Die Welt wie sie mir gefällt

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Die Welt wie sie mir gefällt
Ulla Dreyfus-Best in der Ausstellung
ihrer Sammlung im Kunstmuseum Basel.
Auf Johann Heinrich Füsslis Gemälde,
1805/10, greift der schiffbrüchige Odysseus nach dem Schleier der Leukothea
DIE WELT,
WIE SIE MIR
GEFÄLLT
Das Haus von Ulla Dreyfus-Best in Basel ist eine
private Kunst- und Wunderkammer. Ein exzentrischer
Epochenmix, der Eros und Tod, Seelenabgründe
und Augentäuschungen erkundet. Jetzt präsentiert sie die
Sammlung im Kunstmuseum ihrer Heimatstadt
VON
SE B A S T I A N P R E U S S
SCHWEIZ
Spezial
P ORT R ÄT
M A R K N I E DE R M A N N
Von der Sammlung Dreyfus geht es weiter
zu den schönsten neuen Museen der
Schweiz (S. 36). Wer die Affichisten waren, zeigt
das Museum Tinguely (S. 42), wie Sammler zu
Partnern werden, führt das Kunsthaus
Zürich vor (S. 46). Und ab S. 81 die
Schweiz-Agenda
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Vulkan, der Feuergott, hatte Bärenkräfte,
war erfindungsreich und wegen seiner
Schmiedekünste das Vorbild aller Metallhandwerker. Aber da gab es eben das Problem mit seiner Gemahlin Venus. In der
Kunst taucht Vulkan meist als gehörnter Gatte auf, auf diesem Bild aber dreht Vulkan den
Spieß um und delektiert sich selbst einmal
außerehelich, nämlich mit Ceres, der Göttin
des Ackerbaus und der Fruchtbarkeit – ironischerweise ist sie auch die Patronin der
Ehe. In der antiken Mythologie taucht die
Liebelei von Vulkan und Ceres nirgendwo
auf, doch das Füllhorn zwischen ihren Beinen weist die Dame eindeutig als Ceres aus.
Es ist ein Gemälde ganz nach dem Geschmack von Ulla Dreyfus-Best: eine unorthodoxe Darstellung, es geht um Eros, aber
auch um seelische Untiefen, zudem kann
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man sich schön amüsieren über das etwas ungelenke Bild, das ein Anonymus im 16. Jahrhundert gemalt hat. Dreyfus und ihr Mann
Richard, der 2004 starb, haben Werke von
weitaus größerem Wert erworben, darunter
museumsreife Zelebritäten von Füssli, Man
Ray, Magritte oder Max Ernst. Aber »Vulkan
und Ceres« spielte für sie immer eine besondere Rolle. Als ich die Sammlerin etwas zaghaft frage, ob sie sich beide in der Szene wiedergefunden hätten, da stimmt sie lachend
zu: »Natürlich, es war schon ein Spiegel für
uns. Wir lebten ja anfangs in wilder Ehe zusammen.« Aber im Unterschied zu Vulkan
war Richard Dreyfus da schon seit Jahren
von seiner ersten Frau geschieden, betont die
ausgebildete Restauratorin und erzählt
gleich noch, dass sie eigenhändig die übermalten Geschlechtsteile freilegte.
Viereinhalb Jahre, nachdem der Basler
Bankier die junge, attraktive und lebenslustige Deutsche mit der »frechen Schnauze«, wie
er gern bewundernd sagte, kennengelernt
hatte, heirateten die beiden – das war 1970.
»Wir haben Vulkan und Ceres für die Menükarte benutzt«, erzählt Ulla Dreyfus. Später
in ihrem Haus sehe ich, was sie meint: Wer
das stille Örtchen aufsucht, stößt dort auf
eine Fotomontage, in der die Gesichter von
Richard und Ulla auf die Leiber von Vulkan
und Ceres gesetzt sind. Daneben hängen die
Medaillen, die ihr Lawinenhund Cash einst
gewonnen hat. Denn das ist neben der Kunst
die zweite Leidenschaft dieser ungewöhnlichen Frau: die Natur und deren Schutz sowie
die Liebe zu Tieren, vor allem zu ihrem belgischen Schäferhund, mit dem sie jeden Winter in Gstaad das Aufspüren verschütteter
Menschen übt. Cashs Nachfolgerin Lissy, die
uns stürmisch begrüßt und den ganzen
Abend mit Bauchkraulen und Pfötchengeben beschäftigt werden will, ist noch nicht
ganz so weit, dass sie Leben retten kann. Im
Januar geht es wieder zum Lawinenhundekurs nach Disentis in Graubünden. Später
will Dreyfus mit ihr wie zuvor mit Cash im
Helikopter zu Einsätzen fliegen.
Der Anlass unseres Treffens ist die Ausstellung »For Your Eyes Only« im Kunstmuseum Basel. Ulla Dreyfus ist temperamentIm Treppenhaus der Sammlerin hängt Jeff
Koons’ Abrissbirne »Wrecking Ball«. Zwischen viel religiösem Schmuck ist auch ein
Nähmaschinenbild von Konrad Klapheck
auszumachen. Rechts: »Vulkan und Ceres«,
ein Gemälde aus dem 16. Jahrhundert
Bilder: Fritz von der Schulenburg/Jeff Koons (auch Kunstwerk S. 24 oben)/Konrad Klapheck/Interieur im Privathaus Dreyfus-Best/VG Bild-Kunst, Bonn 2014; Martin P. Bühler/Kunstmuseum Basel
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Im Kaminzimmer wirbeln die Stile, Epochen,
und Gattungen durcheinander. Das große
Gemälde ist von Jacob Isaacsz. van Swanenburgh: »Äneas und die Cumäische Sibylle
in der Unterwelt« (um 1600). Ganz oben
links »Das Räuchergefäß« Odilon Redons,
re. neben dem imposanten Narwalzahn
Magrittes »Das fertige Bouquet« von 1956.
Auf dem Eckmöbel der romanische »Püs­
terich«, einst im Besitz Robert von Hirschs
»Beim Sammeln geschah viel im Unbewussten. Oft merkten wir
erst später, wie sehr ein neues Werk inhaltlich passte.«
voll, von jugendlichem Tatendrang und
dauernd zum Witzeln aufgelegt. Man spürt
schnell, sie will etwas erleben und bloß nicht
gelangweilt werden. Als Sammlerin, Gastgeberin während der Art Basel, aber auch
durch ihre Museumsschenkungen und andere Förderungen ist sie überall in der Kunstwelt bekannt. Jetzt präsentiert sie zum ersten
Mal ihre Werke der Öffentlichkeit. Es ist
auch eine Hommage an ihren Mann, mit
dem sie die Kollektion über dreißig Jahre
lang aufgebaut hat. Auf der ersten Station in
der Peggy Guggenheim Collection in Venedig ließen sich im Sommer über 110 000 Besucher faszinieren. Und auch jetzt in der Heimatstadt macht die Mischung aus alten
Meistern und dem schwarz-romantischen
Seelendurchwühler Füssli, dem schweren
Parfüm der Symbolisten Moreau, Redon
oder Böcklin, der Traumerkundung der Surrealisten bis hin zu Jeff Koons und Matthew
Barney großen Eindruck.
Hier haben zwei Kunstliebhaber abseits
aller Moden und mit ganz eigenständigem
Gespür Bilder und Objekte um sich geschart,
die trotz aller Vielfalt von inhaltlichen Fäden
zusammengehalten werden. Immer wieder
geht es um den Zusammenhang von Eros
und Tod, um verhüllte wie unverblümte
Sinnlichkeit, die sexuelle Macht der Frau
über den Mann, um Hexen und Totenköpfe,
Gemeinsame Liebe zur Kunst und zur Natur:
Richard und Ulla Dreyfus 1984 in Vermont.
Unten: Ein typisches Wand-Capriccio im
Haus der Sammlerin. Neben Richard Oelzes
»An einer Kirche« von 1949/54 (li. o.) eine
Version von Füsslis berühmtem »Nachtmahr«, 1810. Die schrägen Muschelmöbel
des 18. und 19. Jahrhunderts finden sich
überall im Haus, einige davon stammen aus
dem Besitz von Helena Rubinstein
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kurz: um die tiefen Abgründe der menschlichen Natur. In dem verwinkelten, alles andere als großtuerischen Haus am Stadtrand
– wir sind schließlich in Basel, hier gehört Dezenz zum guten Ton – wirbelt das alles überbordend durcheinander. Dicht an dicht hängen der ältere Bruegel, Dalí oder der Erotiker
Hans Bellmer neben einer Hexenküche des
frühbarocken Flamen Frans Francken II, einem düster aufgerissenen Unterweltspanorama des Leidener Höllenspezialisten Swanenburgh, zwischen Fantasieköpfen in der Art
von Arcimboldo, sieben Gemälden und fünf
Zeichnungen Füsslis (darunter eine Fassung
des berühmten »Nachtmahr«) – einer der
Füsslis ist sogar als Türblatt einer Schiebetür
in der Wand versteckt.
Im engen Treppenhaus baumelt an einer acht Meter langen Kette Jeff Koons’ »Wrecking Ball«, eine rote Abrissbirne, an deren
Haken ein Schwimmring, der täuschend
echt wie aufblasbares Plastik aussieht, tatsächlich aber aus bemaltem Edelstahl gefertigt ist. Überhaupt spielen Augentäuschungen eine wichtige Rolle. Es gibt von mehreren
Künstlern anthropomorphe Landschaften,
hinter denen sich Gesichter verbergen, von
Dalí eine Reiterschlacht, deren Figuren sich
zu einem Frauenkopf à la Leonardo fügen.
Eine ganze Wand ist mit Fayencen in Form
von Gemüse oder Tieren arrangiert. Und
noch vom Zeitgenossen Francesco Clemente
suchte sich das Sammlerpaar in den Neunzigern ein Schwanengemälde aus, über dem
ein wolkenartig verformtes Selbstporträt des
Künstlers schwebt. Auch Matthew Barneys
Zeichnung von einer rätselhaften BärenMensch-Frau samt erigiertem Glied passt
bestens ins Ensemble der Sammlung.
Der Kunstkosmos in diesem Haus ist
schier unerschöpflich, eine moderne, bürgerliche Wiedergeburt der fürstlichen Kunstund Wunderkammer. Hier wird mit der
Kunst hautnah gelebt, jedes Plätzchen genutzt. Zwischen den Bildern, in Ecken und
Nischen überall Ketten, religiöser Schmuck
und Reliquienamulette, eine schier unerschöpfliche Fülle von skurrilen, schrägen
und natürlich auch erotischen Objekten. »Richard nannte es unseren Horror Vacui.«
Wie ist all dies zusammengekommen?
»Das meiste haben wir spontan und ohne
großes Konzept gekauft«, sagt die Hausherrin. »Da geschah viel im Unbewussten. Oft
merkten wir später erst, wie sehr ein neues
Kunstwerk inhaltlich in die Sammlung passte.« Ja, es habe auch mal Uneinigkeit über einen Ankauf gegeben. »Aber insgesamt trug
die Kunst unglaublich viel zur Harmonie in
unserer Ehe bei. Sie war unser Medium und
im täglichen Leben ständig präsent.« Die beiden durchlebten eine große, erfüllte Liebe.
Bilder links unten und vorige Doppelseite: Fritz von der Schulenburg/Interieur im Privathaus Dreyfus-Best, dabei René Magritte/VG Bild-Kunst, Bonn 2014; links oben: privat
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So abgründig ist der Mensch
1 Zotteliger Lüstling verspeist junge Frau: Alfred Kubins Federzeichnung »Der Unhold«, um 1903 2 Eitelkeit, auch du
bist vergänglich – ein moralisierendes Damenbild des 18. Jahrhunderts, wohl aus Österreich 3 Eine der Berühmt­
heiten der Sammlung Dreyfus, René Magrittes Gouache »Das rote Modell«, entstanden 1947/48, ist eine Variante der
gleichnamigen Gemälde in Museen in Stockholm und Rotterdam 4 Große Kunst ist die Federzeichnung Pieter
Bruegels des Älteren, signiert und auf 1557 datiert. Dargestellt ist der Neid (»Invidia«) aus der Serie der »Sieben Todsünden« 5 Gnome auf Hühnerjagd: Der barocke Maler dieses Bildes ist unter dem Notnamen »Meister der Frucht­
barkeit des Eis« bekannt 6 Als verzerrte Anamorphose hat Francesco Clemente sein eigenes Gesicht in den Himmel
gemalt: »Der Schwan«, 1997 7 Salvador Dalís »Riesige fliegende Mokkatasse« von 1944/45, im Hintergrund ein Zitat
von Böcklins »Toteninsel« 8 Erotische Zeichnung Johann Heinrich Füsslis, 1790/1800 9 Hybridwesen von Hans Bellmer:
»Céphalopode«, 1939/49 10 Max Ernsts »Sumpfengel« (1940) ist bereits der Fondation Beyeler zugedacht
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Hexenszenen haben das Sammlerpaar
Dreyfus-Best magisch angezogen. Vom Barockmaler Caroselli stammt das Bild über
dem Bett. Passend zur religiösen Szenerie
bezieht sich selbst Ben Vautier ganz o. li.
auf Christus. Unecht ist hier nur die Katze
»Richard war ein Gentleman der alten Klasse,
mit einer enormen Wirkung auf Frauen.
Und er hatte einen unvergleichlichen Humor.
Über viele seiner Witze lache ich bis heute.«
Die jüdische Familie Dreyfus stammte
aus dem Elsass und gründete 1813 in Basel ein
Bankhaus, das bis heute besteht. Später entstandene Dependancen in Frankfurt und
Berlin wurden in der Nazizeit »arisiert«. Von
seiner Mutter und den Großeltern erbte Richard den Kunstsinn und die Sammellust.
Genauso übrigens wie seine spätere Frau Ulla
Best, die in Köln aufwuchs: »Meine Mutter
war völlig kunstfixiert. Sie arbeitete an der
Kunstgewerbeschule. Bei uns zu Hause hingen Bilder von Angelica Kauffmann, Franz
Radziwill, Neusachliche wie Franz Xaver
Fuhr, aber auch Max Ernst.« So war das gemeinsame Sammeln vorgezeichnet.
Eine zusätzliche Dimension erhielt die
eheliche Kunstleidenschaft durch Robert
von Hirsch. Der von den Nazis aus Deutschland vertriebene Sammler – er besaß weltbe-
rühmte Werke vom Mittelalter bis Giacometti
– war der Stiefvater von Richard Dreyfus.
»Für mich war er eine Respektsperson mit
ganz großem Tiefgang«, erzählt Ulla Dreyfus.
»Wir mochten uns gern, und er hat mein
Kunstverständnis sehr gefördert.« Nach
Hirschs Tod kam es im Juni 1978 zu der legendären Auktion in London; das Ehepaar
Dreyfus hat sie vor Ort miterlebt. Einige Stücke blieben bei Ulla und Richard, etwa ein
seltener romanischer »Püsterich« oder zwei
kostbare Zeichnungen von Pieter Bruegel
dem Älteren und Baldung Grien.
Zum Glücksfall, das betont Ulla Dreyfus, wurde für die Ausstellung die Zusammenarbeit mit dem deutschen Kunsthistoriker Andreas Beyer, der in Basel als Professor
lehrt. Auch er ist ein unorthodoxer Freigeist,
der es liebt, durch die Epochen zu mäandern.
Beyer ließ sich auf den Ausflug ins Kuratorengewerbe ein, wählte rund 120 Werke aus
und schlug Sicht- und Denkachsen durch
den Dreyfus’schen Dschungel. So setzte er
den Bronze-»Püsterich«, den man einst unter
Dampf zum Drehen brachte, in Bezug zu
Man Rays eisernem Nagel-Bügeleisen und
Odilon Redons symbolisch aufgeladener
Zeichnung eines Räuchergefäßes. Weiter
schweift der Blick zu Not Vitals ehernem
Hirschgeweih aus den Neunzigern oder Rolf
Sachs’ Tannenzweig aus gegossener Bronze.
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Von Knochenpartikeln in den religiösen
Schmuckanhängern leitet Beyers Regie zu einem Narwalzahn, der zu Kunstkammerzeiten als Relikt des Einhorns galt. Eine FüssliZeichnung zitiert Michelangelo, während
gegenüber Magritte die »Primavera« Botticellis aufgreift. So wird subtil und geistreich der
Blick geleitet, denn strenge Kategorisierung
macht in dieser Sammlung keinen Sinn.
Ulla Dreyfus wird jetzt von allen gefragt, was einmal mit ihren Kunstwerken geschehen soll. Sie antwortet unbestimmt,
doch es gibt tatsächlich noch keinen ausgereiften Plan. »Für mich sind es Leihgaben auf
Lebenszeit. Da kann ruhig später wieder etwas durch Verkäufe unters Kunstvölkchen
gebracht werden.« Einige kapitale Werke hat
sie schon geschenkt, so die Blätter von Pieter
Bruegel und Baldung Grien ans Basler Kunstmuseum oder Max Ernsts herrlichen »Sumpf­
engel« an die Fondation Beyeler. Zunächst
aber wird sie weiter sammeln. Sie träumt von
Domenico Gnoli, der gut zu Konrad Klap­
hecks enigmatischem Nähmaschinenbild
passen würde. Und ja, bei Jeff Koons ist auch
gerade wieder ein Werk für sie in Arbeit. ×
»For Your Eyes Only. Eine Privatsammlung zwi­
schen Manierismus und Surrealismus«, Kunst­
museum Basel, bis 4. Januar; der Katalog erscheint
bei Hatje Cantz, 39,80 Euro
Bild links: Fritz von der Schulenburg/Ben Vautier/VG Bild-Kunst, Bonn 2014; Bilder vorige Doppelseite: Martin P. Bühler/Kunstmuseum Basel (8), davon Hans Bellmer, Max Ernst, Alfred Kubin und René Magritte/alle VG Bild-Kunst, Bonn 2014; Christian Baur;
Salvador Dalí/Fundació Gala-Salvador Dalí/VG Bild-Kunst, Bonn 2014; Gagosian Gallery New York
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