ein Film braucht einen aufhänger
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ein Film braucht einen aufhänger
filmwirtschaft aktuell Marketing-Workshop von Europa Distribution: Olivia Le Dain (Europa Distribution), Sarah Calderon (The Film Agency), John Durie (Strategic Film Marketing), Anja Rutsche (LBi Group), Adeline Monzier (Europa Distribution) und Ian Thomson (McAinsh Consulting). Ein Film braucht einen Aufhänger Social Media-Kampagnen spielen bei der Filmvermarktung eine immer wichtigere Rolle. Beim Marketing-Workshop in Locarno, zu dem der unabhängige europäische Verleiherverband Europa Distribution die Branche einlud, gaben Experten Aufschluss über neue Strategien der Filmvermarktung. „Warum soll sich das Publikum für einen Film interessieren, ihn sich ansehen und sich die Zeit nehmen, sich mit Anderen über diesen Film auszutauschen?“, gab Sarah Calderon zu Bedenken, die in Spanien mit der Film Agency eine eigene Filmmarketingund Promotionfirma aufgebaut hat. „Geldmangel ist keine Ausrede für fehlende Ideen“, erklärt die Marketing-Expertin, zu deren Kundenkreis Wim Wenders mit der Neuen Road Movies, der Filmmarkt in Venedig oder die französische Zadig Productions gehören. „Bisher konzentrieren sich die Produzenten, Verleiher und Weltvertriebe nur auf ihren eigenen Bereich“, weiß Calderon, die komplexe Strategien mit den Rechteinhabern erarbeiten will, um einen Film möglichst umfassend zu vermarkten. „Es reicht nicht aus, einen Foto-Termin am Set zu veranstalten.“ Schon in der Produktionsphase sei es wichtig, Foto-Material für die Social-Media-Nutzer zu produzieren, da sich dies nachträglich als zu aufwändig erweise. Denkbar sei sogar, Fans aus den virtuellen Communities zum Set einzuladen, die dort selbst Fotos aufnehmen und verbreiten können. „Jedes Foto, das publiziert wird, ist Promotion“, meint Calderon. Beim B2C-Marketing komme es darauf an, die Verleiher möglichst frühzeitig zu koordinieren, um eine gemeinsame Strategien aufzubauen und Kosten zu sparen. Die neuen Medien sind für sie eine Möglichkeit, um junge Zielgruppen zu gewinnen. „In Europa haben wir das junge Publikum verloren, denn es hält sich mehr im Internet als im Kino auf.“ Daher sei es wichtig, die Filme auf eine andere Art zu bewerben und neue Auswertungsstrategien zu entwickeln. „Die Zuschauer haben sich daran gewöhnt, zu jeder Zeit immer alles konsumieren zu können.“ „Die klassische Mundpropaganda erfolgt heutzutage über digitale Medien“, bestätigt Anja Rutsche, die als Senior Account Manager Social Media bei der in München ansässigen, in 17 Ländern operierenden Marketingagentur LBi die Kampagnen für Paramount-Filme wie „Madagascar 3: Flucht durch Europa“ oder „Paranormal Activity 4“ betreut. „Social Media hat eine eigene Sprache.“ Um strategisch Links zu setzen, spiele die Suchmaschinen-Optimierung (Search Engine Optimization – SEO) bei den Social Media eine zentrale Rolle. Hinzu kommt die Einbindung neuer Netzwerke. „Google+ wird immer wichtiger“, betont Rutsche. Ohne diese Empfehlung im Netz werde Online-Werbung von den Nutzern nicht mehr wahrgenommen. Auf die Werbewirkung von Facebook setzt auch die Produktions- und Verleihgesellschaft Drei Freunde, die schon acht Monate vor dem Filmstart des Psychothrillers „Das Kind“ mit der Online-Kampagne begonnen hat. Die Fans des Bestseller von Sebastian Fitzek konnten über das Filmplakat abstimmen. „Alle 20 000 Teilnehmer, die ihre Stimme abgegeben haben, werden im Abspann erwähnt“, verrät Rutsche. Darüber hinaus finden knapp zwei Monate vor dem Kinostart am 18. Oktober zahlreiche FanPreviews in deutschen Städten statt. Wichtig sei bei der Online-Vermarktung immer ein Thema zu haben, dass die Nutzer anspreche. Rutsche: „Es muss immer einen Aufhänger für einen Film geben.“ Um die Trailer, Texte und Fotos auf verschiedene Plattformen wie Facebook, YouTube oder Twitter zu bringen, hat die französische Firma Under The Milky Way mit Unterstützung von Media die Softwarelösung Waveback entwickelt, die Verleihern, Produzenten und Weltvertrieben das Management der SocialMedia-Kampagnen erleichtern soll. „Waveback ist ein sehr effizientes Tool für Verleiher, die kein Personal oder Budget für Social-Media-Agenturen besitzen“, erklärt der Underthe-Milky-Way-Mitbegründer Pierre-Alexandre Labelle. Die Management-Software Waveback, die bereits von einigen Verleih getestet wird, soll Mitte Dezember im Rahmen des Festival De Cinéma Européen des Arcs vorgestellt werden. Social-Media-Kampagnen allein reichen jedoch meistens nicht aus, um einen Film optimal zu vermarkten. „Bei ‚Ziemlich beste Freunde‘ war es schwierig, die sozialen Medien einzubeziehen, denn wir hatten weder ein bekanntes Buch noch einen Star, auf dem wir die Kampagne aufbauen konnten“, berichtet Astrid Böhmisch, Marketing-Chefin von Senator Film. Nachdem die Ein- Foto: Heidsiek Marketing-Workshop von Europa Distribution. käufer mit dem französischen FeelGood-Movie aus Cannes zurückkehrten, sei das Marketing-Team nicht gerade begeistert gewesen. Einen französischen Film mit unbekannten Darstellern zu vermarkten, in dem der Protagonist im Rollstuhl sitzt, klang zunächst nicht nach einem großen Kassenmagnaten. „Wir haben uns beim Trailer und der Artwork darauf konzentriert herauszuarbeiten, dass dies ein warmer, humorvoller Film über Freundschaft ist.“ Statt den französischen Originaltitel „Les Intouchables“ ins Deutsche zu übersetzen, wurde inhouse beim Brainstorming die Variante „Ziemlich beste Freunde“ gefunden, der französische Trailer umgeschnitten und fröhlichere Farben für das Poster gewählt. Beworben wurde der Film durch E-Mail-Aktionen, Family & Friends-Vorführungen sowie Previews, die in Kooperation mit Medienpartnern wie ProSieben und „Die Welt“ erfolgten. Als „Ziemlich beste Freunde“ beim Start Anfang Januar mit 167 Kopien einen Rekordschnitt von 1 770 Besuchern erzielt hatte, wollten immer mehr Kinos den Film spielen und die Kopienanzahl wurde am Ende auf 800 aufgestockt. „Journalisten brauchen immer eine Geschichte und nicht nur Fakten und Zahlen“, konstatiert der britische PR-Profi Ian Thomson, der mit seiner Firma McAinsh Consulting Regisseure wie Ridley Scott und Danny Boyle oder den Münchener Weltvertrieb K5 Media Group berät. Um auf dem Filmmarkt in Cannes Aufmerksamkeit für Duncan Jones Biopic über Ian Fleming zu generieren, lancierte er einen Bericht in der „London Times“, den die Dailies auf dem Festival aufgriffen. Die zentralen Fragen beim Filmmarketing seien stets, an welche Zielgruppe sich ein Film richte, worum es im Film gehe und welche Botschaft mit dem Trailer und Poster vermittelt werden solle, erklärt John Durie, der mit seiner Firma Strategic Film Marketing über einen Zeitraum von 9, 12 oder 24 Monaten gezielte Kampagnen entwickelt. „Das ältere Publikum wird immer wichtiger“, resümiert Durie, „denn diese Zielgruppe hat Zeit und Geld.“ Birgit Heidsiek M 33/2011 filmecho | filmwoche 11