Diskrete Attentate auf die Welt der Museen

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Diskrete Attentate auf die Welt der Museen
Johnen Galerie
DEUTSCHLANDFUNK
28.02.2013
Diskrete Attentate auf die Welt der Museen
Diskrete Attentate auf die Welt der Museen - "Kunstausstellung" - eine Werkschau von | Kultur heute | Deutschlandfunk
02.03.13 12:35
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KULTUR HEUTE
28.02.2013 · 17:35 Uhr
Hans-Peter Feldmanns David-Figur vor den Deichtorhallen (Bild: picture alliance / dpa / Malte Christians)
Diskrete Attentate auf die Welt der Museen
"Kunstausstellung" - eine Werkschau von Hans-Peter
Feldmann in Hamburg
Von Carsten Probst
Im New Yorker Guggenheim Museum tapezierte er vor zwei Jahren eine Wand mit 100.000
Ein-Dollar-Scheinen. Hans-Peter Feldmann stellt Alltägliches in den Mittelpunkt seiner Kunst
und provoziert Museen und Publikum immer wieder mit seinen außergewöhnlichen Ideen.
Seine Werkschau ist jetzt in Hamburg zu sehen.
Hans-Peter Feldmann ist ein inspirierender Künstler, und das durchaus nicht nur für andere
Künstlerkollegen. Die Ideen hinter seinen Arbeiten sind von verführerischer Einfachheit, wenn er sich
den Mysterien des Alltags, und seine Kunst scheint lediglich darin zu bestehen, dass er etwas mehr Mut
aufbringt, aus Gedankenbildern echte Bilder werden zu lassen, sodass man sofort bereit ist, ihn zu
bewundern für die Verschmitztheit und den Scharfsinn und auch die eigentümliche Mischung aus Ironie
und Ernst, die Werk und Person seit jeher auszeichnet. Die Idee, unbekannten Frauen für 500 Euro ihre
Handtaschen abzukaufen, um den Inhalt hernach in Vitrinen auszustellen, balanciert beispielsweise auf
dieser Grenze von Respektlosigkeit und Feingefühl, die man sich als Haltung für den Alltag nur allzu oft
von sich selbst wünschen würde, die aber ungestraft eben nur im Bezugssystem Kunst funktionieren
kann. Nicht anders verhält es sich mit Feldmanns Aktion, sich die 100.000 Dollar, die er 2010 als
Preisgeld für den Hugo Boss Prize erhalten hat, in Ein-Dollar-Noten auszahlen zu lassen und damit ein
komplettes Kabinett des Guggenheim Museums in New York zu tapezieren. Auch hier lässt es der
Künstler wieder exemplarisch an Respekt, diesmal für den Wert des Geldes fehlen - wie viele arme
Leute könnte man schließlich damit für ein Jahr vermeintlich glücklich machen -, zugleich aber erfährt
man auf andere Weise viel mehr über die schiere Menge dieses Geldes und seinen Bezug zur Kunst, als
wenn er es einfach weiterverschenkt hätte.
In dieser Hinsicht ist es durchaus nicht dasselbe wie etwa bei Andy Warhol, der einst eine Dollarnote
signiert, und damit als Kunstwerk deklariert hat. Bei Feldmann ist die Unterscheidung von Kunst und
Nichtkunst egal. Er nimmt das Geld, wie es ist und kehrt die Botschaft heraus, die es von sich aus
besitzt. Wenn Hans-Peter Feldmann sagt, für ihn sei auch die Kopie ein Original, und auch wenn Dinge
zehntausendfach hergestellt würden, sei das Einzelding für ihn immer noch Original, dann ist etwas
anderes gemeint als bei Warhols Stapeln aus Brillo-Boxen oder Campbell-Suppendosen. Feldmanns
Bilderserien und Hefte exemplifizieren früh, dass A nie gleich A ist. Es gibt bei Feldmann keine
Identität, sondern allenfalls Variationen, größere oder kleinere, die immer Gegenstand der
Interpretation sind. Seine Kopie von Michelangelos "David" erkennt man sofort, aber sie ist deutlich
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anders in ihrem obszön-rosa angestrichenen Epoxidharzverschnitt mit blondierten Haaren. Sie steht
stellvertretend für Feldmanns diskrete Attentate auf die Welt der Museen.
Den riesigen Platz in der nördlichen Deichtorhalle hat Feldmann genutzt, um seinerseits eine Vielzahl
von Variationen von Bildern auszubreiten. So groß, sagt er, hat er bisher noch nie ausgestellt. Den
gesamten Parcours hat er selbst kuratiert und einige Mühe darauf verwendet, wie er sagt, die Halle mit
dem ganzen Krempel aus seinem Archiv vollzukriegen. In der Summe ergibt sich ein begehbarer
Bildatlas, und alles spricht für sich selbst, scheinbar, es ist ein ständiges unverwandt-heiteres
Wiedererkennen, fast bis zur Ermüdung: Fotoserien von ungemachten Betten, Erdbeeren, Wolken,
Kühlschrankinhalten, Armaturenbrettern von Autos, Waschmaschinen, Frauenbeinen, die unter
Miniröcken hervorschauen; Briefmarken, die Kunstwerke zeigen und selbst wie kleine Kunstwerke in
Passepartouts eingerahmt sind; ein Sofakissen, wie eine Skulptur auf einem Sockel platziert;
Schattenspiele mit Alltagsdingen und Kirmesfiguren; fotografierte Brotscheiben, eine Sammlung von
Aufmacherseiten zum 11. September 2001 (die deswegen korrekterweise "9/12" heißt); ein
überdimensionales Papierschiffchen, ein Holzmann, der beständig aus der Stelle läuft. Und in der
hintersten Ecke eines Kabinetts ein Teppich, auf dem eine kleine Modelleisenbahn einsam im Kreis
fährt.
Nicht jede Idee dieser meist nach dem Jahr 2000 entstandenen Ideen ist neu, nicht immer wirkt die
Lakonie der Ausführung verblüffend oder erhellend, nicht immer entgeht Feldmann der Neigung zum
Selbstzitat. Doch dieses beständig weiter wachsende Werk ist in sich einzigartig in Deutschland. Es füllt
mehr als nur eine Nische, sondern nährt sich reichlich vom heiligen Ernst der deutschen Nachkriegsund Nachwendekultur und schenkt jedem, der es will, ein befreiendes Lachen.
© 2013 Deutschlandradio
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