit Nogent-sur-Marne. Polen war das erste Überfallopfer des deutschen Wahns. Die Bürger von 6 Boleslawiec in Polen sind heute unsere Freunde. Wir haben gerade 20-jähriges Jubiläum unserer Partnerschaft mit Bunzlau gefeiert. Jugendliche aus vier Ländern trafen sich in diesem Sommer hier in Siegburg, im europäischen Jugendcamp. Europa baut auf Deutschland, Deutschland baut auf Europa. Das ist die Richtschnur unseres Handelns. In Berlin ebenso wie in Siegburg. Wir reichen unseren Nachbarn die Hand, sehen uns ins Gesicht. Nicht nur symbolisch. Es war mir eine besondere Ehre, im letzten Jahr René Charpantier, den Neffen von Marcel Charpantier, bei uns in Siegburg zu empfangen. Er kam nicht allein, ihn begleiteten seine Söhne Glenn und 7 Serge. René kam auch an einem 23. August zur Welt, man schrieb damals das Jahr 1953. Ein Schatten lag lange auf diesem Tag, an dem die Nazis einst den Onkel erschossen. Ich hoffe, wir Siegburger konnten ihn beruhigen: Der Onkel ist präsent in dieser Stadt. Wir haben eine Straße nach ihm benannt, gedenken seiner in aufrichtiger Anteilnahme. Wir stellen uns der Geschichte und sind uns ihrer Schattenseiten bewusst. Dieses Gedenken, meine Damen und Herren, darf kein isoliertes Ereignis bleiben. Kein Alle-Jahre-wiederPflichttermin. Deshalb wird die Stadt in all ihren Publikationen weiterhin ausführlich über den 23. August 8 1944 berichten. Deshalb lernen Schulkinder die Geschichte hinter den Straßennamen auf dem Brückberg. Sie können einordnen, wer Marcel Charpentier war, wie und warum er so jung sterben musste. Unsere Gesellschaft ist heute so frei und so fortschrittlich wie in keiner anderen Zeit der Geschichte. Die Schrecken der Jahre 1933 bis 1945 sind sehr weit weg. Doch Freiheit, so drückte es Thomas Jefferson, der dritte Präsident der Vereinigten Staaten, aus, gibt es nicht umsonst. Ihr Preis ist stete Wachsamkeit. Diese Wachsamkeit ist ein mühsames, aber notwendiges Unterfangen. Unachtsamkeit 9 hat fatale Konsequenzen, das zeigen die jüngsten Ereignisse in unserem Land. Schon früh bahnte sich die rechtsterroristische Karriere von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt an. Sie trugen Glatzen und Springerstiefel, sangen rechts, redeten rechts, schlugen Andersdenkende, bauen Bomben. Dann tauchen sie anderthalb Jahrzehnte lang ab, töten zehn Menschen im Nationalsozialistischen Untergrund. Im Umgang mit ihnen hat der Staat auf voller Linie versagt. Sozialarbeiter waren hilflos, Verfassungsschützer erschreckend sorglos. Ermittler zeigten unverhohlenen 10 Rassismus, indem sie die Hinterbliebenen der Opfer nach den Morden ohne Grund verdächtigten und stundenlang verhörten. Die Frauen, Brüder und Kinder der Ermordeten mussten eine erniedrigende Prozedur ertragen und sehen unser Land heute mit anderen Augen. Das alles im 21. Jahrhundert. Das alles in Deutschland. Feinde unserer Demokratie sind auch anderswo zu finden. Der Geist der Unfreiheit weht leider auch in den Weiten des Internets. Selten zuvor ist in unserem Land so viel denunziert worden wie im Internetzeitalter. Im Schutze der Anonymität werden Menschen jeden Alters in Chats und Foren, bei Facebook und „Wer kennt wen“ an den 11 virtuellen Pranger gestellt. Mindestens 20 Prozent der Jugendlichen sind schon mal Opfer von Cyber-Mobbing geworden. Überall dort, wo Mitbürger bepöbelt oder verunglimpft werden, wo offen zur Ausgrenzung oder Menschenjagd aufgerufen wird, ist die Menschenwürde und damit unsere Freiheit in Gefahr. Dann müssen wir Charakter zeigen, aufstehen, den Gegnern der Freiheit die Stirn bieten. In den 68 Jahre nach dem Mord an Camille Körner, Jean Bück und Marcel Charpantier haben wir Deutschen, wie hier in Siegburg, gezeigt: Der Mensch kann dem Menschen auch als Mensch begegnen. Unsere neu geschlossene 12 Freundschaft mit René, Serge und Glenn Charpantier aus Luxemburg stellt dies eindrucksvoll unter Beweis. Möge der Kontakt viele Jahre halten. Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit!