Geistlicher Lehrer zwischen den „Welten“: Der Priester
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Geistlicher Lehrer zwischen den „Welten“: Der Priester
Geistlicher Lehrer zwischen den „Welten“: Der Priester, Religionsphilosoph und Theologe Eugen Biser im 95. Lebensjahr 1. Geschützte Kindheit im Kaiserstuhl: Der Lehrerssohn Oberbergen im Kaiserstuhl, dieser malerische Ort des Obst- und Weinbaus, der Orchideen und gastfreundlichen Menschen, ist der Geburtsort von E. B. Dort wurde er im Hungerwinter des letzten Kriegsjahres 1918 am 06. Januar geboren. Er blieb Einzelkind. Seinem Heimatort ist er sein Leben lang in Treue verbunden; er, der Ehrenbürger von Oberbergen. Wer seine Persönlichkeit und sein Lebenswerk auch nur ansatzweise verstehen möchte, sollte hier, in dem 1000-Seelen-Ort beginnen. Sein Elternhaus steht dort renoviert noch heute, unweit der katholischen Kirche im Dorfkern. Es ist das alte Schulhaus. Vater Karl Biser war hier jahrzehntelang Schulleiter, Onkel Eugen Biser Pfarrer in Breisach. Die neue Oberbergener Grundschule heißt „Eugen Biser Grundschule“. Mitte der 90er Jahre wurde sie feierlich eingeweiht mit hoher Politprominenz. Wie gesagt, man muss Oberbergen besuchen, um E. B.‘s fortwirkenden Ursprung zu verstehen. Der Ort liegt in einem im Winter wärmenden, im Sommer brütend heißen Vulkankegel. In diesem landschaftlich bezaubernden, damals aber ärmlich-kleinbäuerlichen Milieu gepflegten Traditionskatholizismus wuchs das Kind Eugen auf. Voller Lerneifer, unsagbar pünktlich und durchsetzungswillig sei der Eugen gewesen. So erzählt 80 Jahre später der Seniorchef des „Goldenen Hirschen“ im Champagnerlager seines Gourmetrestaurants. Er erzählt es Mitgliedern der Klasse „Weltreligionen“ der „Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste“ (Salzburg). Mit E. B., ihrem Dekan, kam sie – wie schon öfters – zum Studien- und Milieubesuch nach Oberbergen. 1 2. Gefährdete Jugend- und Soldatenjahre: Der Spatenmann In den 1920er Jahren war E. B. im Kaiserstuhl noch familiär und milieumäßig beschützt. Erfinderisch bastelt er, der Realschüler, sein erstes Radio, das irgendwie funktionierte. Einige Jahre später, mit den „Volksempfängern“ in den Wohnzimmern kamen auch die Nazionalsozialisten und ein Gefühl von chronischer Bedrohung in die Jugendjahre des Gymnasiasten. Eltern, Onkel und er selbst waren dezidiert katholisch. Eugen mied die nationalsozialistischen Bewegungen, ihre Versprechungen und Vereinnahmungen. Dann aber, 1938 wurde er als „Spatenmann“ zum „NSArbeitsdienst“ eingezogen: Der 38er Sommer, so erzählte er, war sehr heiß, besonders im Vulkankegel mit seinen die Sonnenhitze reflektierenden Lehm- und Lössböden. Dort hakte E. B., lockerte die Erdböden schweißbedeckt mit seinem Spaten. Eben dieser Spaten kam auch zum filmreifen Einsatz beim Nürnberger Reichsparteitag der NSDAP 1938. Zwangsverpflichtet musste der 20-jährige E.B. mitmarschieren als „Spatenmann“, mit Tausenden in Uniform, vorüber am „Führer“ auf der Tribüne. „Ich habe seine Augen gesehen. Der will Krieg. Es wird Krieg geben“. Wieder zuhause im Schulhaus von Oberbergen sagte E. B. genau diese Sätze zu seinem Vater Karl. Der große Krieg kam bald, machte das nachbarliche Elsass zum Feindgebiet und nahm den sensiblen (Theologie-)Studenten mit unter die Frontkämpfer. 1942 wäre er fast erschossen worden und zwar von einem Truppengericht der Wehrmacht. „Wehrkraftzersetzung“ und „Defetismus“ warf man ihm vor, nur weil er leise Zweifel äußerte an den offiziellen Versenkungszahlen der deutschen Kriegsmarine. Durch Zwangsversetzung entging er der Exekution nur um Haaresbreite, um bald danach im Fronteinsatz lebensgefährlich an der Lunge verwundet zu werden. Aus 2 dieser Leidenszeit gibt es kaum schriftliche Aufzeichnungen von ihm. Gewiss ist, dass er, wann immer ihm möglich, katholische Autor(innen) las, wie Gertrude von le Fort, Reinhold Schneider u.a. Notdürftig genesen schickte man ihn, den seitens der Nazis als „unzuverlässig“ Deklarierten, immer wieder an wechselnde Fronten. Als im Mai 1945, nach dem extrem kalten, letzten Kriegswinter der blutige Wahnsinn in Kapitulation (08.08.1945) umgeschlagen war, blühten die Obstbäume im Kaiserstuhl in heftigem Weiß. Drei Nächte lang erleuchteten sie für E. B. die „dunkle Zeit“. Der ging schlaflos hinauf auf den Kegelrand des Kaiserstuhls, um dieses lautlose Aufscheinen als Trost wahrzunehmen. Der „Kulturkampf“ der Nazionalsozialisten gegen die christlichen Kirchen war definitiv im Inferno zusammengebrochen. Baden und damit die Erzdiözese Freiburg wurden französisches Besatzungsgebiet. Die höchst mühsam unter Erzbischof Gröber (1932-1948) erhaltenen kirchlichen Diözesan- und Seelsorgsstrukturen sollten vorrangig personell wieder aufgebaut werden. Das verlangte nach Gemeindepriestern, Kaplänen und Pfarrern in weitläufigen (Schwarzwald-)Pfarreien. 3. Kaplansjahre zwischen Seelsorge und Wissenschaft: Der (Motor-)Radfahrer Tausende junger deutscher Männer traten nach Kriegserfahrung und Gefangenschaft (wieder) in die Priesterseminarien ein, wo auf langen Tafeln bald schon die Namen der Kandidaten sich reihten, die zum Kriegsdienst gepresst und „gefallen“ waren. Eine neue Glaubenswelle des (west-)deutschen Katholizismus ging u.a. von dieser Priestergeneration aus. E.B. gehört ihr an. Sie alle studierten höchst zielstrebig Theologie (zu Ende), um Kapläne der praktischen Seelsorge zu werden. Der junge Kaplan E.B. fuhr mit einem alten Fahrrad die bergige Schwarzwaldpfarrei ab, der er zugewiesen war. Seine nachwirkenden Kriegsverwundungen ließen diese Über3 anstrengungen eigentlich gar nicht zu. Besorgte Freunde und Gönner schenkten dem etwa 30-Jährigen ein Motorrad. Eine Gabe, die vielleicht sein Leben erhielt. Noch mit weit über 80 Jahren wird E. B. als emeritierter Professor auf seiner Vespa mit lederner Aktentasche die Münchner Leopoldstraße befahren. Motorradfahren blieb für ihn mehr als Fortbewegung, nämlich ein Akt persönlicher Freiheit. Zu Beginn der 50er Jahre begannen sich die Pastoralstrukturen, Personal- und Finanzmittel der Diözese(n) zu konsolidieren. Demnach konnte ein auch noch so begabter Kaplan kaum seine Freistellung zum „höheren Studium“ (z.B. zur Promotion) erwarten. Mittlerweile zum Religionslehrer an einem kirchlichen Mädchengymnasium geworden, studierte und schrieb E. B. regelmäßig des Nachts. Kurzzeitig erblindete er, fand aber das Augenlicht wieder. Schließlich wurde seine moraltheologische Promotionsarbeit an der Freiburger Universität aus fakultätspolitischen Gründen nicht angenommen. E. B. gab jedoch nicht auf. Hingegen orientierte er sich neu, d.h. weg von der Moraltheologie, hin zur Mystik Gertrudes von le Fort, zur spirituellen Theologie und Mystagogie. Nach entbehrungsreichen Jahren wurde 1956 seine Dissertation endlich angenommen. Ihr folgte 1961 E. B.‘s zweite Promotion bei dem bekannten jüdischen Philosophen Karl Löwith. Mit den Literatur- und Sprachwissenschaften suchte E. B. schon deshalb regen Austausch, weil sich sein Forschen wie seine Studien bei aller Vielfalt und allem ingeniösem Einfallsreichtum auf das Dreigestirn einpendelten von: Sprache, Mensch, christlicher Erlösungsreligion. 1965 habilitierte der 47-Jährige demgemäß zum Thema „Theologische Sprachtheorie und Hermeneutik“. 4. Ehrenvolle Berufungen: Der Sprachgewaltige Das 2. Vatikanische Konzil (1962-65) verfolgte E. B. mit hohen Erwartungen an den Beginn einer „glaubensgeschichtlichen Wende“: „Aggiornamento“ („Erneuerung“) be4 deutete für ihn damals bereits mehr als eine moderate Enthierarchisierung der katholischen Kirche. E. B. erhoffte sich, mit einem Wort R. Guardinis gesagt, „das Wiedererwachen der Kirche in den Herzen der Gläubigen“. Dieser Hoffnung blieb er während seiner jahrzehntelangen Lehrtätigkeit treu. Sie begann 1965 mit einem Ruf als Hochschullehrer nach Passau. Zwischen 1965 und 1970 kam es infolge des Zweiten Vaticanums im wirtschaftlich prosperierenden Westdeutschland zu einem bemerkenswerten „aggiornamento“ des Theologiestudiums, auch in lehramtlichen und anderweitigen (z.B. sprach- und literaturwissenschaftlichen) Fächerverbindungen. Die meisten diözesanen „Kirchlichen Hochschulen“ wurden als „Theologische Fakultäten“ in die nicht selten neu errichteten staatlichen Universitäten integriert. Dadurch kam es zu vielen Neuberufungen. Mehrere davon ergingen innerhalb eines Dezeniums an E. B.: Passau, Marburg, Bochum und Würzburg sind eilige Stationen, die E. B. 1974 nach München auf den renommierten Romano Guardini-Lehrstuhl für „Christliche Weltanschauung und Religionsphilosophie“ führten und zwar in der Nachfolge von Karl Rahner. Von 1974-1986, also bis zu seiner Emeritierung, gab sich E. B. dieser Aufgabe voll hin. 5. „Die Ehrungen kommen, das Leben vergeht“ (R. Guardini): Der Dialogpartner Seine sprachgewaltige und unbestechliche Kompetenz als Philosoph, Theologe und interdisziplinärer Dialogpartner, sein jahrzehntelanges Predigeramt an der Münchner Universitätskirche St. Ludwig, ließen ihn bereits in den 70er Jahren zu einer glaubwürdigen theologischen Instanz allerersten Ranges werden, zu einer Autorität, die ent-„grenzt“ in Kirche(n), Geisteswissenschaften und Politik anerkannt wurde. Streiflichtartig sei erwähnt, dass der 65-Jährige (1983) in den Rang eines Prälaten erhoben wurde, was E. B.‘s innerkirchliches, kritisches Engagement in Seelsorge und 5 Lehre würdigte. Zahlreiche weitere Ehrungen, wie der Romano Guardini-Preis (1997) und das Bundesverdienstkreuz wurden ihm zuerkannt. Dankbar nahm er sie an, nicht ohne sie einmal mit dem weisen Wort R. Guardinis zu kommentieren: „Die Ehrungen kommen, aber das Leben vergeht“. Anders als R. Guardini, seinem Vorgänger am Münchner Lehrstuhl, sollte E. B.‘s Schaffenskraft bis über sein 90. Lebensjahr ähnlich bewahrt bleiben wie sein Sprachund Innovationsvermögen und seine „abgrundtiefe“ Mitmenschlichkeit. Belehren können viele, wenige nur trösten. Dialogische Individualseelsorge, diskret und sprachpräzise mit zahllosen Menschen unter „vier Augen“ bzw. am Telefon unter „vier Ohren“, war stets ein komplementärer persönlicher Charakterzug zu seinem öffentlichen Lehren und zu seinen wendungsreichen Diskussionen. Mit seiner Emeritierung begann für E. B. nicht „Ruhe-stand“, sondern eine neue Schaffensperiode. Endlich konnte er sich dem Aufbau des Seniorenstudiums an der Ludwig MaximilianUniversität (München) widmen. Doch kaum war die komplexe Gründungsphase dieses Großprojekts erfolgreich durchlaufen, rief ihn der Wiener Kardinal König zu einem zweiten Projekt, diesmal von europäischer Spannweite: dem Aufbau der „Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste“ (Salzburg). Bis 2010 fungierte E. B. als Akademiedekan der Klasse „Weltreligionen“. Sein enormes wissenschaftliches Oeuvre, das die (2002 gegründete) „Eugen Biser Stiftung“ (München) sorgfältig pflegt und aktualisiert, kann im Folgenden nur in Grundzügen und sehr vorbehaltlich beleuchtet werden. 6. Ein Lebenswerk für Theologie, Kirche und Ökumene: Der stille Weise Biographisch gilt es schließlich zu erwähnen, dass sich E. B. in den letzten Jahren aus dem öffentlichen und akademischen Leben entschieden zurückzog, weiß er doch 6 sein Lebenswerk insbesonders im Rahmen der dialogaktiven „Eugen Biser Stiftung“ in besten Händen. Die prophetische Stimme wie gesundheitliche Konstitution des 95Jährigen sind altersbedingt schwach geworden. Nicht aber seine wache Aufmerksamkeit, seine Liebe zur Musik und seine Sprache, die aus ihrem konzentrierten StillSchweigen heraus bis heute seine Freunde überrascht und begleitet. E. B.‘s enormes literarisches Werk kann nicht losgelöst von seinem (hochschul-) pädagogischen, seelsorglichen (z.B. homiletischen) und kommunikativen Wirken analysiert werden. Zudem umfasst es eine mehrgliedrige Schaffensepoche von weit über einem halben Jahrhundert (ca. 1950-2010). Stets verstand er sich als „Zeitanalytiker“ und „Zeitdiagnostiker“, zugleich als Betroffener und kritischer Begleiter innerkirchlicher und zeitgeschichtlicher Ereignisse. Niemals unterschied er zwischen den religions-philosophischen, sprach- und literaturwissenschaftlichen und den explizit theologischen Schichtungen seines publizistischen und kommunikativen Wirkens (als Lehrer, Autor, Prediger, Berater, Moderator, Interviewpartner usw.). Seine besondere Sprach- und Innovationskraft erlaubten es ihm mit neuen (Quer-)Denkverbindungen „verbindlich“ wissenschaftlich zu sein. Einer seiner frühen grundsatzmethodischen Kompetenzbegriffe lautet auf „hermeneutische Fundamentaltheologie“. Sie freilich beinhaltet und bündelt sui generis eine Mehrzahl eher operationaler Kategorien theologischer Reflexion: eine anthropologische, therapeutische, ekklesiologische und (christologisch-)mystische Dimension. E. B. ist lebenslang ein freisprechender „Freigeist“ geblieben. Einer, der sich keiner „Schule“ einfach zuordnen ließe. Aus seiner von Krieg, Verwundungen und Repressionen durchbrochenen Biographie entwickelte er sich als „selfmade man“, aber so gar nicht als Solipsist. Stets war ihm leidenschaftlich daran gelegen, „Sprachbarrie7 ren“ abzureißen und seine Zuhörer wie Leser in seiner (Fundamental-) Theologie der „anthropologischen Wende“ zu erreichen, um sie erneut für die christliche Offenbarungs- und Erlösungsreligion zu begeistern. E. B. ist einer der wenigen wirklich großen, d.h. innovativ aussagekräftigen Theologen über das 20. Jahrhundert hinaus. Seine Persönlichkeit und sein Oeuvre spiegeln einander großformatig wider. 8