Die Sehnsucht des Designers

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Die Sehnsucht des Designers
SOLL & HABEN
Freitag, 10. Februar 2012 ^ Nr. 34
55
Neuö Zürcör Zäitung
STIL-IKONE N° 11
Bryan Ferry
(* 1945 Washington, Gb)
«Objets mélancoliques», Frédéric Dedelleys gegossene Design-Objekte.
PD
Die Sehnsucht des Designers
Design-Objekte an der Schnittstelle zur Kunst bei Helmrinderknecht
Andrea Eschbach ^ In der blauen
Stunde wirken sie am schönsten: Die
«Objets mélancoliques» changieren von
bräunlichem Messing zu goldner Bronze, je nach Blickwinkel ändert sich ihre
Form. Frédéric Dedelleys Vasen, Schalen und Behälter überzeugen durch ihre
skulpturale Präsenz. Derzeit schmücken
die geheimnisvollen Objektgefässe des
Zürcher Gestalters die ehemalige Eingangshalle eines Bürogebäudes mitten
in Zürich. Die Berliner Galerie Helmrinderknecht hat hier temporär Quartier bezogen.
Die Ausstellung «edition 21» versammelt limitierte Designentwürfe internationaler Designer aus dem Galerieprogramm. Mit dabei sind zwölf Designer und Designstudios – von dem
katalanischen Querdenker Marti Guixé
über das niederländische Studio Makkink & Bey bis zu den Zürcher Nachwuchstalenten Sarah Kueng und Lovis
Caputo. «Wir arbeiten an der Schnittstelle zwischen Design und Kunst», erklärt Galerist Martin Rinderknecht.
Gegossene Melancholie
Diese Schnittstelle ist fraglos spannend
für Designer. Limitierte Editionen und
Unikate erlauben Experimente fernab
vom Diktat der Serienherstellung. Dies
schätzt auch Frédéric Dedelley, dessen
Werk zwischen Funktion und Sinnlichkeit oszilliert: «In der Edition kann ich
mich mit Themen beschäftigen, die ich
als Industriedesigner nicht umsetzen
kann.» Ihn habe die Sehnsucht getrie-
ben, Objekte zu schaffen, die über Qualitäten verfügen, welche sich von jenen
im Industriedesign geltenden unterscheiden. «Heute sind wir meist von
Dingen umgeben, die so präzise und
perfekt gefertigt sind, dass man kaum
noch eine Spur ihres Schöpfers oder der
Produktionsverfahren
wahrnehmen
kann», erklärt der Designer. Ganz anders die «Objets mélancoliques». Sie
lassen das Kunsthandwerk wiederaufleben. Dies trifft den Nerv der Zeit: Sieben der Objekte wurden bereits verkauft, drei davon sind Teil der Sammlung des Bundesamts für Kultur.
Die Gestalt der Gefässe basiert auf
geometrischen Grundformen. Für jedes
einzelne der Objekte – und jede der insgesamt acht Auflagen – wurden dafür in
Dedelleys Atelier Modelle aus Karton
gebaut. In der Kunstgiesserei St. Gallen
wurden diese Kartonmodelle dann abgedichtet, in einen Mantel aus Schamott
verpackt und im Ofen gebrannt. Das
Original verbrennt, zurück bleibt ein
Hohlraum, der mit einer Bronze-Messing-Legierung ausgegossen wird. Das
Resultat dieses Giessens in der sogenannten verlorenen Form sind archaisch
wirkende Gegenstände. Eine gute Prise
Zufall gibt jedem Gefäss seine eigene
Schönheit. Die unberechenbare Oberfläche steht in spannungsvollem Kontrast zur geometrischen Form.
Der Name der limitierten Edition
soll ein etwas aus der Mode gekommenes Gefühl in Design umsetzen: «Die
Melancholie gehört zu meiner Persönlichkeit», stellt Frédéric Dedelley fest.
«Diesem bitter-süssen Gefühl wollte ich
eine Form geben.»
Von Melancholie ist in der Kollektion «Les Belles» von Moritz Schmid
nichts zu spüren. Tänzerisch, verspielt
und charmant wirken die Entwürfe –
und rätselhaft. Die Deutung bleibt
jedem selbst überlassen. Die leicht geneigten Schönen sind aus gedrechseltem Birnbaumholz und gefaltetem Naturleinen gefertigt.
Schönheit ist Funktion
Die harmonische Verbindung von perfekter Form und ausgesuchtem Material
stand im Vordergrund des Experimentes. «Es sind die radikalsten Entwürfe in
der Schau», sagt Galerist Martin Rinderknecht, «denn sie sind ganz dem
Funktionalen enthoben.» Ist das nun
noch Design oder schon Kunst? «Ich
sehe mich ganz klar als Produktdesigner», sagt Moritz Schmid dazu. «Bei
‹Les Belles› habe ich mich aber entschlossen, die praktische Funktion wegzulassen.» Schmids Ansatz lautete, dass
auch Schönheit eine Funktion ist. Entstanden ist ein Objekt, das durch seine
Ausdrucksform lebt und eine explizite
Haltung im Raum einnimmt. «Noch nie
habe ich ein solch persönliches Objekt
gemacht», sagt Schmid.
Und wer weiss: So manches Experiment mündet irgendwann dann doch
wieder in ein serielles Möbelstück.
DEBORAH FEINGOLD / CORBIS
Jürg Zbinden ^ Schneewittchens Haare waren schwarz wie
Ebenholz. Und Bryan Ferry hätte – ehe Silberfäden sein
Haupthaar durchzogen – die Koloristen von L’Oréal über
Schwarzkopf bis Wella nicht minder entzückt. Erst studierte
der Sohn eines Bergmanns Kunst an der Universität Newcastle upon Tyne, unter anderem beim namhaften Pop-ArtVorreiter Richard Hamilton. Im Alter von 25 Jahren gründete
er mit dem Bassisten Graham Simpson die neben T. Rex einflussreichste Art- und Glam-Rock-Band: Roxy Music. Die
Protagonisten des Glam fielen auf durch schrille, effeminierte
Bühnenkostüme. Bei Roxy Music hatte indes Brian Eno die
Rolle des zwittrigen Paradiesvogels inne. Ferry mit seinem
Faible für amerikanischen Soul inszenierte sich solo lieber
adrett krawattiert, im Anzug aus schimmernder Seide, als mit
Federboa und Lippenstift – ein «Ladies Man» vom Scheitel bis
zur Sohle. Wenn ihm die Strähnen aus der Pomadentolle über
die blauen Augen fielen, schmachteten ihn die weiblichen
Fans an wie weiland Rudolph Valentino. Als ihm Rolling
Stone Mick Jagger das Model Jerry Hall (auf dem Cover des
Roxy-Music-Albums «Sirens» kroch sie als Nixe über kargen
Fels) ausspannte, staunte die Pop-Welt und gab sich den Sirenenklängen von «Love is the Drug» hin.
Der Pop-Star wie der Privatmann Bryan Ferry trägt Masskleidung von den besten Schneidern der Savile Row: von Kilgour, Mark Powell, Spencer Hart und Richard James. Um sein
Schuhwerk kümmert sich die in Paris ansässige Manufaktur
Berluti. Und obwohl er augenscheinlich höchsten Wert auf die
makellose Erscheinung legt, glückt ihm stets das Kunststück,
den Eindruck eines Narzissten zu vermeiden.
Auch das Glück in der Ehe schien ihm lange treu zu bleiben: Über zwanzig Jahre war er mit der Salonlöwin Lucy Helmore verheiratet, die ihm vier Söhne schenkte. Helmore, ein
vormaliges Model, posierte für das letzte Album von Roxy
Music, «Avalon», und hatte selber erheblichen Einfluss auf
den Schuhdesigner Manolo Blahnik, den Hutmacher Philip
Treacy und den schmerzlich vermissten Christian Lacroix. Seit
dem 4. Januar dieses Jahres ist Bryan Ferry erneut in festen
Händen. Seine ganze 36 Jahre jüngere Gattin Amanda war zuvor die Freundin seines zweitältesten Sohnes. Die Braut trug
zum Fest Lanvin, der 66-Jährige einen dunkelblauen Anzug
von Anderson & Sheppard. Vielleicht hält der gute Vorsatz ja
diesmal: «Let’s Stick Together.»
«edition 21», Helmrinderknecht/Contemporary Design
Gallery, Bleicherweg 21, Zürich. Bis 25. Februar 2012.
Nicht viel mehr als eine Linie
Der schnörkellose Draht-Kleiderbügel gilt vielen Designern als prototypisches Beispiel der gekonnten Reduktion. Kein Wunder also, versuchen sie sich
immer wieder an ähnlich radikal auf die Essenz der Form beschränkten Würfen. Fünf Dinge, die kaum mehr als eine minimale Silhouette sind.
Schmalhans
Leichtgewicht
Seit Hedi Slimane (siehe Bericht links)
den Männern eine modische Fitnesskur
verpasst hat, ist die ultraschmale Krawatte, kaum breiter als ein Schnürsenkel,
wieder schwer in Mode. Das abgebildete
Modell ist von Drykorn. Etwa 50 Euro.
www.drykorn.com
Mit dem aus Titandraht geformten Modell «Minimal Art» hat sich der österreichische Brillenhersteller 1999 praktisch
selbst abgeschafft: Eine solche Brille ist
mehr Glas als Gestell. Wegen des geringen Gewichts tragen auch Nasa-Astronauten das Modell. Ab 500 Franken.
www.silhouette.com
Rhythmus
Skulptur
Verführung
Das Neuenburger Atelier Oı̈, eine der
poetischsten Design-Gruppen des Landes, entwarf 2007 die Leuchte «Allegro»
für Foscarini. Nebeneinanderliegende
Linien aus Draht schweben in subtilem
Gleichgewicht von der Decke, eine Halogenleuchte spendet Licht. 2500 Franken.
www.foscarini.com
2004 entwarf der Zürcher Alfredo Häberli für Classicon den Stuhl «Nais» aus
Stahldraht. Obwohl man durchaus darauf sitzen kann, ist er mehr eine Skulptur
des gestalterischen Willens geworden.
Wer’s etwas bequemer mag, kann auch
passende Sitzkissen dazu kaufen.
www.classicon.com
In der Wäscheindustrie wird bis heute
mit Drahtbügeln gearbeitet – etwa, um
der weiblichen Brust den gewünschten
Schwung zu geben. Der abgebildete Büstenhalter verrät mit seinem Namen «Bordelle O-dile» allerdings nicht nur rein
funktionale Motive. Etwa 78 Pfund.
www.glamorousamorous.com