Privatisierung der Sicherheit ? Zur Problematik privater
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Privatisierung der Sicherheit ? Zur Problematik privater
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Soziologie Sommersemester 1997 Seminarvorlesung: Europäische Sozialstruktur und Globalisierung Dozent: Prof. Dr. Hermann Schwengel Privatisierung der Sicherheit ? Zur Problematik privater Sicherheitsdienste aus soziologischer Sicht Hausarbeit von Timothy Simms Timothy Simms Münchhofstraße 2 79106 Freiburg Matrikelnummer 8742221 Chemie 08 / Soziologie 02 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis........................................................................................................ ii Einleitung: Sicherheit nur für Reiche ? ........................................................................ 1 Das Geschäft mit der Angst: Ein Überblick über das Bewachungsgewerbe ................. 3 Aufgaben privater Sicherheitsdienste................................................................ 3 Wirtschaftliche Bedeutung ............................................................................... 3 Erklärungsansätze für den Aufschwung des Bewachungsgewerbes.............................. 5 Defizit-Theorie ................................................................................................ 5 Organisatorische Veränderungen im Kapitalismus............................................ 6 Entstehung "privater" öffentlicher Räume......................................................... 6 Landscapes of Control: Sicherheitsdienste in Berlin .................................................... 8 Verkehrsbetriebe.............................................................................................. 8 Kurfürstendamm.............................................................................................. 8 Über den Tellerrand geschaut: Südamerika ............................................................... 10 "Privatisierung der Sicherheit" als gesellschaftliches Problem.................................... 11 Das Ende des Gewaltmonopols ? ................................................................... 11 Zurück zum Feudalismus ? ............................................................................ 11 Nochmals: Sicherheit nur für Reiche ?............................................................ 12 Von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft ? .............................................. 12 Fazit: Auf dem Weg in eine Zweiklassengesellschaft - ohne Staat ?........................... 14 Literaturverzeichnis .................................................................................................. 16 ii Einleitung: Sicherheit nur für Reiche ? Ein Blick in die Presse: "Nur diejenigen, die reich sind, können sich Sicherheit kaufen", so der Kanzlerkandidat in spe der deutschen Sozialdemokratie, Gerhard Schröder am 11.8.1997 in der Badischen Zeitung. Immer wieder liest man im Blätterwald von den abgesperrten Prominentenwohnvierteln, in denen amerikanische Film- und Musikstars ihre Villen haben. Sicherheit nur für Reiche ? Man muß sich zunächst einmal fragen, was Sicherheit überhaupt ist und inwieweit sie überhaupt objektiv meßbar ist. Meßbar ist - mit Einschränkungen1 - die Kriminalitätsentwicklung, "entscheidend ... ist jedoch, wie sieht das Sicherheitsgefühl der Menschen aus, wie beurteilen sie - die Bürger - die Kriminalitätslage"2. In den letzten Jahren hat sich dieses subjektive Sicherheitsgefühl massiv verschlechtert3 und zwar in einem Maße, das nicht durch die steigenden Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik erklärbar ist. Erklärungsansätze für diese überzogene Angst vor Kriminalität können die zunehmende ökonomische Unsicherheit und die damit verbundene Entsolidarisierungsprozesse sein, aber auch eine immer roher und sensationslüsterner werdende Medienberichterstattung4 sein. Von Seiten der Politik wird diese Angst - in der Hoffnung auf Wählerstimmen - zusätzlich geschürt. Von dieser wachsenden Unsicherheit profitiert die Sicherheitsindustrie. Im folgenden werde ich mich mit dem Teil dieser Branche befassen, der am stärksten nach außen in Erscheinung tritt: Den privaten Sicherheitsdiensten. Zunächst werde ich einen kurzen Überblick über dieses Gewerbe in Deutschland und der EG geben und versuchen die Gründe für den zunehmenden Einsatz privater Sicherheitsdienste zu benennen. Das Beispiel Berlin soll die Probleme, die sich durch einen Einsatz solcher Dienstleister im öffentlichen und privaten Raum ergeben, aufzeigen. Ein Blick in andere "global cities" soll schließlich mögliche Entwicklungsrichtungen des Einsatzes privater Sicherheitsdienste aufzeigen. Abschließend werde ich auf die Probleme, die 1In aller Regel bezieht man sich auf die polizeilichen Kriminalstatistiken, die aber das Dunkelfeld nicht berücksichtigen. In aller Regel wird von seiten der Politik mit absoluten Zahlen argumentiert und nicht mit relativen Zahlen zur Gesamtbevölkerung. Wie sich durch eine solche Betrachtung die "Explosion der Kriminalität" in Luft auflöst, dazu vergleiche KLINGST ET AL. 1995. 2so der Polizeigewerkschaftsfunktionär Konrad Freiberg in MAHR 1994, S.13. 3Der Anteil der jenigen, die sich über die wachsende Kriminalität sehr besorgt zeigen, ist einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach zufolge zwischen 1986 und 1993 von 26% auf 50% gestiegen. (MAHR 1994, S.13). Man beachte die in der Frage steckende Feststellung, dass die Kriminalität anwächst! 4An Zynismus kaum zu überbieten ist die Tatsache, dass insbesondere die privaten Fernsehsender mehrmals von jedem spektakulären Verbrechen profitieren: Zunächst als Meldung, Sondersendung etc. und dann ein Jahr später als TV-Drama nach "einer wahren Geschichte". 1 sich für Staat und Gesellschaft hieraus ergeben, eingehen und eine Prognose für die künftige Entwicklung zu machen versuchen. 2 Das Geschäft mit der Angst: Ein Überblick über das Bewachungsgewerbe Aufgaben privater Sicherheitsdienste Privaten Sicherheitsdienste nehmen vielfältige Aufgaben wahr: Werkschutz, Pförtnerdienste, Personen- und Transportbegleitschutz, Veranstaltungsschutz (Ordnerdienste), Nachtwärterdienste, Geldtransporte, Betrieb von Notrufzentralen usw. Der Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen gibt die prozentuale Aufteilung des Umsatzes seiner Verbandsmitglieder wie folgt an: 75 % Separatbewachung incl. Werkschutz, 15 % Revierwachdienst und Streifendienst, 8 % Notrufzentralen, 2 % Geld- und Werttransporte.5 Im folgenden beschränke ich mich auf Revierwachdienst und Streifendienst. Unter einer Revierbewachung versteht man die Überprüfung einer Anzahl von Objekten nach einem festgelegten Kontrollplan; unter Streifendienst versteht man eine punktuelle und unregelmäßige Kontrolle, wie sie beispielsweise bei der Kontrolle öffentlicher Verkehrsmittel stattfindet.6 Grundlage des Tätigwerdens von privaten Sicherheitsdienste sind die sogenannten "Jedermannsrechte" wie Notwehr, Nothilfe, Hausrecht usw. Die Frage, ob diese Rechte als Legimationsgrundlage für das Einschreiten gegen Dritte ausreichend sind, ist in der Rechtswissenschaft umstritten.7 Wirtschaftliche Bedeutung Private Sicherheitsdienste haben in den letzten Jahren einen großen Aufschwung erlebt. Gab es in der Bundesrepublik 1980 542 Bewachungsunternehmen mit einem Gesamtumsatz von 1,1 Mrd. DM, waren es 1990 bereits 900 Unternehmen mit einem Umsatz von 2,3 Mrd. DM. 1992 waren rund 1100 Unternehmen mit einem Umsatz von 3,2 Mrd. Umsatz zu verzeichnen.8 Im Jahre 1992 waren rund 140.000 Beschäftigte in privaten Sicherheitsdiensten beschäftigt, davon allerdings ein hoher Anteil von Aushilfskräften; man kann von rund 100.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ausgehen. Die Polizei hat ungefähr die doppelte Personalstärke.9 5OLSCHOK 1994, S. 32. 6Unterschiedung nach STACHAROWSKI 1983. 7u.A. HOFFMANN-RIEM 1977, HONIGL 1985, JEAND’HEUR 1994, M AHLBERG 1988 und 1992, SCHWABE 1978. 8OLSCHOK 1994, S. 32. Der massive Anstieg von 1990 bis 1992 wird mit einem Verweis auf den Beitritt der ehemaligen DDR zur BRD erklärt. FINNBERG 1994 gibt den Umsatz 1992 mit 3,8 Mrd. DM an. 9OLSCHOK 1994, S.32. 3 In Großbritannien standen 1988 250.000 Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste rund 120.000 Polizeibeamten entgegen10, im Frankreich des Jahres 1983 96.000 private Wachleute rund 110.000 Beschäftigten der "Police National" entgegen11 . In den USA waren 1990 bereits 1,5 Mio. Beschäftigte in privaten Sicherheitsdiensten zu verzeichnen, die Zahl der Polizeibeamten wird mit rund 600.000 angegeben12. In unterschiedlichen westlichen Ländern ist also schon ein deutliches Übergewicht privater Sicherheitsdienstleister gegenüber der staatlichen Polizei zu erkennen.13 10SOUTH 1988, S. 25. 11OCQUETEAU, S. 39f. 12So der Hallcrest Report, der das private Sicherheitsgewerbe in den USA untersuchte, zitiert nach VOSS 1993. 13Man kann aus den obengenannten Zahlen allerdings nur einen Trend herauslesen. Einem direkten Vergleich steht die Unterschiedlichkeit der Polizeisysteme in den betrachteten Ländern und die Tatsache, dass Werkschutzabteilungen in den unterschiedlichen Ländern in unterschiedlichem Maße privatisiert sind, entgegen. 4 Erklärungsansätze für den Aufschwung des Bewachungsgewerbes Defizit-Theorie Mangelnder Ausbau der Polizei bei steigendem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft haben zu einer Krise der öffentlichen Sicherheit geführt. Das so entstandene Vakuum wird nun durch das Wachstum privater Sicherheitsdienste, die kostengünstiger als Polizeieinheiten sind, ausgefüllt. Defizittheorien dieser Art setzen voraus, daß polizeiliche Aufgaben teilweise durch private Sicherheitsdienste übernommen werden können. Dies kann je nach Standpunkt entweder als Verdrängung bzw. Bedrohung polizeilicher Arbeit - auf diese Sichtweise wird später einzugehen sein - interpretiert werden oder als Ergänzung polizeilicher Aktivitäten. Innerhalb der Polizei werden private Sicherheitsdienste interessanterweise überwiegend als willkommene Ergänzung bzw. sogar als Sicherheitspartner bewertet. Das Tätigwerden von privaten Sicherheitsdiensten wird als Entlastung der Polizei interpretiert, die ihre Arbeit dann auf besondere Brennpunkte fokussieren kann. Zur Kritik an der Defizittheorie führt VOSS 1993 14 im wesentlichen drei Sachverhalte an: Zum einen ist polizeiliche Tätigkeit von zwei Funktionen bestimmt, die auf Seiten privater Dienste keine Entsprechung finden. Es sind dies schutzpolizeiliche Dienstleistungen ohne kriminalrechtliche Relevanz, wie z.B.: Regelung des Strassenverkehrs, und die "Vorbereitung symbolischer Strafverfolgungsfunktionen", z.B. im Bereich des Drogenhandels. Zum zweiten ist parallel zum Ausbau des privaten Sicherheitsgewerbes ein Ausbau der Polizei erfolgt, man kann also nur bedingt von Einsparpotentialen durch Privatisierung ausgehen. Zum dritten zeigt die Entwicklung in den USA, daß keine Entlastung der Polizei stattgefunden hat, sondern vielmehr durch sogenanntes Moonlighting - darunter wird die Nebenerwerbstätigkeit von Polizisten bei privaten Sicherheitsunternehmen verstanden - die Polizei personell ausgezehrt wird.15 14VOSS 1993, S.94ff. Vgl. auch SEYSEN 1992. 15Anzumerken ist hier, dass in privaten Sicherheitsdiensten oft ehemalige Beamte arbeiten, was auch mit dem Fehlen von adäquaten Ausbildungsgängen für das private Bewachungsgewerbe zusammenhängt. Problematisch erscheinen die Kontakte ehemaliger Polizisten im Dienste privater Sicherheitsunternehmen zu ihren alten Kollegen vor allem unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes. 5 Organisatorische Veränderungen im Kapitalismus15a In der Frühzeit des Kapitalismus war die Arbeitskraft maßgeblicher Kostenfaktor, der Disziplinierung der Arbeitskräfte kam somit zentrale Bedeutung zu. In den USA beteiligten sich private Sicherheitsunternehmen an der Unterwanderung von Gewerkschaftsorganisationen und in der Niederschlagung von Streiks. Durch den Aufbau entsprechender staatlicher Organe verloren private Dienstleister an Bedeutung. Mit dem Aufkommen von dezentral organisierten Konsumgüterindustrien und Dienstleistungen verliert die Disziplinierung einzelner Arbeiter an Bedeutung, hinzu kommt der Bedeutungsverlust des Faktors menschliche Arbeit durch Automatisierung und Rationalisierung. Im modernen Kapitalismus mit seiner zunehmenden Verwissenschaftlichung von Produkten und Produktionsprozessen wird nun aber Information zu einem wichtigen Faktor. Datenschutz wird zum Sicherheitsproblem. Dies führt zu einem Ausbau betriebseigener oder privater Sicherheitsorgane. Die wachsende Konkurrenz auf immer größeren, in manchen Branchen mittlerweile weltumspannenden, Märkten führt zu einem starken Kostendruck in einzelnen Unternehmen. Sicherheitsdienste werden innerbetrieblich eingesetzt, um sogenannten Produktivitätsgefährdungen entgegenzuwirken. Hierunter fallen unter anderem auch "time theft" (Zeitdiebstahl durch Bummeln, Krankheit usw.), "business proberty theft", Materialverschwendung, Kriminalität usw.15b Ausserbetrieblich werden Sicherheitsdienste beispielsweise in Einkaufspassagen eingesetzt, um ein vermeintlich konsumentenfreundliches Umfeld durchzusetzen, indem Randgruppen ausgegrenzt werden. Entstehung "privater" öffentlicher Räume Während früher eine weitgehende Trennung von privatem Eigentum und öffentlichem Raum bestand, sehen wir uns heute einer zunehmenden Privatisierung öffentlicher Räume entgegen. Man spricht in diesem Zusammenhang von dem Entstehen von "mass private property"15c . Darunter fallen zum Beispiel die im nordamerikanischen Raum weitverbreiteten "Malls", weitgehend abgeschlossene Einkaufszentren, die auch in Deutschland immer verbreiteter werden (Letztes Jahr wurde beispielsweise ein bisher unbebauter Bereich der Oberhausener Innenstadt mit dem sogenannten "Centro", einem riesigen Einkaufszentrum überbaut). Andere Orte 15a vgl. SPITZER 1978, SPITZER 1987. 15b vgl. Fussnote 12 15c vgl. SHEARING ET AL. 1983, SHEARING ET AL. 1987 6 dieser Art sind Ärztehäuser, Wohnanlagen und Vergnügungskomplexe wie z.B. Kinocenter. Charakteristisch für diese Räume ist, daß sie einerseits öffentlich sind ohne Umzäunung auskommend und die Öffentlichkeit auch (zum Konsumieren) einladend - andererseits hingegen gehören diese Räume Eigentümergesellschaften nicht etwa der Öffentlichkeit in Gestalt von Kommune, Land, Kreis o. ä. - und sind somit als Privateigentum zu betrachten. Privates Eigentum kann aber nun unter Zuhilfenahme der oben skizzierten Jedermannsrechte durch private Sicherheitsdienste geschützt werden. Diese Dienste schützen aber nicht nur das Privateigentum, sie haben eine weitere Funktion zu erfüllen. "Mass private proberty" steht nämlich nicht den Bürgern offen, sondern den Konsumenten. Nichtkonsumenten, wie Obdachlose, Alkoholiker und andere Randgruppen, haben in einer so verstanden Öffentlichkeit keinen Platz und werden verdrängt und ausgegrenzt. 7 Landscapes of Control16: Sicherheitsdienste in Berlin17 Verkehrsbetriebe In Berlin werden seit Anfang der 90er Jahre in der U- und S-Bahn private Sicherheitsdienste mit dem Ziel verstärkter Sicherheit für die Fahrgäste eingesetzt. Für die ersten drei Quartale 1992 wurde vom beauftragten Sicherheitsdienst IHS 167.000 Einsätze gemeldet, darunter 35.500 Fälle von Beförderungsausschluss wegen Alkoholgenuß, 46.000 Personen wurden zum Verlassen von Bahnhöfen aufgerufen, gegen 15.000 lautstarke Jugendliche und 25.000 Obdachlose wurde eingeschritten. Rund 6.500 mal wurde Bettelei, Strassenmusik oder ambulanter Handel unterbunden. 38 mal wurden Schußwaffen sichergestellt. Der Sicherheitsdienst war also überwiegend mit Ordnungsaufgaben betraut. Man kann dies so interpretieren, daß es den beauftragenden Verkehrsunternehmen offensichtlich weniger um eine Wahrung der Sicherheit geht, als um Imagepflege durch die Vertreibung unerwünschter Randgruppen. Ebenso kann man aber auch eine präventive Wirkung der uniformierten Wachmänner unterstellen. Tatsächlich hat aber die Anzahl von Übergriffen auf Ausländer nicht abgenommen.18 Kurfürstendamm Der Berliner Kurfürstendamm ist nicht nur zentrale Einkaufsmeile von Berlin, sondern seit den späten 60er Jahren auch ein Treffpunkt für marginalisierte Jugendliche und "fliegende Händler". 1990 wurden im Europacenter, einem Einkaufszentrum am Kurfürstendamm, erstmals private Sicherheitsdienste eingesetzt. Mit Berufung auf das Hausrecht wurden herumhängende Jugendliche, Drogenabhängige und Obdachlose des Geländes verwiesen. Dies führte zu einer Verlagerung dieser Randgruppen auf die Straßen in der näheren Umgebung. 1992 wurde von der AG City - einem Zusammenschluß von Geschäftsinhabern rund um den Kurfürstendamm ein privater Sicherheitsdienst engagiert, der auf dem 16"Der Weltstadt-Mythos setzt auf ’Ambiente’, Konsum, Sauberkeit und Ordnung zwischen Sekt und Kaviar. Das Quartiersbezogene Wunschdenken favorisiert noch immer die Integrationskraft der zerfallenden Sozialmilieus. Dazwischen spiegeln sich allerlei Kontrollfacetten, in denen ein Aspekt immer wieder auftaucht: die öffentliche Präsenz uniformierter Ordnungskräfte.", BESTE 1996, S. 70. 17zum folgenden, vgl. den Beitrag von Heiner Busch in MAHR 1994, S. 55-63 sowie PÜTTER 1992. Zur Situation in Franktfurt vergleiche BESTE 1996, Zur Situation in Hamburg MAHR 1994 und KRASMANN 1997. 18Busch S. 60f.., 8 Kurfürstendamm patrouillierte. Eine Rechtsgrundlage gab es hierfür nicht. "Die Wirkung auf die unerwünschten und geschäftstrübenden Personenkreise beruhte ausschließlich auf Drohgebärden und versteckter, nichtsdestoweniger handfester Gewalt"19. Zu Beschwerden seitens der so diskriminierten Randgruppen kam es nicht;20 die Maßnahme wurde erst beendet, als der Chef des Sicherheitsunternehmens durch Verbindungen zur Unterwelt ins Zwielicht geriet. 1994 wurde eine spezielle Polizeitruppe, die sogenannten "Citycops" mit der Kontrolle des Kurfürstendamms betraut. Der Berliner Sozialwissenschaftler Busch zieht als Fazit: "Mit einem Einsatz von 50-300 DM pro Monat (soviel zahlten die AG City-Mitglieder für die privaten Sheriffs, T.S.) kann man die Polizei dazu zwingen, rein partikulare Geschäftsinteressen wahrzunehmen."21 19Busch, S. 62. 20Was nicht verwundert, handelt es sich bei fliegenden Händlern oft um illegale Einwanderer. Auch Drogenabhängige haben kein Interesse, mit der Polizei in Kontakt zu kommen. 21Busch, S. 62. 9 Über den Tellerrand geschaut: Südamerika22 Die Polizei in Argentinien ist sehr schlecht bezahlt, private Wachmänner verdienen rund das doppelte; dies bei vergleichsweise hohen Lebenshaltungskosten. Zur Aufbesserung der Lohntüte werden deshalb gerne Bestechungsgelder angenommen. Dies führt dazu, daß die öffentliche Sicherheit von der Polizei nur unzureichend gewährleistet wird. Wer es sich leisten kann, zieht aus diesen Gründen in einen Country-Club. Sogenannte Country-Clubs sind Hochsicherheits-Landsitze, die durch hohe Zäune abgeschirmt und rund um die Uhr bewacht werden. In solchen Country-Clubs leben inzwischen auch schon mittlere Verdiener. Das Leben in den Clubs ist zwar sicher, dafür ist nun die Zufahrt zum Problem geworden und die Anzahl der Autodiebstähle und -überfälle hat rapide zugenommen. "Kenner der Lage empfehlen, nur in der Kolonne das bewachte Gelände zu verlassen."23 Exklusive Vergnügungsanlagen sind dazu übergegangen ihre Gäste per Hubschrauber einzufliegen, um so unsichere Gebiete zu vermeiden. Interessanterweise wird ein Teil der Kriminalität von der Polizei bzw. den privaten Sicherheitskräften durchgeführt. Immer häufiger findet man in den Country-Clubs Einwohner, die als Beruf "ehemaliger Polizist" angeben. In Rio de Janeiro24 gibt es ebenfalls Viertel, die vollständig durch Zäune abgetrennt von Wachleuten bewacht sind. Die Bezahlung der Polizei ist ähnlich schlecht wie in Argentinien. Was den Zugang zu den abgetrennten Vierteln der Oberund Mittelklasse anbelangt, so tritt ein kaum verborgener Rassismus zu Tage: Wer eine zu dunkle Hautfarbe hat, dem wird der Zugang verwehrt. 22zum folgenden, vgl. WEBER 1992. 23 WEBER 1992 S. 51, 24Für den Bericht aus Rio de Janeiro bin ich meinem ehemaligen Klassenkameraden und Freund Florian Hoffmann, der in Rio wohnt, zu Dank verpflichtet. 10 "Privatisierung der Sicherheit" als gesellschaftliches Problem Das Ende des Gewaltmonopols ? Die Entstehung des modernen Staatswesens ist in klassischen Vertragstheorien, z.B. bei Thomas Hobbes aufs Engste mit der Errichtung eines Gewaltmonopols verbunden. Daraus folgt, daß "die Idee des staatlichen Gewaltmonopols (...) zentrale theoretische Legitimation des modernen aufgeklärten Staatswesens."25 ist. Der moderne Staat ist schon immer scharf gegen die vorgegangen, die dieses Gewaltmonopol gefährden. Ob private Sicherheitsdienstleister das Gewaltmonopol und damit eine wesentliche Legitimationsgrundlage des modernen Staates gefährden, ist umstritten. Tatsache ist aber, daß private Sicherheitsdienste teilweise bewaffnet auftreten und diese Waffen zuweilen auch eingesetzt werden. Hinzu kommt das Auftreten in Uniformen, die offensichtlich denen der Träger des staatlichen Gewaltmonopols - der Polizei - nachempfunden werden. Wenn von Seiten der Polizei private Sicherheitsdienste als sinnvolle Ergänzung verharmlost werden, so wird ein Hauptunterscheidungsmerkmal von staatlicher Polizei und Privatpolizeien übersehen: Polizei ist demokratisch legitimiert und kontrolliert, sie ist dem Gemeinwohl und Gemeinwesen verpflichtet. Privatpolizeien sind hingegen (privat-)interessengebunden. Der Schritt zu Privatarmeen und dem Hobbes'schen "bellum omnes contra omnium" scheint nicht allzu weit. Zurück zum Feudalismus ? Einzelne Wohngebiete in deutschen Großstädten werden bereits von privaten Sicherheitsdiensten bewacht.26 Diese Bürger nun zahlen zweimal: zum einen den privaten Sicherheitsdienst,. andererseits die Polizei über ihre Steuern. Langfristig kann dies zu einer Schwächung der Polizei führen, wenn diese Bürger - und es handelt sich wahrscheinlich um eher einflußreiche und wohlhabende - ihre Position im politischen Prozeß geltend machen. Dies führt dazu, daß einerseits "Gebiete, in denen es kaum 25MURCK 1993, S.10. 26so z.B. in Hamburg-Othmarsch. Jeder Haushalt zahlt 100 DM. Die Welt, 21/1/97, zitiert nach M AHR 1994, S. 95. Ein anderes Beispiel ist der Kölner Vorort Hahnwald, M URCK 1993, S. 12. 11 noch Formen öffentlich durchsetzbarer Ordnung gibt"27, andererseits abgeschottete, abgesicherte Wohngebiete entstehen. Beispiele solcher räumlicher Segregation finden sich beispielsweise in amerikanischen Großstädten, als Extrembeispiel sei auf die weiter oben ausgeführte Situation in Buenos Aires und Rio de Janeiro verwiesen. Nochmals: Sicherheit nur für Reiche ? Der Schutz von privatem Eigentum bzw. Leib und Leben durch private Sicherheitsdienste kostet Geld und kann von Privatleuten nur finanziert werden, wenn sie über genügend Mittel verfügen bzw. mehrere Anwohner zur Finanzierung der Bewachung ihres Viertels28 durch Wachleute zusammentun. Allerdings kann man feststellen, "daß durch die Sicherheitsanstrengungen nicht ein 'Mehr an Sicherheit' geschaffen wird, sondern eine bloße Verlagerung des Opferrisiskos auf weniger gesicherte Personengruppen stattfindet."29 Letztendlich kann dies zu einer Zwei-Klassen-Sicherheit führen: "Die Reichen engagieren (und unterweisen !) ihre Privattruppe, die Armen müssen sich - ohne die Chance einer Einflußnahme - von der Polizei schützen lassen."30 Geht man davon aus, daß die Polizei als Staatsinstrument nicht zuletzt die Interessen einfluß- und besitzreicher Kreise zu schützen und durchzusetzen versucht, werden Besitz- und Einflußlose somit gleich zweifach diskriminiert: Zum einen können sie sich nicht selbst schützen, zum anderen sind sie der Polizei ausgeliefert.31 Von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft ? In der weiter oben skizzierten Erklärung des Aufschwungs privater Sicherheitsunternehmen aus der Entwicklung des modernen Kapitalismus kann man einen Übergang von der Disziplinargesellschaft32 zur Kontrollgesellschaft sehen. Mit Gilles Deleuze kann man davon sprechen, daß "die Fabrik dem Unternehmen Platz gemacht"33 hat. Während die Fabrik zentralisiert war, sind Unternehmen dezentral. Stand in der Fabrik die Produktion und ihre Sicherung durch Disziplinierung der 27MURCK 1993, S. 12. 28vgl. Fußnote 26 29SEYSEN 1992, S. 187; als Beleg führt er den Anstieg der Überfälle auf Geldtransporte nach der Einführung von verstärkten Schutzmaßnahmen in Geldinstituten an. 30SEYSEN 1992, S. 193. 31Ein Beispiel soll dies illustrieren: Zum einen werden Obdachlose und Bettler aus privaten Einkaufszentren vertrieben, zum anderen soll die Polizei im Interesse eines wie auch immer gearteten "Stadt-image" solche Gruppen aus dem Strassenbild entfernen - in wessen Interesse dürfte klar sein. Vgl. hierzu BESTE 1996, KRASMANN 1997. 32FOUCAULT 1994. 33DELEUZE 1992, S. 260. 12 Arbeitskräfte im Mittelpunkt, so steht im Unternehmen der Verkauf im Mittelpunkt und dieser wird über Kontrolle des Marktes gesichert. Der Einsatz privater Wachdienste in Einkaufszentren, z.B. wie oben ausgeführt in Berlin, ist meines Erachtens nichts anderes als eine - ziemlich direkte34 - Kontrolle des Marktes. 34Deleuze hat eher subtilere Kontrollmechanismen durch Marketing etc. im Sinn. 13 Fazit: Auf dem Weg in eine Zweiklassengesellschaft ohne Staat ? Private Sicherheitsdienste, das haben die bisherigen Ausführungen, denke ich, gezeigt, sind hochproblematisch. Es ist verwunderlich, daß eine Auseinandersetzung über dieses Thema innerhalb der Polizei und in den Wissenschaften erst in den letzten Jahren35 begonnen hat. In der Öffentlichkeit hat bisher noch keine nennenswerte Auseinandersetzung stattgefunden - sieht man einmal vom eingangs erwähnte Zitat Gerhard Schröders ab. Im Laufe der Geschichte gab es zwar schon immer Privatarmeen, im Laufe der letzten beiden Jahrhunderte hat jedoch der Staat immer mehr ein Gewaltmonopol aufgebaut und institutionell abgesichert. Der Einsatz privater Sicherheitsdienste weicht dieses Monopol auf und erlaubt zunehmend wieder die Durchsetzung privater Interessen mit (meist angedrohter) physischer Gewalt. Eine Folge dieser Entwicklung sieht man deutlich in den Großstädten Südamerikas und Nordamerikas. In diesen Weltmetropolen wird die schon bisher vorhandene räumliche Trennung sozial unterschiedlicher Gruppen36 durch die Abzäunung ganzer Stadtviertel verstärkt. Es bleibt abzuwarten, ob eine solche Entwicklung auch in Mitteleuropa einsetzt. Am Rande sei noch bemerkt, daß private Sicherheitsdienste nur eine Möglichkeit der Absicherung von geschlossenen Wohngebieten darstellt. Andere Möglichkeiten sind die Aufstellung von Bürgerwehren, oder "Neighbourhood watch"-Programme, bei denen die Bewohner eines Viertels gegenseitig die Augen aufhalten. Globalisierung bedeutet nicht nur eine Vereinheitlichung der Lebensstile und weitgehende Internationalisierung des Wirtschaftslebens, sondern auch ein Bedeutungsverlust der immer unwichtiger werdenden staatliche Ebene. Ralf Dahrendorf zufolge "entzieht Globalisierung dem Domizil der repräsentativen Demokratie ... die ökonomische Grundlage."37 Es ist denkbar, daß mit dem Bedeutungsverlust der Nationalstaaten38 supra- und internationale Institutionen eine 35vgl. Literaturverzeichnis. 36Räumliche Trennung darf man selbstverständlich nicht monokausal auf den Einsatz von Sicherheitskräften zurückführen. Eine Reihe anderer Faktoren spielen hier eine Rolle, wie beispielsweise Bodenpreise, Herkunft (z.B. Chinatown) usw. Eine räumliche Trennung wird aber durch Abschottung massiv verstärkt. 37Ralf Dahrendorf, An der Schwelle zum autoritären Jahrhundert, in: Die Zeit, Nr. 47, 14. November 1997. 38Man kann mit Blick auf Ex-Jugoslawien einwenden, der Nationalstaat sei nicht am Ende, sondern erfreue sich zur Zeit einer neuerlichen Konjunktur. Wenn man allerdings nach dem Einfluß nationalstaatlicher Institutionen auf die jeweiligen Volkswirtschaften fragt, erkennt man die immer größere Bedeutungslosigkeit nationalstaatlicher Politik. 14 bisher nicht geahnte Bedeutung erlangen können. Möglicherweise wird die Europäische Union eine dieser Institutionen sein werden. Es ist aber auch denkbar, daß viel weniger Staaten/überstaatliche Institutionen die weitere Entwicklung strukturieren, sondern vielmehr ein Reigen multinationaler Konzerne die Regie übernimmt. In der Science-Fiction-Literatur finden sich solche möglichen Zukünfte ausformuliert. In Harry Harrisons "Soylent Green", der auch als "2038 ... die überleben wollen" erfolgreich verfilmt wurde, ist die Polizei und der Staat nurmehr ein Anhängsel der Monopolfirma Soylent. Das Beispiel Kurfürstendamm zeigt, daß die Instrumentalisierung staatlicher Organe durch Privatinteressen keine Science-Fiction sondern Realität ist. In anderen Science-FictionFilmen wie z.B. den Alien-Filmen tritt der Staat gar nicht mehr in Erscheinung, sondern nur noch die Firma. Wo eine Firma Sicherheit und soziale Absicherung übernimmt, wird der Staat39 überflüssig und der einzelne abhängig von seiner Firma. 39Auch weitere staatlkiche Aufgaben sind Gegenstand von Privatisierungsbestrebungen, so zum Beispiel das Gefängniswesen, vgl. R. Matthews, Private Gefängnisse in Großbritannien - eine Debatte,in Neue Kriminalpolitik 2/1993, S. 32ff., und die Justiz, vgl. A. Pilgram, Justiz à la carte ? Zur Privatisierung der Gerichte in den USA, in: Neue Kriminalpolitik 2/1993, S. 36ff. Dies wäre ein spannendes Thema für eine weitere Hausarbeit ... 15 Literaturverzeichnis ADAM 1979 R. Adam, Privatpolizeien in den USA, in: Kriminalistik, 6, 1979, S. 295f. ANONYMUS 1994 ohne Autorenangabe, Die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen der Polizei und gewerblichen Sicherheitsdiensten hat eine hohe Priorität bei der Verbrechensbekämpfung, in: Die Polizei, 1994, S. 27-30. BERNHARDT 1994 Heinrich Bernhardt, Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit privaten Sicherheitsdiensten aus der Sicht der Polizei, in: Die Polizei, 1994, S. 55-59. BESTE 1996 Hubert Beste, Warum findet die Revolution nicht Stadt ? Private Sicgherheitsdienste im urbanen Raum, in: Vorgänge, 1996, S. 64-76 BLECK 1994 Siegfried Bleck, Die Rechtsstellung des privaten Sicherheitsgewerbes, in: Die Polizei, 1994, S. 42-45. CZAPSKA 1995 Janina Czapska, Furcht vor Kriminalität, in Heinz Sahner, Stefan Schwendtner (Hrsg.): 27. 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