Christus wecken Bildbetrachtung zu: Julius Schnorr von Carolsfeld

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Christus wecken Bildbetrachtung zu: Julius Schnorr von Carolsfeld
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Kapitel 6 - Geistliche Impulse
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Bildbetrachtung zu:
Julius Schnorr von Carolsfeld (1794-1872), Jesus schläft während des Sturmes
(Holzschnitt ca. 1855, hervorgehobenes Detail)
Christus wecken
Die gezeigte Szene ist uns vertraut - aus dem Evangelium (z. B. Mt 8,23-27) und aus der christlichen
Kunst. Jesus und seine Gefolgschaft in einem Boot,
das in Seenot geraten ist! Das Schiff der Kirche im Gegenwind! Oder, positiv: Die Sturmstillung durch Christus! Unsere Graphik interessiert sich aber nicht für
die wunderbare Glanzleistung Jesu am Schluß, sondern mehr für die vorhergehende gefährliche Zuspitzung der Situation und damit für den geradezu ärgerlichen Tiefpunkt der Geschichte: „Er aber schlief“.
Ein Zeitgenosse des Künstlers beschreibt die Szene so: „Der Sturm wüthet, die Wellen schlagen in´s
Schiff, das Segel wird heruntergelassen, der Mann am
Steuer vermag kaum mehr das Fahrzeug zu lenken,
vergebens schauen sie in die Luft, ob es sich nicht
bessere; mit Macht klammern sich die Männer, deren
Haare und Mäntel im Winde flattern, an den Mast und
an einander. In Todesangst sitzt einer, vielleicht ist es
Judas, in dumpfer Ergebung brütet ein anderer über
dem unvermeidlichen Untergang... Petrus aber stürzt
herbei, legt die zitternde Hand an die Brust seines
Herrn und ruft: „Herr, hilf uns, wir verderben!“
Und der damalige Kommentator des Bildes fährt fort:
„Verderben, so lange der Herr im Schifflein so sanft
und ruhig im Aufruhr der Elemente schläft? „Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam?“ Mit diesem
sie beschämenden Worte wird er sich freundlich erheben, um den Wind und das Meer zu bedräuen, daß
es ganz stille wird.“
Was wir in dem (mit Hilfe heutiger Technik) betonten
Bildausschnitt zu sehen bekommen, ist nicht das Drama als Ganzes, sondern die unwahrscheinliche Gelassenheit Jesu mitten im Sturm. Als ob ihn der ganze
äußere Wirbel, die Aufregung und die Angst der Seinen nichts angingen. Vielleicht ist das ein erstes Wunder, vor aller Aktivität und dem Erweis seiner Macht!?
Er weiß sich ganz und gar geborgen in der Obhut Gottes, seines himmlischen Vaters.
Wir können dabei an bestimmte Psalmverse denken,
etwa an das kühne Bild von Gott als Vogelmutter,
die ihre verängstigten Küken unter ihre Flügel nimmt:
„Behüte mich, wie den Augapfel, den Stern des Auges, birg mich im Schatten deiner Flügel vor den Frevlern, die mich hart bedrängen, vor den Feinden, die
mich wütend umringen“(Ps 17,8-9). Im Seesturm zeigen sich elementare Kräfte der Natur als „Frevler“,
als Feinde des Menschen! Oder denken wir an den
Abendgebetspsalm und dessen Zusage: ER, der Herr,
„beschirmt dich mit seinen Flügeln, unter seinen
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Schwingen findest du Zuflucht, Schild und Schutz ist
dir seine Treue...“(Ps 91,4).
Gott selbst schläft nicht. Dessen ist sich der gläubige Beter sicher: „Er, der dich behütet, schläft nicht.
Nein, der Hüter Israels schläft und schlummert nicht“
(Ps 121,4-5).
Der Künstler inszeniert das so, als ob Jesus diese
seine Gottesgewissheit geradezu demonstrieren wollte. Jesus ist nicht der vor Erschöpfung wie ein Toter Schlafende, sondern wirkt wie einer, der nur mal
eben ausruht, - bedächtig, nachdenklich, souverän.
Eben auch im Schlaf - der Herr. Er schläft sozusagen
nur auf einem Ohr, ist leicht zu wecken und wird im
nächsten Augenblick voll präsent sein.
Irgendein Jünger - von Petrus ist im Text keine Rede -,
irgendeiner der Notleidenden wendet sich - im Namen
aller - ihm zu, beugt sich über ihn und spricht ihn an.
Was der Bittende sagt, ist an seinen Gesten abzulesen: Mit der linken Hand verweist er auf die bedrohliche Situation; mit den Fingerspitzen seiner Rechten
rührt er den Heiland respektvoll an.
Hier wird auf erbauliche Weise vorgeführt, was mit
„Fürbitte“ und mit „Bittgebet“ gemeint ist.
Aber wir werden auch an negative Gebetserfahrungen erinnert. Wie oft haben Beterinnen und Beter
das Gefühl, der im Beten angesprochene Gott rührt
sich nicht; ihn scheint gar nicht zu kümmern, was
uns bedrängt. Ein Gefühl der Leere, der Sinnlosigkeit und Vergeblichkeit des Bittgebets stellt sich ein.
Die Dunkelheit, in die hinein wir beten, zeigt sich
in dieser Darstellung im schwarzen Schatten, in den
Jesu Gesicht und seine Herzgegend getaucht sind. Im
Schatten leuchtet die bittend ausgestreckte Hand des
Beters besonders hell. Damit leuchtet zugleich die
Dringlichkeit des Bittens und die Zuversicht des Glaubenden auf.
Das erlösende Handeln Jesu, sein Sieg über die bedrohlichen Mächte, bleibt hier ausgespart. Stattdessen werden wir auf eine näherliegende Botschaft verwiesen, nämlich: Der auferstandene Jesus Christus ist
bei uns - im „Schiff, das sich Gemeinde nennt“. Er ist
unter uns gegenwärtig, sogar in jedem von uns Getauften (vgl. Christophorus) - auch in der schlimmsten
Bedrängnis. In der Person Jesu ist Gott selbst mit uns
im Boot der Kirche und der Gemeinde. Er ist in Rufweite. Er ist ansprechbar. Das genügt. Alles Weitere,
Erfolg oder Nichterfolg, dürfen wir getrost IHM überlassen.
Günter Lange
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(Holzschnitt ca. 1855, hervorgehobenes Detail)
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