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128 Procycling September 2014 Schwarze Segel So haben wir getestet Auf der Bahn Mit jedem Laufradsatz fuhr Lars Teutenberg rund vier Kilometer im Oval bei konstant 45 km/h. Inklusive Aufwärmen und Vergleichsfahrten, um die Auswirkungen der Temperaturunterschiede zwischen Morgen und Mittagszeit zu ermitteln, kam Teutenberg damit auf ein Tagespensum von rund 100 Kilometer – bei Renntempo. Durch die leichten Schlingerbewegungen, die selbst bei sehr konstanter Fahrt auf der Bahn entstehen, kommen die Verhältnisse auf der Bahn einer Anströmung von null bis drei Grad gleich. Im Labor Im Labor der Firma Syntace ermittelten wir die zur Drehbeschleunigung der Laufräder nötigen Kräfte sowie die Seitensteifigkeit der Laufräder. Für Ersteres wird das jeweilige Laufrad horizontal eingespannt (also waagerecht liegend) und gegen eine Feder in Schwingungen versetzt. Aus der Dauer der Pendelbewegung lässt sich die Kraft berechnen, die benötigt wird, um das Rad in eine Drehbewegung zu versetzen. Die Seitensteifigkeit wird ermittelt, indem das an der Nabe eingespannte Laufrad an der Felge in seitlicher Richtung mit einer definierten Kraft (20 Kilogramm) belastet wird. Eine Radlast von 50 Kilogramm simuliert dabei das Fahrergewicht. Die Auslenkung der Felge wird in Millimetern angegeben. Zehn Aero-Laufräder im Test Im zweiten Teil unseres großen Specials stellt Procycling zehn Aero-Radsätze vor, die sich auf der Bahn, im Labor und in der Praxis bewähren mussten. Text Caspar Gebel Fotografie Marco Felgenhauer (Produkte), Caspar Gebel A ero-Laufräder sind längst auch bei Straßenfahrern populär. Hatten die frühen Vertreter der Gattung noch erhebliche Gewichtsnachteile, sind mit Carbon-Felgen aufgebaute Radsätze, die nur rund anderthalb Kilo wiegen, nun bereits zu Preisen um 1.500 Euro erhältlich. Zumindest bei Trockenheit macht auch das Bremsverhalten der Carbon-Felgen keine Probleme mehr. Und seit etliche Profis mit Zipp und anderen Marken selbst auf dem Kopfsteinpflaster Belgiens und Nordfrankreichs unterwegs sind, macht man sich auch über die Haltbarkeit der Faser-Felgen keine Gedanken mehr. Wie gut sich ein Radsatz gegen den Wind schlägt, sieht man ihm allerdings nicht unbedingt an. Eine tiefe Felge alleine garantiert noch keine überlegene AeroPerformance; auch andere Merkmale sind von Bedeutung. Ein geringer Flanschabstand etwa senkt den Luftwiderstand, ebenso eine ungleichmäßige Verteilung der Speichen am Hinterrad, wobei links weniger Speichen sitzen müssen als rechts. Auch eine breitere Felge wirkt sich in der Regel positiv aus. Definitive Aussagen lassen sich nur mit Messungen treffen, wie wir sie mit Lars Teutenberg auf der Radrennbahn in Büttgen durchführten. Der Topzeitfahrer fuhr jeden Radsatz rund vier Kilometer bei 45 km/h. Die bei Nach jeder Messfahrt überträgt Lars Teutenberg die Daten vom SRM auf den Rechner. Windstille auf der Bahn gemessenen Werte sind dabei durchaus auf die Verhältnisse auf der Straße übertragbar, so Jo Klieber, Chef der Firma Syntace, die für Procycling Trägheits- und Steifigkeitsmessungen durchführte. „Gut ausgestaltete AeroFelgen und -Laufräder bieten bereits bei Windstille deutliche, bei starkem Gegenwind aber nochmals deutlich höhere Widerstandsreduzierungen, als dies auf der Bahn messbar ist.“ (Siehe Interview auf Seite 135) Was die Auswirkung von Seitenwind angeht, ist zu beachten, dass der von vorne blasende Fahrwind immer der Hauptgegner ist. Seitliche Winde wirken sich vor allem bei sehr tiefen und gleichzeitig leichten Felgen ungünstig aus, da sie die Fahr stabilität beeinträchtigen und die Lenkung anfällig für Windböen machen können. Im Windkanal lässt sich beobachten, dass manche Räder „Vortrieb erzeugen“, also bei widrigem Wind zu rotieren beginnen. Ob und wie das in der Praxis Vorteile bringt, ist schwer einzuschätzen. Eine bei den Ergebnissen auf der Bahn nicht zu vernachlässigende Komponente ist der Rollwiderstand. Bei gleichem Druck und gleichem Auf bau benötigen Schlauchreifen rund vier Watt mehr Leistung. Auf breite Felgen gezogene Faltreifen rollen nach Messungen von Schwalbe leichter, was pro Laufrad ein bis eineinhalb Watt ausmachen kann. Procycling September 2014 129 AX Lightness Stream 55 Aero DT Swiss (Schlauchreifen) VR HR Felgenhöhe 5555 Felgenbreite 2727 Speichenzahl 1620 Gewicht (in Gramm) 543,7 679,4 Seitensteifigkeit (Auslenkung in Millimeter bei 20 Kilogramm Last) 4,53 7,5 Trägheit (in kg ∙ cm2) 336,1346,7 1.488 € Der vergleichsweise preiswerte DT-Radsatz punktet mit hoher Steifigkeit beim Antritt und konkurrenzfähigem Gewicht. Beim Aero-Test auf der Bahn liegen die Schweizer Räder im Mittelfeld, wobei die Unterschiede eher messals spürbar sind. Die innenliegenden Speichnippel dürften minimale Vorteile bringen. Das Fahrverhalten ist im positiven Sinne unauffällig, womit sich die Schweizer Laufräder als gute Allrounder empfehlen. Hervorzuheben ist auch der innovative Zahnscheibenfreilauf, der werkzeuglos abgezogen werden kann und leicht zu warten ist. 130 VR HR Felgenhöhe 5555 Felgenbreite 2121 Speichenzahl 2024 Gewicht (in Gramm) 672,8 888 Seitensteifigkeit (Auslenkung in Millimeter bei 20 Kilogramm Last) 3,32 5,1 Trägheit (in kg ∙ cm2) 441,0460,2 Procycling September 2014 Gesamtleistung bei 45 km/h (in Watt) 341,0 Gesamtleistung bei 40 km/h (in Watt)246,6 Satzgewicht (in Gramm) 1.560,8 Gesamtleistung bei 45 km/h (in Watt) 346,2 Gesamtleistung bei 40 km/h (in Watt)250,4 Satzgewicht (in Gramm) 1.223,1 Lightweight Meilenstein Obermayer Der Radsatz der Superlative lässt blitzschnellen Tempogewinn zu und erzeugt durch das minimale Felgengewicht eine extrem agile, nervöse Lenkung. Die Felgenform ist klassisch, nämlich schmal und spitz zulaufend. Auf der Bahn liefern die Meilensteine damit den Bestwert aller Schlauchreifen-Radsätze ab; der baugleiche (wenngleich deutlich schwerere) Clincher-Radsatz dürfte in etwa auf dem Niveau der Zipp 404 sein. Die Seitensteifigkeit liegt im üblichen Bereich; damit liegen die Meilensteine satt in der Kurve und fangen beim harten Herausbeschleunigen nicht zu springen an. VR HR Felgenhöhe 4747 Felgenbreite 2020 Speichenzahl 1620 Gewicht (in Gramm) 401,6 555,5 Seitensteifigkeit (Auslenkung in Millimeter bei 20 Kilogramm Last) 3,45 4,5 Trägheit (in kg ∙ cm2) 251,5256,7 Gesamtleistung bei 45 km/h (in Watt) 343,8 Gesamtleistung bei 40 km/h (in Watt)248,7 Satzgewicht (in Gramm) 957,5 4.480 € DT Swiss RC55C Spline merkt man den AX Lightness ihr äußerst geringes Gewicht an. Sie lassen sich extrem gut beschleunigen, führen aber auch zu einem agil-nervösen Verhalten der Rennmaschine. Gerade am Vorderrad macht sich die Kombination aus geringer richtungsstabilisierender, kreiselnder Masse und tiefem Felgenprofil bemerkbar. 2.499 € Die sehr leichten AX Lightness vertrauen auf verlässliche DT-Naben, deren Tangentialspeichen für eine gefühlt hohe Steifigkeit im Antritt sorgt. Die breiten Felgen lassen eine gute Aerodynamik vermuten, allerdings kostet der (bei gleichem Luftdruck) höhere Rollwiderstand der geklebten Reifen einige Watt. Auf der Straße Mavic Cosmic Carbone 40C VR HR Felgenhöhe 4040 Felgenbreite 1919 Speichenzahl 1624 Gewicht (in Gramm) 682,2 874,4 Seitensteifigkeit (Auslenkung in Millimeter bei 20 Kilogramm Last) 3,7 4,1 Trägheit (in kg ∙ cm2) 460483,9 Vergleich zu Wettbewerbern mit 50 oder 60 Millimetern. Auf der Straße reagieren die Mavics in allen Situationen ausgewogen und berechenbar. Sie wirken sich nicht nachteilig auf die Lenkung aus und fühlen sich ausgesprochen schnell an. Gesamtleistung bei 45 km/h (in Watt) 339,1 Gesamtleistung bei 40 km/h (in Watt)245,9 Satzgewicht (in Gramm) 1.556,6 Procycling September 2014 2.000 € Mit ihren schmalen Carbon-Felgen, die ein leicht gerundetes Profil aufweisen, liefern die Mavics eine Spitzenleistung auf der Bahn ab. Dass ihre Carbon-Felgen nur 40 Millimeter tief sind, spricht für eine geringere Seitenwindempfindlichkeit im 131 Oval Concepts 946 VR HR Felgenhöhe 4747 Felgenbreite 2121 Speichenzahl 2024 Gewicht (in Gramm) 669,5 853,4 Seitensteifigkeit (Auslenkung in Millimeter bei 20 Kilogramm Last) 3,0 4,6 Trägheit (in kg ∙ cm2) 429,5437,6 Ritchey WCS Carbon Apex 46 1.499 € Der seitensteife Ritchey Apex ist auch in allen sonstigen Belangen gelungen. Mit unter 1.500 Gramm ist der Carbon-Radsatz recht leicht, damit ausgesprochen preisgünstig. Außerdem rollt er aerody namisch ganz vorne mit. Dabei ist der Flanschabstand am Vorderrad eher groß, die Felge eher schmal und die 24 Speichen 132 VR HR Felgenhöhe 4646 Felgenbreite 2121 Speichenzahl 2024 Gewicht (in Gramm) 637,2 839,2 Seitensteifigkeit (Auslenkung in Millimeter bei 20 Kilogramm Last) 2,96 4,4 Trägheit (in kg ∙ cm2)455,05 464,1 Procycling September 2014 im Hinterrad sind gleichmäßig verteilt – alles Details, die sich meist negativ auf die Windschlüpfigkeit auswirken sollten, hier aber offensichtlich keinen großen Einfluss haben. Im Fahrbetrieb zeigt der RitcheyRadsatz keine besonderen Auffälligkeiten, womit sich auch diese Aero-Räder als gute Allrounder empfehlen. Gesamtleistung bei 45 km/h (in Watt) 337,7 Gesamtleistung bei 40 km/h (in Watt)244,9 Satzgewicht (in Gramm) 1.476,4 stand auf der Bahn dürfte der Auf bau des Hinterrades mit gleichmäßig auf beide Seiten verteilten Speichen sein. Beim Oval/ 24 sitzen an der linken, stärker dem Wind ausgesetzten Seite des Hinterrades nur acht Speichen. Beim Fahrtest machen die Ovals einen eher unspektakulären Eindruck, wirken verlässlich und solide. Gesamtleistung bei 45 km/h (in Watt) 340,3 Gesamtleistung bei 40 km/h (in Watt)246,7 Satzgewicht (in Gramm) 1.522,9 1.599 € Trotz seiner tiefen Carbon-Felgen ist der Oval 946 überraschenderweise weniger aerodynamisch als der Allround-Laufradsatz aus gleichem Hause. Letzterer ist zudem etwas leichter und kostet einen glatten Tausender weniger. Nur in Sachen Seitensteifigkeit schneidet der Aero-Radsatz besser ab. Ein Grund für den Rück- Shimano Dura Ace WH-9000 C50 CL Beim Dura-Ace C50 kombiniert Shimano ein Aluminium-Felgenbett mit einer Carbon-Verkleidung, was verlässliche Bremseigenschaften und viel Stabilität bei guter Aerodynamik und akzeptablem Gewicht bringen soll. Dabei zeigen die japanischen Laufräder, dass es gar nicht einfach ist, beides zusammenzubringen. Der große Flanschabstand vorne wie hinten macht den C50 CL zum seitensteifsten Laufradsatz im Test, ist aber im Wind ungünstig. Gut gewählt ist die Verteilung der Speichen im Hinterrad. Auf der Bahn belegt der Clincher-Radsatz einen Platz im Mittelfeld; ein identisch gebauter Shimano-Satz mit Schlauchreifen kostet knappe vier Watt mehr Leistung – wohlgemerkt bei gleichem Luftdruck. Auf der Straße erfreut der Shimano-Radsatz mit sehr gutem Bremsverhalten und großer Laufruhe, was besonders bei hohem Tempo ein großes Plus ist. Beides verdankt der C50 CL dem schweren Alu-Felgenbett. Felgenhöhe Felgenbreite Speichenzahl Gewicht (in Gramm) Seitensteifigkeit (Auslenkung in Millimeter bei 20 Kilogramm Last) Trägheit (in kg ∙ cm2) VR HR 5050 2222 167 li./14 re. 795,9 990,1 2,66 3,48 547,2578,8 Gesamtleistung bei 45 km/h (in Watt) 341,6 Satzgewicht (in Gramm) 1.786 1.999 € Gesamtleistung bei 40 km/h (in Watt) 246,9 Tune Airways VR HR Felgenhöhe 4141 Felgenbreite 2626 Speichenzahl 2024 Gewicht (in Gramm) 529,1 669,8 Seitensteifigkeit (Auslenkung in Millimeter bei 20 Kilogramm Last) 3,60 5,1 Trägheit (in kg ∙ cm2) 381,6387,9 2.499 € Die in Österreich gefertigten Xentis-Laufräder setzen auf eher schmale Felgen mit innenliegenden Speichennippeln und eine gleichmäßige Verteilung der Speichen. Auf der Straße erfreuen die Xentis durch große Agilität und leichtfüßige Beschleunigung, was bei knapp über 1.200 Gramm Gewicht kein Wunder ist. Dabei sind sie wiederum relativ nervös und verlangen eine feste Hand am Lenker. Auf der Bahn liegen sie dann auf dem Niveau ähnlich konstruierter Schlauchreifen-Radsätze. Der nur wenig schwerere und zum gleichen Preis erhältliche Clincher-Radsatz dürfte sich (bei gleichem Luftdruck) besser schlagen. 134 VR HR Felgenhöhe 4242 Felgenbreite 2121 Speichenzahl 2024 Gewicht (in Gramm) 544 662,3 Seitensteifigkeit (Auslenkung in Millimeter bei 20 Kilogramm Last) 3,86 6,1 Trägheit (in kg ∙ cm2) 341,7349,4 Procycling September 2014 Gesamtleistung bei 45 km/h (in Watt) 346,4 Gesamtleistung bei 40 km/h (in Watt)250,6 Satzgewicht (in Gramm) 1.206,3 Gesamtleistung bei 45 km/h (in Watt) 338,6 Gesamtleistung bei 40 km/h (in Watt)244,8 Satzgewicht (in Gramm) 1.198,9 Zipp 404 Firecrest Carbon Die tiefen 404 ziehen alle Register mit Golf ball-Oberfläche, „bauchiger“ Felgenform und Windabweisern an der Nabe, die freilich exakt ausgerichtet werden müssen. Auf der Straße ist man mit dem recht leichten Radsatz flott unterwegs; gerade bei wechselnden Winden meint man die behauptet guten Eigenschaften bei Seitenwinden zu spüren. Dabei wirken sich die vergleichsweise tiefen Felgen nicht nachteilig aus. Deren spezielle Form soll stoßdämpfend wirken, und in der Tat rollen die US-Räder sehr leichtfüßig und geschmeidig dahin. Auf der Bahn schlagen sich die 404 sehr gut, müssen sich aber auch Konkurrenz von weniger spezialisierten Radsätzen gefallen lassen. Bei frontaler Anströmung zwischen null und drei Grad scheinen sie ihre Vorteile nicht optimal ausspielen zu können. VR HR Felgenhöhe 5858 Felgenbreite 26,526,5 Speichenzahl 1824 Gewicht (in Gramm) 723,2 886,8 Seitensteifigkeit (Auslenkung in Millimeter bei 20 Kilogramm Last) 3,93 5,1 Trägheit (in kg ∙ cm2) 480,9492,0 Gesamtleistung bei 45 km/h (in Watt) 339,2 Gesamtleistung bei 40 km/h (in Watt)245,9 Satzgewicht (in Gramm) 1.610 2.525 € Xentis Squad 4.2 (Schlauchreifen) keit lassen sich damit bis zu 1,5 Watt Leistung pro Laufrad sparen, haben Messreihen der Firma Schwalbe ergeben. Und auch das Durchschlagsrisiko wird reduziert. Auf der Bahn erfreuen die TuneRäder jedenfalls mit erfreulich geringem Leistungsbedarf; was die Seitensteifigkeit angeht, schlagen sie sich ebenfalls sehr gut. Auf der Straße fällt die im Vergleich zu anderen Leichtgewichten höhere Laufruhe positiv auf; auch auf Seitenwind reagieren die Tune-Räder weniger empfindlich. 2.824 € Mit den Airways bietet Tune einen ungeahnt leichten Faltreifen-Radsatz an. Die Testversion wiegt unter 1.200 Gramm, obwohl vollwertige Aerofelgen verbaut werden. Mit ihrer Breite von 26 Millimeter werden sie nicht nur optimal umströmt, sondern verringern auch den Rollwiderstand, indem sie den Reifen in eine günstigere Form bringen: Seine Aufstandsfläche wird breiter, aber dafür kürzer, was die Walkarbeit des Reifens reduziert. Abhängig vom Luftdruck und der Geschwindig- Im Interview: Syntace-Chef Jo Klieber über Aero-Laufräder den Krafthöhepunkten. Eine ganz ähnliche Situation übrigens wie mit den unsterblichen „Federkurbeln“. Wie kommt es, dass etwa bei Unter schieden im Laufradgewicht, die sich im Grunde nur minimal auswirken soll ten, die Fahrer große Unterschiede spüren oder zu spüren glauben? Ist der Mensch da so viel sensibler als der Versuchsaufbau im Labor oder ist auch Psychologie im Spiel? Ja, Gedanken impfen uns hier. Denn im Fahrbetrieb ist unser Problem die mangelnde Verfügbarkeit eines objektiven Back-to-back-Vergleichs. Man bräuchte hierzu schnelle Wechsel zwischen mehreren baugleichen Fahrrädern mit bereits fix eingebauten, unterschiedlichen Testlaufrädern. Alle mit exakt ausgewogenen, gleich schweren Reifen, identischem Luftdruck, gleichem Kettenwirkungsgrad, eine immer genau gleiche Beschleunigungsleistung des Fahrers auf der immer gleichen Strecke mit immer gleichen Windbedingungen. Und einen Fahrer, der nicht nur mindestens stark sehbehindert, sondern dazu auch noch völlig emotionslos ist. Wie groß müssten messbare Unter schiede sein, damit sie auch spürbar sind? Gibt es Blindtests etwa bei Lauf rädern, die das Gefühl des Fahrers be stätigen/widerlegen? Wohl im Bereich ab einem Prozent der Gesamtleistung des Fahrers. Objektive Blindtests oder gar Laborversuche, die etwa einen gefühlten großen Vorsprung eines nackten Laufrades mit niedrigerem MOI-Wert bestätigen, gibt es nach meinem Wissensstand bis heute nicht, über die Auswirkungen der Reifenwahl aber sehr wohl. Wenn man den vermeintlichen Leis tungsverlust durch ein zu weiches Laufrad zu spüren meint – müsste man dann nicht auch spüren, wie das Lauf rad die Energie „zurückgibt“? Nein, denn die Rückspeisung der Spannenergie erfolgt leider phasenversetzt erst nach den alle 180 Grad auftreten- Wie relevant sind unsere auf der Bahn gemessenen Leistungswerte ange sichts der Tatsache, dass dort ja Wind stille herrscht? Sie unterscheiden sich in freier Wildbahn eigentlich nur in zwei Punkten. Erstens: Gut ausgestaltete Aero-Felgen und -Laufräder bieten bereits bei Windstille deutliche, bei starkem Gegenwind aber nochmals deutlich höhere Widerstands reduzierungen, als dies auf der Bahn messbar ist. Denn die zur Überwindung des Luftwiderstands nötige Leistung steigt mit steigender Anströmgeschwindigkeit nicht etwa proportional gleichmäßig an, sondern schnellt in der dritten (!) Potenz nach oben. Hier erarbeiten sich „schnelle“ Laufräder also einen nur noch schwer einzuholenden Vorsprung. Zweitens: Je stärker der Seitenwind bläst, umso mehr reduziert sich der Vorteil eines schnellen Laufrads oder kehrt sich bei ungünstiger ausgelegten Profilen in Luftwiderstands- und Steuerungsnachteile um. Bei normalen, kleinen KastenprofilFelgen sind diese Unterschiede zwischen Bahn- und Straßenleistung nur in geringem Umfang bemerkbar. Wie stark wirkt sich der viel beschrie bene „Segeleffekt“ bestimmter Lauf räder in der Praxis aus? Kann ich mit speziell ausgeformten Laufrädern tat sächlich „gegen den Wind segeln“? Nein, als Fahrradfahrer gegen den Wind segeln ist leider nur im Märchen – oder etwa durch Installation eines schräg zur gewünschten Fahrtrichtung stehenden, um die Hochachse drehbar gelagerten Segels – möglich, wie auf einem Windsurfbrett. Oder auf einer Fahrbahn mit etwa der Breite eines Fußballfeldes, damit du schön den nötigen Zickzackkurs fahren, sprich: gegen den Wind kreuzen kannst. Wie wirkt denn dann eine seitliche Windkomponente? Nun, mit Seitenwind segeln ginge schon etwas simpler, schräg zur Fahrtrichtung liegende, drehbare Flächen würden bereits genügen, auch ohne Zickzackkurs. Im Ernst: Eine Seitenanströmung des Fahrradfahrers, seines Rads und der darin rotierenden Laufräder führt immer zu einer Vergrößerung der „angeblasenen“ Fläche A sowie zu einer Verschlechterung des Luftwiderstandsbeiwerts Cw praktisch aller Teile des Fahrrads und des Fahrers. Denn diese sind in ihrer Windschlüpfigkeit schlauerweise auf den vorherrschenden Fall der Frontanströmung optimiert. In der Formel der Luftwiderstandskraft F sieht man schön den Zusammenhang und übrigens auch den verheerenden Einfluss der „Anblasgeschwindigkeit“ v. Denn sie ist die einzige Einflussgröße, die im Quadrat eingeht: F = cw • A • v2 • ρ/2 Das heißt: Verdoppelt sich die Anströmgeschwindigkeit v durch zum Beispiel eine Böe, vervierfacht (!) sich der Luftwiderstand. Viel Seitenwind heißt also viel Plackerei für wenig Vortrieb, nur noch übertroffen durch den Gegenwind. Übrigens: Man kann in der Formel ruhig ρ/2 vernachlässigen; dies beschreibt bloß den Einfluss der Luftdichte, der für uns Fahrradfahrer in der Praxis keinen großen Unterschied macht, außer man plant einen Stundenweltrekord in der Höhenluft von Mexiko. Bleibt uns nur der Rückenwind … In Ermangelung der oben beschriebenen Segelausrüstung bleibt dem Fahrradfahrer, soweit ich das heute erfassen kann, mit seinen in der Realität ja perfekt längs zur Fahrtrichtung starr angebrachten „Flächen“ tatsächlich nur das Segeln vor dem Wind, sprich: der Rückenwind. Wenigstens schräg von hinten und dabei schneller als der Fahrtwind sollte er sein. Am besten aber eliminiert er natürlich unseren bremsenden Fahrtwind oder schiebt uns gar ohne unser Zutun voran, wenn er ganz genau von hinten kommt. Hier decken sich Theorie und Praxis quer durch die Religionen erfreulicherweise einmal völlig. Auf der Bahn haben wir festgestellt, dass man einem Laufrad seine aerody namischen Qualitäten nicht unbedingt ansieht (z. B. Fulcrum 1). Wie stark kann der Ingenieur die Aero-Performance wirklich beeinflussen und verbessern? Primär: So gut, wie er die wirklichen Strömungsverhältnisse versteht. Außerdem ist wichtig, wie viel Material und Gewicht er verbraten darf sowie welche Festigkeits- und Steifigkeitskompromisse er eingehen darf. Das zweitbeste Laufrad auf der Bahn war ja eines mit flacher Alu-Felge und außenliegenden Nippeln, aber immer hin Flachspeichen – und besser als das anderthalb mal teurere Aero-Laufrad desselben Herstellers. Wie kann das sein? Laufräder drehen sich, aerodynamisch betrachtet, nicht, wie landläufig angenommen, um die Nabenachse, sondern um den Radaufstandspunkt. Das führt am oberen Reifenpunkt, also bei „12 Uhr“, zu einer Anströmgeschwindigkeit, die genau das Doppelte der Fahrgeschwindigkeit beträgt. Da wir bereits wissen, dass der Luftwiderstand sich dadurch vervierfacht und die zu seiner Überwindung nötige Leistung sich sogar verachtfacht, ist uns schnell klar, dass das obere Drittel des Laufrades die hauptsächliche Windbremse sein muss. Dort findet die Anströmung der Speichen quer zum Draht, die des Reifens sowie des daran anschließenden Felgenprofils aber eben nicht, wie von manchem Felgen-Designer wohl präferiert, rechtwinklig zum Profilquerschnitt, sondern eher schon längs dazu statt. Und zu allem Überfluss wird dieser Profilquerschnitt über circa zwei Drittel des Laufradumfangs sowohl von vorne als auch noch quasi von hinten angeströmt – adieu, du schönes Ideal des schlanken „Tropfenprofils“. Wer das einmal intus hat, kann durch die vorrangige Optimierung des Gesamtsystems aus Nabe, Speiche, Felge und Reifen überraschende Leistungswerte erreichen. Procycling September 2014 135