wozu über den nacktscanner diskutieren?
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wozu über den nacktscanner diskutieren?
zeitgeschehen Ausgabe 2 januar 2010 jahrgang 01 Ausgabe 2 januar 2010 jahrgang 01 zeitgeschehen eins, zwei, drei Nicht unbedingt schön anzusehen, aber unterhaltsam wurde es am 10. Januar, als die Piratenpartei in Unterwäsche durch deutsche Flughäfen marschierte, um gegen den Nacktscanner zu protestieren. Eine Piratenbraut hatte sich das Wort „Piercing?“ auf die Brüste schreiben lassen und über einem käsigen Bauarbeiterdecolleté hieß es: „Hosen runter“. Der Schrecken dieser Bilder kann aber nicht mit dem Schrecken mithalten, der einen 49-jährigen Slowaken kurz nach Weihnachten packte. Der hatte gerade seine Familie besucht und flog zurück nach Dublin, wo er seit drei Jahren lebt. Drei Tage später bekam er Besuch von einem riesigen Polizeiaufgebot. In seinem Koffer fanden sie 90 Gramm Militärsprengstoff, den der Mann durch Flughafenkontrollen transportiert hatte – unwissentlich. Er wurde festgenommen, aber gleich wieder freigelassen. Die slowakische Polizei hatte seinen Koffer heimlich gepackt, um die Flugsicherheit zu testen. Da sollte man lieber mal überprüfen, wie sinnvoll die neuen Sicherheitsvorkehrungen für Flüge in die Vereinigten Staaten wirklich sind. Nach dem gescheiterten Attentat des Unterhosenbombers werden die Reisenden nicht nur gründlicher durchsiebt als bisher. Sie dürfen in der Stunde vor der Landung ihren Platz nicht mehr verlassen und nicht mehr an ihr Gepäck. Und der Höhepunkt des Wahnsinns: Auf Transatlantik-Flügen darf man sich ab sofort nicht mehr zudecken. Soll der Terrorist erfrieren, bevor er sein Attentat verüben kann? Panisch lasst die hüllen fallen! E igentlich ist es ein Wunder, daß noch keiner den Kleiderscanner gefordert hat. Denn die Stoffe, in die sich Leute kleiden, werden nicht nur immer bedeutsamer, sie werden vor allem immer mehr. Die Menschheit verhüllt sich mit blickdichten Textilien. Nicht nur im Orient. Kleidung ist verdächtig geworden. Das gilt nicht nur für die Schuhe, die jeder Fluggast in Amerika ausziehen und aufs Band stellen muß, weil ein dilettantischer Terrorist Sprengstoff im Futter seines Schuhwerks versteckt hatte. Auch die „Kopftuchmädchen“, von denen Sarrazin sprach, wirkten plötzlich wie eine politische Fraktion. Wahrscheinlich gibt es seit Braunhemden und Jesuslatschen kaum ein Kleidungsstück, das so ein starkes Statement darstellt. Dabei sind auf den türkischen Märkten am Berliner Maybachufer gar keine Burkas im Angebot. Die Ganzkörperzelte mit Sehgitter sind in Deutschland genauso selten wie in der Schweiz, wo die Gemeindeverwaltung des Städtchens Grenchen kürzlich beschlossen hat, keine Burka-Trägerinnen mehr zu bedienen. Die konservative Kreuzköllnerin trägt sowieso lieber Pardesüs, jene bodenlangen Polyestermäntel, die mit bunten Kopftüchern kombiniert werden. Beim Burkini, einer Kreation der libanesisch-australischen Designerin Aheda Zanetti, ist das Kopfteil schon integriert. Dieser Schwimmschlaf- Wozu über den Nacktscanner diskutieren? Verschleierung ist der Megatrend der Saison. Ein Blick auf den Wühltisch der meistdiskutierten Textilien von lydia harder und andreas rosenfelder anzug wurde erfunden, um muslimischen Rettungsschwimmerinnen in Australien schariakonforme Arbeitskleidung zu stellen. Im Prinzenbad dagegen wird der Burkini, der den Overalls der Teletubbies ähnelt, dem Bikini bestimmt keine Konkurrenz machen. Denn die strengen Kleidervorschriften des radikalen Islam haben weder Ästhetik noch Erotik zum Verschwinden gebracht, sie haben sie nur verdeckt. Anders als in der Genesis dient Oberbekleidung bei muslimischen Frauen oft nicht mehr dazu, den nackten Körper zu verhüllen. Stattdessen verbirgt die Kleidung ihrerseits Kleidung: Es gibt Geschäftsfrauen, die im Chanel-Kostüm zur Arbeit gehen. Nur sieht man das auf der Straße nicht, denn sie tragen darüber den Tschador. Auch das Angebot an Lingerieware ist in der arabischen Welt riesig und läßt die durchschnittliche deutsche Unterwäsche nach Orthopädiemode aus dem Sanitätshaus aussehen. Während deutsche Feministinnen die Iranerinnen bemitleiden, tun den iranischen Frauen die deutschen leid, weil die immer nur Hosen und Multifunktionskleidung tragen. Wer allerdings genau das im Sudan tut, muß mit Prügelstrafen rechnen, wie die Journalistin Lubna Ahmed el Hussein im Herbst erfuhr. Sie wurde von der Religionspolizei verhaftet, weil sie in einem sudanesischen Restau- rant Hosen trug. Für diesen Verstoß gegen die Scharia sollte sie vierzig Peitschenhiebe erhalten und kam nur durch den öffentlichen Druck mit einer Geldstrafe davon. Die westliche Männerphantasie träumte jahrhundertelang vom Striptease im Harem des Sultans, aber Entschleierung ist im Orient heute ein gefährlicher Befreiungsakt. Das überraschendste Dokument, das die grüne Revolution im letzten Sommer hervorbrachte, war das Youtube-Video einer jungen Iranerin, die im Spaghetti-Träger-Top zwischen hupenden Autos hindurchlief. Schon 1998 schickte der britische Designer Hussein Chalayan seine Models im Tschador auf den Laufsteg, wobei die schwarzen Schleier immer kürzer wurden. Zum Schluß der Schau bedeckten sie nur noch das Gesicht und entblößten den gesamten Körper. Ein Bodyscanner hätte den Unterschied nicht bemerkt. In Roland Emmerichs Katastrophenfilm „2012“ geht die Erde kaputt. Also, bis auf die Kaaba in Mekka. Der Regisseur bekannte, daß eine Szene geplant war, bei der Leute vor einer Moschee gen Mekka beten, bevor die Welle sie erfaßt. Aber das hat er sich anders überlegt. Bizarr In den Morgenstunden des 18. Dezembers schlichen sie zum Haupttor des früheren Konzentrationslagers in Auschwitz, rissen das Schild mit dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ herunter und zersägten es im nahegelegenen Wald in drei Teile. Kurz darauf nahm die Polizei die Täter fest. Der bizarre Diebstahl hatte offenbar ausländische Drahtzieher: Erst wurde ein britischer Trophäensammler verdächtig, dann brachte sich ein ehemaliger RechtsextremistenFührer aus Schweden ins Gespräch. Erleichtert wurde der Diebstahl durch das schlechte Überwachungssystem der Gedenkstätte. In Erfurt geht es derweil um den Umgang mit einem anderen Kapitel der deutschen Geschichte. Drei Männer harrten tagelang ohne Nahrung auf Holzpritschen im einstigen Stasi-Gefängnis aus. Eine Erfahrung, die sie schon früher einmal machen mußten, denn sie sind ehemalige Stasi-Häftlinge. Heute wollen sie eine stärkere Beteiligung an der künftigen Arbeit der Gedenkstätte erzwingen, ihr Verein strebt sogar die Trägerschaft an. Zwischen 1952 und 1989 hat die Staatssicherheit etwa 5000 Menschen psychisch und physisch gefoltert. Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte Hohenschönhausen, sagte dazu: „Ein ehemaliger Stasi-Häftling muß schon sehr verzweifelt sein, wenn er freiwillig in sein Gefängnis zurückkehrt.“ Lydia Harder Foto: PREBEN HUPFELD/AFP/Getty Images Wahnsinnig Man will ja keinen Besuch vom Mann mit der Axt. So wie Kurt Westergaard, der am Neujahrsabend mit seiner kleinen Enkelin in das zum Panikraum umgebaute Bad flüchten mußte. Ein Somalier, der Kontakte zum Terrornetzwerk al-Qaida haben soll, war in sein Haus im dänischen Århus eingebrochen. Vergeblich schlug er mit der Axt auf die Stahltür ein, bis Minuten später die Polizei kam. Seit 2005 die Mohammed-Karikaturen erschienen und die islamische Welt erzürnten, muß der Däne um sein Leben fürchten. Sogar Kurt Westergaards Namensvettern bekamen Polizeischutz. Jetzt ist er wieder untergetaucht, der 74 Jahre alte Mann mit dem kaputten Knie, Haßobjekt der Islamisten. Foto: www.auschwitz.org.pl DER winter IN DREI AKTEN www.sxc.hu 6 J’accuse (2) In China werden jährlich Tausende Menschen hingerichtet, mehr als in jedem anderen Land der Welt. Das mag zum einen daran liegen, daß die chinesische Justiz die Todesstrafe sehr schnell ausführt, zum anderen aber auch daran, daß man in China für etwa 68 Delikte hingerichtet werden kann. Darunter sind Mord und Drogenschmuggel, aber auch Steuerhinterziehung und das Entwenden oder Beschädigen nationaler Heiligtümer, beispielsweise das Töten eines Pandabären. Wer einmal in die Mühlen dieser Justiz gerät, wird schnell zum Opfer. So wie Akhmal Shaikh. Der aus Pakistan stammende Brite wurde am 29. Dezember 2009 in China wegen Drogenbesitzes hingerichtet. Aber Shaikh ist in mehr als nur einer Hinsicht Opfer. Der 53-jährige Vater dreier Kinder ist nicht nur ein Opfer der chinesischen Justiz, sondern auch eines internationaler Politik geworden. Man könnte auch sagen: Shaikh hat einfach sehr viel Pech gehabt und war zur falschen Zeit am falschen Ort. Die meisten Menschen, die Shaikh kennengelernt haben, sagen, daß er eine bipolare Störung hatte. Nach einer gescheiterten Ehe verläßt Shaikh London und zieht nach Polen, wo er lange Zeit mittel- und obdachlos herumirrt. Doch Shaikh will Sänger werden und die Welt mit einem Lied erlösen. „Come little rabbit“ heißt sein Song, den man auf Youtube noch finden kann. Damit möchte er im chinesischen Fernsehen auftreten. Wer ihm diese Idee eingeflüstert hat, ist Spekulation. Seine Angehörigen behaupten, er habe polnische Drogenhändler kennengelernt, die seine mentale Instabilität auszunutzen wußten. Tatsache ist, daß Shaikh mit einem Bekannten von Polen nach Kirgisien reist, von dort aber allein weiterfliegt. Aus irgendeinem Grund nimmt er einen Koffer seines Bekannten mit. Als Shaikh im September 2007 am chinesischen Flughafenzoll steht, entdecken die Beamten 4,3 Kilogramm Heroin in eben jenem Koffer. Shaikh wird sofort festgenommen. Sein Gerichtsverfahren dauert eine halbe Stunde, sein Verteidiger darf ihn nicht sehen und sagt später, die Übersetzung während des Verfahrens war nicht ausreichend. Shaikh hat den Prozeß, in dem es um sein Leben ging, gar nicht verstanden. In den zwei Jahren zwischen Verhandlung und Hinrichtung gab es zahlreiche Gnadengesuche. Seine Familie reiste nach China, die britische Botschaft schaltete sich ein, der britische Außenminister und zum Schluß sogar Gordon Brown persönlich, baten China um Gnade für Shaikh. Hätten sie sich alle auch so ins Zeug gelegt, wenn Shaikh tatsächlich Drogen geschmuggelt oder beispielsweise einen Panda getötet hätte? Es ist zu hoffen. Denn die Todesstrafe sollte weltweit geächtet werden, sie ist keine adäquate, staatliche Strafe für Verbrechen. Aber es ist einfacher, um Gnade für jemanden zu bitten, der offensichtlich unschuldig, zumindest aber nicht schuldfähig ist. Doch auch dabei hatte Shaikh noch einmal, ein allerletztes Mal in seinem Leben, Pech: Im Dezember 2009 fand in Kopenhagen die Klimakonferenz statt. Sie scheiterte. Und das, so sagten die Briten hinterher, lag vor allem an China. Die Vorwürfe, die zwischen beiden Nationen ausgetauscht wurden, trugen nicht dazu bei, das ohnehin fragile politische Gleichgewicht beider Länder zu stärken. Eines aber ist sicher: Das Gnadengesuch Browns für Shaikh hatte nach der Klimakonferenz keine Chance mehr. China wollte Stärke und Unabhängigkeit demonstrieren. Und das hat letztlich Shaikh das Leben gekostet. Uta Schwarz Kriegsleute in seligem Sande Da stand mal wieder eine Protestantin und konnte nicht anders. Es war die Bischöfin Käßmann, Oberhaupt aller Evangelischen in Deutschland, es war die Dresdner Frauenkirche, der Petersdom der Lutheraner, und es war die Neujahrspredigt, also die Zeit der ganz grundsätzlichen Einlassungen. Käßmann sprach sich gegen den Krieg in Afghanistan aus. Und seitdem ist, wie man in der Kirche wahrscheinlich so eher nicht sagen würde, der Teufel los. Margot Käßmann steht, wie man das wiederum bei Militär so vermutlich lieber nicht formulieren würde, voll im Kugelhagel. Aber warum eigentlich? Ist es wirklich so überraschend, daß in der Kirche der Frieden gepredigt wird? In der evangelischen offenbar schon. Käßmann hätte natürlich auch in den Worten Martin Luthers „das weltliche Schwert rühmen“ können: „Denn weil das Schwert von Gott eingesetzt worden ist, um die Bösen zu bestrafen, die Gerechten zu beschützen und den Frieden zu bewahren.“ Sie hätte, von ihrer schönen Kanzel in Dresden herab den Leuten froh zurufen können: „Obwohl es nicht so aussieht, daß Töten und Rauben Werke der Liebe sind, weshalb ein einfältiger Mensch denkt, das sei kein christliches Werk und gezieme sich nicht für einen Christen, so ist es in Wahrheit doch auch ein Werk der Liebe.“ Und sie hätte, vor dem Amen noch klarstellen können, daß man „dem Amt des Soldaten oder des Schwertes mit männlichen Augen zusehen“ müsse, „dann wird es selber beweisen, daß es ein durch und durch göttliches Amt ist und für die Welt so nötig und nützlich wie Essen und Trinken oder sonst ein anderes Tun.“ Aber wäre das besser gewesen? Früher hat man den deutschen Protestanten immer vorgeworfen, Kanonen zu segnen, Obrigkeitshörigkeit zu predigen und eigentlich überhaupt weniger eine Religion zu sein als vielmehr theologisch armierte Tagespolitik. Später hieß es dann immer: zu wenig Mystik, zu karg, zu weltlich. Und jetzt ist da eine Bischöfin, die weltfremd genug ist, auf die Vertracktheit der Lage in Afghanistan gar nicht weiter einzugehen, sondern einfach ganz grundsätzlich und prinzipiell und weil das so in der Bibel steht, den Frieden zu verlangen, als stures, unhintergehbares Prinzip, denn eine Kirche ist ja nicht der Bundestag. Aber prompt ist das auch wieder nicht recht. Die einzigen, für die diese Debatte mehrheitlich komplett gegenstandslos sein dürfte, sind vermutlich diejenigen, die in den Bundes- wehrcamps in Afghanistan sitzen. Gemessen am überproportional hohen Anteil an Ostdeutschen in den Reihen der Zeitsoldaten muß man sich über die Zahl derer, die auch ohne konfessionellen Segen bei ihrem Job auskommen, vermutlich keine Sorgen machen. Peter Richter 7