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Kündigung - außerordentliche: Einzelfall-ABC
Inhaltsübersicht
1.
2.
3.
1
Allgemeines
Unbedingt erforderlich: Der wichtige Grund
Einzelfall-ABC
3.1 Annahme finanzieller Vorteile
3.2 Anruf bei Gewinnspielhotline
3.3 Anzeige beim Jugendamt
3.4 Arbeitsverweigerung - 1
3.5 Arbeitsverweigerung - 2
3.6 Arbeitsverweigerung - 3
3.7 Arbeitszeitbetrug - 1
3.8 Arbeitszeitbetrug - 2
3.9 Arglistige Täuschung
3.10 Ausnutzen einer beruflichen Position
3.11 Außerdienstliche sexuelle Handlungen
3.12 A-Ware zu B-Ware heruntergestuft
3.13 Beharrliche Arbeitsverweigerung
3.14 Behauptung falscher Tatsachen
3.15 Beisitzer in der Einigungsstelle
3.16 Beleidigung
3.17 Bestechlichkeit - 1
3.18 Bestechlichkeit - 2
3.19 Betriebsbedingte Gründe - 1
3.20 Betriebsbedingte Gründe - 2
3.21 Betriebsbedingte Gründe - 3
3.22 Betriebsbedingte Gründe - 4
3.23 Betriebsbedingte Gründe - 5
3.24 Betriebsbedingte Gründe - 6
3.25 Betriebsrat
3.26 Bürosatire
3.27 Diebstahl - 1
3.28 Diebstahl - 2
3.29 Drogenkonsum
3.30 Eigenmächtiger Urlaubsantritt
3.31 Entgegennahme von Leistungen ohne Rechtsanspruch
3.32 Entwendung von Abfalldieselöl
3.33 Entwendung von Zahngold
3.34 Erschleichen von Befähigungszeugnissen
3.35 "facebook"-Beleidigung
3.36 "facebook"-Foto
3.37 Falsche eidesstattliche Versicherung
3.38 Falsche Tatsachenbehauptungen
3.39 Fotos auf Facebook
3.40 "Geschäftsschädigende Behauptungen"
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3.41
3.42
3.43
3.44
3.45
3.46
3.47
3.48
3.49
3.50
3.51
3.52
3.53
3.54
3.55
3.56
3.57
3.58
3.59
3.60
3.61
3.62
3.63
3.64
3.65
3.66
3.67
3.68
3.69
3.70
3.71
3.72
3.73
3.74
3.75
3.76
3.77
3.78
3.79
3.80
3.81
3.82
3.83
3.84
3.85
3.86
3.87
2
Handynutzung im OP
Heimliches Mithörenlassen
Herstellung von Raubkopien
"Jesus hat Sie lieb"
Kirchenaustritt
Konkurrenztätigkeit - 1
Konkurrenztätigkeit - 2
Krankheitsbedingte Leistungsminderung
KZ-Vergleich
Löschen von Daten
Mitgliedschaft in anderer Religionsgemeinschaft
Mitnahme von Bankdaten
Morddrohung
Nazi-Methoden-Vergleich
"Negerkuss" statt "Schokokuss" bestellt
NPD-Mitgliedschaft
Nutzung einer Firmengutschrift
Private Internetnutzung - 1
Private Internetnutzung - 2
Rauchverbot
Rechtsextreme Einstellung
Scheinvertragsschluss
Schmiergeldannahme
Sexuelle Belästigung - 1
Sexuelle Belästigung - 2
Sexuelle Belästigung - 3
Sexuelle Handlungen
Sexueller Missbrauch - 1
Sexueller Missbrauch - 2
"Silvesterscherz"
Stalking
Störung des Betriebsfriedens
Strafanzeige
Trunkenheitsfahrt
Überschreiten von Befugnissen
Übersehen eines fremden Fehlers
Verlassen des Arbeitsplatzes im Sicherheitsbereich
Verletzung eines Dienstgeheimnisses
Verschweigen einer Straftat
Verschweigen eines Ermittlungsverfahrens
Vertrauensverstoß
Veruntreuung
Vorspiegeln von Vertragsabschlüssen
Vortäuschen einer Erkrankung
Wahrheitswidrige Erklärungen
WDR-Redakteur
Weigerung, auffälligen Firmenwagen zu fahren - 1
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3.88 Weigerung, auffälligen Firmenwagen zu fahren - 2
3.89 Zeiterfassungsmanipulation
Information
1. Allgemeines
Der Arbeitgeber kann ein Arbeitsverhältnis ordentlich oder außerordentlich kündigen. Die außerordentliche
Kündigung lässt sich wie die ordentliche in kein Konditionalschema pressen. Das Ergebnis einer erfolgreichen
Kündigung ist immer eine Frage des Einzelfalls. Ein Sachverhalt, der eine ordentliche Kündigung zu
rechtfertigen mag, ist nicht unbedingt dazu geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Die
außerordentliche Beendigung eines Arbeitsverhältnisses ist etwas ganz Besonderes. Sie ist Ausnahme, nicht
Regel.
Praxistipp:
Arbeitgeber sind mit einer außerordentlichen Kündigung oft etwas voreilig. Sie sehen einen Sachverhalt,
ordnen ihm einem schlagwortartigen Begriff aus dem Kündigungsrecht - zum Beispiel
Arbeitsverweigerung, sexuelle Belästigung oder unentschuldigtes Fehlen - zu und meinen, deswegen
gleich fristlos kündigen zu dürfen. So geht es nicht. Die außerordentliche Kündigung ist das Schlimmste,
was einem Arbeitnehmer passieren kann. Sie hat strenge Voraussetzungen. Wer als Arbeitgeber mit einer
außerordentlichen Kündigung nicht scheitern will, sollte sich seinen Schritt im Vorfeld gut überlegen und
immer seinen Sachverhalt im Auge behalten.
Daher sind auch die Einzelfälle, in denen eine außerordentliche Kündigung von der Rechtsprechung
zugelassen oder abgelehnt wurde, nicht verallgemeinerungsfähig. § 626 Abs. 1 BGB verlangt eine Abwägung
der Interessen beider Vertragsteile. Des Weiteren knüpft § 626 Abs. 1 BGB die Wirksamkeit einer
außerordentlichen Kündigung an Zumutbarkeitsgesichtspunkte. Und das ist ein weiterer Parameter, der
dafür sorgt, dass unter einem Schlagwort einsortierte Einzelfälle nicht verallgemeinerungsfähig sind. Der
Rechtsanwender muss in jedem Fall selbst prüfen, ob die Voraussetzungen einer außerordentlichen
Kündigung auch in seinem speziellen Fall erfüllt sind.
2. Unbedingt erforderlich: Der wichtige Grund
Die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses setzt voraus, dass dafür ein wichtiger Grund
vorliegt ( § 626 Abs. 1 BGB ). Dieser wichtige Grund muss so ein Gewicht haben, dass
• dem Kündigenden
• wegen der vorgefundenen Tatsachen
• unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und
• unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile
• die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
♦ bis zum Ablauf der Kündigungsfrist
♦ oder bis zur vereinbarten Beendigung
• nicht zugemutet werden kann.
Der Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB ist bei der Rechtsanwendung mit Leben zu füllen. Gerade hier gilt es,
das sogenannte Ultima-Ratio-Prinzip zu beachten: Eine Kündigung ist danach nur dann erforderlich, wenn
es keine milderen Maßnahmen gibt, um zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen. Eine Kündigung ist
nicht gerechtfertigt, wenn es andere geeignete Mittel gibt, um zukünftige Vertragsstörungen zu beseitigen (
BAG, 07.12.2006 - 2 AZR 182/06 ). Dabei ist eine außerordentliche Kündigung kein Denkzettel für den
Arbeitnehmer oder eine Bestrafung. Sie erlaubt dem Arbeitgeber nur, sich vor weiteren Störungen zu
schützen. So ist eine Weiterbeschäftigung erst dann unzumutbar, wenn alle anderen nach den jeweiligen
Umständen möglichen und angemessenen milderen Mittel unzumutbar sind ( LAG Hamm, 01.08.2007 - 6 Sa
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694/07 ).
Ein weiterer wichtiger Punkt, der bei einer außerordentlichen Kündigung nicht vernachlässigt werden darf: Es
ist ein berechtigtes Anliegen des Arbeitgebers, sich und seinen Betrieb vor zukünftig befürchteten
Störungen zu bewahren. Sein Kündigungsentschluss ist in die Zukunft gerichtet. Basis für seine Prognose
ist dabei nicht allein das vergangene Verhalten.
Auch die ernsthafte Ankündigung einer zukünftigen Pflichtverletzung kann eine ausreichende Grundlage für
die negative Prognose sein ( LAG Nürnberg, 16.10.2007 - 7 Sa 233/07 ). Dabei kann ein gravierender
Pflichtenverstoß - zum Beispiel ein versuchter Prozessbetrug zu Lasten des Arbeitgebers - das
Vertrauensverhältnis so stark belasten, dass sich der Pflichtenverstoß selbst als fortdauernde Störung
auswirkt und eine Wiederherstellung des vertragsnotwendigen Vertrauens nicht mehr erwartet werden kann (
LAG Baden-Württemberg, 25.05.2007 - 7 Sa 103/06 ).
In vielen Fällen muss der außerordentlichen Kündigung eine Abmahnung vorausgehen. Sie dient der
Objektivierung der negativen Prognose ( BAG, 19.04.2007 - 2 AZR 180/06 ). Verletzt ein Arbeitnehmer seine
vertraglichen Pflichten trotz Abmahnung ein weiteres Mal, kann man im Regelfall davon ausgehen, dass er
auch zukünftig weitere Vertragsverletzungen begehen wird. Die Abmahnung ist insoweit ein notwendiger
Bestandteil des Prognoseprinzips ( BAG, 19.04.2007 - 2 AZR 180/06 ).
3. Einzelfall-ABC
An dieser Stelle werden in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet einige der
interessantesten Einzelfälle hinterlegt, die in den letzten Jahren von der Rechtsprechung entschieden
worden sind.
3.1 Annahme finanzieller Vorteile
Der Fall: Zwei Mitarbeiter einer städtischen Grünpflegekolonne hatten während ihrer Arbeitszeit ohne
dienstlichen Auftrag und gegen Zahlung von 300 EUR mehrere Bäume auf dem Grundstück einer Bürgerin
zurückgeschnitten und gefällt. Mit den Vorwürfen konfrontiert bestätigten sie die Arbeiten, sagten aber auch,
von der Bürgerin kein Geld gefordert zu haben. Die ihnen aus Dankbarkeit übergebenen 300 EUR hätten sie
auch nicht behalten, sondern in die Kaffeekasse der Grünpflegekolonne getan. An sich ist so ein Verhalten
schon geeignet, den wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung zu liefern. Nur: bei einem der
beiden Mitarbeiter, dem Vorgesetzten, war die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB bereits abgelaufen, bei
dem anderen waren die lange Betriebszugehörigkeit und der Umstand, dass er auf Anweisung des
Vorgesetzten gehandelt hat, zu berücksichtigen ( ArbG Mönchengladbach, 23.02.2012 - 3 Ca 3495/11 u.
3 Ca 3566/11 - mit dem Ergebnis, dass beide Kündigungsschutzklagen erfolgreich waren).
3.2 Anruf bei Gewinnspielhotline
Der vereinfachte Fall: Arbeitnehmerin N war ein knappes Jahr bei Arbeitgeber G in einem Kleinbetrieb
beschäftigt. G hatte allen Mitarbeitern erlaubt, vom Firmentelefon private Telefonate zu führen. Der Anruf
kostenpflichtiger Sondernummern war weder ausdrücklich erlaubt noch ausdrücklich verboten. Im Januar
2015 nahm sie in ihren Arbeitspausen am Telefon-Gewinnspiel eines Lokalradios - "Das geheimnisvolle
Geräusch" - teil. Sie startete vom Betriebstelefon aus insgesamt 37 Anrufe, von denen jeder 0,50 EUR
kostete. Der Einzug erfolgte per Lastschrift. Nachdem A aufgefallen war, bot sie G an, ihm die vertelefonierten
18,50 EUR zu erstatten. Der kündigte drei Tage später außerordenlich und hilfsweise ordentlich .
Das LAG Düsseldorf stellte im Berufungsrechtsstreit klar, dass das Arbeitnehmerverhalten eine Verletzung
arbeitsvertraglicher Pflichten war. Auch wenn der Arbeitgeber die Benutzung seiner Telefonanlage für
private Telefonate gestattet, bedeutet das nicht, dass er die Telefonanlage damit gleichzeitig für die Nutzung
kostenpflichtiger Gewinnspielhotlines freigibt. Um als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung in
Frage zu kommen, muss die Pflichtverletzung aber einiges an Gewicht haben - und das hatte sie hier nach
Auffassung des Gerichts nicht. Hier sprach zugunsten der Gekündigten, dass der Umfang der Privatnutzung
nicht ausdrücklich geregelt war und die Anrufe während der Pausen erfolgten, sodass nicht von einem
Arbeitszeitbetrug ausgegangen werden konnte. Die außerordentliche Kündigung scheiterte. Die ordentliche
Kündigung ging durch - die Arbeitnehmerin hatte sie nicht angegriffen (LAG Düsseldorf, 16.09.2015 - 12 Sa
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630/15) .
3.3 Anzeige beim Jugendamt
Zeigt eine bereits ordentlich gekündigte Hauswirtschafterin die Eltern eines zehn Monate alten Kleinkinds
beim Jugendamt wegen Verwahrlosung und dadurch hervorgerufener Gesundheitsschäden des Kindes an,
was sich im Nachhinein als falsch herausstellt, kann dieses Verhalten eine außerordentliche Kündigung
rechtfertigen. Dieses Verhalten der Arbeitnehmerin ist eine "unverhältnismäßige Reaktion" auf die zuvor
erklärte ordentliche Kündigung. Selbst wenn die Vorwürfe wahr gewesen wären: Die Hauswirtschafterin hätte
zunächst eine interne Klärung mit den Eltern versuchen müssen und erst nach deren Scheitern eine
Anzeige beim Jugendamt machen dürfen ( LAG Köln, 05.07.2012 - 6 Sa 71/12 ).
3.4 Arbeitsverweigerung - 1
Hat der Arbeitgeber - hier: Gesundheitszentrum - einen fachärztlichen Leiter zum Jahresende gekündigt, ihm
aber gleichzeitig gesagt, dass er erwarte, dass der Gekündigte seine Arbeit - hier: Betreuung des
Profikaders eines Fußballvereins - weiter leiste, und man über eine Verlängerung des Vertrags noch reden
werde, reicht es ohne Abmahnung nicht aus, den Arbeitnehmer, der ankündigt, die Betreuung ohne Einigung
im eigenen Namen und auf eigene Rechnung fortzusetzen, wegen Arbeitsverweigerung fristlos zu kündigen.
Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer vor der fristlosen Kündigung deutlich vor Augen halten, dass er in
der angekündigten Vorgehensweise eine zur Kündigung führende Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten
sieht ( LAG Hamm, 25.05.2012 - 7 Sa 2/12 ).
3.5 Arbeitsverweigerung - 2
Bekommt ein Arbeitnehmer möglicherweise eine zu geringe Vergütung, ist das kein Grund, die Arbeit zu
verweigern. Das gilt umso mehr, wenn der Arbeitgeber den Mitarbeiter eindringlich auffordert, die vertraglich
geschuldete Arbeit zu leisten und ihm für den Fall der Weigerung eine fristlose Kündigung androht . Selbst
wenn die Vergütung unzureichend ist, ist der Arbeitnehmer zur Arbeit verpflichtet und darf seine Leistung
Arbeit nicht zurückhalten. Es ist dem Mitarbeiter zuzumuten, die Entgeltabrechnung abzuwarten und dann
einen Rechtsstreit über die Vergütung zu führen ( LAG Schleswig-Holstein, 17.10.2013 - 5 Sa 111/13 - mit
dem Hinweis, dass auch ein Irrtum des Arbeitnehmers über sein Zurückbehaltungsrecht zu keinem anderen
Ergebnis führt, weil er das Irrtumsrisiko trägt).
3.6 Arbeitsverweigerung - 3
Soll eine Arbeitsverweigerung den wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung liefern, hat sie
"beharrlich" zu sein. Das kann bejaht werden, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit bewusst und
nachhaltig nicht leisten will, z.B. weil er willentlich gegen seine vertraglichen Pflichten verstößt. Für die
Annahme von Beharrlichkeit und Vertragsverstoß kommt es auf die objektive Rechtslage an: "Der
Arbeitnehmer kann sich einem vertragsgemäßen Verlangen des Arbeitgebers nicht dadurch entziehen, dass
er ein gerichtliches Verfahren zur Klärung der umstrittenen Frage einleitet" ( BAG, 29.08.2013 - 2 AZR 273/12
- mit dem Hinweis, dass ein Rechtsirrtum über die bestehende Arbeitspflicht nur dann unverschuldet ist, wenn
der Arbeitnehmer im Rechtsstreit nicht mit seinem Unterliegen zu rechnen brauchte).
3.7 Arbeitszeitbetrug - 1
Auch wenn ein vorsätzlicher Arbeitszeitbetrug grundsätzlich als wichtiger Grund für eine außerordentliche
Kündigung in Betracht kommt: Es kommt auf eine Gesamtbetrachtung an, bei der das Interesse des
Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Interesse des Arbeitnehmers
am Fortbestand dieses Arbeitsverhältnisses abzuwägen ist. Auch wenn eine Abmahnung in der Regel ein
milderes Mittel als die außerordentliche Kündigung ist: Handelt es sich um eine schwere Pflichtverletzung
oder ist in Zukunft keine Verhaltensänderung zu erwarten, ist sie entbehrlich. Die Umstände, unter denen eine
Weiterbeschäftigung zumutbar ist, lassen sich nicht abschließend festlegen - hier ist eine
Einzelfallbetrachtung angesagt ( BAG, 09.06.2011 - 2 AZR 381/10 - Bestätigung einer außerordentlichen
Kündigung, weil die gekündigte Mitarbeiterin "ihre" Arbeitszeit schon ab Durchfahren der Parkplatzeinfahrt
beginnen ließ).
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3.8 Arbeitszeitbetrug - 2
Der vereinfachte Fall: Die Mitarbeiter einer Großmetzgerei waren verpflichtet, beim Verlassen des
Produktionsbereichs anlässlich privater Verrichtungen über einen Chip die Zeiterfassung zu bedienen. Das
Gleiche galt bei der Rückkehr zum Arbeitsplatz. Ein Arbeitnehmer hatte seinen Chip wiederholt in seiner
Geldbörse gelassen und ihn zusätzlich beim Passieren des Terminals mit der Hand abgedeckt. Dadurch ließ
er in eineinhalb Monaten mehr als dreieinhalb Stunden bezahlte Arbeitszeit auflaufen, ohne sich ab- und
angemeldet zu haben.
Der Arbeitgeber hat zu Recht außerordentlich gekündigt. Der Arbeitnehmer konnte sich nicht mit einem
Versehen herausreden, weil die Zeiterfassung immer einen Signalton abgab, wenn ein Mitarbeiter ein- und
auscheckte. Gerade weil die Anlage bei diesem Mitarbeiter keinen Kontrollton abgab, habe er gewusst, dass
er seinen Chip erfolgreich abgedeckt hatte. Der Arbeitgeber durfte wegen des vorsätzlichen Betrugs sofort
mit einer Kündigung reagieren. Eine Abmahnung war wegen des schwerwiegenden Vertrauensbruchs
überflüssig ( LAG Hessen, 17.02.2014 - 16 Sa 1299/13 ).
3.9 Arglistige Täuschung
Beantwortet der Arbeitnehmer im Einstellungsgespräch eine in zulässiger Weise gestellte Frage falsch,
kann das den Arbeitgeber zu einer außerordentlichen Kündigung oder Anfechtung des Arbeitsvertrages
berechtigen. Dabei wird das Kündigungsrecht ebenso wenig durch die Anfechtungsmöglichkeit
ausgeschlossen wie umgekehrt. "Die Anfechtung setzt zwar einen Grund voraus, der schon bei Abschluss
des Arbeitsvertrags vorgelegen hat, während die Kündigung dazu dient, ein durch nachträgliche Umstände
belastetes oder sinnlos gewordenes Arbeitsverhältnis zu beenden (...). Denkbar ist aber, dass ein
Anfechtungsgrund im zu Stande gekommenen Arbeitsverhältnis so stark nachwirkt, dass den Arbeitgeber die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden
kann" ( BAG, 07.07.2011 - 2 AZR 396/10 - hier: falsche Beantwortung der Frage nach einer
Schwerbehinderung mit dem Ergebnis. dass das Arbeitsverhältnis weder durch die Kündigung noch durch
die Anfechtung aufgelöst war).
3.10 Ausnutzen einer beruflichen Position
Banker waren in Verdacht geraten, ihre berufliche Position ausgenutzt zu haben, um über ein unzulässiges
Kommunikationsverhalten durch die Teilnahme am Prozess zur Ermittlung der Referenzzinssätze einen
Profit von Derivate-Händlern zu ermöglichen (bekannt geworden unter dem Schlagwort
"Libor/Euribor-Skandal"). Ihre außerordentlichen - und hilfsweise ordentlichen - Kündigungen wurden aber
vom ArbG Frankfurt kassiert. Zum einen habe es nicht mal verbindliche Regeln für die Kommunikation
gegeben, zum anderen wäre vor Ausspruch der Kündigungen eine Abmahnung angezeigt gewesen. Für die
betroffenen Banker sei nämlich wegen der internen Organisation der Bank nicht zu erkennen gewesen, dass
der Arbeitgeber die konkrete Art der Kommunikation nicht hinnehmen wollte oder hinnahm ( ArbG Frankfurt
am Main, 11.09.2013 - 9 Ca 1554/13 u.a.).
3.11 Außerdienstliche sexuelle Handlungen
Nimmt ein Lehrer an einer Person unter 14 Jahren außerhalb der Dienstzeit sexuelle Handlungen vor, ist das
ein Verhalten, das an sich geeignet ist, wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB für die außerordentliche
Kündigung dieses Lehrers sein. Aus diesem Verhalten ergeben sich begründete Zweifel daran, dass der
Lehrer für die nach seinem Arbeitsvertrag geschuldete pädagogische Tätigkeit ungeeignet sein kann. Es
reicht auch aus, wenn der begründete Verdacht dieser Straftat besteht. Aber: "Eine Verdachtskündigung kann
nicht ausschließlich auf den Umstand gestützt werden, dass die Strafverfolgungsbehörden einen dringenden
Tatverdacht bejaht haben" ( BAG, 25.10.2012 - 2 AZR 700/11 - Leitsatz).
3.12 A-Ware zu B-Ware heruntergestuft
Qualifiziert ein Arbeitnehmer willkürlich und falsch A-Ware zu B-Ware (hier: Haushaltsgeräte) und verkauft
er die "B-Ware" dann mit einem Arbeitskollegen auf eigene Rechnung, ist das ein für die außerordentliche
Kündigung des Arbeitsverhältnisses geeigneter wichtiger Grund. Das gilt umso mehr, wenn der Arbeitnehmer
(Prokurist und Kundendienstleiter) dabei auch noch seine Stellung in der Betriebshierarchie und die damit
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verbundene Abhängigkeit anderer Mitarbeiter ausnutzt, um seine Pflichtverletzungen zu verschleiern. Das
Gleiche gilt, wenn der Arbeitnehmer aufgearbeite A-Ware willkürlich als B-Ware qualifiziert - denn dann
sondert er verkaufsfähige Ware als Schrott aus und schädigt auch dadurch seinen Arbeitgeber ( BAG,
13.11.2012 - 3 AZR 444/10 ).
3.13 Beharrliche Arbeitsverweigerung
Weigert sich ein Arbeitnehmer beharrlich, die von ihm geschuldete Arbeit zu leisten, ist diese beharrliche
Arbeitsverweigerung an sich geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung
darzustellen. Beharrlich ist eine Arbeitsverweigerung, wenn der Arbeitnehmer sie bewusst und
nachdrücklich nicht leisten will. Dabei entscheidet sich die Frage, ob der Arbeitnehmer auch wirklich zur
Arbeitsleistung verpflichtet war, nach der objektiven Rechtslage. Meint ein Arbeitnehmer, mit seiner
Arbeitsverweigerung rechtmäßig zu handeln, trägt er das Risiko, dass seine Rechtsauffassung
möglicherweise falsch ist (s. dazu BAG, 29.08.2013 - 2 AZR 273/12 ). "Eine beharrliche Arbeitsverweigerung,
die geeignet ist, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen, kann auch darin liegen, dass der
Arbeitnehmer sich zu Unrecht auf ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB und/oder ein
Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 Abs. 1 BGB beruft" ( BAG, 22.10.2015 - 2 AZR 569/14 Leitsatz).
3.14 Behauptung falscher Tatsachen
Wenn jemand etwas über einen anderen sagt, stellt sich immer die Frage, ob das Gesagte eine
Tatsachenbehauptung oder eine Meinungsäußerung ist. Zur besseren Abgrenzung meint das BAG: Für
bewusst falsche Tatsachenbehauptungen kann sich ein Arbeitnehmer nicht auf sein Grundrecht der freien
Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Falsche Tatsachenbehauptungen werden vom
Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG nicht erfasst. Etwas Anderes gilt für Äußerungen, die keine
Tatsachenbehauptungen, sondern ein Werturteil enthalten. Sie fallen in den Schutzbereich des Art. 5
Abs. 1 GG . "Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie
durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind [es folgt ein Hinweis auf
BVerfG, 08.05.2007 - 1 BvR 193/05 - und BVerfG, 25.10.2012 - 1 BvR 901/11] ." Dieser Grundsatz gilt auch
im Arbeitsleben (BAG, 31.07.2014 - 2 AZR 505/13) . Dabei besteht der Grundrechtsschutz unabhängig
davon, "welches Medium der Arbeitnehmer für seine Meinungsäußerung nutzt und ob diese rational oder
emotional, begründet oder unbegründet ist. Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasste Äußerungen
verlieren den sich daraus ergebenden Schutz selbst dann nicht, wenn sie scharf oder überzogen geäußert
werden" ( BAG, 18.12.2014 - 2 AZR 265/14 - mit Hinweis auf BVerfG, 28.11.2011 - 1 BvR 917/09 - wobei
allerdings auch ein Werturteil nicht beleidigend sein darf).
3.15 Beisitzer in der Einigungsstelle
Will der Arbeitgeber ein Mitglied des Betriebsrats außerordentlich kündigen, braucht er dafür einen
wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB . Dieser wichtige Grund muss sich aus dem Verhalten des zu
kündigenden Betriebsratsmitglieds ergeben und folgerichtig eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten
sein. Grundsätzlich muss auch ein Arbeitnehmer, der Mitglied des Betriebsrats ist, auf die Interessen des
Arbeitgebers Rücksicht nehmen. Aber auch wenn Nebentätigkeiten "nur mit dem Einverständnis des
Arbeitgebers ausgeübt werden dürfen": "Die Wahrnehmung des Amtes als Beisitzer von Einigungsstellen
anderer Betriebe des Arbeitgebers ist grundsätzlich nicht geeignet, einen wichtigen Grund i.S.d. § 626
Abs. 1 BGB zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Betriebsratsmitglieds
darzustellen. Dieses verletzt durch eine solche Beisitzertätigkeit für sich genommen nicht seine
arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB " ( BAG, 13.05.2015 - 2 ABR 38/14 ).
3.16 Beleidigung
Spricht ein Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber, dessen Vertreter und Repräsentanten oder seinen
Arbeitskollegen grobe Beleidigungen aus, ist dieses Verhalten grundsätzlich geeignet, eine außerordentliche
Kündigung zu rechtfertigen. Der beleidigende Mitarbeiter verstößt mit seinem Verhalten gegen seine
arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme, § 241 Abs. 2 BGB . "Die Gleichsetzung noch so
umstrittener betrieblicher Vorgänge mit dem nationalsozialistischen Terrorsystem und ein Vergleich von
Handlungen des Arbeitgebers oder der für ihn handelnden Menschen mit den vom Nationalsozialismus
geförderten Verbrechen ... kann eine grobe Beleidigung der damit angesprochenen Personen darstellen" (
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BAG, 07.07.2011 - 2 AZR 355/10 ).
3.17 Bestechlichkeit - 1
"Wer als Arbeitnehmer bei der Ausführung von vertraglichen Aufgaben [hier: Überlassung einer
Ferienwohnung am Gardasee] Vorteile für sich fordert, sich versprechen lässt oder entgegen nimmt, verletzt
zugleich - unabhängig von einer möglichen Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr
nach § 299 Abs. 1 StGB - oder - als Beschäftigter im öffentlichen Dienst - wegen Vorteilsnahme nach § 331
Abs. 1 StGB bzw. Bestechlichkeit nach § 332 Abs. 1 StGB - seine Pflicht, auf die berechtigten Interessen
seines Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen ( § 421 Abs. 2 BGB ). Ein solches Verhalten ist 'an sich' geeignet,
eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Dabei spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob es zu einer den
Arbeitgeber schädigenden Handlung gekommen ist. Der ins Auge gefasste Vorteil begründet vielmehr
allgemein die Gefahr, der Anmeldende werde nicht mehr allein die Interessen des Geschäftsherrn
wahrnehmen" ( BAG, 24.05.2012 - 2 AZR 206/11 ).
3.18 Bestechlichkeit - 2
Hat ein Arbeitnehmer unerlaubt Geld seines Arbeitgebers einbehalten oder Mitarbeiter von Kunden
unerlaubt Vorteile zugewandt, kann dieses Verhalten - auch wenn nur ein dringender Tatverdacht besteht an sich geeignet sein, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Die strafrechtliche Würdigung des
Verhaltens - zum Beispiel nach den §§ 246 , 266 und 299 Abs. 2 StGB - ist dabei nicht einmal maßgeblich.
"Der Arbeitnehmer verletzt mit solchen Handlungen in jedem Falle in erheblichem Maße seine Pflicht zur
Rücksichtnahme auf die Interessen seines Arbeitgebers gem. § 241 Abs. 2 BGB " ( BAG, 21.06.2012 - 2 AZR
694/11 ).
3.19 Betriebsbedingte Gründe - 1
Hat der Arbeitgeber in einer Dienstvereinbarung einen Verzicht auf ordentliche betriebsbedingte
Kündigungen versprochen, weil sich die Mitarbeiter im Gegenzug zum Verzicht auf Weihnachtsgeld bereit
erklärt haben, kann das den Arbeitgeber nicht zu außerordentlichen Kündigungen berechtigen, weil sich seine
wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert hat und er wegen einer "unerwartet hohen Tarifsteigerung"
insolvenzgefährdet ist. Es muss zum einen berücksichtigt werden, dass der Kündigungsverzicht schon in
Kenntnis der schwierigen wirtschaftlichen Lage vereinbart wurde. Zum anderen reicht es nicht aus, dass die
finanzierende Bank nur bei Ausspruch weiterer Kündigungen bereit ist, die Kreditlinie zu erhöhen ( LAG
Düsseldorf, 23.11.2011 - 12 Sa 926/11 ).
3.20 Betriebsbedingte Gründe - 2
Die betriebsbedingte außerordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers ist grundsätzlich unzulässig. Bei
einer betriebsbedingten Kündigung ist die Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters bis zum Ablauf der
Kündigungsfrist in der Regel nicht unzumutbar. Selbst im Fall der Insolvenz ist es dem Arbeitgeber bei
fehlender Weiterbeschäftigungsmöglichkeit zuzumuten, bei seiner Kündigung die maßgebliche Frist
einzuhalten. Die außerordentliche Kündigung kommt nur bei einer erheblichen Störung des Gleichgewichts
von Leistung und Gegenleistung in Betracht (s. dazu den nachfolgenden Gliederungspunkt 3.26.). Ansonsten
gilt: Der Arbeitgeber ist bei Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung "in einem besonderen Maß
verpflichtet zu versuchen, die Kündigung durch geeignete andere Maßnahmen zu vermeiden. Besteht
irgendeine Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis sinnvoll fortzusetzen, wird er den Arbeitnehmer in der Regel
entsprechend einzusetzen haben. Erst wenn alle denkbaren Alternativen ausscheiden, kann ein wichtiger
Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegen [Es folgen Rechtsprechungshinweise, u.a. auf BAG,
18.03.2010 - 2 AZR 337/08] . Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen und Nachteilen für den gerade
besonders geschützten Arbeitnehmer hat der Arbeitgeber in diesem Fall zwingend eine der ordentlichen
Kündigung entsprechende Auslauffrist einzuhalten" ( BAG, 22.11.2012 - 2 AZR 673/11 ).
3.21 Betriebsbedingte Gründe - 3
Fällt bei einer Transfergesellschaft die Refinanzierung weg, weil der Insolvenzverwalter des Arbeitgebers
keine weiteren Vorschusszahlungen mehr vornimmt, ist das kein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB für
eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung. Ist ein Arbeitnehmer ordentlich kündbar, ist eine
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außerordentliche Kündigung bei ihm grundsätzlich ausgeschlossen. "Eine auf betriebliche Gründe gestützte
außerordentliche Kündigung kommt - unter Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden
Auslauffrist - allenfalls in Betracht, wenn die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung ausgeschlossen ist und
dies dazu führt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer anderenfalls trotz des Wegfalls der
Beschäftigungsmöglichkeit noch für erhebliche Zeiträume vergüten müsste, ohne dass dem eine
entsprechende Gegenleistung gegenüberstünde" ( BAG, 24.01.2013 - 2 AZR 453/11 - mit dem Hinweis, dass
weder eine schlechte wirtschaftliche Lage oder die Insolvenz als solche wichtiger Grund i.S.d. § 626
Abs. 1 BGB sein können und der Arbeitgeber das Wirtschaftsrisiko trägt).
3.22 Betriebsbedingte Gründe - 4
"1. Ein wichtiger Grund für eine betriebsbedingte außerordentliche Kündigung eines ordentlich unkündbaren
Arbeitnehmers kann sich auch aus dem Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit aufgrund innerbetrieblicher
Maßnahmen des Arbeitgebers ergeben. 2. Davon ist jedenfalls dann auszugehen, wenn der
Sonderkündigungsschutz auf einer tarifvertraglichen Regelung beruht, die den Ausschluss der ordentlichen
Kündigung an die Dauer der Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter des Arbeitnehmers knüpft. 3. Etwas
anderes kann gelten, wenn der (befristete) Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen die Gegenleistung des
Arbeitgebers für einen Verzicht auf bestimmte Rechtsansprüche durch die Arbeitnehmer darstellt" ( BAG,
20.06.2013 - 2 AZR 379/12 ).
3.23 Betriebsbedingte Gründe - 5
"Eine außerordentliche Kündigung aus betrieblichen Gründen ist gegenüber einem ordentlich kündbaren
Arbeitnehmer grundsätzlich unzulässig. Sie setzt voraus, dass dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung bis
zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar ist. Das ist bei einer betriebsbedingten Kündigung regelmäßig
nicht der Fall. Dem Arbeitgeber ist es, wenn eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer aus
betrieblichen Gründen entfällt, selbst im Insolvenzfall zuzumuten, die Kündigungsfristen einzuhalten" ( BAG,
23.01.2014 - 2 AZR 372/13 ).
3.24 Betriebsbedingte Gründe - 6
Beim Vorliegen betrieblicher Gründe kommt eine außerordentliche Kündigung nur dann in Betracht, und auch
das nur unter Einhaltung einer der ordentlichen Kündigung entsprechenden Auslauffrist, wenn der
Arbeitgeber keine Möglichkeit für eine ordentliche Kündigung hat und der Ausschluss der ordentlichen
Kündigungsmöglichkeit dazu führt, dass er seinen Mitarbeiter - obwohl er ihn nicht mehr beschäftigen kann noch jahrelang ohne entsprechende Gegenleistung vergüten müsste. Weil die ordentliche Kündigung in
diesem Fall ausgeschlossen ist, ist der Arbeitgeber ganz besonders gehalten, die Kündigung durch andere geeignete - Maßnahmen zu vermeiden. "Besteht irgendeine Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis sinnvoll
fortzusetzen, wird er den Arbeitnehmer in der Regel entsprechend einzusetzen haben . Erst wenn alle
denkbaren Alternativen ausscheiden, kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegen" (
BAG, 26.03.2015 - 2 AZR 783/13 - mit Hinweis auf BAG, 23.01.2014 - 2 AZR 372/13 ).
3.25 Betriebsrat
Will der Arbeitgeber ein Betriebsratsmitglied wegen eines wichtigen Grunds, der in dessen Verhalten liegt,
nach § 15 Abs. 1 KSchG i.V.m. § 626 Abs. 1 BGB außerordentlich kündigen, muss der wichtige Grund in
einer Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis liegen. Wirft der Arbeitgeber dem Betriebsrat
ausschließlich die Verletzung von Amtspflichten vor, kann darauf nur mit einem Ausschlussverfahren
nach § 23 Abs. 1 BetrVG reagiert werden. "Ein Verhalten verletzt ausschließlich Amtspflichten, wenn das
Betriebsratsmitglied lediglich 'kollektivrechtliche' Pflichten verletzt hat. Verstößt es sowohl gegen solche auch
gegen eine für alle Arbeitnehmer gleichermaßen geltende vertragliche Pflicht, liegt - jedenfalls auch - eine
Vertragspflichtverletzung vor" ( BAG, 19.07.2012 - 2 AZR 989/11 - mit dem Hinweis, dass diese Grundsätze
über § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX auch für die Kündigung der Vertrauensperson Schwerbehinderter gelten).
3.26 Bürosatire
Ein Arbeitnehmer hatte einen Roman mit dem Titel "Wer die Hölle fürchtet, kennt das Büro nicht" verfasst.
Aus der Perspektive des Ich-Erzählers schilderte er den Büroalltag eines Unternehmens - worin sich der
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Arbeitgeber wiedersah. Er kündigte wegen ausländerfeindlicher, beleidigender und sexistischer Äußerungen,
die zu einer erheblichen Störung des Betriebsfriedens geführt hätten. Zu Unrecht: Da es sich um eine
fiktionale Darstellung handelte, konnte sich der Arbeitnehmer auf die Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG
berufen. Und das vor allem auch deswegen, weil der Arbeitgeber im Prozess zugeben musste, dass die im
Roman überspitzt gezeichneten Zustände nicht die Betriebsrealität wiedergeben würden ( LAG Hamm,
15.07.2011 - 13 Sa 436/11 ).
3.27 Diebstahl - 1
Stiehlt eine Verkäuferin aus dem Warenbestand ihres Arbeitgebers einige Schachteln mit Zigaretten, ist das
- selbst nach längerer, hier 10-jähriger Betriebszugehörigkeit - durchaus ein Anlass, der grundsätzlich die
fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses rechtfertigt. Ein Problem ist die Überführung der Täterin, wenn
sie mithilfe einer verdeckten Videoüberwachung erfolgt. Die Arbeitgeberinteressen überwiegen das
informationelle Selbstbestimmungsrecht des Arbeitnehmers nämlich nur dann, wenn die Art der
Informationsbeschaffung trotz der damit verbundenen Persönlichkeitsrechtverletzung als schutzbedürftig
zu bewerten ist - etwa, weil es keine andere, weniger einschneidende Möglichkeit gibt, den Sachverhalt
aufzuklären ( BAG, 21.06.2012 - 2 AZR 153/11 ).
3.28 Diebstahl - 2
Fällt ein Arbeitnehmer in einem Einkaufs- und Getränkemarkt dadurch auf, dass er den Blickwinkel einer
Überwachungskamera ändert und vor seinen Kassenbereich zudem noch einen Karton aufstellt, der die Sicht
auf diesen Bereich behindert, verstärkt das einen Diebstahlsverdacht . Zeigen die vorhandenen
Videoaufzeichnungen dann auch noch, dass der Arbeitnehmer Zigarettenstangen in einen Eimer legt, die dort
nichts zu suchen haben, und den Eimer dann auch noch mit Papiermüll und einer Plastiktüte abdeckt, reicht
das für die Annahme eines Diebstahlsvorwurfs und damit für die außerordentliche Kündigung ( LAG Hamm,
27.03.2014 - 16 Sa 1629/13 ).
3.29 Drogenkonsum
Fällt ein Busfahrer öffentlicher Verkehrsbetriebe (hier: BVG) während des Dienstes durch eine unkorrekte
Fahrweise auf und ist ein daraufhin durchgeführte Drogenschnelltest positiv, kann dieser Umstand wichtiger
Grund für eine außerordentliche Kündigung sein. Dass die Drogen außerhalb des Dienstes konsumiert
wurden, ist dabei unerheblich. Nach den getroffenen Feststellungen besteht der dringende Verdacht, dass der
Fahrer seinen Dienst unter Drogeneinfluss ausgeübt hat - was den Arbeitgeber wegen der Anforderungen, die
an einen Busfahrer des öffentlichen Personennahverkehrs zu stellen sind, zur sofortigen Beendigung des
Arbeitsverhältnisses berechtigt ( ArbG Berlin, 21.11.2012 - 31 Ca 13626/12 ).
3.30 Eigenmächtiger Urlaubsantritt
Der vereinfachte Fall: Betriebsratsvorsitzender B war freigestelltes Betriebsratsmitglied. Er wollte für die
Teilnahme an einer gewerkschaftlichen Schulungsmaßnahme zwei Tage Urlaub haben. Arbeitgeber A hatte
den Urlaubswunsch u.a. mit der Begründung abgelehnt, der Urlaubsantrag sei zu kurzfristig gekommen,
außerdem seien dringend einige Aufgaben zu erledigen. B trat seinen 2-tägigen Urlaub dann eigenmächtig
an, A wollte daraufhin die Zustimmung seines Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung B's.
Zugegeben: ein eigenmächtiger Urlaubsantritt ist vom Grundsatz her schon geeignet, ein wichtiger Grund für
eine außerordentliche Kündigung zu sein. Er stellt eine erhebliche Verletzung der Arbeitspflicht dar. Nur: B
war seit fünfzehn Jahren bei A beschäftigt und ist in dieser Zeit nie abgemahnt worden. Hinzu kommt, dass
die Anforderungen an die außerordentliche Kündigung von Betriebsratsmitgliedern sehr hoch sind, da der
Vorwurf mit der besonders geschützten Betriebsratstätigkeit zusammenhängt. Der Betriebsrat hat seine
Zustimmung zur Kündigung B's daher zu Recht verweigert (ArbG Düsseldorf, 10.03.2016 - 10 BV 253/15) .
3.31 Entgegennahme von Leistungen ohne Rechtsanspruch
Der außerordentlich gekündigte Arbeitnehmer war zuletzt Präsident einer Tochtergesellschaft des
Mercedes-Benz-Konzerns in den USA. Er ließ sich dort u.a. für knapp 90.000 USD eine
Home-Entertainment-Anlage installieren, den Einbau eines Fitnessraums mit verspiegelten Wänden sowie
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den Umbau seines Waschkellers finanzieren und sich auch noch etwa 9.400 USD für die Anschaffung von
Betten erstatten. Seine fristlose Kündigung wurde unter anderem damit begründet, dass er die
Vermögensinteressen des Arbeitgebers in erheblicher Weise verletzt habe. Arbeits- und Berufungsgericht
ließen die Kündigung durchgehen, weil der Arbeitnehmer Leistungen von erheblichem Wert
entgegengennahm, obwohl er wusste, dass er darauf keinen Anspruch hatte ( LAG Baden-Württemberg,
11.07.2013 - 3 Sa 129/12 ).
3.32 Entwendung von Abfalldieselöl
Der gekündigte Arbeitnehmer dieses Falls hatte als Betriebsstoffhelfer (ziviler, der
Heeresinstandsetzungslogistik HIL-GmbH beigestellter BW-Angehöriger) u.a. die Aufgabe, Betriebsstoffe nur
an Berechtigte herauszugeben - was auch zu dokumentieren war. Zudem gehörte es zu seinen Aufgaben,
aus Fahrzeugen verunreinigten Dieselkraftstoff abzupumpen und für eine Wiederaufbereitung zu
sammeln. Bei der Aufbereitung entstehende Rückstände wurden als Abfalldiesel gesammelt. Eignet sich
dieser Betriebsstoffhelfer dann in erheblicher Menge Abfalldieselöl an, um sich oder einem Kollegen dadurch
einen wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen, ist diese Handlung ein erheblicher Vertrauensbruch. Dabei
spielt es keine Rolle, ob der Mitarbeiter in der Absicht gehandelt hat, seinen Arbeitgeber vor Aufwendungen
zu bewahren. Das Interesse des Arbeitgebers - und seines Kooperationspartners - waren nämlich für den
Arbeitnehmer erkennbar darauf gerichtet, dass verunreinigte und für die Umwelt gefährliche Abfalldieselöl auf
dem Betriebsgelände zwischenzulagern, um es dann fachgerecht entsorgen zu lassen ( BAG, 31.07.2014 2 AZR 407/13) .
3.33 Entwendung von Zahngold
Entwenden Mitarbeiter eines Krematoriums aus der Asche der Verstorbenen in erheblichem Umfang - hier:
für 255.610,41 EUR - Geld, Zahngold und andere Edelmetallrückstände, ist das ein wichtiger Grund für eine
außerordentliche Kündigung. Darüber hinaus sind diese Mitarbeiter nach den Regeln des Auftrags zur
Herausgabe der entwendeten Sachen verpflichtet. Ist ihnen das nicht möglich, schulden sie dem Arbeitgeber
Schadensersatz. Dabei ist es unerheblich, ob der Arbeitgeber als Betreiber des Krematoriums Eigentümer
der Gegenstände geworden ist ( BAG, 21.08.2014 - 8 AZR 655/13 - unter Anwendung des Auftragsrechts,
§ 667 BGB ).
3.34 Erschleichen von Befähigungszeugnissen
Der vereinfachte Fall: Ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes beantragte vor und während der
Freistellungsphase seiner Altersteilzeit bei seinem Arbeitgeber verschiedene nautische
Befähigungszeugnisse. Er tat dies, obwohl er die Voraussetzungen für die Erteilung der Zeugnisse gar nicht
erfüllte. Geholfen hat ihm ein Arbeitskollege, der ihm wahrheitswidrig erfolgreiche Lehrgangsbesuche und
erforderliche Fahrenszeiten als verantwortlicher Schiffsführer bescheinigte.
Obwohl der Arbeitnehmer in der Freistellungsphase seiner Altersteilzeitarbeit war: Die Altersteilzeit ist kein
Freibrief für das Begehen von Straftaten mit dienstlichem Bezug. Der Arbeitnehmer hat hier in erheblichem
Maß gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen. Eine vorausgehende Abmahnung war
entbehrlich. Der Arbeitnehmer hat seine Stellung im öffentlichen Dienst für seine Straftaten ausgenutzt. Ein
Verhalten, dass der Arbeitgeber nicht hinnehmen muss. Die Treuepflicht des Arbeitnehmers besteht auch
während der Freistellungsphase ( LAG Schleswig-Holstein, 20.05.2014 - 2 Sa 410/14 ).
3.35 "facebook"-Beleidigung
Beschimpft ein Arbeitnehmer Kollegen auf seiner Facebookseite als "Speckrollen" und "Klugscheißer", ist
das als grobe Beleidigung durchaus geeignet, wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung zu sein.
Grobe Beleidigungen von Arbeitgebern und Mitarbeitern können sogar eine Kündigung ohne Abmahnung
nach sich ziehen. Dennoch ist die außerordentliche Kündigung unwirksam, wenn der beleidigende
Arbeitnehmer zuvor von seinen Kollegen zu Unrecht bei seinem Arbeitgeber denunziert worden ist. In diesem
Fall kann von einer Affekthandlung ausgegangen werden. Weiter muss bei der Interessenabwägung
berücksichtigt werden, dass der Arbeitnehmer die Namen seiner Kollegen auf der Facebookseite nicht
erwähnt hatte ( ArbG Duisburg, 26.09.2012 - 5 Ca 949/12 ; ArbG Duisburg, 26.09.2012 - 5 Ca 949/12 ).
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3.36 "facebook"-Foto
Der vereinfachte Fall: Ein Angestellter der Hamburger Polizei war zum Objektschutz bei einer jüdischen
Schule eingesetzt. Er veröffentlichte auf seiner privaten Facebook-Seite das Foto eines Totenschädels mit
Polizeimütze. Seine Arbeitgeberin, die Stadt Hamburg, hielt das für verwerflich, seien doch Anspielungen auf
das Symbol der SS-Totenkopfverbände anzunehmen. Der Angestellte entschuldigte sich und stellte eine
nationalsozialistische oder sonst verfassungsfeindliche Gesinnung in Abrede. Trotzdem bekam er die
außerordentliche Kündigung seines Arbeitgebers.
Die vereinfachte Lösung: Die außerordentliche Kündigung war unwirksam. Der Arbeitgeber hat nicht
beweisen können, dass sein Mitarbeiter das Foto aufgrund eine rechtsradikalen Gesinnung gemacht und auf
seine Facebook-Seite gestellt hat. Außerdem sei kein Zusammenhang zwischen dem Totenschädel und der
Schule zu erkennen, zumal ein Totenkopf nicht nur NS-Symbol sei, sondern auch in anderen Bereichen z.B. bei einem Fußballverein - Verwendung finde ( ArbG Hamburg, 18.09.2013 - 27 Ca 207/13 ).
3.37 Falsche eidesstattliche Versicherung
"Gibt der Arbeitnehmer in einem Rechtsstreit mit dem Arbeitgeber vorsätzlich eine falsche eidesstattliche
Versicherung ab, kann dies die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses - womöglich gar die
außerordentliche - rechtfertigen [es folgen Rechtsprechungshinweise, u.a. auf BAG, 20.11.1987 - 2 AZR
266/87] . Ein solches Verhalten stellt - unabhängig von seiner Strafbarkeit - eine erhebliche Verletzung der
den Arbeitnehmer gem. § 241 Abs. 2 BGB treffenden Nebenpflicht dar, auf die berechtigten Interessen des
Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen und sie in zumutbarem Umfang zu wahren. Entsprechendes gilt, wenn der
Arbeitnehmer in einem Gerichtsverfahren mit dem Arbeitgeber leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellt,
deren Unhaltbarkeit auf der Hand liegt" (BAG, 31.07.2014 - 2 AZR 434/13) .
3.38 Falsche Tatsachenbehauptungen
Wie grobe Beleidigungen gegen den Arbeitgeber, seine Repräsentanten oder Kollegen können auch bewusst
unwahre Tatsachenbehauptungen über den Arbeitgeber, seine Repräsentanten oder Kollegen grundsätzlich
geeignet sein, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung zu liefern. Das gilt vor allem dann,
wenn die Erklärungen des Arbeitnehmers den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen. Auch das
Grundrecht der freien Meinungsäußerung besteht nicht schrankenlos. Auf der anderen Seite ist bei der
Interessenabwägung immer zu berücksichtigen, ob nicht eine Abmahnung des Arbeitnehmers das mildere,
richtigere Mittel ist, um auf das Fehlverhalten zu reagieren ( BAG, 27.09.2012 - 2 AZR 646/11 - mit dem
Hinweis, dass ein Irrtum des Arbeitnehmers bei der Interessenabwägung selbst dann nicht völlig
bedeutungslos ist, wenn der Arbeitnehmer ihn hätte vermeiden können).
3.39 Fotos auf Facebook
Veröffentlicht eine Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin in ihrem Facebook-Auftritt unerlaubt Bilder
eines Patienten, ist dieses Verhalten grundsätzlich geeignet, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche
Kündigung zu sein. Zum einen stellt die Veröffentlichung einen erheblichen Verstoß gegen die
Schweigepflicht dar, zum anderen einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Patienten. Besteht doch
gerade in öffentlichen sozialen Netzwerken die Gefahr, dass die weitere Verbreitung des Bildmaterials
überhaupt nicht mehr kontrolliert werden kann. Welche Arbeitgeberreaktion - außerordentliche Kündigung,
ordentliche Kündigung, Abmahnung - angemessen ist, ist eine Frage des Einzelfalls ( LAG
Berlin-Brandenburg, 11.04.2014 - 17 Sa 2200/13 - mit dem Ergebnis, dass in diesem Fall der besonderen
Umstände des Einzelfalls nur eine Abmahnung die richtige Reaktion gewesen wäre).
3.40 "Geschäftsschädigende Behauptungen"
Ein Arbeitnehmer darf auch im Zusammenhang mit einer geplanten Betriebsratswahl keine wissentlich
falschen geschäftsschädigenden Behauptungen über die betrieblichen Verhältnisse aufstellen und über
digitale Medien - hier: Facebook und Youtube - verbreiten. Erlaubt ist dagegen sachliche Kritik - wobei es
für die Grenzziehung zwischen unzulässigen und zulässigen Behauptungen auf Inhalt und Kontext der
Äußerungen ankommt. Lassen die Behauptungen eines Wahlbewerbers für den Betriebsrat nur erkennen,
dass sie auf die Notwendigkeit der Wahl eines Betriebsrats zielen, rechtfertigt das keine außerordentliche
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Kündigung ( BAG, 31.07.2014 - 2 AZR 505/13 ).
3.41 Handynutzung im OP
Auch wenn der Arbeitgeber - hier: ein Krankenhaus - ihrem Chefarzt der Abteilung Allgemein- und
Viszeralchirurgie nicht "gänzlich und kategorisch" untersagt hat, im Operationssaal Telefonate zu führen: Der
Chefarzt verletzt seine Pflichten aus dem Anstellungsvertrag in erheblicher Weise, wenn er sein privates
Handy mit in den OP nimmt und auch zu privat veranlassten Telefonaten nutzt. "Sowohl im Hinblick auf
seine leitende Position als auch auf die gesteigerte Verantwortung für Leben und Gesundheit der Patienten
während einer Operation trifft ihn .. die Verpflichtung, bei Ausführung der arbeitsvertraglich geschuldeten
Tätigkeit Störungen, die die Konzentration aller Mitglieder des Operationsteams beeinträchtigen könnten und
nicht durch Notfälle bedingt oder aus medizinischen Gründen erforderlich sind, zu vermeiden" ( BAG,
25.10.2012 - 2 AZR 495/11 - mit dem Ergebnis, dass die Kündigung in diesem Fall doch unwirksam war, weil
eine Abmahnung ausgereicht hätte).
3.42 Heimliches Mithörenlassen
Der Fall: Die außerordentlich gekündigte Arbeitnehmerin war Mitglied des Betriebsrats. Sie soll am
01.09.2010 einem Außenstehenden unter Verwendung eines Mobiltelefons ermöglicht haben, die Beratung
des Gremiums Betriebsausschuss mitzuhören - zumindest bestehe ein darauf zielender Verdacht. Trotzdem
war die außerordentliche Kündigung unwirksam. Nach einer mehr als 20-jährigen, beanstandungsfreien
Betriebszugehörigkeit und der Tatsache, dass hier keine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis, sondern ein zudem noch streitiges - Verhalten als Betriebsrat Auslöser der Kündigungen war, komme keine
außerordentliche Kündigung dieses Arbeitsverhältnisses in Betracht ( LAG Baden-Württemberg, 09.09.2011 17 Sa 16/11 ).
3.43 Herstellung von Raubkopien
Der stark vereinfachte Fall: Der IT-Verantwortliche des Arbeitgebers hatte an seinem Arbeitsplatz-PC Filme
auf über 1 100 DVD-Rohlinge kopiert. Die DVD-Cover hatte ein Kollege an seinem PC auf einem
Betriebsdrucker hergestellt. Die Raubkopien wurden sowohl für den IT-Verantwortlichen als auch für einige
seiner Kollegen gefertigt. Der Arbeitgeber kündigte außerordentlich, hilfsweise ordentlich - wobei der
gekündigte IT-Verantwortliche nicht am gesamten Herstellungsprozess der Raubkopien beteiligt gewesen
ist.
Das BAG sah in dem Verhalten des gekündigten Arbeitnehmers trotzdem einen wichtigen Grund i.S.d. § 626
Abs. 1 BGB . Dieser wichtige Grund kann schon darin liegen, dass ein Arbeitnehmer während seiner
Arbeitszeit privat beschaffte Bild- oder Tonträger unbefugt - zum eigenen oder zum kollegialen Gebrauch auf dienstliche "DVD-" bzw. "CD-Rohlinge" kopiert und dafür seinen Arbeitsplatz-PC benutzt. Ob das
Verhalten des Arbeitnehmers auch ein strafbewehrter Verstoß gegen das Urheberrechtsgesetz ist, ist dabei
nicht maßgeblich. Eine (außerordentliche) Kündigung ist selbst dann möglich, wenn der Arbeitnehmer nicht
alle in Frage kommenden Handlungen selbst vorgenommen hat. Auch wenn er seinen Arbeitsplatz-PC für
private Zwecke nutzen durfte: das illegale Kopieren und Brennen urheberrechtlich geschützte Werke wird von
dieser Erlaubnis nicht erfasst (BAG, 16.07.2015 - 2 AZR 85/15) .
3.44 "Jesus hat Sie lieb"
Ein Call-Center-Mitarbeiter beendete seine Telefonate mit "Jesus hat Sie lieb! Vielen Dank für Ihren Einkauf
bei..." Er bekam die Kündigung und wehrte sich dagegen - mit wenig Erfolg: "Will ein Arbeitnehmer geltend
machen, dass eine arbeitgeberseitige Weisung seine Glaubensüberzeugung verletzt und deshalb von ihm
nicht zu beachten ist (hier: Weisung, bei der Verabschiedung von Telefonkunden auf den Zusatz 'Jesus hat
Sie lieb' zu verzichten), muss er plausibel darlegen, dass seine Haltung auf einer für ihn zwingenden
Verhaltensregel beruht, gegen die er nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte. Gelingt ihm dies nicht,
kommt nach den Grundsätzen der sog. beharrlichen Arbeitsverweigerung eine außerordentliche Kündigung
des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber in Betracht" ( LAG Hamm, 20.04.2011 - 4 Sa 2230/10 ).
3.45 Kirchenaustritt
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Während dem profanen Arbeitgeber Konfession und Kirchenzugehörigkeit seiner Mitarbeiter eher gleichgültig
sein können, sieht das bei Arbeitnehmern in kirchlichen Diensten grundsätzlich anders aus. Wer hier aus
der Kirche austritt, setzt den Bestand seines Arbeitsverhältnisses aufs Spiel. In dem Kirchenaustritt kann
nämlich ein erheblicher Loyalitätsverstoß liegen, der als wichtiger Grund für eine außerordentliche
Kündigung in Betracht kommt. Wer als Sozialpädagoge in einer von der Caritas getragenen
Kindertagesstätte beschäftigt ist, arbeitet zwar nur in einem so genannten "verkündigungsnahen" Bereich.
Trotzdem fehlt dem ausgetretenen Mitarbeiter die Eignung für die Weiterbeschäftigung im Dienst des
konfessionellen Arbeitgebers ( BAG, 25.04.2013 - 2 AZR 579/12 - hier: außerordentliche Kündigung mit
Auslauffrist, weil der Arbeitnehmer nicht mehr ordentlich kündbar war).
3.46 Konkurrenztätigkeit - 1
Übt ein Arbeitnehmer eine unerlaubte Konkurrenztätigkeit aus (hier: selbstständiges Verlegen von
Leitungsrohren durch einen in einem Betrieb für Abflussrohrsanierung angestellten Mitarbeiter), kann das für
seinen Arbeitgeber durchaus ein wichtiger Grund sein, das Arbeitsverhältnis außerordentlich zu kündigen.
Der Arbeitnehmer verletzt nämlich dadurch in erheblichem Maß seine arbeitsvertraglichen Pflichten, weil er
Arbeiten und Leistungen im Marktbereich seines Arbeitgebers anbietet und ausführt. Dieser Bereich soll
dem Arbeitgeber uneingeschränkt, das heißt ohne Gefahr nachteiliger Beeinflussung durch die eigenen
Mitarbeiter, offen stehen ( LAG Hessen, 28.01.2013 - 16 Sa 593/12 ).
3.47 Konkurrenztätigkeit - 2
"Ein Verstoß gegen das Verbot, während des bestehenden Arbeitsverhältnisses Konkurrenztätigkeiten zu
entfalten, ist 'an sich' geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung i.S.d. § 626
Abs. 1 BGB zu liefern. Falls die Wettbewerbstätigkeit erst durch eine frühere - unwirksame - Kündigung
ausgelöst worden ist, der Wettbewerb nicht auf eine dauerhafte Konkurrenz zum bisherigen Arbeitgeber
angelegt und dem Arbeitgeber durch die Konkurrenztätigkeit nicht unmittelbar ein Schaden zugefügt
worden ist, ist dies bei der erforderlichen Interessenabwägung zugunsten des Arbeitnehmers zu
berücksichtigen" ( BAG, 23.10.2014 - 2 AZR 644/13 ).
3.48 Krankheitsbedingte Leistungsminderung
Vom Ansatz her kann auch eine krankheitsbedingte Leistungsminderung geeignet sein, den wichtigen Grund
i.S.d. § 626 BGB für eine außerordentliche - personenbedingte - Kündigung zu liefern. Trotzdem ist dem
Arbeitgeber in der Regel die Einhaltung der Frist für eine ordentliche Kündigung zuzumuten . Eine
außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung kommt daher nur in Ausnahmefällen in Betracht - z.B.
wenn die ordentliche Kündigung individual- oder kollektivvertraglich ausgeschlossen ist. Darüber hinaus muss
ein gravierendes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bestehen ( BAG, 20.03.2014 - 2 AZR
825/12 - hier: verneint für einen Croupier, der sich als Ersatzmitglied des Betriebsrats auf nachwirkenden
Kündigungsschutz berief und der nach dem Zeugnis seines Arztes nicht mehr am Pokertisch beschäftigt
werden sollte).
3.49 KZ-Vergleich
Der vereinfachte Fall: Im Arbeitgeberbetrieb entstand eine intensive und hitzig geführte Diskussion über
Arbeitszeiten und einiges mehr. Im Verlauf dieser Auseinandersetzung soll Betriebsratsmitglied B sehr in
Rage gekommen sein und - angeblich - etwas außer sich die Arbeitsbedingungen im Arbeitgeberbetrieb
mit denen in einem Konzentrationslager - er selbst behauptete hinterher, er habe "Arbeitslager" gesagt verglichen haben. Der Arbeitgeber ging jedenfalls davon aus, dass B am Ende der Diskussion gesagt habe,
"dass es im Betrieb wie in einem KZ sei". Arbeitgeber A beantragte die Ersetzung der Zustimmung des
Betriebsrats zur Kündigung B's und seinen Ausschluss aus dem Betriebsrat.
Während es die erste Instanz - das ArbG - noch anders sah, vertrat das LAG Berlin-Brandenburg die
Auffassung, dass es weder die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung B's ersetzen noch dessen
Ausschluss aus dem Betriebsrat anordnen müsse. Es hat die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben.
Selbst "ein unsäglicher und geschmackloser Vergleich betrieblicher Verhältnisse und Vorgehensweisen
mit dem nationalsozialistischen Terrorsystem und erst recht mit den in den Konzentrationslagern begangenen
Verbrechen" falle "grundsätzlich unter den Schutz der freien Meinungsäußerung. "Schmähkritik liegt nur
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dann vor, wenn es nicht um Sachkritik geht, sondern eine Person ohne Tatsachenkern herabgewürdigt
werden soll" ( LAG Berlin-Brandenburg, 02.10.2014 - 10 TaBV 1134/14 Leitsatz).
3.50 Löschen von Daten
Der vereinfachte Fall: Arbeitnehmer A war als Account-Manager bei Arbeitgeber B beschäftigt. Am
29.06.2009 und am 30.09.2009 hat A von seinem Benutzerkonto im Betrieb 80 eigene Dateien gelöscht und
374 weitere Objekte, u.a. Aufgaben, Kontakte und Termine. Das alles machte A vor dem Hintergrund einer
Änderung / Aufhebung seines Arbeitsvertrags - was B veranlasste, fristlos und hilfsweise fristgemäß zu
kündigen.
Während das ArbG die außerordentliche Kündigung kassierte, war das Berufungsgericht der Meinung, dass
die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt sei. Der Arbeitnehmer habe nämlich mit dem
umfangreichen Löschen der Daten das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber vollständig zerstört. Die
sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei angezeigt, weil das eigenmächtige Löschen der Daten, die
der Verfügungsgewalt des Arbeitgebers unterliegen, eine schwerwiegende Verletzung arbeitsvertraglicher
Pflichten sei. Insoweit sei nicht mal eine vorausgehende Abmahnung erforderlich gewesen ( LAG Hessen,
05.08.2013 - 7 Sa 1060/10 ).
3.51 Mitgliedschaft in anderer Religionsgemeinschaft
Der Arbeitgeber, eine evangelische Kirchengemeinde, hatte einer Kindergärtnerin außerordentlich
gekündigt, weil sie für eine andere Religionsgemeinschaft eintrat. Die Kindergärtnerin war Repräsentantin der
"Universalen Kirche/Bruderschaft der Menschheit", ihr Arbeitsvertrag verpflichtete sie jedoch zur Loyalität
gegenüber der evangelischen Kirche. Hier sei die außerordentliche Kündigung nicht als Verletzung von
Art. 9 EMRK - Religionsfreiheit - zu erkennen. Die nationalen Gerichte dürfen den Interessen der
evangelischen Kirche nach sorgfältiger Abwägung aller Interessen durchaus mehr Gewicht einräumen als
dem Bestandsinteresse der Arbeitnehmerin. Das BAG hatte die Kündigung bereits bestätigt, dass BVerfG die
Verfassungsbeschwerde der gekündigten Mitarbeiterin gar nicht zur Entscheidung angenommen. Die
Eigenständigkeit der Religionsgemeinschaften ist gegen unzulässige staatliche Einmischung nach Art. 9 in
Verbindung mit Art. 11 EMRK (Vereinigungsfreiheit) geschützt (EGMR, 03.02.2011 Beschwerde-Nr. 18136/02).
3.52 Mitnahme von Bankdaten
Ein bereits gekündigter und freigestellter Firmenkundenbetreuer einer Bank hatte von seinem
Bank-E-Mail-Konto 94 E-Mails mit 1.660 Dateianhängen - etwa 622 MB - auf sein privates
gmx-E-Mail-Konto weitergeleitet. Er bekam dafür die außerordentliche Kündigung - für die es sogar einen
wichtigen Grund gab. Auch wenn in diesem Fall eine Wiederholungsgefahr auszuschließen war: Das
Verhalten des gekündigten Firmenkundenbetreuers hat das in ihn gesetzte Vertrauen durch die Mitnahme
der Bankdaten so nachhaltig erschüttert und zerstört, dass seinem Arbeitgeber das Festhalten am
auslaufenden Arbeitsvertrag und die Weiterzahlung der Vergütung für noch knapp vier Monate nicht mehr
zumutbar gewesen ist ( LAG Hessen, 29.08.2011 - 7 Sa 248/11 ).
3.53 Morddrohung
Arbeitnehmer N kam in den dringenden Verdacht, seinen Vorgesetzten am Telefon mit "Ich stech' Dich ab"
bedroht zu haben. Der war sich sicher (zuvor gab es zwischen beiden Konflikte anlässlich einer
Personalratswahl), N an seiner markanten Stimme erkannt zu haben. Arbeitgeber A kündigte N
außerordentlich - und wurde damit nach Beweisaufnahme durch das Arbeitsgericht bestätigt. N's Anruf bei
seinem Vorgesetzten war ein erheblicher Verstoß gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten. So schwer,
dass hier nicht mal eine Abmahnung vorausgegangen sein musste. A war die Weiterbeschäftigung N's wegen
der ernsthaften und nachhaltigen Bedrohung seines Vorgesetzten unter Abwägung aller Einzelfallumstände
nicht länger zuzumuten ( ArbG Düsseldorf, 15.08.2016 - 7 Ca 415/15 ).
3.54 Nazi-Methoden-Vergleich
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Der vereinfachte Fall: Betriebs- und Aufsichtsrat B war in einem Senioren- und Pflegezentrum als
Altenpfleger beschäftigt. In einer E-Mail an den Einrichtungsleiter und Aufsichtsratsmitglieder sprach er u.a.
die vom Arbeitgeber beabsichtigten Überwachungskontrollen an. Wörtlich: "Die Überwachung in einem
totalitären Regime haben wir vor 70 Jahren hinter uns gebracht, auch wenn hier im Kleineren gehandelt
wird, so ist dies der Anfang von dem was dann irgendwann aus dem Ruder laufen kann." Arbeitgeber A
beantragte beim Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung , die der jedoch verweigerte.
Auch wenn ein Vergleich betrieblicher Vorgänge mit dem nationalsozialistischen Terrorregime grundsätzlich
als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet ist: Die E-Mail des Betriebsrats enthält so
eine Gleichsetzung nicht. Die Äußerung des Betriebsrats spricht eher die Verhältnisse der Weimarer
Republik an und ist vom Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt. Der Rest der Mail enthält zulässige
Werturteile, die sich im Rahmen der Funktion des Mitarbeiters als Betriebsrat und Mitglied des Aufsichtsrats
halten. Der Betriebsrat hat seine Zustimmung zur Kündigung zu Recht verweigert ( LAG Düsseldorf,
04.03.2016 - 10 Ta BV 102/15 ).
3.55 "Negerkuss" statt "Schokokuss" bestellt
Der Mitarbeiter eines Reiseunternehmens - so der Vorwurf des kündigenden Arbeitgebers - hatte in der
Kantine bei einer aus Kamerun stammenden Mitarbeiterin einen "Negerkuss" - statt eines "Schokokusses"
- bestellt. Die deswegen ausgesprochene außerordentliche Kündigung war unwirksam, weil
unverhältnismäßig. Das Arbeitsverhältnis bestand seit mehr als zehn Jahren ohne Beanstandung, da hätte
der Arbeitgeber ohne vorherige Abmahnung weder außerordentlich noch ordentlich kündigen dürfen ( ArbG
Frankfurt am Main, 13.07.2016 - 15 Ca 1744/16 )
3.56 NPD-Mitgliedschaft
Der vereinfachte Fall: Stadt S hatte Jobcenter-Mitarbeiter M. wegen seiner NPD-Mitgliedschaft und seiner
Position als stellvertretender NPD-Landesvorsitzender ordentlich gekündigt und danach wegen einer
angeblichen falschen eidesstattlichen Versicherung auch noch außerordentlich fristlos . Die ordentliche
Kündigung wurde u.a. damit begründet, dass M für eine Tätigkeit bei S nicht geeignet sei, weil er als
Parteifunktionär für verfassungsfeindliche Ziele eintrete.
Das LAG Hessen hat die Unwirksamkeit beider Kündigungen und damit auch die Entscheidung der
Vorinstanz - ArbG Frankfurt - bestätigt. Der Arbeitgeber hatte im Vorfeld der ordentlichen Kündigung den
Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt und dessen Zustimmung zur Kündigung nicht eingeholt. Die
außerordentliche Kündigung scheiterte daran, dass die eidesstattliche Versicherung des Arbeitnehmers in
einem Verfahren, in dem es um seine Freistellung ging, zwar unklar, aber nicht wahrheitswidrig gewesen ist
(LAG Hessen, 26.02.2016 - 14 Sa 1772/14) .
3.57 Nutzung einer Firmengutschrift
Nutzt ein Arbeitnehmer eine unternehmenszugehörige Gutschrift, die er als Spartenleiter einer
Betriebssportgruppe für den Großeinkauf von Trainingsanzügen für das Unternehmen bekommen hat, zu
privaten Zwecken, ist auch der Verdacht dieses Verhaltens grundsätzlich als wichtiger Grund für die
Kündigung des Arbeitsverhältnisses geeignet - auch bei einem ordentlich nicht kündbaren
Betriebsratsmitglied. Das gilt grundsätzlich unabhängig von der Höhe des Schadens, der dem Arbeitgeber
entstanden ist. Entscheidend ist der Vertrauensbruch, den der Arbeitnehmer durch sein Verhalten bewirkt
hat. Hinzukommt: Wer als Arbeitnehmer bei Ausführung seiner vertraglichen Aufgaben von Dritten Vorteile
entgegennimmt, verletzt seine arbeitsvertragliche Pflicht, auf die berechtigten Interessen seines Arbeitgebers
Rücksicht zu nehmen ( ArbG Hamburg, 22.05.2013 - 26 BV 31/12 ).
3.58 Private Internetnutzung - 1
Es gibt Fälle, in denen der öffentliche Arbeitgeber bei privater Nutzung des Internets auch ohne vorherige
Abmahnung eine außerordentliche Kündigung aussprechen darf: "Eine solche Fallkonstellation, die
üblicherweise in den Zuständigkeitsbereich der Arbeitsgerichte gehört, kann dann zu einer
verwaltungsrechtlichen Streitigkeit werden, wenn es um die von einem öffentlichen Arbeitgeber beabsichtige
außerordentliche Kündigung eines Personalratsmitglieds geht. Eine solche Kündigung bedarf der Zustimmung
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des Personalrats; stimmt dieser nicht zu, kann der öffentliche Arbeitgeber die Ersetzung der Zustimmung
beim Verwaltungsgericht beantragen. Dieses hat im Rahmen eines 'vorweggenommenen
Kündigungsschutzprozesses' die Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung zu prüfen" ( OVG
Niedersachsen, 14.09.2011 - 18 LP 15/10 - Pressemitteilung - hier: keine Ersetzung der Zustimmung, weil die
vom BAG verlangte exzessive Privatnutzung nicht festgestellt werden konnte).
3.59 Private Internetnutzung - 2
Der vereinfachte Fall: Ein Arbeitnehmer hatte innerhalb von 30 Arbeitstagen insgesamt etwa fünf
Arbeitstage lang verbotswidrig privat im Internet gesurft. Vor seiner fristlosen Kündigung hatte sein
Arbeitgeber den Browserverlauf im Arbeitsplatz-PC des Arbeitnehmers ausgewertet - aber ohne dessen
Zustimmung. Während der gekündigte Mitarbeiter einen Verstoß gegen das Datenschutzgesetz reklamierte
und damit die Unwirksamkeit der Kündigung begründen wollte, bekam der Arbeitgeber Recht. Obwohl es sich
bei den Daten im Browserverlauf um personenbezogene Daten i.S.d. BDSG handele, sei eine Verwertung
der Daten zulässig, weil das BDSG eine Speicherung und Auswertung von Daten zur Missbrauchskontrolle
auch ohne Einwilligung des Betroffenen erlaube und der Arbeitgeber in diesem Fall keine andere Möglichkeit
zur Verfügung hatte, mit der er den Umfang der verbotenen Internetnutzung nachweisen konnte. Damit ging
dann auch die außerordentliche Kündigung durch (LAG Berlin-Brandenburg, 14.01.2016 - 5 Sa 657/15) .
3.60 Rauchverbot
Bei einer außerordentlichen Kündigung i.S.d. § 15 Abs. 1 KSchG (Mandatsträger) und § 626 Abs. 1 BGB
kommt es darauf an, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven Frist für die
ordentliche Kündigung zumutbar ist. Hat der Arbeitgeber in einem Betrieb mit hoher Brandgefahr
gesonderte Raucherzonen eingerichtet und raucht ein Arbeitnehmer trotzdem beharrlich außerhalb dieser
Zone, weil er seine Einschätzung des Sicherheitsrisikos an Stelle des zwischen den Betriebspartnern
abgestimmten setzt, ist das ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung. Das gilt umso mehr,
wenn der rauchende Arbeitnehmer bereits einschlägig abgemahnt worden ist und weiterhin bewusst gegen
das betriebliche Rauchverbot verstößt ( BAG, 27.09.2012 - 2 AZR 955/11 ).
3.61 Rechtsextreme Einstellung
Ein wichtiger - personenbedingter - Kündigungsgrund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn die
Weltanschauung eines Horterziehers - der als Erzieher eine gesteigerte Treuepflicht gegenüber dem Staat
hat - von rechtsradikalem Gedankengut geprägt ist. Der für die personenbedingte Kündigung erforderliche
Eignungsmangel liegt in begründeten Zweifeln an der Verfassungstreue, die hier u.a. durch die Teilnahme
an NPD-Veranstaltungen, eine dokumentierte Gewaltbereitschaft als Hooligan, das Tragen einschlägiger
Kleidung und der Äußerung gegenüber einer Arbeitskollegin - "Wenn es mein Sohn wäre, dann würde er
Springerstiefel tragen und eine rote Binde am Arm" - begründet waren ( ArbG Mannheim, 19.05.2015 - 7 Ca
254/14 ).
3.62 Scheinvertragsschluss
Schließt der Geschäftsführer einer GmbH mit einem Kommunalpolitiker einen Beratervertrag, nach dem
zwar eine Vergütung in Höhe von ca. 100.000 EUR gezahlt werden, aber tatsächlich überhaupt keine
Beratung geleistet werden soll, ist das vom Ansatz her ein wichtiger Grund, das Anstellungsverhältnis des
Geschäftsführers wegen Abschluss eines Scheinberatervertrags außerordentlich zu kündigen. Soweit es die
2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB betrifft, kommt es nicht auf die Kenntnis dieses Geschäftsführers an.
Die gesetzliche Ausschlussfrist beginnt erst in dem Zeitpunkt, in dem der neue Geschäftsführer einer
Tochtergesellschaft positive Kenntnis von den Tatsachen bekommt ( BGH, 09.04.2013 - II ZR 273/11 - mit
dem Hinweis, dass eine grobfahrlässige Unkenntnis nicht genügt, die Verfristung einer außerordentlichen
Kündigung zu bejahen).
3.63 Schmiergeldannahme
Lässt sich ein Direktor und Vertriebsleiter einer Bank von einem Geschäftspartner der Bank unberechtigte
Vorteile gewähren (hier: Finanzierung des Baus einer Terrasse samt Beleuchtungsanlage), dann ist das eine
Form der Schmiergeldannahme, die die Arbeit gebende Bank durchaus zu einer außerordentlichen
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Kündigung berechtigt. Es liegt ein Fall unberechtigter Vorteilsgewährung vor, bei dem sich der
Bankmitarbeiter private Bauleistungen von einem Geschäftspartner bezahlen lässt ( LAG Düsseldorf,
03.02.2012 - 6 Sa 1081/11 ).
3.64 Sexuelle Belästigung - 1
Die sexuelle Belästigung - hier: wiederholte anzügliche Bemerkungen - i.S.d. § 3 Abs. 4 AGG ist nach § 7
Abs. 3 AGG eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten, die an sich als wichtiger Grund i.S.d. § 626
Abs. 1 BGB geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Ob sie das tatsächlich tut, ist eine
Frage, die nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Umfang und der Intensität der
Belästigung zu beantworten ist. Dabei ist zu berücksichtigen, ob es sich um eine einmalige Entgleisung oder
ein - wie hier - ein wiederholtes Tun handelt. Und weil der gekündigte Arbeitnehmer hier bereits eine
einschlägige Abmahnung erhalten hatte, war es dem Arbeitgeber auch unter Berücksichtigung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht zuzumuten, den belästigenden Mitarbeiter bis zum Ablauf der
ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen ( BAG, 09.06.2011 - 2 AZR 323/10 )
3.65 Sexuelle Belästigung - 2
"Eine sexuelle Belästigung i.S.v. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher
Pflichten dar. Sie ist 'an sich' als wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Ob sie im Einzelfall zur
außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, u.a. von ihrem
Umfang und ihrer Intensität ( BAG, 20.11.2014 - 2 AZR 651/13 Leitsatz - hier: wichtiger Grund verneint, weil
eine Abmahnung ausgereicht hätte).
3.66 Sexuelle Belästigung - 3
Der vereinfachte Fall: Arbeitgeber G hatte Arbeitnehmer N - Abteilungsleiter im Lebensmitteleinzelhandel am 20.01.2015 außerordentlich gekündigt, weil der ein Stück Fleisch im Wert von 0,80 EUR verzehrt hatte. N
wehrte sich gegen die Kündigung - u.a. mit der Behauptung, es habe sich bei dem Stück Fleisch um eine
Probe gehandelt. Nach der außerordentlichen Kündigung erfuhr G von einem Vorfall aus dem Frühjahr
2014: G soll eine Mitarbeiterin sexuell belästigt haben. Die belästigte Mitarbeiterin erzählte zunächst nur der
Marktleiterin von dem Übergriff. G schob die sexuelle Belästigung als Kündigungsgrund nach.
Auch wenn der Vorfall schon einige Zeit zurücklag : Die sexuelle Belästigung der Arbeitnehmerin war trotz der
2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB noch geeignet, wichtiger Grund für eine außerordentliche
Kündigung zu sein. Der Arbeitgeber brauchte sich das Wissen seiner Marktleiterin nicht zurechnen zu
lassen. Die belästigte Mitarbeiterin hatte ihr ausdrücklich verboten, ihre Schilderung an den Arbeitgeber
weiterzugeben. Und da der Arbeitgeber erst nach Ausspruch der Kündigung von dem Vorfall erfahren
hatte, brauchte er die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht einzuhalten. Wegen der Schwere
der sexuellen Belästigung war es dem Arbeitgeber nicht zuzumuten , das Arbeitsverhälnis bis zum Auslaufen
der Frist für die ordentliche Kündigung fortzuführen ( LAG Schleswig-Holstein, 10.11.2015 - 2 Sa 235/15 ).
3.67 Sexuelle Handlungen
Arbeitnehmer, die in Gemeinden der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern beschäftigt sind, müssen
sich an besondere Loaylitätspflichten halten. Nach § 7 Abs. 3 der Arbeitsvertragsrichtlinien des
Diakonischen Werkes in Bayern (ARR) wird eine schwere persönliche sittliche Verfehlung als
schwerwiegender Loyalitätsverstoß angesehen, der eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen
rechtfertigen kann.
Ein Kirchenmusiker verletzt seine Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB gegenüber dem kirchlichen
Arbeitgeber "durch sexuelle Handlungen mit einer Minderjährigen, zumal in der Kirche, in erheblichem
Maße". So ein Verhalten ist eine schwere persönliche sittliche Verfehlung i.S.d. § 7 Abs. 3 ARR. Es ist
geeignet, "einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung zu bilden." Die Tätigkeit des
Kirchenmusikers steht in direktem Zusammenhang mit dem Verkündungsauftrag des Arbeitgebers ( BAG,
26.09.2013 - 2 AZR 741/12 - mit dem Ergebnis, dass die außerordentliche Kündigung hier ohne vorherige
Abmahnung griff).
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3.68 Sexueller Missbrauch - 1
Der sexuelle Missbrauch minderjähriger Töchter eines Arbeitskollegen ist grundsätzlich als wichtiger
Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB geeignet, die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses zu
rechtfertigen. Nach den Umständen des Einzelfalls reicht dazu auch der Verdacht eines sexuellen
Missbrauchs. Auch wenn der Missbrauch außerhalb der Arbeitszeit geschah: Ein Arbeitnehmer ist nach
§ 241 Abs. 2 BGB auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die Interessen seines Arbeitgebers
Rücksicht zu nehmen. Dabei ist allerdings ein "Bezug zu dienstlichen Tätigkeit" erforderlich, der dann zu
bejahen ist, wenn es sich bei den Missbrauchsopfern um Töchter eines Arbeitskollegen handelt ( BAG,
27.01.2011 - 2 AZR 825/09 ).
3.69 Sexueller Missbrauch - 2
Der vereinfachte Fall: Arbeitnehmer N verlangte von Arbeitgeber A die Kündigung seines Vorgesetzten V,
weil der ihn auf einer gemeinsamen Dienstreise sexuell missbraucht haben soll. V wurde vom Amtsgericht
wegen sexuellen Missbrauchs zwar zur einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. V
legte gegen seine Verurteilung jedoch Rechtsmittel ein. N verklagte A vor dem Arbeitsgericht darauf, V zu
entlassen - hatte damit aber keinen Erfolg.
§ 12 Abs. 3 AGG sagt: "Verstoßen Beschäftigte gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1, so hat
der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zur
Unterbindung der Benachteiligung wie Abmahnung , Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen."
Dabei hat der benachteiligte Arbeitnehmer aber nur dann Anspruch auf eine bestimmte Maßnahme, wenn
die frei von Rechtsfehlern zu treffende Ermessensentscheidung des Arbeitgebers nach objektiver Betrachtung
nur diese eine bestimmte Maßnahme zulässt. Eine Ermessungsreduzierung auf die Maßnahme Kündigung
ist bei sexuellem Missbrauch grundsätzlich denkbar. In diesem Fall konnte das ArbG nach durchgeführter
Beweisaufnahme jedoch nicht die volle Überzeugung gewinnen, dass die Vorwürfe des Arbeitnehmers
zutrafen ( ArbG Solingen, 24.02.2015 - 3 Ca 1356/13 ).
3.70 "Silvesterscherz"
Lässt ein Arbeitnehmer einen Silvesterböller in einem Dixi-Klo explodieren, in dem sich gerade ein Kollege
aufhält, der durch den explodierenden Feuerwerkskörper verletzt wird, ist das ein Grund für eine
außerordentliche Kündigung, der keine Abmahnung vorauszugehen braucht. Und das gilt auch, wenn die
Verletzung des Kollegen - hier: Verbrennungen am Oberschenkel und im Genital- und Leistenbereich - nicht
beabsichtigt war. Es handelt sich bei diesem tätlichen Angriff auf einen Arbeitnehmer, der durch nichts zu
rechtfertigen war, um eine schwerwiegende Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten ( ArbG Krefeld,
30.11.2012 - 2 Ca 2010/12 ).
3.71 Stalking
Der Begriff "Stalking" kommt aus dem Englischen und bedeutet - abgeleitet vom Verb "to stalk" - hetzen,
jagen, verfolgen. Abgesehen davon, dass "Stalking" nach § 238 StGB strafbar ist, kann es auch zu
arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen. "Ein schwerwiegender Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine
vertragliche Nebenpflicht, die Privatsphäre und den deutlichen Wunsch einer Arbeitskollegin zu respektieren,
nicht-dienstliche Kontaktaufnahmen mit ihr zu unterlassen, kann die außerordentliche Kündigung des
Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Ob es zuvor einer einschlägigen Abmahnung bedarf, hängt von den
Umständen des Einzelfalls ab" ( BAG, 19.04.2012 - 2 AZR 258/11 ).
3.72 Störung des Betriebsfriedens
Der vereinfachte Fall: Im August 2012 fanden beim Arbeitgeber Betriebsratswahlen statt. Der
außerordentlich gekündigte Arbeitnehmer war Mitglied des Wahlvorstands. Es gab Probleme, der
Wahlvorstand trat zurück. Der Gekündigte wollte die Wahl weiter voranbringen. Er verschickte Schreiben an
die Filialen des Arbeitgebers und lud darin - u.a. - die Kollegen ein, an der Stimmauszählung teilzunehmen.
Das hielt der Arbeitgeber für eine Störung des Betriebsfriedens und kündigte außerordentlich. Das
Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt. U.a. mit der Begründung, der Betriebsfrieden sei bereits
zuvor erheblich gestört gewesen und ein mögliches - irrtümliches - Fehlverhalten des Arbeitnehmers sei
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seinem Amt als Wahlvorstand zuzurechnen - nicht seinen arbeitsvertraglichen Pflichten ( ArbG Saarlouis,
19.08.2013 - 2 Ca 716/12 ).
3.73 Strafanzeige
Nachdem eine Altenpflegerin gegen ihren Arbeitgeber eine Strafanzeige wegen Pflegemängeln erstattet
hatte, bekam sie die außerordentliche Kündigung. Sie hatte die Anzeige damit begründet, Pflegebedürftige
und ihre Angehörigen bekämen wegen Personalmangels für die von ihnen getragenen Kosten keine
angemessene Gegenleistung. Das BAG bestätigte die außerordentliche Kündigung, das BVerfG nahm die
Verfassungsbeschwerde der Mitarbeiterin nicht zur Entscheidung an. Der EGMR sieht eine Verletzung des
Art. 10 EMRK , des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Das öffentliche Informationsinteresse der
Allgemeinheit über Pflegemissstände überwiege in einer demokratischen Gesellschaft. Insoweit habe die
Bundesrepublik der gekündigten Arbeitnehmerin 10 000 EUR für den erlittenen immateriellen Schaden und
5.000 EUR für die ihr entstandenen Kosten zu zahlen (EGMR, 21.07.2011 - Beschwerde-Nr. 28274/08).
3.74 Trunkenheitsfahrt
Der vereinfachte Fall: Autoverkäufer A wurde in der Nacht vom 17. auf den 18.03.2016 von der Polizei
aufgegriffen, als er unter Alkoholeinfluss und ohne Fahrerlaubnis auf einem nicht zugelassenen Renn-Quad
ein illegales Rennen gegen einen ebenfalls ihm gehörenden - von einem anderen gesteuerten - Lamborghini
fuhr. Mit viel zu hoher Geschwindigkeit hatte A zudem noch einige rote Ampeln missachtet. Etwa zwei Jahre
zuvor hatte A bereits unter Alkoholeinfluss mit einem Fahrzeug der Schwestergesellschaft seines
Arbeitgebers einen Crash mit Totalschaden gebaut und war dafür abgemahnt worden.
A klagte gegen seine fristlose - und hilfsweise ordentliche - Kündigung. Ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht
winkte hier sogar die fristlose Kündigung durch. Bei diesem Arbeitnehmerverhalten sei dem Arbeitgeber
angesichts der Vorbelastung und einschlägigen Abmahnung die Weiterbeschäftigung nicht mehr
zuzumuten. Und obwohl hier ein außerdienstliches Verhalten Auslöser der Kündigung war: Das
Arbeitgebervertrauen in die Zuverlässigkeit des Mitarbeiters als Autoverkäufer ist durch dessen Verhalten
schwer erschüttert, das Ansehen des Arbeitgeberbetriebs als renommiertes Autohaus in Gefahr. Zu Lasten
des gekündigten Mitarbeiters seien hier die voraufgehende Abmahnung und der Entzug der Fahrerlaubnis zu
berücksichtigen (ArbG Düsseldorf, 12.07.2016 - 15 Ca 1769/16) .
3.75 Überschreiten von Befugnissen
Der vereinfachte Fall: Eine Personalleiterin hatte u.a. die Funktion, die Höhe der Arbeitsentgelte und
Ruhegehälter der Mitarbeiter festzulegen. Dabei setzte sie Vergütung und Ruhegehalt ihres Mannes, der
Vorstandsvorsitzender des Arbeitgebers war, viel zu hoch an. Zuvor hatte sie weder auf einen möglichen
Interessenkonflikt hingewiesen noch den Inhalt der mit ihrem Ehemann getroffenen Vereinbarung geklärt. Der
Arbeitgeber kündigte außerordentlich.
Das ArbG Berlin dazu: Hier liegt ein erheblicher Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten vor. Diese
Pflichtverletzung ist so schwer, dass der Arbeitgeber auch ohne vorherige Abmahnung berechtigt war, das
Arbeitsverhältnis der Personalleiterin von heute auf morgen zu kündigen. Die Arbeitnehmerin hat sich
gegenüber ihrem Arbeitgeber grob illoyal verhalten, indem sie ihrem Ehemann vorsätzlich und durch
Überschreiten ihrer Befugnisse vermögenswerte Vorteile zukommen ließ ( ArbG Berlin, 02.02.2016 - 16 Ca
10908/15 und 16 Ca 932/16 - unter Zurückweisung der 6-stelligen Schadensersatzklage wegen
Rufschädigung).
3.76 Übersehen eines fremden Fehlers
Der fristlos und hilfsweise fristgemäß gekündigte Arbeitnehmer war als Sachbearbeiter über 25 Jahre im
Zahlungsverkehr einer Bank beschäftigt. Seine Aufgabe bestand unter anderem darin, Überweisungsbelege
zu prüfen und eventuelle Fehler zu korrigieren. Dabei übersah er den von einem Kollegen bereits korrigierten
Zahlungsbeleg, der statt der richtigen Summe von 62,40 EUR den Betrag von 222.222.222,22 EUR enthielt
(Ursache: ein Sekundenschlaf des Kollegen mit Gedrückthalten der "2"-Taste). Auch wenn das Unterlassen
der Fehlerkontrolle in diesem Fall ein schwerer Fehler war: hier fehlt die erforderliche Negativprognose - eine
Abmahnung hätte ausgereicht ( LAG Hessen, 07.02.2013 - 9 Sa 1315/12 ).
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3.77 Verlassen des Arbeitsplatzes im Sicherheitsbereich
Der vereinfachte Fall: Arbeitnehmer N war Sicherheitsmitarbeiter des Wachunternehmerns W. Er wurde von
W in einer Münzprägeanstalt eingesetzt und war dort zuständig für die Ausgangskontrolle. Aus rein privaten
Gründen verließ N seinen Arbeitsplatz, ohne dafür zu sorgen, dass ein Kollege dann für ihn die
Ausgangskontrolle durchführte. Hinzu kam, dass er auch noch die Elektronik des gesicherten Drehkreuzes
ausschaltete und Arbeitnehmer der Münzpräge ungehindert passieren konnten. Von einem Mitarbeiter der
Münzprägeanstalt erhielt N in dieser Zeit ein Kunststoffrohr, dass er ohne Begleitschein entgegennahm und in
seinen Pkw brachte. Ein paar Tage später wurde der Verlust von Gold im Wert von etwa 74.000 EUR
festgestell. W kündigte N außerordentlich fristlos.
Das Berufungsgericht kam in dieser Sache zu dem grundsätzlichen Ergebnis, dass einem
Sicherheitsmitarbeiter aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden darf, wenn er die ihm
aufgegebene Ausgangskontrolle in einem Sicherheitsbereich ohne Grund für einen erheblichen Zeitraum
unterlässt und sich aus dem Sicherheitsbereich entfernt. Dieses Verhalten verletzt das besondere
Sicherungsinteresse einer Münzprägeanstalt in ganz erheblichem Maß. Für die Folgen müsse der
Arbeitgeber einstehen. Hinzu kommt: Die unerlaubte Mitnahme des Kunststoffrohres aus dem zu
bewachenden Betrieb ist ein Verhalten, das mit N's Beschäftigung gerade hätte verhindert werden sollen.
Die Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten ist hier so schwer, dass es dem Arbeitgeber unzumutbar
gewesen ist, seinen Arbeitnehmer abzumahnen und ihn dann weiter als Sicherheitsmitarbeiter einzusetzen (
LAG Berlin-Brandenburg, 09.09.2015 - 17 Sa 810/15 ).
3.78 Verletzung eines Dienstgeheimnisses
Teilt eine Justizangestellte den Inhalt eines Durchsuchungsbeschlusses an die ebenfalls in der Justiz beim
selben Gericht tätige Mutter eines Betroffenen mit, ist das durchaus ein wichtiger Grund, der zu einer
Kündigung berechtigt. Vor allem dann, wenn die Angestellte auch noch - wenn auch nicht rechtskräftig wegen der Verletzung eines Dienstgeheimnisses nach § 353b StGB zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung
verurteilt wurde. Nur: Hat der Arbeitgeber die Mitarbeiterin bereits nach Bekanntwerden der Tat abgemahnt,
kann er nach der Verurteilung wegen desselben Sachverhalts nicht mehr kündigen. Dann hat er zuvor mit der
Abmahnung auf sein Kündigungsrecht verzichtet ( LAG Berlin-Brandenburg, 28.04.2011 - 25 Sa 2684/10 ).
3.79 Verschweigen einer Straftat
Verschweigt ein Chefarzt bei seiner Einstellung Ende 2009 auf eine ausdrückliche Frage ein laufendes
Strafverfahren, darf er - immer unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls - außerordentlich
gekündigt werden. Tatsächlich war es nämlich so, dass 2002 eine Strafanzeige wegen fahrlässiger Tötung
eines Neugeborenen - zu spät eingeleiteter Kaiserschnitt - und 2006 wegen dieses Delikts Anklage erhoben
worden war. Erst im August 2010 gab es eine Verurteilung - wovon der Arbeitgeber durch
Presseberichterstattung erfuhr. Der Einwand des Arbeitnehmers, es handele sich um eine 'alte
Angelegenheit', ist unbeachtlich. Die Chefarztposition ist von herausragender Stellung, da wird durch das
Verschweigen einer Straftat das Vertrauen des Arbeitgebers nachhaltig zerstört ( LAG Hessen, 05.12.2011 - 7
Sa 524/11 ).
3.80 Verschweigen eines Ermittlungsverfahrens
Als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung kann auch das Verschweigen eines
Ermittlungsverfahrens (oder von Vorstrafen) im Bewerbungs-/Vorstellungsgespräch in Betracht kommen.
Auch wenn der Arbeitgeber die Möglichkeit hat, den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung
anzufechten: die außerordentliche Kündigung wird durch das Anfechtungsrecht nicht ausgeschlossen. Aber:
Braucht der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber gestellte - unzulässige - Fragen gar nicht zu beantworten, darf
er die Tatsachen auch verschweigen. Das Verhalten des Arbeitnehmers ist in diesem Fall nicht
arbeitsvertragswidrig und kommt deswegen weder für eine Anfechtung noch für eine außerordentliche
Kündigung in Betracht ( BAG, 06.09.2012 - 2 AZR 270/11 ).
3.81 Vertrauensverstoß
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Unterstützt ein CDU-Kreisverbandsgeschäftsführer im Wahlkampf nicht den ihm vorgesetzten
Kreisvorstandsvorsitzenden, sondern den bisherigen Bundestagsabgeordneten, kann ihm das
kündigungsrechtlich nicht zum Vorwurf gemacht werden. Bittet er jedoch mehrere den bisherigen
Abgeordneten unterstützende Mitglieder des Kreisverbands per E-Mail, den dienstlichen E-Mail-Account
"nicht mehr für Mitteilungen zu nutzen, die vertraulich und nicht für 'Augen und Ohren' des
Kreisvorstandsvorsitzenden bestimmt waren", ist das eine schwerwiegende Verletzung des Grundsatzes
der vertrauensvollen Zusammenarbeit. So ein Vertrauensverstoß rechtfertigt die sofortige Auflösung des
Arbeitsverhältnisses ( ArbG Berlin, 22.03.2013 - 5 Ca 16516/12 ).
3.82 Veruntreuung
Der vereinfachte Fall: Im Betrieb des Arbeitgebers gab es eine "Dienstvereinbarung Sucht". Diese
Dienstvereinbarung sah ein abgestuftes Arbeitgeber-Reaktionssystem vor, das mit einem Erstgespräch
begann und nur ganz zum Schluss eine Kündigung zuließ. Ein Mitarbeiter berief sich nach seiner
außerordentlichen Kündigung auf dieses Sanktionsschema. Er begründete die Veruntreuung von mehr als
100.000 EUR damit, dass er spielsüchtig sei. Deswegen hätte der Arbeitgeber nicht gleich kündigen dürfen,
sondern mit ihm zunächst ein Gespräch führen müssen.
Auch wenn Spielsucht als krankhafte Sucht anerkannt ist: Die Auslegung der Dienstvereinbarung lässt nur
den Schluss zu, dass es bei den Sanktionen um typische suchtbedingte Begleiterscheinungen - z.B.
Fehlleistungen und Zuspätkommen - handeln muss, aber nicht um Straftaten . Es gab immer wieder Phasen,
in denen der Gekündigte seine Pflichten ordnungsgemäß erfüllte. Den angeblichen Verlust seiner
Steuerungsfähigkeit konnte er nicht substanziiert darlegen. Hinzu kommt, dass § 626 Abs. 1 BGB für den
wichtigen Grund nicht zwischen betriebs-, personen- und verhaltensbedingten Gründen unterscheidet und
eine schwere Pflichtverletzung auch dann als Kündigungsgrund in Frage kommt, wenn das Verhalten nicht
schuldhaft ist ( ArbG Düsseldorf, 21.10.2014 - 2 Ca 3420/14 ).
3.83 Vorspiegeln von Vertragsabschlüssen
Spiegelt die Mitarbeiterin eines Anbieters von Telekommunikationsdienstleistungen ihrem Arbeitgeber
eine Steigerung des Shop-Ergebnisses und des Grades ihrer Zielerreixachung, der sich auf die Höhe ihres
Entgelts auswirkt, vor und hat sie dabei auch noch unberechtigt Kunden in Rahmenverträge gebucht und
an Kunden nur für Mitarbeiter vorgesehene Rabatte weitergegeben, ist das ein Verhalten, das grundsätzlich
kündigungsrelevant ist. Es handelt sich um einen erheblichen Verstoß gegen die Verpflichtung aus § 241
Abs. 2 BGB , auf die Interessen des Arbeitgebers als Vertragspartner Rücksicht zu nehmen. Je nach den
Umständen des Einzelfalls könnte so ein Verhalten - auch ohne vorherige Abmahnung - geeignet sein, den
wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB zu liefern (BAG, 23.10.2014 2 AZR 736/13) .
3.84 Vortäuschen einer Erkrankung
Wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGBG für eine außerordentliche Kündigung kann auch der Verdacht sein,
der Arbeitnehmer habe eine strafbare Handlung oder eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen. Man
kann in Fällen dieser Art, zu denen auch das "Erschleichen der Lohnfortzahlung" gehört, auch von einer
"Vertrauenskündigung" sprechen, weil erhebliche Verdachtsmomente das für die weitere Zusammenarbeit
notwendige Vertrauen zerstört haben. Genesungswidrig kann sich aber nur ein Arbeitnehmer verhalten, der
tatsächlich arbeitsunfähig ist. Dabei kommt es beim Verdacht des Vortäuschens einer Arbeitsunfähigkeit gar
nicht darauf an, ob sich der Arbeitnehmer gesundheits- oder genesungswidrig verhält. Entscheiden ist, "ob
er sich vorsätzlich so verhalten hat, dass nach allgemeiner Lebenserfahrung der Schluss gezogen werden
muss, er sei nicht arbeitsunfähig" ( BAG, 26.09.2013 - 8 AZR 1026/12 ).
3.85 Wahrheitswidrige Erklärungen
"Bewusst wahrheitswidrige Erklärungen, die ein Arbeitnehmer in einem Rechtsstreit mit seinem Arbeitgeber
abgibt, weil er befürchtet, mit wahrheitsgemäßen Angaben den Prozess nicht gewinnen zu können, können
geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen [es folgt ein Hinweis auf BAG, 08.11.2007 - 2 AZR
528/06] . Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Einordnung an; ein Arbeitnehmer, der
bewusst falsch vorträgt, um sich einen Vorteil im Rechtsstreit mit seinem Arbeitgeber zu verschaffen, verletzt
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in erheblicher Weise seine nach § 241 Abs. 2 BGB bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die
Interessen des Arbeitgebers" ( BAG, 23.10.2014 - 2 AZR 644/13 ).
3.86 WDR-Redakteur
Stimmt ein Redakteur das Erscheinen seines Buches über ein von der Pharmaindustrie abgelehntes
Medikament mit einem Fernsehbericht und seinem Auftritt in einer Fernsehsendung und der Markteinführung
dieses Medikaments ab, kann darin möglicherweise eine Missachtung journalistischer Pflichten gesehen
werden nur. Bei einer Kündigung ist jedoch eine Gesamtschau vorzunehmen. Danach ist die
außerordentliche Kündigung eines Redakteurs, der seit mehr als 20 Jahren für den Sender arbeitet und
mehrfach für seine journalistische Tätigkeit ausgezeichnet worden ist, wegen dieses Vorfalls nicht
gerechtfertigt ( ArbG Köln, 20.01.2011 - 6 Ca 4641/10 ).
3.87 Weigerung, auffälligen Firmenwagen zu fahren - 1
Der vereinfachte Fall: Arbeitgeber G, ein Kaffeevertrieb, hatte einen Firmenwagen neu gestaltet. Aus
Kaffeebohnen ragten zwei nackte Frauenbeine mit roten - halb ausgezogenen - Pumps heraus, daneben
stand der Spruch "Verführerisch LECKER". Der homosexuelle Arbeitnehmer N, der bei G seit fast 20 Jahren
Verkaufsfahrer war, hatte schon damit ein Problem. Als man dann an seinem Fahrzeug auch noch rote
Radkappen montiert hatte, wurde es ihm zu viel. "Mit so einem Puffauto fahre ich nicht", sagte N. G kündigte
daraufhin am 30.06.2015 fristlos, hilfsweise fristgerecht . Das KSchG fand auf N's Arbeitsverhältnis keine
Anwendung .
Für eine außerordentliche Kündigung reichte das Arbeitnehmerverhalten in diesem Fall nicht. Sie war
unverhältnismäßig . Erstens hatte der Arbeitgeber zuvor nicht abgemahnt, zweitens sei zugunsten des
gekündigten Mitarbeiters die lange - und bis dahin ohne Beanstandung gebliebene - Beschäftigung zu
berücksichtigen. Gegen die ordentliche Kündigung konnte sich der Arbeitnehmer dagegen nicht wehren, weil
das KSchG in G's Kleinbetrieb keine Anwendung fand. Ein Verstoß gegen das AGG, der eine Kündigung
schon hätte unwirksam machen können , sei hier auszuschließen. N sei nicht wegen seiner sexuellen Identität
benachteiligt worden. Es sei nicht feststellbar, dass N's Homosexualität G's Motiv für die Zuweisung des
auffällig mit nackten Frauenbeinen gestalteten Firmenwagens war (ArbG Möchengladbach, 14.10.2015 - 2 Ca
1765/15 - mit dem Hinweis, dass der Arbeitgeber grundsätzlich die Möglichkeit hat, seinen Arbeitnehmern ein
nach seinen Vorstellungen gestaltetes Fahrzeug zuzuweisen).
3.88 Weigerung, auffälligen Firmenwagen zu fahren - 2
Das LAG Düsseldorf hat die vorausgehende Entscheidung des ArbG Mönchengladbach in seiner mündlichen
Verhandlung am 07.06.2016 für zutreffend gehalten. Die ordentliche Kündigung sei nicht zu beanstanden,
weil der klagende Arbeitnehmer in einem Kleinbetrieb beschäftigt war. Für eine außerordentliche
Kündigung, meinte das LAG, fehle der wichtige Grund . Immerhin habe der Arbeitnehmer seine Arbeit seit
fast 20 Jahren unbeanstandet geleistet und hätte vor einer außerordentlichen Kündigung abgemahnt
werden müssen. Die Parteien haben sich dann auf eine einvernehmliche Beendigung ihres
Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2015 verständigt . Das LAG hatte danach nur noch über die Verfahrenskosten
zu entscheiden ( LAG Düsseldorf, 07.06.2015 - 8 Sa 1381/15 ).
3.89 Zeiterfassungsmanipulation
Die systematische Manipulation von Zeiterfassungsdaten ist als schwerwiegende arbeitsvertragliche
Pflichtverletzung als wichtiger Grund durchaus für eine außerordentliche Kündigung geeignet. Weist ein
Arbeitnehmer einen Auszubildenden an, für eine etwa einminütige Hilfeleistung - Anhalten einer
Pkw-Verkleidung zur Vorbereitung eines Ölwechsels - sich nicht in das Zeiterfassungssystem für
Kundenaufträge einzustempeln (obwohl das vom System vorgegeben ist), reicht das nicht für eine
außerordentliche Kündigung aus. Hier handelt es sich um eine verhältnismäßig geringfügige Verletzung
arbeitsvertraglicher Pflichten - zumal der Arbeitgeber auch keine präzisen Anweisungen zum Einstempeln für
die unterschiedlichen Arbeiten gegeben hatte ( LAG Schleswig-Holstein, 29.03.2011 - 2 Sa 533/10 ).
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